Schattenspinner von Tamy-kitsune (Im Spinnennetz düsterer Magie) ================================================================================ Prolog: Über die Geschichte --------------------------- "Schattenspinner" ist eine Elfquest-Geschichte, die zwischen 2000 und 2003 für einen Offline-Holt entstanden ist, die Erzählung findet sich also nicht im Netz, sondern nur in den entsprechenden Fanzines. Der Hain der Schattentänzer ist ein gemischter Stamm von zumeist reinblütigen Elfen, zu denen aber auch Wolfsreiter gefunden haben, und das ganze spielt etwa zu Beginn der ersten Quest. Berühungspunkte mit der Saga gibt es nicht. Die Erzählung ist abgeschlossen, und ich werde die entsprechenden Teile nach und nach in den nächsten Wochen posten. Viel Spaß beim Lesen! Tamy-kitsune Kapitel 1: Schattenträumer -------------------------- Der hochgewachsene dunkelhaarige Elf steht inmitten des Unwetters. Die heftigen Windböen zerzausen sein Haar und wirbeln seine Kleidung auf, Doch er lacht den Blitzen und dem Donner nur entgegen und streckt die Arme aus. "Ich habe keine Angst vor Gewittern. Was sind denn schon die paar Blitze und der Donner! Ich werde mich nie davor fürchten, hörst du!" Ein in seiner Nähe einschlagender Blitz taucht den Hügel im nächsten Moment in grelles Licht und setzt trockenes Dornengestrüpp an seinem Fuß in Brand. Der unmittelbar folgende Donner übertönt beinahe die andere Stimme. "... laß den Unsinn und komm zwischen die Bäume! Ich habe es nicht so gemeint!" Der Elf nimmt die Warnung jedoch nicht ernst und tanzt im unwirklichen Licht der nächsten Blitze. "Ich habe mich niemals vor Gewittern versteckt, siehst du das jetzt ein?" Doch er bekommt keine Antwort mehr. Im wechselnden Licht entdeckt er den davonlaufenden Schatten eines Elfen. Triumphierend stützt er die Hände in die Hüften. "Wer ist nun das Hasenherz?" Im nächsten Augenblick zuckt ein Blitz dicht neben ihm herab. Dann noch einer! Der dunkelhaarige Elf hebt den Kopf und reißt die Augen weit auf. Sein Instinkt schreit nach Flucht - wegzulaufen, die Beine in die Hand zu nehmen, aber es ist zu spät. Dann erfaßt ihn heftiger Schmerz. Brennt sich in seine Schläfen. Seine Wangen. Seinen Kopf. Flammen. Gleißendes Licht tanzt um ihn. Feuer verbrennt ihn... "Nein!" Schweißüberströmt und nach Luft ringend schreckte Schattenspinner aus dem Schlaf hoch. Zitternd lauschte er in die nächtliche Dunkelheit hinaus, doch der Donner, den er einen Moment zu hören geglaubt hatte, war wohl nur Einbildung gewesen. Mit aufgerissenen Augen sah er in die Dunkelheit. Durch die Blätter des Buschwerks unter dem er sein Lager aufgeschlagen hatte, schimmerte der sternenklare Nachthimmel. Die beiden Monde waren noch nicht aufgegangen. Um ihn herum herrschte der übliche Lärm, den die Nachttiere verursachten, Rascheln, Knistern, Fiepen, dann und wann der Ruf eines Käuzchens.... Der dunkelhaarige Elf setzte sich auf und zog die Beine an den Körper. Er zuckte kurz zusammen, als sich ein warmer Körper an ihn kuschelte. Gedankenverloren streichelte er den jungen Marder, den er erst im letzen Winter aufgepäppelt hatte und stützte den Kopf in die andere Hand. Dabei spürte er die rauhen, wulstige Narben, die von den Schläfen bis hinunter zu den Wangen verliefen und stieß einen schmerzerfüllten Laut aus. Sein Traum konnte nicht wahr sein. Niemals. Er würde doch niemals so leichtsinnig sein, das Unheil herauszufordern. Allerdings träumte er nicht zum ersten Mal davon. Der Alptraum existierte so lange er sich zurück erinnern konnte. Schattenspinner holte tief Luft und schüttelte dann den Kopf, um sich von den düsteren Gedanken zu lösen. Er würde sich an nicht mehr als die Bilder des Traums erkennen. Selbst die Heiler auf die er gestoßen war, hatten ihm nur wenig helfen können - gerade einmal die Wunden so geschlossen, daß sie nicht mehr nässen und eitern konnten. Aber die Erinnerung vermochte ihm keiner zurückzugeben. Für diese Narben gab es keine Heilung mehr. Dann lehnte er sich zurück und spürte die rauhe Borke des Baumes in seinem Rücken. Ein tiefes Gefühl des Verlustes erfüllte ihn. Mehrere hundert Wechsel der Jahreszeiten irrte er bereits umher, doch all seine Erlebnisse waren von den Fragen, wer er war, und wodurch er so schwer verletzt wurde, überschattet. Schattenspinner schloß die Augen und krallte die Hände in die Erde. Er konnte sich nur an schreckliche Schmerzen erinnern und was danach geschehen war. Wie lange er verwirrt und krank durch die Wälder geirrt war, vermochte er nicht zu sagen... er erinnerte sich erst wieder an die versprengte Elfengruppe, die ihn wieder aufgepäppelt hatte. Wie so viele andere später hatte er auch sie verlassen. Schweiß trat auf seine Stirn, als er sich verkrampfte und nach den wenigen Bildern suchte, die ihm jenseits des Schmerzes erhalten geblieben waren. Ein goldlockiges Elfenkind, das ihm vor Freude quietschend in die Arme springt - der schönen Elfe so ähnlich, die sich in seine Arme schmiegt - die Ahnung eines ... /YL, /YL, /YL ... hämmernder Schmerz in seinen Schläfen zwang Schattenspinner damit aufzuhören. "Ich kann nicht ..." murmelte er rauh während ihm die Tränen in die Augen schossen. Auch sein Kiefer war durch die Verletzung so zerstört worden, daß er kaum mehr reden und nur unter Schmerzen essen konnte. Er versuchte das zu verbergen, spürte die Pein dadurch jedoch nur um so mehr. Schattenspinner sprang auf die Beine und ging ein paar Schritte hinaus auf die Lichtung um sich wieder zu beruhigen. Das Pochen in seinen Schläfen verebbte, während ihn ein kühler Wind umschmeichelte. Er war lange genug durch die Gegend gewandert, um die Natur um ihn herum deuten zu können. Die Tiergeräusche waren ihm vertraut, ebenso der Geruch der Pflanzen. Plötzlich horchte der Elf auf. Spielten ihm seine Sinne einen Streich? Nein, das Heulen aus der Richtung, in der die Berge mit den weißen Gipfeln lagen, die ihm schon seit Tagen den Weg wiesen, stammte nicht nur aus wölfischen Kehlen. Schattenspinner kniff die Augen zusammen. Ja, er erinnerte sich allzu gut an sein Aufeinandertreffen mit tierblütigen Elfen, deren Wesensart er nie ganz verstanden hatte, auch wenn sie ihn immer mit besonderer Freundlichkeit behandelten, auch wenn sie sonstigen Fremden eher mißtrauisch gegenüberstanden. Aber sie waren nicht die einzigen, die er im Laufe seiner Wanderungen getroffen hatte. Manchmal waren es ganze Stämme gewesen, die ihn freundlich aufgenommen hatten, dann wieder nur einzelne Familien und Einzelgänger wie er. Schattenspinner seufzte. Er hatte es niemals lange mit diesen Elfen aushalten können. Ein paar Tage, vielleicht auch Wechsel der Jahreszeiten, dann war seine Unruhe zu groß geworden. Er wußte nicht, nach was er eigentlich suchte, nur, daß er sich bei all diesen Stämmen und Familien nicht heimisch fühlen konnte und wollte. Irgendwann war das Gefühl, fehl am Platz zu sein zurückgekehrt. Schattenspinner konnte nicht einfach aufhören nach seiner Vergangenheit zu suchen, und lernen, mit der großen Leere in seinem Kopf zu leben, so sehr er es auch versucht hatte. Sollte er in die Richtung wandern, aus der die Stimmen gekommen waren, oder lieber einen großen Bogen um die Berge machen? Der dunkelhaarige Elf wischte sich über die Stirn. Das konnte er morgen überlegen, wenn er ausgeschlafen hatte, nicht jetzt, wo er noch unter den Nachwirkungen des Alptraums litt. * * * Schattenspinner beschloß den Fluß zu meiden, nachdem er die ersten Spuren menschlicher Besiedlung entdeckt hatte. Er war in Richtung der Berge tiefer in den dichten Mischwald ausgewichen. Es erschien ihm sicherer, denn seine Wanderungen hatten ihn gelehrt, das die Fünffinger immer mit Vorsicht zu behandeln waren, auch wenn sie friedlich schienen. Der dunkelhaarige Elf pirschte vorsichtig durch den Wald. Jedes Geräusch ließ ihn innehalten, denn er wollte niemandem begegnen. Schon gar nicht anderen Elfen. Nachdem er sich am Morgen nicht besser gefühlt hatte, war die Entscheidung leicht gefallen, um diesen Stamm einen Bogen zu machen. Schattenspinner kletterte vorsichtig über einen Baumstamm, balancierte über das moosbewachsene Holz um Dornengestrüpp zu entgehen, und spähte dann durch das Gebüsch auf die vor ihm liegende Lichtung. Im nächsten Moment hielt er sich erschreckt fest. Sein Herz hatte beim Anblick eines Felsens, der durch einen Baum gespalten worden war, einen heftigen Satz gemacht. Ein Baum? Der hätte doch nicht mehr als ein... Der Elf hatte keine Zeit mehr über die Empfindung nachzudenken, als er helle Stimmen und Lachen vernahm. Angespannt duckte er sich und atmete nur noch flach. Die fremden Elfen sollten ihn nicht entdecken. Er drückte den Marder, der neugierig aus der Tasche lugte zurück und preßte die Lippen aufeinander. Die Aufregung ließ ihn heftig zittern. Eine Schar von Elfen überquerte die Lichtung. Mit Köchern auf den Rücken, Bögen und Speeren in der Hand. Eine junge blonde Elfe neckte gerade die neben ihr gehende, wesentlich ältere Jägerin, die sich nur ein leichtes Lächeln entlocken ließ. Ihre helle Stimme übertönte das Zwitschern eines frechen Vogels, der sich auf einem Ast über Schattenspinner niedergelassen hatte. "Flammentanz, du mußt unbedingt ..." Schattenspinner duckte sich tiefer und hielt die Luft an, als einer aus der Schar kurz stehen blieb und einen Moment in seine Richtung blickte, dann aber mit verwirrtem Gesichtsausdruck den Kopf schüttelte und sich den anderen wieder anschloß. "War dort was im Gebüsch?" "Ich weiß nicht so recht. Vermutlich nur irgend ein großes Tier!" war das letzte, was Schattenspinner vernahm. Sobald er nichts mehr von den Jägern hörte, kletterte der dunkelhaarige Elf von dem Stamm und rückte den Stirnreif zurecht. Er holte tief Luft. Plötzlich kam ihm sein Verhalten ziemlich albern vor. Warum verbarg er sich vor Mitgliedern seines Volkes, seiner Rasse? Warum hörte er nicht auf zu zittern? Hier stimmte etwas nicht! Schattenspinner hob die Hand zu den Schläfen, die wieder angefangen hatten zu pochen und zwang sich zur Ruhe. Das bestärkte seinen Beschluß, diese Gegend noch schneller zu verlassen. So wanderte der Elf hastig weiter. Sollten die anderen doch seine Spuren entdecken und rätseln, wer die hinterlassen hatte, wenn er nur schnell hier fort kam. * Warum versteckst du dich, einsamer Wanderer? Was macht dir so Furcht? Etwa wir? * fragte eine Stimme mit gelassener Neugier plötzlich in seinem Geist. Schattenspinner blieb wie vom Blitz getroffen stehen. Sein Kopf flog hoch, als er den Klang einer Flöte hoch in den Ästen über ihn vernahm. Und da saß der Besitzer der Stimme und musterte ihn mit bernsteinfarbenen Augen. Es war ein langgliedriger und hochgewachsener Elf mit langen goldbraunen Haaren, der ihn neugierig musterte. * Nein! * erwiderte Schattenspinner schroff, während seine Rechte die Riemen der Tasche umklammerte. Ihm liefen kalte und heiße Schauer über den Rücken, und er hatte das Gefühl, sein Haar würde sich wie das Fell einer Katze sträuben. *Mir ist nur nicht nach Gesellschaft. Ich bin ein Einzelgänger, der in Ruhe gelassen werden möchte.* *Bist du dir da wirklich sicher?* fragte der andere zurück. *Deine Verwirrung und Angst kann ich bis hier oben spüren. Mit dir ist etwas nicht in Ordnung.* *Das geht dich nichts an!* sendete Schattenspinner heftig zurück. *Und jetzt laß mich in Ruhe meines Weges ziehen!* Er wandte sich hastig ab, ging ein paar Schritte, blieb dann jedoch stehen und senkte den Kopf. Warum wollte er unbedingt fortlaufen? Was verwirrte ihn so, und ließ ihn so unvernünftig verhalten, wie ein kleines Elfenkind, das sich vor der Strafe für einen frechen Streich fürchtete? *Fremder?* Schattenspinner sah über die Schultern zurück, und beobachtete, wie der andere geschickt von seinem hohen Sitzplatz herunterkletterte und auf ihn zuging. Er überragte ihn um etwa einen Kopf, und war schmal gebaut wie ein Hoher oder Erstgeborener. "Du siehst krank aus!" bemerkte er mit angenehmer Stimme. Jetzt erst fiel dem dunkelhaarigen Elfen das merkwürdige Zeichen an der Schläfe auf. Unwillkürlich fuhr seine Hand zu der eigenen, verunstalteten Wange. Im letzten Moment ließ Schattenspinner den Arm wieder sinken. Eine Geste, die dem Elfen, der ihn um einen guten halben Kopf überragte, ein Stirnrunzeln entlockte. "Ich bin Loyahm Goldfederfell vom Stamm der Schattentänzer!" stellte er sich nun endlich vor. *Mein Name ist Schattenspinner, und ich habe meinen Stamm vor vielen Wechseln der Jahreszeiten verloren!* Der goldhaarige Elf runzelte die Stirn, weil Schattenspinner weiter vorzog zu senden. "Das scheint das Schicksal vieler Wanderer zu sein, die zu uns kommen. Was führt dich in diese Gegend?" Schattenspinner antwortete nicht sofort. Erst als er seine widersprüchlichen Gefühle wieder im Griff hatte, entgegnete er: *Ich weiß es nicht. Ich habe keine Gründe und kein besonderes Ziel.* Loyahm Goldfederfell blickte ihn wieder nachdenklich an. Für einen Moment wurden seine Augen schmal und Schattenspinner hatte das Gefühl, bis in die Tiefen seiner Seele durchschaut zu werden. "Du bist wirklich der seltsamste Wanderer, der mir je begegnet ist!" meinte er. "Aber du wirkst auch erschöpft und krank. Wenn du willst, kann sich unsere Heilerin um dich kümmern, zumindest solltest du dich einige Tage bei uns erholen, ehe du weiterziehst." Schattenspinner presste unschlüssig die Lippen aufeinander und kraulte Squirrit, der aus der Tasche aufgetaucht war und es sich in seiner Armbeuge bequem gemacht hatte. Nun begann der Marder an seinem Finger zu nagen. *Ich nehme dein freundliches Angebot an!" entschied der dunkelhaarige Elf sich schließlich und versuchte zu lächeln, ließ es aber wieder sein, als der Kiefer schmerzte. Vielleicht war es besser herauszufinden, was ihn an diesem Ort so aufwühlte, als davonzulaufen! "Dann begleite mich - es ist ein langer Weg. Im Hain werde ich dich auch unserem Häuptling Ahrian Silberschwinge vorstellen!" Schattenspinner nickte und wanderte an der Seite des hochgewachsenen Elfen durch den Mischwald. Sie sprachen dabei kein Wort, aber er hatte das Gefühl, von Loyahm genau beobachtet zu werden. Und mit jedem Schritt wuchs die Anspannung in dem dunkelhaarigen Elfen. Der Blick auf die Berge und in das Flußtal hinunter - die Felsformation in Richtung der untergehenden Sonne - sie wirkten wir Augenblicke seltsam vertraut, und er vermochte nicht zu sagen, warum. Immer wieder berührte er seine pochende Stirn und rieb sich über die Augen, aber das Gefühl wich nicht, so sehr er es auch zu unterdrücken versuchte. Und so war es ihm bisher noch nirgendwo ergangen. Warum? Schattenspinner holte tief Luft. Es lag nun an ihm, das herauszufinden. * * * Nachdem sich der Neuankömmling mehr oder weniger in ein leerstehendes Nest verkrochen hatte, nachdem er die Angebote von anderen Elfen abgelehnt hatte, die den Gast aufnehmen wollten, saßen Loyahm, Ahrian und einige der Ältesten noch eine Weile zusammen, um über den Fremden zu beraten. "Ich weiß nicht. ob ich diesem Schattenspinner - was für ein seltsamer Name -trauen kann. Er verbirgt doch etwas. Er wollte uns nicht sagen, woher er kommen, und bekommt kein Wort über die Lippen, und selbst wenn er sendet, ist er einsilbig", stellte der junge Häuptling fest. "Ich bin mir auch nicht so sicher, was ich von Schattenspinner halten soll!" Loyahm stützte das Kinn auf die Hand. "Ich habe ihn - bevor ich mich zeigte - schon eine ganze Weile beobachtet. Er war zutiefst verwirrt, ja sogar ängstlich. Ich konnte einige Bilder aus seinen Gedanken auffangen ... du hast schon recht, daß mit ihm etwas nicht stimmt - aber ich glaube nicht, daß er es uns absichtlich verschweigt." "Der Ansicht bin ich auch", stimmte Brin Nachtauge zu. "Das muß mit den Narben zusammenhängen, die er unter seinem Gesichtsschmuck verbirgt. Sie müssen bis in seine Seele reichen. Habt ihr nicht beobachtet, wie oft er eine Hand zu den Schläfen hob." "Ja, das habe ich. Aber das klärt immer noch nicht die Frage, wie wir uns ihm gegenüber verhalten sollen!" warf Ahrian wieder ein. "Ich werde weiter ein Augen auf ihn haben!" Loyahm runzelte die Stirn. "Denn mich haben noch ein paar andere Dinge stutzig gemacht." "Welche?" fragte ein anderer Elf neugierig. "Ich habe das Gefühl, diesen Schattenspinner zu kennen. Ich kann euch nicht genau sagen, warum und wie, aber ich habe eine Ahnung, die ich noch nicht ganz in Worte fassen kann: Aber ich vermute, er ist einer von uns..." Kapitel 2: Splitter der Vergangenheit ------------------------------------- "Das ist der Fremde, den Loyahm gestern mitgebracht haben soll." Neugierig folgte Sonnenlanzes Blick dem Elfen, der quer über die kleine Lichtung wanderte. "Die anderen tuscheln schon über ihn. Sie sagen, daß er nicht spricht, sondern nur sendet, und er wirke ziemlich verschlossen und düster." Die hellgrauen Augen ihres derzeitigen Liebesgefährten Alec Singvogel nahmen einen grünlicheren Ton an, während er den Elfen mit den langen welligen dunkelbraunen Haaren betrachtete, der mittlerweile das Feuer erreicht hatte, und um Essen zu bitten schien. Er wirkte in seiner einfachen, in Erdfarben gehaltenen Kleidung recht unscheinbar, das auffälligste an dem Neuankömmling war noch der aufwendige Gesichtsschmuck: An einem Reif aus gebogenem Holz, der das Haar aus der Stirn hielt, waren Perlen und Federn befestigt - und Schnüre, die mit den weißen Haarsträhnen an seinen Schläfen verflochten schienen. Die gebräunte Haut und die geschmeidigen, achtsamen Bewegungen verrieten, daß er lange auf Wanderschaft gewesen war." Alecs Augen wurden schmaler, während Sonnenlanze weitersprach. "Sie sagen auch, er nenne sich Schattenspinner, und er wisse nicht, woher er käme. Puh, was für ein unheimlicher Name." "Hm!" murmelte der Barde und Geschichtenerzähler. "Aber diese Name paßt zu ihm. Ich spüre, die Schatten aus Furcht und Verwirrung, die er um sich webt. Er muß etwas so schreckliches erlebt haben, daß es tiefe Wunden in seiner Seele hinterlassen hat." "Oh! Willst du dich um ihn kümmern und herausfinden, was mit ihm los ist?" "Zumindest möchte ich ihn kennenlernen, denke ich." * * * * Danke für das Beerenmus! * Schattenspinner nickte der Elfe mit den langen glutfarbenen Haaren im weißen Lederkleid, die ihm die Schale gereicht hatte, freundlich zu und kostete vorsichtig. Heute fühlte er sich wesentlich besser als am vergangenen Tag. Seine Anspannung hatte sich ein wenig gelegt, und er hatte wider Erwarten besser geschlafen, als jemals zuvor bei einem anderen Stamm. * Du bist der Neuankömmling, Schattenspinner, nicht wahr?* Die Elfe lächelte ihn freundlich an. * Ich bin Iala Morgenlicht! Wie fühlst du dich? * Es schien das natürlichste von der Welt für sie zu sein zu senden. *Ich habe gut geschlafen und mich erholt!* entgegnete Schattenspinner nachdenklich und wandte den Blick von Iala, als eine Jägerschar an ihnen vorübereilte. Die Elfen warfen ihm neugierige und mißtrauische Blicke zu, aber das war er schon gewohnt. Als geheimnisvoller Neuankömmling würde er wie so oft Rede und Antwort stehen müssen, wer er war, und woher er kam. Das würde nicht ausbleiben. Er aß etwas mehr von dem Beerenmus. *Das ist sehr gut*, stellte er fest, um sich abzulenken, und die Elfe in ein Gespräch über andere Dinge zu verwickeln, ehe sie vielleicht neugierige Fragen stellte. *Aber kennst du Grünblatt? Das verstärkt die Fruchtigkeit der Beeren.* *Ich habe wohl ein großes Wissen über Pflanzen, aber die kenne ich nicht*, weckte er ganz offensichtlich das Interesse der Elfe. *Kannst du mir sie beschreiben? Und mit was ist eigentlich die Borte an deinem Hemd gefärbt. So eine Farbe habe ich noch nie gesehen.* Sie hob die Hand und deutete an die Stelle, die sie meinte. Dajin hob die Hand zum Halsausschnitt. *Ach, diese Farbe habe ich aus einer Pflanze hergestellt, die an die Ufer des weiten Wassers angespült wurde.* *Du hast sie selber hergestellt? Dann hast du auch einiges Wissen über Pflanzen, habe ich recht?* *Oh, nur das wenige, was ich mir in den Jahren der Wanderschaft angeeignet habe. Oft genug hing mein Leben davon ab. Und später habe ich auch die färbende Wirkung von Pflanzensäften entdeckt. Besonders leuchtend wird dieses Grün, wenn du ...* Ehe er sich versah, war er mit der Elfe in ein lautloses Gespräch vertieft. Sie verfolgte aufmerksam jedes seiner Worte und stellte nur dann und wann gezielte Fragen oder ergänzte sein Wissen mit ihren eigenen Erfahrungen. Schattenspinner begann, Vertrauen zu ihr zu fassen. Das Senden erlaubte keine Lügen oder Verstellung der Gefühle, und Iala meinte ihr Interesse und ihre Aufmerksamkeit ehrlich. Sie saßen weiter am Feuer, während die Sonnenstrahlen über den Waldboden wanderten und immer neue Muster warfen, dann und wann von einem Elfen beobachtet, der zufällig des Weges kam, und Fetzen des Gesprächs zu erhaschen suchte und weiter ging, wenn es ihm zu langweilig erschien. *Willst du mir nicht beim Zubereiten des Essens helfen?* lud Iala ihn schließlich ein. Schattenspinner zögerte. *Warum eigentlich nicht?* Dann drehte er sich plötzlich um und sah zu einem Baum hoch, auf dem jemand Flöte zu spielen begann. Schlagartig wich das zaghafte Lächeln aus seinem Gesicht und machte wieder der verschlossenen Miene Platz. *Nein, besser nicht!* erklärte er dann schroff. *Ich packe besser meine Sachen und verschwinde von hier!* *Warte - warum denn?* Iala schien verwirrt zu sein. *Loyahm meint es nicht böse! Du solltest besser mit ihm reden!* *Nein!* Schattenspinner drehte sich nicht mehr um sondern beschleunigte seinen Schritt. Er hatte zuviel Respekt vor den Erstgeborenen, besonders, wenn er ... er ... Stöhnend lehnte sich Schattenspinner gegen einen Baum und hob die Hände an die Schläfen, als das Pochen so heftig wurde, daß er nur noch dunkle Flecken vor den Augen sah. Angestrengt versuchte er den Schmerz zu bekämpfen, den er nur all zu gut kannte. Der trat immer auf diese Weise auf, wenn er versuchte, verlorene Erinnerungen zu erhaschen. So wie jetzt. Für einen kurzen Moment nur sah er in vor Zorn leuchtende goldene Augen. "Du bringst den Stamm in Gefahr, wenn du das noch einmal machst, du Leichtfuß! Weißt du, welches Übel du mit deinem Leichtsinn hervorrufen kannst?" Schmale Hände, die ihn festhielten und dann seine Wange berührten. "Warum trägst du dieses Zeichen, wenn du seiner nicht würdig bist? Nimm Vernunft an! Ich warne dich ein letztes Mal!" Das Pochen ebbte ab. Schattenspinner ließ die Hände sinken und senkte den Kopf. Seine Unruhe war wieder da. Eine Hälfte von ihm, rief danach, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden, um des Schmerzes ledig zu sein, die andere aber riet ihm, da zu bleiben und herauszufinden, was ihn so aufwühlte. Ich muß über alles nachdenken - aber das kann ich nicht, wenn ich dauernd von irgend jemandem aufgestöbert oder gestört werde. Ich brauche einen Ort, an dem ich allein bin, an dem mich niemand finden kann... Wie von selbst führten ihn seine Schritte von den Nestern und Wurzelbehausungen der Elfen dieses Stammes, aus dem Ring der Nadelbäume weg, den Hang hinauf und tiefer in den Wald. Irgendwo unter einem Felsen mit einer Spitze, die wie das Geweih eines jungen Hirschen aussah, ein Stück oberhalb des Wasserfalls gab es eine warme und trockene Höhle, die die Tiere mieden, und die schon früher ein gutes Versteck gewesen war, wenn man ihn gesucht hatte... * * * Der kleine Bewahrer schwirrte um das Feuer herum und ließ sich dann auf dem Rand eines Korbes voller Beeren nieder, um eine der süßen Früchte zu naschen. Die Vogelfeder auf dem Kopf der kleinen hellblauen Körper mit den irisierenden grünen Flügeln wippte bei jeder Bewegung, während die großen Augen aufmerksam dreinschauten. Iala betrachtete ihn mit einem Lächeln und wandte sich dann dem Ältesten, der sich zu ihr gesellt hatte. Für einen Moment sahen sie sich nur stumm an, und ihre Hände berührten sich in einer zärtlichen, kurzen Geste, während sie einander in die Augen blickten. *Du hast unseren Gast beobachtet Loyahm? Siehst du eine Gefahr für den Stamm in ihm?* Iala sah den Stammesältesten fragend an. *Ich habe mich gut mit ihm unterhalten können. Er war anfangs ein wenig einsilbig und ängstlich, vor allem, aber er ist richtig aufgetaut, als ich sein Wissen und seine Fähigkeiten ansprach.