Remember the promise you made von Ulysses (San Francisco Love Stories) ================================================================================ Kapitel 12: Mother knows best a.k.a. Brothers and mothers --------------------------------------------------------- "Was ist denn hier los?" Jason stand verwundert in der Küchentür und sah sich um. Auf der Arbeitsfläche in der Mitte der Küche standen mehrere Bleche mit teils noch warmen Muffins, ihr Duft verteilte sich in der gesamten Küche und ließ den Raum mehr wie eine Backstube wirken. Chris kniete vor dem Backofen und sah hinein. In der Backröhre ging gerade ein weiteres Blech Muffins auf. Er stand auf und lächelte Jason an. Um seine Hüften lag eine Schürze und er war überall mit Mehl bekleckert. "Bin ich in Stepford gelandet?" fragte Jason ungläubig und spielte dabei auf die Horrorkomödie "Die Frauen von Stepford" an, in der Ehefrauen durch perfekte Roboter ersetzt werden. "Spinner! Ich hab nur ein paar Muffins gebacken." "Ein paar?! Chris, hier sieht es aus wie in einer Bäckerei!" "Och, das sind nur ein paar Schokoladen-, Blaubeer- und Vanillemuffins. Ging ganz schnell." "Wie lange bist du schon auf?" "Wieviel Uhr ist es?" Jason sah auf die Küchenuhr. "Es ist beinahe elf." "Dann sind es so ungefähr drei Stunden, etwas mehr. Ich musste ja auch erst Zutaten besorgen. Du hast so friedlich geschlafen, ich wollte dich nicht wecken." "Bist du denn gar nicht müde?" Chris lächelte und wischte sich den Schweiß von der Stirn, wobei er Mehl auf seine Haut schmierte. "Ich hab vier Tassen starken Kaffee weg, ich glaube ich kann die nächsten paar Tage nicht mehr schlafen." Jason knotete seinen Bademantel zu. "Warum machst du das?" "Warum schon? Ich will das deine Eltern einen guten Eindruck haben. Ich will ihnen Kaffee und frische Muffins anbieten und ihnen zeigen, dass wir glücklich sind und ein ganz normales Paar." "Chris, du musst nicht zur Hausfrau mutieren, um meine Eltern zu beeindrucken!" "Das klingt ein wenig undankbar, Jason." Der junge Polizist trat zu ihm und zog ihn in seine Arme. "Ach Unsinn, das ist eine wundervolle Idee, aber du musst dich nicht verbiegen um meinen Eltern zu gefallen, hörst du. Sie werden dich mögen so wie du bist. Und überhaupt, wo ist deine Zuversicht hin?" "Die hat sich heute morgen aus dem Staub gemacht! Ich bin wach geworden und hatte total Panik. Das deine Eltern vielleicht nichts gegen deine Homosexualität haben, mich aber vielleicht nicht für den richtigen Umgang halten oder so." Jason küsste ihn auf die Stirn, sein Freund schmeckte sogar nach Mehl, aber auch ein wenig nach Vanille und Schokolade. Zum anbeißen, fand Jason. "Rede keinen Quatsch. Du wirst sie umhauen, so wie du mich immer wieder umhaust! Übrigens hat dieser Bäckerlook eindeutig was verführerisches." Er fing an, an Chris' Ohr zu knabbern. "Oh Gott, schon am frühen Morgen! Macht ihr auch mal eine Pause?" Marcus war von beiden unbemerkt in die Küche gekommen und angelte nach einem Muffin aus Er war schon angezogen, allerdings trug er nur einen schlabberigen Pulli und Jogginghosen. "Erst frech werden und dann erwarten, etwas von meinen Muffins abzukriegen. Merkwürdige Taktik!" Chris streckte Marcus die Zunge raus, was Jason zum Lachen brachte. Der Junge nahm einen Schokomuffin und biss genüsslich hinein. "Hmmm, der ist ja noch warm." "Ist ja auch noch ganz frisch." "Du backst gut, Chris." "Danke." "Ist das nicht ein bisschen zuviel für fünf Leute?" Jason nickte. "Ein bisschen viel ist gut, aber wir sind ja immerhin zu sechst." "Sechs?" "Mein Bruder Gary kommt auch mit." "Dein... Bruder...?" Jason löste sich von Chris. "Ja, mein jüngerer Bruder Gary wird auch mitkommen. Er ist elf Jahre jünger als ich." "Und das heißt?" "Mein Liebster ist dreißig!" grinste Chris, bevor er sich wieder dem Ofen zuwandte und ihn öffnete. Eine Welle von Hitze schoss aus dem Backofen, so dass er erst einmal ein Stück Abstand nehmen musste, bevor er mit Topflappen bewaffnet das Blech hervorholte. "Das heißt, dein Bruder ist neunzehn?" "Jep!" Jason goss sich eine Tasse Kaffee ein und nahm einen Schluck. Er starrte entsetzt in die dunkle Flüssigkeit. "Himmel, Chris, da bleibt ja der Löffel drin stehen!" "Ich sagte doch, ich musste wach werden." "Dieses Gebräu würde Tote wieder lebendig machen." Mit einem angewiderten Gesichtsausdruck stellte er die Tasse auf die Spüle. "Hast du nicht längst einen Koffeinschock?" "Och, meine Hände zittern ein bisschen, aber sonst!" lachte er. "Kann ich ein Foto sehen?" Beide blickten Marcus überrascht an. "Bitte?" "Kann ich ein Foto von deinem Bruder sehen? Wie hieß er noch mal?" "Mein Bruder heißt Gary. Im Treppenhaus hängt ein Foto von meinen Eltern und ihm. Das ist allerdings schon älter, da war er fünfzehn. Das wurde aufgenommen, bevor ich hierher gezogen bin." "Ich geh mal kurz gucken, ja?" Kaum hatte er es gesagt, verließ er auch schon die Küche. "Mann, der hat es vielleicht eilig." "Sag mir nicht, du weißt nicht warum?" Chris packte bereits abgekühlte Muffins in einen großen Korb. "Das ist ja wohl klar." "Ist es?" "Jason, ich bitte dich!" Jason sah ihn verdutzt an. "Er wird doch nicht...?" Chris nickte. "Er könnte schon..." "Ist der süß! Ich hab immer gedacht, das wärst du, Jason!" ertönte Marcus' Stimme aus dem Flur. "Er hat!" stellte Jason entsetzt fest. "Marcus! Wir müssen da was klären!" Er stürmte