Ascelin Formain von NightStalker ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- "Verdammte Scheiße! Warum muss immer, aber auch jedes einzige, verfluchte Mal, ich die versammelten Idioten dieser Welt retten?" Ascelin fluchte weiter hingebungsvoll, während er sich in dem engen Geheimraum im Keller unter seiner Heimstatt auf den nun unvermeidlich scheinenden Kampf vorbereitete. "Und das alles nur, weil Ormen, dieser Depp, es wieder einmal versaut hat!" Er drehte sich wütend um und ließ den Blick durch seine Zuflucht schweifen. Die aus großen schmucklosen Kalksteinquadern zusammengesetzten Wände des quadratischen Raumes wurden auf allen Seiten von Regalen sowie Gestellen verdeckt, in und auf denen seine Familie genug Waffen und Rüstzeug gelagert hatte, um eine kleine Streitmacht damit zu bestücken. Erhellt wurde Ascelins näheres Umfeld durch eine kleine, rußende Lampe in seiner linken Hand, deren blakende Flamme langsam aber sicher auch das letzte bisschen Sauerstoff aus der ohnehin schon schlechten Luft des fensterlosen Raumes zu ziehen schien. ,Und nebenbei gibt sie der Luft noch eine Duftnote von in der Pfanne verkohltem Fleisch... Ich liebe solch grandiose Tage' dachte Ascelin bei sich, immer noch von Zorn erfüllt. Der hochgewachsene Elf strich sich seufzend eine Strähne des braunen Haares aus der Stirn und trat vor ein anderes Gestell, in dem verschiedene Langschwerter hingen, im Zuge der letzten Überprüfung sorgfältig eingeölt und für eine lange Ruhezeit hier unten im Keller präpariert. Ascelin erinnerte sich noch gut daran, wie diese Prüfung vor knapp einem Jahr stattgefunden hatte... Mindestens ein Dutzend Waffenschmiede, Rüstungsschmiede, Bogner, Gerber und dergleichen hatte im Hof der Burg Er'schabach die Waffen, die Kettenhemden, Lederwämse und den einen oder anderen Kürass überprüft, gereinigt und schließlich eingefettet beziehungsweise -geölt. Unterdessen hatte Warrick, seit langer Zeit treuer Quartiermeister des Geschlechtes derer von Formain, einige wenige vertrauenswürdige des Gesindes immer aufs Neue durch die Burg geschickt, um aus diesem und anderen, ihm sehr ähnlichen, Räumen weitere Gegenstände heranzuschaffen und sie nach der Durchsicht durch die Handwerker wieder an ihre angestammten Plätze zurückzubringen. Ascelin schüttelte den Kopf und versuchte, sich wieder auf die vor ihm liegende Aufgabe zu konzentrieren: Die Rückeroberung seiner Burg. ,Meine Burg - und ich sitze im feuchten Keller darunter, zwischen einem Haufen Waffen und Rüstungen, mit denen ich rein gar nichts anfangen kann, und muss mich verstecken, weil Goeran sich so unglaublich gut auf Ormens Dummheit verlassen konnte...' Kaum dachte er an Goeran von Belzother, denjenigen, der ihm die Burg gestohlen sowie ihn und seine Familie entehrt hatte, verschlechterte sich seine Laune erneut. ,Nicht zuletzt, weil es mein eigener, dämlicher Bruder war, der ihm in seiner grenzenlosen Blödheit das Tor geöffnet hat.' Ascelin kochte vor Wut und Enttäuschung und verfluchte ihren Vater dafür, dass dieser ihm auf dem Sterbebett das Versprechen abgenommen hatte, auf seinen jüngsten Bruder acht zu geben und ihm den Posten des Befehlshabers der Burgwache anzuvertrauen.... "Und das, obwohl dieser Narr genau wusste, dass Ormen sogar zu beschränkt ist, um eine Kartoffel zu schneiden, ohne sich und die Hälfte des Küchenpersonals in höchste Lebensgefahr zu bringen." " 'Mein Sohn, ich weiß, Ormen ist dir lange nicht ebenbürtig; ja, vermutlich ist er auch eine Last für dich - doch versprich mir, dass du mir diesen einen, letzten Wunsch erfüllst' " äffte Ascelin seinen Vater in beißendem Tonfall nach. "Und ich hatte nichts besseres zu tun, als zuzustimmen. Anstatt kurz nachzudenken und zu sagen ,Scher dich zum Teufel' habe ich zugestimmt." Er sah sich immer noch vor dem Totenbette seines Vaters knien, die Ohren ganz dicht an den Lippen seines alten Herrn, als ihm dieser sein Vermächtnis, das Vermächtnis seiner Familie, offenbarte. "Tolles Vermächtnis! Märchen, Wahnvorstellungen alter Männer... Das einzige, was dieses beschissene ,Vermächtnis' mir gebracht hat, war die Aufgabe, Kindermädchen für meinen total minderbemittelten Bruder zu spielen." Hingebungsvoll ließ er seiner Wut freien Lauf. "...und dann muss ich auch noch mit ansehen, wie er alles, was unsere gesamte Familie jemals aufgebaut hat, binnen Augenblicken zerstört...Vermächtnis... Pah... " Murrend griff er sich eines der Langschwerter vom Gestell, wog es in der Hand und machte einige Schläge damit. "Zu schwer. Warum habe ich Volltrottel auch Eleazar zum Schmied gebracht ?" Wütend schleuderte er das Schwert zurück in seine Halterung. Das ganze Gestell wackelte kurz und die Schwerter schlugen gegeneinander und produzierten ein lautes Scheppern. "Hätte ich nicht noch einen, nur einen einzigen Tag warten können ? Wegen einer klitzekleinen Scharte stehe ich jetzt ohne mein Schwert da... Ohne mein Schwert und ohne meine Burg... " Nun heftete er den Blick seiner braunen, eigentlich sanftmütig schauenden, jetzt jedoch vor Zorn blitzenden Augen auf ein weiteres Gestell, diesmal bestückt mit Kurzschwertern sowie einigen Streitkolben. Erneut entrang sich seiner Kehle ein Seufzer. "Allein in diesem Raum ist genug an Waffen, um die Hälfte der Burgwache damit auszurüsten..." Er ballte die behandschuhte rechte Faust und schlug mit voller Kraft gegen das Gestell, welches seine Bemühungen mit einem Krachen quittierte, kurz schwankte und schließlich nach hinten umkippte, worauf sein Inhalt unter lauten Scheppern durcheinandergewürfelt wurde. "SCHEISSE !" Ascelin biss die Zähne zusammen und streckte kurz die rechte Hand. Der fein gearbeitete Lederhandschuh hatte den Aufprall auf dem Eichenholz des Gestells nur leicht abmildern können, so dass er praktisch die volle Wucht des Schlages in seinen