* Sie lächelte. *Er weiß einiges mehr über Farben als ich, und er kann kochen!* Loyahm nickte. "Das habe ich beobachten können. Ich dachte, er sei nun ein wenig umgänglicher als gestern. Aber ich konnte deutlich spüren, daß er sich verschloß, als er mich bemerkte. Vielleicht hätte ich ihn offener beobachten sollen, oder gleich mit ihm sprechen. Etwas stimmt nicht mit ihm. Entweder verbirgt er etwas vor uns, oder er ist krank ..." Dann wechselte der Stammesälteste zum geschlossenen Senden über. ** Und da ist noch etwas anderes, das mich beschäftigt.** **Meinst du, wegen Schattenspinner?** ** Kommt er dir nicht auch irgendwie bekannt vor? Ich spüre, daß er nicht so jung ist, wie er im Moment scheint, aber er ist auch noch nicht so alt. Ich bin mir aber immer sicherer, daß ich ihn kenne, wenngleich er sich auch sehr verändert hat!** Iala runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach. ** Jetzt wo du es sagt ... da ist etwas vertrautes an ihm ... an seinen Augen, seinem Gesicht. Aber ich kann mich nicht erinnern, einen so traurigen Elfen in unserer Mitte gesehen zu haben.** Der Bewahrer griff nach einer zweiten Beere, hielt dann aber inne, bevor er davon abbeißen konnte und blickte zu den Elfen. "Dunkel-Traurig-Hochding hat viel Weh in Kopf!" Er tippte sich an die Schläfen, während die Beere zu Boden kullerte. "Sieht Dinge in Augen, die viel Angst machen!" "Windwächter, wie meinst du das?" Der Bewahrer kam auf Loyahms Schulter geflattert und tippte ihm gegen die Wange. "Weh will nicht aufhören. Ist zu den Hörnchen-Steindingern gegangen." * * * "Nrrrrgh! Bitternüsse!" wurde Sonnenlanze, durch einen Aufschrei gewarnt und wich so dem ihr entgegen fliegenden Stück Holz aus, das sie beinahe am Kopf getroffen hätte. "Upps!" meinte die junge Elfe und wich überrascht ihrer Mutter Sonnenfängerin aus, die an ihr vorüber hastete. Sie warf ihr einen beruhigenden Blick zu: "Ist nichts passiert!" Mehr sagte sie nicht, denn ein Blick in das Gesicht ihrer Mutter verriet, daß diese allein sein wollte - aus welchen Gründen auch immer. Und ihre Tochter respektierte das. So blickte Sonnenlanze der Älteren nur nach, bis diese hinter dem Ring der Nadelbäume, die den Hain vor unliebsamen Beobachtern versteckte, verschwunden war und zuckte mit den Schultern, als Alec an ihre Seite trat, um erst ihr einen fragenden Blick zuzuwerfen, und dann, ebenso fragend, hinter der Mutter seiner Geliebten nachzusehen. Derweil trat Elea Sonnenfängerin wütend Steine und kleine Äste beiseite. Oh ja, sie war wütend! Mußte denn ein Unglück selten allein kommen? Sonnenfängerin verzog das Gesicht, als sie an den vergangenen Morgen dachte. Dabei hatte er so gut angefangen, mit einem erfrischenden Bad ... Bis sie nach ihren Kleidern gegriffen hatte... Sonnenfängerin spürte, wie sich ihre Nackenhaare bei der Erinnerung an das folgende sträubten: Da war diese widerwärtig dicke Spinne aus ihrem Hemd gekrochen! Sie hatte sich so sehr erschrocken, daß sie auf den glitschigen Steinen des Teichufers ausgerutscht und ins Wasser gefallen war. Die Stelle die sie sich zum Baden ausgesucht hatte, war nicht sehr tief gewesen - das Wasser reichte ihr gerade mal bis knapp unter die Brust, aber durch den doppelten Schrecken war sie so in Panik geraten, daß sie sich nur mit Mühe und Not an Land gerettet hatte- und erst einmal eine ganze Weile brauchte, um sich zu beruhigen. Sonnenfängerin kämpfte immer noch mit Erinnerungen, die weit schlimmer waren, als die Angst vor achtbeinigen Tieren... Mit Schaudern dachte sie an das Erlebnis vor einigen Jahren, daß sie immer noch nicht ganz verwunden hatte. Damals wäre sie beinahe ertrunken... Elea schüttelte den Kopf. So konnte das nicht weitergehen! Immerhin hatte sie sich mittlerweile so weit im Griff, daß sie sich in seichtes Gewässer wagte. In tieferes aber ... oder gar in eine Strömung ... Niemals!!! Nicht einmal, wenn ein anderer dabei wäre! Sonnenfängerin dankte den Hohen, daß sie am morgen allein gewesen war. Denn die anderen sollten nicht sehen, daß sie sich vor einfachen Spinnen und besonders vor Wasser -wenn es tief war - fürchtete. Um sich abzulenken hatte sie mit ihrem Messer eine Holzschale fertig schnitzen wollen, aber dabei war ihr dann auch noch das Messer abgerutscht. Sie konnte es fast schon Glück nennen, daß sie sich nicht geschnitten, sondern nur eine Kerbe in ihre gute Klinge geschlagen hatte... Das war allerdings genug, sich noch mehr zu ärgern! Sonnenfängerin unterdrückte ein Fluchen. Warum bekam sie ihre Ängste bloß nicht in den Griff? Sie konnte doch schwimmen! Sonnenfängerin seufzte und stapfte weiter mißmutig durch das Laub, aus der letzten Jahreszeit der fallenden Blätter. Sie mochte die Farben dieses Zeitenwechsels, aber heute brachten sie ihr wenig Freude, geschweige denn etwa Trost. Dann kletterte sie über ein paar modernde Baumstämme und einen Felsen zu ihrem Lieblingsversteck. Dort war es dämmrig trocken und warm, keine Tiere hielten sich da auf - schon gar keine Spinnen! Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Sie mochte das Versteck. Denn es war ein Geheimnis, das sie mit jemanden geteilt hatte, der schon lange nicht mehr da war. ER hatte sich immer hier versteckt, wenn er anderen Streiche gespielt hatte, und sie hatte sich später genauso hier versteckt, wenn sie alleine sein und in Ruhe gelassen werden wollte. Es war ein Geheimnis, das vor allem, wenn in der Abenddämmerung das Licht der Sonne durch einen Riß in der Decke der Höhlung fiel, seinen besonderen Zauber entfaltete - wenn die Kristalle in den eindringenden Strahlen zu leuchten begannen. "Ist das wie im Palast der Hohen?" hatte sie als Kind ihren Vater immer wieder gefragt und sich staunend in der Höhle umgesehen, fasziniert von diesem wunderschönen Anblick. Ihr VATER hatte genickt. "So stelle ich ihn mir jedenfalls vor. Licht! Hell! Wunderschön! So wie du.", sagte er oft, nahm dabei ihr Kinn in die Hand und sah ihr fest in die Augen- voller Liebe und Zuneigung. Sonnenfängerin seufzte traurig. Wie oft hatte sie sich später - als er nicht mehr da war, daran erinnert. In Augenblicken wie diesen fehlte er ihr sehr! Vater hätte mich in die Arme genommen oder versucht mich mit einem seiner Scherze, Streiche aufzumuntern. Er hätte mir geholfen mit meinen Ängsten fertigzu werden. Vielleicht sollte sie doch einmal mit Loyahm reden?! Bisher hatte sie nicht viel über ihre Reise geredet und es hatte sie auch nie jemand dazu genötigt. Sicher, nachgefragt hatten sie, aber nie gezwungen. Jeder hatte akzeptiert, wenn sie nicht darüber reden wollte. Das was sie erzählte genügte. Es würde vielleicht ganz gut tun, einmal über gewisse Dinge zu sprechen...... Oh, könnte sie doch nur mit ihrem Varter reden !!!!!! Mit diesen wehmütigen Gedanken erreichte Sonnenfängerin den Spalt und kroch in den Innenraum. Deshalb bedeutete ihr dieser Ort auch so viel: weil die Erinnerungen an ihren Vater dort so lebendig waren... Es war das einzige, was ihr von ihren Vater ... und ihrer Mutter, die seinen Tod nicht überlebt hatte, geblieben war. Nachdenklich und immer noch etwas mürrisch wollte sie sich an den kühlen Felsen kuscheln und einfach erst einmal an nichts mehr denken, als an die schönen, so lange vergangenen Zeiten, da ließ sie ein Geräusch aufhorchen. Elea spannte sich an. Wer oder was war denn das?! Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Dämmerlicht, und nun konnte sie die Gestalt auf der anderen Seite der kleinen Höhle erkennen. Die kauerte dort mit an den Körper gezogenen Beinen und gesenktem Kopf, sich vor und zurück wiegend. Sonnenfängerin überlegte fieberhaft, wer das sein könnte. Niemand kannte diesen Ort !!! Dann konnte sie ausmachen woher das Geräusch stammte: von dem Schmuck, der an den Seiten seines Gesichts herunterhing. Die Gestalt bewegte sich nicht weiter, wiegte sich nur, schien ihr Kommen nicht bemerkt zu haben ... 'Bei den Hohen!!!' Sie erinnerte sich den scheuen Fremden am vergangenen Abend gesehen zu haben. War das nicht der einsilbige Wanderer, den Loyahm aufgegabelt hatte? Wie konnte er es wagen, sie hier zu stören, wo doch nicht einmal der Älteste die Höhle unter dem Felsen kannte! An dem so viele Elfen achtlos vorüber liefen, die hier schon ihr ganzes Leben verbrachten! Und außerdem ... "Was machst du hier?" fuhr sie den Eindringling empört an. "Wer bist du überhaupt?" Die Gestalt fuhr hoch und stieß sich beinahe den Kopf an der niedrigen Decke. Sie starrte Elea mit gehetzten, weit aufgerissenen Augen an und krächzte rauh. "Chhh... ich.......!" "Ja?" Sonnenfängrin klang etwas schärfer als sie wollte. Dieser gehetzte Blick ... Er machte sie stutzig. Besänftigte sie etwas. Der hatte ja richtig Angst! Etwas ruhiger fügte sie hinzu: "Eigentlich wollte ich hier allein sein." Als sie keine Antwort bekam, sondern nur einen weiteren gehetzten Blick, fragte sie noch einmal, sanfter, vorsichtiger:"Wieso versteckst du dich hier?" Keine Antwort. In Sonnenfängerin begann es zu arbeiten ... "Diesen Ort kannten eigentlich nur mein Vater- und ich ..." Sonnenfängerin flüsterte es nur noch . Der Elf zuckte heftig zusammen, griff sich mit einem schmerzerfüllten Stöhnen an die Schläfen, fing sich dann aber wieder und kroch hastig, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen aus dem Spalt. "Halt, so warte doch! Ich meine es nicht böse!" Elea wollte ihn am Fuß festhalten, doch sie verfehlte ihn. Der Fremde war schneller verschwunden, als sie reagierte. Verwirrt blieb die sonnenhaarige Elfe zurück und starrte nach draußen. Ihr vorletzter Satz hallte noch immer durch ihren Kopf: Diesen Ort kannten eigentlich nur mein Vater - und ich ... nur mein Vater und ich ... mein Vater und ich ... mein Vater? Sonnenfängerin ließ sich zurücksinken und stützte das Kinn auf die Hände. Vergessen waren die Spinne und das Wasser, verflogen ihre schlechte Laune. Statt dessen war sie völlig verwirrt! Was hatte das zu bedeuten? Nicht ein Elf, der bereits sein Leben lang hier lebte, kannte diesen verborgenen Ort. Und nun kam ein Fremder, war kaum einen Tag da, und sie fand ihn in ihrem Versteck wieder! Das niemand kannte - hatte sie geglaubt ... WAS HATTE DAS IM NAMEN DER HOHEN ZU BEDEUTEN? Sonnenfängerin kämpfte mit ihren widersprüchlichen Gefühlen: einerseits Traurigkeit und Wut über den Fremden, der diesen, für sie so bedeutsamen Ort, mit seiner Anwesenheit "entweiht" hatte und andererseits, mit einem mehr als verrückten Gedanken: "Mein Vater?" murmelte sie und rieb sich über die Augen. "Das kann doch nicht sein! Er ist vor so langer Zeit bei einem Unwetter ums Leben gekommen. Mutter hat es gespürt. Es hat ihr Herz zerrissen!" Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Dann faßte Sonnenfängerin einen Entschluß. Sie erhob sich und schob sich aus dem Spalt. Sie mußte sich unbedingt bei dem Fremden für ihr ruppiges Verhalten entschuldigen, denn es tat ihr schon leid, wie sie ihn angefahren hatte, und gleichzeitig wollte sie ihn im Tageslicht genau betrachten, um herauszufinden, ob dieser verrückte Gedanke nicht einfach nur verrückt war ... sondern vielleicht auch noch ... * * * Da ist ein goldlockiges Elfenkind, das vertrauensvoll die kleinen Finger in seine Hand schiebt. "Vater, ist das wie der Palast der Hohen?" "Ja, so ungefähr stelle ich ihn mir vor!" Glitzernde Kristalle umgeben sie und ihn - gleißend wie das Licht eines Blitzes... Ein Blitz, der auf ihn hinunter rast. Greller, beißender Schmerz. Feuer, daß sich seine Wangen hinunter frißt und den Kiefer in Flammen setzt. Und... ... Hände die mit sanften Berührungen diesen Schmerz linderten, ohne wirklich zu heilen, eine sanfte Stimme, die eine Melodie sendete, die den Schmerz in seiner Seele besänftigte und dabei einen Ort der Ruhe wob. Schattenspinner öffnete die Augen, die er geschlossen hatte und fand sich in den Armen eines Elfen mit langen dunkelblonden Haaren wieder, der neben ihm auf dem Waldboden kauerte und nun besorgt zu ihm hinunterblickte. Eine Hand strich über die Narben an seiner linken Wange. Unwillkürlich fuhr die Hand des dunkelhaarigen Elfen hoch. Er umklammerte das Gelenk des anderen und krächzte: "Nein, laß das!" Dabei traten ihm die Tränen in die Augen. "Entschuldigt meine Dreistigkeit." Der andere Elf nickte und ließ die Hand wieder sinken, nachdem Schattenspinner sie losgelassen und bemerkt hatte, daß die äußere Handkante stark vernarbt war. "Aber ich habe gesehen, wie Ihr hier entlang getaumelt kamt, als habet Ihr starke Schmerzen und dann zusammengebrochen seid. Da konnte ich Euch doch nicht so einfach liegen lassen. Ich bin übrigens Alec Singvogel, und ebenso wie Ihr kein Angehöriger dieses Stammes von Geburt an." Schattenspinner holte tief Luft und barg den Kopf in den Händen. *Ich weiß nicht mehr was ich tun soll. Dieser Ort ist voll böser Magie - zumindest für mich.* *Das verstehe ich nicht so ganz. Ich habe selten eine friedlichere und beschütztere Zuflucht unseres Volkes erlebt.* erklärte der andere und legte eine Hand auf seine Schulter, während er leise eine Melodie summte. Schattenspinners erster Impuls war die Hand abzuschütteln, aber er spürte, daß die Anwesenheit des anderen ihn beruhigte. Lag das an dem Senden dieses Alec, oder dem Klang seiner Stimme? Mit einem tiefen Seufzen hob der dunkelhaarige Elf den Kopf wieder und schob den Schmuck über die Narben. *Das mag wohl sein, aber ich glaube es ist besser, wenn ich von hier fortgehe. Ich gehöre nicht hierher.* Alec half ihm auf die Beine. Dabei blickte er merkwürdig drein. *Deine Seele sagt aber etwas anderes. Ich spüre, wie entzweigerissen sie ist! Da ist einmal der Schmerz und die Erinnerung an - hast du so die Narben bekommen? - und auf der anderen Seite spüre ich aber auch, daß etwas in dir diesen Ort und die Elfen wiedererkennt...* Schattenspinner zuckte zusammen. Er wollte Alec zurückstoßen, hielt sich aber im letzten Augenblick zurück. Diesmal verebbte das Pochen in seinen Schläfen, ehe es richtig begonnen hatte und er konnte tief in sich hinein lauschen. *Bei den Hohen, wenn das wahr ist, dann ..., dann ...* *Doch du solltest nichts übereilen. Bitte begleite mich erst einmal und erhole dich von dem Schrecken. Ich wollte den Kindern ohnehin einige Lieder singen und Geschichten erzählen, vielleicht möchtest du ihnen lauschen?* Dayin nickte. *Ja. Ein wenig Ablenkung tut vielleicht gut! Aber dann muß ich mir überlegen, was ich tun soll.* Ein leichter Kopfschmerz war verblieben, und seine Gedanken noch immer in Aufruhr, aber das schwand langsam. Ja, er mußte wirklich erst einmal zur Ruhe kommen ehe er über alles nachdachte. * * * "Die Hörnchen-Steindinger Du meinst den Hörnerfelsen?" Loyahm kniff die Augen zusammen. In seinem Gesicht arbeitete es. Dann wandte er sich an Iala. "Ich glaube ... entschuldige mich einen Moment." Mit schnellen Schritten durchquerte der Erstgeborene den Hain und steuerte auf den Baum der Erinnerung, auf dem er in einem, von Selenya, seiner Tochter, geformten Nest lebte, zu, eilte am Eingang zur Halle vorbei und blieb dann vor den Bildern, die die Baumformerin in die Rinde geformt hatte, stehen. Aufgeregt, aber geduldig suchte er die Bilder ab, bis er das gefunden hatte, was er suchte - die Erinnerung an eine Tragödie, die sich vor mehr als sechshundert Wechseln der Jahreszeiten ereignet hatte. Das Bild eines lebenslustigen und manchmal mehr als leichtsinnigen jungen Elfen tauchte vor seinem inneren Augen auf. Fröhlich blitzende goldgrüne Augen unter einer wahren Mähne aus rindenbraunem Haar blickten ihn unschuldig an, als habe ihr Besitzer keinen Unfug angestellt. Ein Elfenkind, das gerne auf den spitzen Graten herum geklettert war, obwohl die Älteren es ihm verboten, und sich manchmal tagelang unauffindbar versteckt hatte. Ein junger Elf, der seine Fähigkeiten noch nicht richtig im Griff gehabt und die älteren Jäger regelmäßig zum Wahnsinn getrieben hatte, wenn seinetwegen das Wild davon geprescht war. Und die Freude, als genau diese Fähigkeiten, sie durch so manch harten Winter gebracht hatte. Der Erstgeborene legte eine Hand auf die stilisierte Gestalt eines vom Blitz getroffenen Elfen. "Schattenspinner? Vielleicht bist du dazu geworden, aber jetzt weiß ich, woher ich dich kenne", murmelte er. "Jetzt weiß ich endlich, wer du bist, du jedoch scheinst dich selber nicht mehr daran zu erinnern, Dayin Sturmtänzer." Kapitel 3: Schattenbilder ------------------------- Mein Freund ist die Nacht. Ich bewege mich in ihr wie ein Schatten, und sie verbirgt mich sicher vor den anderen und ihren noch ungestellten Fragen: Wer bist du wirklich? Hast du zu uns gehört? Warum bist du fort gegangen? Oder versuche ich nur vor meinen eigenen drängenden Fragen zu fliehen, weil ich Angst vor den Antworten habe: Wer bin ich? Wann ging ich fort? Was trieb mich in die Ferne? Und warum trage ich diese Narben? Schattenspinner legte die Hände auf die Schläfen. Hier in seinem verborgenen Unterschlupf trug er seinen Stirnschmuck nicht, so daß die wulstigen und verästelten Narben frei lagen und er sie rauh unter seinen Fingern spüren konnte. In seinem Kopf pochte der Schmerz wohl genau so heftig, wie ein Laut, der ihm so schrecklich unvollständig vorkam: YL! Was war das? Ein Teil seines ehemaligen Namens? Nein, mehr als das! Tiefe Gefühle, die genauso schnell kamen und gingen wie das Wort, verbanden sich mit dem fordernden Ruf. Und das schreckliche Gefühl des Verlustes. Schattenspinner setzte sich wieder auf und lehnte seinen Kopf gegen die rauhe Wand. Kurz zuckte er zusammen, als eine schmale Gestalt durch den Eingang huschte und blitzschnell in einem Wust von alten Blättern und Stoff verschwand. Ein zufriedenes Keckern teilte ihm mit, daß Squirrit von einer erfolgreichen Jagd zurückgekehrt war. Schattenspinner schluckte, als ein Bild vor seinen Augen erschien. Er spürte das glatte Holz eines Speers in seinen Händen und sein Herz pochte schneller in der Aufregung, sich das erste Mal bei den Jägern beweisen zu können. "Sei achtsam Welpe und sieh uns erst einmal zu, bevor du losspringst!" erklärte die Elfe mit den braungoldenen Haaren und schaute streng auf ihn herab. "Ich merke ganz deutlich, das du in der ersten Reihe stehen möchtest, aber das kommt überhaupt nicht in Frage! Du würdest das Wild nur verscheuchen!" Er knabberte verlegen an seiner Unterlippe. "Ich mache das schon nicht, keine Angst! Schließlich bin ich kein Kind mehr!" Das helle Lachen der Elfe ließ ihn beleidigt dreinschauen. 'Jetzt erst recht! Jetzt zeig ich ihnen schon, was ich kann, schließlich bin ich nicht dumm und bald schon ein besserer Jäger als die alle!' dachte er bei sich, während er brav hinter den anderen Jägern her trabte. Es ging tief in den Wald hinein - fast bis zu den Grenzen, so daß er auf die Wiesen am Fluß schauen konnte, und dann in einer scharfen Biegung wieder zwischen die Bäume und zu den Bergen hinauf. Er zitterte vor Ungeduld. Wann würden sie denn nun endlich ein Tier jagen? In diesem Moment beneidete er die Wolfsreiter, die nicht nur die Spuren suchen brachten, sondern auch im Wind wittern konnten. Die älteren Jäger wirkten allerdings um so besorgter, je mehr die Dämmerung voranschritt. *Nichts! Es ist, als habe jemand diesen Teil des Waldes verflucht. Wo ist bloß das ganze Wild hin!* sendete die Elfe offen zu den anderen. Kurz warf sie einen Blick zu ihm hinüber, so als ob er daran schuld sei. Er preßte die Lippen aufeinander. Da durchzuckte ihn von Kopf bis Fuß ein Kribbeln. Er schnappte nach Luft, wirbelte herum und stach mit seinem Speer nach einem jungen Hasen, der sich zu weit aus dem Gebüsch gewagt hatte. In diesem Moment knackte und brach das Unterholz, und ein paar Rehe sprangen aus ihrer Deckung davon, so schnell, daß keiner der Jäger ihnen folgen konnte. Die wandten sich nun lieber ihm zu und sahen ihn finster an. Verlegen hielt er ihnen das aufgespießte Tier an seinem Speer entgegen und grinste lausbübisch. "Wenigstens den haben wir... oder?" Schattenspinner keuchte und hielt sich den Kopf, als der Schmerz übermächtig wurde und ihn blendete. Erst nach einer Weile konnte er eine Hand lösen und griff nach einer der Beeren, deren Saft ihn wieder beruhigte. Sein Herz schlug bis zum Hals und pochte auch weiter so schnell, als er wieder richtig sehen konnte. Es war nicht mehr so schmerzvoll wie früher. Und er erinnerte sich an das, was er in seinem Geist gesehen hatte - es schwand nicht aus seinem Gedächtnis wie so oft zuvor. Mit großen Augen blickte er sich in der kleinen Höhle um und wischte sich dann die Tränen aus dem Gesicht. An keinem anderen Ort, an dem er für eine Weile gelebt hatte, waren die Bilder so übermächtig gewesen - nicht einmal bei dem Stamm, bei dem er es am längsten ausgehalten hatte, weil ihm deren Leben so vertraut erschienen war. Heute wußte er warum: Dieser Hain war seine Heimat. Und warum gehe ich dann nicht einfach zu dem Ältesten und frage ihn, wer ich bin, und was er über mich weiß? durchfuhr es Schattenspinner. Er müßte mich doch kennen ... oder vielleicht wiedererkennen, denn so alt wie er bin ich lange noch nicht. Loyahm Goldfederfells Bild erschien vor seinen Augen. Der hochgewachsene Erstgeborene war in diesem Stamm hochgeschätzt und die meisten Elfen achteten und schätzten seinen Rat, aber Schattenspinner hatte eine seltsame Scheu, sich ihm zu nähern. Er wußte einfach nicht warum dem so war. Hatte er vor langer Zeit vielleicht Schuld auf sich geladen? Der dunkelhaarige Elf entsann sich eines Blickes, den ihm der Älteste erst vor ein paar Tagen zugeworfen hatte und schluckte. Goldfederfell trat auf ihn zu und seine vor Zorn leuchtenden goldenen Augen funkelten ihn an. "Du bringst den Stamm in Gefahr, wenn du das noch einmal machst, du Leichtfuß! Weißt du, welches Übel du mit deinem Übermut hervorrufen kannst? Wenn die Fünffinger einen von uns fangen, dann wollen sie sicher herausfinden, wo wir uns aufhalten, und ich glaube nicht, daß du lange deinen Mund gehalten hättest. Sie sollen uns nicht entdecken, aber du forderst das Glück heraus und kletterst auf den Bäumen über einer Schar ihrer Krieger her, nur weil du meinst, keinen Umweg laufen zu müssen, weil sie dich nicht bemerken würden! Sie hätten dich ohne weiteres entdecken können!" Schmale Hände, hielten seinen Kopf fest und berührten dann seine Wangen. "Warum trägst du das Zeichen der Jäger, wenn du seiner nicht würdig bist? Nimm Vernunft an mein Junge! Ich warne dich ein letztes Mal!" "Aber ich war doch vorsichtig! Es ist nicht einmal ein Blatt runtergefallen!" verteidigte er sich verlegen und blickte dann nach unten. "Ja, du warst so vorsichtig wie ein Welpe, der in den Rachen des Bären tappt, du verrückter Kerl!" Die Jägerin mit den braungoldenen Haaren trat vor und mischte sich ein. "Überlaß ihn mir, Loyahm. Ich werde dem übermütigen Jungen schon zeigen, was passiert, wenn er nicht aufpaßt! Da kannst du sicher sein." Sie lachte wieder auf und wuschelte durch das lange, dunkle Haar des jungen Elfen, während der Älteste zunächst skeptisch blickte, dann aber mit einem Lächeln nickte. "Dir vertraue ich ihn an, weil ich weiß, daß du ihm ... Vernunft ... beibringen wirst." Und doch lag in seinen Augen eine seltsame Wehmut, der Schatten eines Verlustes... * * * Er hatte Iala versprochen, ihr ein paar würzige Pflanzen für die würzige Kräutermischung des Bratens zu bringen, den die Jäger am vergangenen Abend in den Hain gebracht hatten: einen kapitalen Hirsch, der für ein Fest reichen würde, das der Stamm heute Abend zu Ehren eines Mitgliedes feiern wollte. Schattenspinner wußte noch nicht, ob er daran teilnehmen würde, denn die Anwesenheit so vieler Elfen machte ihm noch immer zu schaffen, ihre neugierigen Blicke, und die Versuche, ein Gespräch mit ihm zu beginnen. Er seufzte. Ich kann mich nicht für immer von den anderen fern halten, wenn ich ein Teil der Schattentänzer werden will, dachte er traurig. Aber ich kann ihre Fragen nicht ertragen, so lange ich mit mir selber nicht im Reinen bin. Deshalb achtete er darauf, Sonnenfängerin aus dem Weg zu gehen, die wahrscheinlich die drängensten Fragen an ihn hatte. Er dachte nicht gerne an ihre erste Begegnung, die so