Bottom of the death valley von Fukai (+Epilog up+ COMPLETE) ================================================================================ Kapitel 1: 転校生 -------------- Bottom of the death valley by Fukai Disclaimer: Die crappy Story is auf meinen Mist gewachsen, die Leute gehören sich selbst.. wär auch schlimm wenn nicht -__-;; Anmerkung: Ich hab die Story seit Ewigkeiten mal wieder durchgelesen und erschauderte bei meinen wahnsinnig tollen Japanischkünsten *hust* Ich hab den ganzen nervigen Hey-schaut-her-ich-kann-japanisch Kinderscheiß mal rausgekickt und das ganze ein wenig editiert. Chapter 1 転校生 (Der neue Schüler) Montagmorgen, acht Uhr zehn. Gähnend ließ Die seinen Kopf auf die harte Schulbank sinken. Was war einschläfernder als ein trockener Geschichtsunterricht in unbarmherziger Frühe? Was interessierten ihn die Leute vor hunderten von Jahren? Wozu musste er Kriegszüge oder Anlass und Ursache bestimmter Ereignisse analysieren? Weil sie aus der Geschichte lernen sollten? Was gab es da zu lernen? Er war doch auch nur ein Fragment der heutigen uninteressierten Null-Bock-Generationen, welche die Werte und Tugenden des traditionellen Japans in Verruf brachten, indem sie sich die Haare knallbunt färbten oder in zerrissenen Klamotten herumliefen und nur Unsinn im Kopf hatten. Wer würde denn heute noch Selbstmord begehen, um seine Ehre wieder herzustellen? Wer lebte denn heutzutage überhaupt noch ein ehrwürdiges Leben? Die Welt, wie er sie kannte, war doch längst ein Sündenpfuhl aus Neid, Habgier, Wollust und Völlerei. Er hielt nichts von Lehrern, die großspurig den Moralapostel heraushängen ließen und von Ethik predigten, während sie in Wahrheit der letzte Loser waren und ihren Feierabend in Pachinkohallen und Massagetempeln verlebten. Ein weiteres Gähnen bemächtigte sich seiner. In Gedanken befand er sich bereits an einem weit entfernten Ort. Er bevorzugte es vor sich hin zu träumen und der langweiligen Realität zu entfliehen, die seinen Alltag ausmachte. Manchmal kam ihm sein Leben viel zu ereignislos vor. Wie gern würde er endlich mal etwas Aufregendes erleben, sich in Gefahr begeben und am Ende als strahlender Held hervorgehen. Doch das alles waren nur Wunschträume eines frustrierten, unzufriedenen Achtzehnjährigen, der nichts mit sich anzufangen wusste und dessen spannendstes Ereignis der Woche die Proben seiner kleinen, eher erfolglosen Band waren. Er seufzte resigniert und strich sich abwesend eine Strähne seines feurig roten Haares aus den Augen, welches sich mal wieder selbstständig zu machen schien. Träge schlossen sich seine dunkel geschminkten Augen und er war dem Einschlafen nahe, als plötzlich die Tür aufschwang und laut krachend mit der Wand kollidierte. Erschrocken fuhr er aus seinem Halbschlaf. Sein Blick fixierte alarmiert die Tür. Hingegen aller Erwartungen stand dort weder ein Lehrer, noch der Direktor. Irritiert hob er eine Augenbraue. Ein Raunen ging durch die Menge. Wer war denn das? Neugierig musterte er den Eindringling. Er, sofern der Rotschopf ihn als ein männliches Geschöpf identifizieren konnte, war von geringer Statur; er konnte unmöglich über 1,60m groß sein. Doch so klein er auch war, so auffällig war sein äußeres Erscheinungsbild. Zuerst ins Auge stachen wohl seine blonden Haare, die schon fast gelblich anmuteten, und welche ihm wirr ins Gesicht hingen. Mehrere Piercings und Sicherheitsnadeln durchlöcherten seine blasse Haut, welche die extrem dunkelgeschminkten Augen umso deutlicher hervorstechen ließ. Er trug ein enganliegendes, schwarzes, ärmelloses Shirt, welches hier und da von einigen Sicherheitsnadeln zusammengehalten wurde. Die zerrissene, tief hängende Jeans, der nietenbesetzte Gürtel mit Totenkopfschnalle und die schweren Dr. Martens machten sein rebellisches Outfit schließlich komplett. Daisuke schüttelte den Kopf. Was war denn das für ein Straßenpunk? Mit dem war sicher nicht gut Kirschen essen. Der Lehrer schien sich jetzt auch endlich aus seiner Starre gerissen zu haben. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ sprach er den Gelbschopf vorsichtig an, als hätte er Angst, der Kleine könnte ihn jeden Moment anspringen und die Augen mit seinen schwarzen Fingernägeln auskratzen. Der Angesprochene drehte gelangweilt seinen Kopf und maß den Lehrer kurz abschätzend ehe er seine kleinen weißen Zähne bleckte. „Ich bin neu hier. Hab den scheiß Raum nicht schneller gefunden. Wo soll ich sitzen?“ Der Lehrer schien für einen Moment mit einem Herzinfarkt zu ringen, als die Worte des Neuen eingesickert waren. Noch so ein abnormer Schüler, der ihn an den Rande des Nervenzusammenbruchs treiben würde. Er fasste sich jedoch relativ schnell wieder und räusperte sich verlegen. „Ach, du bist der neue Transferstudent. Ich hab schon gar nicht mehr mit dir gerechnet. Die erste Stunde ist schon fast vorbei“, meinte er leicht anklagend. Als er jedoch den giftigen Blick des Kleineren auffing, fügte er hastig noch hinzu. „Aber das ist ja nicht schlimm. Möchtest du dich vielleicht kurz vorstellen? Wie ist denn dein Name und was verschlägt dich auf unsere Schule?“ Der Angesprochene verdrehte genervt die Augen, als ihm das Wort „Kindergarten“ durch den Kopf schoss, doch er antwortete trotzdem gehorsam. „Kyo, mein Name ist Kyo und das hier ist die einzige Schule, von der ich in diesem Bezirk noch nicht runtergeflogen bin. Ist aber auch grad mal mein erster Tag, ne. Also mal sehn wie lang ich bleibe.“ Er grinste spöttisch und ließ sein Lippenpiercing gegen seine weißen Zähne klacken. Der Lehrer warf ihm einen erleichterten Blick zu, als würde er mit der Idee, dass dieser Kyo nicht allzu lange bleiben würde, durchaus sympathisieren. Die stöhnte lautlos. Das konnte ja heiter werden. Als ob es nicht schon genug zwielichtige Gestalten an dieser Penne gab. „Und wo soll ich mich nun hinpflanzen?“ durchbrach Kyo die Gedankengänge und schaurigen Zukunftsvisionen aller. „Oder soll ich einfach wen vom Stuhl kanten?“ schlug der Blondschopf grinsend vor. Der Lehrer schien diesen Vorschlag ernst aufzunehmen, denn er schaute einen Moment geradezu empört. Hastig wanderte sein Blick durch die Schülerreihen ehe er verkündete: „Setz dich neben Daisuke Andou, die vorletzte Reihe links.“ Die stöhnte gequält auf, verstummte aber sofort, als Kyo neben ihn trat und sich auf seinem Stuhl niederließ. „Hast du irgendein Problem mit mir?“ zischte er gefährlich leise. Die warf ihm einen eisigen Blick zu. „Wie kommst du darauf?“ fragte er ebenso leise zurück und versuchte die Ironie in seiner Stimme nicht allzu stark durchschauen zu lassen. Kyos Antwort beschränkte sich lediglich auf die Darbietung seines schlanken Mittelfingers. //Oh, wie überaus wortgewandt// dachte sich Die und beschloss Kyo, mit dessen Intelligenz es nicht so weit her zu sein schien, einfach zu ignorieren. Und so verfiel er die restliche Stunde wieder in seinen Dämmerschlaf. *** „Ich sag dir, der hat echt ein Rad ab!“ Die verschränkte schlecht gelaunt die Arme vor der Brust. „Ich hab den echt in jedem gottverdammten Kurs und was macht der Arsch? Setzt der sich doch, extra um mich zu provozieren, dauernd neben mich. Ich krieg ne Krise. Das überleb ich nicht“, jammerte er eifrig weiter, während Kaoru ihm beruhigend die Schulter tätschelte. „So schlimm kann’s doch gar nicht sein“, meinte er beruhigend. Er, als Dies bester Freund, kannte seine Ausbrüche schon zur Genüge und wusste, dass er sich meist in Dinge hineinsteigerte, die genauer betrachtet gar nicht so schlimm waren. „Dooooch“, jammerte Die, wurde aber kurz darauf von dem Älteren unterbrochen. „Ist er das“, fragte dieser nämlich gerade neugierig und deutete auf eine kleine blondhaarige Gestalt, die soeben den Pausenhof betreten hatte. Die folgte Kaorus Fingerzeig und stöhnte gequält auf, als wäre gerade der Weltuntergang eingeleitet worden. „Ja, das ist er. Der größte Vollspacko der gesamten Schule in all seiner Pracht.“ „Sieht doch eigentlich ganz nett aus“, meinte der Ältere mit purpurnen Haaren nach längerem Betrachten. „Nett??!!“ ächzte Die. „Hast du nen Knick in der Pupille oder haben dir die vielen Haarfärbungen langsam aufs Gehirn geschlagen?“ Kao grinste leicht. „Okay, vielleicht sieht er ein bisschen rebellisch aus, aber er hat auch irgendwie was attraktives an sich, findest du nicht?“ Die verdrehte genervt die Augen. „Tut er nicht“, widersprach er trotzig, vermied es jedoch einen weiteren Blick auf Kyo zu werfen, der seine Meinung nur unnötig ins Wanken gebracht hätte. „Wer sieht attraktiv aus?