aus der Küche. Chris sah ihm hinterher und grinste. Jason gab sich Mühe, seine Sorgen zu kaschieren, aber es war ihm trotzdem klar, dass er Angst hatte. Und ihm selbst ging es nicht anders. Er nahm einen Blaubeermuffin und biss hinein. Schmeckte sehr gut. Blieb nur noch zu hoffen, dass Jasons Eltern mit ein paar Muffins zu überzeugen waren. "Das ist unfair!" Marcus verschränkte die Arme vor der Brust und schaute beleidigt aus dem Fenster des Wohnzimmers. Er hatte sich in einen Sessel fallen lassen und blickte demonstrativ an Jason vorbei. "Marcus, du musst mich verstehen..." Jasons Stimme klang ein wenig hilflos, ob der Reaktion des Jungen. Er gestikulierte dabei, als könnte er seine Worte damit plausibler machen. "Was habt ihr beiden denn nun?" Chris kam aus dem Wintergarten ins Wohnzimmer. Er hatte die Schürze abgelegt und rieb sich mit einem Küchentuch die Hände trocken. "Dein Freund will mir verbieten, mich mit seinem Bruder abzugeben!" Er sprach das "Dein Freund" fast wie eine Beleidigung aus. Chris sah Jason überrascht und ein wenig schockiert an. "Das habe ich doch gar nicht gesagt!" rechtfertigte sich der junge Polizist. "Ich habe dich nur gebeten, ihn in Ruhe zu lassen und du weißt wie ich das meine. Mein Bruder ist nicht schwul!" "Das kannst du nicht wissen," mischte sich Chris ein, "es kommt oft genug vor, dass Brüder auch die sexuelle Orientierung teilen..." Jasons eisiger Blick brachte ihn zum Schweigen. "Gut, das war nicht konstruktiv, ich sag nichts mehr." "Ist wohl auch besser. Wir spielen hier nämlich nicht guter Bulle, böser Bulle." "Ich bin ja auch gar kein Bulle!" grinste Chris, woraufhin er wieder einen bösen Blick von Jason erntete. "Gut... ich sag nichts mehr, ich bin ganz still, ganz leise..." sagte er flüsternd zu sich selbst, aber laut genug damit man es hören konnte. "Marcus, bitte, ich will dir doch nichts böses." "Ihr könnt mich ja auch oben einsperren, bis deine Eltern und dein Bruder wieder weg sind!" schnappte Marcus beleidigt. "Jetzt red doch keinen Unsinn! Das will doch niemand. Ich will nur das du Gary nicht bedrängst oder so." "Hab ich was in der Richtung gesagt?" "Du hast gesagt, dass du ihn niedlich findest!" Jasons Stimme wurde lauter. "Jason, ich..." "Halt den Mund, Chris! Das geht dich nichts an!" Einen Moment lang herrschte Stille. Chris blickte Jason fassungslos an, dieser erwiderte seinen Blick trotzig. Dann stand Chris schweigend auf, ging in den Wintergarten hinüber und knallte die Küchentür hinter sich zu, so heftig das Jason zusammenzuckte. Er sah Marcus erschrocken an, der den Kopf schüttelte und wieder betont aus dem Fenster sah. "Ihr habt euch echt gesucht und gefunden!" motzte Jason, ließ den Jungen einfach sitzen und ging in Küche. Chris stand an der Spüle und wusch die Teigschüsseln aus, damit sie in die Spülmaschine konnten. Er drehte sich nicht um als Jason die Küche betrat. "Chris...?" "Darf ich jetzt wieder sprechen? Zu gütig!" Seine Stimme troff vor Sarkasmus. "Jetzt mach mir bitte keine Szene!" Chris drehte sich um. "Nein, warum sollte ich eine Szene machen?! Du hast mir schließlich ja nur vor Marcus den Mund verboten, ist dir das klar?! Und nur weil dir nicht passte, was ich zu sagen habe!" "Du ergreifst doch eh immer seine Partei!" ereiferte sich Jason. "In dem Fall konnte ich das auch nur! Du führst dich einfach blöd auf!" "Bitte?!" "Ach komm schon! Ich hab eigentlich immer gedacht du wärst schwul, aber jetzt..." "Wovon redest du eigentlich?!" Chris lachte verächtlich. "Davon das du dich für einen Schwulen gerade ganz schön homophop aufgeführt hast! Du hast gerade so getan, als würde Marcus deinem Bruder sofort wenn er ihn sieht die Kleider vom Leib reißen und sich an ihm vergehen!" "Du spinnst!" war Jasons nicht sehr einfallsreicher Konter. "Jason, du hast mir selbst mal gesagt, dass du es gehasst hast, wenn Randy..." "Lass Randy aus dem Spiel!" "Lass mich gefälligst ausreden!" Chris war nun mehr als sauer. "Du hast es gehasst, wenn Randy diese Sprüche losgelassen hat, dass du aufpassen sollst wenn ich bei dir übernachte, dass du besser deinen Hintern nicht von der Wand nimmst und was weiß ich noch alles. Natürlich war das alles nur Fassade, es geht ja auch jetzt nicht um Randy. Es geht darum, dass du dich Marcus gegenüber gerade genauso verhalten hast! Du hast ihm unterstellt, er sei triebgesteuert." "Das hab ich nicht!" "Das hast du sehr wohl!" "Bitte hört auf..." Die beiden blickten überrascht zur Tür, die in den Flur führte. Marcus stand im Türrahmen. "Marcus..." sagte Chris leise. "Wie lange bist du schon da?" "Lange genug. Bitte hört auf, ich will nicht, dass ihr euch wegen mir streitet." "Wir streiten uns nicht..." Jason fing einen Blick aus Chris' Augen auf und senkte den Kopf. "Okay, doch, wir streiten uns. Aber nicht wegen dir. Wegen mir... es tut mir leid, Marcus. Ich wollte dir nichts unterstellen..." "Auf einmal wirst du einsichtig..." Chris verschränkte die Arme vor dem Oberkörper, doch auf seinem Gesicht erschien der Anflug eines Lächelns. Jason ließ sich auf einen Stuhl am Esstisch fallen. "Es tut mir leid, ich wollte nicht so überreagieren... ich habe nur... ich habe Angst, das ist alles. Ich meine, es reicht schon, sich Sorgen darum zu machen, wie meine Eltern reagieren, von meinem Bruder ganz zu schweigen..." Chris wechselte einen Blick mit Marcus, bevor er zu Jason hinüber