Remember the promise you made von Ulysses (San Francisco Love Stories) ================================================================================ Kapitel 36: Sly's Tragedy (Part 2 of 4) --------------------------------------- „So sollte das nicht laufen! Das ist falsch!“ David riss sich nahezu gewaltsam von Jeremy los, stolperte einen Schritt zurück. Seine Wange brannte von der Ohrfeige, sein Herz raste als Folge des herrlichen Kusses. Ihre Berührung war so voller Verlangen, Sehnsucht und tiefer Gefühle gewesen, dass es ihm regelrecht Angst machte. „Ist es das?“ Jeremy lächelte ihn an. „Ja, was meinst du wohl, warum ich das alles abgezogen habe?!“ „Du gibst also zu, dass das alles nur Show war. Gut.“ David guckte mit einem Mal ziemlich dumm aus der Wäsche. Voll in die Falle gegangen, mit Pauken und Trompeten. „Nein... ja!“, gab er zu, „Es war nur Show... ich bin nicht so ein Arschloch, aber es war doch nur zu deinem Besten!“ „Du tickst manchmal wirklich nicht richtig.“ „Jeremy...“ „Ich bin kein Kind!“ Der Rothaarige legte den Kopf schräg. „Ich liebe dich, David! Und du hast kein Recht für mich Entscheidungen zu treffen! Ich will bei dir sein!“ „Du weißt nicht, was du da sagst!“ David ließ sich auf einer Parkbank nieder. „Das weiß ich sehr wohl! Warum denkst du, dass es „Bis das der Tod euch scheidet“ und nicht „Bis es mal schwer wird“ heißt?“ „Wir sind nicht verheiratet.“ „Na und?“ David schaute ihn nach der trockenen Erwiderung an. Er wusste nicht, was er tun sollte. Alles in ihm schrie nach Jeremy, aber sein Verstand versuchte noch die Oberhand zu gewinnen. „Ich werde sterben, Jeremy.“ „Und du denkst, es ist dann das Klügste, alle Stützen von dir zu stoßen? David, wie viel haben wir zusammen überwunden? Den Altersunterschied, die Pornos, Alex’ Intrigen, deine Angst vor einer Beziehung... und du wirfst alles weg? Einfach so?“ „Ich konnte nicht anders...“ „Die Wahrheit war keine Alternative?“ „Du hast mich wegen der Pornos auch belogen!“ „Aber ich habe dich nicht verlassen!“ Jeremy war nicht bereit, auch nur einen Schritt zurück zu weichen. „Begreif doch endlich, dass wir keine Zukunft haben!“ „Du stirbst ja wohl nicht morgen!“ Im Moment konnte Jeremy den Gedanken von sich weg halten, schaffte es, dies nüchtern festzustellen. Schweigen. „Ha!“, lachte der Rothaarige. „Dir gehen die Argumente aus, Herr Anwalt!“ „Mach dich nicht über mich lustig.“ David fühlte sich in die Ecke gedrängt. Jeremy setzte sich neben ihn. „Nun versteh doch endlich, dass ich kein kleines Kind mehr bin. Ich liebe dich und ich will für dich da sein.“ Er legte seine Hand auf Davids Oberschenkel. „Ich brauche dich und wenn du ehrlich zu dir bist, brauchst du auch mich. Wir sind füreinander bestimmt, David.“ „Du elender Romantiker...“ Doch der Blonde lächelte dabei. Er deckte Jeremys Hand mit seiner zu und lehnte sich an ihn. „Du bist ein Idiot... wie kannst du dir das antun?“ „Das habe ich dir schon erklärt.“ „Bleib heute Nacht bei mir, ja?“ David wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher. Sich Jason zu offenbaren war schon erleichternd gewesen, aber Jeremys warmen Körper so nah bei seinem zu fühlen, seinen Geruch wahrzunehmen, durch die roten Haare streichen, seine Lippen küssen zu können, das war unvergleichlich. Wie hatte er ohne das leben können? Und das so lange... „Sehr gern...“ Jeremy küsste ihn auf die Wange. „Du blöder Bock...“ „Ich wollte dich doch nur schützen...“ „Deswegen ja...“ Jeremy stand auf und hielt ihm die Hand hin. „Wollen wir?“ Sein Freund ergriff sie. „Und was ist mit Jason und den Anderen?“ „Die werden sich schon amüsieren.“ Der Tänzer grinste breit. „Heute Abend sind nur noch wir beide wichtig, niemand sonst. Ich will auch mal egoistisch sein.“ „Klingt wunderbar...“ Und das meinte David wirklich so. Er wollte nur noch bei Jeremy sein, ihn halten und küssen. Nichts sonst. Als Gary den Haustürschlüssel hörte, schreckte er aus dem Schlaf hoch. In seinen Armen ein zusammen gerolltes Bündel mit blonden Haaren das tief und fest schlief. Der Fernseher lief immer noch auf Nikelodeon, der hatte mit Anna den „Spongebob Schwammkopf“ und „Cosmo und Wanda – Wenn Elfen helfen“ Marathon geguckt, so lange, dass er allmählich schon beide Titellieder auswendig und jeden Charakter im Effeff benennen konnte. Irgendwann mussten sie eingeschlafen sein. Die Kleine war geradezu vernarrt in ihn. Sie konnte sich offenbar nicht entscheiden, wer in ihrer Gunst zuerst kam, Batman oder ihr erster Schwarm. „Wir heiraten mal, wenn ich groß bin, ja?“, hatte sie zwischen einer Folge mit dem Schwamm und den chaotischen Zauberpaten gefragt. Natürlich hatte Gary ihren Antrag angenommen, Anna war wirklich zum Fressen. Vorsichtig entließ er sie aus seinen Armen und deckte sie zu, bevor er in den Flur ging und vorsichtshalber den Finger an die Lippen legte. „Pst, Anna schläft.“, lächelte er. „Dann kann das Haus einstürzen.“ Nicolai schaute rüber ins Wohnzimmer. „Sie würde nicht wach werden.“ „War alles okay?“ „Ja, Chef!“ Gary salutierte in Jasons Richtung. „Und wie du siehst, gibt es sogar noch ein Zuhause zum Nachhause kommen, ich habe nichts abgefackelt.“ Er grinste dabei Chris an, der aber natürlich nicht auf die Anspielung auf seine Ermahnung letztes Jahr einging. Er wusste ja nichts davon. „Wir gehen dann schlafen. Kommst du?“ Jason nahm Chris bei der Hand. „Und wir reden morgen, ja?“ Das Licht flackerte. „Und um die Glühbirne muss ich mich auch noch kümmern...“, meinte er nebenbei. Nicolai lächelte nur und nickte. „Gute Nacht, ihr zwei.“ Gary guckte seinem Bruder und dem blonden Mann etwas dümmlich hinterher, als sie die Treppe hinaufstiegen. „Moment mal... er und...?“ „Ja, sie sind wieder zusammen.“ Jasons Bruder stemmte die Hände in die Hüften. „Hat er dich einfach abserviert?!“ „Nein, keine Panik. Es war mir eigentlich schon die ganze Zeit klar. Dein Bruder hat sich in etwas verrannt, aber was er wirklich wollte, war die ganze Zeit vor seiner Nase. Und Chris ging es nicht anders.“ „Ihr Homos seid wirklich ein komisches Volk.“ „Sind wir das?“ Nicolai lachte leise. „Darf dir das Mitglied des komischen Volkes noch einen Kakao oder so machen? Ich will auf jeden Fall noch einen.“ „Da sage ich nicht nein.“ Gary folgte dem jungen Russen in die Küche, wo dieser Wasser aufsetzte. Er selbst ließ sich am Esstisch nieder. „Bist du wirklich kein bisschen sauer auf ihn?“ „Hast du jemals wirklich geglaubt, dass dein Bruder in mich verliebt ist?“, stellte Nicolai die Gegenfrage. „Aber du gehst da so locker mit um. Ich würde ausrasten.“ Gary beantwortete die Frage indirekt. Er hatte sich schon die ganze Zeit gefragt, was sein Bruder da eigentlich trieb. „Na ja, ich mag ihn sehr gern, aber wirklich verliebt bin ich auch nicht. Er hat das ja nicht böswillig gemacht, dein Bruder kann so ein richtig tapsiger Bär sein, der überhaupt nicht merkt, was er so tut. Aber Hinterhältigkeit oder absichtliches Ausnutzen ist das Letzte, was man ihm unterstellen könnte. Dazu ist er nicht fähig.“ „Nein, das wohl nicht...“ „Meinst du, er lässt mich weiter hier wohnen?“ Gary lachte. „Du kennst ihn schon so gut und stellst trotzdem noch eine so dumme Frage?