“ mischte sich Toshiya ins Gespräch. Hinter ihm war Shinya schmollend zum Stehen gekommen. Toshiya hatte es mal wieder geschafft ihn entgegen seines Willens zur Raucherecke zu schleifen. „Er sieht NICHT attraktiv aus“, antwortete Die ohne auf Toshiyas Frage einzugehen. „NICHT! Hörst du? Die Betonung liegt auf NICHT attraktiv.“ Der Blauhaarige wirkte verwirrt, wusste er doch überhaupt nicht, um wen es eigentlich ging. „Unser Die hat sich in diesen heißen Kerl da drüben verschossen“, stichelte er, während er wieder auf Kyo deutete, der fernab der Massen in Ruhe eine Kippe drehte, den Filter lässig zwischen die Lippen geklemmt. „Wooaah heiß“, meinte nun auch Toshiya und schlug Die anerkennend auf die Schulter. „Hast nen guten Geschmack, Alter.“ Die ließ sich resigniert auf einen kleinen Mauervorsprung sinken und stöhnte gequält. *** Kaoru ließ seufzend seine Gitarre sinken. „Boah Kei, das klingt grausam. Du hast aber auch schon mal besser gesungen.“ Die nickte gequält und massierte seine schmerzenden Schläfen. Wieso bekam er immer Kopfschmerzen, sobald Keisuke, der Vokalist ihrer kleinen Band, den Mund öffnete? „So geht das nicht weiter“, meinte Kaoru ernst, als er wenig später mit Die und Toshiya den Heimweg antrat. „Willst du Kei aus der Band kanten oder was?“ fragte Toshiya, der völlig erschöpft und übermüdet mehr hinter den älteren Beiden herkrauchte als lief. „Wenn’s sein muss ja“, meinte Kaoru knallhart. „Ich mein, so kommen wir nie voran. Er singt wie… wie...“ „Ne Kuh?“ half Die nach. Ein flüchtiges Lächeln schlich sich auf Kaorus Lippen. „Ja, so ungefähr.“ „Aber dann stehen wir ja schon wieder ohne Sänger da“, warf Toshiya von der Seite ein. „Und besser als Die oder du singt Kei allemal.“ „Das ist ja auch nicht schwer“, meinte Die und grinste schief, als er sich an den letzten Karaokeabend bei Toshiya erinnerte. Der schien in ähnlichen Erinnerungen zu schwelgen, denn sein hübsches Gesicht verzog sich, als würde er unter Schmerzen leiden. „Ich sag dir Die, niemand singt grausamer als du.“ Dieser gab ihm einen kleinen Klaps in die Seite. „Ey, es war deine Idee einen Karaoke-Abend zu machen. Jetzt gib nicht mir die Schuld.“ „Hättest du mich vorgewarnt wär ich nie mit dieser schwachsinnigen Idee gekommen“, konterte der Blauschopf trotzig, woraufhin Die ihm seinen Mittelfinger präsentierte. Kaoru verdrehte amüsiert die Augen. „Kindergarten“, brummelte er. „Wie wärs wenn wir einfach einen Aushang ans schwarze Brett hängen, in dem wir verkünden, dass wir einen Vokalisten suchen. Wir lassen alle Bewerber vorsingen und suchen uns dann den Besten raus.“ „Guter Plan“, meinte Toshiya, als er plötzlich bestens gelaunt über den Bürgersteig hüpfte. Die jedoch rollte nur gequält mit den Augen, denn er wusste, dass ihre Schule weitaus schlechtere Sänger als ihn beherbergte. Er war sich jedoch nicht sicher, ob seine Ohren dieser Folter lange standhalten würden. *** Die letzten schiefen Klänge des Liedes Crucify my Love von X-Japan verklangen. Die wagte es langsam wieder seine Augen zu öffnen, die er bei den ersten schiefen Tönen krampfhaft zusammengekniffen hatte, als würden all die daneben geratenen Noten in seinen Netzhäuten brennen. Kaoru stand etwas hilflos vor dem stolz grinsenden Vokalistenanwärter. „Also... das war... ganz nett... aber... also...wir melden uns bei dir, ne?“ redete Kaoru, freundlich wie er war, um den heißen Brei herum. Die atmete nur erleichtert auf und dankte der vorrübergehenden Stille, während er einen Blick zu seinen Bandkollegen Toshiya und Shinya hinüberwarf, die beide mehr als entsetzt Richtung Kaoru schauten. Sie hatten ja heute schon viele „Gesangstalente“ erleben müssen, aber das eben war die Spitze des Eisberges von absoluter, unbestreitbarer, unanfechtbarer Talentlosigkeit gewesen. Shinya massierte sich soeben die schmerzenden Ohren als Kaoru sich schwer auf einen Stuhl plumpsen ließ und laut seufzte. „Das gibt es doch nicht. Ist diese ganze verdammte Schule wirklich so unmusikalisch??“ beschwerte er sich völlig am Ende seiner Kräfte. Die ließ sich neben ihm nieder und legte seinen Kopf in den Nacken. „Scheint so“, gab er überflüssigerweise zum Besten, doch er war schon berühmt berüchtigt dafür auf rhetorische Fragen zu antworten. „Dann muss wohl doch ich ans Mikro“, meinte er mit einem fetten Grinsen auf den Lippen. „NEEEIIIIIINNN!“ schrie Toshiya entsetzt und alle im Raum brachen in schallendes Gelächter aus. „Oi!“ unterbrach sie nach einiger Zeit eine gereizte Stimme. Alle Köpfe fuhren erstaunt herum. „Scheiße, was willst du denn hier?“, kam es sofort von Die. „Seid ihr die Spinner, die nen Sänger suchen?“ //Spinner?!?// hallte es in Dies Kopf wieder. „Du-!!!“ Angepisst sprang er auf die Beine und wollte sich schon auf ihn stürzen, als Kao ihn am Kragen packte und zurückhielt. „Ganz ruhig, Die!“ In seiner Bewegungsfreiheit nun immens eingeschränkt begnügte sich der Gitarrist damit Kyo mörderische Blicke zuzuwerfen. Kaoru, als Leader ihrer kleinen Band, ergriff erneut das Wort. „Du bist Kyo, ne? Wir haben schon viel von dir gehört.“ Der Kleine legte abschätzend seinen Kopf schief und musterte Die. „Nur schlechtes hoffe ich.“ „Na darauf kannst du Gift nehmen“, knurrte Die, der sich auf Kyos kleinen Starrwettstreit einließ. Kyos Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. „Du willst also vorsingen?“, unterbrach Kaoru die Beiden unbeeindruckt. Kyo nickte nur. „Als ob DU singen könntest“, warf Die gehässig ein und musterte den Kleinen eingehend von oben bis unten, als würde seine Körpergröße oder sein Aussehen etwas über die Fähigkeiten seiner Stimmbänder aussagen. Kaoru beschloss Die einfach den Mund zuzuhalten, um das Ganze nicht unnötig in die Länge zu ziehen. „Hmmmpf Kwo wsch schul dsch?“ beschwerte sich der Rotschopf empört, doch seine Worte gingen unbeachtet unter. „Ich KANN singen“, verteidigte sich der Kleine schließlich, nachdem er Die einen weiteren herablassenden Blick zugeworfen hatte. Dieser Andou schien ihn nicht ernst zu nehmen. Dabei hasste er es immer nur nach seinem Äußeren beurteilt zu werden, insbesondere wenn alle immer nur auf seine geringe Körpergröße anspielten. „Okay, das werden wir ja gleich sehen“, meinte Kao, als er mit nur einer Hand zwischen den Songlyrics wühlte, auf der Suche nach einem geeigneten Lied, welches Kyo vortragen konnte. Schließlich hielt er Kyo ein Blatt entgegen. Sein gegenüber griff danach und vertiefte sich augenblicklich in die Lyrics, doch schon wenige Sekunden später hob sich eine seiner feingeschwungenen Augenbrauen fragend an. „X-Japan ‚Endless Rain’? Das ist eine Ballade!“ Er blickte zweifelnd auf. „Schreibt ihr nur so’n langsames Zeug?“ Diesmal war es Toshiya, der sich zu Wort meldete. „Wir schreiben alles Mögliche. Aber vor allem Lieder, wo man schön kreischen kann.“ Er grinste frech. „Also genau das Richtige für dich, ne?“ Er zwinkerte ihm anzüglich zu. Nun gesellte sich auch Kyos zweite Augenbraue zu der anderen. Irritiert schüttelte er den Kopf. Wo war er denn hierhin geraten? „Also gut“, er wandte sich wieder den Lyrics zu. „Soll ich a cappella singen oder gibt’s irgend ne Instrumentalbegleitung?“ „Singst du etwa so schief, dass du dich hinter den Instrumenten verstecken musst?“ reizte der Rotschopf ihn weiter, als er sich endlich aus Kaorus eisernem Griff befreit hatte. Kyo, der es allmählich müde war ständig mörderische Blicke Richtung Die zu schicken, verdrehte genervt die Augen und schnaubte leise. Dieser Typ kotzte ihn tierisch an. Aber dem würde er es schon zeigen. Er warf einen weiteren Blick auf die Lyrics und beschloss einfach loszusingen. Langsam und sanft klangen die ersten Töne an und jeder im Raum verstummte. Selbst Dies nächster Spruch blieb ihm vor Erstaunen im Hals stecken. I'm walking in the rain 行くあてもなく 傷ついた身体濡らし Kyo war wie verändert, wenn er sang. Es schien, als würden sich seine stets angespannten verbitterten Gesichtszüge glätten, als würde sein ewig währender, sich hoch auftürmender Schutzwall zusammenbrechen und endlich den Kyo offenbaren, der hinter der Fassade lag. 絡みつく 凍りのざわめき 殺し続けて 彷徨う いつまでも Until I can forget your love Die war wie gebannt, als seine Augen über den kleinen Rebellen wanderten, der, wenn er sang, auf einmal viel größer wirkte. 眠りは麻薬 途方にくれた  心を静かに溶かす 舞い上がる 愛を踊らせて Er ließ sich von Kyos Stimme forttragen, fühlte sich, als würde er auf den Noten des Liedes schweben, als würden die Töne ihn davon schwemmen. Kyo ergriff jeden Einzelnen im Raum. ふるえる身体を記憶の薔薇につつむ I keep my love for you to myself Als er schließlich beim ersten Refrain angekommen war und noch mehr Energie in seine Stimme legte war auch der letzte überzeugt. Kyo war ihr Mann! Endless rain, fall on my heart 心の傷に Let me forget all of the hate, all of the sadness Die ließ seinen Blick verwirrt über diesen kleinen Mann wandern, in dem so viel Kraft und Ausdrucksstärke steckte. I awake from my dream I can't find my way without you Aber wieso nur, sah er so traurig aus, wenn er sang? Lag es am Lied? Oder konnte er sich einfach gut dem Thema anpassen und die richtigen Emotionen in seine Gesichtszüge legen? The dream is over 声にならない 言葉を繰り返しても 高すぎる 灰色の壁は 過ぎ去った日の思いを夢に写す Until I can forget your love Dies Gedanken drehten sich im Kreis. War der Kyo, der sich offenbarte, wenn er sang, der echte Kyo? Oder war es dieser eiskalte, rebellische Kyo? „-ie?....Die? HEY DIE!!!