kam und neben ihm in die Knie ging. Er strich mit der Hand über Jasons Wange. "Ist ja gut. Es tut mir auch leid. Ich hätte nicht so übersensibel sein sollen." "Na ja, ich hab dir ja wirklich den Mund verboten... das wollte ich nicht." "Schon gut." Marcus kam heran und sah auf seine Füße. "Ich wollte auch nicht so bockig sein. Ich weiß ja wie du es gemeint hast. Du musst dir keine Sorgen machen, ich würde deinen Bruder nicht bedrängen oder so... ich hätte nur gern einen Freund." Er bemerkte Jasons und Chris' Gesichtsausdruck und was er gesagt hatte. "Platonisch! Platonisch natürlich! Ich hab doch keine Freunde und wenn Gary nur halb so nett ist wie du, dann... ich möchte euch nur um etwas bitten..." "Was denn?" wollte Jason wissen. "Sagt ihm nicht, dass ich schwul bin, bitte! Ich hab Angst, dass er reserviert mir gegenüber ist, wenn er das weiß. Ich will nicht, dass er denkt, dass ich Hintergedanken habe..." "Hast du die denn?" "Nein! Ehrlich nicht!" beteuerte Marcus. Jason sah Chris an und der schloss die Augen und deutete ein Nicken als Geste der Zustimmung an. "Also gut. Aber keine Annährungs- oder gar Verführungsversuche! Darauf bestehe ich." "Außer er will es auch! Wäre doch ein netter Zufall, dann könnten wir zu viert ausgehen, wir beide und die Cunningham Brüder!" grinste Chris, ließ das Grinsen aber schnell wieder aus seinem Gesicht verschwinden, als er Jasons Blick sah. "Gut, wieder nicht witzig... nicht witzig..." Dabei bemühte er sich sichtlich nicht zu lachen. "Du, Chris? Darf ich die Kette haben, die du gestern getragen hast?" "Liegt oben auf der Kommode im Schlafzimmer, nimm sie dir ruhig." Marcus klatschte in die Hände. "Danke! Ich geh mal gucken was ich nachher anziehen will, ja? Bis später!" Damit verließ er die Küche, doch er steckte noch einmal den Kopf hinein. "Und nicht mehr streiten!" "Versprochen!" lächelte Jason. Als sie Marcus die Treppe hinauf stürmen hörten, ließ sich Chris neben Jason auf den Boden sinken und lehnte den Kopf gegen seinen Oberschenkel. Jason strich ihm durchs Haar. "Ich wünschte manchmal ich könnte genauso schnell auf sorglos schalten wie er." "Da sagst du was..." seufzte Jason. "Ich wollte mich nicht streiten." "Ich auch nicht, meine Nerven liegen bloß blank... das wird eine Katastrophe, ich sehe das jetzt schon kommen... ich führe meine Eltern in den Haushalt ein, in dem ich mit meinem Freund lebe und im Moment einen schwulen Teenager beherberge, der heimlich scharf auf meinen Bruder ist." Chris lachte. "Willst du einen Rückzieher machen?" "Mein Engel, es ist fast zwölf Uhr, da ist es etwas spät für einen Rückzieher, meine Familie ist schon im Flugzeug." "Himmel, schon fast zwölf! Hilf mir bitte die Küche aufzuräumen, fertig machen müssen wir uns auch noch, sonst ist nachher nur Marcus geschniegelt und gestriegelt!" "Wir schaffen das schon, ich helfe dir ja!" Während sie sich bemühten die Küche wieder auf Vordermann zu bringen und die vielen Muffins dekorativ aufzubauen, dachte Jason in jeder Sekunde an den bevorstehenden Tag. Selbst das Coming-out vor seinen Kollegen hatte ihm nicht soviel Angst gemacht wie das hier. Wenn seine Eltern ihn nun verstießen. Allerdings konnte er sich das wirklich nicht vorstellen. Oder doch? Aber als er Chris beobachtete, der eilig Backzutaten in Schränke räumte und dabei munter vor sich hin den Song mit pfiff, der im zur Unterhaltung eingeschalteten Radio lief, wusste er, dass es das Risiko wert war. Jason ging unruhig im Flur auf und ab. Die Zeiger seiner Armbanduhr schritten unerbittlich und unaufhaltsam auf 15 Uhr zu. Noch eine Viertelstunde. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und seine Knie waren weich. Er konnte sich nicht erinnern, wann er sich zum letzten Mal so schrecklich gefühlt hatte. Die Angst um Chris vor ein paar Monaten hatte sich ähnlich angefühlt, allerdings noch schlimmer und die Situation war nicht vergleichbar. Er korrigierte sich in Gedanken, dass er sich noch nie so schlimm in einer Situation gefühlt hatte, die nicht lebensbedrohlich war. Aber so oft war er ja auch noch nicht in lebensbedrohlichen Situationen gewesen. Was für einen Scheiß dachte er sich da überhaupt zusammen?! "Fuck!" "Ist was passiert?" Chris kam aus dem Wohnzimmer hinüber, wo er mit Marcus zur Ablenkung "Dead or alive 2" spielte, obwohl Marcus ihn bei dem Beat'm'up beinahe mühelos schlagen konnte. Jason musterte seinen Freund. Er sah hinreißend aus. Eine modische Bluejeans, darüber ein weißes Hemd mit leicht geöffnetem Kragen und eine Lederkette mit einem kleinen silbernen Anhänger in Form eines Sterns. Sein blondes Haar war frisch gewaschen und zu einem ordentlichen Pferdeschwanz gebändigt, einige Strähnen hingen ihm locker ins Gesicht, damit die Frisur nicht zu streng wirkte. Jason selbst trug ebenfalls Jeans, allerdings eine schwarze und dazu ein weinrotes Hemd mit großem Kragen. Er trug keinen Schmuck, nur den silbernen Ring. "Nein, ich habe mich nur über mich selbst geärgert, weil ich mir hier einen zurecht spinne... ich bin selbst in solchen Situationen zu kopflastig..." "Du bist eben ein Denker, mein Liebling. Wir hätten uns eine Valium reinziehen sollen!" lachte Chris. "Es ist noch nicht zu spät, Los Angeles soll um diese Jahreszeit sehr schön sein, wir könnten uns bei Marcus einquartieren!" Jason verzog das Gesicht zu einem hilflosen Grinsen. "Das ist schon