Knöcheln zu spüren bekommen hatte. Er benötigte einen Augenblick, um sich zu sammeln und seinen Schmerz zu verdrängen, dann widmete er sich dem umgefallenen Gestell. Oder vielmehr dessen Inhalt. "Und was nützen mir all die Waffen ? Nichts... Ormen, ich schwöre dir..." Während er dies murmelte, zog er ein fein gearbeitetes Kurzschwert hervor und machte auch mit diesem einige Probeschläge. "Schon besser..." Der Elf stellte die Lampe zur Seite und holte von einem Regal nahe der schweren Eichentür, die den einzigen Zugang dieses Raumes darstellte, ein weiches Leinentuch. Mit diesem begann er, den dünnen Ölfilm von Klinge und Griff des Schwertes zu entfernen. Und auch von seiner noch immer schmerzenden Hand - oder vielmehr dem Handschuh, in dem selbige steckte -, denn natürlich hatte er den Griff nicht gesäubert, bevor er die Waffe in die Hand nahm... "Warum auch... Ich bin schließlich Ormens Bruder..." Wieder seufzte er. Sobald er die Klinge sowie seine Handschuhe vom Öl gereinigt hatte, nahm er eine lange Lederschnur von einem Regal an der gegenüberliegenden Wand und wickelte diese langsam und vorsichtig um das Griffstück der Waffe. Nach Vollendung seines Werkes steckte Ascelin das Kurzschwert mit einer geschmeidigen Bewegung in die Scheide an seinem Gürtel. ,Wenigstens kann mich durch die dicken Wände niemand hören...' dachte er bei sich. ,Man würde mich vermutlich nicht einmal bemerken, wenn ich mit einem kompletten Musikzug hier drinnen aufspielen würde... ' Ein erheitertes Lächeln stahl sich auf die Lippen in Ascelins feingeschnittenem Gesicht, als er sich vorstellte, wie der Fanfarenzug derer von Belzother sich hier in diesem Raum zusammenzwängte und mit aufgepusteten Backen versuchte, ein einigermaßen vernünftiges Spiel hinzukriegen. "Nicht, dass irgendwer in diesem gottverlassenen Keller herumlungern würde..." Er schnaubte. "Außer mir natürlich... Aber mit mir kann man es ja machen..." Probehalber zog er das Schwert. Oder vielmehr, er versuchte das Schwert zu ziehen, denn es blieb in der Scheide stecken. "Aaaaaaaargh! Ich hasse es! Warum kann hier nicht plötzlich mein geliebtes Eleazar zwischen dem ganzen Gerümpel liegen ?" Mit verbissenem Gesichtsausdruck zog er stärker am Knauf des Schwertes und befreite es schließlich mit einem langgezogenen Knirschen aus seinem Gefängnis. "Bei meinem heutigen Glück hätte eigentlich die Klinge abbrechen müssen..." Misstrauisch überprüfte er nochmals die Schneide und versuchte, etwaige Schwachstellen oder neu hinzugekommene Schäden zu finden - doch zu seiner Erleichterung konnte er nichts weiter entdecken. Anschließend blickte Ascelin sich erneut im Raum um, fand aber nicht gleich, wonach er suchte. "Irgendwo hier muss es doch eine Scheide für dieses verfluchte Schwert geben... Dutzende Rüstungen, Wämse, Lang- und Kurzschwerter - aber nicht eine einzige Scheide ? Ich fasse es nicht..." Er legte das Schwert aus der Hand, zog seine Handschuhe aus und begann, die Regale systematisch zu durchsuchen. Und nach einiger Zeit fand er tatsächlich einige verschlissene Lederscheiden im untersten Fach des Regals, vor dem er gerade hockte. "Es konnte ja nicht anders sein. Alles, was ich suche, ist immer im letzten Regal, in dem ich schaue..." Missmutig richtete er sich auf und strich sich mit der Linken einmal mehr die Haare aus dem Gesicht, allerdings nicht ohne sich die Hände zuvor an einem weiteren Leinentuch zu reinigen. ,Wenigstens war ich diesmal schlauer und habe die Handschuhe ausgezogen, bevor ich eingefettete Sachen anfasse...' Irritiert stellte Ascelin fest, dass er sich darüber freute, sich nicht wieder die Handschuhe eingesaut zu haben. ,Na Alter, wirst ganz schön bescheiden an so einem beschissenen Tag, oder ?' fragte er sich selbst . Er nahm das Leinentuch, mit dem er gerade seine Hände gereinigt hatte, und entfernte langsam die Fettschicht, mit der die Lederscheide vor Feuchtigkeit und Zeit geschützt worden war. Dann löste er die Scheide seiner Klinge Eleazar von seinem Gürtel und legte sie auf den Boden unter das Regal, bevor er sich die soeben gereinigte umschnallte. Zufrieden stellte er fest, dass sie für das Kurzschwert wie geschaffen schien. Zur Kontrolle zog er die Waffe und machte nochmals einige Übungsschläge, bevor er die Klinge endgültig in der Scheide ruhen ließ. "Immerhin etwas" murmelte er, mit schon deutlich verbesserter Laune. ,Was brauche ich noch?' Ascelin überlegte kurz, bevor er sich entschloss, zuerst eine passende Rüstung herauszusuchen oder gar die gesamte Kleidung zu wechseln bevor er seine Ausstattung mit Waffen komplettierte. Kritisch musterte er die Lederrüstungen, die auf einigen Gestellen untergebracht waren und pickte sich eine heraus, von der er annahm, dass sie ihm halbwegs passen würde. "Warum muss ich auch knapp 2 Meter groß sein - wäre ich so kurz geraten wie Ormen, hätte ich keinerlei Probleme mit diesen verdammten Rüstungen..." Der Gedanke an seinen ungefähr 1,80 Meter messenden Bruder spülte den schon fast versiegten Zorn erneut an die Oberfläche. "Wie kam dieser Trottel eigentlich auf die Idee, das Tor zu öffnen ? Zugegeben, es war das kleine, aber... Verdammt, wir wurden belagert !!" Er schnaubte unwillig. Eigentlich war es unfassbar, das selbst jemand mit der Intelligenz eines Kindes - ,eines Säuglings' korrigierte Ascelin sich schnell - so dämlich sein konnte und das Tor einer belagerten Burg öffnete. "Von innen, versteht sich..." Ascelin schäumte. "Selbst jemand wie Ormen kann nicht so blöde sein und das aus Versehen tun..." Wieder ballte er die rechte Hand zur Faust, hob den muskulösen Arm und hieb auf ein Regal ein. Ein dumpfes Dröhnen erfüllte den Raum, und der Schmerz in Ascelins Hand stand dem vom letzen Mal in nichts nach. "Verdammt..." Ascelin schnappte nach Luft. "Brich' dir ruhig noch die Hand, du Idiot... Es macht