“ Der Rotschopf machte vor Überraschung einen kleinen Hüpfer, als Kaoru ihm direkt ins Ohr brüllte. Er warf seinem besten Freund einen irritierten Blick zu. „Was is denn?“ fragte er gereizt. Der Violetthaarige verdrehte die Augen und wiederholte seine Frage nun schon zum dritten Mal. „Ich hab dich gefragt, was du von Kyos Gesang hältst.“ Die drehte seinen Kopf wieder zu Kyo und sah ihm tief in die Augen. Augen, in denen man sich verlieren konnte. Seine Stimme war so perfekt, so gefühlvoll und energisch zugleich. Wenn er sich vorstellte, wie der kleine Rebell mit aller Kraft ins Mikro brüllte, lief es ihm schaurig den Rücken hinab. Aber das war noch immer Kyo. Null Chance, dass er ihm das je ins Gesicht sagen würde. Das würde sein aufgeblasenes Ego nur unnötig zum Platzen bringen. Also zuckte er nur gleichgültig mit den Schultern. „War okay. Aber deine englische Aussprache is der absolute Abturner. Das klingt wie polnisch!“ Mit diesen Worten verließ er fast fluchtartig den Raum, um sich draußen abzukühlen, ehe ihn die Hitze in seinen Wangen noch zum Überkochen brachte. Kaos traurigen Blick bemerkte er gar nicht. ~o~oOo~o~oOo~o~ END Chapter 1 Kapitel 2: 願いは閉ざされた心に --------------------- Chapter 2 願いは閉ざされた心に (das Verlangen in seinem verschlossenen Herz) *Daisuke Andou* Du brauchtest nur wenige Minuten, um dich für ewig in mein Herz zu brennen. Doch deine Flamme ist kalt. So kalt. *** „Heeeeeeeeey Kyo!“ Es war früher Morgen und ein jeder hätte sich jetzt wohl gerne noch einmal in seinem Bett umgedreht und weiter geschlafen. Leider gab es Menschen, die so etwas unnötiges wie Wecker erfunden haben, welche einen tagtäglich erneut aus dem Bett schmissen, damit man seinen müden Arsch zur Schule oder auf Arbeit schwang. Und auf eben dieser Mission war Kyo gerade, als man seine schläfrige Schulweg-Phase brutal unterbrach. Erschrocken zuckte der kleine Gelbschopf zusammen, als sein Name laut an sein Ohr drang und sich keine Sekunde später ein blaues wildes Etwas auf ihn stürzte. Toshiya natürlich. Er stöhnte gequält und versuchte sich von der zusätzlichen Last zu befreien, die ihn in noch tiefere Luftschichten drückte. Leider machten seine müden Glieder nicht mit. „Toshiya... du erquetschst mich“, röchelte er, nach Atem ringend. Der Blauschopf grinste und verstärkte seine morgendliche Umarmung nur noch mehr. „Das macht doch nichts“, erklärte er fröhlich und wuselte Kyo durch die gelben wüsten Haare, die wohl heute noch keinen Kamm gesehen hatten. Dann ließ er endlich von dem Kleineren ab und strahlte ihn atomar an. „Wir scheinen ja einen ähnlichen Schulweg zu haben“, erkannte er. „Dann können wir ja immer zusammen laufen. Wo wohnst du eigentlich?“ sprudelte es aus ihm heraus. Kyo, nicht gerade der ideale Morgenmensch, stöhnte leise und funkelte böse vor sich hin. „Was geht dich das an?“ knurrte er genervt. „Manno, jetz sei doch nicht so“, beschwerte sich der Bassist und zeigte einen seiner schönsten Schmollmünder. „Ich bin immer so, falls es dir noch nicht aufgefallen ist“, grummelte der Kurze zurück. Toshiya grinste. „Ist mir aufgefallen. Ist das irgend so ne Masche, mit der du versuchst deine Größe auszubügeln?“ stichelte er. „Glaubst du, wenn du böse genug schaust und alle fies anmachst nehmen dich die gemeinen grooooßen Menschen ernster??“ Ein fettes Grinsen hatte sich auf seine geschwungenen Lippen geschlichen. Kyos Blick wurde noch mörderischer, wenn überhaupt möglich. „Duuuu!“ knurrte er verärgert, während er mit dem Zeigefinger drohend auf den Blauhaarigen zeigte, welcher wild lachend davon stob, um genügend Distanz zwischen sich und den rasenden Minidrachen zu bringen. „Das kriegst du zurück“, brummelte Kyo noch vor sich hin, während er wieder in seine frühmorgendliche schlechtgelaunte, miesepetrische Schulmarschstimmung verfiel. *** Es war wohl ein Naturgesetz, dass ungeliebte Unterrichtsstunden extra schleichend langsam vorbei gingen. Dies Blick fixierte immer wieder die große Uhr über der Tür, deren Sekundenzeiger eher rückwärts zu laufen schien als vorwärts. Manchmal schien er sich gar überhaupt nicht vom Fleck zu rühren. Noch zehn Minuten. Waren es eben nicht nur noch acht gewesen? Seufzend blickte er auf das leere Blatt Papier vor seiner Nase, welches er schon seit ungefähr einer Viertelstunde, die der Lehrer seinen langweiligen Vortrag über die Proteinbiosynthese hielt, mit Fakten hätte füllen müssen. Gelangweilt kaute er auf seinem Kuli herum. Sein Blick wanderte weiter. Kyo hing wie ein Schluck Wasser auf seiner Bank und versuchte wach zu wirken, während er halb schlief. Immer wieder sackten seine Augenlider nach unten. Die beobachtete, wie seine langen schwarzen Wimpern verschlafen auf und ab tanzten und er musste unbewusst lächeln, als sich Kyos Gesicht leicht verzog, weil er ein Gähnen unterdrückte. Wenigstens konnte er den kleinen Sänger beobachten. Das hielt ihn wach. Wie in Trance ließ er seine Augen über Kyos zierliche Statur schweifen, als wolle er sich jedes noch so kleinste Detail einprägen. Ausgiebig betrachtete er das hübsche Gesicht, die gerade Nase, die düsteren Augen, die trockenen, leicht aufgeplatzten Lippen, das Metall in seiner Haut. Er war anders, als alle anderen. Ein Mysterium, das es zu erforschen galt. Irgendwie machte ihn das für Die besonders. Was ein vorgetragenes Liebeslied doch verändern konnte… *** Einsam und verlassen saß Kyo auf einem kleinen Stückchen Rasen, den Rücken gegen einen mächtigen Baum gelehnt, dessen Krone ihn wie ein riesiges Dach überspannte und dessen lange tief hängende Äste und Blätter ihn halbwegs von der Außenwelt abschnitten und in den dunklen Tiefen des Baumes vor den Menschenmassen versteckten. Unablässig kratzte sein Stift über die weißen Seiten eines kleinen Buches. Er schien völlig in sich verloren. Seine Stirn war in Falten gezogen, seine Zähne kauten unruhig auf seiner Unterlippe herum und seine Finger hatten sich um den schmalen Stift gekrampft, als wollten sie ihn zerbrechen. Immer wieder wanderten seine Augen über die wenigen Zeilen. „Was schreibst du da?“ Erschrocken sah Kyo von seinem Buch auf und starrte den blauhaarigen jungen Mann an, welcher sich scheinbar unbemerkt neben ihm niedergelassen hatte. „Foah, erschreck mich nicht so.“ Auf Toshiyas Lippen legte sich ein schelmisches Grinsen. „Was kann ich dafür, dass du so weggetreten bist, dass du nicht mal mitkriegst, wenn sich jemand neben dich setzt.“ Kyos schmale Lippen verzogen sich zu einem Schmollmund. „Ich bin nicht weggetreten!“ murrte er. „Nur beschäftigt.“ „Ist das so?“, fragte der Bassist interessiert und beugte sich ein wenig über Kyo, um einen Blick auf sein Geschriebenes zu erhaschen. „Was mich zu der Frage zurückbringt, was schreibst du da?“ Kyo klappte demonstrativ sein Buch zu und verengte die Augen. „Das geht dich nichts an“, entgegnete er schroff. „Jetzt hab dich nicht so“, konterte der Jüngere unbeschwert. „Zeig doch mal“, und mit diesen Worten entzog er dem verdutzten Kyo sein Buch und blätterte eine beliebige Seite auf, wo er zu lesen begann. Als ich nur ein Kind war, zerbrechlich wie Glas Um zu sehen wie tief ich die Wunden machen konnte erstach ich mein Herz mit den Scherben um zu sehen wie viel Schmerz ich ertragen konnte Todesgarantie das Ende wird bald kommen Todesgarantie Nur ein bisschen länger… Ich kann es hören Langsam hob Toshiya seinen Kopf und betrachtete seinen Gegenüber nachdenklich. //Warum schreibt er solche Gedichte? So traurig. Denkt er wirklich schon an seinen Tod? Oh Kyo, was geht nur in dir vor? Du machst mir Angst!// Kyo, dem das Starren unangenehm war, nutzte die Chance, um sein Eigentum wieder an sich zu reißen. Wie ein Ertrinkender klammerte er sich an das kleine Büchlein, sodass seine Fingerknöchel unter dem Druck weiß hervortraten. „Kyo“, durchbrach Toshiya endlich die Stille, „das…klingt wunderschön, ehrlich.“ Der Gelbhaarige senkte leicht den Blick und betrachtete die zerdrückten Blumen zu seinen Füßen. „Ich…“, begann er mit zögernder Stimme, „… hab überlegt, ob wir ein paar der Texte vielleicht als Lyrics nehmen können.