Galgenhumor. Wir haben nur noch ein paar Minuten bis..." Es klingelte an der Tür. Chris und Jason sahen sich erschrocken an und starrten dann beide schockiert auf die Haustür, hinter deren Buntglaseinsätzen Schatten zu sehen waren. "Korrektur! Unsere Zeit ist soeben abgelaufen." Marcus erschien im Durchgang zum Wohnzimmer. "Wollt ihr nicht aufmachen?" Er schien ganz hibbelig zu sein, hatte sich extra fein gemacht, obwohl Chris fand, dass das enge schwarze Oberteil ihn etwas zu schlaksig wirken ließ, was er aber für sich behalten hatte. Dazu trug er eine einfache Jeans und um den Hals das Silberkreuz, das Chris am Abend zuvor zu seinem Kostüm getragen hatte. Allerdings war er wohl der einzige der sich nach dem Öffnen der Tür sehnte. Es klingelte wieder und endlich gab sich Jason einen Ruck. Er ging zur Tür und öffnete. "Mum! Dad! Schön euch zu sehen!" Chris stellte sich auf die Zehenspitzen um einen Blick zu erhaschen und merkte aus den Augenwinkeln, dass Marcus näher heran kam. Jason öffnete die Tür weiter und trat zur Seite damit seine Eltern den Flur betreten konnten, gefolgt von seinem Bruder. Auf einen Schlag war es Chris klar, woher Jason sein Aussehen hatte. Seine Mutter, eine zierliche, schlanke Frau, mit elegant frisierten silbernen Haaren, war eine sehr adrette Erscheinung. Ihre schlanke Figur steckte in einem rosafarbenen Chanelkostüm, eines von der Sorte die noch auf die Originaldesigns von Coco Chanel zurückgingen und bei Damen von höherem Stand wohl niemals aus der Mode kamen. Jasons Vater war so groß wie er selbst und wirkte Ehrfurcht gebietend und dabei aber sofort sehr sympathisch. Sein Haar war ebenfalls silberfarben und passte gut zu seinen tiefgrünen Augen, mit dem wachen, durchdringenden Blick. Der dunkle Anzug mit dem weißen Hemd und der dunkelroten Krawatte ließ ihn noch imposanter wirken. Chris wusste ja, dass er Polizeipräsident war und ihm war nun auch klar, warum. Einen anderen Posten konnte man sich für einen Mann wie Mr. Cunningham kaum vorstellen. Gary hatte sich im Vergleich zu dem Foto sehr verändert, er sah aus wie eine jüngere Version von Jason. Eine modisch zerzauste Frisur mit der gleichen Haarfarbe wie sein Bruder, die gleichen freundlichen Augen, das gleiche Lächeln. Er trug ein schwarzes Shirt mit einem Calvin Klein Aufdruck auf der Brust, schlicht aber eindeutig teuer. Dazu eine enge, blaue Röhrenjeans, auf verwaschen getrimmt und mit einem Riss am Oberschenkel. Um sein Handgelenk lag ein Lederarmband mit eingearbeiteten Silberelementen im angesagten Westernstil. Das T-Shirt erlaubte einen Eindruck von seinen recht breiten Schultern und die Hose von seinen schlanken Hüften. Sportlichkeit schien in Jasons Familie verbreitet zu sein. Chris registrierte wie Marcus sich beim Anblick des älteren Jungen anspannte, die eben noch betonte Lässigkeit fiel auf der Stelle von ihm ab. Gary sah aber auch wirklich gut aus, stellte Chris fest, er würde mal einen sehr ansehnlichen Mann abgeben. "Gut siehst du aus, mein Sohn!" Jasons Vater zog seinen Sohn an sich und klopfte ihm bei der Umarmung väterlich auf den Rücken. "Oh, du hast gar nicht gesagt, dass wir nicht allein sein würden." Jasons Mutter lächelte Chris so freundlich an, dass ihm ganz warm ums Herz wurde. Doch dieses Gefühl verging als er Jasons Gesichtsausdruck sah. Er war leichenblass. "Willst du uns nicht bekannt machen?" fragte seine Mutter liebevoll. "Ja...ähm... natürlich..." stammelte Jason. "Das ist... das ist Chris, er ist... er ist..." Chris schaute in Jasons Augen und erkannte pure Panik darin. Sein Freund war fix und fertig, mit den Nerven am Ende. Es tat ihm fast körperlich weh, ihn so zu sehen. Chris' Herz schlug so heftig, dass er das Gefühl hatte, sein Brustkorb müsse zerspringen. Jason hatte den Satz noch nicht beendet und er schien auch nicht in der Lage zu sein es zu tun. Chris wusste was er machen musste, das einzige was er tun konnte, um seinem Freund zu helfen: Lügen. "Ich bin ein alter Freund von Jason. Wir haben uns in New York kennen gelernt. Ich bin eben erst nach San Francisco gezogen und Jason hat mir freundlicherweise erlaubt, hier zu wohnen, bis ich etwas eigenes habe." Er registrierte sowohl den ungläubigen Blick seines Freundes als auch den von Marcus, achtete aber nicht darauf. "Das hier," Er zog Marcus am Arm näher zu sich. "ist mein jüngerer Bruder, Marcus. Es ist uns eine Freude, Sie kennen zulernen." "Ganz unsererseits." erwiderte Mr. Cunningham die Höflichkeit und schüttelte die Hand, die Chris ihm entgegenstreckte. "Du bist sicher Gary." Chris lächelte Jasons Bruder an. "Ja, das bin ich." Garys Stimme war tief und melodisch, sie strahlte Wärme aus, fand Chris und Marcus schien das nicht anders zu empfinden. "Marcus, würdest du Mr. und Mrs. Cunningham und Gary den Weg ins Wohnzimmer zeigen? Jason und ich holen eben den Kaffee und die Muffins aus der Küche. Sie müssen ja vollkommen erschöpft sein von dem langen Flug." Er war von sich selbst überrascht, wie kühl er reagieren konnte, wenn es darauf ankam. Er funktionierte fast wie mechanisch und die Worte flossen nur so über seine Lippen. "G...gern... bitte hier entlang." Marcus deutete Richtung Wohnzimmer. "Wir kommen gleich nach." Chris fasste Jason am Arm und zog ihn mit sich in die Küche, bevor noch jemand Einspruch erheben oder gar seine Hilfe anbieten konnte. Kaum war die Küchentür hinter