viel in ihm ausgelöst hatte, denn immer dann wurden die Schmerzen in seinem Kopf besonders heftig. Schattenspinner blickte zu einer Gruppe junger Elfen hin, die sich fröhlich miteinander unterhielten. Eine blondhaarige Elfe warf sich kichernd in die Arme ihres Liebesgefährten und kuschelte sich an den Sänger, der rasch seine Harfe beiseitestellte. Alec pflegte als dritter im Bunde näheren Kontakt zu Schattenspinner, auch wenn er sich in der letzten Zeit seltener bei dem scheuen Elfen sehen ließ geworden war, weil er von seiner goldlockigen Gefährtin ganz in Beschlag genommen war. Schattenspinner nickte dem hellhaarigen Elfen kurz zu und setzte dann seinen Weg fort. Singvogel grüßte ihn ebenso und wollte auf ihn zugehen, wurde aber bereits wieder von den anderen abgelenkt, die die Köpfe zusammensteckten und tuschelten. Der dunkelhaarige Elf seufzte. Die Stimme des Sängers hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn, und ließ ihn seinen Schmerz und das ständige Pochen in seinem Kopf für kurze Zeit vergessen. Alec hatte ihm bisher jedoch nicht mehr helfen können, weil er selber erst kurze Zeit im Stamm weilte, und Schattenspinner war niemand der sich aufdrängte. Bald schon hatte er den Hain hinter sich gelassen und wanderte auf den Tierpfaden in den Wald hinein. Über ihm in den Bäumen zwitscherten die Vögel, verstummten aber nicht, weil sie spürten, daß er keine Gefahr für sie war. Der dunkelhaarige Elf wollte zu einer Lichtung, auf der er erst kürzlich die Kräuter gesehen hatte, die er suchte. Bitterwurz zusammen mit Gelbknospe würde den Geschmack des gebratenen Fleisches erhöhen, dazu Grünkraut, dessen scharfer Saft die richtige Würze geben würde. Dann blieb er plötzlich stehen und zuckte zusammen. Tränen schossen in seine Augen, diesmal jedoch nicht aus Schmerz. Wie gebannt blickte er auf die kleine Lichtung, auf den Bach, in dem sich die Sonnenstrahlen funkelnd widerspiegelten und den sonnenüberfluteten Stein. Zwei Bilder überlagerten sich. Er stand hier, und gleichzeitig lag er auf dem Stein und genoß das wärmende Licht... ... und die sanften Finger der Elfe, die zart über seine Haut strichen, so daß sich seine Haare im Nacken aufstellten. Er seufzte wohlig. "Mein kleiner frecher Welpe! Du hast so viel Unsinn im Kopf. Wie konntest du dem armen Jungen nur sein Lendentuch stehlen und dann an den dünnsten Ast binden, auf den du selber klettern konntest!" wisperte die Jägerin und schüttelte ihre wilde Haarmähne Sie lachte - doch diesmal war es nicht, um ihn zu verspotten. Ihre Augen nahmen den hellen, satten Farbton jungen Grüns an. "Tu das bloß nie wieder, sonst rupfe ich dir deine Haare einzeln aus. Ach ... du bist schon lustig ... richtig süß wie Honig ... Wenn du es nur einmal schaffen würdest, das Wild nicht zu verschrecken, dann wäre ich noch viel glücklicher ... aber ich glaube, ich weiß jetzt, was daran schuld ist!" "Mmmmmh!" Er knurrte, als die Finger über seine Brust bis hinunter zu den Lenden wanderte und dort verharrten. Federleicht tippten sie auf den flachen harten Bauch und kraulten sein weiches dunkles Vlies. "Mmmmmmhhhhhhhhhaaaaaaaaaah!" "Das wird ein hartes Stück Arbeit werden, glaube ich!" murmelte die Elfe und beugte sich zu ihm hinunter, um mit ihren Lippen sein Gesicht und seinen Hals zu kosen. Im nächsten Moment packte sie ihn und riß ihn mit sich, rollte mit den jungen Elfen mitten hinein in das weiche Gras und begann frech mit ihm zu balgen. "Deshalb sollten wir auch gleich mit den Übungen anfangen!" Ihre Hände legten sich an seine Wangen, so daß ihre Fingerspitzen seine Schläfen berührten... Schattenspinner löste die Hände von seinem Kopf und atmete heftig. Er zitterte am ganzen Leib, spürte noch immer die Erregung, die er empfunden hatte, die Freude ... und dann ein Gefühl tiefen Verlustes. Wer war diese blonde Elfe? Warum nur war sie ihm so vertraut? Er konnte sich nicht daran erinnern, sie jemals gesehen zu haben, wieder hier, noch bei einem anderen Stamm, und doch ... sie war einmal ein Teil seines Lebens gewesen! Ein wichtiger Teil! Wie die andere Hälfte einer ... Aufgewühlt wanderte Schattenspinner weiter und achtete kaum noch auf die Umgebung. Tausend wirre Gedanken huschten ihm durch den Kopf, doch keinen davon konnte er richtig erfassen, vor allem nicht, als wieder ein stechender Schmerz durch seinen Kopf fuhr und die Empfindungen vertrieb, so als ob eine höhere Macht es ihm nicht erlauben wurde, mehr darüber nachzudenken. So in Gedanken versunken achtete er nicht richtig auf den Weg - und lag schließlich lang ausgestreckt auf dem Boden. Der dumpfe Aufschlag brachte ihn wieder zur Besinnung. Der dunkelhaarige Elf setzte sich stöhnend auf und stellte fest, daß er sich sein rechter Fuß in einer Baumwurzel verfangen hatte. Das geschieht mir nur recht, dachte er und befreite sich vorsichtig aus der Stolperfalle, tastete dann den Knöchel ab. Schattenspinner verzog das Gesicht atmete dann aber auf. Das würde nicht lange weh tun. Ich sollte besser auf den Weg achten, als Träumen und wirren Bildern nachzuhängen. Er sah auf, als er ein Knacken hörte. Überrascht blickte der dunkelhaarige Elf auf ein Rehkitz, das aus seiner Deckung aufgetaucht war und sich ihm furchtlos näherte, so als habe es keine Angst. Er hielt die Luft an und spürte, wie etwas in ihm bebte. Vorsichtig streckte er die Hand aus. Es war wie schon einmal ... * Ich wollte es nicht glauben, aber es stimmt wirklich! * sendete die Elfe mit den braungoldenen Haaren und lehnte sich an ihn, während sie seine schweren Locken zerzauste. * Du hast eine Magie an dir, mit denen du den Tieren vorgaukeln kannst, als seist du eines von ihnen. Schau dir nur das Kitz an. Es hat einfach keine Furcht! Das also ist es, was die Tiere bei der Jagd immer so durcheinander gebracht hat ... du warst das! Aber jetzt, wo du besser damit zurecht kommst, kannst du uns helfen ... Liebster! * Das junge Tier stob mit zitternden Flanken davon, als er an die Elfe dachte. Für einen Augenblick roch er förmlich den Duft eines Wolfsfells in seiner Nähe. Hatte sie vielleicht zu den Wolfsreitern gehört? Denn die waren doch die besten Jäger, die er kennengelernt hatte. Schattenspinner schüttelte den Kopf. Wenn er so weitermachte, dann kam er nie auf der Lichtung an, und Iala würde traurig sein, wenn er ihr die Kräuter nicht brachte. So rappelte er sich auf und ging weiter, diesmal mehr auf den Weg achtend. * * * * Du siehst heute so müde und verwirrt aus, Schattenspinner! * sendete Iala besorgt. *Ist draußen im Wald etwas passiert? * *Nein, ich bin nur ein wenig durcheinander, und meine Kopfschmerzen pochen schon den ganzen Morgen durch den Kopf. Das wird bald wieder besser sein, und du mußt dir darüber wirklich keine Gedanken machen! * Doch Iala schien ihm das nicht so ganz glauben zu wollen. Sie schüttelte den Kopf und hielt eine seiner Hände fest. Ihre Sorge überflutete ihn beinahe. Schattenspinners Knie wurden weich, so daß sich der Elf vor sie ins Gras setzen mußte. * Was ist mit dir? * Geduldig sah Iala ihn an. * Dich bedrückt doch schon seit du hier bist etwas. Du läßt keinen von uns an dich heran, und selbst vor denen, die dich ein bißchen besser kennengelernt haben, beginnst du dich wieder zu verschließen. Warum denn nur? Rosenlieb und Singvogel machen sich auch schon Gedanken über dein Verhalten. Sie sorgen sich um dich. Warum bittest du nicht die Heilerin, dir zu helfen. * *Mir kann niemand helfen! * *Bist du dir da so sicher? * Schattenspinner hatte das Gefühl, als wisse oder ahne die stumme Elfe mehr als sie zeigen wollte. Er schluckte und sah in die lavendelfarbenen Bernsteinaugen Ialas, die ihn sanft und tröstend anblickte. * Ich ... mir ...* Er holte tief Luft. Für einen Augenblick war ihm danach sich los zu reißen und davonzurennen, aber er tat genau das nicht. Es würde nichts besser machen. Vielleicht war es an der Zeit, sich jemandem anzuvertrauen. * Ich sehe Bilder, die nicht aus meinen Erinnerungen stammen können. Sie kommen wieder und wieder, und ich vergesse sie nicht, wie es früher immer war. * * Bilder? Vielleicht sind das ja Erinnerungen deines früheren Lebens, bevor du ... * freute sich Iala ehrlich und hielt mitten im Satz inne. Sie strich nachdenklich über seine Hand und das Farnblatt, das seinen Ärmel zierte. Schattenspinner zuckte zusammen. Seine Augen weiteten sich, als sein Geist wieder von einem Bild eingefangen wurde. "Ein Farnblatt? Du bist doch kein Gerber, Heiler oder gar Koch!" lachte die Elfe, während ihre Augen mit einem Mal heller wurden und von innen her zu leuchten schienen. Das hatte ihn schon immer an ihr fasziniert, seit er sie näher kennengelernt hatte. Obwohl sie schon lange kein Wolfsblut mehr in den Adern hatte, war sie den grauen Jägern immer noch sehr ähnlich. Nun strich sie keck über das neue Zeichen auf seiner Wange. "Wie bist du nur darauf gekommen? Warum kein weiterer Speer?" "Weil es mir falsch erschien. Goldfederfell sagte mir, daß ich mir ein Zeichen verdient hätte, er aber der Ansicht sei, daß ich es mir selber wählen solle. Und da nahm ich das Farnblatt, weil es mir richtig erschien. Du hättest seinen Blick sehen sollen. Auf der einen Seite staunte er über meine Wahl, auf der anderen Seite schien er geradezu zufrieden zu sein! Ich glaube, für einen Moment war er verwirrt." "Du kannst die anderen auch sehr gut durcheinander bringen!" neckte ihn die Elfe und nahm ihn in die Arme. "Du tust die Dinge, wie sie dir gerade einfallen, und manchmal glaube ich, du hast wirklich noch eine Spur Wolfsreiterblut in dir, obwohl jeder spürt, das dem nicht sein kann! Und dann wieder bist du plötzlich so verträumt oder ernst wie ein Erstgeborener! auch wenn das nur ganz, ganz selten vorkommt. Zu meinem Glück!" Sie zupfte an seinen Locken. "Das mag ich so an dir! Du bist so aufregend wie das Leben selbst!" Dann sahen sie einander an, um ihre Köpfe aneinander zu schmiegen und zärtlich zueinander zu sein, denn in den vergangenen Wechseln der Jahreszeiten waren sie einander näher gekommen, so nahe wie Liebesgefährten es konnten. Diesmal war der Blick, den sie teilten jedoch anders... Ein jeder tauchte tief in des anderen Augen ein, wurde gefangen von den Funken, die sich in ihnen widerspiegelten und sie in die Tiefe zogen. Vertrauen und Wissen umeinander ... Der Schmerz, den sie in dem Augenblick des Erkennens miteinander teilten war süß wie Honig und schneidend wie eine scharfe Steinnklinge ... und er wünschte, daß der Augenblick, in dem sie miteinander verschmolzen niemals enden würde ... niemals vergehen ... niemals ... Schattenspinner schrie gequält auf, so daß sein Kiefer zusätzlichen Schmerz zu dem heftigen Pochen hinzufügte, das seinen Kopf ausfüllte und sein Denken lähmte. Das Feuer erfaßte seinen ganzen Körper. Es brannte sich durch die Glieder hinauf und wieder zurück. Er preßte die Hände gegen den Kopf und drückte, drückte so fest zu wie er konnte, um den Druck auszulöschen und zu verhindern, daß sein Kopf zerplatzte wie eine reife Frucht, die auf einem Stein aufschlug. Er spürte kaum die Hände, die genau das zu verhindern suchten, und auch der lautlose Ruf der in seinem Kopf wiederhallte, blieb eine ganze Weile ungehört. * Schattenspinner? Bei den Hohen, was ist mit dir? Hör auf damit, du tust dir selber weh! * flehte eine sanfte, eindringliche Stimme. Der dunkelhaarige Elf rang nach Luft und spürte, wie schnell sein Herz schlug. Nur langsam konnte er den Krampf in seinen Fingern lösen und die Hände sinken lassen. Vor seinen Augen tanzten bunte Lichter, aus denen sich ein Gesicht schälte. Geheimnisvoll schimmernde grüne Augen in einem vertrauten Gesicht, umgeben von einer schulterlangen, goldbraunen Lockenmähne. *Frühlicht? * fragte er verwirrt. *Bist du das, Geliebte ... * Noch während er diese Frage sendete, erfaßte ihn eine tiefe Traurigkeit, eine Qual, die aus seinem Herzen kam, das Gefühl eines schrecklichen Verlustes. Er begann zu weinen und barg das Gesicht in Händen, während er langsam wieder das wahrnahm, was um ihn herum vorging. Sanfte Hände mit einer ganz eigenen Kraft die ihn hielten und wiegten, eine ruhige Stimme, die zu ihm sprach, auch wenn sie selber ziemlich durcheinander wirkte. : * Dayin ... Dayin, bist du das wirklich? Bei den Hohen ... bist wirklich einer von uns. Du lebst und atmest..." DAYIN. Auch dieser Name brachte die Gedanken, die Schattenspinner so mühsam geordnet hatte, wieder durcheinander. Erinnerungsfetzen, Bilder und der Schmerz vermischten sich miteinander. Doch der Druck wich langsam aus seinem Kopf. *Bin ich Dayin? * fragte er verwirrt. *Wer ist ... wer war Dayin?* Er sah Iala zögernd an, die ihm vorsichtig das feuchte Haar aus dem Gesicht strich und dabei den verrutschten Reif löste und beiseite legte. Ihre Augen nahmen keinen erschreckten oder mitleidigen Ausdruck an, wie er ihn schon bei anderen Elfen gesehen hatte, wenn sie seine Narben erblickten. Statt dessen berührte sie den letzten Überrest des Zeichens, das er selber niemals angetastet hatte. *Dayin war ein liebenswerter, wenn auch manchmal leichtsinniger, und vor allem fröhlicher Bursche, den viele sehr gemocht haben. Vor allem deine Familie liebte dich*, erklärte sie. * Zu der auch ich gehöre, denn meine Mutter ist deine Halbschwester! * Schattenspinner schluckte und wich unsicher zurück. Auf ihn stürmten unzählige verwirrte Gedanken und Fragen ein. Etwas in ihm wehrte sich dagegen, jetzt mehr zu erfahren. *Nein, die anderen sollen nichts davon erfahren, bitte verspreche es mir, Iala! Und sag nicht mehr! * bat er dann. *Ich muß selber erst einmal mit mir ins Reine kommen, ehe ich ... ehe ich ihnen gegenübertreten und ihnen in die Augen blicken kann. Ich ... ich traue mir und diesen Bildern selber nicht ...* Die Elfe mit den langen glutfarbenen Haaren sah ihn lange Zeit prüfend an, dann nickte sie verständnisvoll und beugte sich vor, um ihm den Haarschmuck zu reichen. * Ja ... ich verstehe dich schon. Die Zeit muß diese Wunden öffnen und langsam heilen. Aber komm zu mir, wenn du wieder durcheinander bist. Ich kann dir zuhören ... ich kann dir helfen. * Schattenspinner schob den Reif in das Haar. *Ja ...*, sagte er fahrig und erhob sich dann. *Ich muß jetzt fort. Ich habe über so vieles nachzudenken.* Dann eilte er - mit dem Gefühl Iala zu viel und doch zu wenig anvertraut zu haben - davon und verkroch sich in seine Höhle um mit den Dingen fertig zu werden, die er heute erfahren hatte. Erschöpft kauerte er sich auf seinem Lager zusammen und versuchte seine Gedanken zu ordnen und einen Sinn in seinen verwirrten Gefühlen zu suchen: Frühlicht, das war der Name der Elfe in seinen Tagträumen gewesen, der Gefährtin seines Herzens und seiner Seele. Und Dayin - War das sein eigener Name? Er schluchzte. Warum kamen die Tränen zurück, wenn er an sie ... und an sich dachte? Eine tiefe, unstillbare Sehnsucht nagte in seinem Herzen, und die Gewißheit, viel verloren zu haben. NYX ... .../Yl ... Das Band war zerrissen. Kapitel 4: Schatten der Wahrheit -------------------------------- Ein kleines Elfenmädchen, das vertrauensvoll zu ihm aufsah, hielt sich an seiner Hand fest und bettelte dann darum, auf die Arme genommen zu werden, während sie den Pfad aus dem Wald auf eine Lichtung folgten. In der Ferne heulte ein Wolf den Himmel an. "Papa, bitte erzähl mir die Geschichte von den herabfallenden Himmelssteinen und wie du einmal einen gefunden hast!" Dabei umfaßten ihre kleinen Finger seine rechte Hand, auf der sich schwach eine Narbe abzeichnete. "Da hat er dich doch verbrannt, nicht wahr?" "Ja, das hat er ... und da war ich noch klein ... wenn auch nicht mehr ganz so klein wie du. Damals streifte ich nachts im Wald umher, nur um meinen Freunden zu beweisen daß ich viel mutiger als sie war und den Tadel der Älteren nicht scheute! Du mußt wissen, damals war ich viel wilder als ein kleiner Wolfswelpe!" Er setzte sich mit der Kleinen auf die Wiese und streckte sich inmitten des weichen hohen Grases aus. Das Mädchen ... seine Tochter ... machte es sich rasch auf ihm bequem und klopfte dann ungeduldig auf seinen Brustkorb. "Ja, und weiter? Ich will alles wissen!" "Warte, schau mal da!" Er hob eine Hand. Seine scharfen Augen erspähten einen herabfallenden Himmelsstein. "Mutter Mond weint wieder leuchtende Tränen! Und eine solche habe ich damals gefunden." "Ja ... und?" Das Mädchen sah ihn aufgeregt an. "Ich wollte im Bach baden, als plötzlich etwas ganz dicht neben mir in das Wasser plumpste. Das begann zu brodeln und zu zischen. Ich bin natürlich ganz schnell aus dem Bach grannt, weil ich mich furchtbar erschreckt habe, aber nicht für lange. Ich konnte ja schließlich nicht nackt in den Hain zurück, und auslachen lassen, wollte ich mich schon gar nicht. Deshalb habe ich mich umgedreht und bin zurück zum Bach gelaufen, um nach dem Übeltäter zu sehen. Es brodelte und zischte immer noch an der Stelle, so daß ich sie leicht wiederfand. Na ja, und dann habe ich nicht nachgedacht, und bin wieder ins Wasser gegangen, um das Ding, das so einen Wirbel machte, aus dem Wasser zu holen ..." "Und dann hast du ganz schrecklich laut geschrien, weil dir der Stein so weh getan hat!" "Willst du die Geschichte nicht weiter erzählen, wenn du sie schon so gut kennst?" neckte der Elf seine Tochter, die ihn daraufhin mit der Nase anstupste. "Nein ... du kannst das viel besser. Kannst du auch noch so schreien wie damals?" Dayin lachte. "Wenn ich das noch einmal tue, dann bekomme ich wieder so schlimme Schelte von Goldfederfell wie damals. Nachdem Lahria meine Hand geheilt hatte, nahm er mich erst mal beiseite und hat ziemlich ernst mit mir geredet ... und das war viel schlimmer als das Brennen in der Hand ... Denn eines mußt du wissen, mein kleiner Sonnenfunke, Loyahm hat immer recht ... irgendwie." "Dafür ist er ja auch der Älteste!" meinte das Kind dann altklug. "Gegen ihn bist du noch ein Kind!" "Und Kinder dürfen frech sein und Unsinn machen, da hast du recht!" lachte Dayin und begann die Kleine durchzukitzeln, so daß ihr Quietschen und Kichern bald die Lichtung erfüllte. Schattenspinner spürte plötzlich, wie er noch weiter in den Strudel seiner Erinnerungen hinabtauchte. Die Gestalten, die sich dort durch eine nebelverhangene, undeutliche Landschaft bewegten, waren so riesig wie die Fünffinger ... nein, das war ein Irrtum: er war nicht größer als ein Kind von vielleicht einem oder zwei Wechseln der Jahreszeiten. Die verschwommenen Gesichter dreier Elfen, die sich nun über ihn beugten, konnte er nicht erkennen. Dennoch durchströmten wohlige Gefühle Schattenspinner, als sie mit ihm sprachen, ihn auf die Arme nahmen und streichelten. Er streckte seine Ärmchen aus, um sich an ihnen festzuhalten... Aber mit einem Male wechselten die Bilder. Er klammerte sich an den hochgewachsenen schwarzhaarigen Elfen, der ihn auf dem Rücken trug. Sein Gesicht in das lange Haar des Bruders vergraben zitterte er, während in seinen Ohren immer noch das Geschrei und Brüllen der schrecklichen Tiere gellten, vor denen sie davon rannten. Der Elfenjunge hatte schreckliche Angst. Sie würden bestimmt eingefangen und gefressen werden! Genauso wie die Waldtiere, die sie auf ihrem Weg gesehen hatten. "Mama!" schluchzte er. Aber seine Mutter war nicht mehr da. Sie war eines Tages verschwunden, genauso wie seine Väter und der einzige, der ihm nun noch geblieben war, war nur sein Bruder ... sein starker mutiger Bruder ... Schattenspinners Träume - oder Erinnerungen, wie er jetzt wußte - kehrten im Laufe des Frühlings und Sommers dann und wann zurück, doch die Schmerzen, die mit ihnen einher gingen wurden von Mal zu Mal geringer, so daß er sie nicht mehr als peinigend und schmerzvoll empfand. Sie verwirrten ihn nur. So wie jetzt. Er hatte noch einen Bruder? Und warum spürte er, daß da noch mehr Verwandte sein mußten? Um nicht verrückt zu werden, pflegte er sich in solchen Situationen ganz seiner Arbeit zu widmen. Der dunkelhaarige Elf streifte oft im Wald umher, um frische Kräuter zu sammeln, oder Pflanzen zur Herstellung seiner Farben zu finden. Das bot ihm genug Ablenkung um die mit den Erinnerungen einher gehenden Gefühle zu verdrängen. Während seine geschickten Finger die Pflanzen oder das Leder bearbeiteten, und er geduldig darauf wartete, daß die Stoffe, die die Farben hervorbrachten, auskochten, waren zudem immer andere Elfen um ihn herum. Mit Iala verband ihn eine besondere Freundschaft, da sie als einzige wußte, wer er einst gewesen war, aber auf seine Bitten hin darüber noch schwieg, während er mit Rosenlieb eher längere Gespräche über die alltäglichen Dinge des Hains führte und so viel über die jetzigen Bewohner erfuhr, wenngleich ihn die Gerberin auch manchmal so musterte, als ob sie eine Ahnung habe, ihn zu kennen. Aber er war sich bewußt, daß er in der Vergangenheit eher weniger mit ihr zusammengesessen hatte. "Was willst du denn, du verrückter Kerl? Wer macht denn die Felle und das Leder tragbar, daß ihr Jäger uns bringt?" rief die Elfe mit den schulterlangen roten Locken erbost, lachte dann aber auf, als er ein weiches Fell hinter seinem Rücken hervorzauberte und es ihr entgegenhielt. "Und was hälst du davon?" "Oh, das ist ja ein Schneehörnchen-Fell. Wo hast du das her?" "Verrate ich dir nicht!" zwinkerte er. "Schließlich haben wir Jäger auch so unsere Geheimnisse! Und das ist jetzt für dich! Ich dachte mir einfach, ich mache dir auch einmal eine große Freude." Sie grinste schelmisch. "Und was wird Frühlicht dazu sagen?" "Sie wird schon wissen, warum." Frühlicht. Doch das Gefühl eines großen Verlustes war immer dann am meisten spürbar, wenn dieser Name durch seinen Geist hallte. Es kam vor allem dann hervor, wenn er allein war. Aus diesem Grund gab Schattenspinner schließlich auch seine selbst gewählte Abgeschiedenheit im Wald auf und zog in ein freies Nest in einem Baum, der sich direkt neben dem befand, in dem auch Iala und Alec lebten. Wenn auch bei ihm nicht, wie in den anderen Nestern und der Wurzelhöhle rege Betriebsamkeit herrschte, so spürte er doch das Leben um sich herum und fühlte sich nicht länger allein. Dennoch hatte er sich sein Heim als Ort, an den er sich zunächst allein zurückziehen konnte, erbeten und die anderen achteten seinen Wunsch, spürten sie doch, das langsame Veränderungen mit dem Eigenbrödler vor sich gingen, wenn sie auch noch nicht wußten, weshalb. Schattenspinner schwieg darüber. Er war längst nicht mehr so abweisend wie am Anfang, blieb aber sehr zurückhaltend. Den Sommer über hatte er das Innere seiner Baumhöhle eingerichtet - doch nicht, wie die meisten Schattentänzer vermuteten, in düsteren, melancholischen Erdtönen, wie er sie trug. Alec, der einmal einen Blick hatte hinein werfen können, schwieg lächelnd über das, was er gesehen hatte: Ineinander verschlungene Ornamente in leuchtenden Farben schmückten die Wände und die Decke des Baumnestes, die Matten waren gleichermaßen gefärbt. Die wenigen Besitztümer des Elfen waren in Nischen verstaut, und die kleine Höhle wurde von einem breiten Lager aus Fellen und Reisig beherrscht. Das Licht der aufgehenden Sonne fiel durch das kleine Fenster genau auf die Ruhestatt. Hier saß Schattenspinner nun, als Alec eines Morgens durch die Öffnung spähte. Der dunkelhaarige Elf schien ihn nicht zu bemerken. Er saß mit nacktem Oberkörper auf den Fellen, selbst den Kopfschmuck hatte er abgelegt, so daß seine Narben deutlich sichtbar waren. Der Barde lächelte. Viele von ihnen trugen solche Male, und er konnte nicht sagen, daß sie Schattenspinner sonderlich entstellten. Obwohl sich die wulstigen Brandnarben von den Schläfen über die Wagen und den Hals bis zum Brustbein und den Schulterblättern hinab zogen, wirkten sie nicht abstoßend. Es war ihm, als habe Schattenspinner auch einiges getan, um diesen Eindruck abzumildern. Und das Licht fiel nun genau auf eine Wange, auf der noch die Reste einer für die Schattentänzer so typischen Tätowierung zu finden war - ein Farnblatt. Schattenspinner saß mit geschlossenen Augen so ruhig da, als hätte er innere Ruhe gefunden, aber das Zucken seiner Gesichtsmuskeln wies genau auf das Gegenteil hin. Ganz offensichtlich waren seine Gedanken wieder in Aufruhr. Alec runzelte die Stirn. Wie wenig