“ Auf Toshiyas Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. „Das ist eine super Idee. Kaoru tut sich immer schwer mit den Lyrics und wir anderen sind noch unfähiger“, erklärte er grinsend. „Na ja, bis auf Die, der schreibt auch manchmal Gedichte, aber das würde er nie zugeben.“ Ein listiges Grinsen schlich sich auf die Lippen des blauhaarigen Bassisten. „Ich hab ihn mal dabei erwischt. Hab gedacht er schreibt Tagebuch und wollte ihn schon auslachen. Aber es war ein Gedicht.“ Toshiya lehnte seinen Kopf gegen den Baumstamm hinter sich und sein Blick suchte die blauen Himmelsfetzen, die durch die dichte Blätterkrone hindurch lugten. „Ein sehr trauriges“, fügte er gedankenverloren hinzu. „Bis zu diesem Tag dachte ich echt, dass Die ein stets gutgelaunter, unbeschwerter Partymensch ist, der das Leben auf die leichte Schulter nimmt. Aber irgendwie… hat mich dieses Gedicht nachdenklich gestimmt. Ich hab irgendwie das Gefühl, dass er uns nur was vorspielt.“ Langsam drehte er seinen Kopf und seine dunklen Augen bohrten sich intensiv in die des kleinen Sängers. „So wie du, Kyo. Du spielst auch den harten unnahbaren Mann, der auf Regeln scheißt und sich von niemandem was vorschreiben lässt…aber dann…schreibst du diese Texte, in denen es um den Tod geht und…“ Er brach ab und zuckte hilflos mit den Schultern. „Es macht einem irgendwie Angst.“ Kyo, der die ganze Zeit stillschweigend auf seiner Unterlippe herumgekaut hatte, seufzte. „Es sind doch nur Texte, Toshiya. Sinnlose Gedanken, die einem manchmal durch den Kopf spuken, mehr nicht“, versuchte er den Jüngeren zu beruhigen. „Das Leben ist nun mal kurz. Jeder muss einmal sterben. Manche früher, manche später.“ Er strich sich eine lästige gelbe Haarsträhne aus den Augen. „Ich schreibe diese Dinge einfach nur auf, damit sie mich nicht länger nerven. Meistens hat es nicht mal was mit mir zu tun. Meist geht es um wildfremde Menschen.“ Toshiya nickte beruhigt, aber nicht gänzlich überzeugt. „Okay… Wir können sie Kaoru auf jeden Fall mal zeigen und fragen, ob er Verwendung dafür findet.“ Er lächelte aufmunternd, auch wenn er sich nicht so fühlte, denn seine Gedanken kreisten noch immer um Kyos Worte. //Vielleicht kannst du dich uns noch nicht öffnen, aber deine Texte werden uns helfen dich wenigstens ein bisschen zu verstehen… Ich möchte so gerne dein Vertrauen gewinnen und dir helfen. Denn du wirkst immer so verloren, wenn du glaubst, dass keiner hinsieht. Hast du dich wirklich schon aufgegeben?// *** Die Luft im Proberaum war stickig und verbraucht. Unablässig dröhnte Toshiyas Bass durch die kleinen vier Wände und untermalte das harmonische Zusammenspiel der zwei Gitarren. Shinya hämmerte schon seit Ewigkeiten wie ein Berserker auf seinem Schlagzeug herum. Seine Arme und Haare waren eine einzige wirbelnde Masse. Der Boden schien unter dem Lärm leicht zu erzittern und auch die dreckigen Fensterscheiben klirrten leise. Inmitten all dem Chaos stand ein kleiner Mann mit gelben Haar: Kyo, das jüngste Mitglied. Wie ein Wirbelwind fegte er durch den Proberaum, das Mikro fest umklammert. Seine Stimme flutete das alte Gebäude wie eine Sintflut, brach auf die Anwesenden hernieder, stob an den Wänden zurück und schäumte über ihren Köpfen wieder zusammen. Es war, als wäre ein Inferno losgebrochen, ein Zusammenwirken verschiedener Elemente in Töne gefasst. Doch irgendetwas fehlte. Langsam brachen die einzelnen Instrumente ab. „Die... Erde an Die. DIE!“ Big Red schreckte ruckartig aus seinen Gedanken und machte einen kleinen Hüpfer. „Du hast jetzt schon zum dritten Mal deinen Einsatz verpasst“, schimpfte Kaoru und schenkte ihm einen teils vorwurfsvollen, teils mitfühlenden Blick. „Sicher, dass alles in Ordnung ist?“ fragte er leicht besorgt, während seine Augen denen von Die folgten und bei Kyo anhielten. Erkenntnis flutete seine braunen Augen und einem aufmerksamen Beobachter wäre aufgefallen, wie seine Schultern plötzlich ein wenig tiefer sackten und seine Mundwinkel verräterisch zuckten, als sich sein Unterkiefer etwas verspannte. Alle Augen waren jedoch auf Die gerichtet, welcher sich selbst gerade innerlich für seine Unachtsamkeit verfluchte. Wie sollte er sich nur auf die Musik konzentrieren, wenn all seine Aufmerksamkeit stets auf eine bestimmte Person gerichtet war? Immer wenn seine Augen über den gelbhaarigen Sänger schweiften und dieser zu singen begann machten sich Dies Gedanken selbstständig und er vergas alles um sich herum. Es war wie verflucht! Kaoru maß ihn noch immer mit prüfendem Blick, einer jener Blicke, die durch alles hindurchdrangen und jedes Bisschen Wahrheit ans Licht trugen. Die schluckte nervös, ehe ihm einfiel, dass er noch immer nicht auf Kaorus Frage geantwortet hatte und beeilte sich hastig mit dem Kopf zu nicken. „Ja, alles okay.“ Er grinste verlegen. „Sorry“, murmelte er. „Ich versuch mich mehr zusammen zu reißen.“ Er strich sich demonstrativ über die Augen und legte eine verschlafene Miene auf, um den anderen einen plausibeln Grund für seine Patzer zu liefern. Übermüdung. Ihm war natürlich klar, dass Kaoru nicht darauf hereinfallen würde, aber darum konnte er sich später noch genug Sorgen machen. In einem Punkt war er sich sicher: Nie würde er vor den Anderen zugeben, dass es nicht Schlafmangel war, der ihm zu schaffen machte, sondern ein kleiner, blonder, vorlauter, respektloser Wirbelwind am Mikrofon. Und das schlimmste war, er wusste selbst nicht warum sich all seine Gedanken um Kyo drehten. Vor wenigen Wochen hatte er ihn kein Stück leiden können, hatte über ihn geflucht wie ein Rohrspatz und hatte ihn sich an die abgelegensten, verrottetsten Orte gewünscht. Jetzt konnte er ihm nie nah genug sein. Wie oft schlichen sich nagende, störende Wünsche in seinen Kopf. Er wollte ihn berühren, durch seine Haare streichen, die Arme um seinen schmalen Körper schlingen und ihn eng an sich pressen, er wollte mit seinen Lippen über Kyos Haut wandern, um anschließend die seinen mit den eigenen zu verschließen. Doch das waren Wünsche und Sehnsüchte, die er nicht haben sollte, für die er sich gar ein wenig schämte, denn Kyo war schließlich ein Mann, egal wie feminin er sich manchmal schminkte und kleidete. Hastig riss er seinen Blick von dem kleinen Sänger los und versuchte sich auf seine Gitarre zu konzentrieren. Als er aber schon wenig später erneut seinen Einsatz verpasste und Kaoru genervt seufzte ließ er sie resigniert sinken. „Gomen ne“, hauchte er erschöpft und strich sich durch die roten Haare. Er spürte alle Blicke fragend auf sich ruhen. Das war zuviel. „Ich muss mal kurz an die frische Luft!“ entschuldigte er sich und verließ beinah fluchtartig den kleinen Proberaum. Die restlichen Dirus sahen ihm verwirrt hinterher. „Ist er immer so?“ fragte Kyo plötzlich in die Stille und alle Aufmerksamkeit fixierte sich auf ihn. Es war gerade einmal Kyos vierte Probe mit Dir en Grey. Bereits jetzt konnte er sagen, dass die Musik, die die Dirus schrieben seinem Geschmack entsprach und Kaoru hatte auch sein „okay“ zu Kyos Texten gegeben, worauf er stolz war, da er nun ein bedeutendes Stück zu ihrer Arbeit beitragen konnte. Auch mit den Bandmitgliedern war er zufrieden, nur Die konnte er nicht recht einordnen. Der Rotschopf war so ganz anders als Kyo selbst, viel zu unbeschwert und stets am Witze reißen. Kyos Launen hingegen waren unberechenbar wie das Wetter und sein Verhalten gegenüber Fremden war stets ablehnend und distanziert. Die dagegen war sehr beliebt. Er schien mit jedem gut auszukommen und hatte einen breit gefächerten Freundeskreis. Man konnte sagen, sie waren wie Tag und Nacht. „Nein“, beantwortete Kaoru schließlich seine Frage. „Erst seit du da bist.