“ „War die dumm?“ Nicolai stellte ihm den Kakao hin und setzte sich mit seiner Tasse zu ihm. Es war eher heiße Schokolade, die man mit Wasser aufschütten konnte. Lecker, aber weniger Kalorien, Jason achtete darauf, weil er im Moment seltener ins Studio ging. „Na ja... sie war es wohl.“ „Er hat dich gern und Jason hat einen Helferkomplex, glaube mir, die Welt würde untergehen, bevor er dich jetzt auf die Straße setzen würde. Und meine Braut auch nicht.“ „Wen?“ „Anna!“, lachte Gary. „Deine Schwester ist ein ganz schönes Früchtchen. Sie hat bei Spongebob Schwammkopf um meine Hand angehalten.“ „Oh, willkommen in der Familie. In Russland ist so etwas absolut bindend!“ Nicolai stieß mit seiner Tasse an die von Gary. „Nastrowje.“ „Danke für die Warnung, dann setze ich mich besser ab.“ “Wird deine Freundin sonst sauer?“ Gary blickte in seine Schokolade. „Ich bin solo.“ „Oh. Und keine süße Maus in Sicht? Oder ein süßer Mäuserich?“ Der Brünette schaute entsetzt auf. „Was?“ „Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten, aber dein Bruder ist nun mal schwul und da dachte ich, dass es ja sein könnte.“ „Da ist jemand... ein Junge.“ Gary wusste selbst nicht genau, warum er das jetzt sagte, aber Nicolai hatte so eine Ausstrahlung an sich, die automatisch Vertrauen aufbaute. „Ein Junge also....“ „Ja... aber ich hatte auch schon was mit Mädchen, ich bin also... ach, ist ja egal. Er hat auf jeden Fall einen Anderen.“ „Das ist immer Mist. Wenn du dich dazwischen drängst, bist du der Arsch.“ „Aber er wollte mich! Damals als wir uns kennen lernten, wollte er mich. Nur ich Idiot hab kalte Füße bekommen...“ „Ist ja auch nicht leicht in deinem Alter.“ „Du bist doch kaum älter als ich!“ Nicolai lächelte und das etwas bitter. „Aber vom inneren Alter bin ich dir weit voraus, glaube mir... das hat mein Leben mit sich gebracht.“ Gary bekam eine Gänsehaut. Marcus war es nicht anders ergangen und er war sogar noch jünger gewesen. Er wusste, dass Nicolai auf den Strich gegangen war, wollte ihn aber nicht darauf ansprechen. „Dafür bist du aber ein toller Typ.“ Nicolai lächelte ihn über den Rand der Tasse aus an. „Ach ja?“ Seine Augen blitzten. „Gefalle ich dir?“ „Was?!“ Gary zuckte zusammen. „Ich...äh... du weißt, was ich meine!“ “Natürlich, ich weiß das.“ Nicolai lachte leise und stieß mit seiner Tasse gegen die von Gary. „Auf uns einsame Herzen.“ „Auf uns!“ Jasons Bruder musste auch lachen. Nicolai war wirklich nett. Chris stand in der Schlafzimmertür und starrte das Bett an. Er konnte kaum einen Schritt tun. „Hast du Garys Gesicht gesehen? Er war total perplex.“ Jason stand im Badezimmer vor dem Spiegel, nur noch in Shorts. Er warf sich ein wenig Wasser ins Gesicht und musterte sich im Spiegel. Gar nicht übel. Er schwebte eigentlich wie auf Wolken. Chris, sein Chris, war endlich wieder bei ihm. Er war in ihn verliebt. Er liebte ihn wirklich. Das Gefühl war göttlich. Einfach unbeschreiblich. „Was ist denn los?“ Er schaute aus der Badezimmertür, als er keine Antwort bekam. „Du bist so still... hast du was?“ Chris sah ihn an. „Nein... nein...“ Ihm wurde heiß. Jason war halbnackt und allein dieser Anblick ließ ihm den Schweiß ausbrechen. Wusste dieser Mann eigentlich, wie umwerfend er aussah? Diese Muskeln, der Kerl war ein Adonis. „Wirklich nicht?“ „Nein, alles okay.“ „Willst du nicht aus dem Smoking raus?“ „Ausziehen?!“, fragte Chris entsetzt. Jasons Augenbrauen zogen sich zusammen. „Nein, du kannst auch so bleiben, wird sicher gemütlich im Bett. Vielleicht zwickt deine Fliege ein bisschen.“ Chris wurde rot. „Nein... schon gut...“ Jason ging wieder ins Bad, er fing an, vor sich hin zu summen. Sein blonder Freund ging langsam ans Bett heran und setzte sich. Mit zitternden Fingern löste er seine Fliege und nahm sie ab. Seine Gedanken kreisten um Jasons Anblick und blieben dann an der Erinnerung an dessen Nachttischschublade hängen. Das Gleitmittel und die Handschellen. „Du bist ja immer noch in voller Montur.“ Chris fuhr zusammen. Und das nicht zu knapp. Erschocken starrte er Jason an. „Was?!“ Der Brünette seufzte. „Und jetzt raus mit der Wahrheit! Was ist?“ „Nein... es ist nichts, es...“ Chris senkte den Blick. „Ich habe Angst...“ “Vor mir?“ „Ja... nein!“, fügte er schnell nach einer Pause hinzu. „Nein.“ „Chris... mein Engel.“ Jason lächelte. War das schön, das wieder zu sagen. „Was ist denn los?“ „Ich hab eben Angst!“ Chris verschränkte die Arme vor der Brust „Du bist... und ich... wir... wir sind doch zusammen und wir waren es auch und wir sind... wir waren... nein, wir sind...“ „Chris...“ „Ich hab Angst vorm Sex, okay!“, fauchte der blonde Mann. „Und jetzt darfst du lachen!“ Jason setzte sich neben ihn. „Vorm Sex?“ „Ja! Jason... ich bin sechzehn... nein, bin ich nicht, aber ich fühle mich so. Ich hatte noch nie Sex!“ „Du hattest schon Sex, eine Menge. Wir beide sind ein gutes Team, es gibt kaum eine Ecke dieses Hauses, die wir nicht schon eingeweiht hätten.“ „Das meine ich!“ Chris ließ sich nach hinten fallen und schloss die Augen. „Wir ist nicht gleich wir... Gott, rede ich eine Scheiße... ich habe keine Erfahrung, Jason. Ich habe noch nicht einmal richtig küssen gelernt, nur so ein bißchen mit Dave herum experimentiert... ich kann dir einen blasen, aber das ist es schon!“ Jason war bei der Erwähnung von Daves Namen kurz zusammen gezuckt, fing sich aber schnell wieder. „Du musst doch aber keine Angst davor haben. Du hast viel Erfahrung. Und damals auf der Party hattest du bei dem Kerl doch auch keine Hemmungen.“ „Auf der Party war ich angetrunken und sauer und überhaupt... ich erinnere mich nicht! Ich habe Angst vor den Schmerzen! Und ich habe Angst, dich zu enttäuschen, dich nicht befriedigen zu können. Wenn ich versage und du dann keinen Spaß mehr hast und du mich...“ Jasons Lippen beendete seine Worte. Er hatte sich einfach über Chris gebeugt und küsste ihn. Der Blonde riss die Augen auf, aber Jason leitete ihn. Seine weichen Lippen umspielten zärtlich die von Chris, seine Zunge suchte sich langsam aber bestimmt den Weg in die warme Mundhöhle seines Freundes. Er gab das Tempo vor und Chris zog mit. Es gefiel ihm. Der Kuss war so süß und zärtlich. Keine Spur von Wildheit. Das war Liebe. „Wow...“, flüsterte er, als ihre Lippen den Kontakt aufgaben. „Fand ich auch... du küsst gut.“ Jason strich ihm über die Wange. „Tu ich nicht...“ „Widersprich mir nicht, sonst versohle ich dir den Hintern.“ „Das traust du dich nicht.“ „Woher willst du wissen, dass du das nicht magst.“ „Verunsichere mich nicht wieder...“, lächelte Chris schwach, „Ich schwebe gerade ein wenig... der Kuss war so schön.“ „Und es wird noch schöner, das verspreche ich dir. Und was du nicht willst, machen wir nicht...“ Seine Finger öffneten langsam die Knöpfe von Chris’ Hemd, strichen über die helle Haut darunter. „Ich habe mich so sehr danach gesehnt, dir wieder nahe zu sein. Ich liebe dich sehr...