ihnen zugegangen, ließ sich Jason mit dem Rücken dagegen fallen und rutschte daran hinab. Noch bevor er auf dem Boden ankam, brach er in Tränen aus. Er presste die Hände aufs Gesicht. "Es tut mir leid! Es tut mir so leid! Es tut mir leid..." Er wiederholte den Satz immer und immer wieder. Ein Weinkrampf schüttelte ihn. "Bitte verzeih mir! Es tut mir so leid." Chris stand vor ihm und wusste nicht was er tun sollte. So hatte er Jason noch nie erlebt. Seinen starken Jason, der ihn beschützte. Er war nicht viel mehr als ein schluchzendes Häufchen Elend. Und er tat ihm furchtbar leid. Er konnte ihm nicht einmal böse sein. Chris sank auf die Knie und nahm Jason in den Arm. Der junge Polizist presste sich an ihn, er zitterte und weinte immer stärker. Ohne Unterlass wiederholte er immer und immer wieder. "Verzeih mir!" und "Es tut mir so leid!" "Beruhige dich, ist ja gut." Chris fühlte sich vollkommen hilflos. "Komm erst einmal vom Boden hoch, ist ja alles gut." Er fasste Jason unter die Arme und zog, allerdings mit mäßigem Erfolg, bis Jason selbst mithalf. Doch kaum stand er wieder auf den Beinen, schob er Chris weg und ließ ihn stehen. "Hör auf... es ist nicht gut... du musstest wegen mir lügen! Ich bin so erbärmlich... ich... ich konnte es einfach nicht... die beiden haben so große Erwartungen in mich... sie haben sich so sehr Enkelkinder gewünscht..." "Es ist gut, Jason. Bleibt eben alles wie es ist. Die paar Mal die deine Eltern hier zu Besuch sein werden, kann ich ja in ein Hotel ziehen. Es ist wirklich okay. Wir müssen nur nachher unauffällig meine Sachen in das Zimmer von Marcus bringen, damit es keiner merkt." "Hör auf!" Jason stützte sich an der Arbeitsplatte ab und schaute auf seine Hände. Er schien Chris nicht in die Augen sehen zu wollen. "Hör auf damit! Das kann doch nicht gut gehen auf diese Weise. Verdammt, ich bin doch ein Mann, warum habe ich das nicht hingekriegt?!" "Nicht so laut!" Chris hob beschwichtigend die Hände. "Sonst hört uns noch jemand!" Er ging zu Jason hinüber und legte ihm die Arme um den Hals, damit er sich zu ihm umdrehte. Chris sah ihm fest in die verweinten Augen. "Es liegt bei dir. Ich mache alles, damit du glücklich bist, auch wenn das bedeutet, vor deinen Eltern eine Scharade zu spielen. Ich will nicht, dass du unglücklich bist." Jason lächelte, obwohl immer noch Tränen aus seinen Augenwinkeln liefen. "Ich danke dir!" Er erwiderte Chris' Umarmung und fand mit seinen Lippen die des blonden Mannes. Chris schmeckte das Salz der Tränen auf Jasons Lippen und spürte, dass sein Körper immer noch zitterte. Aber er beruhigte sich. Chris schwor sich in diesem Moment, immer dafür zu sorgen, dass sein Freund glücklich sein würde. Als der Kuss endete, zog Jason seinen Freund noch fester an sich. Chris küsste ihn sanft auf die Wange und lehnte dann seinen Kopf an seine Schulter. Er erstarrte. Über Jasons Schulter hinweg hatte er einen perfekten Blick auf die Tür zum Wintergarten. Und auf Emily Cunningham, die genau dort stand! Jason wusste gar nicht wie ihm geschah als Chris plötzlich seine Hände gegen seine Brust drückte und den jungen Polizisten von sich stieß. "Was hast du denn?" Chris antwortete nicht, sondern nickte nur in Richtung Wintergarten. Jason drehte sich um und in diesem Moment hatte er das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Er sah das lächelnde Gesicht seiner Mutter und wäre am liebsten im Boden versunken. "Mum..." "Entschuldigt, ich wollte nicht stören, ich wollte eigentlich nur fragen, ob ich etwas helfen kann." Emilys Stimme klang ganz ruhig, liebevoll wie im Flur, kein Anzeichen von Schockierung, Wut oder gar Abscheu. Einfach so wie eine Mutter klingen muss. "Mum... ich..." Jason wusste nicht was er sagen sollte. Er spürte wie Chris seine Hand nahm. Die Berührung war zärtlich und spendete ihm Kraft. Auf einmal war es ihm klar, was das Richtige war. "Mum... das vorhin war nicht die Wahrheit. Chris hat das nur gesagt um mir zu helfen. Er ist nicht ein alter Freund, er ist mein Freund. Wir leben zusammen." Kaum hatte er das gesagt, war es ihm als würde eine zentnerschwere Last von seinen Schultern fallen. Er griff Chris' Hand fester und sah seinen Freund an, er entdeckte Stolz in seinen Augen, sie leuchteten regelrecht und gaben ihm die Bestätigung, dass er den richtigen Weg endlich gefunden hatte. Er wandte sich wieder seiner Mutter zu. "Ich hatte die ganze Zeit vor es euch zu sagen, aber als es drauf und dran ging, hat mich wieder der Mut verlassen. Ich wollte euch doch nicht enttäuschen. Ihr hattet so große Hoffnungen in mich und wollte doch auch so gern Enkel. Und ich... ich hatte Angst... das ihr..." Er führte den Satz nicht zu Ende. Emily Cunningham kam zu ihrem Sohn hinüber und strich ihm sanft über die Wange. Sie musste sich ziemlich hoch strecken, um das Gesicht ihres Sohnes zu erreichen, der sie um einiges überragte. "Du könntest uns nie enttäuschen, Jason. Dein Vater und ich lieben dich so wie du bist. Und ich bin froh das du endlich ehrlich zu mir bist." "Sie haben es gewusst?!" entfuhr es Chris, der erstaunt die Augen aufriss. Emily nickte. "Was erwarten Sie, Chris? Er ist mein Sohn. Eine Mutter spürt so etwas, aber ich hätte dich nie bedrängt es zu sagen." "Woher...?" "Jason, du bist mittlerweile dreißig Jahre alt und hattest noch nie eine Beziehung. Ich meine, es könnte natürlich auch