bestimmt nichts, wenn du dir die Schwerthand zertrümmerst." Die Stimme des Elfen troff vor Sarkasmus, wenn sie auch durch den Schmerz leicht verzerrt wirkte. "Vielleicht kannst du Goerans Armee auch mit Poesie zu Tode langweilen... Oder ihnen ein Wiegenliedchen singen und sie dann im Schlafe töten, indem du dich mit deinem Elfenarsch auf ihr Gesicht setzt und sie so erstickst..." Langsam ließ das Pochen und Ziehen in seiner Hand nach und die Gedanken fanden zu ihrer normalen Schärfe und Klarheit zurück. Er atmete nochmals tief durch und verdrängte den Schmerz aus seinem Bewusstsein. Anschließend widmete er sich der Frage, ob er es wirklich riskieren konnte, seinen dunkelgrünen Waffenrock mit dem Wappen derer von Formain und den Insignien des herrschenden Lords von Er'schabach anzubehalten. Diese Insignien, ein Bogen, welcher sich mit einem Schwert über einem Turmschild kreuzte, waren gülden auf das Brustteil seines Rocks gestickt. Um den unteren Teil dieses Emblems rankten sich noch Kornähren sowie einige Weinranken. Wie er sich erinnerte, sollte die gesamte Stickerei symbolisieren, dass er und seine Familie der Schild ihrer Untergebenen waren, dass sie dafür sorgten, dass die Bauern und Handwerker unbesorgt ihren Geschäften nachgehen und ruhig schlafen konnten in der Gewissheit, dass von Er'schabach aus über sie gewacht würde. "Pah, ich bin meiner Rolle ja geradezu großartig gewachsen gewesen..." Die Rückenpartie desselben zierte das Wappen seiner Familie: Ein kunstvoll genähter Braunbär unter einer dunkelgrünen Eiche und kennzeichneten ihn als Angehörigen des Hauses Formain. Ascelin überlegte einen Augenblick, dann entschied er sich dazu, sein Gewand nicht abzulegen, da die Rüstung sowohl das Wappen als auch seine persönlichen Insignien auf der Brust verdecken würde. "Und mehr als einen Augenblick werde ich eh nicht haben... Alle, die hier außer Goerans Männern noch leben, sind in dem Augenblick zu ihm übergelaufen, als dieser den Hof betrat... Feiges verräterisches Pack !" Es fiel dem Elfen sichtlich schwer, seine Beherrschung nicht noch einmal zu verlieren, als er sich an den Augenblick erinnerte, in dem Goeran mit seiner Leibgarde in den Hof gestürmt war. "Eine Sekunde, nachdem Ormen, dieser Wichser, das Tor geöffnet hatte... Als wenn Goerans Armee nur darauf gelauert hätte, dass er dieses täte..." Noch immer sah er vor seinem inneren Auge, wie Ormen langsam über den Hof der Burg geschlendert war, scheinbar ziellos, als wolle er sich der Langeweile entziehen. Diese Langeweile, das gespannte Warten auf den nächsten Zug der eigenen oder der gegnerischen Heerführung war jedem Soldaten wohlbekannt. Keiner der Männer vermochte sich ihr zu entziehen und jeder einzelne hatte seine eigene Art, damit umzugehen. Einige verbrachten ihre Zeit damit, herumzuhuren - es könnte ja das letzte Mal sein -, andere pflegten wieder und wieder ihre Waffen zu schärfen, ihre Bögen zu bespannen und ihre restliche Ausrüstung zu überprüfen, wieder andere schlugen die Zeit mit immerdauerndem Training tot. Diese letzte Gruppe war Ascelin die liebste, denn ihre Angehörigen machten keinen Ärger - und etwas zusätzliche Übung hatte noch niemandem geschadet... Eine neue Welle der Erinnerung durchflutete den Elfen, und diese war ebenso schmerzhaft wie die vorherigen... Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Kapitel 1 Anathema sit ! (Er sei verflucht !) (1. Korinther 16,22) Ascelin hatte sich gerade für eine kurze Zeit in einen seiner privaten Räume im oberen Teil des Burgfrieds zurückgezogen, um ein wenig über die Lage, in der er sich befand, nachzudenken. Unterdessen bereiteten sich die Hauptleute seiner Burgwache im Kriegsraum direkt unter ihm auf eine weitere Besprechung vor, bei der entschieden werden sollte, wie man der Belagerung am besten würde trotzen können. Ein Seufzer entfloh seiner Kehle. Wieder endlose Diskussionen - natürlich ohne Ergebnis, da Goeran einfach die Initiative hatte... Und doch... Der Vorschlag des jungen Gundalf, den Spieß einfach umzudrehen und des Nachts einen Ausfall zu versuchen, um den Druck auf die Festungsmauern zu lindern, hatte etwas für sich... Er lehnte seine Schulter und seinen Kopf gegen den festen Granit der Mauer und versuchte, die Folgen dieses Vorhabens abzuschätzen, während er abwesend seinen Blick über die Soldaten auf dem Burghof schweifen ließ. Doch schon bald wurde seine Aufmerksamkeit abgelenkt. Ein Teil seiner Getreuen war damit beschäftigt, das Haupttor stärker abzustützen, da eine der Rammen, derer sich Goeran bediente, es in der vorangegangenen Nacht beinahe geschafft hätte, die starken Eichenbalken der Stützen hinwegzufegen. "Nur die Pechnase direkt über dem Tor hat uns die Ärsche gerettet... Vorerst..." Das Gesicht des Elfen war vor Trauer verzerrt, als er an die Schreie der Männer dachte, deren Körper vom siedenden Pech verbrannt wurden. Schreie, wie sie in den tiefsten Höllen nicht schlimmer erklingen konnten. Im Kampf Mann gegen Mann zu sterben, das war das eine - Jeder Soldat kannte das Risiko seines Handwerks... Aber von Pech verkohlt... Sie waren seine Gegner, aber sie waren auch nur Soldaten, ebenso wie die, die emsig auf dem Hof zugange waren... Männer mit Frauen und Kindern, die sich vermutlich jetzt gerade fragten, ob ihre Gatten und Väter wohl jemals zurückkehren würden. Ascelin hob die Hand und strich sich eine Strähne seines braunen Haares, die ihn an der Wange kitzelte, aus dem Gesicht und schalt sich einen Narren. ,Du kannst dir solche Sentimentalitäten nicht erlauben... Zuallererst bist du verantwortlich für deine Leute... Und die wären vermutlich alle tot, wenn der Angriff heute Nacht nicht abgewehrt worden wäre...' Goeran hatte mit Sicherheit von der Existenz der Pechnase über dem Haupttor gewusst. ,Nicht, dass man sie nicht auch so sehen