“ Chris keuchte leise. Er schloss die Augen und gab sich den Berührungen hin. Das hier war sicher das Richtige. Mit Jason wollte er sein „erstes Mal“ erleben. David saß auf seinem Bett. Die weichen Laken fühlten sich gut an seiner nackten Haut an. Neben ihm lag Jeremy, der junge Mann hatte sich zusammengerollt und in die Decke gewickelt. Sein schlanker Körper zeichnete sich ab. Ein paar rote Strähnen hingen ihm ins Gesicht. Er war so wunderschön. Sanft strich David ihm die Haare aus der Stirn, Jeremy wurde nicht einmal wach. Sie hatten eigentlich reden wollen und dann waren sie im Bett gelandet. Stundenlang hatten sie sich geliebt und David konnte sich nicht erinnern, jemals soviel Lust, Sehnsucht und Leidenschaft auf einmal gespürt zu haben. Jeremy wusste, wo und wie er ihn berühren musste, sie funktionierten perfekt zusammen. Es war direkt unheimlich. „Wie konnte ich dich nur jemals los werden wollen...“, murmelte der blonde Mann fast tonlos. Langsam stand er auf und ging ins Wohnzimmer. Die Vorhänge waren nicht zugezogen und ließen das diffuse Licht der nächtlichen Metropole hinein. Er ging zu seiner Hausbar und goss sich einen Scotch ein. Er hatte den ganzen Tag noch keine Tablette genommen, da konnte er sich das mal leisten. Zur Feier des Tages. Aber gab es überhaupt etwas zu feiern? David ging zum Fenster hinüber und schaute hinaus. Was tat er hier? Er ließ Jeremy wieder an sich heran. Das war doch genau das, was er hatte verhindern wollen. Jeremy sollte nicht leiden. Aber er kam nicht dagegen an. Allein der Gedanke, den jungen Mann wieder zu verlieren machte ihn wahnsinnig. Dieser Abend war so schön gewesen. „Was wird das hier? Nackte Schönheit in der Nacht?“ Er drehte sich um. Jeremy stand im Türrahmen, ebenfalls nackt. David kam nicht dagegen an, wiederum festzustellen, wie schön er war. „Ich wollte dich nicht wecken.“ „Dann hättest du mir nicht deine Wärme stehlen sollen.“, lächelte der Rothaarige. „Was ist?“ David schaute ihn eine ganze Zeit an, ohne eine Antwort. Was wollte er? Eigentlich wusste er es, er hatte es nur geleugnet. Sich hinter seiner Angst versteckt. „Ich will nicht sterben.“, sagte er mit schwacher Stimme. Er ließ sich am Fensterrahmen herunter sinken, mit dem Rücken an dem kühlen Glas. „Ich will nicht sterben...“ Jeremy zerriss es das Herz. Er eilte zu David hinüber und setzte sich neben ihn, nahm seine Hand. Er wusste nicht so direkt, was er sagen sollte. „Gibt es denn gar keine Chance?“ Seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren hohl und leer. Wie fragte man so etwas im richtigen Ton? Wie sprach man mit einem Todgeweihten? Wieder dauerte es lange bis David etwas sagte, er setzte das Glas an und trank einen Schluck. „Doch...“ „Was?!“ Die Stimmung war mit einem Schlag dahin, Jeremy zog seine Hand zurück, starrte seinen Freund entsetzt an. „Sag das noch mal!“ „Es gäbe da eine Operation...“ „David!“ Jeremy konnte es nicht fassen. „Das kann doch nicht dein Ernst sein! Was ist denn nur los mit dir?!“ „Schrei mich nicht an bevor du alles weißt.“ „Dann sag es mir endlich!“ David seufzte. „Bei der OP besteht ein hohes Risiko... mittlerweile schon über fünfzig Prozent, denke ich... dass ich danach vom Hals abwärts gelähmt bin.“ „Und weiter?!“ „Tickst du noch richtig?! Ist es das, was du dir wünschst?!“ Schon wieder Streit. „Ist es das, was du dir wünschst?! Einen Freund, dem man den Arsch abwischen muss?! Den man füttern muss?! Der dich nicht einmal mehr vögeln kann?! Ans Bett gefesselt, in seinem Körper gefangen!“ „Meinst du, ein toter Freund wäre mir lieber?!“ „Du elender Egoist! Denk mal an mich! Ich könnte nicht ertragen, so zu leben!“ „Und wegen dieses Risikos wirfst du dein Leben weg?! Seit wann bist du so ein Feigling?!“ „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“ „Doch!“ Jeremy kniff ihn in den Oberarm. „Der David, den ich kenne, war eine Kämpfernatur, egal wo, ob im Gerichtssaal, im Privatleben oder im Bett. Dir war keine Herausforderung zu groß. Und jetzt?“ „Ich habe Angst, Jeremy!“ „Das weiß ich...“ Die Stimmung wurde wieder besser, der Rothaarige kraulte seinem Freund durch den Nacken. „Aber du bist doch nicht mehr allein... und warum kannst du nicht einfach mal davon ausgehen, dass die OP gut ausgeht?“ „Jeremy...“ „Ich wäre immer für dich da.“ „Du weißt nicht, was du da sagst.“ „Oh doch...“ Jeremy beugte sich zu ihm hinüber und küsste ihn sanft und langsam, unendlich langsam. „Ich liebe dich...“ David erwiderte den Kuss. Die Wärme zwischen ihnen war so angenehm, so herrlich. Er zog den jungen Mann in seinen Arm und küsste ihn weiter. Am liebsten hätte er nie wieder aufgehört. Trotz des Kusses arbeitete sein Kopf fieberhaft. Was sollte er jetzt tun? Er hatte sich schon so damit abgefunden zu sterben und jetzt war alles wieder anders. Jeremy war wieder da und der Gedanke ihn zu verlieren, nicht mehr bei ihm sein zu können, zerriss ihm das Herz. Er war unvorsichtig gewesen. Jeremy hatte eine Tür in seinem Herzen gefunden, die eigentlich für immer hätte verschlossen bleiben sollen. Jetzt war er hindurch und David schaffte es nicht, ihn wieder hinaus zu treiben. Und er wollte es auch eigentlich nicht. „Begleite mich am Montag zum Arzt, ja?“, flüsterte er, ihre Lippen waren kaum auseinander. „Ja...“ Gary stellte Chris eine Schale mit Cornflakes hin, in der Milch trieben auch ein paar Marshmallows. Er setzte sich mit seiner eigenen Portion ebenfalls an den Tisch und beobachtete Anna, die mit Batman durch den Garten tollte. „Reden sie immer noch?“ Chris nickte. Gary sprach von seinem Bruder und Nicolai. Die Beiden waren im Wintergarten. „Ich hoffe, dass sie das klären wegen euch Beiden und dem Ende ihrer Beziehung... ich mag Nicolai.“ Der Blonde nickte wieder nur. Seine Gedanken waren bei letzter Nacht. Sein erstes Mal... quasi. Wahrscheinlich war es wohl das gelungenste erste Mal der Weltgeschichte gewesen. Die Türklingel riss ihn aus seinen Gedanken. „Ich gehe schon.“ Chris stand auf und rief das Gleiche auch noch mal in Richtung Wintergarten durchs Wohnzimmer, als er in den Hausflur kam. Kaum hatte er die Tür geöffnet, legte Ash auch schon los. „Ist er hier?“ Er stürmte an Chris vorbei. „Sly?! Sly?!“ „Er ist nicht da.“ „Wo ist er dann?!“ Ash wurde laut. „Hey! Schrei mich nicht an!“ „Was ist denn hier los?“ Jason erschien im Türrahmen. „Warum brüllst du hier so rum?“ „Weil ich wissen will, wo Sly ist!“ Er zeigte auf Chris. „Und er war schließlich gestern mit ihm aus!“ „Aber ich bin doch nicht sein Babysitter!“, empörte sich Jasons Freund. „Pass auf...“ Ash funkelte ihn an. „Ich habe schon den ganzen Morgen versucht, Sly zu erreichen, ich habe letzte Nacht kaum geschlafen, aus Sorge um ihn, weil er mit dir aus ist. Ich bin geladen!“ „Lass die Drohungen!“, ging Jason dazwischen, „Dafür gibt es keinen Grund.“ Chris trat näher zu ihm. „Wo ist er nun? Weißt du es?“ Chris schüttelte den Kopf. „Er war... ich habe ihn nicht mehr gesehen, nachdem... er uns... nun... uns...“ „Seit er uns beim Küssen erwischt hat.“, beendete Jason. „Was?!“, brüllte Ash. Aus der Küche erklang Weinen. Gary kam mit Anna auf dem Arm herüber, Nicolai im Schlepptau. Der Kleinen liefen die Tränen, sie war aus dem Garten gekommen und hatte alles mitgekriegt, der Lärm hatte sie erschreckt. „Könntet ihr wohl gütiger Weise das Geschrei lassen? Anna hat schon Angst!“ „Was ist das hier eigentlich für ein Irrenhaus?!