wußte er doch über den dunkelhaarigen Elfen, der damals kurz nach seiner Ankunft von Schmerzen erfüllt in seinen Armen gelegen hatte. Alec hatte ihm durch seinen Gesang Linderung gegeben und Hilfe beim Wiederfinden seiner Erinnerungen angeboten, aber danach hatte sich Schattenspinner aus ihm unbekannten Gründen erst einmal wieder zurückgezogen. Bis auf die sanfte, ruhige Iala war niemand so recht an ihn herangekommen und Alec war durch Airylinn und seinen immer größer werdenden Freundeskreis nicht dazu gekommen, ihn noch einmal anzusprechen - zumal es gerade im letzten Frühling und Sommer für ihn recht turbulent zugegangen war, wenn er an die Ereignisse dachte. Alec lächelte nachdenklich. Jetzt, wo Schattenspinner in der Nähe lebte, konnte sich das doch ändern - wenn der dunkelhaarige Elf das zuließ. Der Sänger runzelte die Stirn. Er wußte ja noch, daß Schattenspinner irgendwie die Erinnerung an sein früheres Leben verloren hatte, das mit den Schattentänzern verbunden war. Ob diese Schatten der Vergangenheit nun mit aller Gewalt zurückkehrten? Was wühlte den anderen nun so auf, was quälte ihn? Und warum wandte er sich nicht an die, die ihn vielleicht erkennen konnten? Schattenspinner bewegte sich in einer ganz eigenen Welt, die nur innerhalb seines verwundeten Geistes existierte. Er versuchte verzweifelt die Bilder auseinanderzuhalten, die in wirrer Folge vor seinen inneren Augen erschienen. Die bereits erwachten Erinnerungen rissen immer weitere aus den Schatten des Vergessens, der Schmerz deswegen wurde jedoch immer geringer. Nur noch selten pochte sein Kopf als wolle er gleich zerspringen, seit einiger Zeit erblindete er nicht mehr Augenblicke, weil das Brennen an den Schläfen und Wangen mit grellem Licht einherging. Allerdings wich die Beklemmung immer mehr einem Gefühl des Verlustes, das dann schlimmer wurde, wenn er sich an die braunhaarige Elfe erinnerte. Sie hatte ihm viel bedeutet, war ein Teil seines Lebens, seiner Seele gewesen ... und nicht mehr da. Schattenspinner hatte - seit die Erinnerungen an sie erwacht waren - immer wieder verstohlen nach ihr gesucht. Aber nicht gefragt. Vielleicht hielt ihn die Ahnung, einer schrecklichen Wahrheit davon ab, sich den anderen anzuvertrauen und sich nach ihrem Schicksal zu erkundigen. Denn instinktiv wußte er, daß er sie für immer verloren hatte. Frühlicht, seine erkannte Lebensgefährtin. Diejenige, die in den Jahren ihres gemeinsamen Glücks nur selten von seiner Seite gewichen war und ihm einmal etwas geschworen hatte ... Glühwürmchen umtanzten sie in einer lauen Sommernacht, die nur vom Licht der Sterne erhellt wurde, denn Mutter und Kind Mond waren bereits untergegangen. Eine leichte Brise troknete den Schweiß ihres Liebesspiels von den nackten Körpern, während das Elfenpaar, ineinander verschlungen auf dem breiten Ast ausruhten. Dayin spielte gedankenverloren mit dem weichen Haar seiner Gefährtin und starrte hinauf zum Himmel, genoß die wohligen Schauer, die ihre Fingerspitzen in ihm erweckten. "Was uns verbindet, mein Liebster ist mehr als reines Erkennen. Es ist tiefe, unzerstörbare Liebe", Frühlicht lachte leise, während ihre Finger emsiger wurden und auf seinen Bauch trommelten. "Ich hätte nicht gedacht, daß sie mich einmal in Gestalt einen übermütigen jungen Welpen so bannen könnte." "Aber ..." "Ich weiß, was du jetzt sagen willst. Bitte hör mir zu!" Frühlicht schlang ihre Arme um seinen Oberkörper und schob sich höher um ihm in die Augen zu sehen. Ihre Hände legten sich an seine Wangen. "Mit Goldfederfell hat mich eine andere Art von Liebe verbunden", erklärte sie dann, denn ihr war nicht entgangen, daß sich der viel jüngere Elf leicht verkrampft hatte, als er an ihren ersten Geliebten dachte, und wieder das Gefühl hatte, im Schatten des Ältesten zu stehen. "Diese hat mich dazu bewogen, mein sterbliches Blut aufzugeben, damit ich für eine Ewigkeit an seiner Seite weilen könnte ... aber ich weiß jetzt ganz sicher, daß ich für dich sterben würde, wenn irgendwann einmal eine solche Entscheidung getroffen werden müßte. Dessen kannst du dir gewiß sein." Schattenspinner schreckte hoch, als diese Erinnerung schlagartig in heftigem Schmerz und Brennen in seinen Schläfen endete. Er vergrub das Gesicht in den Händen, während die letzten Worte seiner Gefährtin noch immer in seinen Ohren gellten. Mit ihnen verband sich eine Beklemmung, die ihn so schnell nicht mehr los ließ. "... daß ich für dich sterben würde ... sterben würde ..." Er holte tief Luft. Tief in seinem Inneren wußte er, daß es nicht anders sein konnte. Jetzt war es wohl an der Zeit, sich der grausamen Wahrheit zu stellen, und die konnte ihm nur einer wirklich beantworten: Loyahm Goldfederfell! Als er sich die Augen rieb und aufsah, stellte er jedoch fest, daß er nicht ganz allein war. Alec Singvogel schaute durch das Fenster besorgt zu ihm hin. "Kann ich dir helfen?" fragte der Sänger sanft. "Hast du wieder Schmerzen?" *Es ... es sind keine körperlichen Schmerzen, glaub mir ...*, sendete Schattenspinner ernst aber nicht schroff.. *Im Moment kannst du mir nicht helfen, weil du nicht weißt ... es gibt so viel zu erzählen ...* Er sah den Barden flehend an und schüttelte dann den Kopf.. *Ich kann jetzt nicht. Es gibt etwas, was ich noch herausfinden muß ... aber ich verspreche dir, ich werde dir alles erzählen, sobald ich kann.* *Ist schon gut! Ich verstehe dich* Alec lächelte ihm noch einmal zu und zog sich dann wieder zurück, während Dayin zitternd nach seinem Hemd und dem Kopfschmuck griff. Nachdem er sich angezogen hatte, verließ er sein Nest und kletterte den Baum hinunter. Iala, die ihm mit einem Korb voller Früchten entgegen kam, sah ihn besorgt an. **Du bist so blaß! Sind wieder neue, schmerzvolle Erinnerungen in dir erwacht, Dayin? Bitte, wir könnten darüber reden.** *Ja, Iala, ich habe mich wieder an etwas erinnert*, gab Dayin zu. **Aber ich glaube, jetzt ist es an der Zeit mit Loyahm darüber sprechen, weil es auch mit ihm zu tun hat **, erwiderte Schattenspinner. **Gleich ... später ...werde ich dir sagen, was mit mir los ist ...** Der Blick der gluthaarigen Elfe wurde ernst und sie nickte verstehend. Schattenspinner zuckte zusammen, denn er hatte das Gefühl, als wisse sie mehr, doch er hatte jetzt nicht die Ruhe, mit ihr zu sprechen. So eilte er zum Baum der Erinnerung, um den er aus unerklärlicher Furcht bisher immer einen größeren Bogen gemacht hatte. Jetzt hatte er eine Ahnung, warum ihn die Bilder so erschreckten, und gerade darum mußte er sich ihnen stellen. Unsicher fuhren Schattenspinners Hände über die rauhe Rinde und ertasteten die geformten ineinander verschlungenen Figuren und Ornamente. Schritt um Schritt ging er zurück in die Vergangenheit. Die Ereignisse, die dargestellten Elfen - sie alle waren ihm fremd. Bis er so heftig zusammenzuckte, daß ihm beinahe das Herz stehen blieb. Erschüttert musterte Schattenspinner die gezackte Linie, die einen Blitz darstellte, und sich genau in den Leib eines Elfen bohrte ... und einer Elfe, die in den Armen anderer zusammensackte. Sein Kopf begann wieder heftig zu pochen, die Welt drehte sich um ihn herum, so daß er am Stamm Halt suchte. Er sackte langsam an der Rinde zusammen, bis ihn plötzlich schmale aber kräftige Hände festhielten. "Ich glaube, du bist zu mir gekommen, um mit mir zu sprechen, Schattenspinner", vernahm er die ruhige Stimme Loyahm Goldfederfells. "Ich ..." Schattenspinner benötigte einen Augenblick, um sich zu fangen. "Ja, ich muß mit dir über viele Dinge sprechen", krächzte er. "Dann komm mit, denn ich denke, das sollten wir an einem ruhigen, abgeschiedenen Ort tun." Goldfederfell nickte ihm zu. Das Gesicht des Erstgeborenen verriet nicht, was er fühlte oder dachte. Schließlich saßen sie sich in der Wohnhöhle des Ältesten gegenüber. Nur schwach drangen die Geräusche von außen hier herein, verrieten aber, daß wohl wieder eine Schar Jäger mit Beute zurückgekommen war. Schattenspinner schluckte. Wieder hatte er das Gefühl, gleichzeitig hier zu sitzen, und sich an ähnliche Situationen zu erinnern, in denen er mit Goldfederfell zusammengesessen hatte. Diesmal jedoch war er zum Ältesten gekommen, um ihn um Hilfe zu bitten. Dieser musterte ihn ruhig und abwartend, doch der dunkelhaarige Elf brauchte noch eine ganze Weile, um sich zu fangen. "Ich ... ich bin gekommen, weil ich ..." Er senkte den Blick für einen Moment hob den Kopf dann aber wieder. *Aus Gründen, die ich nicht kenne ... habe ich meine Erinnerung verloren, ich wußte nicht wer ich war, und wo ich hingehörte - aber seit ich ihm Hain lebe, kehren immer wieder Bilder aus meiner Vergangenheit zurück.* Er holte tief Luft. *Ich bin mir unsicher, was davon wahr ist, und was nicht.* Wieder verstummte er für einen Moment, um seine Kraft zu sammeln. *Ich glaube, ich bin, nein, ich war ... Dayin ... Sturmtänzer ... und meine Gefährtin hieß Frühlicht!* "Dann erinnerst du dich also wieder?" Die Stimme des Erstgeborenen zitterte leicht, aber seinem Gesicht war nichts anzumerken. *Nicht an alles. Nur an Bruchstücke, die mir nach und nach in meinem Kopf kommen ...* Und Dayin begann leise zu erzählen, an was er sich erinnerte. Er hielt nichts zurück, denn um Klarheit über sich, sein früheres Leben und die Geschehnisse, die zu seiner Veränderung geführt hatten, zu bekommen, durfte er nichts verschweigen. Immer wieder senkte er den Kopf und seine Stimme wurde von Tränen erstickt, wenn, das Gefühl des Verlorenseins stärker wurde. Jetzt, wo er zum ersten Mal offen vor jemandem über die gesamten Erinnerungen sprach, wurden sie klarer und schärfer. Der Älteste sagte nichts, er hörte nur schweigend zu und zeigte mit keiner Faser was er dachte oder fühlte, wenngleich es in seinem Gesicht auch immer dann zuckte, wenn Schattenspinner seine Gefährtin erwähnte, als wolle er damit eigene Gefühle überdecken. Schließlich endete Schattenspinner und hob die Hände zum Kopf, um den Reif aus dem Haar zu lösen und seine Narben zu enthüllen. *Ich weiß nicht, was damals geschehen ist, aber es muß sehr viel zerstört haben*, endete der Elf mit den dunkelbraunen Haaren und sah wieder auf. Für eine Weile herrschte angespanntes Schweigen in der Wohnhöhle. "Ja, du bist Dayin. Die Schattentänzer nannten dich Sturmtänzer." Langsam hob Goldfederfell seine Hand, hielt kurz inne, und berührte dann leicht die Reste des farnblattförmigen Zeichens. "Vor vielen Jahreszeitenwecheln kamst du zu mir, und batst um dieses Zeichen. Ich kannte dich damals gut," der Älteste gab dem Wort eine seltsame Betonung, "und gewährte es dir." Loyahm's Augen schienen für einen Moment in die Vergangenheit zu blicken, doch dann zog er seine Hand wieder zurück und fuhr fort. "Du bist ein Schattentänzer ... auch wenn du lange fort warst und der Stamm im festen Glauben war, daß deine Seele bereits den Palast erreicht hätte. Sei willkommen, Dayin, dies ist dein Zuhause." Die letzten Worte wirkten eigenartig nüchtern, und nicht so herzlich, wie man sie sonst sprach. Doch der Älteste war noch nicht am Ende. Er wechselte ins Senden über. *Dein Verschwinden hat eine Menge zerstört, das ist wohl wahr*, entgegnete Loyahm, und Dayin fühlte seltsame Gefühle in dem Senden mitschwingen, die er nicht ganz deuten konnte. Sie mußten stark sein, denn dem Ältesten schien es nicht ganz zu gelingen, sie zu unterdrücken. *Das ganze geschah in einer stürmischen Nacht, als ein Unwetter von einer Stärke wütete, wie ich es schon lange nicht mehr erlebt hatte. Trotz der Warnungen hast du den Hain verlassen und bist in den Wald gelaufen, bevor dich irgendeiner zurückhalten und zur Vernunft bringen konnte.* Die Augenbrauen des Erstgeborenen senkten sich. War das wirklich so etwas wie Verbitterung, die Schattenspinner gleichzeitig mit Loyahm's Gedanken empfing? *Wenig später brach Frühlicht mit einem Schrei zusammen. Stirb nicht, mein Geliebter! Nein - du darfst noch nicht gehen! rief sie noch, dann schloß sie ihre Augen. Ihr letztes, offenes Senden galt dir. Alle, sie sich in ihrer Nähe befanden, sahen die Bilder, wie Frühlicht sie gesehen haben muß - der Blitz, der auf dich hinabraste ...* "... und das grelle Licht!" erwiderte Schattenspinner tonlos. Innerlich fühlte er sich wie ausgebrannt, wie tot. "Ich habe sie getötet, durch meinen Leichtsinn." Loyahms ernstes Schweigen sagte viel mehr als jedes Wort. Und plötzlich erkannte Dayin, warum: Mit Goldfederfell hat mich eine andere Art von Liebe verbunden! Die Augen des dunkelhaarigen Elfen weiteten sich, und er suchte unwillkürlich Kontakt zu den alten Bernsteinaugen, die ihn zu durchschauen schienen. Schimmerten da nicht Tränen in den Augenwinkeln? Umwölkte sich der Blick nicht für einen Moment, um dann wieder klar zu werden und voller Verbitterung und Zorn zu blitzen? **Deine Erinnerung mag zurückkehren, Dayin. Aber weißt du auch wirklich, wie hoch der Preis für deinen Leichtsinn war? Wirst du je verstehen, daß du nicht allein darunter leidest? **, schlug ihm entgegen. ** Ja, Frühlicht ist durch DEINE Schuld gestorben ... auch wenn eure Seelen durch Erkennen und eure Herzen durch Liebe verbunden waren, so hattest du DAZU kein Recht ... dann bist du auch noch fortgegangen und hast den Stamm im Glauben gelassen, du seist tot; du hast dein KIND allein gelassen...** Dayin rang nach Luft, und versuchte etwas zu entgegnen, doch der Zornesausbruch des Ältesten war noch nicht ganz am Ende. Im Senden Goldfederfells spürte er dessen ganze Eifersucht, dessen Verbitterung und Haß auf den jungen Rivalen. ** Auch wenn sie dich aus freien Stücken gewählt hat, und ich weiß, daß sie mit dir zusammen glücklich war, so habe ich Frühlicht doch immer noch geliebt - und das nicht nur, weil sie auch Sonnenglanz' Mutter war ... sie hätte nicht sterben dürfen - vor allem, da du offenbar überlebt hast! ** Schattenspinner umklammerte seinen Kopfschmuck, den er gerade wieder hatte aufsetzen wollen, so fest, daß er in der Mitte zerbrach. Sein Herz schlug so schnell und heftig wie das eines gefangenen Vogels. "Ich wäre an ihrer Stelle gestorben ... das habe ich nicht gewollt..." Schattenspinner versagte die Stimme, denn was hatte er dem noch entgegenzusetzen? Er hob die Hände zum Kopf. Der Schmerz pochte wieder heftig in den Schläfen und doch konnte er seine wirren Gedanken noch zu fragen fassen: Wenn ich von einem Blitz getroffen wurde, warum lebe ich dann noch? Warum ist Frühlicht gestorben, und nicht ich? Warum bin ich überhaupt während des Gewitters nach draußen gelaufen? Was ist damals wirklich geschehen? In seinem Inneren zerbrach etwas. Ich darf nicht mehr vor der Verantwortung davon laufen. "Ist es besser, daß ich gehe?" brachte er noch einmal unter Schmerzen hervor. Er konnte den Blick seines Gegenübers nicht länger ertragen, und hatte das Gefühl, daß es Goldfederfell mit seiner Anwesenheit nicht anders erging. Schattenspinner ließ die Hälften seines zerbrochenen Haarreifs fallen, sprang auf und eilte nach draußen. Erst als er außer Sichtweite des Baumes war, blieb er im Schatten einer Hecke stehen und sah sich um. Dayin sah den Hain nun mit anderen Augen. Der Hain wirkte verändert, aber nicht fremder. Eher im Gegenteil. Mit jedem Blick, den er tat, schien er Kleinigkeiten wieder zu erkennen, die ihm vorher nicht aufgefallen waren - die Bilder im Baum der Erinnerung, der Standort der alten Bäume und ... ihre Bewohner. Seine Augen weiteten sich, als er unter den Bäumen eine blonde Elfe sah, die sich mit einigen anderen unterhielt. Sein erster Impuls war, auf sie zuzugehen und anzusprechen, aber schon nach dem ersten Schritt hielt er inne. Sie war doch sein Kind! Als sie für einen Moment irritiert den Kopf wandte, erkannte Dayin in ihr die Elfe wieder, die er vor mehreren Wechseln der Jahreszeiten in der versteckten Höhle getroffen und die ihn so wütend angeschrien hatte. Sie war Frühlichts und seine Tochter, die er allein gelassen hatte. Seither waren sie sich eher weniger, und dann auch nur flüchtig begegnet, da er selber ja die Abgeschiedenheit gesucht hatte. Elea! Die Elfe blickte noch einmal zu ihm hin. Ihre Augen wurden zwar schmal, als sie seinen Blick bemerkte, aber in ihnen stand kein Funke der Erinnerung. Zumindest glaubte er das in ihnen zu sehen. Wie ähnlich sie seiner Geliebten doch war. Schattenspinner schluckte. Er fühlte sich auf einmal unbeholfen und hilflos zugleich. Was soll ich Elea sagen? Wie kann ich ihr erklären, daß ich selber nicht weiß, warum ich sie alleine gelassen habe? Wird sie es verstehen können und wollen? Ist es ein Fehler jetzt noch zu schweigen, oder vielleicht doch besser, wenn direkt zu ihr gehe. Wieder machte er einen Schritt nach vorne und hielt inne. Nein, sein Herz schlug immer noch bis zum Hals, und er wußte wirklich nicht was er tun sollte. So senkte er den Kopf und wandte sich ab. Der Schrecken über das, die er nun erfahren hatte, saß noch zu tief in seinen Gliedern, als daß er ihr unbefangen gegenüber treten konnte. Nicht jetzt, wo das Gespräch zwischen Loyahm und ihm so schwer gewesen war. Damit mußte er erst einmal wieder fertig werden, ehe er sich in ihre Nähe wagen konnte. So blickte er noch einmal über die Schulter, während Tränen in seinen Augen standen und flüsterte: "Meine kleine Elea!" Kapitel 5: Erste Schatten lichten sich -------------------------------------- Bisher hatten die Bewohner des Hains Schattenspinner, den Elf mit den rückenlangen dunkelbraunen Haaren, noch nie ohne seinen Gesichtsschmuck gesehen, jenen hölzernen Reif mit den Anhängseln aus Federn und Beeren, die einen großen Teil seiner Wangen verbargen. Oft hatten sie darüber getuschelt, was der einsilbige und scheue Gerber und Koch wohl darunter verbergen würde, nachdem sie die ein oder andere Narbe oder gar ein Zeichen hatten erkennen können. Denn bisher hatte er so gut wie niemanden so nahe an sich herangelassen, um das herauszufinden, und viele Stammesmitglieder hatten es aufgegeben, ihn in ihr alltägliches Leben mit ein zu binden, denn er hatte auch von sich selber aus nie Anschluß zu anderen gesucht. An diesem Tag aber bekamen sie eines seiner Geheimnisse zu sehen - und als wolle er noch nachhelfen, blies ein plötzlich aufkommender Wind auch die letzten Strähnen aus dem Gesicht Schattenspinners und enthüllte die langen Narben, die von den Schläfen über die Wangen bis hinunter zum Halsausschnitt liefen - wulstige Brandmale, die ganz offensichtlich nie eines Heilers Hand berührt hatten. Erstaunt blickten sich die, die das bemerkten an und tuschelten miteinander. Bei den Hohen, wer hatte ihm diese Wunden zugefügt? Menschen? Tiere? Und wie hatte er damit überleben können? Schattenspinner wirkte fremd, als er unter den Bäumen hindurch auf den Wald zu wanderte und weder zur Seite sah, wenn ihn jemand ansprach, noch die Anwesenden wirklich zu bemerken schien. Er schritt wie jemand, der in einem schweren Traumbeerenrausch gefangen war aus, wenngleich er nicht schwankte, seine grün-goldenen Augen jedoch vermittelten eher das Gefühl tiefster Verzweiflung, Verwirrtheit ... und Angst. Ich habe gesehen, daß Schattenspinner bei Goldfederfell war, erzählten sich einige aufgeregt. Was mag nur zwischen den beiden vorgefallen sein? Schau mal, da kommt Goldfederfell gerade aus seiner Behausung. Ist dem Ältesten irgendwas anzumerken... - Kannst du dich erinnern, daß irgendwas vorgefallen ist, weswegen Schattenspinner zu ihm gerufen worden ist? Vielleicht hat er ja eine Regel unseres Stammes gebrochen - Das glaube ich weniger, dazu ist er nicht der Elf. - Vielleicht hat er einen Rat gesucht! Mir ist nämlich aufgefallen, daß sich Schattenspinner die Bilder am Baum der Erinnerung genauer angesehen hat und dann plötzlich in sich zusammengesunken ist, als habe ihn etwas erschreckt. - Gut, er macht schon seltsame Sachen, dieser Kauz, aber könnte es sein, daß er etwas verbirgt? Was wissen wir denn schon über ihn? - So gut wie nichts, glaube ich. Ich habe munkeln hören, daß er ein heimgekehrter Schattentänzer sein soll, aber ich weiß nicht, wer er sein könnte. Von dem leisen Gerede um ihn herum bekam Dayin nicht viel mit. Er wanderte fast blind durch den Hain, seine Wahrnehmung reichte gerade soweit aus, daß er nicht gegen irgend etwas rannte oder stolperte. In seinem Kopf herrschte immer noch ein großes Durcheinander, vermischt mit Schmerzen, die ihn fast blendeten. Erst als er sich außerhalb des Hains und ein Stück im Wald befand, klärte sich sein Blick ein wenig und sein heftig pochendes Herz beruhigte sich langsam. Mit Tränen in den Augen und einer unbewußten Ahnung folgend, wanderte er einen Tierpfad entlang zu einem kleinen Wasserlauf und setzte sich auf einen Stein an das Ufer, um nachzudenken. Der würzige Duft von Minze und Purpurwindröschen ließ ihn freier atmen, auch wenn ihm die Erinnerung im nächsten Moment wieder den Hals zuschnürte: Hier hatten sich Frühlicht und er oft geliebt, stürmisch und wild gejagt wie Wolfswelpen, nur um sich dann in den Purpurwindröschen herumzuwälzen und sich mit dem duftenden Saft zu betupfen, der ihre Sinne nur noch mehr erregt hatte. Wie bist du gestorben... und warum mußte es gerade dich treffen? Schattenspinner zupfte eines der Röschen ab und sog den Duft der Blüte ein, während die Tränen über seine Wangen liefen. Es machte alles um so viel schwerer und Goldfederfells vorwurfsvolles und verbittertes Senden hallte immer noch durch seinen Geist: **Sie hätte nicht sterben dürfen - vor allem, da du offenbar überlebt hast ** "Nein ... das hätte sie nicht!" krächzte Schattenspinner verzweifelt und ballte wieder die Fäuste. "Aber sie ist es!" ** Aber weißt du auch wirklich, wie hoch der Preis für deinen Leichtsinn war? ... Ja, Frühlicht ist durch DEINE Schuld gestorben! ** "Und wenn sie es ist, dann weiß ich doch nicht wie und warum!" Sein Kiefer pochte nach diesen Worten heftig, aber der Schmerz verdrängte die anderen Gefühle nicht. Dayin barg den Kopf in Händen, während seine Tränen die harten Narben an den Wangen netzten. So verharrte er eine ganze Weile, bis er den Kopf schüttelte, tief Luft holte und einen Entschluß faßte. Er mußte dem Geheimnis um sein Leben und ihr Sterben selber auf den Grund gehen, und das konnte nur gelingen, wenn er die Grenzen durchstieß, die ihm der Schmerz setzte. Entschlossen wischte er sich die Feuchtigkeit aus dem Gesicht. Nach ein paar tiefen Atemzügen beruhigte er sich soweit, daß er wieder halbwegs klare Gedanken fassen konnte. Vorbei an den bereits wiedererwachten Erinnerungen tastete er sich schließlich zu einem Punkt, an dem die Schmerzen unerträglich geworden waren. Diesmal war das nicht anders, aber er beschloß, das "weiße Brennen" zu ertragen NYX! Er klammerte sich an den einzigen Schlüssel, mit dem er die Tür zu den noch verborgenen Erinnerungen öffnen konnte und tastete sich vor, während sein Körper zu zittern begann und Schweiß aus den Poren der Haut trat. Sein Atem wurde schneller und flacher, bald hechelte er wie ein Wolf in der Mittagssonne. /YL! Sein Kopf drohte zu platzen, als das Brennen übermächtig wurde. Ich bin ... bin ... Für einen kurzen Augenblick glaubte er eine Ahnung von den Geschehnissen zu haben, wirre, unzusammenhängende Bilder, doch dann bohrte sich eine weißglühende Klinge in seinen Geist. Dayin schrie auf, während sein Körper heftig zuckte, als würde er von einer ganzen Kaskade von Blitzen durchbohrt. Das Bewußtsein verlierend kippte er zur Seite auf ein Bett von Purpurwindröschen. Das letzte was er wahrnahm, ehe er in Dunkelheit versank war der süße, fruchtige Duft der Blüten... Rosenlieb wanderte mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen durch den Wald. "Nun noch ein paar Purpurwindröschen, damit ich dem Rock eine schöne leuchtende Farbe geben kann, dann bin ich für heute fertig!" murmelte sie zu sich selber und folgte dem Tierpfad zu einem Bach, an dem sie eine ganze Menge von den Blüten zu finden wußte. Wenn nicht wieder irgend ein unverantwortlicher Elf das Blumenbett verwüstet hatte, wie es immer wieder einmal vorkam. Schon mehrfach hatte sie Robah diesen Frechdachs im Verdacht gehabt, aber auch Liebespaare nutzten den versteckten Ort für ihre zärtlichen Spiele, wenn sie sich an die Flecken erinnerte, die so manch einer vom Saft der Blüten davongetragen hatte. Keiner nahm dabei Rücksicht auf ihre Wünsche. Die anderen Schattentänzer wollten zwar ihre schön gefärbte Kleidung tragen - zerrstörten aber auf der anderen Seite nicht selten das benötigte Material dafür! Ach, was sollte sie bloß machen? Diejenigen ausschimpfen und ihnen drohen, sich zu rächen? Und auch einmal die Drohung zur Wahrheit machen? Vielleicht war das eine gute Idee ... und einen bestimmten Elfen hatte sie dafür schon im Auge... So in diesen Gedanken versunken, wäre sie beinahe in den Bach gelaufen, an dem der Pfad endete. Gerade noch rechtzeitig blieb sie stehen und drehte sich um, stützte die Hände in die Hüften, als sie den Elfen bemerkte, der da inmitten ihrer Purpurwindröschen lag. Rosenlieb schnappte empört nach Luft. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Jetzt hielten diese unverschämten Welpen auch schon ihren Mittagschlaf in den Blumen! Aber jetzt wenigstens hatte sie einmal einen bei frischer Tat ertappt und konnte ihm sagen, was sie davon hielt. Rosenlieb hob einen Finger und wollte mit ihrer Schimpftirade beginnen, als sie bemerkte, daß etwas mit dem Liegenden nicht stimmte. Ihre Wut verwandelte sich in Sorge. Rasch trat sie näher und beugte sich über den Reglosen, drehte ihn vorsichtig in eine bequemere Lage. "Schattenspinner?" fragte sie erstaunt, erhielt aber keine Antwort. Vorsichtig tastete sie nach seinem Herzschlag und stützte dann den Kopf gegen den Stein, damit er nicht an seiner eigenen Zunge ersticken konnte. "Was ist passiert?" Wieder reagierte der Elf nicht. Rosenlieb strich ihm die wirren dunkelbraunen Strähnen aus dem Gesicht und zuckte zusammen, als sie die Narben an seinen Wangen sah. "Bei den Hohen!" Das Narbengewebe fühlte sich sehr hart an - es mußte schon sehr alt sein, und ein verirrter Sonnenstrahl fiel genau auf eine Stelle oberhalb der Wangenknochen, an der sich die Reste eines Zeichens befanden. Eines Schattentänzerzeichens, das sie kannte! Und sie erinnerte sich wieder ... Rückenlange braune Haare, die mit einer schnellen Bewegung auf den Rücken geschleudert wurden, wenn er sie nicht mit einem Band im Nacken zusammenhielt, fröhlich blitzende grüngelbe Augen, die immer nur Verrücktheiten im Sinn zu haben schienen. Solche Dinge wie das leidenschaftliche Spiel in Rosenliebs kostbaren Purpurwindröschen! Wie oft hatten Frühlicht und und der junge Jäger danach geduftet und sie, die Gerberin, hatte nichts anderes tun können, außer böse dreinzuschauen? Immerhin hatte sich der junge Elf dann bei ihr entschuldigt, und sie mit kleinen Geschenken zu trösten versucht, Dingen, die er irgendwo tiefer im Wald gefunden oder von der Jagd zurückbehalten hatte. Böse war sie ihm nie lange gewesen. Er war so ganz anders als seine Halbgeschwister ... nicht düster und ernst wie sie - sondern immer mit einem Scherz oder fröhlichen Wort auf den Lippen. Manchmal beneidete sie Frühlicht um ihren Gefährten - aber wer konnte leugnen, daß die beiden nicht füreinander geschaffen waren? Beide sprühten voller Leben und Sorglosigkeit, und die wenigsten konnten ihnen lange böse sein. Rosenlieb lächelte versonnen, als die Bilder von früher in ihrem Geist aufstiegen und klare Erinnerungen wurden und begann zu grübeln. Warum hatte sie den Elfen noch nicht früher erkannt? Schon bei ihrer ersten Begegnung im Wald hatte sie eine Ahnung gehabt, aber noch nichts darauf gegeben. Denn es hatte einfach nicht sein können, Der Dayin Sturmtänzer, an den sie sich erinnerte, wußte mit Pflanzen nichts anzufangen, noch war er ein guter Färber gewesen. Und schon gar nicht ein Koch! Die Gerberin seufzte und grinste dann schief. Bei den Hohen, Sturmtänzer trug seinen Namen nicht zu Unrecht - war er doch ein verrückter Wirbelwind gewesen, der schon so manches angestellt hatte wegen dem Loyahm ihn scharf getadelt hatte. Und er hatte zusammen mit Frühlicht und zwei anderen die erfolgreichste Jagdgruppe des Hains gebildet. Sehr oft hatten sie ... Dann besann sie sich wieder der Gegenwart. Aus einem ihr unbekannten Grund war Sturmtänz... Schattenspinner hier zusammengebrochen. Sie mußte ihn wieder zu Bewußtsein bringen, erst dann konnte sie näheres erfahren und ihm helfen. Notfalls mußte sie Silbermond rufen. Dayin kam durch eine kühle Berührung auf seiner Stirn langsam wieder zu sich. Wasser träufelte über seine Stirn in die Haare, und jemand tupfte ihm das Gesicht ab, linderte damit ein wenig das Brennen auf seiner Haut und in seinen Narben. Warum bin ich zusammengebrochen? fragte er sich im nächsten Moment. Er erinnerte sich nur noch daran, daß er den Hain fluchtartig verlassen hatte, weil ... weil ... Er konnte die Gefühle, die seinen Geist verwirrten nicht in klare Worte fassen. Statt dessen holte der dunkelhaarige Elf tief Luft und öffnete vorsichtig die Augen, um festzustellen wo er war, und was mit ihm geschah. Eine Elfe mit schulterlangen roten Locken beugte sich über ihn. Ihre grünen Augen blickten besorgt drein. "Schattenspinner ... Dayin ist alles in Ordnung mit dir?" fragte sie. "Was ist denn passiert?" "Ich ..." krächzte er und wechselte zum Senden über, als er keine weiteren Worte mehr hervorbringen konnte. * Ich weiß es nicht ...* Langsam wich das dumpfe Gefühl in seinem Kopf. *Ich wollte über etwas nachdenken.* Dann zuckte er zusammen und sah sie mit großen Augen an. *Dayin? Du, du kennst meinen Namen?* Die Elfe lächelte und nickte, half ihm dann sich aufzusetzen und mit dem Rücken gegen den Stein zu lehnen. "Ich hätte es schon früher erkennen können, aber erst, als ich dich so in den Purpurwindröschen liegen sah, ist mir ein Licht aufgegangen, warum ich das Gefühl hatte, dich zu kennen!" Sie gab ihm einen spielerischen Nasenstüber. "Du hast dich immer schon gerne in ihnen gewälzt, vor allem zusammen mit Frühlicht!" Frühlicht! Dayin schlug die Augen nieder, als seine Erinnerung zurückkehrte. Nun wußte er wieder weswegen er an diesen Ort gekommen war, und das machte es auch nicht leichter. "Was ist los? Hast du Schmerzen? Soll ich Silbermond holen? Du weißt ja, ich bin im Heilen nicht besonders gut!" Sie berührte eine Schramme an seinem Arm. "Dafür reicht es", stellte sie fest, während der Kratzer durch die Berührung ihrer Finger verschwand, so als hätte es ihn nie gegeben. Dayin schüttelte den Kopf. *Nein, es geht schon wieder ... Das Pochen in meinem Kopf bin ich gewohnt!* Rosenlieb sah ihn fragend an. "Und die Narben? Was ist nur mit dir geschehen? Wir dachten, du seist tot, wie ..." Verlegen verstummte sie. "Es hieß doch, du wärst vom Blitz erschlagen worden. Wie kommt es, das du lebst? Und?" Als sie den traurigen Blick in seinen Augen sah, schwieg sie erneut. * Ich weiß es nicht! Ich kann mich bisher an nur wenig erinnern, und das bißchen, was ich weiß ist schon ...* Er schluckte. *... schrecklich genug.* Rosenlieb schien zu spüren, daß er nicht weiter darüber reden konnte, deshalb lenkte sie ein. "Wissen denn schon die anderen davon? Du lebst jetzt schon so lange hier, fast zwei ganze Wechsel der Jahreszeiten und sonderst dich so ab. Dabei weiß ich, daß du so viele Freunde hattest. Du warst ein richtiger Wirbelwind, damals!" *Die Befürchtung habe ich auch.* Dayin zeigte kurz ein zaghaftes Lächeln. * Bisher wissen glaube ich nur Iala und Loyahm wer ich bin ... * Er blickte die Richtung, in die der Hain liegen mußte. * Aber es ist mir nicht wichtig, ob die anderen davon erfahren oder nicht ... * Er unterdrückte ein Zittern, das aber rasch verflog, als Rosenlieb ihm eine Hand auf die Schulter legte. "Bestimmt werden sich viele freuen, wenn sie endlich wissen wer du bist." *Glaubst du wirklich? Nachdem ich schuld an Frühlichts Tod bin?* Rosenliebs Augen weiteten sich erschreckt. *Wie kommst du darauf?*, wechselte sie ins Senden über. *Das verstehe ich nicht! Ich meine, ich war damals nicht dabei, aber später wurde erzählt, daß sie mit einem Schrei zusammengebrochen sei und noch etwas rief ... und daß du in den Sturm hinausgelaufen seist ... Du hast, den Hohen sei Dank, irgendwie überlebt!* *Wie und warum, das weiß ich nicht!* Dayins Gesicht verdüsterte sich. *Ich weiß es einfach nicht!* Sein Gefühlsausbruch ließ auch Rosenlieb ratlos zurück. Erneut versuchte sie ihn zu beruhigen. "Am besten kommst du erst einmal mit zu mir. Gerade jetzt darfst du nicht allein sein, bitte!" Tröstend wuselte sie ihm durchs Haar. Ja, vielleicht ist genau das das Beste für mich. So kann ich nicht mehr wegrennen, wie ich es früher immer und eben fast getan hätte, dachte Dayin und nickte. *Ich nehme deinen Vorschlag an!* Und so erhob er sich langsam und kehrte an der Seite der Gerberin in den Hain zurück, um sich dem Kommenden zu stellen, dem er nun nicht mehr ausweichen konnte und wollte, so schwer es auch für ihn war. Aber die Ungewißheit und Angst, wie ihn die anderen aufnehmen würden, nachdem Loyahm schon so heftig reagiert hatte, nagte in ihm. Er trug Schuld an Frühlichts Tod, doch wie und warum, das blieb ihm noch immer verschlossen und gerade das bereitete ihm die meiste Furcht... Kapitel 6: Schattenfresser -------------------------- Nicht einmal mehr die Blätter boten Schutz vor dem gleichmäßig hinunter prasselnden Regen, so daß kein Schattentänzer, der nicht unbedingt mußte, den Schutz seines Nestes oder seiner Höhle verließ. Die wenige, die unter den Bäumen umher eilten zogen die Kapuzen tiefer in die Gesichter oder nahmen es gelassen hin, von Kopf bis Fuß durchnäßt zu werden. So auch der Elf, der nun am Fuße eines der hohen Wohnbäume stehen blieb, ehe er mit dem Aufstieg begann. Sein dunkles Haar klebte in Strähnen an den Wangen fest und hob damit die dunklen, tiefen Narben noch deutlicher hervor, die ihn an den Gesichtsrändern zeichneten. Schattenspinner streifte jedoch den nassen Kittel und die Hose ab, bevor er in sein Nest klet-terte und legte die Sachen nahe des Eingangs ab. Feuchtigkeit tropfte aus seinen Haaren über den ebenfalls von Narben gezeichneten Körper und bildeten kleine Rinnsale, die die Decke auf dem Boden netzten. Die Feuchtigkeit in seinem Gesicht bestand jedoch nicht nur aus Regen. Tränen der Erschöp-fung schimmerten in Schattenspinners Augen, als er sich auf sein Lager fallen ließ und die warme Decke über sich zog als suche er dort verzweifelt Schutz. Der Elf zitterte am ganzen Leib, und das nicht nur durch die klamme Kälte. Auch die Narben an den Wangen schmerzten heftig aufgrund der Anspannung, die ihn von den Fuß, bis zu den Haarspitzen erfüllte. Es war zu viel auf einmal geschehen, mit dem er nicht fertig wurde. Da war das Gespräch mit Loyahm, das seine letzten Zweifel beseitigt und doch wieder viele neuen Fragen aufgeworfen hatte: Er war einmal Sturmtänzer gewesen, der Gefährte von Frühlicht, ja ... aber welche Umstände hatten zu ihren Tod geführt. Trug er durch seine Un-vernunft die Schuld daran? Was hatte er damals getan, das zu der Katastrophe geführt hatte? Er wimmerte leise, als das Brennen der Wangen in seinen Kopf überwechselte. Dieses Ge-heimnis lag unter dem Schmerz verborgen. Genauso wie seine Erinnerungen. Dessen war er sich ebenfalls sicher. Eine Weile blieb er still liegen, dann öffnete er noch einmal die Augen und blickte auf die getrockneten Purpurwindröschen, die noch immer ihren frischen Duft und das Versprechen von Sommer verbreiteten. Rosenlieb gehörte zu den wenigen, die zu ihm standen, weil sie ihn nicht verurteilen wollte und konnte. Die wenigen anderen, die inzwischen erfahren hatte, wer er einst gewesen war, wagten nicht, sich ihm zu nähern, sei es nun aus Vorsicht, oder weil sie zu sehr mit ihren ei-genen Problemen beschäftigt waren, und für die jüngeren Elfen, die erst nach seinem Ver-schwinden geboren worden waren blieb er einfach der Fremde, der nach langer Zeit heimge-kehrte Schattentänzer. Nur manchmal hatte er das Gefühl, daß ihn eine Elfe, Sirkayla Eisherz, genauer beobachtete, aber bisher hatte sie ihn noch nicht angesprochen, so als warte sie auf eine günstigere Gele-genheit. Wenn er nicht darüber nachdenken wollte, floh er in die Arbeit, denn gerade jetzt im Spätherbst waren viele Nahrungsvorräte für den nahenden Winter haltbar zu machen und in sichere Verstecke zu bringen. Er preßte die Hände an die Wangen, als sich ihm die schmerzhaften Gedanken wieder auf-drängten. Warum nur kam alles so schnell ans Licht der Sonne? Schlag auf Schlag wie ein Unwetter nach dem anderen? Der dunkelhaarige Elf schloß wieder die Augen und versuchte, sich durch langsameres Atmen zu beruhigen. Von unten her vernahm er das glockenhelle Lachen seiner Enkeltochter Son-nenlanze. Schattenspinner seufzte als ihn ein anderer Schmerz rührte. Elea! Noch immer nicht hatte er sich an die Elfe heran getraut, die seine Tochter war, und mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen schien. er hatte Angst vor dem, was sie ihm sagen würde, wenn er ihr gegenüber trat und sich zu erkennen gab, denn ihre erste Begegnung in dem Ver-steck in der kleinen Höhle unter den Steinen war bereits bezeichnend gewesen. Aber was würde sein, wenn er es nicht tat? Sie würde über kurz oder lang ohnehin von anderen erfah-ren, wer er wirklich war - und spätestens dann mußte er sich seiner Tochter, das Wesen, das ihm am nächsten stand, stellen. Schattenspinner preßte die Hände vor das Gesicht, als sein Herz wieder heftiger zu pochen begann. Er war so verwirrt, so durcheinander, daß er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Wirre Bilder huschten durch seinen Kopf: Szenen von dem was einst gewesen war, was niemals eintreten würde, und was die Zukunft als möglichen Weg für ihn bereithalten mochte. Wünsche, Hoffnungen und Ängste ließen ihn innerlich aufschreien und in einen bunten Wir-bel der Farben treiben, ohne daß er sich dagegen wehren konnte, denn sein Impuls, der Qual zu entgehen war stärker. Dann plötzlich wurde es dunkel und still um ihn. Dayin fühlte sich geborgen und beschützt wie im Schoß seiner Mutter und ließ sich immer tiefer fallen. Er wollte nur noch ruhen, vergessen, schlafen, denn es tat so gut, bar jeder Sor-ge zu sein. Sollte das wirklich alles sein? Dann sah er in der Ferne ein Licht und erinnerte sich an die Erzählungen, die er auf seinen Wanderungen gehört hatte, daß jeder reinblütige Elf am Ende in den Palast zurück kehren würde, die Heimstatt der Hohen. Sicher war er das Licht, das ihn leitete. So bewegte sich Dayin langsam darauf zu, trieb mit einem unsichtbaren dunklen Strom, der ihn sanft umspülte und streichelte. Aus dem Licht schälte sich nun ein heller Schemen, die Gestalt einer Elfe, die ihre Hand nach ihm ausstreckte. Nicht viel mehr als ihre Umrisse waren zu erkennen, und wie ein Schleier umwehte spinnwebfeines Haar ihr Gesicht. ** Komm mein Geliebter!** raunte sie mit süßer, verlockender Stimme. ** Ich war so lange einsam ohne dich. Aber nun bist du zurück und bereit, für immer bei mir zu bleiben, denn du hast keine andere Wahl. Was getrennt war wird nun vereint, was gespalten ist geheilt. Wir sind wieder eins!** Dayins Herz pochte schneller, aber nicht vor Angst, sondern tiefempfundener Freude, denn keine andere, als der zweite Teil seiner Seele konnte ihn so erwarten! Auch wenn sie sich so sehr verändert hatte. Aber er kannte diese Gestalt, dieses zarte, zerbrechliche Wesen, das nicht weniger als die Seele einer vertrauten Gefährtin war. Er streckte die Hand aus und blickte zu der gesichtlosen Gestalt auf, die ihn nun um einen Kopf überragte. Lichtschleier umflossen sie wie ein glitzerndes Gewand. Sie war so wunder-schön und ihre Helle vertrieb alle dunklen Schatten aus seinem Geist. Das konnte nur Frühlicht sein, stellte er benommen fest, auch wenn in einem Winkel seines Geistes Zweifel flüsterten. Sie war doch eine Wolfsreiter, warum aber glich sie dann so sehr einer Hohen? Selbst wenn sie von ihrem sterblichen Blut befreit war, so ... doch das offene, liebreizende Lächeln bekehrte ihn eines anderen und er reckte sich ihr entgegen. Doch kurz bevor sich ihre Finger berührten, erklang eine andere, energische Stimme tief in seinem Geist. ** Nein, Dayin, mein Herz, meine Seele! Ich bin nicht gestorben, damit du ihr nun doch verfällst, mein Geliebter, um den Preis für etwas zu bezahlen, was du ihr gar nicht schul-det. Traue ihr nicht! Und folge ihr keinen Schritt! Ich bin hier, mein Geliebter, in deiner Seele, deinem Herzen und nicht vor dir!** Dayin hielt inne, als er seinen Irrtum endlich erkannte, und, sah was nicht stimmte. Er spürte die vertraute Nähe der geliebten Seele, so daß er ihrer Bitte rasch gehorchte und vor der Er-scheinung zurückwich. Nun betrachtete er die Gestalt vor sich mit klarem Blick. Nicht länger blickte sie ihn aus Frühlichts Augen an und mit dem Lächeln seiner Gefährtin. Diese Züge waren, härteren ge-wichen, wie in Stein gemeißelten mit kalten kristallenen Augen und einem schmalen verkniffe-nen Mund. Gier verzerrte das Gesicht zu einer gräßlichen Maske, wie sie manche der Men-schenstämme schufen und dann Dämonen nannten, und die Finger waren nichts weiter als dürre Klauen. Seine Augen weiteten sich, als er seine Hand nicht zurückziehen konnte, doch er atmete er-leichtert auf, als er plötzlich die starke, vertraute Seele seiner Gefährtin um sich herum spür-te. Blasse aber kraftvolle Finger umschlossen sein Handgelenk und zogen es zurück, ehe er die Berührung der Elfe vor ihm vollenden konnte. ** So einfach entkommst du mir nicht! Du bist schon einmal davon gelaufen, ein zweites Mal lasse ich das nicht mehr zu! Denn schließlich habe ich etwas, was dich an mich bin-det! Davor konnte sie dich nicht schützen!** Die Erscheinung lachte. Ein wütendes Heulen, wie das eines heftigen Sturmes erklang, als erste Blitze Dayin entgegen zuckten. Der Zorn der Erscheinung entlud sich in tödlich wirken-den Funken und bedrohlichem Zischen. Dayin wich immer weiter zurück, denn auch wenn er nicht wußte, warum, so ahnte er doch, daß diese Lichtgestalt sein endgültiger Tod sein konnte, wenn er sich nicht in Acht nahm. Kraft gab ihm nun die geisterhafte Erscheinung an seiner Seite - Frühlicht, die ihn immer wieder mit Blicken und ihrer Berührung antrieb ** Lauf, mein Geliebter. Lauf und flieh vor ihr, so wie do es schon einmal getan hast! ** "Als ich ihn mehrere Tage nicht gesehen habe, was bei diesem Wetter nur zu verständlich ist, mußte ich nach ihm sehen, und dann habe ich ihn so gefunden!" sagte Rosenlieb besorgt, während sich Lahria Silbermond die Heilerin über Schattenspinner beugte und vorsichtig die Decke aus der Umklammerung seiner Finger löste, ehe sie diese zurückschob. Die Haut des dunkelhaarigen Elfen war trocken und heiß wie über dem Feuer getrocknetes Leder und die Lippen in dem eingefallenen Gesicht gesprungen und blutig. Daß noch Leben in ihm steckte stellte sie an den zuckenden Augenlidern und den sich immer wieder verkrampfenden Händen fest. Schattenspinner war in einem schweren Fiebertraum gefangen. "Kümmere dich bitte schon einmal um eine kräftige Brühe, während ich das Fieber senken und ihm etwas Kraft zurückgeben werde. Vermutlich ist er durch den naßkalten Regen krank geworden." Die Heilerin ging an ihr Werk, während Rosenlieb verschwand, doch als die Gerberin wie-derkehrte, sah sie noch immer nicht beruhigter aus, selbst in ihrer Trance nicht. Immer wieder strichen ihre Finger über die Stirn und die Wangen des Elfen und verharrte, als kämpfe sie mit seinem Willen, der sich gegen die Heilung sperrte. Dayin wimmerte leise und öffnete für ei-nen Augenblick die Augen, aber er schien keine der beiden Elfen wahrzunehmen. Die Heilerin gab schließlich auf und schüttelte den Kopf, betrachtete schweigend den noch immer fiebernden Elfen. "Loyahm muß davon erfahren." sagte sie schließlich. "Was ist denn nicht in Ordnung?" fragte die Färberin. Die Heilerin wandte sich Rosenlieb zu. Ihr Gesicht war blaß und ernst. "Ich habe sein Fieber zwar senken können, so daß sein Körper überleben wird, wenn wir uns um ihn kümmern und ihn versorgen, aber ich weiß nicht nicht, ob sein Geist dazu bereit ist zurückzukehren." Sie blickte verwirrt drein holte tief Luft. "Bei den Hohen. Er ist kaum wiederzuerkennen, auch wenn ich in einem Teil seines Geistes, sein vertrautes Wesen spüre. Es ist so schwach, so schrecklich schwach, als sei es von etwas oder jemandem ausgelöscht worden." Die Heilerin strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Dayin war oft bei mir, weil er in seinem Übermut nicht darauf achtete, daß manchmal ein Busch oder ein Stein im Weg war. Doch ich mochte ihn wegen seiner Lebensfreude." Dann wurde sie schlagartig ernst. "Wir haben ihn für tot gehalten, damals als er in das Un-wetter hinaus lief und kurz darauf Frühlicht starb, aber jetzt habe ich eine Ahnung, wie und warum er überlebt haben könnte." "Wie meinst du das?" fragte Rosenlieb angespannt und sah Lahria verwirrt an. "Was ist nun mit ihm?" "Später Elijah, später!" Dayin rannte, so wie es ihm Frühlicht geraten hatte. So wie damals, als er in das aufziehende Unwetter gelaufen war. Und nun, in dem wenigen Licht, daß die dicken, graugelben Wolken gerade einmal durchließen, kämpfte er sich wieder durch das Dickicht, kletterte über Baum-stämme oder kroch unter einer Dornenhecke durch, angetrieben von seiner Furcht, dem We-sen wieder in die Hände zu fallen. Er achtete nicht darauf, daß er sich immer mehr dem Waldrand, und damit dem Gebiet der Fünffinger näherte. Da - zwischen den Bäumen blitzten schon die Wasser des Flusses auf, und sein stetes Rauschen drang an sein Ohr. Doch diesmal fürchtete Dayin die Menschen nicht. Er floh vor einem viel mächtigeren, schrecklicheren Feind. Plötzlich blieb der Elf wie angewurzelt stehen und ballte die Fäuste. Ich bin im Kreis gelaufen, stellte er entsetzt fest. Im Kreis? Nein, das bin ich nicht. Vor ihm erhob sich ein grauer Felsen, so hoch und breit wie zwei Fünffinger. Er war in der Mitte gespalten, und aus dieser Vertiefung erhob sich ein alter, knorriger Baum mit Rinde, die ihn an verwesendes Aas erinnerte. Jemand, der genauer hinsah, und die Phantasie besaß, konnte sich darin die Gestalt eines Elfen vorstellen, der seine Hände zum Himmel reckte, den Kopf zu den Sternen erhoben und das Gesicht in einem Schrei verzerrt. Dayin kannte diesen Ort nur zu genau. Nun erinnerte er sich wieder, wo es fast zu spät war. Als übermütiger Welpe war er damals einer Gruppe von ebenso leichtsinnigen wie neugieri-gen Fünffingern gefolgt und - als sie ihn bemerkt hatten, an diesen Ort geflohen. Schon da-mals war er ihm seltsam vorgekommen, und er hatte sich vom Felsen her beobachtet gefühlt, aber erst sehr später war er auf das Geheimnis gestoßen.. Vor Dayins Augen wurde der Baum lebendig und nahm die Gestalt eines leichengrauen Ho-hen an, der seinen ledrigen Mund zu einem Lächeln verzerrte und sich ihm zuwandte. Die Augen glühten in einem schlierigen Grün, als er seine Hände hob und ihm entwas entgegen hielt. In seinen Klauenfingern zappelte ein vielfarbener Schmetterling. Dayins Herz schlug bis zum Hals, als er erkannte, was die Erscheinung da in ihren Händen hielt. ** Ich habe dich gefangen, und du wirst mir nicht entkommen. An diesen Ort kann dir niemand mehr folgen! ** sagte das Wesen triumphierend. ** Du gehörst jetzt mir. Für alle Ewigkeit! Und wenn nicht in Fleisch und Blut, dann eben so!