könnte...' Was hatte ihn bewogen, seine Leute trotzdem ungeschützt blindlings angreifen zu lassen ? Es gab doch wahrlich genug Methoden, eine Pechnase auszutricksen... Er konnte einfach keinen Sinn in dieser Aktion sehen, so sehr er sich auch das Hirn zermarterte. ,Eigentlich ist die gesamte Belagerung sinnlos... Sicher, Goeran war noch nie ein guter Nachbar, aber warum er uns gerade jetzt angreift ? Vor einem Vierteljahr hätte er deutlich leichteres Spiel gehabt...' Vor etwas mehr als einem Vierteljahr war der alte Lord von Er'schabach, sein Vater, verstorben und hatte ihm die Befehlsgewalt über Burg, Bedienstete und die gesamte Grafschaft übertragen. ,Und die Aufgabe, für Ormen Kindermädchen zu spielen...' erinnerte sich Ascelin an den unangenehmeren Teil seiner Pflichten. Ständig musste er Acht geben, dass sein kleinerer Bruder nicht sich und die gesamte Familie in Schwierigkeiten brachte. Einige Tage vor der Belagerung zum Beispiel hatte er es fertiggebracht, sich in einer Schenke unweit der Burg mit einer ganzen Horde von Soldaten in der braunen Tracht des Hauses Belzother anzulegen. Alleine... Zu seinem großen Glück hatten einige seiner Wachen in der Nähe gesessen und ihn schnell in Sicherheit gebracht. Während seine Gedanken noch in der Vergangenheit verweilten, sah er aus den Augenwinkeln, dass ebendieser Bruder Ormen gemütlich über den Hof schlenderte. Als seine Schritte ihn auf dem Weg in das Zeughaus nahe am Haupttor vorbeiführten, änderte er seine Richtung dorthin. Ascelin zog die Stirn in Falten. ,Warum holt Ormen nicht zuerst seine Rüstung aus dem Zeughaus, bevor er die Arbeiten am Tor kontrolliert ? Die Soldaten laufen ihm doch nicht weg...' Ein bitteres Lächeln stahl sich auf seine Lippen. ,Wohin auch' dachte er. ,Sie könnten sich ja vor das Tor stellen und dort als Zielscheiben für Goerans Bogenschützen dienen.' Seine Gedanken wurden durch Gundalf unterbrochen, einen der Offiziere seiner Familie und sein persönlicher Adjutant, der Ascelins Gemach betrat, während sein Herr aus der Schießscharte blickte und sich das Treiben auf dem Hofe ansah. Gundalf räusperte sich, während Ascelin noch immer mit dem Rücken zu ihm stand. "Mylord, die Hauptleute sind alle versammelt und erwarten Euch im Kartenraum." Mit einem Seufzen wandte Ascelin sich zu Gundalf um und bedeutete ihm, voranzugehen. Gundalf verneigte sich flüchtig und machte sich dann auf, die Treppe hinabzusteigen. Doch der Elf legte ihm die Hand auf die Schulter. "Gundalf, ich hasse diese Diskussionen - es wissen doch alle, dass aller Voraussicht nach nichts Gescheites dabei herauskommen wird..." Der Soldat drehte sich grinsend um. "Mylord, Ihr solltet doch wissen, dass eben dieses zum Ritual gehört... Die Herren Offiziere haben halt nicht die Vergnügungen, die einem einfachen Soldaten gegönnt sind - Hurerei, Training, Saufen... All das ist den Herren verwehrt... Und so müssen sie sich in staubtrockene, theoriebeladene Diskussionen zur Vertreibung der Langeweile und der Anspannung flüchten..." Nun konnte sich auch Ascelin eines Lächelns nicht erwehren. "Aber, aber Gundalf - solltest du so über deine Kameraden reden - oder auch nur denken ??" "In der Tat, ich muss mich korrigieren - einige dieser Vergnügungen sind vielen der Offiziere nicht fremd... Hurerei und Völlerei sind doch recht verbreitet unter den Hauptleuten... Nur für das Training fehlt ihnen die Muße..." Gundalf brachte es tatsächlich fertig, bei diesen Worten todernst und bedauernd dreinzublicken, so dass Ascelin kurz aber herzlich auflachen musste. "Nun, vielleicht sollte ich als Lord von Er'schabach eine Trainingseinheit für Hauptleute ansetzen... Damit sie sich ohne schlechtes Gewissen für eine Weile von ihren schwerwiegenden und weltbewegenden Diskussionen lösen können..." Sein Adjutant grinste noch immer breit. "Ja, das scheint mir in der Tat eine gute Idee zu sein, Mylord... Ich hätte da sogar schon die passende Unterstützung für das Kampftraining..." Ascelin hob die Brauen. "Ach ? Und an wen hast du gedacht, Gundalf ?" Eigentlich erübrigte sich diese Frage - so selbstzufrieden, wie der Soldat aussah, stand die Antwort eigentlich schon fest. Gundalf feixte. Während des kurzen Schweigens betrachtete Ascelin seinen Adjutanten und engsten Untergebenen, nein Freund... Gundalf war ein hochgewachsener, bullig wirkender Mann mit tiefschwarzem, schulterlangem Haar, das er meist zu einem Zopf gebunden trug. Sein freundliches Gesicht - aus seinen Augen schien immer der Schalk zu blitzen -- hatte schon des öfteren einen Gegner getäuscht und ihn glauben gemacht, es mit einem leichten und schwachen Kämpfer zu tun zu haben. Doch - zum Glück für Gundalf sowie zum Pech seiner Kontrahenten -- war dem nicht so. Im Kampf war er gnadenlos, unbarmherzig, ja teilweise sogar grausam, wenn er der Meinung war, dass dieses von Nöten sei. Die meiste Zeit, seitdem er vor vierzig Jahren geboren worden war, hatte er im Dienste des Hauses Formain verbracht Zuerst, im zarten Alter von 11 Jahren, war Gundalf an einem Samstag plötzlich an der Burg aufgetaucht, hatte sich bei der Wache vorgestellt und um eine Ausbildung zum Schwertmanne gebeten. ,Aus irgendeinem Grunde hatte der wachhabende Offizier ihn nicht davongejagt, wie das normalerweise der Fall war, sondern ihn aufgenommen und ausgebildet...' erinnerte sich Ascelin. Nach seiner Ausbildung zum Schwertträger hatte der noch junge Gundalf sich dann binnen kurzer Zeit in der Wache nach oben gearbeitet, bis schließlich Ascelins Vater auf ihn aufmerksam geworden war und ihm die Führung einer kleinen Einheit von 50 Soldaten in seiner Armee übertragen hatte. Doch dank seiner Kampffertigkeiten sowie der Loyalität zu seinen Männern war das noch lange nicht das Ende von Gundalfs Aufstieg in der Riege der Offiziere im Dienste derer Formain gewesen: Nach weiteren 