“ Ash hatte einen hochroten Kopf. „Jetzt beruhige dich endlich!“ Jason schlug gegen den Türrahmen. „Gary, Nico, geht bitte mit Anna raus in den Garten, ja?“ Sein Bruder erkannte die Brisanz der Situation und schob den jungen Russen vor sich her aus dem Flur. „Was denkt ihr euch?!“, fuhr der Polizist gleich fort. „Ash, das war keine Absicht!“ „Genau!“, mischte sich Chris ein, „Ich habe mich in Jason verliebt, da konnte ich doch nichts für. Ich wollte mir das nur nicht eingestehen!“ Ash platzte der Kragen. Er packte Chris und rammte ihn gegen die Wand. „Du dämliches Arschloch! Sly ist Alkoholiker! Hast du auch nur eine Sekunde daran gedacht, was du mit deinem widerlichen egoistischen Verhalten anrichten kannst! Eines sage ich dir, wenn er wegen dir wieder anfängt zu trinken, wirst du dir wünschen, nie geboren worden zu sein!“ Chris hatte Tränen in den Augen, doch Ash kam nicht viel weiter in seiner Schimpftirade. Jason zerrte ihn so heftig von seinem Freund weg, dass sein ehemaliger Kollege fast zu Boden ging. Doch Jason ließ ihm keine Sekunde Ruhe. Er riss ihn mit sich ins Wohnzimmer und knallte die Tür zu, bevor er Ash mit dem Rücken dagegen stieß. Sein Unterarm drückte sich auf die Kehle des blonden Mannes. „Es reicht...“, zischte er, „Ash, ich respektiere dich und sehe dich als meinen Freund an. Du hast viel für Chris und mich getan. Aber wenn du es noch einmal wagst, Chris so anzufassen und zu bedrohen, schwöre ich dir, ich bringe dich um!“ Gary, der eben ein Spielzeug von Anna aus dem Wintergarten hatte holen wollen, wich entsetzt in Richtung Garten zurück, so dass die Beiden ihn nicht bemerken konnten. Einen solchen Ton hatte er bei seinem Bruder noch nie gehört. „Jason...“ Ash bekam kaum noch Luft. „Hast du verstanden?!“ Der Druck erhöhte sich weiterhin. „Hast du verstanden?!“ „Ja... ja!“, keuchte der Blonde. „Ja...“ Jason ließ von ihm ab, sein ehemaliger Kollege sackte an der Tür zusammen. Chris kam herbei geeilt, er hatte den Weg durch die Küche und den Wintergarten genommen. „Jason!“ „Alles okay...“ Er nahm seinen Freund in den Arm. „Wir haben das geklärt.“ Chris sah ihn an, er war leichenblass, immer noch hatte er Tränen in den Augen. „Entschuldige dich!“, herrschte Jason Ash an. Der Polizist hob den Kopf und fixierte Chris, der Ausdruck in seinen Augen war nicht richtig zu deuten. „Entschuldige.“, sagte er fast betonungslos. „Sch... schon okay...“ Chris löste sich von Jason. Ihm war unwohl in der Gesellschaft von Ash, schrecklich unwohl. „Ich... ich gehe mal... und schaue, was mit Anna und... ich gehe mal.“ Damit lief er aus dem Zimmer. Ash stand mühsam auf, er rieb sich den Hals. „Du bist ja übergeschnappt...“ „Das musst du gerade sagen!“ „Ich mache mir Sorgen, verdammte Scheiße!“ „Das ist noch lange kein Grund, meinen Freund zu bedrohen!“ „Hätte ihm nicht etwas früher einfallen können, dass er dich will?! Möglichst bevor er Sly mal wieder falsche Hoffnungen gemacht hat, in die er sich tierisch hinein gesteigert hat?!“ „Ash...“ Jason senkte die Stimme, anschreien war doch sinnlos. „Chris hat Amnesie. Glaubst du, wenn er gewusst hätte, was mit Sly los ist, hätte er das getan?“ Ash funkelte ihn an, doch nun sanken auch seine Schultern herab. „Ich habe solche Angst um ihn...“ „Das verstehe ich.“ „Nein, tust du nicht. Wir haben uns im Streit getrennt. Ich habe ihm gesagt, dass er, wenn er Probleme hat wegen Chris, ja nicht zu mir kommen solle... was wenn er nun...“ Jasons Wut war verraucht, er legte Ash die Hand auf den Oberarm. „Wir werden ihn finden, das verspreche ich dir. Er ist sicher in Ordnung. Vielleicht hat er nur jemanden aufgerissen, um sich über Chris hinweg zu trösten...“ Das Sonnenlicht verursachte Schmerzen in Slys Augen, als er langsam die Lider öffnete. Wo war er? Alles tat ihm weh. Er lag auf dem Boden in einer Seitengasse. Wo genau in der Stadt konnte er nicht sagen. Dreckige Wände voller hässlicher Hinterlassenschaften von drittklassigen Sprayern, überall lag Müll. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er gleich explodieren, in seinem Mund war ein Geschmack, als hätte er an Pflastersteinen geleckt. „Sieh da! Ein Neuer! Willkommen, Schätzchen!“ Sly schaute auf. Neben ihm stand eine alte Frau in vor Dreck starrenden Kleidern. Sie hatte einen Einkaufswagen voller Unrat bei sich und eine in eine Papiertüte gewickelte Flasche in der Hand. Der junge Mann stand auf. Orientierungslos blickte er sich um. In der Gasse hockten noch mehr Penner und musterten ihn. „Was für ein feiner Pinkel!“, knurrte einer angesichts von Slys verdrecktem Smoking. „Quatsch!“, krächzte die Alte, „Er ist einer von uns, nicht wahr, Schätzchen? Magst du was?“ Sie hielt ihm die offene Flasche hin, fast schon an den Mund. Sly zuckte zurück. Er sah den Flaschenhals, die aufgesprungenen Lippen der Alten, ihre schiefen und dreckigen Zähne in dem zu einem Grinsen verzogenen Mund. „Na komm, Schätzchen!“ Sly warf sich auf dem Fuß herum und rannte weg, unter dem gackernden Lachen der Alten. „Bitte sprich mit mir!“ Marcus saß hilflos neben seinem Freund vor dessen Bett auf dem Boden. Sie waren in Colins Zimmer und das nun schon seit Stunden. Colin starrte nur vor sich hin. „Was soll ich denn sagen?“ Auf diese Frage wusste Marcus keine Antwort, er wollte nur diese grässliche Stille loswerden. Die letzten Stunden erschienen ihm wie ein Albtraum. Die Lichter des Notarztwagens, die Hektik der Sanitäter, die aber sowieso umsonst gewesen war. Man hatte nur noch Brandons Tod feststellen können. Er hatte sein Leben freiwillig beendet. Im Badezimmer hatte man einen Abschiedsbrief gefunden, adressiert an Colin. Brandons Vermächtnis quasi. Er schien es schon lange geplant oder zumindest mit dem Gedanken gespielt zu haben. Er erwähnte sogar ein Testament, in seinem Alter eigentlich ein eindeutiges Zeichen. „Colin...“ „Es ist meine Schuld...“ „Was?“ „Es ist alles meine Schuld. Er hat meine Nähe gesucht, meine Hilfe. Und ich habe ihn von mir gestoßen.“ „Das konnte niemand ahnen, Colin.“ Marcus streichelte ihm sanft über das Haar. „Niemand trägt die Schuld daran.“ „Ach ja?!“ Plötzlich wurde der Schwarzhaarige laut, „Das ist die typische Ausrede! Niemand konnte das ahnen! Klar! Natürlich! Weil es niemanden interessiert hat, dass Brandon Probleme hatte!“ „Warum brüllst du mich so an?“, fragte Marcus betont ruhig. „Weil du nicht zu kapieren scheinst, dass ich ihm hätte helfen können! Ich! Ich!“ „Wie denn? Er hat dir ebenso wenig etwas gesagt wie den Anderen! Hast du seine Mum nicht gesehen? Sie war total verzweifelt! Er hat nicht einmal mit seinen Eltern geredet!“ „Das ist mir egal! Ich bin nicht irgendwer! Er hat mir immer vertraut!“ „Und er hat dich trotzdem betrogen und beinahe mit HIV angesteckt!“ „Das du ihn nicht leiden konntest, ist mir klar!“ „Was?“, fragte Marcus perplex. „Na ja, er war doch schließlich dein Konkurrent.“ Marcus schnaubte. „Na danke schön! Ich wusste gar nicht, dass ich mit ihm in Konkurrenz stand! Wie ist das?! Wenn er nicht positiv gewesen wäre, wäre ich dann mal abgemeldet gewesen , wenn du Lust auf dummen Muskelprotz verspürt hättest?!“ „Rede nicht so über ihn!