** Der Elf legte seine Hände an die Schläfen und wimmerte leise, als seine Beine schwer wie Blei wurden, und er hilflos mitansehen mußte, wie die Erscheinung die Hände zum Mund hob und den Schmetterling verschlang - der nicht mehr und nicht minder ein Teil seiner Seele war - der verlorene Laut seines wahren Namens... Nun gehörte er für immer ihr. "Es ist so, als sei sein Geist völlig verschwunden. Schattenspinner - Dayin - atmet noch, aber ich weiß nicht für wie lange noch." Die Heilerin sah fragend zu Loyahm Goldfederfell hoch, der sich über den inzwischen reglosen Elfen beugte und seine Hände über dessen verzerrte Gesichtzüge gleiten ließ, die sich nach und nach entspannten. "Webzeug! Schnell!" befahl er dann, und einer der Bewahrer, der selten von seiner Seite wich, tat seine Arbeit, während der Hohe nachdenklich einen Schritt zurücktrat und dann den Kopf schüttelte. Er beobachtete, wie die glitzernde Substanz den reglosen Elfen einhüllte und damit vor den Unbilden der Zeit schützte. Der Erstgeborene wirkte bleich, während für einen Augenblick Zorn und Unverständnis in seinen Augen aufblitzte. "Frühlicht und Sturmtänzer haben etwas vor uns verborgen. Aber wieso und warum?" murmelte er dann leise. "Das kann uns wohl nur einer beantworten!" erwiderte die Heilerin leise. "Der einzige von ihnen, der noch lebt ... jedoch wie lange?" Sie umarmte Rosenlieb, der für einen Moment Tränen in den Augen standen, die sie dann unwillig aus den Augen wischte. "Ich bin sicher, daß er wieder leben wird. Ganz sicher!" sagte sie dann entschlossen und blickte auf den Kokon. Wir sehen einfach immer wieder nach. Vielleicht ficht er auch nur irgendwo einen Kampf gegen das aus, was seine Vergan-genheit gefangen hält!" Sie ahnte nicht, wie recht, sie damit haben sollte... Kapitel 7: Schattenträumer -------------------------- Ihn umgab eine Ahnung von Dunkelheit und Kälte, aber ein Schutz aus seidigem weichen Material wärmte ihn. Dann und wann drang das Echo von aufgeregten Stimmen an sein Ohr, doch sie waren nicht mehr als zwitschernde Vogelstimmen, die verstummten, als der Träumer sich erhob und aus der dunklen Höhle des Schlafes ins Licht eines Traumes trat.... Dayin stand auf einer kleinen Lichtung und blickte sich verwirrt um. Er konnte sich nicht erinnern, wie er an diesen Ort gekommen war, denn dies war der Wald seiner Kindheit, den er so nicht mehr kannte. Um ihn herum erhoben sich die hohen Bäume, manche knorrig und verbogen von Wind und niedergedrückt vom Regen, andere gerade und hoch gewachsen. . Durch das Blätterdach fiel Licht und malte wirre Muster auf seine Haut und seine Kleidung, die manchmal wie Bilder schienen. Er sah sich vorsichtig um. Das Gras und die Pflanzen des Waldbodens reichten bis zu den Knien, so daß er nicht sehen konnte, was zu seinem Füßen war. Und doch - er wußte, daß er nicht an einem altvertrauten Ort stand, sondern inmitten eines Trugbildes. Die Farben der Blätter und Bäume wirkten verwaschen, ja fast grau - als seinen sie nur eine blasse Erinnerung, an das, was einmal gewesen war und etwas fehlte: Der Gesang der Vögel, der nur in den kalten Wintermonaten verstummte. Doch jetzt war es mitten im Sommer. Wie konnte das sein? War er nicht schon längst vorüber? Vergangen wie eine Erinnerung an schönere Zeiten. Den Elfen durchrann ein heißer Schauer, als er erkannte: Erinnerung war der Schlüssel zu allen Geheimnissen die ihn umgaben. Dayin spürte es mit jeder Faser seines Wesens, und doch fühlte er sich kraftlos und wie gelähmt, als fürchte er sich davor, Dinge zu entdecken, die ihn noch tiefer in den Abgrund stürzen konnten. Warum sprang er nicht gleich in die Schlucht in einem anderen Teil des Waldes und endete sein Leben, vielleicht war er dann endlich frei von den quälenden Gefühlen, die an seinem Geist nagten? Plötzlich zuckte er zusammen, denn in den Büschen, die die Schneise begrenzten, raschelte es. Aber wie konnte das sein, wenn er doch das einzige lebendige Wesen hier war, abgesehen von einigen flatternden Schatten am Rande seines Sichtfelds, die vielleicht Schmetterlinge sein konnten. Lebendig? Lebte er überhaupt noch, oder schwebte er bereits in einem Zustand zwischen Sein und Nicht-Sein, wie schon einmal vor langer, langer Zeit? Da war das Flattern einer Erinnerung, die zaghaft näher kam, und blitzschnell entfloh, als er nach ihr haschen wollte. Dayin holte tief Luft und sah in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Nun bemerkte, daß sich dort auch die Blätter bewegten. Ein schmaler braun befellter Körper tauchte zwischen den Blättern auf und dunkle glänzende Augen sahen ihn aufmerksam, ja fast ernst an. "Squirrit?" Den kleinen Marder hatte er schon seit dem Sommer nicht mehr gesehen und angenommen, daß sein Tierfreund sich eine Gefährtin gesucht und eine Familie gegründet hatte. "Was machst du denn hier?" "Quiiier!" gab ihm der Marder zur Antwort, ehe er leise fiepte lossprang und an seinen Hosenbeinen hochkletterte, bis er ganz unter dem weiten Hemd verschwunden war. Dayin holte tief Luft. Daß der Marder kein Trugbild war, spürte er an den scharfen Krallen, die sich in seine Haut bohrten, wenn Squirrit den Halt im Leder verlor und den warmen Körper unter dem struppigen weichen Fell, der sich fest an ihn drückte. Der Elf seufzte. Doch gerade, als er das Tier unter seinem Hemd wieder hervorholen wollte, hörte er in seiner Nähe die hellen Stimmen von Elfen, dann ein unheimliches Brüllen und einen spitzen Schrei. Er riß die Augen auf. Nun fühlte er sich in eine Zeit versetzt, die er vergessen geglaubt hatte... Vor ihm teilten sich die Büsche und wuchsen in die Höhe. Plötzlich war er wieder kaum zwei Wechsel der Jahreszeiten alt, einsam und verängstigt. Weinend streckte er die Arme nach Mama aus, doch die war zu weit weg - auf der anderen Seite der Büsche, am Bach. Seine Väter kauerten bei ihr und verdeckten seine Sicht auf Mama. Warum taten sie das?. Der kleine Elf versuchte sich bemerkbar zu machen: "Maaaaaaaaammmmmaaaa, Paaaaaaaappppppp...." klagte er, aber die beiden Älteren beachteten ihn nicht. Warum schimpften sie jetzt mit Mama, schüttelten sie und schrien sich jetzt auch noch an, als hätte einer von ihnen was getan, was er nicht durfte? "Nich... weh tun!" Dayin schniefte und versuchte sich zwischen den Ästen des Busches durchzuwinden, aber die Blätter und Dornen piekten, so daß er es schnell wieder sein ließ. "Aua!" Mama hatte ihn dahinter gesteckt, und war dann zum Bach gelaufen, weil sie was Schlimmes gehört hatte, was sie ihm nicht sagen wollte. Und dann war es ganz furchtbar laut geworden. Dayin hatte sich unter dem Laub versteckt und die Ohren zugehalten, bis es wieder leise geworden war. Ganz schrecklich leise. Gerade als er hatte kucken wollen, waren dann seine Papas angelaufen gekommen ... und hatten ihn seither nicht mehr beachtet, obwohl er gerufen und geweint hatte. Dayin verstand die Welt nicht mehr und reckte sich wieder Er konnte nur sehen, wie einer seiner Papas Mama auf den Arm nahm. "Mama weh?" fragte er vorsichtig, wurde aber wieder nicht wahr genommen, bis... Der Elfenjunge quietschte, als ihn jemand hochhob, lachte aber wieder, als er den Schwarzhaarigen Elfen erkannte, der ihn auf die Arme nahm und schlang seine Arme um dessen Hals. "Ay ...da!" Ayda.... Aydan. Wie ein Blitzschlag durcheilte Dayins Körper die Erkenntnis, und über das Gesicht des jungen Elfen aus seiner Erinnerung schob sich das eines älteren, in dessen Züge die Zeit ihre Spuren hinterlassen hatte. Der dunkle Jäger, dem er schon mehrfach im Wald begegnet war, mußte ihm seit frühster Jugend vertraut sein. Aydan Schattenfänger war sein Bruder. Und das warf weitere Fragen auf, die in seinem Kopf hallten und ihn verwirrten. Aus den leisen, wispernden Stimmen seiner Vergangenheit schälte sich dann aber eine sanfte, die nicht aus seinem Geist kam. "Komm her mein süßer kleiner Welpe mit dem nußbraunen Fell!" Dayin erstarrte und sah vorsichtig in die Richtung. Er schluckte heftig, denn da stand jemand, den er seit seinen Kindertagen nicht mehr gesehen hatte. "Ma...Mama?" wisperte er mit kindlicher Stimme. Sie sah noch immer so aus, wie an dem Tag, an dem sie sich nicht mehr aus dem Schlamm des Bachufers erhoben hatte. "Ich bin hier!" sagte sie mit ihrer sanften aber starken Stimme und streckte lächelnd ihre Hand aus. "Die Fünffinger haben mir damals sehr weh getan, mein Sohn, und ich habe lange gebraucht, bis ich wieder gesund geworden bin." Ihre Augen leuchteten "Oh, wie groß du geworden bist. Ich bin so stolz auf dich." Verwirrt schüttelte Dayin den Kopf und näherte sich ihr.. Seine Gefühle gerieten durcheinander, denn er wußte nicht, ob er an diese Worte glauben sollte. Was nach dem Ereignis am Bach geschehen war, wußte er nicht mehr zu sagen, denn seine Erinnerungen versiegten so schnell, wie sie gekommen waren. Seine Mutter war gestorben ... oder lebte sie doch noch? Ein schmerzhafter Biß in seine Seite brachte Dayin wieder zur Besinnung und ermahnte ihn daran zu denken, wo er war. Er wich einen Schritt zurück - wie konnte er nur vergessen, daß an diesem Ort alles möglich war. Und Lügen zur Wahrheit werden konnten. "Was ist mit dir?" fragte seine Mutter und ihre Augen weiteten sich fragend, als verstünde sie seine Ablehnung nicht. "Dayin, mein Kind, was hast du plötzlich?" "Du bist nur ein Trugbild!" keuchte Dayin und wich noch weiter zurück. "Nichts weiter als eine Lüge" Dann drehte er sich um und rannte, so schnell ihn seine Füße trugen davon, sprang und stolperte über Stock und Stein. Der Wald lichtete sich und zwischen den Bäumen konnte er bereits das Steppenland sehen - den verbotenen Ort. *Stehenbleiben!* Harsch klang die Stimme des Ältesten in seinem Geist, und der dünne, kleine Elfenjunge blieb stehen und blickte sich suchend um. Aber er konnte niemanden erspähen, obwohl ihm doch Aydan schon gezeigt hatte, worauf er achten mußte. Trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.*Bis hier hin und nicht weiter. Warum setzt du dich schon wieder über das Gebot hinweg? Halte dich von den Fünffingern fern!* "Aber ich bin doch ganz vorsichtig gewesen, und sie haben mich gar nicht bemerkt. Aydan hat mir viel gezeigt. Ich bin schon ganz groß!", piepste Dayin leise und spähte verlegen unter seiner struppigen Mähne hervor, die keine der älteren Elfen bisher gebändigt bekommen hatte. "Ich will doch nur zeigen, was ich schon kann..." Schuldbewußt blickte er zu Boden und malte mit den Zehen einen Kreis in die Erde. Dann blitzte es jedoch in seinen Augen auf und er schoß, wie der Blitz zurück in das Dickicht des Waldes, rannte über einen umgestürzten Baumstamm, sprang über ein paar spitze Steine hinweg und kroch durch ein Loch unter den Dornenbüschen in ein Versteck unter hohen, dunklen Nadelbäumen. Das war nur einer der Orte, die er hier entdeckt hatte, und an die er sich zurückzog, wenn wieder einmal Ärger im Anzug war. Goldfederfell würde bestimmt schimpfen, wie so oft, wenn er seine Nase in Dinge steckte, die ihn gar nichts angingen, oder sich zu weit vorwagte. Dabei war er doch nur neugierig und wollte mehr von allen Dingen erfahren, damit er gut vorbereitet war. So wie Aydan es ihm beigebracht hatte. Nachdem er eine Weile mit angezogenen Beinen unter den niedrigen Ästen gehockt hatte, glaubte er sich endlich sicher und beschloß, durch die andere Lücke zu kriechen, die er entdeckt hatte, um herauszufinden, was dahinter lag. Dayin schob sich bäuchlings durch den schmalen Spalt und fand sich plötzlich an einem seltsamen Ort wieder .... Vor ihm erhob sich ein grauer Felsen, so hoch und breit wie zwei Fünffinger. Er war in der Mitte gespalten, und aus dieser Vertiefung erhob sich ein alter, knorriger Baum mit Rinde, die ihn an verwesendes Aas erinnerte. Jemand, der genauer hinsah, und die Phantasie besaß, konnte sich darin die Gestalt eines Elfen vorstellen, der seine Hände zum Himmel reckte, den Kopf zu den Sternen erhoben und das Gesicht in einem Schrei verzerrt. Dem Elfenjungen liefen kalte Schauen über den Rücken. Es war unheimlich hier und roch nicht gut, so als hätte hier noch vor kurzer Zeit ein totes Tier gelegen? Trotzdem wagte er sich weiter vor und umrundete den Felsen, immer argwöhnisch den Baum beobachtend. Zwischen den Wurzeln des Baumes und dem Felsen verbarg sich eine Höhung, die bestimmt groß genug war, um auch einen so großen Elfen wie Goldfederfell aufzunehmen. Und was blitzte da zwischen dem vermodernden Laub? Neugierig schob der Elfenjunge die zerfallenden Blätter beiseite und japste, als ihm ein Schädel entgegengrinste. Nicht der eines Tieres ... nein ... die die Reste der porösen Knochen eines Elfen. Etwas strich über seinen nackten Arm, hinauf zu seiner Schulter und ihm war, als richteten die leeren Augenhöhlen ihren Blick auf ihn. Einsamkeit, Zorn und Verzweiflung strömten auf ihn ein, aber auch Gier - Verlangen nach ihm. "Iiiiiieeeeeeee!" Da verließ den kleinen Frechdachs doch der Mut und er wich zurück, als er eine Berührung spürte, die keinen sichtbaren Ursprung hatte. Mit zitternden Gliedern und heftig pochendem Herzen floh er von diesem Ort. Da nahm er doch lieber die Predigt des Ältesten auf sich und die Strafe, die sein Ungehorsam nach sich ziehen würde. Denn die Beklommenheit und die Ahnung, etwas sehr Schlimmes aufgeschreckt zu haben, wich erst, als er den Nadelbaumring vor sich sah und die ersten Elfen sah. Jetzt war er ganz sicher, denn hier beschützten die Älteren ihn. Er blieb vor den hohen Nadelbäumen stehen, die den Hain begrenzten und blickte sich verwirrt um. Goldfederfell, Morgenlicht, ja selbst Rosenlieb gingen an ihm vorüber, als sei er nicht da, sondern nur eine körperlose Seele. Er blickte genauer auf die Gestalten und schauderte: Wirkten die Elfen, die ihm entgegen kamen nicht selber wie Schatten? Der Elf ballte die Fäuste und preßte die Lippen fest aufeinander. Enthielten diese falschen Bilder nicht ein Fünkchen Wahrheit? Gehörte er wirklich noch in den Hain der Schattentänzer? Hatte er überhaupt ein Recht, dem Stamm anzugehören, wenn er sich selber nur an Fetzen seines Lebens erinnern konnte, und immer wieder das Gefühl hatte, eine große Schuld zu tragen? Der Älteste, die geliebte Freundin, die Geschwister ... und all jene mit denen er sein Leben geteilt hatte... Sie waren ihm vertraut, aber doch fremd. Zwischen ihnen und ihm stand eine Mauer des Vergessens und der Angst.. "Erkennst du es nun. Du und ich, wir sind uns ähnlicher als du denkst. Und wir teilen das gleiche Los. Wir sind einsam. Wir sind Schatten inmitten der Fröhlichkeit und Verbundenheit der anderen." Etwas berührte ihn. Dayin blickte vorsichtig zu der Hand hin, die sich auf seine Schulter gelegt hatte. Sie war schlank, schmal und bleich. Er drehte seinen Kopf und dann seinen Oberkörper, bis er die bleiche Erscheinung ganz vor sich sehen konnte, während die Umgebung um ihn herum sich verdunkelte und verzerrte. Das Gesicht der Elfe war unter den wirren farblosen Haaren, die wie Spinnengewebe wirkten, verborgen. "Wir sind überall fremd, und wir werden es auch immer sein, wenn wir nicht mit Herz und Geist aufgenommen werden! Nur weil sie uns nicht verstehen, oder unser Denken und Fühlen begreifen wollen", sagte sie anklagend. "Und es sogar hassen." "Das ist nicht wahr!" widersprach Dayin mit erstaunlich fester Stimme. "Um jemandem anzugehören, muß auch ich mein Herz und meine Seele dem anderen offenbaren. Nur so kann Vertrauen entstehen und wahre Verbundenheit." Er zuckte zusammen. Der Schmerz in seinem Kiefer war wie die Narben verschwunden. "Du willst nicht verstehen!" Ihre kalte eisige Stimme jagte einen Schauer durch seinen Leib, während ihre Finger sich tiefer in seine Schulter krallten. Dayin zitterte am ganzen Leib, doch ein Bild, das kurz vor seinem inneren Auge erschien, gab ihm die Kraft sich ihrem Griff zu entziehen. "Was willst du eigentlich von mir?" Und nach einer kurzen Pause, in der er tief Luft holte: "Warum verfolgst du mich schon mein ganzes Leben? Was habe ich dir getan?" "Was du mir getan hast?" Die Stimme klang sanft und traurig. "Mein Liebster, du hast mir nichts getan, aber du hast mich bis jetzt nicht verstanden. Vielleicht fällt es dir jetzt leichter, denn ich brauche deine Hilfe." Die schmalen Hände schoben das Haar beiseite und enthüllten ein spitzes maskenhaftes Gesicht, in dem nicht einmal mehr die grauen Augen lebten. "Verstehst du mich jetzt? Aus mir ist alles Leben gewichen. Du kannst es mir wiedergeben. Allein das habe ich von dir erbitten wollen, du jedoch hast mich nie verstanden." In ihrer Stimme klang Einsamkeit und Verzweiflung mit. "Jetzt aber vermagst du es." Dayin sah sie an und nickte langsam. Ja, jetzt verstand er.. Ihre Stimme rührte sein Innerstes. Wie ein Schwarm Schmetterlinge stoben die Schatten seiner Vergangenheit auf und irrten in seinem Geist umher. Doch der Elf haschte nicht nach ihnen, denn die Falter waren farblos und grau- ein besonders großer sogar schwarz. Er hatte Angst davor, sich ihnen zu stellen, denn eine Ahnung sagte ihm, daß sich in ihnen Geheimnisse verbargen, für deren Enthüllung er noch nicht stark genug war. "Wer bist du eigentlich?" fragte der Elf rasch um die Erinnerungen zu vertreiben. "Ich bin nur ein Schatten meines wahren Selbst!" Sie hob die Arme und blickte zu den Sternen. "Sieh hinauf. Einst war ich ein Teil von ihnen und frei dorthin zu gehen, wohin ich wollte, wohin wir wollten. Doch dann folgten wir einem Ruf, ohne zu ahnen, daß dies unser Verhängnis sein würde ... und der Fluch dieser Welt ereilte uns." Sie sah zu ihm hinunter. Zum ersten Mal schimmerte in ihren Augen eine Regung. "Aber was verstehst denn du schon von der Zeitlosigkeit eines unendlichen Lebens? Du, der einmal den Keim der Sterblichkeit dieser Welt in dir getragen hast - wenn auch nur für kurze Zeit. Was verstehst du von der Grenzenlosigkeit der Macht Myriellins, von der du nicht einmal einen Hauch besitzt?" Der Wahnsinn irrlichterte in ihrem Blick, als sie weitersprach. "Ich habe versucht, diesem Ort, dieser Welt zu entkommen, nachdem ich gesehen habe, welche Zwänge sie uns auferlegte ... aber statt dessen hat sie mich noch fester in ihre Fesseln geschlagen." Sie schrie gequält auf und schien ihn vergessen zu haben, denn ihre Worte richteten sich an jene, die Dayin nur aus den Geschichten der Ältesten kannte. "Warum habt ihr mich nie verstanden. Warum hat ihr meinen Traum nie teilen wollen, sondern immer nur euren Kopf darüber geschüttelt und behauptet, es sei ein sinnloses Unterfangen? Vor allem du Trillian, für den ich immer nur Achtung und Bewunderung empfunden habe?" Ihr hysterisches Lachen ging in ein hoffnungsloses Schluchzen über und sie sank in die Knie. "Warum habt ihr aufgehört, gegen diese Welt zu kämpfen, und sich ihr ergeben?" Diese verzweifelte Wut war echt. Die Elfe sank in sich zusammen und zitterte heftig. "Ich wollte uns doch nur die Freiheit zurückgeben... aber du hast mich verstoßen, Trillian! Warum nur?" Sie krümmte sich wie in Schmerzen. "Wenn ich es dir doch noch einmal erklären könnte. Aber du wußtest keinen anderen Weg mehr, als mich allein herumirren zu lassen." Trotz aller Vorsicht fühlte Dayin Mitleid, schließlich war er einmal in einer Lage gewesen, in der Trost seinen Schmerz gelindert hatte. "Hab keine Angst vor uns." Die zarte Stimme einer Elfe und ihre kühlen, heilenden Hände waren die ersten Wahrnehmungen, die ihn aus dem Meer der Schmerzen rissen. Er öffnete die Augen und sah in große bernsteinfarbene Augen. "Wir, das sind ich und meine Brüder, haben dich schwerverletzt am Ufer des Flusses gefunden. Du hast dich immer noch an den Baumstamm geklammert, der dich ans Ufer getragen hat. Wasser? Alles was er spürte, war Feuer, das in seinem Kopf und auf seinem Gesicht brannte. Er öffnete den Mund, doch außer einem erstickten Schmerzenslaut vermochte er nichts zu sagen. "Nicht sprechen. Du kannst es uns später sagen", sagte sie und strich ihm vertrauensvoll über die Stirn. "Du brauchst erst einmal sehr viel Schlaf. Er versuchte ihr seine Dankbarkeit zu senden, aber nicht einmal mehr dazu war er fähig. Sein Kopf war leer ... ausgebrannt. Verzweiflung erfaßte ihn. Die Elfe mußte das wohl in seinem Blick gesehen haben, denn sie legte nun beide Hände auf seine Stirn und tröstete ihn mit sanften Liebkosungen. "Schlaf jetzt und erhole dich. Schließe die Augen. Es wird alles wieder gut werden." Nicht würde wieder gut werden, aber er verstand das Leid dieser Erscheinung seiner Albträume jetzt und konnte wenigstens die Freundlichkeit wiedergutmachen, die ihm damals von den Wanderern und vor allem ihrer jungen Heilerin Sonnenauge erwiesen worden war. Es schien ihm nur gerecht. Dayin achtete nicht auf das protestierende Kratzen Squirrits auf seiner Haut. Statt dessen trat er auf die Elfe zu und kauerte sich vor sie. Seine Hände legten sich wie von selbst auf ihre blassen Wangen, um sie zu trösten. Dann aber weiteten sich seine Augen. Mit Erstaunen bemerkte er, wie sich die kühle Haut der Elfe unter seiner Berührung erwärmte, sich die Muskeln darunter regten und die dünnen Lippen zu einem verzückten Lächeln hoben. Die Augen der bleichen Gestalt schlossen sich, und ihre langen Wimpern zitterten, als sie sich seinen Berührungen hingab, seinen Fingern, die über die Wangenknochen, den Nasenrücken strichen und den Schwung ihrer Augenbrauen nachfuhren. Ihre Lippen öffneten sich leicht. "Bitte höre nicht auf, mein Geliebter. Nimm mich in deine Arme ... denn ich bin dein. Bitte schenke mir deine Liebe ... dein Leben!" wisperte sie. "Umarme mich und halte mich fest - für immer!" Ihre Hände krallten sich in seine Schultern. "Tröste mich. Liebkose mich", wisperte sie bittend und gierig zu gleich. Doch Dayin stieß sie nicht zurück, denn er verstand ihr Flehen jetzt. Der Marder zeterte. **Unsere Seelen sind eins. Niemals werden wir voneinander getrennt sein, mag geschehen sein was wolle ... **, sang eine Stimme plötzlich in Dayins Geist. Er riß die Augen auf, während die bleiche Elfe plötzlich zusammenzuckte und den Kopf hob, als ihr Bann über ihn zerbrach! Ihre Lippen zitterten. vor Wut. "Vergiß sie!" "Sie?" Noch während Dayin verwirrt dieses Wort aussprach, wußte seine Seele, wer gemeint war. Er durfte Frühlicht nicht vergessen. "Du weißt wen ich meine!" klagte die bleiche Elfe. "Sie hat immer noch nicht begriffen, daß ich dich will und dir viel mehr schenken kann als sie es je vermochte." Ihr Gesicht nahm einen flehenden Ausdruck an. "Du hast mich aus meinem langen Schlaf geweckt, obwohl du noch so jung warst, so süß und unschuldig. Und dann ist sie gekommen und hat dich mir entrissen." "Das ist nicht wahr." Dayin schob die Hände der Elfe von seinen Schultern, hielt aber noch die dünnen Arme der Elfe fest. "Als ich noch ein Kind war, wußte ich nicht, was ich tat und später ... Frühlicht und ich sind eins. Sie hat mich dir nicht entrissen, denn ich habe dir niemals gehört, sondern nur immer ihr." "Wo willst du nur hin, mein kleiner Welpe?" Die Jägerin packte lachend in Dayins lange Haare und verhinderte damit, daß er ihr entwischen konnte. Der junge Elf gab einen unwilligen Laut von sich. "Frühlicht ... bitte laß mich hinterher, ich kriege das Reh schon noch." "Nein!" sagte die Elfe mit den braungoldenen Haaren. "Das hat keinen Sinn mehr. Im Dickicht findest du es nie." "Doch, ganz bestimmt!" verteidigte sich der junge Elf, der erst kurz bei den Jägern weilte, und ihnen aus unerklärlichen Gründen schon mehrfach Beute verjagt hatte. Nur Frühlicht sah in dem schlanken Halbwüchsigen mehr als einen großen Tollpatsch und verteidigte ihn gegenüber den anderen Jägern, auch wenn Dayin ihre Beweggründe nicht verstand. Sie strich ihm die wirre, braune Mähne aus dem Gesicht. "Und wie kommst du darauf?" wollte sie wissen. "Na ja, die Kaninchen im letzten Winter - sie sind nicht weggelaufen, als ich sie fangen wollte, und das Reh hatte auch keine Angst vor mir, bis ... bis du gekommen bist!" druckste der junge Elf herum. "Sie haben dich nicht gerochen!" Frühlicht lachte. "Dann glaubst du wohl, du hast Macht über die Tiere? Das wüßte ich aber ..." Sie runzelte die Stirn. "Obwohl es möglich sein könnte, daß ..." Sie blickte Dayin nachdenklich an und ließ seine Haare los. "Nun gut. Versuchen wir unser Glück noch einmal." "Na endlich verstehst du!" Sturmtänzer huschte zwischen die Büsche und sie folgte ihm dichtauf. Sie folgten der Spur des geflohenen Rehs immer tiefer in den Wald, bis sich vor ihnen eine größere Dornenhecke erhob. Der junge Elf blieb verwirrt stehen. * Du glaubst doch wohl nicht, daß das Tier da durch ist?* meinte die erfahrene Jägerin an seiner Seite. *Da müssen wir lang.* *Ich weiß nicht.* Dayin faßte sich verwirrt an den Kopf. Warum war er plötzlich so durcheinander beim Anblick dieser Hecke, die nicht einmal mehr so hoch wirkte, wie in seiner Erinnerung? Er wußte noch, daß er sich noch vor ein paar Jahren hier gerne vor Goldfederfell und den anderen Ältesten versteckt hatte, bis ... Frühlicht sah sich mißtrauisch um. Ihr Gesicht war angespannt, und ihre Nasenflügel zitterten, als wittere sie etwas wie ein Wolf. Dann seufzte sie. *Alte Gewohnheiten vergesse ich nicht so schnell.