8 Jahren in der Armee war er schließlich mit nur 32 Jahren einer der jüngsten in der Runde der Berater des Grafen zu Er'schabach geworden. ,Und zu einer Legende sowohl auf dem Schlachtfeld als auch in der Trainingshalle...' Ascelin dachte in diesem Zusammenhang spontan an einen Kampf, in dem Gundalf mit einer Hand voll Männer seiner eigenen Elitetruppe - der ,Blutigen Hand' - tagelang einen kleinen Gebirgspass gegen ein ganzes Regiment T'al Azud gehalten hatte. ,Eine äußerst brutale Schlacht... Aber die ,Blutige Hand' hat ihrem Namen Ehre gemacht...' In all dieser Zeit hatte er sich immer sehr um Ascelin gekümmert, hatte seine Ausbildung überwacht, ihn zum Teil selber ausgebildet - und war ihm so zu einem engen Vertrauten und Freund geworden. Was lag also näher, als dass Ascelin ihn zu seinem Adjutanten, seiner rechten Hand machte, als er das Vermächtnis der Familie übernahm? Und dieser Adjutant richtete nun einmal mehr das Wort an seinen Herrn. "Es kann nur einen geben - ich dachte an Moridir, den besten Schwertkämpfer aus meinem Stern. Was meint Ihr, Mylord, wäre das eine gute Wahl ?" Die ,Blutige Hand' war in vier sogenannten ,Sternen' organisiert. Einer dieser Sterne umfasste immer vier Gruppen zu zehn Soldaten im aktiven Dienst sowie zwei weitere Gruppen als Reserve- und Ausbildungseinheiten. Gundalfs ,persönlicher' Stern, dessen stellvertretender Anführer Moridir war, stellte die Leibwache des Grafen, wenn dieser sich auf Reisen oder im Feld befand. Doch wie es der Teufel wollte, hatte Ascelin darauf bestanden, dass die Leibwache in Er'schabach von seiner Burgwache gestellt wird, da er seine restlichen Männer nicht unnötig vor den Kopf stoßen wollte. Außerdem - was sollte ihm in seiner Burg schon zustoßen ?? ,Tja, so kann man sich täuschen...' Insgesamt hatte die ,Blutige Hand', die in einer Burg zirka 20 Meilen von Er'schabach entfernt residierte, also eine Stärke von 240 Soldaten, was alles in allem vielleicht knapp ein Zehntel der Armee der Grafschaft ausmachte. Doch zur Zeit konnte er nicht allzu viel Hilfe von dort erwarten... Denn auch diese Burg wurde belagert. Sie konnte zwar von der kleinen Belagerungsarmee vor ihren Toren vermutlich nicht eingenommen werden, aber doch war diese Armee groß genug, um einen Ausbruch der ,Blutigen Hand' wirkungsvoll zu unterbinden... ,Wo hat Goeran nur diese Menge an Soldaten her?' Diese Frage hatte Ascelin sich in den letzten Tagen schon des öfteren gestellt - immer mit dem gleichen Ergebnis: Er hatte nicht den blassesten Schimmer. Noch immer grinste Ascelin breit. "Moridir? War er nicht unter denen, die mir damals bei Lorasil den Arsch gerettet haben?" Gundalfs Miene verdüsterte sich, als er an den Hinterhalt denken musste, der seinem Lord in einem Wald bei dem kleinen Dörfchen Lorasil gelegt worden war. Eine Bande von Räubern war anscheinend dafür bezahlt worden, Ascelin den Garaus zu machen - von wem, mit welcher Summe und warum konnte niemand jemals herausbringen. ,Zumindest waren die Männer aus meinem Stern zugegen und haben diesen Halunken eingeheizt... Auch wenn wir dabei Seronur verloren haben...' Seronur war nicht nur ein Freund von Gundalf sondern auch der Anführer von Ascelins Leibwache gewesen - und daher eines der ersten Ziele der heimtückischen Attacke. Und dennoch hatte er seinen Herrn mit einem Bolzen in der Schulter sowie einem Wurfdolch im Bauch tapfer verteidigt, wie sich Gundalf erinnerte. Er versuchte, die Erinnerung abzuschütteln und nickte. "In der Tat, Mylord - er war Seronurs Stellvertreter an jenem Tage..." Der Lord von Er'schabach sah den Schmerz in den Augen Gundalfs und so beschloss er, ihn von seinen Erinnerungen abzulenken. "Ja, Gundalf, ich glaube Moridir sollte den Herren eine adäquate Trainingseinheit ermöglichen... Sobald wir diese Belagerung überstanden haben." Gundalf lächelte erneut, schien seine düsteren Erinnerungen überwunden - oder zumindest verdrängt - zu haben. "Es wird mir eine Freude sein, Mylord - und Moridir sowieso." Ascelin seufzte. "Gundalf, die - zugegebenermaßen lästige - Pflicht ruft.... Komm, wir sollten die anderen nicht länger warten lassen - sonst rächen sie sich vermutlich mit einer noch langweiligeren Diskussion als sonst..." Auch der Kommandant der Blutigen Hand schien bei der Aussicht auf die Diskussionen der folgenden Stunden nicht sonderlich erfreut, auch wenn er eher einen Sinn in ihnen zu sehen vermochte als Ascelin. "Wie Ihr wünscht, Mylord." So machten sie sich wieder auf den Weg in den Kartenraum im Erdgeschoss des Burgfrieds. Gundalf stapfte schweigend vor Ascelin die Treppe auf halber Höhe zwischen den Gemächern des Burgherren und dem Erdgeschoss herunter, als sie beide plötzlich Kampflärm vom Burghof vernahmen. Ohne sich umzudrehen zog Gundalf sein Schwert und stürmte die Treppe nach unten, dicht gefolgt von Ascelin. Unten angekommen drückten sie die schwere Eichentür des Burgfrieds auf und hasteten durch die Öffnung auf den Hof. Dort erstarrten sie beide, denn was sie sahen, ließ ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Goerans Soldaten strömten durch das kleine Tor gleich neben dem schweren Haupttor und sammelten sich auf dem Hof der Burg. Und als wäre dies alles noch nicht schlimm genug, nein, Ascelin musste mit ansehen, wie knapp ein Drittel seiner Männer die Waffen erhob. Aber sie hoben die Klingen nicht gegen die Armee, die gerade in diesen Augenblick in den Burghof drängte, nein - sie hieben auf ihre eigenen Kameraden und Freunde ein und streckten die überraschten Kämpfer praktisch ohne jede Gegenwehr nieder. Dann schlossen sie sich dem Pulk von Soldaten an, der sich mittlerweile im Burghof gebildet hatte. Während dies alles geschah, sah Ascelin, wie Ormen, sein eigener Bruder, gemütlich neben dem Tor lehnte, den Griff desselben noch in der Hand, und sich das Treiben