“ „Colin!“ Der Schwarzhaarige stand auf und ging zum Fenster. Er drehte Marcus den Rücken zu. „Wenn du nichts anderes vorhast, als mich mit deinem dummen Gerede zu nerven, dann geh bitte.“ „Wie kannst du so etwas sagen?“ „Weil es so ist!“ Colin wirbelte herum, „Marcus, er ist tot! Mein Exfreund ist tot, weil ich zu dumm war, um ihm zu helfen! Und du hast nichts besseres zu tun, als eifersüchtig zu werden?!“ „Du hörst mir ja nicht einmal zu, wenn ich dir helfen will!“ „Weil du mir nicht hilfst mit deinen Floskeln!“ „Das sind keine Floskeln!“ Marcus gestikulierte hilflos, „Du bist nicht schuld an seinem Tod! Du hast ihm nicht die Hand geführt.“ „Aber ich hätte es verhindern können!“ „Und wie?!“, brüllte Marcus zurück, „Sag mir wie!“ Colin starrte ihn an und schwieg. Sein Freund hatte ja Recht. Wie hätte er ihm helfen sollen? Er war von der Situation überfordert gewesen, viel zu panisch, weil er fürchtete, positiv zu sein. Aber konnte man ihm dafür einen Vorwurf machen? Er ließ sich zu Boden gleiten. „Warum hat er das nur getan?“ Marcus seufzte und setzte sich neben seinem Freund. „Das weiß sicher nur er selbst.“ „Kommst du mit auf seine Beerdigung?“ „Natürlich...“ „Ich weiß nicht, wie ich da allein durch soll...“ „Du bist nicht allein.“ „Aber er war es...“, murmelte Colin und lehnte sich an den warmen Körper seines Liebsten. „Er war es... sogar als er starb... er war allein...“ Marcus wusste nichts zu erwidern, er hielt Colin nur fest. Ralph und Kain kamen lachend aus dem Schnapsladen. Nun waren sie mal wieder blank, aber das interessierte die Beiden nicht. Das Geld aus der geklauten Brieftasche hatte gerade für ihre Ausbeute im Laden gereicht. „Und wohin jetzt?“ „Weiß nicht!“, lachte Ralph und hob die drei Flaschen teuren Wodka, die sie erstanden hatten, hoch. „Irgendwo feiern!“ „Warum glotzt der so dämlich?“ Ralph folgte dem Blick seines Kumpels. An der Tür des Laden drückte sich ein total abgehalftert wirkender Typ herum, grotesker weise in einem Smoking. „Ist was?“ Der junge Mann zuckte zusammen. „Hast du ein Problem?“ Kains Stimme war ruhig und dabei sehr gefährlich. „Kann ich einen Schluck haben?“ Der Mann klang kratzig. „Was?“ „Darf ich einen Schluck von euch haben?“ Er kam näher. Die Augen die ganze Zeit auf die Flaschen geheftet. „Du willst was von unserem Schnaps?“ Der Braunhaarige nickte eifrig. „Was kriegen wir dafür?“ Ralph schaute Kain verwundert an, doch dieser winkte nur ab. „Alles!“, rief Sly so schnell er konnte. „Alles, was ihr wollt!“ Ein hämisches Grinsen schlich sich auf Kains Gesicht. „So, so, alles... dann komm mal mit!“, lachte er. „Immer noch kein Lebenszeichen?“ Jason hatte das Telefon unters Kinn geklemmt. „Kann ich was tun?“ Ash steuerte seinen Wagen durch den Straßenverkehr, er war fix und fertig, seine Augen brannten wie Feuer. „Nein... nichts... und ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. Keine Einlieferungen in die Krankenhäuser der Umgebung... und auch nicht in die Leichenschauhäuser.“ „Aber das ist doch wirklich mal was.“ „Findest du? Das heißt nur, dass er irgendwo durch San Francisco rennt und sich vielleicht zu Tode säuft! Oder das man seine Leiche noch nicht gefunden hat!“ „Ash!“, mahnte Jason, „Reiß dich zusammen.“ Er hatte zusammen mit Chris den ganzen Tag alle Orte abgeklappert, an denen Sly sonst zu treffen war. Aber das eigentliche Problem war die Größe der Stadt und die recht geringe Schwierigkeit mit dem Bus bis nach Sacramento, Oakland oder Marine County zu kommen. Sly konnte sprichwörtlich überall und nirgends sein. „Du bist gut!“ „Und was ist mit unseren Freunden und Helfern im Büro?“ „Das alte Gerede! Vierundzwanzig Stunden vermisst sein, sonst kann man nichts machen.“ „Hätte ich mir denken können.“ „Jason, ich suche weiter. Ich hab noch ein paar Ecken übrig und dann rufe ich noch einmal in allen Krankenhäusern an.“ „Ash, bau keinen Unfall, du musst doch vollkommen kaputt sein.“ „Jason, ich kann jetzt nicht aufgeben.“ „Pass aber auf.“ Ash nickte, auch wenn Jason das nicht sehen konnte. Er legte schon den Finger auf den Knopf zum Auflegen, dann überlegte er es sich anders. „Jason?“ „Hm?“, kam es aus der Leitung. „Sag Chris, dass es mir leid tut.“ „Mach ich.“ „Danke...“ Die Verbindung wurde unterbrochen. „Nichts?“ Chris beobachtete, wie sein Freund das Telefon hinlegte. „Gar nichts...“ „Es ist meine Schuld...“ Der blonde Mann legte den Kopf mit der Stirn auf den Tisch. „Meine Schuld.“ „Ist es nicht, hör auf damit.“ „Aber es ist doch so, Jason!“ Chris setzte sich wieder auf. „Ich habe seine Einladung angenommen, obwohl ich genau wusste, wen ich wirklich liebe.“ Jason kam nicht dagegen an, bei diesen Worten ein warmes Gefühl in der Brust zu verspüren. Chris liebte ihn. Chris liebte ihn. Er könnte tanzen vor Glück. Es war geradezu unheimlich, wie Chris sich verändert hatte. Auf einmal ähnelte er seinem alten Ich viel mehr als vorher. Er war am Anfang so kühl gewesen, hatte sich so unfair verhalten, teilweise wie ein richtiges Arschloch. Und nun? Hundertachtzig Grad Drehung. Er war nicht sein Chris, aber schon fast. Vielleicht war es sogar am besten, wenn es einfach so blieb und ihm die Erinnerungen an die Traumata erspart bliebe. „Du konntest nicht wissen, dass er so schrecklich in dich verliebt ist und du konntest genauso wenig wissen, dass er ein trockener Alkoholiker ist.“ „Das ist es ja... Jason, ich weiß gar nichts. Ich habe das Gefühl, neben euch her zu leben... ihr alle wisst, wovon ihr sprecht, nur ich... ich stehe daneben und verstehe oft nur Bahnhof und ich habe Angst, dass ich aus Unwissenheit noch mehr Fehler begehe.“ „Du hast keinen Fehler begangen, mein Engel.“ „Das ist lieb von dir, dass du versuchst, mir das einzureden. Aber Ash hatte Recht... ich habe nur an mich gedacht.“ „Aber du hast es doch auch schrecklich schwer im Moment.“ Chris nippte an seinem Kakao. „Hilf mir.“ „Was?“ Der Blonde sah ihn an. „Hilf mir, mich erinnern. Erzähl mir was über mich. Soviel es geht. Erzähl mir von meinem... von unserem Leben. Wie haben wir uns kennen gelernt? Wo? Wie war ich früher? Ich weiß, was mein Vater mir angetan hat und dass ich deswegen von Zuhause weggelaufen bin. Aber mehr nicht...“ „Der Arzt hat damals gesagt, dass es nicht unbedingt das Beste wäre, dir alles zu erzählen.“ „Das Beste?! Jason, ich muss doch wenigstens wissen, wer oder was ich bin, wenn ich mit dir zusammen sein will.“ „Chris...“ Jason setzte sich ihm gegenüber hin. „Ich weiß nicht...“ „Was ist denn so schlimm? War ich ein Verbrecher, als wir uns kennen gelernt haben? Wie habe ich denn meinen Lebensunterhalt verdient?“ „Chris...“ „Jetzt sag es mir endlich!“ Er knallte die Tasse auf den Tisch. „Habe ich gedealt?!“ „Du bist auf den Strich gegangen...“, flüsterte Jason. Es wurde still im Raum. Chris starrte ihn an. Wortlos. Seine Augen flackerten. Er hatte viel erwartet, aber das nicht. Nicht das. Eine Hure... „Ich wollte es dir ja nicht sagen, mein Engel...“ „Wie habe ich das tun können...?“ „Chris, verurteile dich nicht. Es ist eben alles über dir zusammen gebrochen. Du bist ohne Plan weggelaufen, warst vollkommen hilflos und dann bist du da hineingeraten. Drogen, Strich...