* lächelte sie kurz und wurde wieder ernst. *Laß uns aber trotzdem hier verschwinden. Ich mag diesen Ort nicht und werde Goldfederfell bitten, ihn sich einmal genauer anzusehen.* *Ja* ,entgegnete Dayin fröstelnd. Für einen Moment huschte das Bild eines Elfenschädels - unter Laub und Dreck verborgen durch seinen Geist. * Ja, ich mag ihn auch nicht!* Doch er konnte Frühlicht nicht davon erzählen. Doch bevor sie ihren Weg fortsetzten, warf er noch einmal einen Blick auf die Hecke und es war ihm, als blickten ihn zwei silbrig grau schimmerde Augen aus dem Dornendickicht, die ihn um etwas anflehten. Er schnappte nach Luft. *Komm von hier fort!* Frühlichts schmerzhafter Griff um seinen Oberarm, brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. *Suchen wir nach anderer Beute! Schließlich will ich nicht mit leeren Händen nach Hause kommen!* "Aber ich habe mich verborgen und nicht gezeigt, als Trillians Kind und die anderen Erstgeborenen kamen, und auf IHR Geheiß diesen Ort absuchten. Ich war klug und stark genug, ihren Sinnen zu entgehen", wisperte die Elfe gefährlich leise. "Ich habe mich immer nur Auserwählten gezeigt - und von all jenen liebe ich vor allem dich." Ihre Augen wurden wieder sanft und nachgiebig. Dayins Stimme zitterte, als er ihr antwortete. "Goldfederfell nannte es einen Ort böser Magie, und riet allen, ihn zu meiden." "Wie töricht, denn es war nicht der einzige Ort, an den ich gebunden war, wie du später heraus gefunden hast," konterte sein Gegenüber und musterte ihn genau. "Denn du hast nicht ruhen können, mich wiederzufinden." "Das mag sein", entgegnete Dayin und versuchte ihr keine Blöße zu bieten oder sich zu verraten. "Doch ich habe für diesen Fehler bitter bezahlt." "Nicht genug, wie mir scheint!" Die bleiche Erscheinung lachte böse, und entzog sich seinem Griff. Mit einer weit aus holenden Geste richtete sie sich wieder auf. "Ich glaube, du hast einiges vergessen. Sieh hin und begreife endlich!" Dayin kauerte weiter im Gras und blickte wie gebannt zu ihr hin. Erneut veränderte sich die Umgebung. Ein schwefelgelbes Licht gab den Bäumen, Büschen und Pflanzen eine seltsame Farbe. Gräser und Blätter raschelten in den aufkommenden Windböen, und über das Geheul des nahenden Sturmes hinweg vernahm er immer lauter werdenden Donner. Ein so schlimmes Gewitter hatte er zuletzt erlebt, als er trotz der Warnungen der ... Der Elf erstarrte als zwischen ihnen ein Schwarm grauer Schmetterlinge hochstob. Ihre kleinen Schatten verdunkelte hell leuchtende Silhouette der Elfe. Deren Gestalt war von einem gelblich weißen Licht umgeben, wie der Baum auf dem Hügel zu dem er gelaufen war. Dayins Augen weiteten sich, als sich ein schwarzer Schmetterling auf seine Nase setzte und seine Flügel unruhig bewegte. Sie zitterten im Takt seines Herzschlags, seines ... "Aaaaaaaaaaaaahhhhhhh!" Dayin schrie auf, als sich kleine scharfe Zähne in sein Ohr gruben und das Ohrläppchen durchbissen. Blut benetzte seine Wange und seine Hals und lenkte seine Sinne auf jemand anderen als die Bilder. Squirrit war unter dem Hemd hervorgeschossen und klammerte sich an seinem Hemd fest. Der Marder keckerte ihm laut ins Ohr. ** Laß dich nicht von ihr wegreißen mein Geliebter, verbanne ihre Bilder aus deinem Geist!** * Ich .... ich!* Schmerzerfüllt warf Dayin den Kopf in den Nacken. Der Schmetterling stob auf und umkreiste ihn, als wolle er nicht von seiner Beute ablassen. In die Beine des Elfen kam wieder Leben, als ihn der Marder mit weiteren Bissen auf die Beine trieb. ** Lauf weg! Sammle Kraft, denn noch bist du nicht stark genug, für die Wahrheit!** Dayin riß seine Augen auf. Für einen Moment trafen sich sein und Squirrits Blick, und nun verstand er, wer die ganze Zeit bei ihm gewesen war. ** NYX! ** ** Ja mein Geliebter, ich bin hier. Und nun tu, was ich dir sage, ehe sie bemerkt was geschieht!** Ein lautes Krachen in seiner Nähe und der Geruch von schwelendem Holz weckte Dayin aus seiner Erstarrung. Schwere Regentropfen prasselten auf den braunhaarigen Elfen herunter und durchnäßten ihn im Nu. Sie machten seine Kleidung schwer. Und noch immer noch war das Lachen der Elfe über den Donner zu vernehmen. Sie schien vom Regen nicht niedergedrückt zu werden, sondern hatte die Hände zum Himmel gehoben und schien die unter den schweren Wolken tanzenden Blitze zu sich rufen zu wollen. Doch plötzlich hielt sie in ihrem Freudentaumel inne und schrie wütend auf. "Nein, du kommst mir nicht mehr dazwischen!" Schneller als ein Lichtstrahl schoß sie vor - und packte - ehe Dayin begriff, was geschah - den Marder. "Jetzt werde ich dich ein für alle Mal aus unserer Mitte vertreiben!" "Neeeeeiiiiiiinnnnnnn!" Dayins Schrei ging im Dommerhall unter. Er setzte der bleichen Elfe nach, die das Tier in ihren Händen zerdrücken wollte, während er sich mit Zähnen und Klauen zur Wehr setzte, sich wand wie eine Schlange und schrill quiekte. ** Nyx! Halte durch. Ich komme!** ** Nein, mein Geliebter! Geh, wie ich dir gesagt habe! Sie kann mich nicht töten!** Der Marder schrie vor Schmerz und schien das Senden lügen zu strafen. Dayin wollte und konnte es nicht glauben und versuchte die bleiche Elfe festzuhalten, doch sie entzog sich ihm immer wieder, während sie durch den Wald tanzte und ihn in zu einigen schroffen Felsen lockte. Der Elf wußte, daß er sich immer mehr der Schlucht näherte. **Zurück mein Liebster. Zurück! Auch hier kannst du den Sturz in die Tiefe nicht überleben!** ** Ich kann dich nicht in ihren Händen zurücklassen!** schrie Dayin gequält. **Versteh doch!** ** Du mußt um unseretwillen, mein Liebster.** Für einem kurzen Augenblick bohrte sich der gequälte Blick des Marders in seine Augen. die Erscheinung war inzwischen an der Schlucht angekommen und hob ihn hoch über ihren Kopf um das Tier mit aller Macht in die Tiefe zu schleudern. "Neeeeeeiiiiiiinnnnnn!" Dayin sprang vor um sie daran zu hindern und sürte, wie ihn sein Schwung über den sicheren Boden hinaus trug. ** Bitte verzeih mir das, was ich jetzt tue, denn es ist der einzige Weg, um dich zu retten.** Und dann vernahm er einen Laut in den Tiefen seines Herzens und seiner Seele, der die Umgebung um ihn herum erschütterte und in tausend Scherben zerspringen ließ, so daß um ihn herum nur noch Schwärze war. ** K Y L **  Schmutziger halb getauter Schnee lag zwischen den Bäumen, Darunter kam graues Moos und verrottendes Laub zum Vorschein. Nebelschwaden zerrissen und fügten sich wabernd wieder zusammen, während sie jeden Laut verschluckten. Die schwere Luft machte das Atmen schwer und die feuchte Kälte umgab die wenigen Gestalten, die in dicke Felle gehüllt unter den Bäumen umher huschten. Eine davon zog fröstelnd den Kragen höher, denn die Feuchte kroch unerbittlich unter die obersten Schichten der Kleidung. Nein, das Wetter trug nicht dazu bei, die Stimmung der Schattentänzer zu heben, die von Tag zu Tag bedrückter und angespannter wurde. Nicht nur der frühe Wintereinbruch, sondern auch die Nomaden, die sie seit den Herbsttagen bedrängten, machten ihnen zu schaffen. Und zu dem Kampf gegen die Fünffinger würde bald noch ein anderer kommen - der gegen den Hunger, denn die Wintervorräte schrumpften zunehmend, da es den Jägern kaum noch möglich war, Beute mit nach Hause zu bringen. Ahrian Silberschwinge wußte, daß Angst und Verzweiflung immer mehr um sich griffen und manche von denen, die ihr anvertraut waren zu Handlungen verleiten würden, die sie und der Stamm bitter bereuen würden. Und sie wußte im Moment keine Möglichkeit, das zu verhindern.. Mit diesen düsteren und sorgenvollen Gedanken betrat die junge Anführerin der Schattentänzer die Versammlungshöhle, in der sie über manches nachdenken wollte. Wie immer seit den letzten Jahreszeiten galt ihr erster Blick der eingesponnenen, reglosen Gestalt eines Elfen. Sie lächelte bitter, während sie sich auf eine Bank in der Nähe setzte und ihn betrachtete. Konnte Dayin Schattenspinner, der vor langer Zeit Sturmtänzer gewesen war, sich wirklich glücklicher schätzen als die anderen, die Not und Hunger offenen Auges miterlebten? Niemand wußte, was seinen Geist dazu gebracht hatte, sich so weit zurückzuziehen, daß selbst der Formgeber und die Heilerin ihn nicht mehr erreichen konnte. Oder ob nicht noch viel mehr mit im Spiel war, von dem niemand außer dem Schlafenden etwas wissen konnte. Sein Zustand war und blieb ein Rätsel für sie alle, genauso wie die Veränderung, die er seit seinem Verschwinden oder angeblichen Tot vor langer Zeit durchgemacht hatte. Sie runzelte die Stirn. Darüber nachzudenken, was geschehen sein mochte, lenkte sie von ihren eigentlichen Sorgen ab. Vielleicht tat das auch einmal gut, die schwere Last einmal für eine Weile abzulegen Jedenfalls hatte sie den in Webzeug gehüllten Körper in die Versammlungshalle bringen lassen, weil sie ihn hier, verborgen hinter einer Wurzel, sicherer wähnte als ihn seinem Nest, nachdem der Winter so früh hereingebrochen war und... Sie schüttelte unwillig den Kopf, als ihre Gedanken schon wieder zu dem zurückkehrten, was sie bedrückte. Nein - sie kam davon nicht einmal für einige Augenblicke los. Vielleicht war es besser, mit jemandem zu sprechen und ... Doch gerade als sie den Blick von dem Kokon abwenden und aufstehen wollte, bemerkte sie dort eine Bewegung. Sie hielt die Luft an. Was machte ein lebendiger Schmetterling so tief im Winter hier? Das tiefviolette Insekt saß mit zitternden, glänzenden Flügeln, als sei es gerade erst geschlüpft, auf dem Webzeug. Das war doch völlig unmöglich. Silberschwinge stieß die Luft zischend wieder aus. Durch den Windhauch getragen, stob der Schmetterling auf und flatterte in einem unruhigen Tanz an ihr vorbei auf die Öffnung zu. Die junge Elfe schauderte, denn das Insekt berührte sie nur kurz ... und in dem Augenblick, da sie einen der samtigen Flügel an ihrer Wange spürte, hüllte sie ein Mantel von Traurigkeit, Verlassenheit, Zorn und Verzweiflung ein. Ein blasser Schemen blitzte kurz vor der Öffnung auf ... dann war der Spuk so plötzlich vorbei, wie er gekommen war, und ließ sie verwirrt zurück. Silberschwinge rang nach Luft und blickte zögernd zu dem eingesponnenen Elfen hinunter. Welches düstere Geheimnis trug er mit sich herum, über das er nicht sprechen konnte und wollte? Und vor allem - konnte es dem Stamm einmal zur Gefahr werden? Kapitel 8: Aus den Schatten ins Licht ------------------------------------- Dunkelheit und Stille umgaben Dayin. Blind, taub und unfähig sich zu rühren trieb er im Nichts. Einsam und verlassen. Und doch fühlte er keinen Schmerz, keine Qualen. Sein Geist erwachte langsam - wie aus einem langen Schlaf. *KYL!* Eine Silbe drang durch seinen Körper und ließ ihn erzittern. Nach und nach konnte Dayin das Pochen seines eigenen Herzens vernehmen und den Hauch eines seidenweichen Stoffes auf seiner Haut verspüren. Er ruhte war und sicher wie in einem Nest oder dem Leib seiner Mutter. Doch es war nicht die einzige Empfindung. Ein kalter Schmerz folgte, schnitt wie ein Messer in seinen Hals. Er wollte hochschrecken und schreien, seiner kreatürlichen Furcht folgen, aber schon erfüllte ihn eine angenehme Müdigkeit und bleierne Schwere. Dayin seufzte. Je weniger er seinen Körper spürte, desto klarer wurde sein Verstand und um so leichter konnte er nun Wahrheit von Lüge oder Wunschtraum unterscheiden. Vieles von dem, an das er sich erinnert hatte, war anders - und doch nicht so fremd. Nun wußte er, warum und wie es zu allem gekommen war, und welche Schuld er an allem trug - wenn man es denn Schuld nennen konnte... * Ich bin KYL! Und nun weiß ich wieder, wer ich bin.* Sein Geist ordnete langsam und gewissenhaft, die wirr durcheinander schwirrenden Bilder seiner Erinnerung, die so wenig faßbar wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm waren und ließen ihn noch einmal den Weg durchleben, den er gegangen war. *Aber kann ich ertragen, was ich nun klaren Auges vor mir sehe?* Hastig trippelte Dayin auf einem schmalen Tierpfad dahin und sah immer wieder nach hinten. Er hatte Angst, daß sein Bruder ihn verfolgte, denn so böse wie Dayin auf ihn war, mußte Aydan es auch auf ihn sein. Denn der hatte ihm verboten, wegzulaufen. "Ein Unwetter ist im Anzug. Bleib in der Erdhöhle Welpe. Hast du verstanden?" Diesen scharfen Worten hatte der kleine Elf gehorcht, aber auch wieder einmal seinen großen Bruder gefragt, warum der ihn auf eine große Reise mitgenommen hatte, und warum die Eltern nicht mitgekommen waren. Er vermißte seine Mama doch so sehr. Und seine Väter nicht minder. Aydan wollte einfach nicht erzählen, was passiert war, und anstatt den Eltern nachzugehen, war er in eine andere Richtung gelaufen, von ihnen fort.. Das verstand Dayin immer noch nicht so ganz. Auch heute hatte Aydan ihm keine richtige Antwort geben wollen, so sehr Dayin auch gedrängelt hatte. Da war der große Bruder irgendwann ruppig und böse geworden und hatte ihn angebrüllt. Das gefiel dem Kleinen nicht. Deshalb war er einfach weggerannt! Jetzt war es auch egal, ob Aydan ihn zu ganz vielen anderen Elfen bringen wollte, die sich um ihn kümmern würden. Aber warum sollten sie das? Er hatte doch Mama und Papa? Warum suchten sie nicht nach denen? Weshalb hatten die ihn alleine gelassen? Plötzlich schrie Dayin auf. Für einen kurzen Moment wurde es taghell, und dann krachte es als stürze der ganze Wald ein. Seine Traurigkeit war wie weggewischt und machte großer Angst Platz. "Iiiiiiiieeeeeee!" Erschreckt floh der kleine Elf unter ein paar Büsche und machte sich ganz klein. Heftig zitternd wartete er auch das nächste Krachen ab. War das ein was Aydan ein Unwetter genannt hatte? Das war furchtbar schrecklich. Erst als das Krachen und Donnern schwächer geworden war und Dayin eine Weile mit angezogenen Beinen unter den niedrigen Ästen gehockt hatte, faßte der kleine Elf wieder Mut und sah sich vorsichtig um. Seine Furcht war vergessen, denn eine Lücke, ähnlich einem Erdloch machte ihn neugierig. Er schnupperte vorsichtig, so wie er es seinem Bruder abgeschaut hatte, aber der bittere Geruch, der ihm entgegen schlug schreckte ihn nicht ab, sondern lockte ihn noch mehr, nachzusehen, was sich hinter dem Loch befand.. Schließlich kroch er durch die kleine Öffnung und fand sich an einem seltsamen Ort wieder. Auch wenn es am Himmel stockdunkel war, so konnte er hier doch mehr sehen. Schimmernde Funken, wie ein mondbeschienener Nebel, erhellten die kleine Lichtung. Dayin stellte sich auf und sah sich mit großen Augen um. Er versuchte die winzigen Lichter zu erhaschen, aber die ließen sich nicht mal richtig berühren. So verlor er schnell sein Interesse an ihnen und sah sich genauer um. Vor ihm erhob sich ein riesiger grauer Felsen. Er war in der Mitte gespalten, und aus dieser Vertiefung erhob sich ein alter, knorriger Baum mit feucht schimmernder Rinde, der fast lebendig wirkte und die Gestalt einer wunderschönen Elfe besaß. "Mama?" Der kleine Elf tapste vorsichtig näher und streckte die Hand aus. Gerade als er auf den Felsen klettern wollte, um sich den Baum genauer anzusehen, erfüllte plötzlich ein Knistern und Grollen die Luft. Ein Blitz schlug in den Felsen ein! Dayin schrie auf und ließ sich erschreckt fallen, denn das grelle Licht blendete ihn. Der Junge hielt sich die Augen zu -die Helligkeit jedoch blieb und tat weh. Sie ging nicht weg, hüllte ihn ein, brannte sich durch seine Finger und in seinen Kopf. Dayin weinte und schrie, preßte die Hände noch fester gegen die Augen, aber es nutzte nichts, weil das Licht ihn auffraß, ihm etwas wegnahm... Und dann glaubte der kleine Elf zwei schmale weiße Hände zu sehen, die ihn berührten, und zwei große schillernde Augen, die ihre Wärme und Sorge plötzlich verloren. *NEIN!* hallte ein zorniger Schrei in ihm wieder. *Nein! ich will nicht! Verflucht sollst du sein ....* So viel Wut und Schmerz lagen in diesem Senden, daß Dayin nicht mehr länger an sich halten konnte. Hastig warf er sich herum und kroch durch das Loch zurück. Dann rannte und rannte der kleine Elf auf seinen kurzen Beinen, bis ihn die großen starken Arme seines Bruders auffingen. Schluchzend klammerte sich Dayin an ihn und ließ seinen Tränen freien Lauf, bis er keine mehr hatte. Nur einmal zuckte er zusammen, denn Aydan schnupperte an seinen Haaren, atmete heftig ein und aus und versteifte sich plötzlich, als stimme etwas nicht. Dayin sah verwirrt auf, doch bevor er seinem Bruder in die Augen sehen konnte, drückte der sein Köpfchen wieder an seine Brust. 'Jetzt verstehe ich!' wisperte Dayin tonlos und ließ die Bilder seiner Kindheit und Jugend achtlos an sich vorüber streifen - auch seinen zweiten Aufenthalt an dem geheimnisvollen Ort, der das Band zu endgültig geschlossen hatte. So wie die Nachtschmetterlinge das Licht suchten, lockte ihn dieses Geheimnis des Waldes der Schattentänze immer zu sich hin. Denn dort war ihm ein Teil seines Wesens geraubt worden. Erst jetzt wußte er, was ihm all die Jahre gefehlt hatte, obwohl er es nie wirklich vermißt hatte. Dayin fühlte die Leere in seiner Seele überdeutlich und spürte ein brennendes Sehnen und Verlangen, sich das Verlorene wieder zu holen. Aber noch waren seine Erinnerungen stärker und bannten ihn an den Ort, an dem er jetzt war.. Trost spendeten ihm die Jahre der Unbeschwertheit und des Glücks, die ihn zu Sturmtänzer gemacht hatten: dem oberflächlich scheinenden jungen Hitzkopf, der nur Federn im Kopf zu haben schien, und ständig Schwierigkeiten machte weil er immer wieder seine Nase in Dinge steckte, die ihn nichts angingen. Er folgte den Gefährten in die Hitze der Jagd und tollte mit anderen durch den Wald. Nur vom gelegentlichen Tadel Goldfederfells zurückgehalten ließ er seinem Übermut freien Lauf. "Sturmtänzer, du fürchtest wirklich keine Gefahr! Aber glaube mir, dein Leichtsinn kann auch eines Tages andere mit sich reißen. Wenn nur du selber es wärst, der dann das Leid zu tragen hätte. Aber es werden auch immer andere mitgerissen werden." Und da waren schließlich die Jahre unbeschreiblichen Glücks, die ihm Frühlicht geschenkt hatte, die Gefährtin seiner Seele, seines Herzen und seines Leibes. Sie war mehr als nur eine Liebe gewesen - auch seine Kraft und sein Halt. Und nicht zuletzt die Quelle schlichter, aber treffender Weisheit. "Dir steckt die Verrücktheit im Blut, aber das macht dich gerade so liebenswert!" lachte Frühlicht und wuschelte Dayin durch die dunklen Locken. Dann schnappte sie sich ihn und wälzte sich mit dem jungen Elfen durch das Laub des Vorjahres, bis sie vom Stamm einer jungen Erle aufgehalten wurden. Erhitzte Haut berührte einander und Lippen befeuchteten die empfindsamen Stellen an Kehle und Brust. Mit einem tiefen Seufzen preßten sie sich enger aneinander, als wollten sie sich nicht mehr voneinander trennen. Längst war das brennende Verlangen des Erkennens einer tiefen inneren Leidenschaft gewichen - eines Gefühls, daß sie schon früher miteinander geteilt hätten. "Du bist wie ein Sturmwind in mein Leben gebraust, und deine Kraft reißt mich mit!" seufzte Frühlicht und vergrub ihre Hände in Dayins Haar. "Wo Goldfederfell ein ruhig fließender Strom ist, bist du der Gebirgsbach, der gerade erst der Quelle entspringt." Dann zog sie seinen Kopf an ihre Brust, und vergrub ihr Gesicht in seiner Mähne. Dayin kicherte, als ihr Atem seine Kopfhaut kitzelte, und kuschelte sich tiefer zwischen die weichen Hügel ihrer Brüste. Gierig sog er ihren Duft ein. "Eines ist jedoch sehr merkwürdig", murmelte seine Seelengefährtin, als sie den Kopf wieder hob. "Wenn Takenya wirklich deine Mutter war, warum spüre ich dann nicht den Wolf in dir? Und weshalb ist das noch niemandem aufgefallen?" "Hmmm?" fragte der junge dunkelhaarige Elf schläfrig. "Ich weiß nicht." Er spielte mit einer ihrer Locken. "Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht." Frühlicht wickelte einige Strähnen seines lockigen um ihren Zeigefinger und schüttelte tadelnd den Kopf. Dann zog sie fest daran. "Aua!" "Darüber solltest du dir aber Gedanken machen!" Frühlicht kitzelte seine Nase. "Denn ich kann mich nicht daran erinnern, daß dir Silbermond oder ein anderer das Blut genommen hat. Denn es ist eine Entscheidung, die wohl überlegt sein muß." Sie lächelte hintergründig. Dayin hob den Kopf. Er wußte wovon Frühlicht sprach, denn sie selber hatte diese Entscheidung bereits getroffen: Wolfsreiter waren nicht wie die anderen Elfen unsterblich. Das Tierblut in ihren Adern ließ sie langsam aber doch stetig altern. Um ihrem damaligen Geliebten Loyahm Goldfederfell das Leid des Verlustes zu ersparen, hatte sie sich das Blut von der Heilerin entfernen lassen, um unsterblich zu werden. Frühlicht legte ihre Hände an Dayins Wangen. "Nun mache doch nicht so ein Gesicht. Das Wolfsreiterblut ist nicht schwächer oder schlechter als das von reinblütigen Elfen. Eher im Gegenteil!" Ihre Augen begannen seltsam zu funkeln. "Es heißt, daß uns Wolfsreiter genau das zu einem Teil dieser Welt macht. Und selbst wenn einer von uns stirbt, so kehrt seine Seele nicht in den Palast zurück und ist seinen Liebsten fern. Wir hätten die Gabe frei zu entscheiden, ob wir bei ihnen bleiben, oder in die Heimat der Hohen eingehen möchten. Und ich denke ... jetzt, da ich es nicht mehr in Anspruch nehmen kann, daß es auch ein Geschenk ist, nicht nur ein Fluch. Denn sind wir nicht mittlerweile Kinder dieser Welt?" "Ach ... das ist doch nicht so wichtig." Dayin schüttelte sich. "Wir sind beide reinblütig ... und was schert uns das noch?" "Ich weiß nicht..." Frühlicht berührte mit ihren Lippen seine Stirn und legte sich dann wieder zurück. "Dann denke nicht weiter darüber nach", Dayin drehte sich herum und begann sein möglichstes zu tun, um den grüblerischen Gesichtsausdruck seiner Gefährtin auszulöschen... Dayin klammerte sich an diesen glücklichen Bildern so lange er konnte fest, denn er wußte, was ihnen folgen würde. Noch einmal erlebte er die Geburt und das Heranwachsen seiner Tochter Elea mit ... teilte Freude und Leid mit seiner Familie und dem Stamm der Schattentänzer. Dann aber konnte er sich nicht mehr vor den Schatten der Vergangenheit verstecken, die im Begriff waren, ihn einzuholen. Dayin stand außerhalb der Bäume, hinter denen sich die Wohnbäume des Stammes verbargen und inmitten eines Unwetters. Die heftigen Windböen zerzausten sein Haar und wirbelten seine Kleidung auf. Doch er lachte den Blitzen und dem Donner nur entgegen und streckte die Arme aus. "Ich habe keine Angst vor Gewittern. Was sind denn schon die paar Blitze und der Donner! Ich werde mich nie davor fürchten, hörst du!" Donner übertönte die andere Stimme, die nun an sein Ohr drang, so daß nur ein letzter Fetzen zu vernehmen war. "... laß den Unsinn und komm zurück!" Dayin nahm die Warnung jedoch nicht ernst und tanzte im unwirklichen Licht der nächsten Blitze. "Ich habe mich niemals vor Gewittern versteckt, siehst du das jetzt ein?" * Das ist gelogen! Du hast dich vor ihnen verborgen! Und du hast jemanden aus tiefem Schlaf geweckt, der weiter ruhen, oder frei sein wollte!* "Unnnnghhh!" Dayin schreckte aus dem Albtraum hoch, und wurde im nächsten Moment von sanften aber starken Armen festgehalten. *Ganz ruhig! Was ist denn los?* fragte Frühlicht und sandte beruhigende Gedanken in Dayins Kopf. Der dunkelhaarige Elf sah sie aus verschleierten Augen an, schien im ersten Moment gar nicht zu wissen, wo er war. "Hast du mich geweckt? Ich habe da eine Stimme gehört." "Nein, das habe ich nicht!" Frühlicht blickte auf ihren Gefährten hinunter und strich ihm über die Stirn. Sorge stand ihr ins Gesicht geschrieben. "War es wieder dieser seltsame Traum vom Sturm und den Gewittern, den du seit dem Herbst hast? Das Unwetter damals kann doch nicht so schlimm gewesen sein, daß es dir immer noch Angst macht?" Damit erinnerte sie Dayin an ein Unglück im Herbst. Die Jäger waren in einen Sturm geraten, der einem von ihnen das Leben gekostet hatte. Dayin war einer der beiden gewesen, die von einem der umstürzenden Bäume ins Wasser gedrückt worden waren. Während der eine ertrank, hatte sie ihn noch rechtzeitig heraus ziehen können. Dayin war lange krank gewesen - und mit dem Fieber waren auch seltsame Träume gekommen. Die Elfe strich ihrem Gefährten sanft über die Brust, während der dunkle Elf nun blicklos gegen die Decke ihres Wohnnestes starrte. Frühlicht täuschte sich nicht. Sein Traum hatte ganz und gar nichts mit dem Unglück zu tun, auch wenn es im ersten Moment so schien. Die Gründe dafür lagen viel tiefer in der Vergangenheit. Dayin spürte wie ihn ein Zittern durchlief, als er noch einmal an seine Empfindungen dachte. Für einen Moment tauchte das Bild einer wunderschönen zarten Elfe mit hellem Gesicht und glitzernden weißen Haare in seinem Geist auf. Das sanfte Gesicht verzerrte sich zu einer wütenden kalten Maske. *Warum hast du mich geweckt und dann alleine gelassen? Komm zurück Kind! Wenn du mich schon nicht befreien konntest, dann sollst du mir in meiner Pein doch Gesellschaft leisten!