“ Auf seinem Gesicht lag ein merkwürdiger Ausdruck, den Kyo nicht ganz deuten konnte. War es ein Vorwurf? Machte er Kyo verantwortlich für Dies Verhalten? Aber was konnte er denn dafür, dass Die zu blöd war Gitarre zu spielen? *** Ein tiefes Seufzen entrann seiner Kehle, als Big Red sich auf einer kleinen Mauer niederließ. So konnte das nicht weiter gehen. Er musste sich zusammen reißen. Es konnte ja nicht angehen, dass er, sobald Kyo die Bildfläche betrat, nicht mehr zu gebrauchen war. Dann konnte er die Band gleich vergessen, denn niemand brauchte einen untauglichen gefühlsgestörten Gitarristen. Fahrig fischte er eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. Er nahm einen tiefen Zug und versuchte sein Herz zu beruhigen, welches auf einmal viel schneller und brutaler gegen seine Rippen schlug, als ihm lieb war. Doch umsonst, denn als sich bereits wenige Sekunden später eine Hand auf seine Schulter legte machte es einen weiteren unrhythmischen Hüpfer, diesmal vor Überraschung. Erschrocken zuckte er zusammen und drehte seinen Kopf. ... Kyo. Diesmal zog es sein Herz vor gleich ganz tief in die Hose zu rutschen. Wenn das so weiter ging würde ihm seine Pumpe bald den Dienst versagen und er würde schon mit achtzehn zarten Jahren einen Herzinfarkt erleiden. Aber wieso musste auch von allen Bandmitgliedern ausgerechnet Kyo ihm folgen? Er hatte mit Kaoru gerechnet, aber Kyo? „Hey“, begrüßte dieser ihn knapp, während er sich neben ihn auf die Mauer pflanzte. Sie schwiegen einen Moment, ein Moment der Stille, in dem Die befürchtete Kyo könnte das laute Schlagen seines Herzens hören. Der kleine Sänger musste sich inzwischen ebenfalls eine Kippe angezündet haben, denn er blies soeben den Qualm lässig zwischen den Zähnen hindurch. Die betrachtete abwesend den wabernden Rauch, welcher vom Wind getrieben an ihm vorbeitanzte. „Ich hab das Gefühl, dass du wegen mir so drauf bist“, meinte Kyo schließlich in die Stille und Die glaubte sein Herz für einen Moment aussetzen zu fühlen, doch noch ehe er etwas Widersinniges erwidern konnte, sprach Kyo schon weiter. „Ich weiß ja, dass du mich nicht gerade gut leiden kannst und ich gebe zu, dass ich mir auch nicht besonders viel Mühe gebe erträglich zu sein. Aber so bin ich nun mal.“ Er grinste verschlagen und nahm einen weiteren tiefen Zug. Die schwieg erleichtert, hatte er doch damit gerechnet, dass Kyo irgendetwas von seinen Gefühlen mitbekommen hatte. Andererseits störte es ihn, dass Kyo dachte, er könne ihn nicht leiden. „Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass ich die Band nicht verlassen werde, ob es dir passt oder nicht“, erklärte Kyo trocken. „Wenn wir miteinander auskommen, ok, wenn nicht, dann hast du Pech gehabt, denn ich werde mich bestimmt nicht nur wegen dir ändern!“ Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. Die sah ihn einen Moment irritiert an und boxte ihn dann leicht in die Seite. „Idiot! Ich hab nichts dagegen, dass du in der Band bist. Okay, anfangs fand ich es vielleicht ein wenig doof, ach was, ich fand’s zum Kotzen.“ Er grinste schief. „Aber inzwischen ist es okay. Und es liegt auch nicht an dir, dass ich heute so verpeilt bin. Ich häng nur momentan etwas durch“, redete er sich raus. „Also keine Panik, das krieg ich schon geregelt.“ Er grinste zuversichtlich und ließ es sich nicht nehmen Kyo durchs Haar zu wuseln, woraufhin dieser die Augen verengte und giftig „Lass das!“ zischte. Erneut schwiegen sie einen Moment, in dem jeder seinen eigenen Gedanken nachhing, bis Kyo plötzlich zweifelnd fragte: „Es liegt also nicht an mir?“ Die stockte einen Moment und biss sich nervös auf die Unterlippe, ehe er den Kopf schüttelte. „Okay zugegeben“, fügte er schließlich lächelnd hinzu, „du bist ein kleiner Giftzwerg, hast absolut keinen Sinn für Humor, nimmst alles viel zu persönlich, nervst am laufenden Band und lässt dir von einfach niemandem was vorschreiben.... aber sonst... kann man dich schon aushalten... irgendwie.“ Die zeigte eines seiner zahnreichen Grinsen. Kyo hingegen verzog das Gesicht und zeigte ihm den Mittelfinger, woraufhin der Rotschopf jedoch nur umso mehr lachen musste. Er fühlte sich irgendwie befreit. Auch wenn er Kyo niemals von seinen Gefühlen erzählen würde, so konnte er ihm wenigstens nah sein, jeden Tag und irgendwann, wenn seine Gefühle nachlassen würden, konnte er ihm frei gegenüber treten und einfach nur sein Freund sein. Erleichtert ließ er seinen verendeten Kippenstummel zu Boden segeln und trat die Glut aus. „Komm Giftzwerg“, er legte seinen Arm kameradschaftlich um Kyos Schultern, wobei ihn ein wohliger Schauer durchlief und ein zufriedenes Lächeln auf seine Lippen trat, „gehen wir wieder rein, ehe die noch ne Vermisstenanzeige aufgeben.“ Und damit schob er den kleinen Großen zurück ins Haus. *** „Moshi moshi“, meldete sich eine verschlafene Stimme am Ende der Leitung. „Kyo? Hier ist Kaoru.“ „Ah Kao, was gibt’s?“ „Folgendes“, meinte sein Gesprächspartner und ein kurzes Rascheln ertönte, welches Kyo vermuten ließ, dass Kaoru eine gemütlichere Sitzhaltung eingenommen hatte. „Die, Toshiya, Shin und ich planen heute Abend ins Black Moon zu gehen. Big Red hat Freikarten von nem Kumpel geschenkt bekommen und uns alle eingeladen. Kommst du mit?“ Der Gelbhaarige legte nachdenklich den Kopf schief. Das Black Moon war ein angesagter Club im Zentrum der Stadt. Es war für einen normalen Teenager eigentlich so gut wie unmöglich einen Fuß in diese geheiligten Hallen zu setzen, aber Kyo hatte schnell gemerkt, dass Die so einige gute Kontakte hatte und das Unmögliche möglich machte. „Ja, warum nicht“, meinte er schließlich. //Warum sich nicht mal wieder ordentlich gehen lassen? Außerdem ist der Club bestimmt eine gute Einnahmequelle.// „Prima“, freute sich der Leader. „Ich hab ein Auto, ich hol dich ab. Wo wohnst du?“ Kyos Augen verengten sich ein wenig, als er einige Sekunden lang in sein Handy schwieg. „Kyo?“ fragte Kaoru verwirrt nach. „Is schon gut, lass mal“, meinte der kleine Sänger schließlich abwehrend. „Ich werd einfach laufen. Es ist nicht so weit und ich will dir keine Umstände machen.“ Kaoru hob irritiert eine Augenbraue und wollte protestieren, doch Kyo ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. „Treffen wir uns einfach am Eingang. Wann seid ihr da?“ „So gegen 21 Uhr denke ich. Shinya darf nicht so lang bleiben, seine Eltern sind recht streng, deshalb lohnt es sich für ihn nicht, wenn wir erst gegen 22 Uhr dort antanzen. Ich hoffe, das ist dir nicht zu früh.“ „Nee, geht schon.“ „Okay, bis dann, ne?“ „Mh..“ KLICK. *** Suchend reckte sich der kleine Sänger und versuchte die ihm bekannten Köpfe ausfindig zu machen. Es herrschte bereits reger Betrieb vor den Toren des Black Moons. Eine lange Menschentraube wucherte über den Gehweg wie Unkraut. Selbst hier auf der Straße konnte man das laute Wummern der Bässe hören, die aus dem Club dröhnten. „Kyooo!“ rief eine laute Stimme und einige Gestalten kamen winkend auf ihn zu. „Da seid ihr ja endlich“, knurrte er genervt und versenkte seine Hände in den warmen Manteltaschen. Es war ein milder Herbstabend mit sommerlichen Temperaturen und dennoch fror er. Wie so oft. Doch er hatte sich bereits an die ewig währende Kälte in seinem Leben gewöhnt. „Gomen“, entschuldigte sich Kaoru. „Es ging nicht schneller. Ich musste die drei hier“, er deutete auf Die, Shinya und Toshiya, „noch abholen und Big Red hat ewig rumgemehrt.“ „Gar nicht wahr“, brummte der Rotschopf beleidigt. „Wohl wahr“, meldete sich Toshiya zu Wort. „Kaoru musste dich buchstäblich aus deinem Bad schleifen.“ Er grinste schelmisch. „Na, für wen haben wir uns denn so rausgeputzt?“ stichelte er seinen rothaarigen Freund und zupfte an dessen Outfit, welches tatsächlich ein wahrer Hingucker war. Die trug eine enge schwarze Lederhose, die bis zu den Knien verlief. Dort wurde sie dann von schwarzen Boots verschlungen, welche mit unzähligen Schnallen, Nieten und Schnüren versehen waren. Um sein schmales Becken schlangen sich mehrere Nietengürtel. Über seinen Oberkörper spannte sich ein rotes, ausgefranstes, ärmelloses Kapuzenshirt, welches fast gänzlich von einer weißen ärmellosen Jacke verdeckt wurde, welche Daisukes muskulöse Arme entblößte. Die dazugehörigen Hände hatte er lässig in den Jackentaschen vergraben. Das rote Haar war kunstvoll gegelt und die Augen waren dunkel geschminkt. Kyo stieß einen anerkennenden Pfiff aus. „Na die Gute wird sich glücklich schätzen“, meinte er grinsend. Die errötete leicht, was man aufgrund der Dunkelheit zum Glück nicht sehen konnte. //Wenn du wüsstest, Kyo. Ich will nur dir gefallen, niemandem sonst.// „Na denn, auf auf ins Getümmel“, spornte Toshiya die kleine Truppe munter an und trieb sie vorbei an der Schlange zum Eingang, wo sie dank der Freikarten gleich eingelassen worden ohne lange warten zu müssen. Kaum waren sie eingetreten schlug ihnen eine Welle warmer Luft und Zigarettenqualm entgegen. Schnell entledigten sie sich ihrer überflüssigen Klamotten an der Garderobe und stürzten sich ins Getümmel. Das Black Moon bestand aus drei Etagen, dem Kellergewölbe, sowie der ersten und zweiten Etage. Auf jeder Ebene gab es eine Tanzfläche, sowie eine Bar und massig Sitzgelegenheiten. Zielsicher führte Die die kleine Gruppe hinab in die Tiefe des Kellers. „Willkommen in der schwarzen Grotte“, meinte er theatralisch und gab den Blick auf den untersten Floor frei. Flackerndes buntes Licht erhellte die, in Dunkelheit getauchten, Menschen im Millisekundentakt und verzerrte jegliche Bewegungen auf irreale Weise. Die Tanzenden schienen für Bruchteile in der Zeit eingefroren, ehe sie beim nächsten Lichtreflex in einer anderen Position wieder auftauten. Das ganze hatte etwas abgehacktes, unrhythmisches an sich und glich einem abstrakten Bild des Kubismus. Die Musik war laut und sehr basslastig. Der unterschwellige Beat war so manipulativ, dass es jeden über kurz oder lang auf die Tanzfläche zog. Zielstrebig führte Big Red seine Herde staunender Schäfchen durch die Massen hindurch zu einer großen Couch. „Was wollt ihr trinken?