“ „Drogen?! Ich war ein Junkie?!“ Plötzlich durchfuhr es ihn wie ein Blitz. Er zog seinen Ärmel hoch, in der Beuge waren noch ganz schwache Einstichnarben zu sehen. Er hatte sie nur nie beachtet. Jason nickte nur. „Nein... nein...“ Der Blonde stand auf und ging zum Fenster. Draußen schien die Sonne über San Francisco, der Himmel war strahlend blau, würde sich aber bald rötlich färben, der Abend näherte sich. Doch in Chris’ Herz tobte ein Sturm. „Chris...“ „Nein! Nein!“ Er brach in Tränen aus. Zitternd hielt er sich an der Fensterbank fest. „Nein... nein...“ Mit wenigen Schritten war Jason bei ihm und schloss ihn in die Arme. „Mein Engel. Alles wird gut, ist doch okay. Das ist Vergangenheit!“ „Ich bin eine verdammte Hure!“ „Das bist du nicht!“ Jason wurde laut, er musste zu Chris durchdringen. „Du bist schon lange nicht mehr der Mann, der du damals warst. Du bist ein wundervoller Freund, jemand auf den man sich immer verlassen kann! Herzensgut, hilfsbereit! Du hast für jeden ein Ohr gehabt. Weißt du, dass Marcus und Colin nur dank dir zusammen sind? Du hast das damals eingefädelt und Marcus damit seine Lebensfreude wieder gegeben.“ „Aber ich...“ „Chris, hör auf. Hör auf.“ Er zog Chris fester in seinen Arm. „Es ist alles gut. Du wolltest deine Vergangenheit kennen und genau das ist es... nur die Vergangenheit. Niemand hier denkt heute noch daran und außer Marcus, David und mir weiß das sowieso keiner.“ „Du ekelst dich nicht vor mir...?“, fragte Chris weinerlich. „Nein, wie kommst du auf so etwas, mein Engel?“ Die Türklingel ratterte in die Tränen reiche Szene. „Sonntagnachmittag... wer kann das sein?“ Die beiden Männer waren allein, Nicolai hatte Gary und Anna auf einen Spaziergang im Gate Park mitgenommen, er und Jasons Bruder verstanden sich immer besser. „Geh ruhig...“ Chris lehnte den Kopf an Jasons Brust. „Ist schon okay. Wirklich.“ Der Brünette zeigte wenig Begeisterung, seinen Freund allein lassen zu müssen, aber es klingelte noch einmal. Er eilte in den Flur. Vor der Tür stand ein Mann um die vierzig im Nadelstreifenanzug, einen Aktenkoffer unter dem Arm. „Entschuldigen Sie die Störung. Mr. Fairgate?“ Jason schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin Jason Cunningham.“ Seine Augen verengten sich zu misstrauischen Schlitzen. „Was wollen Sie von Mr. Fairgate?“ „Mein Name ist Williams, von der Kanzlei Walberg, Williams und Partner.“ „Kommen Sie immer an Sonntagen vorbei?“ Der Mann lachte. „Nun, Sir, es ist eine Angelegenheit von größter Wichtigkeit für unsere Kanzlei, es wurde mir heute mitgeteilt und ich musste einfach sofort handeln. Es geht um unseren wichtigsten Mandanten.“ „Das ist ja wohl kaum Chris.“ „Was ist mit mir?“ Der blonde Mann erschien im Flur, er wischte sich noch einmal unauffällig über die Augen und rückte seinen Pullover zurecht. „Guten Tag, Mr. Fairgate. Es freut mich, Sie kennen zu lernen.“ Er streckte ihm die Hand entgegen, die Chris etwas perplex ergriff. „Äh... ebenso.“ „Wessen Anwalt sind Sie denn nun?“, mischte Jason sich ein. „Unser Mandant ist der kürzlich verstorbene Dave Jerrod.“ Jason wurde blass. „Dave ist tot...?“, war alles, was Chris hervorbrachte. „Darf ich reinkommen?“ Der Anwalt lächelte. „Aber bitte.“ Chris machte eine einladende Geste, bevor Jason überhaupt etwas sagen konnte. Er führte den Mann ins Wohnzimmer. Jason folgte mit einem mehr als finsteren Gesichtsausdruck. „Kann ich ihnen etwas anbieten?“, murrte er deutlich unfreundlicher als vorher. „Nein, vielen Dank.“ Der Anwalt setzte sich hin und öffnete seinen Koffer. „Wie gesagt, Mr. Jerrod ist kürzlich verstorben und als Mandant unserer Kanzlei liegt uns sein Testament vor. Normalerweise würde eine formelle Testamentseröffnung anstehen, allerdings hat Mr. Jerrod darauf bestanden, dass diese Mitteilung im privaten Bereich erfolgt. Vor allem, da nur eine Person im Testament bedacht worden ist.“ Chris stellte sich neben Jason, er wusste überhaupt nicht, was hier gerade passierte. „Nun... um diese Sache möglichst kurz zu halten und wenig von Ihrem verdienten Sonntag zu stehlen: Dave Jerrod hat im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte verfügt, dass nach seinem Tod seine gesamten Besitztümer und Firmen veräußert werden und deren Erlös zusammen mit seinem Privatvermögen und seinem umfangreichen Aktienbesitz an den einzigen Erben gehen. Mr. Jerrod hatte keine Familie mehr und deswegen hat er Mr. Christopher Samuel Fairgate als seinen Erben eingesetzt.“ „Was?!“ Das kam wie aus einem Mund. Sowohl Jason als auch Chris starrten den Anwalt an. „Ich gratuliere Ihnen, Mr. Fairgate. Sie sind von heute an Besitzer eines Vermögens von knapp achtzig Millionen Dollar plus einer umfangreichen Anzahl gut laufender Aktien weltweit.“ Einen Moment blieb es still im Raum. „Jason...?“ „Hm?“ Der Brünette konnte es selbst nicht fassen. Das war doch unglaublich. „Mir wird... eben... so schwindelig...“ Kaum hatte er das gesagt, wurde er ohnmächtig. Jason konnte ihn gerade noch auffangen. „Batman! Hol das Stöckchen!“, quäkte Anna über die Wiese. Der kleine Hund flitzte los und holte ihr den Stock, mindestens zum fünfzigsten Mal. „Schwer zu sagen, wer von beiden mehr Energie hat.“, lachte Nicolai. Er saß mit Gary auf einer Parkbank und schaute seiner Schwester zu. So fröhlich war sie schon lange nicht mehr gewesen. „Sie steckt ihn in die Tasche, Batman geht zuerst die Luft aus, wetten.“ „Gut, dann setze ich mal auf den Hund, auch wenn es dann gegen meine Schwester geht!“ Er nahm Garys Hand und besiegelte die ‚Wette’. „Hast du dich mit Jason versöhnt.“ „Ich war nie mit ihm zerstritten.“ Gary lachte leise. „Du bist wirklich außergewöhnlich, weißt du das?“ „Danke, ich nehme das als Kompliment.“ „Jason und Chris sind schon ein komisches Paar. Aber ich glaube, er tut meinem Bruder gut.“ „Er ist seine andere Hälfte.“ Jasons Bruder schaute ihn von der Seite an, der sanfte Wind spielte in Nicolais blonden Haaren. „Was?“ „Jeder Mensch hat eine andere Hälfte. Sein Gegenstück. Den Menschen, den er sein ganzes Leben lang sucht. Und wenn er ihn gefunden hat, erst dann ist er komplett.“ „Das klingt schön.“ „Es ist so, jeder hat irgendwo auf der Welt sein Gegenstück und wenn man wirklich Glück hat, findet man es auch.“ Gary wandte den Blick in den klaren Himmel. „Also denkst du, dass Chris Jasons andere Hälfte ist?“ „Ja, das ist er. Er hat ihn nie aufgegeben, egal was war. Nicht einmal, als er sich einredete, nichts mehr von ihm zu wollen. In seinem Herzen war immer nur Chris.“ „Ob Marcus meine andere Hälfte ist?“ Jetzt war es an Nicolai, ihn anzuschauen. „Du meinst den Jungen, auf den du stehst?“ „Ja... Marc. Ob er meine andere Hälfte ist? Oder ist er die von Colin? Und Colin seine...? Dann habe ich doch keine Chance.“ „Gary, ich wollte dich nicht entmutigen. So war das nicht gedacht.“ „Ich weiß...“ Er streckte die Beine aus. „Aber es ist auch irgendwie scheiße... wenn ich um Marcus kämpfe, tue ich Colin weh und er ist eigentlich ein netter Kerl. So der Typ guter Schwiegersohn.“ „Bist du das nicht?“ „Findest du das?“ „Du bist attraktiv, du bist klug und sportlich, was willst du mehr?