sein, dass du ein absoluter Casanova bist, der Frauen nur für eine Nacht will, aber so habe ich meinen Sohn eigentlich nie eingeschätzt. Dein Vater und ich haben uns schon öfter Gedanken darüber gemacht, ob du vielleicht schwul sein könntest. Aber wir wollten dir nie etwas unterstellen oder dich gar direkt darauf ansprechen. Du selbst musstest bereit sein." Jason ging zum Esstisch und ließ sich fassungslos auf einen der Stühle fallen. "Ich werd verrückt... da mache ich mir Gedanken wie ich es euch schonend beibringe und dann..." "Du hast deine alten Herrschaften schon oft unterschätzt, Jason. Wir sind vielleicht älter, aber nicht von gestern. Und bitte mach dir keine Gedanken, dass du jetzt nicht mehr unser Sohn bist oder wir mit deinem Lebensstil nicht einverstanden sein könnten. Alles was ich zu dem Thema zu sagen habe ist folgendes:" Sie ging zu Chris hinüber und nahm ihn in die Arme. "Willkommen in der Familie, Chris." Als sie sich von Chris löste, hatte der blonde Mann Tränen in den Augen. "Oh, aber nicht doch. Sie müssen nicht weinen." "Sie können mich ruhig Duzen, Mrs. Cunningham.... und ich hab... ich hatte das Gefühl fast vergessen, in einer Familie willkommen zu sein. Zu meiner habe ich nämlich keinen Kontakt mehr, seit sie wissen, dass ich schwul bin." "Ein Unding! Solche Eltern sind eine Schande! Aber das ändern wir. Wenn Jason dich uns vorstellen wollte, so gehe ich davon aus, dass es zwischen euch etwas ernstes ist. Und deswegen gehörst du von nun an zu unserer Familie! Ich bin Emily. Lass dieses steife "Mrs. Cunningham", mein Junge! Das gehört sich nicht für meinen Quasi-Schwiegersohn!" "Mum!" Jason bemerkte, dass Chris rot wurde, so sehr fühlte er sich geschmeichelt. "Ist ja gut, lass einer Mutter doch mal ihren Spaß. Vielleicht darf ich ja Chris dann endlich mal so bemuttern wie ich es bei dir und Gary nie durfte." "Ich glaube, Chris hat es nicht nötig, dass du ihn bemutterst. Das hier ist sein Werk!" Er machte eine Armbewegung über die drei Körbe voll Muffins. "Das warst du, Chris?" "Ja, Mrs... Ja, Emily." Chris wurde schon wieder rot und funkelte seinen Freund an, der aufgrund der Entwicklungen plötzlich Oberwasser zu bekommen schien. "Dein Sohn wäre ohne mich verloren, dann würde er sich sicher nur von Fast-Food ernähren!" "Hey! Ich kann kochen!" "Ja!" grinste Chris. "Ravioli aus der Dose, Spaghetti mit einer Fertigmischung und Pfannkuchen. Stimmt, Pfannkuchen kannst du gut!" "Gerade warst du nicht so frech zu mir." "Gerade hattest du ja auch Panik." Emily kicherte. Dadurch schienen ihr Sohn und Chris überhaupt erst wieder zu registrieren, dass sie nicht allein waren. "Ich denke, wir sollten jetzt wieder zu deinem Vater und deinem Bruder rüber gehen." Mit einem Schlag war Jasons Laune wieder dahin und Angst erschien in seinem Blick. "Das hatte ich verdrängt... Mum... meinst du, dass Dad ebenso reagiert wie du? Und was ist mit Gary?" Emily legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. "Dein Vater wird ebenso wie ich reagieren und ich denke nicht, dass es mit deinem Bruder anders sein wird. Ihr hattet doch immer ein sehr gutes Verhältnis." "Das stimmt..." nickte Jason. "Hoffentlich bleibt das so..." "Eine Frage habe ich aber noch. Ist der Junge denn wirklich dein Bruder?" "Marcus?" Chris schüttelte den Kopf. "Er ist eine Art Bruder für mich, aber wir sind nicht verwandt. Er ist der Sohn eines befreundeten Ehepaares und nur zu Besuch hier." Eigentlich war der Kontakt zu Marcus' Eltern bei weitem nicht so eng wie der zu Marcus, aber Chris schien die Situation nicht unnötig komplizieren zu wollen, vor allem auch weil Marcus' Homosexualität ja ein Geheimnis bleiben sollte. Deswegen ließ Jason es auch dabei bewenden. "Wollen wir dann?" "Müssen wir ja wohl..." bestätigte Jason. "Ich glaube wir sollten erst den schweren Teil hinter uns bringen, dann setze ich Kaffee auf." schlug Chris vor. Dagegen hatte niemand etwas einzuwenden. Als sie das Wohnzimmer betraten, sah Jasons Vater gerade zu wie Gary und Marcus sich die Köpfe einschlugen. Natürlich nur bildlich gesprochen. An ihrer Stelle prügelten sich Tina und Ein in der "Großen Oper", einer Arena bei Dead or Alive 2. Ein war Marcus' Lieblingskämpfer, was Chris aber auch darauf zurückführte, dass man den brünetten Muskelmann mit dem merkwürdigen Namen auch in einem Kostüm mit freiem Oberkörper antreten lassen konnte. Tina war das genaue Gegenstück, eine pralle, langbeinige Blondine. Chris stellte überrascht fest, dass Marcus hier einen würdigen Gegner gefunden hatte, er selbst und sein Liebling, der Ninja Ryu Hayabusa, wären wohl schon längst wieder KO gewesen. "Jetzt mach ich dich fertig!" "Das glaubst auch nur du, Kleiner!" Die beiden lieferten sich ein heißes Duell. Offenbar hatten sich hier zwei Videogame Cracks gesucht und gefunden. Ein Umstand, der Chris ein Lächeln entlockte. "Würden die Herren ihr martialisches Schlachtfest bitte unterbrechen?" stellte Emily Cunningham in den Raum. "Sekunde, Mum, ich hab ihn gleich!" Gary sah nicht einmal vom Bildschirm auf. Doch in diesem Moment bekam Tina einen Tritt von Ein in den Bauch, ließ die Deckung fallen, wurde im nächsten Augenblick von einem Uppercut des brünetten Kämpfers in die Luft geschleudert und fiel zu Boden. Ein fettes KO erschien auf dem Bildschirm, gefolgt von der Siegesanimation von Ein. Marcus grinste Gary spitzbübisch