* "Wer ist sie?" Frühlichts Stimme schreckte ihn auf. Sie hatte seine Gedanken geteilt und nun auch das Bild gesehen, aber offensichtlich nicht die Stimme gehört. "Was ist das?" Dayin setzte sich auf und kauerte sich zusammen. "Ich weiß nicht... ich weiß es einfach nicht. Ich sehe dieses Bild erst ein, zweimal in meinem Träumen, und sie scheint mir vertraut - aber ich kenne sie nicht." "Vielleicht sollte ich mit Loyahm darüber reden", überlegte die Elfe. "Der Älteste muß davon wissen, denn vielleicht hat das ganze noch eine tiefere Bedeutung." "Nein!" Dayin schüttelte den Kopf. "Wozu denn, das sind doch nur Träume. Und außerdem ist er nicht so gut auf mich zu sprechen. Wenn er uns zusammen sieht, dann habe ich immer das Gefühl..." Frühlicht lachte. "Du täuscht dich in Goldfederfell! Er akzeptiert unseren Bund, auch wenn er seine Traurigkeit über unsere Trennung nicht verbergen kann. Aber ich habe mich schon lange bevor du in mein Leben tratest, lange bevor du geboren wurdest, von ihm getrennt." "Trotzdem sollten wir besser darüber schweigen. Ich will nicht noch andere mit da hinein ziehen!" Frühlicht sah Dayin eine Weile an, dann nickte sie. "Gut, das kann ich verstehen. Merkwürdig, das aus deinem Mund zu hören, denn ich kann mich erinnern, daß du Probleme immer gern anderen aufbürdest..." Sie lachte über Dayins empörtes Gesicht und wuschelte ihm durch die Haare. "Böse meinte ich das nicht. Aber das ist einer der Gründe, warum ich dich so sehr liebe. Du vermagst mich immer wieder aufs Neue zu überraschen." Die Träume verblassten und verschwanden für eine ganze Weile aus Dayins Geist. Dennoch spürte er im hintersten Winkel seines Geistes, daß sie nicht ganz fort waren. Der dunkelhaarige Elf verdrängte die düsteren Ahnungen und stürzte sich wieder tief in das alltägliche Leben im Hain und an der Seite seiner Familie. Mehrere Sommer und Winter vergingen friedlich, in denen nichts das glückliche Leben der Schattentänzer zu stören schien. Niemand ging, und einmal konnte der Erstgeborene neues Leben im Hain begrüßen. Dann aber zog ein Herbst heran, der die schlimmsten Stürme und Unwetter seit Elfengedenken brachten. Blitze und Donner fegten über den Wald, begleitet von heftigen Regenfällen, die genauso viel Schäden anrichteten wie die kleinen Brände, die immer wieder entstanden. Wo früher noch einzelne Sonnenstrahlen den Hain erleuchtet hatten, fehlte jetzt das helle Licht der Herbstsonne. Jeder Tag war gleichermaßen grau. Schwere, bleierne Luft machte das Atmen schwer und erinnerte daran, das bald ein neues Unwetter folgen konnte. Und in diesen Tagen kehrten die Träume zu Dayin zurück. Sie hatten sich verändert, zeigten nicht länger seinen Tanz im Sturm, sondern einen Ort im Wald, der ihm vertraut war. Mehrfach - als kleines Kind und als jungen Elfen - hatte es ihn dort hin gezogen, aber seit er mit Frühlicht zusammen war, war er nicht mehr dort hingegangen. Jetzt wuchs das Sehnen ihn aufzusuchen und Antworten auf seine Visionen zu bekommen. Nur um seiner Familie willen tat Dayin es nicht. Noch nicht... *Du kannst dich mir nicht länger verschließen. Komm zu mir, Kind. Es gibt keinen anderen Ausweg mehr!* wisperte und drängte es in Dayins Geist. Fahrig wischte sich der dunkelhaarige Elf über die Stirn und blickte sich verstohlen um, ob einer der anderen Elfen, mit denen er ein paar Baumnester vor dem nächsten Sturm sicherte, seinen Schwächeanfall mitbekommen hatte. Denn er wollte nicht, das einer unliebsame Fragen stellte und Frühlicht darauf aufmerksam machte. Sie hatte schon genug Sorgen, denn Elea erholte sich einfach nicht von einer Verletzung, die sie sich während einer Jagd zugezogen hatte, auch wenn die Heilerin sich ihrer angenommen hatte. Dayin wollte seiner Seelengefährtin nicht noch mehr Sorgen bereiten, obwohl sie schon längst ahnen mußte, daß mit ihm etwas nicht stimmte. Er fürchtete sich schon vor dem Moment, in dem sie ihren Verdacht äußern würde. Im nächsten Moment wurde er heftig durchgeschüttelt. Eine starker Wind war aufgekommen, und der Himmel verdunkelte sich zusehens. "Beeilt euch! Laßt die Nester sein und kommt in die Höhlen!" gellte ein Ruf zu ihm hoch. *Ja, ganz recht, beeile dich. Komm zu mir! Du kannst dich mir nicht länger verschließen* Das Wispern drängte stärker und deutlicher als sonst in seinen Geist. Dayin stöhnte und klammerte sich noch fester an den Stamm. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Ein Knistern erfüllte die Luft, und einen Moment war es ihm, als berührten die Schwingen eines Schmetterlings seine Wange. "Hnnnh." Dayin rang nach Luft, als eine Welle von Schmerz und Verzweiflung seinen Geist erfüllte. Für einem Augenblick war er wieder ein kleiner Elf, der zu den Wundern eines verzauberten Ortes aufsah und erkannt, wie sich etwas veränderte. Das war nur durch ihn geschehen. Er trug die Schuld daran. An was, das vermochte er nicht zu sagen, wenngleich die Gefühle blieben. Also hatte die Stimme recht, wenn sie seine Anwesenheit forderte. Er mußte ihrem Ruf folgen, vielleicht war er dann endlich die dunklen Träume los. Dayin spürte, wie die ersten kalten Regentropfen auf ihn niederprasselten und durch den Kragen seines Hemdes in den Nacken hinunterliefen. Er sah die anderen in die Versammlungshöhle flüchten. und hoffte, daß nicht noch einer nach ihm suchte. Denn sein Entschluß stand fest. Er würde hier und jetzt dem quälenden Fragen nachgehen. Vielleicht würde dann alles besser werden. Dayin kletterte vorsichtig am Stamm hinunter und wischte sich die Hände an seinem langen Lederhemd ab, das sich immer mehr mit Feuchtigkeit vollsog. Schwer klebte es an seinem auskühlenden Körper, aber er störte sich nicht daran. Im Schatten anderer Bäume entfernte er sich immer mehr von den Nestern und Höhlen und ließ auch bald schon die äußeren Grenzen des Hains hinter sich. Über ihm tobte das Unwetter. Zwar war der Wind leicht abgeflaut, aber die dunkelgrauen Wolken, die dieser heran getrieben hatte bedeckten den Himmel nun zum Horizont. Blitze zuckten zwischen ihnen hin und her, so daß sie beinahe wie lebendige Wesen wirkten. Immer wieder übertönte ein dumpfes Grollen und Krachen übertönte die Geräusche des Regens. Eine erneue Sturmbö zwang ihn zu Boden, durch die auch junge Bäume niedergedrückt wurden und morsche Äste zu Boden krachten. Dayin wischte sich Blätter aus dem Gesicht. Den Arm vor das Gesicht haltend kämpfte er sich weiter. Sein immer wiederkehrender Traum hatte ihm weismachen wollen, das Gewitter nicht fürchten zu müssen - aber je heftiger die Blitze zuckten und der Donner grollte, desto größer wurde seine Angst. Am liebsten wäre er umgedreht und in den Hain zurückgelaufen, wie damals als er... Dayin blieb kurz vor dem verwunschenen Ort stehen und rang nach Luft. Für einen Moment glaubte er die Berührung eines vertrauten Geistes zu spüren, doch dann trieb ihn ein innerer Zwang weiter. *Komm ... komm endlich zu mir!* Den Weg durch das Unterholz brauchte er nicht mehr zu nehmen. Vor ihm hatte der Sturm eine Bresche in den Wals geschlagen. Unter dem natürlichen Torbogen, den zwei halb gestürzte Bäume bildeten, trat er auf die kleine Lichtung, die ... wie vor langer Zeit von einem unwirklichen Licht erfüllt wurde. Und dann sah er sie inmitten des Wetterleuchtens. Ebensowenig wie der gespaltene Felsen, aus dem sich ein knorriger Baum erhob hatte sie sich verändert. Ihre weiße Gestalt bildete sich aus dem Nebel, der auch vor langer, langer Zeit schon den Ort erfüllt hatte. Wunderschön und unwirklich wie eine Hohe stand sie vor ihm. *Endlich bist du gekommen, mein kleiner hübscher Elf. Willst du nun deine Bosheit wieder gut machen? Auf irgend eine Weise?* *Bosheit? Ich begreife nicht, was du meinst ...* Dayin zitterte angsterfüllt, als sie sich zu ihm hinunter beugte. Ein kalter Schauer durchraste ihn, als sich ihre bleichen Hände an seine Wangen legten. Der dunkelhaarige Elf versuchte zurückzuweichen, aber seine Glieder waren wie gelähmt. *Ich verstehe nicht, warum du mich verfolgst.* * Du verstehst mich nicht?* Ihr Senden klang wütend. *Dabei hast du mich noch enger an diesen Ort gebunden. Was war es denn, das durch den Felsen in mich geflossen ist, Kind? Eine widerwärtige Kraft, die ein Fluch dieser unseligen Welt ist! Dein unreines Blut hat das Netz des Zaubers noch enger gewoben als es schon war!* Dayin starrte mit weit aufgerissenen Augen auf sie und vergaß nach Luft zu schnappen. Ihr Blick irrlichterte. *Vielleicht wirst du alles besser verstehen, wenn du erst ganz bei mir bist! In einem Unwetter wurde ich gefangen, in einem weiteren gebunden - in diesem vielleicht befreit. Und wenn nicht - so wirst du mir Gesellschaft leisten!* Sie warf ihren Kopf in den Nacken, während ihre Hände noch immer an Dayins Wangen ruhten und ihn bannten. Jede Berührung ihrer eisigen Finger tötete eine Empfindung mehr. Ein geisterhafter Sturm hüllte sie plötzlich ein und breitete ihr Haar aus wie ein Spinnennetz, das den Blitz zu fangen schien ... **KYL!** Eine starke Seele berührte die seine und er spürte Frühlichts Gegenwart, so als sei sie an seiner Seite. **NYX. Bitte geh fort!** schrie Dayin mit letzter Kraft, als sie ihm Kraft geben wollte. Für einen Moment schien es, als könne er sich losreißen, doch dann... Dayin sah, wie der Blitz die Haare und die Gestalt der Erscheinung einhüllte und von den Schultern die Arme hinunter in die Fingerspitzen wanderten. Die sengende Helligkeit brannte sich in seine Augen, sein Gesicht. Sie blendete ihn, grub eisigen Schmerz in sein Fleisch, in seinen Kopf und umgab auch seine Seele. Das Licht zerrte ihn mit sich, doch dann schloß sich plötzlich ein fester Griff um ihn. Dayin spürte, wie er zurück gestoßen wurde. Frühlicht stand inmitten des gleißenden Soges und blickte noch ein letztes Mal zu ihm zurück. Dann stürzte sie sich in den Strudel und verschwand in einem heftigen Blitz.. In Dayin zerbarst etwas wie eine Eisplatte auf den Felsen. Sein Herz wollte ihm zerspringen, seine Seele schrie voller Qual, doch dann löschte der Schmerz alles aus und stürzte ihn in ein Meer der Dunkelheit ... ... aus dem er verändert erwachte. Sturmtänzer war zu jenem Zeitpunkt gestorben und Schattenspinner war an seine Stelle getreten, der stumme und stark verletzte Wanderer, den die Rastlosigkeit weit über die Welt der Zwei Monde getrieben hatte. Nur die Tatsache alles scheinbar vergessen zu haben, hatte ihn überhaupt noch am Leben gelassen. Jetzt waren die Erinnerungen zurück, und sie lasteten schwer auf Dayin. Denn auch wenn Frühlicht freiwillig gegangen war, so lastete ihr Tod doch schwer auf seinen Schultern. Goldfederfell hatte schon recht. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn er die anderen nur früh genug eingeweiht hätte, wenn er nicht so leichtsinnig gewesen wäre, in das Unwetter hinaus zu laufen .... Vielleicht... Dayins Geist hielt in seinen Selbstvorwürfen inne. Noch immer sah er die letzten Augenblicke seines Lebens als Sturmtänzer vor sich. Langsam zogen sie an ihm vorüber, als wollten sie ihm neue Schuld aufbürden, als wollten sie ihn endgültig zerstören. Nein, so war es nicht! Alles fügte sich nun zu einem zusammen. Seine Traumreise, die ihm einen Teil der verborgenen Erinnerungen und schließlich seinen Seelennamen wiedergebracht hatte, ergab ebenso einen Sinn, wie die letzten Erinnerungsstücke: Dort war niemals von Tod, von Vernichtung die Rede gewesen. Die Erscheinung - einst eine Hohe namens Myriellin - hatte von ihm verlangt, ihr Schicksal zu teilen... Frühlichts Seele lebte! Sie war ihm erst vor kurzem in der Gestalt seines Tierfreundes Squirrit nahe gewesen, und er hatte es nicht einmal richtig bemerkt. Sie war seit ihrem vermeintlichen Tod damals die Gefangene der Hohen, weil sie an seine Stelle getreten war! Und nun hatte sie sich wieder für ihn geopfert, um ihm die Erinnerung wieder zu schenken! Was war er nur für ein Narr gewesen, davon zu laufen Vielleicht konnte er ja noch etwas tun, wenn er wirklich den Ort aufsuchte, an dem alles begonnen hatte. Dayin kämpfte gegen die bleierne Schwere seiner Glieder an. Er mußte nun endlich alles, zu einem Ende bringen, egal zu was für einem Preis. Plötzlich ging alles sehr einfach. Das Verlangen gab ihm die Kraft, das Webzeug aufzureißen und abzustreifen. Schnell verließ er die Versammlungshalle. An der Öffnung zögerte er einen Moment, aber dann huschte er hinaus. Seltsamerweise schien niemand ihn wahrzunehmen, obwohl ein Pärchen dicht an ihm vorbei ging, und ein Elf direkt zu ihm hin sah. Um so besser, dann würde es einfacher sein, zu gehen. Dayin huschte an einigen heimkehrenden Jängern vorbei, die von einer müden, erschöpften Anführerin begrüßt wurden. Seine Enkeltochter Ayrilinn scherzte mit einigen Elfen und berührte dabei immer wieder stolz ihren leicht gerundeten Bauch. Rosenlieb zeigte stolz ein neues veilchenfarbenes Stück Leder vor und lachte über den Eifer einiger junger Elfen es für sich als Teil eines neuen Kleidungsstück zu erbetteln. Nur einer schien kurz den Kopf zu heben und irritiert in seine Richtung zu schauen, so daß Dayin seinen Schritt beschleunigte, und aus dessen Sichtfeld huschte. Er wollte nicht, daß Goldfederfell, der nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich verändert wirkte, ihm folgte. Denn der Älteste schien selber von schlimmen Erfahrungen und großem Leid gezeichnet. Dayin drängte es zum ersten Mal aus freien Stücken zu jener, von fehlgeleiteter Magie erfüllten Lichtung, denn es galt die vielen Fehler seines Lebens wieder gut zu machen. Noch einmal blickte er mit traurigen Augen zurück auf die Schattentänzer, von denen nur wenige Wegbegleiter seiner frühen Jahre waren und nahm stumm Abschied von ihnen. Denn diesmal würde es keine Rückkehr in den Hain und zu den Freunden geben, die er in Rosenlieb und Sirkayla wiedergefunden hatte. Das wußte er tief in seinem Inneren.    *Hier bin ich!* Dayin betrat die Lichtung und stützte seine Hände gegen den rauhen Felsen der im Laufe der Zeit stark verwittert war. Die Wurzeln des Baumes hatten ihn noch weiter gespalten - und es würde nicht mehr lange dauern bis er ganz zerborsten war. Er hob den Kopf zu dem Baum und suchte die vertraute Gestalt, die im dämmrigen Licht des verlöschenden Tages kaum zu erkennen war. Anders als im übrigen Wald drangen hier die Sonnenstrahlen nur schwach durch den allgegenwärtigen feinen Nebel. Als er keine Antwort auf seinen Ruf erhielt, drehte Dayin sich um und hob den Kopf zu den groß gewordenen Bäumen. Längst war die Bresche wieder geschlossen, die das Unwetter zwischen sie geschlagen hatte. *Kyl!* Sanfte Hände legten sich auf seine Schultern, und warmer Atem streifte seine Wangen, der warme und kalte Schauer über seinen Rücken rinnen ließ. Konnte es wirklich wahr sein? Dayin drehte sich hastig um. *Nyx!* Fest schloß er die Elfe mit der goldbraunen Haarmähne in seine Arme. Sie war so wirklich wie er, ein lebendes, atmendes Wesen, und es schien ihm einen Moment, als wäre nichts geschehen, und er nur einmal mehr aus einem langen Traum erwacht. *Geliebte ... wie sehr habe ich dich vermißt. Ich war so dumm, so blind. Und dann...* *Hör auf, dir Vorwürfe zu machen, mein Liebster. WIR hab en die Fehler gemeinsam begangen, wenn sie denn Fehler waren.* Frühlicht sah zu ihm auf und legte ihre Hände gegen seine Wangen. *Es war die Unwissenheit eines winzigen Welpen und die Magie dieses Ortes, die alle Ereignisse auslösten! Und ich habe nicht weiter nachgeforscht, warum du bar jeden Blutes des Volkes deiner Mutter warst. Jetzt hat alles eine Bedeutung bekommen.* *Ich wünschte, das wäre alles nur ein böser Traum.* Dayins Sinne verrieten diese Hoffnung. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er die völlig von der Aussenwelt abgeschiedene Lichtung niemals hätte betreten können, denn das Loch war längst zugewachsen und eine Dornenhecke schloß die Lücken. Er wußte nicht einmal mehr, wie er da hindurch gekommen war. Und dann berührten Frühlichts Hände weiche, unvernarbte Haut, die nur noch die Zeichen der Schattentänzer trugen. Der Elf hielt die Luft an. Er verstand nun, was mit ihm geschehen war, doch er bedauerte es nicht. Ehe er seine Erkenntnis Frühlicht mitteilen konnte, löste sich eine weiße Erscheinung aus dem Baum und schritt leichtfüßig über den Felsen auf sie zu. *Da bist du ja endlich! Ich wollte dich immer haben, damit ich die Einsamkeit nicht länger alleine ertragen muß!* Mit einem wütenden Blick musterte sie Frühlicht. *Dich brauchen wir jetzt nicht mehr Geh! Geh fort! Ich weiß, daß du das kannst!* Wut und Verzweiflung lagen in dem Senden der Elfe mit den irrlichternden Augen und sie streckte, wie schon einmal die Hand aus. *Ich will nur dich und sonst keinen!* *Nein, das lasse ich nicht zu!* Frühlicht hielt Dayins Hand fest. *Hör mit doch einmal zu und überschütte mich nicht immer mit deinem Haß!* kämpfte sie gegen die Erscheinung an, deren Zorn sich in einem Sturmwind äußerte, der Frühlicht fortzublasen drohte. *Ich werde freiwillig zu dir kommen, wenn du ihr diese Bitte erfüllst!* erklärte nun auch Dayin und legte seine Arme um die Gefährtin. 'Wir müssen ihr entgegen kommen, denn sonst befreit sie sich gar nicht mehr aus ihrem Wahn. Die Erscheinung hielt inne und legte mißtrauisch den Kopf schief. *Gut, ich will dich um seinetwillen anhören. Im Senden hat niemals Lüge gelegen.* Ihre letzten Worte klangen schon etwas ruhiger, auch wenn das Flackern in den Augen blieb. *Ich weiß, was mit dir geschehen ist!* Frühlichts Blick richtete sich auf den Felsen, der nun von innen her zu glühen begann. *Du hast diese Welt niemals gemocht, Myriellin. Um so schlimmer war es dann für dich, als Trillian, Shorin und die anderen lernten ihr neues Leben anzunehmen, Und das beste aus ihm zu machen. Du hast dich von Jahreszeit zu Jahreszeit mehr und mehr dagegen gesträubt mit den Gegebenheiten zurecht zu kommen, und nur umwillig den Anweisungen und Bitten der anderen gehorcht.. Du wolltest zurück in den Palast, um jeden Preis. Im Streit hast du dich schließlich von den anderen getrennt, weil sie deine Worte nicht mehr ernst nehmen wollten und bist in den Wald gelaufen, bis du schließlich erschöpft zusammengebrochen bist. Doch während du schliefst ist ein Unwetter aufgekommen. Zu spät hast du gemerkt, was geschah, und konntest dem Blitz nicht mehr entfliehen, geschweige denn, ihn ablenken. Er traf dich, als du die Magie wirktest, und sein Zorn band dich an diese Welt. Viele Jahre ist dir das nicht bewußt gewesen, und du hast nur dann und wann auf Elfen reagiert, die sich von starken Gefühlen getrieben diesem Ort näherten, bis sich jenes Elfenkind, das heute zu Dayin herangewachsen ist, an diesen Ort verirrte. Wieder war es ein Unwetter, daß dich gleichzeitig weckte und band. Du hoffest dich befreien zu können, aber statt dessen hat ein Teil seines Ich's doch noch fester an diese Welt gebunden.* *Woher weißt du das alles?* Myriellin die Hohe zitterte. Ihr Blick verlor den Wahnsinn und machte Angst Platz. *Ja, das ist alles wahr! Ich habe Trillian immer wieder zu sagen versucht, daß wir niemals für diese Welt bestimmt waren. Aber niemand hat mir zuhören wollen, niemals... Deshalb sag mir, woher weißt du das?* *Ich habe Augen um zu sehen, und andere Sinne, um das Verborgene zu erspüren. Der Felsen singt ein trauriges Lied. Von Verzweiflung und Angst, von Einsamkeit und großem Zorn. Ich verstehe dich sehr gut.* *Und ich begreife nun auch, was du durch mich hast erdulden müssen. Durch den Leichtsinn und die Neugier eines kleines Kindes ist alles so schlimm geworden* ergänzte Dayin und löste sich von Frühlicht. *Ich habe bis jetzt nicht verstanden, was ich getan habe ... und um so mehr vergessen. Aber nun will ich alles wieder gut machen.* *Wie wollt ihr das tun? Ihr seid fast ganz in dieser Welt aufgegangen, und eure Kräfte sind gering gegenüber denen, die ich besitze.* *Das ist der Grund. Hier geht es nicht um Kraft oder Magie, sondern um Verstehen und Annehmen.* Dayin legte eine seiner Hände auf den Felsen, den die Erzählung Frühlichts hatte ihm den Schlüssel zu einer Lösung in die Hand gegeben. *Unsere Seelen mögen schwächer als die deine sein, aber wir gehören zu dieser Welt, auch wenn wir ihr Blut, sei es bewußt oder unbewußt verleugnet haben. Wir lieben unsere Heimat, denn wir sind fest in ihr verwurzelt.* Frühlicht nickte und trat an seine Seite. *Wir werden an deine Stelle treten, damit du dorthin heimkehren kannst, wohin sich deine Seele am meisten sehnt. Für uns wird es keine Gefangenschaft sein, denn wir sind nicht allein, und wir haben noch mehr in der Nähe, die wir lieben...* Wie Dayin legte sie eine Hand auf den Felsen, die andere umschloß fest die Finger des Gefährten. *Ich werde euch ewig dankbar sein, wenn es gelingt.* Die Züge der Hohen glätteten sich. Die Schatten des Leids, die ihre Seele ausgezehrt hatten verschwanden Stück um Stück. Dayin und Frühlicht lächelten und traten in den Felsen hinein. Offenen Geistes nahmen sie die Fesseln an, die sich um sie schlossen und stießen die Hohe aus diesen hinaus. Schon als die letzten Bande von Myriellin abfielen, verblasste die Seele der Hohen in der überirdischen Schönheit ihrer wahren Gestalt. Dayin und Frühlicht sahen einander an und verschmolzen ganz mit dem Felsen, wohl wissend, daß ihnen die Ewigkeit nun gemeinsam gehörte...    Einer dunklen Ahnung folgend suchte Ahrian die Stelle auf, an der Dayin geschützt in seinem Webzeug ruhte. So viele andere Dinge hatten sie den vergangenen Winter und auch noch den Frühling in Atem gehalten, daß sie kaum, und dann nur flüchtig an den eingesponnenen Elfen gedacht hatte. War es jetzt - wo das Leid langsam verblaßte, und die Wunden des Verlustes und Schmerzes heilte, nicht endlich an der Zeit, sich auch um dieses Stammesmitglied zu kümmern? Die junge Anführerin beugte sich zu der Nische hinunter, um den Kokon zu berühren. Ein seltsamer Geruch stieg ihr in die Nase, und dann sah sie den Grund dafür. Ahrian durchlief es heiß und kalt, als sie die Gerüche richtig deutete. Nun zögerten ihre zitternden Finger nicht länger, das klebrige Webzeug teilweise wegzuziehen und Dayins Gesicht zu enthüllen. Der dunkelhaarige Elf atmete nicht mehr und zeigte auch sonst kein Lebenszeichen. Blaß und reglos lag er vor ihr, und die ebenso leblose Viper, die ihre Fänge in seinen Hals geschlagen hatte, wirkte wie ein schöner Schmuck an einer von Steinformern geschaffenen Statue. Ahrian berührte eines der halb zerstörten Zeichen an Dayins Wange. und staunte wie klar das Farnblatt jetzt wieder zu erkennen war, das in früheren Zeiten sein Zeichen gewesen war. Doch am meisten erstaunte sie der friedliche, gelöste Gesichtsausdruck Schattenspinners, der die Narben schwächer erscheinen ließ und die einstigen Züge Sturmtänzers hervorkehrte, der auch jetzt noch ein freches Grinsen auf den Lippen zeigte. Für einen Augenblick huschte ein glückliches Bild durch ihren Geist. Zwei junge Elfen, in der Blüte ihres Lebens liefen Hand in Hand durch einen frühlingsgrünen Wald, und blieben dann stehen um sie anzublicken. Ihre Augen leuchteten, als hätten sie Schmerz und Leid weit hinter sich gelassen. Und es war als schenkten Dayin und Frühlicht - den niemand anderes konnten die beiden sein nun auch ihr durch diesen Blick Trost und Hoffnung... Ahrian löste sich von dem Toten. Ihr Zittern schwand, denn nun wußte sie eines: Schattenspinner hatte im Tod seine Erinnerungen und Erlösung gefunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)