“ „Danke... das ist nett von dir.“ „Selbst wenn Marcus nicht deine andere Hälfte sein sollte, du wirst sie sicher finden.“ „Und was ist mit dir?“ Nicolai strich sich die Haare aus der Stirn. „Man soll die Hoffnung niemals aufgeben, oder...“ Er lächelte etwas traurig, sah dann aber auf die Uhr. „Es ist schon spät, wir sollten allmählich heimgehen.“ Der junge Russe stand auf. „Anna! Komm, wir gehen! Hol Batman!“ Die Kleine nickte und kam mit dem Hund zu ihnen geeilt. Gary legte ihm die Leine an und sie machten sich auf den Heimweg. „Warum hast du eben so traurig aus der Wäsche geguckt.“ „Habe ich nicht...“ „Doch, das hast du.“ Nicolai grinste schief. „Vielleicht weil ich mir ins Gedächtnis gerufen habe, dass ich keine so gute Partie bin.“ „Warum, das ist doch Unsinn.“ „Ich habe eine Vergangenheit, die das ausschließt.“ „Wer hat keine Vergangenheit, hm?“ „Lieb von dir, dass du das sagst...“ Nicolai sah ihn an und lächelte dankbar, dabei trat er in ein Schlagloch auf dem Weg und knickte um. Er verlor das Gleichgewicht und wäre gefallen, wenn Gary nicht blitzschnell seine Arme ausgestreckt und den jungen Mann aufgefangen hätte. „Vorsicht.“ Nicolai blieb für einen Augenblick, nur einen ganz kurzen Augenblick, in Garys Armen liegen, überrascht wie stark der Junge war. Nein, das war das falsche Wort. Er war kein Junge, sondern ein Mann. „Danke...“ Er löste sich von Gary. Der restliche Heimweg verlief fast schweigend, zumindest was Nicolai anging. Er beobachtete Jasons Bruder beim Scherzen und Rumalbern mit Anna. „Aufwachen, Prinzessin!“ Die Stimme drang langsam in Slys benebelten Verstand. Wo war er? Was war geschehen? Hatte er sich das nicht schon einmal gefragt? Er öffnete die Augen und schaute in das Gesicht einer ältlichen Frau mit geblümtem Kittel und einem Wischmopp in der Hand. „Was wollen Sie?“ Seine Stimme hörte sich an wie ein Reibeisen. „Das hier ist nicht das Grand Hotel, Schätzchen. Du müsstest schon längst aus dem Zimmer sein. Es ist Montag Morgen und das Zimmer war nur für eine Nacht gebucht! Ich muss Putzen!“ „Hotel?“, fragte Sly schwach. „Das muss ja eine wilde Party gewesen sein! Ausnahmsweise... ich mache diese Zimmer zuletzt. Mach dich fertig, ja?“ Sie verließ den Raum. Sly schaute sich langsam um. Ein schäbiges Zimmer in einem Stundenhotel. Bett, Schrank, ein kleiner Fernseher, ein Bad so groß wie eine Konservendose. Wie kam er hierher? Das Bett war zerwühlt, seine Sachen lagen überall herum, nur die Unterhose hatte er noch an. Als er das Bein bewegte, stieß er gegen eine leere Flasche. Zwischen den Laken lagen noch zwei. Wodka. Hatte er die allein geleert? Vorsichtig setzte er sich hin, kaum hatte er das getan, zuckten Schmerzen durch seinen Unterleib. Er fasste nach hinten, es tat noch stärker weh. Dort wo er gelegen hatte, war ein Blutfleck im Laken. Entsetzt stellte Sly fest, dass er die Unterhose verkehrt herum an hatte. „Nein...“, flüsterte er. Mühsam schwang der Braunhaarige die Beine aus dem Bett. Es gab ein widerliches Geräusch, als er mit dem nackten Fuß auf das Latex eines benutzten Kondoms trat. Die Rückstände darin quollen hervor und klebten sich kalt an seine Haut. „Nein...“ Er wankte zu dem kleinen Spiegel an der Wand, musste dabei weiteren achtlos weg geworfenen Präservativen ausweichen. Aus der reflektierenden Oberfläche sah ihn ein Monster an. Rot verquollene Augen, brüchige Lippen, die Augen tief in den dunkel umrandeten Höhlen, strähnige Haare, einige sahen aus, als seien sie von Samen verklebt. Sly schaute an sich herab. Seine Uhr war weg, ein Erbstück von seinem Vater. Auch der Ring, ein Geschenk von Ash, fehlte, ein Griff an seinen Hals bestätigte ihn darin, dass die schmale Platinkette, ebenfalls ein Präsent von Ash nach seinem ersten trockenen Jahr, genauso verschwunden war. „Du bist so ekelhaft!“, brüllte er sein Spiegelbild an., „So widerlich! Der letzte Dreck! Wie konntest du nur glauben, dass einer wie Chris dich lieben könnte?! So einen elenden Versager liebt man nicht! Niemand tut das! Ich hasse dich, Sly McGrey! Ich hasse dich so sehr!“ Weinend klaubte er die Überreste seiner Kleidung zusammen. Er brauchte was zu trinken. „Ich habe Angst... ich hasse es, Angst zu haben.“ David spielte nervös mit seinen Fingern. „Warum dauert das so lange?“ Jeremy legte ihm die Hand auf die zitternden Finger. „Ganz ruhig, ich bin doch bei dir.“ „Ich habe Angst, dass das hier ein Fehler ist.“ „Es ist richtig...“ Sie saßen im Wartezimmer des Krankenhauses, man hatte sie angewiesen, dort auf Doktor Pierce zu warten, der noch eine Behandlung hatte. Rund um sie herum tobte der Krankenhausalltag. „Ich weiß, ich bin erbärmlich.“ „Unsinn...“ Jeremy strich ihm über die Wange. „Du bist doch nicht erbärmlich. Hast du Jason schon angerufen?“ Er wollte das Thema wechseln, David ein bisschen ablenken. „Nein...“ Der Blonde schüttelte den Kopf. „Ich will, wenn auch persönlich mit ihm reden. Aber ich hatte eine SMS von ihm, die ich aber noch nicht beantwortet habe... Chris hat das Vermögen von Dave Jerrod geerbt.“ „Der Kerl, der ihn entführt hat und wegen dem du niedergeschossen wurdest?“ „Exakt... wir sind jetzt mit einem Millionär befreundet. Laut Jason ist Chris nun mehrere Millionen Dollar schwer, knapp achtzig um genau zu sein.“ „Wahnsinn...“ Jeremy versuchte, sich soviel Geld auf einem Haufen vorzustellen. Es ging nicht. Das überstieg sein Vorstellungsvermögen. „Finde ich auch... dieser Psychopath ruiniert fast drei Leben auf einmal und dann passiert das. Chris wird sich jetzt nie wieder Sorgen machen müssen.“ „Aber Jason doch schon, oder? Wegen Chris...“ „Irrtum.“ „Hm?“ Jeremy sah ihn überrascht an. „Sie sind wieder zusammen.“ „Du scherzt.“ „Mit so etwas würde ich keine Scherze machen. Chris und er sind seit gestern wieder zusammen, das stand auch in der SMS.“ „Das ist wunderbar...“ Jeremy kuschelte sich an ihn. „Jetzt wird alles wieder gut.“ „Dein Gottvertrauen möchte ich haben.“ „Dann bin ich eben für uns zusammen optimistisch.“ David nahm wortlos die Hand seines Freundes und drückte sie. Er wollte das auch so gerne glauben. So gern. „Mr. Vanderveer?“ David hob den Kopf. Eine junge Krankenschwester stand in der Tür des Wartebereichs. „Doktor Pierce erwartet Sie.“ „Kann ich mit rein kommen?“ Jeremy schaute ebenfalls zu der Frau. “Ich denke nicht, dass etwas dagegen spricht, wenn Mr. Vanderveer zustimmt.“ „Klar...“ Davids Stimmte klang dünn. Er stand mechanisch auf und ging mit Jeremy zu Doktor Pierce’ Zimmer. Er hielt den jungen Mann an der Hand und ließ ihn keinen Augenblick los. David schien es nicht einmal zu merken. Er löste den Kontakt zu Jeremy kurz, um Doktor Pierce die Hand zu geben, dann nahm er wieder die seines Freundes. „Sie haben sich also nun doch zur Operation entschlossen, Mr. Vanderveer?“ Kurz, nur ganz kurz, war David davor, einen Rückzieher zu machen. Einfach den Kopf zu schütteln und zu gehen. Doch dann wechselte er einen Blick mit Jeremy und nickte langsam. „Wie stehen meine Chancen?“ Doktor Pierce rückte seine Brille zurecht. „Nun... vor ein paar Wochen hätte ich Ihnen noch sechzig zu vierzig gesagt... sechzig für einen Erfolg. Nun ist es wohl eher umgekehrt. Sie haben sich lange Zeit gelassen.