an. "Na warte, das gibt Revanche!" "Aber nicht jetzt!" beschloss Emily. "Jason hat euch beiden was zu sagen." "Marcus und mir?" "Ich denke, deine Mutter meinte dich und mich." lächelte Jasons Vater und drehte sich auf der Couch zu seinem älteren Sohn um. Gary tat es ihm nach. Als sich jetzt die Augen der beiden erwartungsvoll auf ihn richteten, wurde Jasons Hals plötzlich wieder trocken und er spürte Angst, die aus seinem Bauch hinauf kroch und sich um sein Herz legte. Was wenn nur seine Mutter so verständnisvoll reagieren würde? Was wenn Gary ihn hassen würde? Was wenn sein Vater wutentbrannt das Haus verlassen und seinen Sohn aus seinem Leben stoßen würde? Er sah sich Hilfe suchend nach Chris um, der sich direkt neben ihn stellte und ihm die Hand auf den Rücken legte. Und wieder schien es die Berührung des blonden Mannes zu sein, die ihm unendliche Kraft gab. "Dad, Gary... das vorhin... das war nicht die Wahrheit. Chris hat... er hat für mich gelogen um mir zu helfen... ich wollte es euch eigentlich vorhin schon sagen... ich bin..." Er schien nicht genau zu wissen wie er den Satz beenden sollte und tat es auf eine andere Weise. Er zog Chris in seinen Arm. "Chris und ich leben zusammen. Ich liebe ihn." Ein Moment des Schweigens folgte. Jasons fühlte, wie seine Beine weich wurden, er bekam Panik. Dann erlöste ihn sein Vater, indem er aufstand, zu seinem Sohn ging und ihn in den Arm nahm. Wie schon im Flur klopfte er Jason auf die Schulter bevor er sich wieder von ihm löste. Diese Geste sagte mehr als Tausend Worte. Chris lächelte und drängte mit aller Kraft die Tränen der Rührung zurück, die schon wieder in ihm aufstiegen. So hatte er es sich immer gewünscht. So hätte sein Vater reagieren sollen. Er spürte eine Hand auf seinem Oberarm und sah überrascht Emily Cunningham an, die neben ihm stand und ihn anlächelte. Sie schien deutlich zu spüren was mit ihm los war und allein diese kleine mütterliche Berührung war einfach wunderschön. "Du hast nichts dagegen, Dad?" "Warum sollte ich, mein Sohn? Das wichtigste ist, dass du glücklich bist, alles andere ist zweitrangig. Du und dein Bruder, ihr wart immer mein ganzer Stolz und daran wird sich auch nie etwas ändern. Ob du nun einen Mann oder eine Frau liebst, ist doch vollkommen egal." "Ist es das?!" Alle sahen überrascht zu Gary hinüber, der von der Couch aufgestanden war und seinen Bruder anstarrte. "Gary, ich..." "Entschuldigt! Ich brauche frische Luft!" fiel ihm Gary ins Wort und eilte ohne auf eine Antwort zu warten aus dem Zimmer. Sekunden später fiel die Haustür hinter ihm zu. "Gary!" Marcus sprang auf und wollte dem Jungen nachlaufen. "Marcus!" Beim Klang von Chris' Stimme blieb er stehen und sah sich zu ihm um. Der blonde Mann schüttelte den Kopf. Widerwillig ließ sich Marcus wieder aufs Sofa fallen. "Ich gehe ihm wohl besser hinterher..." seufzte Jason. "Sprich mit ihm, er wird es schon verstehen. Er wird damit klar kommen..." bestärkte Emily ihren Sohn. "Deine Mutter hat Recht, Jason. Geh ihm nach. Marcus und ich können in der Zeit den Kaffee fertig machen. Würdest du mir helfen?" fragte Chris. "Klar!" Marcus nickte. Jason ging allein zur Haustür. Er hoffte inständig, dass er seinen Bruder nicht gerade eben für immer verloren hatte. Die Vorstellung war schrecklich. Draußen schien die Sonne und die Luft war angenehm warm. Im Garten blühten immer noch viele Blumen und verströmten einen angenehmen Duft. Auf der anderen Straßenseite spielten Kinder mit einem Ball und eine Frau mit einem Kinderwagen ging am Haus vorbei. Die Wohngegend war ruhig und idyllisch, der perfekte Ort für junge Familien. Die Häuser waren alle in viktorianischem Stil gehalten und in sehr gutem Zustand. Die meisten Nachbarn hatten bereits gemerkt, dass Jason und Chris ein Paar waren, aber niemanden hier schien das zu stören. Als Jason aus der Haustür trat, saß Gary ein paar Stufen unter dem Eingang auf der Treppe und sah in den Himmel. Ein paar Vögel zogen am fast wolkenlosen Firmament entlang und ein Flugzeug zeichnete in großer Höhe einen langen Kondensstreifen in das endlose Blau. Jason ließ sich wortlos neben Gary nieder und blickte ebenfalls in den Himmel. "Hasst du mich jetzt?" Gary schüttelte den Kopf. "Nein... ich... nein..." "Dann ist ja gut..." Eine Zeit lang herrschte wieder Schweigen. Jason suchte in seiner Tasche nach den BigRed Kaugummis, die er dort verstaut hatte. Kaugummikauen half ihm bei Nervosität, allerdings war er vorhin so nervös gewesen, dass er nicht einmal mehr daran gedacht hatte. Er hielt Gary die Schachtel hin. "Magst du eins?" "Du kaust immer noch BigRed?" "Ja, alte Angewohnheiten wird man schwer los." Gary zog eines der Kaugummis aus der Verpackung, wickelte es aus und steckte es sich in den Mund. Wieder senkte sich das Schweigen über die beiden, nur durchbrochen vom typischen Kaugeräusch. "Ich hasse dich nicht, Jason..." nahm Gary schließlich das Gespräch wieder auf. "Wie könnte ich? Du warst immer für mich da. Wir waren nie die Art Brüder die sich alles neideten und sich bekriegten, oder? Ich war immer überglücklich einen großen Bruder zu haben, mit dem ich über alles reden konnte." "Ging mir doch ebenso. Ich war immer stolz auf meinen kleinen Bruder." Gary sah Jason von der Seite an. "Warum hast du mich dann belogen? Ich dachte wir können über alles reden, warum hast du mir das dann verschwiegen?" "Ist es