mit einem munteren, ja zufriedenen Gesichtsausdruck ansah. Ein heiserer Schrei entrang sich Ascelins Kehle. "Dafür wirst du büßen, du Bastard !" Er wollte aus dem Burgfried herausstürmen, sich eines der Schwerter greifen, die bei den vielen Leichen auf dem Hofe lagen, und Ormen die gerechte Strafe zuteil werden lassen. Doch genau in diesem Augenblick der Wut erkannte Gundalf, dass der Kampf - zumindest vorerst - vorüber war; dass auf dem Burghof kein einziger von Ascelins Getreuen mehr am Leben war. ,Und wir beide werden ihnen sehr bald nachfolgen, wenn er das jetzt tut...' durchschoss es Gundalf, als er sah, dass Ascelin sich in den Kampf stürzen wollte. "Mylord, tut das nicht !" schrie er seinen Herrn an und riss ihn von der Tür zurück in die Halle am Fuße des Burgfrieds. Kaum waren sie beide in der Halle, schmiss Gundalf sein Schwert zu Boden und versuchte, das schwere Portal zu schließen, doch er alleine hätte es nicht geschafft, das Tor rechtzeitig zu verriegeln. Ascelin stand wie in Trance in der Halle, als wenn ihm jemand einen kräftigen Schlag auf den Kopf gegeben hätte, und konnte anscheinend gar nicht fassen, was geschehen war. "Verdammt, Ascelin - beweg dich und hilf mir! Tot kannst du Ormen nicht zur Rechenschaft ziehen!" Der Elf zuckte zusammen und erwachte aus seiner Lethargie. Schnell gesellte er sich zu seinem Adjutanten und zusammen schafften sie es gerade, das Portal zu schließen bevor die ersten Soldaten dagegen hämmerten. Keuchend griffen Gundalf und Ascelin nach den schweren Hölzern, mit denen das Tor verriegelt werden konnte und brachten sie an den massiven Eisenhalterungen beiderseits der Tür an. Danach lehnten sie sich einen Augenblick schwer atmend und mit geschlossenen Augen an die Tür und genossen eine kleine Atempause, während von draußen die Soldaten noch immer gegen das Holz schlugen und ihnen drohten. Ihnen beiden war klar, dass diese Tür spätestens in einer Stunde zerschmettert sein würde, also machten sie sich keinerlei Illusionen über ihre ,Sicherheit' und dass sie deshalb möglichst bald einen Ausweg finden mussten. Schließlich ergriff Gundalf das Wort. "Mylord, wir müssen fliehen... Außer uns beiden scheint hier niemand mehr zu leben - oder, schlimmer noch, diejenigen, die leben, wollen uns töten." Er stoppte einen kurzen Augenblick, anscheinend war ihm das, was nun folgen sollte, sichtlich unangenehm. "Ich... ich weiß nicht, ob es nur Gerüchte sind, aber ich habe gehört, dass sich vom Keller unter diesem Burgfried aus ein langer Geheimgang bis direkt in den Wald 3 Kilometer westlich der Burg erstrecken soll..." Ein kurzes Räuspern. "Mylord, ich flehe euch an - nutzt die Zeit, die ihr noch habt, und flieht durch diesen Gang - ich werde versuchen, Ormen und Goerans Bande solange wie möglich aufzuhalten." Ascelin musterte ihn ungläubig. "Gundalf, rede keinen Unfug - wenn, dann gehen wir beide! Du bist der einzige hier, der mich nicht töten will - und ich soll dich zurücklassen? Zumal dein Tod völlig sinnlos wäre - ich brauche dich, um hier herauszukommen. Zu zweit haben wir wesentlich bessere Chancen..." Gundalf drehte sich wortlos um und nahm das Schwert vom Boden auf. "Dann sollten wir besser keine Zeit verlieren." "Ihr hättet in der Tat nicht so viel Zeit mit sinnlosem Geschwätz vertrödeln sollen!" Ascelin und sein Adjutant erstarrten. Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Kapitel 2 Der Leichnam eines toten Feindes riecht immer gut! (König Karl IX. von Frankreich (1550 - 1574)) Ascelin stand grübelnd vor dem Gestell mit den Lederrüstungen. Jetzt, wo seine Wut - vorerst - etwas abgeklungen war und er die Geschehnisse nochmals hatte Revue passieren lassen, gab es keinen Zweifel mehr. Die gesamte Belagerung war nur inszeniert gewesen, aus einem ihm unbekannten Grund. Sie - also zumindest Goeran und Ormen -- hatten Dutzende Männer in den Tod geschickt, weil die Belagerung echt aussehen sollte. Aber warum ? Wie er es auch drehte und wendete, so konnte er sich keinen Reim darauf machen. Wenn Ormen ihn eh hatte hintergehen wollen, wenn dies ein von vorne bis hinten abgekartetes Spiel gewesen wäre, hätte er dies auch schon ganz am Anfang tun können. Wenn er sich erst im Laufe der Zeit dazu entschieden hatte, wie konnte er derartig schnell zwei Drittel der Burgwache auf seine Seite bringen ?? Und wieso diese Erpichtheit darauf, ihn selbst lebend zu fangen ? Was zum Himmel versprachen die beiden sich davon ? Sie glaubten doch wohl nicht an das Ammenmärchen, das sein Vater ihm aufgetischt hatte ? Oder doch ? Immerhin würde diese Variante ihren Handlungen wenigstens zum Teil Sinn verleihen. ,Würde aber immer noch nicht erklären, warum sie die Belagerung inszeniert haben... Hatten sie solche Angst, dass sie mich unbedingt überraschen wollten ? ' Er seufzte. Vermutlich würde er sich noch wochenlang den Kopf zermartern und doch keine Lösung finden können... Schnell hatte er die Rüstung angelegt und beendete seine Vorbereitungen. Das Schwert befestigte er an seinem Gürtel, nachdem er diesen über der Rüstung angebracht hatte. Probehalber zog er die Klinge nochmals blank, wäre es doch ziemlich unangenehm, würde sie feststecken, wenn er auf sie angewiesen wäre. Doch zu seiner Überraschung saß das Kurzschwert locker in der Lederscheide und ließ sich problemlos herausziehen. Er machte einige Ausfallschritte und schnelle Schlagkombinationen, dann grunzte er zufrieden und steckte das Schwert wieder weg. ,Wenn nur die Rüstung nicht so spannen würde! Sie behindert mich nicht gerade wenig...' Er zuckte die Schultern - hatte er doch eh keine andere Wahl, es sei denn, er wollte ganz ohne Rüstung in den Kampf ziehen. Aus einem weiteren Regal nahm er sich sechs Wurfdolche, die er ebenfalls reinigte und sie dann an den dafür vorgesehenen Befestigungen am Gürtel anbrachte, sowie