“ „Aber es besteht eine reelle Chance, dass es gut geht?“ Jeremy drückte Davids Hand fester. „Nun, Mr....“ „Sumner.“ „Mr. Sumner. Ihr Lebensgefährte und Sie müssen sich über die Risiken dieser OP im Klaren sein, es bringt nichts, wenn ich als behandelnder Arzt die Lage unrealistisch verschönere. Das soll aber nicht heißen, dass ich nicht absolut der Meinung wäre, dass diese Operation notwendig ist. Das ist sie auf jeden Fall.“ „Gibt es eine Möglichkeit, meine Chancen zu erhöhen?“ David hörte seine eigene Stimme dumpf in seinen Ohren. „Leider nicht, Mr. Vanderveer. Aber ich kann Ihnen garantieren, dass Sie hier in guten Händen sind und alles getan werden wird, damit Sie dieses Krankenhaus gesund und munter verlassen können.“ „Wie tröstlich.“ „Mr. Vanderveer, ich habe Sie damals über die Risiken aufgeklärt und ich mache auch keinen Hehl daraus, dass Sie auch nach der Operation eine schmerzhafte Erholungsphase vor sich haben werden. Aber Sie müssen sich vor Augen halten, dass diese Operation Ihr Leben retten wird.“ „Ich weiß...“ David seufzte. „Also kann ich einen Operationstermin für Sie ansetzen?“ Langsam kam Sly um die Ecke. Er kannte diese Gasse. Hier war er aufgewacht. Wann war das gewesen? Er stolperte über die Beine eines schlafenden Penners, der lautstark pöbelte. Sly achtete nicht darauf. Er zitterte am ganzen Körper. Die Schmerzen in seinem Unterleib waren nicht gegen den tobenden Sturm in seinem Inneren. Alkohol. Er brauchte dringend was zu trinken. Der brünette Mann trug nur noch das Hemd und die Hose seines Smokings, das Sakko hatte er im Motel vergessen, das Oberhemd war schief zugeknöpft. „Da bist du ja wieder, Herzchen!“ Die alte Vettel mit dem Einkaufswagen zockelte auf ihn zu. „Ich wusste, dass du wiederkommst, das tun alle!“ Sly sah sie kaum an, sein Blick war auf die Flaschen in ihrem Wagen fixiert. Sie bemerkte es und hielt ihm eine angebrochene Flasche Rum hin. „Trink ruhig.“ Sly riss sie ihr regelrecht aus der Hand und setzte sie gierig an. Endlich! „Ja, genieß den guten Tropfen!“, krakelte die Alte, „Du bist doch jetzt einer von uns!“ Ihr Lachen klang fast gehässig. Chris saß an seinem Laptop und tippte in die Tasten. Auf dem Bildschirm war seine Liste. Er notierte Dinge, die er kaufen wollte. Seine Träume. Ganz oben stand ‚Mein eigener Club’, direkt danach ‚vielleicht auch ein Restaurant’. Auch ein Auto stand auf der Liste. Und eine Reise nach Europa. Das war alles so unwirklich. Er war reich. Steinreich. Dank Dave Jerrod, den er nun schon so lange nicht mehr gesehen hatte. Zumindest in seinem Leben, an das er sich noch nicht erinnerte. Sein Gedächtnis gaukelte ihm vor, Dave erst vor wenigen Tagen in Texas gesehen zu haben. Den kleinen Langweiler, der wenigstens gut im Blasen war. Scheinbar war er verdammt gut gewesen, wenn ihm das ein Vermögen als Nachlass eingebracht hatte. Es wollte ihm noch nicht so recht in den Kopf, dass Dave wirklich tot war. Er hatte den Tod sicher nicht verdient, er war immer so lieb und treudoof gewesen. Chris schaltete das Schreibprogramm aus und öffnete wieder den Ordner mit den Fotos von Jason und ihm. Auf einmal erschienen sie ihm in einem anderen Licht. Sie waren wunderschön. Wie glücklich sie waren. Und sie würden es auch sicher wieder sein. Vielleicht noch mehr als vorher, zumindest wünschte sich Chris das. Er machte sich immer noch Gedanken um Sly, ob es ihm wohl gut ging. Er fühlte sich schuldig, weil er ihn da mit hineingezogen hatte. Chris konnte nur hoffen, dass alles gut gehen würde. Jason war unten und wechselte endlich die Glühbirne im Flur aus. Das Licht flackerte ständig. Chris klappte den Laptop zu und machte sich auf den Weg nach unten. Sein Freund stand auf einer Trittleiter und hantierte an der Glühbirne herum. Chris blieb auf dem Treppenabsatz stehen. „Na, mein Hausmann?“ „Tja, ich bin eben vielseitig einsetzbar, ein wunderbarer Liebhaber und auch noch ein begabter Hausmeister.“ „Und kein bisschen eingebildet!“ „Nein, das bin ich nic...“ Jason konnte den Satz nicht beenden. Es knallte und er bekam einen Schlag aus der Halterung der Glühbirne. Es riss ihn von den Füßen und der Braunhaarige fiel von der Leiter. Er schlug am Boden auf, zum Glück hatte er aufgrund seiner Größe nur die zweite Stufe benutzt. „Jason!“ Chris rannte so schnell die Treppe runter, dass er beinahe noch selbst stürzte. Sein Freund lag mit geschlossenen Augen im Flur. „Jason! Jason!“ Er sank neben ihm in die Knie. „Jason!“ Die Augenlider des Braunhaarigen flimmerten, als er sie öffnete, ganz langsam. „Aua...“, murmelte er. „Was... war... das...“ „Du Dummkopf...“ Chris streichelte ihm lächelnd über die Stirn. „Hast du wieder vergessen, das Licht auszuschalten? Wann wirst du das lernen?“ Er küsste ihn auf den Mund. „Du hast das schon in New York einmal vergessen und als wir hier eingezogen sind, musste ich auf Schritt und Tritt hinter dir her und aufpassen, dass du dich nicht aus Versehen frittierst. Wenn du an den Lampen rumhantierst, denk daran sie vorher auszuschalten, auch wenn du testen musstest, welche flackert!“ „Ja, ich weiß... halt mir nicht immer diese... Vorträge...“ Jasons Kopf ruckte hoch. „Hey, langsam!“, lachte Chris. „Was hast du eben gesagt?!“ „Was meinst du?“ „Du hast eben von New York gesprochen! Von der Zeit unseres Einzuges! Ich habe dir nie von so etwas erzählt!“ Chris sah ihn an, seine Augen weiteten sich. „Erinnerst du dich?“ „Ja...“, hauchte der blonde Mann. „Jason...“ Sein Freund erwiderte nichts, er zog ihn nur an sich und hielt ihn fest. Seinen Chris. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ha! Diesmal ging es wesentlich schneller, trotz Uni ^^ Dieses Kapitel ging viel leichter von der Hand, auch wenn im Moment wohl die Zeiten der 30 Seiten Chapter vorbei ist. Aber ich denke nicht, dass es so schlimm ist. Im Augenblick ist soviel Stoff auf einmal angesagt und das auch noch an allen Fronten, dass noch mehr Seiten vielleicht auch eine Überforderung wären. Chris ist wieder da und David entscheidet sich für die OP. Und Chris ist nun schwer reich. Damit ändert sich der Status Quo mal wieder deutlich. Ich hoffe, euch gefallen die Wendungen immer noch, denn langweilig soll es ja nicht werden. ^^ Wer von euch Lust hat (und volljährig ist *lol*) kann gern mal bei meiner Neuveröffentlichung „Addiction“ vorbei schauen, einem Kurz-RPG mit Alaska ^^ Ebenso haben wir vor, bald endlich eines unserer großen Werke zu veröffentlichen, also freut euch entweder auf eine romantische Liebesgeschichte aus dem kühlen London oder eine abenteuerliche Reise durch das antike Rom, je nachdem was wir zuerst raus bringen. ^^ Und für alle, die „Don’t forget to catch me lesen“: LinkyBaby und ich haben uns fest vorgenommen, endlich die letzten beiden Kapitel zu korrigieren, damit endlich herauskommt, wie es mit Madison und Tom aus geht. Übrigens ist hier möglicherweise ein Teil 2 drin, Linky und ich denken darüber nach. Viele liebe Grüße an euch alle und danke für euer Feedback! (ich weiß, ich wiederhole mich, aber es ist nun mal so *lach*) Euer Uly ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)