das?" Jason war überrascht. "Ist es nur gekränkter Stolz?" "Nicht nur... ich meine... ich habe dich immer als mein Vorbild gesehen, ich wollte so werden wie du." "Und jetzt hast du Angst das du auch schwul wirst?" "Nein, schließlich habe ich schon ein paar Freundinnen gehabt." "Siehst du, ich hab nie etwas für Mädchen übrig gehabt. Nie." "Echt nicht?" "Nein, ich fand immer einen knackigen Hintern und breite Schultern anziehender." Gary verzog das Gesicht, allerdings mit einem Lächeln dabei. "Die hat dein Freund aber auch nicht, breite Schultern meine ich." "Muss er auch gar nicht, er ist wirklich wundervoll, genauso wie er ist. Ich liebe ihn über alles." "Heißt das... du schläfst wirklich mit ihm?" "Ja, natürlich, ich..." Gary drückte ihm die Hand auf den Mund. "Setz mir ja keine Bilder in den Kopf, Bruderherz!" Jason musste lachen und legte seinen Arm um Gary. "Ich bin froh, dass du mich jetzt nicht hasst oder so." Gary nickte. "Die Situation ist eben neu für mich, ich muss mich daran gewöhnen, aber das wird schon... schließlich bist du immer noch mein Bruder J.R. und kein Fremder." "Nenn mich ja nicht vor Chris J.R., sonst kannst du was erleben!" grinste Jason und boxte Gary in die Seite. "Du...?" "Was denn?" "Ist Marcus auch...?" Jason sah seinen Bruder an. Er wusste was Gary meinte und um ein Haar hätte er genickt. Er hasste es seinen Bruder anlügen zu müssen. Was er nun tat, tat er nur für Chris, weil Marcus ihm soviel bedeutete. Außerdem war ihm der Junge mittlerweile ans Herz gewachsen, auch wenn er gewissen Bedenken ihm gegenüber hatte, was Gary anging. Schweren Herzens schüttelte Jason den Kopf. "Nein, ist er nicht." "Er ist nett." "Das ist er. Und ziemlich allein. Er hat hier keine Freunde. Vielleicht kannst du dich ein bisschen um ihm kümmern." Gary nickte. "Ja, ich finde ihn cool. Außerdem habe ich dadurch eine Ausrede wenn Mum und Dad mit dir das Sightseeing Programm starten. Ich kann Sightseeing nicht leiden." "Zumindest nicht an den Orten, an die Mum und Dad wollen, was?" "Genau." "Wollen wir wieder reingehen? Chris macht Kaffee und er hat Muffins gebacken." "Ist er die Frau in eurer Beziehung?" stichelte Gary. Jason gab ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. "Pass auf bloß auf was du sagst, Chris kann sehr gefährlich werden, ich spreche aus Erfahrung." "Wenn du das sagst! Wer zuletzt am Tisch ist kriegt keine Muffins!" Mit diesen Worten sprang er auf und rannte zur Tür. "Hey! Du schummelst!" Jason erhob sich so schnell er konnte und setzt seinem Bruder nach, der bereits durch die Haustür verschwand. Trotz der kleinen Lüge wegen Marcus war er glücklich. Endlich war er frei. Kein Versteckspiel mehr. Er konnte mit Chris zu Familienfesten fahren ohne sich Sorgen zu machen. Als er Chris zusammen mit seiner Familie am Kaffeetisch sah, hätte er am liebsten vor Glück geweint... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Okay! Die letzte Episode der aktuellen Staffel von Charmed - Zauberhafte Hexen heißt im Original "It's a bad, bad, bad, bad world"... hier ist mein Pendant dazu! It's a bad, bad, bad, bad chapter... Ich glaube jeder Autor kennt das Gefühl, wenn man mit einem Kapitel so überhaupt nicht zufrieden ist. Das letzte Mal war es so bei "Silver shadows" und "Mother knows best" ist der gleiche Fall... ich habe es sogar nur einmal Korrektur gelesen, hoffentlich habe ich nicht zu viele Tippfehler übersehen ^^ Ab der Stelle wenn Jasons Eltern ankommen musste ich mir quasi jedes Wort aus den Fingern quälen und ich glaube das merkt man auch. Dabei ist das Kapitel keinesfalls beschleunigt oder so. Das Coming-out vor seinen Eltern sollte für Jason immer auf diese Art verlaufen. Eine weitere Hölle wie die, welche Chris erleben musste wollte ich nicht heraufbeschwören. Ich hoffe Jasons Eltern kommen so sympathisch rüber, wie sie sein sollten, vor allem die Mutter. Ich glaube aber, dass ich in diesem Kapitel zu sehr davon belastet bin, dass ich eigentlich längst etwas anderes schreiben will... nein! Keine andere Story, dazu macht mir diese zuviel Spaß. Ich bin mit den Gedanken schon längst bei den Verwicklungen zwischen Gary und Marcus, die sich hier bereits ankündigen und die ja fast zu erwarten waren. Diese Geschichte entwickelt wirklich ein Eigenleben. Eigentlich sollte nach Jasons Outing endlich David mit seinem Handlungsstrang in den Vordergrund treten und Sly, Jeremy und Ash sind ja auch noch da. Aber wie immer kam es anders und so muss sich David noch gedulden und unserem kleinen Liebling Marcus das Feld überlassen. Das unter den gegebenen Voraussetzungen mit Gary natürlich nicht alles glatt laufen kann ist klar. Also vergessen wir diesen Schmu hier schnell und gehen fix weiter zum nächsten Chapter. Ach ja, im Gegensatz zum Ende bin ich mit dem Anfang eher zufrieden. Die Idee das Chris Muffins backen könnte, kam mir, als ich selbst welche machte und ich fand es wurde endlich mal wieder Zeit, dass die beiden sich zoffen, das haben sie schließlich schon lang nicht mehr gemacht. Allerdings ist der Streit nicht wirklich heftig, wir wollen es ja nicht übertreiben *gggg* Also, draußen sind 20 Grad, das Fenster ist auf, herrliche Luft und ich habe dieses Kapitel endlich fertig! *ausatme* Euer Uly ^^ PS: Haltet Ausschau nach den Charafiles von Marcus und Jeremy, coming soon! ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)