ein Stilett, dass genau in die Scheide an seinem rechten Unterarm passte. ,Nun habe ich alles unternommen, was mir möglich war... Jetzt hängt alles Weitere nur vom Glück ab...' Er schüttelte den Kopf "Ormen, du verlogener Bastard - ich kriege dich, und wenn es das Letzte ist, was ich tue - das Letzte, was dir widerfährt wird eh meine Klinge zwischen deinen Rippen sein... Und kein Glück dieser Welt kann dich davor bewahren - und kein Pech mich davon abhalten, dir dies zu bescheren..." Er vermisste einen Bogen, doch leider war dies eine Waffenkammer für die Burgwache, nicht für die Bogen- und Armbrustschützen... Ein Seufzer entrang sich seiner Kehle, bevor er sich zur Tür begab. Dort angekommen erstarrte er. Vor der Türe waren Stimmen zu vernehmen... ,Und eine davon habe ich heute schon gehört... Im Erdgeschoss des Burgfrieds...' Er zückte sein Kurzschwert mit der rechten Hand und griff mit der linken nach dem Stilett, während er sich neben der Tür postierte. ,Sie werden doch wohl nicht wissen, dass ich hier bin? Wie ist das möglich?' Ascelin lauschte dem Gespräch vor dem versteckten Eingang des Raumes. Zuerst vernahm er die tiefe Stimme von Torbal, einem der Hauptleute der Burgwache. Die Stimme, die ihn und Gundalf in der Halle so höhnisch begrüßt hatte... Der Elf erinnerte sich, dass Torbal für seine Brutalität gegenüber seinen Untergebenen berüchtigt war. Torbal stand im Rufe, seine Männer mit einem stählernen Handschuh zu verprügeln, manchmal auch mit einer Peitsche oder sogar der flachen Seite seines Breitschwertes. Und auch wenn man ihm niemals etwas hatte nachweisen können, so gab es dennoch diese Gerüchte... Und Torbal war anscheinend außerordentlich ärgerlich... "Die beiden sind durch den Geheimgang der Burg entkommen? Was sagst du da, du unfähiger Penner?" Ascelin bereute es, dass er den Offizier nicht einfach beim geringsten Verdacht vor ein Gericht gestellt hatte... ,Nun... dann werde ich das eben etwas... unbürokratischer erledigen...' Der zweite Gesprächspartner war anscheinend ein total eingeschüchterter Unteroffizier. Ascelin konnte seine Angst förmlich spüren. "Sire, ich verstehe es auch nicht... Wir hatten am Ausgang mehr als ein Dutzend Kämpfer postiert!" ,Tja, Torbal - wie gewonnen, so zerronnen.' Ascelin musste grinsen. Torbals Stimme troff vor Sarkasmus. "KÄMPFER? Nulpen, Trottel, Schwächlinge oder was weiß ich - aber mit Sicherheit keine KÄMPFER!" Er holte Luft. "Wirkliche Kämpfer hätten sie bei einer Übermacht von zwölf zu zwei nicht einfach fliehen lassen!" Ascelin war einerseits erschrocken, dass einer seiner Offiziere sich derartig gehen ließ, andererseits konnte er sich der Komik der Situation auch nicht völlig entziehen. ,Immerhin bin ich ja gar nicht weg - sondern nur einen knappen Meter von dir entfernt, Torbal...' Dieser schäumte vor Wut. "Wenn ich nicht jeden Scheiß selbst erledige oder euch Nieten bei jedem gottverdammten Handgriff über die Schulter starre, wird hier nichts, aber wirklich gar nichts Vernünftiges zustande gebracht!" Der Unteroffizier andererseits schien der Verzweiflung nahe und versuchte stammelnd, sich zu rechtfertigen. "Hauptmann... Ich..." "HALT'S MAUL, DU ARSCH!" schrie der Angesprochene. Es erschien Ascelin, als hätte Torbal Angst... Er überlegte, ob er Torbal vielleicht einen Grund liefern sollte, Angst zu haben, als er mit einem Male Schritte vernahm, die sich von der Treppe her der Waffenkammer näherten. Schwer knallten die eisenbewehrten Stiefel von zwei weiteren Kämpfern auf den steinernen Boden, bis sie direkt vor der Türe halt machten. Einer der Neuankömmlinge erhob das Wort und seine Stimme klang kalt wie Eis und gleichzeitig hart wie Granit. "Hauptmann Torbal, Lord Goeran wünscht euch zu sprechen!" "Ja, verdammt - ihr seht doch, dass ich beschäftigt bin." bellte der Offizier. Ascelin beschlich das Gefühl, dass dies keine angemessene Antwort war. Und er sollte Recht behalten. "Lord Goeran wünscht euch zu sprechen. Sofort, Leutnant Torbal." Diesmal klang die Stimme nicht nur kalt und hart - nebenbei hatte sie auch noch einen Unterton, der so scharf war, dass er vermutlich ohne große Mühe durch eine Kettenrüstung schneiden würde. Die Schritte entfernten sich wieder, stampften in Richtung der Treppe davon. ,Eine reife Leistung - ohne die Stimme zu erheben derartig schneidend und bedrohlich zu klingen. Und ihn darüber hinaus in einem Nebensatz zu degradieren.' Der Elf war ehrlich beeindruckt. ...was auf Torbal anscheinend nicht zutraf. Dieser schien vielmehr gehörig Angst zu haben. "Was stehst du hier so dumm in der Gegend herum?" schrie er den immer noch anwesenden Unteroffizier an. ,Für den armen Kerl muss die Degradierung Torbals eine Genugtuung sondergleichen gewesen sein...' dachte Ascelin belustigt. "Beweg' endlich deinen widerlichen, fetten Arsch und liefere mir diesen dummdreisten Elf!" Es war Ascelin, als würde sich Torbals Stimme überschlagen wollen. "Jawohl, Leutnant, ich werde mich umgehend darum kümmern!" Nach einem kurzen Augenblick entfernten sich einmal mehr Schritte von der Tür - der Elf vermutete, dass es sich um den Unteroffizier handelte, der mit Sicherheit froh war, aus Torbals Nähe zu entkommen. Doch dieser schien es sich anders überlegt zu haben. "Feldwebel! " Die Schritte verstummten. "Ja, Leutnant?" Ascelin meinte eine Spur Unsicherheit in der Stimme des Unteroffiziers zu vernehmen. "Komm her! Sofort!" Wieder näherten sich die Schritte der Tür. Ascelin packte sein Schwert und das Stilett etwas fester, da ihm schon schwante, was jetzt passieren würde. "Feldwebel, ich glaube, wir müssen uns unterhalten..." Torbal war die Freundlichkeit in Person. Ascelin konnte förmlich sehen, wie er einen Arm um die Schultern des Unteroffiziers legte und ihm zuredete... ,Während die andere Hand an den Gürtel zum Dolch wandert...' Der Lord