“ fragte er über den Lärm hinweg. Jeder nannte seinen Wunsch und schon zog der Rotschopf wieder von dannen und verschwand in der schwitzenden, pulsierenden Menge. „Kommt Die oft hierher?“ fragte Kyo verwundert. Kaoru drehte leicht den Kopf und erklärte: „Er hat mal ne Zeit lang hier gearbeitet, deshalb hat er gute Connections.“ „Außerdem kennt er so gut wie jede Getränkekarte aller Clubs und Bars dieser Stadt plus Umgebung auswendig, wenn du weißt was ich meine“, fügte Toshiya mit einem Zwinkern hinzu. „Also falls er dich zu einem Wettsaufen herausfordern sollte, sag NEIN! Denn du hast keine Chance zu gewinnen. Und der nächste Morgen macht garantiert keinen Spaß.“ Kaoru und Shinya nickten wissend, als hätten sie diese Erfahrung schon mehrfach durchlebt ehe sie daraus gelernt hatten. Kyo zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. „Also ist er ein Schluckspecht.“ Kaoru betrachtete Kyos kritische Miene. //Denk nichts falsches von ihm, Kyo. Du bildest dir dein Urteil über deine Mitmenschen immer viel zu voreilig. Wenn man nicht aufpasst hat man schon bei dir verloren.// „Sagen wir es so: Er trinkt gerne einmal über den Durst. Aber das macht ihn noch lange nicht zum Alkoholiker. Er ist nun mal ein durchschnittlicher Teenager, der sich gern die Kante gibt und Spaß hat, um diesem langweiligen Schulalltag zu entfliehen und in Japans strikter Normengesellschaft ein wenig zu entgleisen.“ Kyo nickte nachdenklich. Er schien mit seinen Gedanken schon wieder an einem fernen Ort und Kaoru wandte seinen Blick wieder der Tanzfläche zu, durch deren Gedränge sich gerade ein bepackter Die schlängelte. Mit einem Ächzen ließ er die Getränke auf den Tisch knallen und quetschte sich an Shinya und Toshiya vorbei zwischen Kaoru und Kyo auf die Couch. „Wie sieht’s aus, Kyo?“ Er drehte sich zu dem Kleineren und sah ihn herausfordernd an. „Lust auf ein kleines Wettsaufen?“ „NEIN!!!“ schrie der ganze Tisch zugleich und Die zog einen Schmollmund. „Spielverderber“, grummelte er leise. Kaoru lächelte mild und schlug seinem besten Freund kameradschaftlich auf die Schulter. „Wir haben Kyo schon vorgewarnt, sorry“, meinte er zwinkernd. Daraufhin schnappte sich jeder sein Getränk und versank für einige Sekunden in bedächtiges Schweigen als allesamt ihre alkoholischen Wässerchen die Kehle hinunterstürzten. Die brachte es fertig sein riesiges Bierglas in einem Zug zu leeren und ließ es krachend wieder auf die Tischplatte knallen. Dort wartete vorsorglich bereits ein zweites Bier auf seine Hinrichtung. Er grinste zufrieden und führte auch das zweite Bier seinem Bestimmungsort zu, auf das Dies Leber zu singen beginne. Kyo verdrehte genervt die Augen. Er hasste Säufer. *** „Wer kommt mit tanzen“, quietschte Toshiya erfreut, als eines seiner Lieblingslieder gespielt wurde. Ohne auf eine Antwort zu warten zerrte er den Erstbesten, was zu seinem Leidwesen Shinya war, mit sich auf die Tanzfläche. Kyo hatte sich schon vor einiger Zeit aus dem Staub gemacht und so saßen nur noch Big Red und Leader-sama auf der gemütlichen Couch. Die musste inzwischen bei seinem siebten Bier angekommen sein und Kaoru machte sich langsam um die Trinkfestigkeit seines Freundes sorgen. Er wusste zwar, dass Die viel vertrug, doch sinnloses Bierexen war eigentlich nicht seine Art. //Was bedrückt dich, Die? Besäufst du dich jetzt wegen Kyo… weil du gemerkt hast, dass er deine Liebe niemals erwidern wird? Du armer, kleiner Idiot. Denkst du ich merke nichts von deinem Kummer? Dabei ist es so offensichtlich. Einmal sitzt deine Maske nicht perfekt.// „Ich geh mich mal entleeren“, riss der Rotschopf ihn aus seinen Gedanken und verschwand Richtung Toilette. Wie ein Krieger kämpfte er sich durch die tanzende Meute und atmete schon beinahe erleichtert auf, als er die Treppe erreichte und wieder ordentlich Luft holen konnte. Leicht wankend erklomm er die steinernen, unebenen Stufen. //Vielleicht hab ich doch schon etwas viel getrunken.// kam ihm die Erkenntnis. Vorsichtshalber ergriff er lieber das metallene Geländer zu seiner Rechten, denn er wollte das Risiko nicht eingehen in seiner Trunkenheit die Treppen rückwärts wieder hinunter zu kullern. Schließlich wollte er sich die Frisur nicht ruinieren. Oh.. und natürlich keine Knochen brechen. Mühsam stieg er Stufe um Stufe hinauf bis er auf einmal mit seinem Kopf gegen einen tief hängenden Balken stieß. Der Schmerz durchflutete für einige Minuten sein benebeltes Hirn, wodurch er wieder etwas klarer im Kopf wurde. Fluchend duckte er sich unter dem tückischen Holzbalken hindurch, von dessen Existenz er eigentlich wusste und den er stets erfolgreich umgangen war ohne sich den Schädel einzuhauen, während er sich über alle anderen lustig gemacht hatte, die es nicht geschafft hatten. //Jetzt gehöre ich wohl offiziell zu den „Brett-vorm-Kopf-Hirnis“// Er seufzte herzerweichend und kämpfte sich auch noch die letzten Stufen hinauf. Der Schmerz hämmerte noch immer zwischen seinen Schläfen. Morgen würde sich zu der hübschen Beule wahrscheinlich auch noch ein Kater gesellen. Oben war es bedeutend heller und die Gänge waren erträglich menschenleerer. Entschuldigungen murmelnd drängelte er sich an einigen knutschenden Pärchen vorbei und schlug seinen Leidensweg in die erste Etage ein, in der sich dummerweise die Klos befanden. //Alter, wenn ich den Architekten in die Finger kriege. Hier hat man sich ja schon eingepisst ehe man überhaupt in die Nähe der Toiletten kommt.// Knurrend überwand er auch die letzte Distanz und erreichte den obersten Floor. Hier gab es neben den Toiletten und dem dritten Dancefloor noch eine separate Bar. Ein dunkler Gang führte zu einer weiter hinten gelegenen dritten Treppe, die in die nächste Etage führte, in welcher, wie Die wusste, das Büro des Chefs lag. Er wollte sich gerade den WCs zuwenden, als ihm etwas Gelbes ins Auge stach. Instinktiv hielt er inne und verengte die Augen, um schärfer sehen zu können. Dort im Dunkeln stand tatsächlich Kyo… mit irgendeinem wildfremden Kerl. Dies Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen und er wünschte sich seinen Blick abwenden zu können, doch seine Augen konnten sich nicht von diesem Anblick lösen. Der Fremde war ungefähr einen Kopf größer als Kyo, trug abgeschlissene, tief hängende Jeans und ein schwarzes Achselshirt. Seine wahrscheinlich schwarzen Haare lagen unter einem dunklen Tuch verborgen, welches er lässig im Hip Hopper Style umgebunden hatte. Die ballte unwillkürlich die Fäuste und trat einen Schritt näher, um besser sehen zu können. Die beiden schienen sich erregt zu unterhalten, während die Hand des Größeren, in Dies Augen widerlich langsam und anzüglich, über Kyos weißes eng anliegendes Shirt strich und seine Finger mit dem schwarzen, locker gebundenen Schlips um Kyos Hals zu spielen begannen. Zornig und rasend vor Eifersucht presste der Rothaarige seine Lippen zu einem blutleeren Strich zusammen. Langsam schloss er die Augen und fuhr herum, um seinem eigentlichen Ziel entgegen zu steuern, der Entleerung seiner biergequälten Blase. //Was interessiert es mich, mit wem Kyo rumfummelt? Er ist ein freier Mensch. Soll er doch machen, was er will… und mit wem er will. Ist mir doch scheiß egal.// Aber warum nur weinte sein Herz dann flammende Tränen, die ihn innerlich zu verbrennen drohten? *** „Lass das“, zischte Kyo bedrohlich und schob die Hände des Fremden entnervt von seinem Körper. Er hasste es angefasst zu werden, insbesondere von wildfremden Menschen, die zudem noch männlich, angetrunken und zugedröhnt waren. „Also was ist nun? Entweder du zahlst oder zischst ab!“ Der Pseudo-Hip Hopper murrte enttäuscht, rückte aber dennoch einige bunte Scheinchen heraus, woraufhin Kyo ihm etwas in die Hand drückte, ihm noch einen letzten giftigen Blick schenkte und dann ohne ein weiteres Wort zu verlieren oder den Typen eines weiteren Blickes zu würdigen von dannen zog. *** „Ich dache schon, du bist ins Klo gefallen“, scherzte Kaoru munter, als Die endlich wieder seinen Platz neben ihm einnahm. Als Big Red jedoch nur schwach grinste verflog die gute Laune. „Was ist los?“ fragte er besorgt. Der Rotschopf schenkte ihm nur einen geheuchelt fragenden Blick und versuchte das Ganze herunter zu spielen. „Was soll los sein?“ Frustriert biss sich der Ältere auf die Unterlippe. „Du weißt, dass du immer mit mir reden kannst, nicht wahr? Also wenn du Sorgen hast-“ „Kao!