von Er'schabach klemmte sein Schwert unter den linken Arm und bewegte dann langsam seine Schwerthand zur Klinke der Tür... "Feldwebel, es scheint Euch ja geradezu gefallen zu haben, dass die Serfaltim mich degradiert haben..." Seine Stimme schien zuckersüß. ,Oh oh... das geht schief...' Ascelins Hand lag auf der Klinke, bereit, sie herunterzudrücken und die Geheimtür aufzureissen. Der Unteroffizier erwiderte nichts. "Nun, Feldwebel... Da ihr euch so herrlich amüsiert, möchte ich natürlich auch nicht zurückstehen..." Der Elf drückte langsam die Klinke herunter. "... und werde mir nun auch etwas Freude gönnen." ,Ich ahne schon, was diese Freude sein soll...' Ascelin zog die Türe langsam nach innen auf, immer bemüht, leise zu sein. "Feldwebel, ich vermute, Ihr wollt wissen, welche Art der Freude mir so vorschwebt..." Der Spalt in der Tür war mittlerweile gerade breit genug, dass Ascelin hindurchspähen konnte. Er sah Torbal, wie er tatsächlich mit dem linken Arm um die Schulter des Unteroffiziers mit dem Rücken zu ihm direkt vor der Tür im Gang stand. Sein rechter Arm nestelte hinter seinem Rücken am Gürtel und löste den dort befestigten Dolch, während er noch immer auf seinen Untergebenen einredete. "Nun, ich werde eure Neugier gleich befriedigen. Doch lasst mich vorerst etwas ausholen..." Ascelin stellte seinen Fuß in die Lücke und drückte mit ihm die Tür vorsichtig weiter auf, während er das Schwert wieder zur Hand nahm. "Feldwebel, ich bin ein Mann einfacher Freuden. Ein einfacher Soldat, zufrieden mit meinem Leben... Oder zumindest wäre ich das, wenn nicht... Ja, wenn nicht die Inkompetenz meiner Untergebenen mir ständig einen Strich durch die Rechnung machen würde..." Der Hauptmann - ,nein, der ehemalige Hauptmann' korrigierte sich Ascelin nicht ohne Befriedigung - schob den anderen langsam in Richtung der Treppe, während er seine Hand mit dem unterdessen vom Gürtel gelösten Dolch noch immer hinter dem Rücken verborgen hielt. "Doch eigentlich ist das nicht ganz so schlimm wie es mir anfangs schien, gibt es mir doch die Möglichkeit, etwas häufiger einigen meiner... nun... speziellen Freuden zu frönen..." "Leutnant Torbal, welche Art von... Freuden meint ihr?" fragte der Feldwebel ängstlich. ,Ich weiß, was der Arsch vorhat...' Ascelin hatte die Tür nun vollständig geöffnet und trat leise durch die Öffnung als der Offizier den anderen Soldaten anschrie. "HABE ICH DIR ERLAUBT ZU SPRECHEN, ABSCHAUM?" Torbals Hand, welche hinter seinem Rücken den Dolch hielt, verkrampfte sich in seiner Wut derart stark, dass die Knöchel weiß hervortraten. Er räusperte sich kurz, dann fuhr er wieder mit honigsüßer Stimme fort. "Nein, ich hatte Euch nicht erlaubt zu sprechen - also unterbrecht mich nicht!" Er hielt inne. Ascelin näherte sich langsam den beiden, Schwert und Stilett kampfbereit erhoben. "Bevor Ihr mich so ungehörig unterbrochen habt, wollte ich Euch gerade erklären, welche Art des Amüsements ich bevorzuge, mein lieber Feldwebel..." Er schöpfte kurz Atem, dann fuhr er fort. "Nun... Ich bin ein Anhänger der Astrologie, müsst Ihr wissen... Und besonders angetan hat es mir..." Mit einem Satz sprang er hinter den Soldaten und hielt ihm den Dolch an die Kehle. Ascelin hatte sich unterdessen noch einige Schritte an die beiden herangepirscht und stand nun kaum mehr als eine Armeslänge von ihnen entfernt. "... die Bluttechnik, die es ermöglicht, aus den Eingeweiden eines Menschen..." Ascelin hob das Stilett noch einige Zentimeter höher und begann, auszuholen... "...sowie aus der Art, wie das Blut aus seiner Kehle spritzt, ein Horoskop für diese Person zu erstellen..." Der Elf stach zu und rammte das Stilett seitlich in Torbals Hals. "Ja - doch dummerweise kann diese Person nichts mehr mit dem Horoskop anfangen, nicht wahr, Torbal?" Der Offizier röchelte überrascht, dann entglitt der Dolch seinen Fingern und er stürzte zu Boden. Im Fallen hob er die Hände an den Hals und versuchte, den Strom sattroten Blutes aufzuhalten, der diesem entsprang. "Na, dein Horoskop jedenfalls offenbart einen Scheißtag... Vielleicht solltest du dich etwas ausruhen... Immerhin warst du oben in der Halle auch nicht gerade erfolgreich..." Ascelin nahm das Schwert und berührte damit sachte den Rücken des Feldwebels, der, überrascht von dieser Wendung, wie versteinert noch immer mit dem Rücken zu ihm stand. "Nun gut, Feldwebel... Wollt ihr euch ihm anschließen oder nicht?" Der Unteroffizier konnte seine Überraschung nicht verbergen. "Lord... Lord Formain? Kann es sein?" "Lebendig, wie Ihr seht... Mhh... Nein, wie Ihr sehen würdet, wenn Ihr die Güte hättet, Euch umzudrehen..." Langsam drehte der Soldat sich um. "Lord Formain... Ich dachte, Ihr wäret geflohen..." Er bewegte vorsichtig die Hand zum Gürtel, in Richtung des Dolches, der dort in seiner Scheide stak. "Feldwebel, ich würde das lassen..." warnte Ascelin den Mann, doch es war bereits zu spät. Mit einem Aufschrei riss der Soldat seinen Dolch vom Gürtel und wollte sich auf Ascelin stürzen. Dieser wich einen Schritt zurück und trennte ihm ohne weiter zu zögern mit einem einzigen kraftvollen Schlag seines Kurzschwertes den Kopf von den Schultern. "Verdammter Narr! Was hast du Idiot dir dabei gedacht?" Ascelin sprang zurück, um dem Schwall Blut auszuweichen, der sich aus dem Hals des ehemaligen Unteroffiziers seiner Burgwache ergoss. Dann bückte er sich und zog das Stilett aus Torbals Hals, um es anschließend ebenso wie das Schwert an den Kleidern der beiden Soldaten zu reinigen. ,So eine Sauerei... Und ich hatte die Waffen gerade erst gesäubert...' Nachdem er die Klingen sorgsam gereinigt und sie wieder an seinem Gürtel verstaut hatte, machte er sich auf, weiter in die Burg vorzudringen. ,Nicht, dass noch irgend jemand nach Torbal sucht...' Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)