“, unterbrach ihn sein bester Freund gereizt. „Es. Geht. Mir. Gut!“ „Okay“, antwortete der Leadgitarrist ergeben und seufzte lautlos. //Du konntest mir doch bisher auch immer alles sagen. Ich dachte du vertraust mir. Glaubst du ich könnte dich nicht verstehen… deine Gefühle für Kyo? Ich weiß doch schon längst davon. Du kannst mir nichts vorspielen, Die. Ich sehe wie unglücklich du bist. Aber musst du dich erst besinnungslos saufen, damit die Enttäuschung nicht mehr allzu stark auf deinen Schultern lastet? Warum lässt du dir von mir nicht helfen?// Für eine Weile verfielen sie in ein erdrückendes Schweigen bis Die sich erneut erhob. „Ich hol mir noch was zu trinken. Willst du auch was?“ Kaoru maß ihn nur mit einem abschätzenden Blick ehe er zaghaft fragte: „Meinst du nicht, dass du für heute genug hast?“ Dies Augen verzogen sich verärgert. „Ich bin nicht betrunken!“ Ohne auf Kaos Antwort zu warten rauschte er davon. *** Inzwischen waren auch Toshiya und Shinya wieder schwer atmend eingetrudelt. Sie hatten sich anscheinend die Seele aus dem Leib getanzt und brauchten nun erst einmal eine wohl verdiente Pause. Die war gerade dabei sein wahrscheinlich zehntes Bier hinunter zu schütten. Kaoru bezweifelte, dass er den Geschmack überhaupt noch wahrnahm. Toshiya und Shinya, die es schon gewöhnt waren, dass ihr Rotschopf gerne einmal einen über den Durst trank, dachten sich nichts dabei, hatten sich ja auch nicht wie Kaoru mitgezählt, das wievielte Glas er soeben leerte. Und da Big Red es sogar in seinem derzeitigen Zustand noch schaffte Witze zu reißen und den armen Shinya bis zum Wutausbruch zu ärgern vermutete keiner der beiden Chibis, dass sich Die hinter seiner Maske immer mehr zurückzog. Niemand außer Kaoru. Nach einer weiteren halben Stunde meldete sich schließlich auch Kyo mit einem knappen „Oi!“ wieder zurück und quetschte sich auf einen freien Platz zwischen Die und Shinya. Suchend sah er sich auf dem kleinen Tisch um und ergriff schließlich Dies angefangenes Bier, um einen Schluck zu trinken. „Ey“, protestierte der Rotschopf energisch. „Pfoten weg, das ist meins.“ „Eeeew“, Kyo verzog angeekelt das Gesicht. „Mann hast du ne Fahne.“ Demonstrativ wedelte er mit seiner rechten Hand durch die Luft, als wolle er den üblen Geruch vertreiben. „Wie viel hast du denn schon getrunken?“ Er war sich nicht sicher, ob er die Antwort wirklich hören wollte. „Nicht genug“, brummte sein Gesprächspartner und riss das Bier wieder an sich. *** „Die, jetzt beweg doch auch mal deine Beine“, ächzte Kaoru, der seinem Freund gerade umständlich aus dem Auto half. Er hatte sich irgendwann gegen 3 Uhr früh von Toshiya und Kyo verabschiedet - Shinya war schon früher nach Hause gegangen - und erklärt, dass er und Die, der bei ihm übernachten würde, jetzt verschwinden würden und so hatte er Die entgegen seiner Proteste gewaltsam aus dem Club geschleift und in sein Auto gepackt, wo er in der letzten halben Stunde Autofahrt kein Wort mehr gesagt hatte, was für ihn ganz untypisch war und was Kaoru schon ein wenig beunruhigt hatte. Aber wenigstens war er erleichtert, dass der Rotschopf nicht auf seine schönen Polster gekotzt hatte. //Wenn du dich jetzt so sehen könntest. Ich hab dich noch nie so erlebt.// Er stieß einen lautlosen Seufzer aus und legte Dies Arm um seine Schultern, während er mit seinem eigenen Arm die schmale, Nietengürtel besetzte Taille des betrunkenen Gitarristen umschlang, um ihn zu stützen. „Na komm“, ermunterte er den Rotschopf. „Es ist nicht mehr weit. Gleich kannst du dich auf mein weiches Bett hauen und deinen Rausch ausschlafen.“ Wieder erhielt er keine Antwort, nur ein leises unverständliches Murren. Kaoru gab es auf und konzentrierte sich stattdessen darauf das Schlüsselloch in der Dunkelheit zu finden, während Dies schwere Körper auf seiner einen Schulter hing und ihn immer tiefer zu Boden drückte. Endlich schwang die Haustür auf und offenbarte den Blick auf einen dunklen heruntergekommenen Flur an dessen Ende sich ein Fahrstuhl befand, der die meiste Zeit des Jahres defekt war. Der Leadgitarrist war der einzige unter den Dirus, der mit seinen 19 Jahren schon eine eigene Wohnung besaß. Seine Eltern, einflussreiche Politiker und echte Workaholics, waren Zeit seines Lebens kaum zu Hause gewesen, sodass er sie meist nur an Wochenenden zu Gesicht bekommen hatte und sie selbst dann kaum eine freie Minute für ihren Sohn geopfert hatten. Kaoru musste sehr schnell lernen, wo die Prioritäten seiner Eltern lagen und er begriff, dass er wohl nur ein Fehler war, der nicht mehr auszubügeln ging. Als er mit 18 Jahren schließlich den Wunsch äußerte ausziehen zu wollen war es seinen Eltern nur recht gewesen. Großzügig hatten sie ihm angeboten seine Miete zu zahlen, solange bis er selbst irgendwann Geld verdienen würde. Und seitdem lebte er in einem schäbigen Hochhausblock in einer kleinen Zweiraumwohnung in der fünften Etage. Nicht, dass sich seine Eltern nichts Besseres hätten leisten können, doch er hatte es abgelehnt mehr Almosen als unbedingt nötig anzunehmen, denn er wollte nicht von seinen Erzeugern abhängig sein. Wenn alle Stricke reißen würden wäre er immer noch in der Lage seine kleine heimelige Bude durch Nebenjobs zu finanzieren und sich über Wasser zu halten. Er bereute dieses Leben nicht. Nein, es machte ihn vielmehr frei. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich unabhängig und stand nicht im Schatten seiner erfolgreichen Eltern, die nichts als Gleichgültigkeit für ihren merkwürdigen Sohn übrig hatten, welcher sich sein Haar violett färbte, Frauenklamotten trug und sich schminkte. Krachend fiel die Tür hinter ihm ins Schloss und riss Kaoru aus seinen melancholischen Erinnerungen. Suchend wanderte sein Blick nach vorn, doch das beständige rote Blinken einer kleinen Leuchte kündete mal wieder von der Fahruntüchtigkeit des Aufzugs. //Na toll…// Resigniert wandte er sich dem monotonen Treppenhaus zu, welches sich wie eine zähnefletschende Schlange in die Höhe wand. Wie er Treppensteigen hasste… vor allem wenn er einen jungen Mann seiner Gewichtsklasse, der nach dem elften Bier das Laufen verlernt zu haben schien, die unzähligen Stufen zu seiner Wohnung mühsam mit hinaufschleifen musste. Nach schier endloser Quälerei hatte er endlich die fünfte Etage erklommen und öffnete die Tür zu seinem Reich. Zielsicher tastete er nach dem Lichtschalter, woraufhin eine flackernde, einsame Glühbirne an seiner Decke zum Leben erwachte und den Kampf gegen die Dunkelheit antrat. Die plötzliche Helligkeit entlockte dem Rothaarigen ein leises Stöhnen. Behutsam führte Kaoru seinen besten Freund in sein kleines Schlafzimmer und drückte ihn auf sein großes Bett. Er beschränkte sich darauf ein funzeliges Schwarzlicht anzuschalten, um Dies lichtempfindliche Augen zu schonen. Besorgt ging er neben seinem besten Freund in die Hocke und sah ihm ins Gesicht. „Die?“ fragte er mit leiser sanfter Stimme und strich dem Rothaarigen eine Strähne aus den Augen. „Alles in Ordnung? Du bist so still.“ Langsam, beinahe wie in Trance, hob der Rotschopf sein Haupt und sah Kaoru in die Augen. „Nichts ist in Ordnung“, flüsterte er schwach und schloss die Augen. Wenige Sekunden später begann er zu würgen. In Kaorus Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken. Gerade noch rechtzeitig beförderte er seinen Freund ins Bad, wo dieser sich geräuschvoll in die Kloschüssel übergab. Immer und immer wieder. Schützend legte Kaoru seine Arme um den schmalen zitternden Körper, während seine Finger zärtlich durch das wüste Haar strichen und er Die leise beruhigende Worte ins Ohr murmelte. Es tat ihm in der Seele weh seinen besten Freund so zu sehen, so hilflos und klein. Ein letztes Mal würgte Die das letzte bisschen bittere Galle ans Tageslicht ehe er kraftlos in Kaorus Arme zurücksank. Ein leises Wimmern entrann seiner geschändeten Kehle. „Was machst du nur für Sachen, Dai“, wisperte der Ältere besorgt, als er die Spülung betätigte und anschließend den noch immer wie Espenlaub zitternden Rothaarigen enger in seine Umarmung schloss. Zärtlich hauchte er dem Erschöpften einen Kuss auf die Wange. „Du dummer Idiot.“ Das war der Moment, in dem alle Dämme brachen. Schlaff sackte der Achtzehnjährige in Kaorus Armen zusammen, während heiße Tränen ihren Weg über seine Wangen gruben und in Verzweiflung und Schmerz brennend und doch ungehört im Stoff seines Shirts verendeten. „Die“, hauchte der Ältere geschockt und presste sich dichter an seinen besten Freund. „Es tut so weh“, winselte der Jüngere mit schmerzerfüllter Stimme, doch Kaoru wusste, dass es nicht um physischen Schmerz ging. „Ich weiß“, sprach er leise auf ihn ein. „Shhh, ich weiß wie du dich fühlst.“ Zärtlich strich er durch das feuerrote Haar. „Aber Kyo ist es nicht wert, dass du dich seinetwegen betrinkst und dir die Seele aus dem Leib kotzt.“ Wieder landeten seine geschminkten Lippen auf Dies warmer Wange. „Du bist so viel mehr wert, Die. So viel mehr.“ Ein Schluchzer kämpfte sich ins Freie und schüttelte Dies schmalen Körper in unterdrückter Pein. „Bin ich nicht“, entgegnete er mit erstickter Stimme und ein zweiter Schluchzer folgte. „Ich bin ein Nichts… ein Nichts.“ Jetzt rannen die Tränen in Strömen. Kaoru fühlte sich so hilflos. „Die… wer hat dir denn so einen Unsinn eingeredet. Du bist kein Nichts. Du bist so ein toller Mensch, lustig und lebensfroh. Du hast so viele Freunde und kommst mit jedem gut aus, weil du-“ „Nur nicht mit Kyo“, unterbrach ihn der Rothaarige frustriert. Kaoru seufzte. „Er verachtet mich, weil ich genauso bin wie Er… ich bin wie Er…“ und seine Stimme erstarb unter der Tränengewalt und den brutalen Schluchzern, die seine Kehle zu zerreißen drohten. „Wie wer?“ fragte Kaoru verwirrt, doch von Die erhielt er in dieser Nacht keine Antwort mehr. Noch lange folgten Kaorus wache Augen den glitzernden Tränen, lauschten ihren unterdrückten Schreien und ihrem stillen Tod. Immer und immer wieder strichen die zärtlichen Finger des Älteren durch das rote Haar und küssten die Lippen des Selbigen die glühende Haut. Er war wie paralysiert von der Ausstrahlung des verletzten Freundes, der selbst in Schmerz und Qual seine Schönheit nicht verlor und unablässig wiederholten sich traurige Gedanken in Kaorus Kopf. //Oh Die… es könnte so einfach sein…wieso nur…wieso nur liebst du nicht einfach mich?// *** Dunkelheit beherrschte das große Büro. Nur das Licht des zunehmenden Mondes und das Funkeln der einzelnen Sterne warf fahles Licht durch das Fenster und ließ die Schatten wachsen. Wie lauernde Raubtiere durchwanderten sie den Raum. Wieder schob sich eine Wolke vor die einzige Lichtquelle jener bedrückenden Nacht. „Du Idiot!“ drang eine düstere tiefe Stimme grollend durch die Stille. „Hat dich jemand gesehen?“ Eine von Finsternis verschluckte Gestalt schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht“, erwiderte sie fest und trotzig. „Du denkst?!“ „Ich weiß es!“ „Das will ich für dich hoffen.“ Schritte ertönten. Die Gestalt hinter dem riesigen eichenen Schreibtisch hatte sich erhoben und trat der wesentlich kleineren gegenüber. „Das Black Moon ist Yazawas Territorium. Du hättest heute Nacht einen Bandenkrieg herauf beschwören können“, tobte die tiefe Stimme anklagend. Die zweite Stimme schwieg. „Wie viel hast du eingenommen?“ „Circa 45,000.“ „Nur so wenig? Das Zeug ist teuer.“ „Es gab nur wenig Kundschaft.“ Kurzes Schweigen. „Okay, her damit.“ Der Kleinere griff seufzend in seine Hosentasche und beförderte einige Scheine ans Licht. Grob drückte er sie seinem Gegenüber in die Hand. „Ich geh pennen“, verkündete er gleich darauf mies gelaunt und drehte sich um. „Tooru“, rief ihn die tiefe Stimme zurück. „Was denn noch?“ fragte der Angesprochene genervt, jedoch ohne zurück zu sehen. „Wenn du das nächste Mal Fehler machst kommst du nicht so leicht davon. Dann bist du dran!“ Langsam gab die dunkle Wolke den Mond wieder frei und fahles Licht traf auf gelbes Haar. Schmale Schultern zuckten gleichgültig. „Wenn du das sagst“, und eine Tür fiel krachend ins Schloss. ~ooOoo~ Anm.: Der Gedichttext von Kyo stammt aus dem song "Gyakujou tannou keloid milk" vom Album Kisou Kapitel 3: 届かない僕の愛情 ------------------- Chapter 3 届かない僕の愛情 (meine unerhörte Liebe) *Kaoru Niikura* Deine Seele ist so rein, so unglaublich weiß. Wie gerne würde ich sündigen, sie beflecken, dich an mich reißen. Aber ich schweige, wie ich es immer tue, und ziehe mich weinend in die Dunkelheit zurück. *** Schon bevor der erste Sonnenstrahl den Horizont erklommen hatte lag ein violetthaariger Gitarrist wach in seinem Bett, unfähig noch ein wenig Schlaf zu finden. Unablässig starrte er auf die schmale schlafende Gestalt neben sich. Wie gerne würde er sich jetzt an diesen warmen Körper kuscheln. Er wollte die Nähe des Rotschopfes spüren, welcher in SEINEM Bett lag und doch nicht weiter von ihm entfernt hätte sein können. Er durfte ihn nicht berühren, durfte ihn nicht lieben, denn es würde Die das Herz brechen, würde er von den Gefühlen seines besten Freundes erfahren. Kaoru kannte Die gut genug, um zu wissen, dass der Rotschopf nur ihm zuliebe eine Beziehung mit ihm eingehen würde, wenn der Ältere ihm seine Liebe gestand. Um die Gefühle seines besten Freundes nicht zu verletzen würde er sich aufopfern und seine eigenen Bedürfnisse und seine Sehnsucht nach Kyo in den Hintergrund stellen. Gerade diese rücksichtsvolle Seite, die außer dem Leader wohl kaum einer an Die kannte, liebte Kaoru so sehr und doch machte es Die auch so unglaublich verletzlich. Der Ältere wusste, dass er einfach nur egoistisch sein musste. Er musste es ihm nur sagen, drei kleine Worte mit denen er Die zwingen konnte sein eigenes Verlangen zurück zu stellen und sich nur ihm zu widmen. Doch Kaoru würde seinen besten Freund niemals so ausnutzen. Niemals würde er ihm wehtun und wie Kyo auf seinen Gefühlen herum trampeln - auch wenn er zugeben musste, dass der kleine Sänger nichts dafür konnte, da er von Dies Gefühlen schließlich keinen Schimmer hatte. Lieber verdrängte er seine eigenen Emotionen sowie die nagende Eifersucht und verschloss sie in den dunkelsten Ecken seiner Seele. Auch wenn er wusste, dass Kyo Dies Liebe einfach nicht verdient hatte, würde er sich dieser Liebe dennoch nicht in den Weg stellen. Er würde einfach weiter beobachten und im Stillen leiden. Und er würde da sein, wann immer Die fallen sollte und dann würde er ihn wieder auffangen, wie auch in der vergangenen Nacht. *** Ein herzerweichendes Stöhnen ertönte und zwei braune Augen öffneten sich träge ehe sie sich ruckartig wieder schlossen und ein weiteres Stöhnen zu hören war. „Da hat wohl wer einen ganz schlimmen Kater“, bemerkte eine bekannte Stimme amüsiert und ein kühler Finger strich sanft über seine linke Wange. „Kaooo“, murrte der Rotschopf weinerlich. „So hell, mach’s weg!“ Ein warmes Lachen erklang, als der Angesprochene sich vom Bett erhob und sich an den billigen Rollos zu schaffen machte. „Besser?“ „Nein“, jammerte Big Red und unternahm einen zweiten mutigen Versuch die Augen zu öffnen. „Hier“, Kaoru hatte sich wieder neben ihm auf dem Bett niedergelassen und half seinem Freund soeben in eine aufrechte Position. „Trink das, dann geht es dir besser.“ Er reichte ihm ein Glas mit Wasser, welches eine aufgelöste Kopfschmerztablette enthielt. Dankbar griff der Rotschopf nach dem Gefäß und schüttete den Inhalt seine gereizte Kehle hinab, woraufhin er erst einmal von einem Hustenanfall gepackt wurde und die Hälfte des Wassers auf der dunklen Bettwäsche verteilte. „Langsam“, mahnte der Ältere fürsorglich. Die verdrehte nur genervt die Augen und murmelte etwas, dass sich wie „Ja Mami“ anhörte, bevor er einen weiteren Schluck nahm. Nachdem das Glas geleert war ließ er seinen Kopf auf Kaorus Schulter sinken und schloss erneut die Augen. Der Schmerz in seinen pochenden Schläfen brachte ihn noch um den Verstand. Wie viel um Himmels Willen hatte er gestern getrunken? „Kao?“ „Mmh?“ „Hab... hab ich gestern was dummes angestellt?“ Verwirrt drehte der Violetthaarige seinen Kopf. //Erinnerst du dich nicht an gestern Nacht?// „Was dummes?“ fragte er vorsichtig nach. „Naja… hab ich irgendwas Blödes gesagt? Oder…“ Eine zaghafte Pause. „...getan?“ //Ich wette dir spuken gerade die Worte „mit Kyo“ im Kopf herum. Aber ich muss dich enttäuschen… oder beruhigen?// „Nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Abgesehen davon, dass du dich beinah ins Koma gesoffen hast und anschließend deinen gesamten Magen in mein Klo entleert hast war der Abend recht ereignislos.“ Die gab ihm einen kraftlosen Klaps, schien aber dennoch sichtlich erleichtert. Einen kurzen Moment schwiegen beide, doch dann ergriff der Rotschopf verlegen wieder das Wort. „Oi, Kao… sorry, dass ich dir so viele Probleme gemacht hab.“ „Idiot!“ Diesmal gab Kaoru ihm einen leichten Schlag. „Du brauchst dich nicht entschuldigen. Du bist mein bester Freund… und beste Freunde helfen einander nun mal!“ Ein trauriges Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er mit leiser Stimme fort fuhr. „Du kannst mit mir reden, das weißt du hoffentlich. Also wenn du das nächste Mal Kummer hast, dann red mit mir anstatt dich unter den Tisch zu saufen. Kapiert?!“ „Mh..“ Der Rotschopf nickte ergeben. „Braver Junge“, lobte ihn der Ältere scherzhaft, wurde aber sofort wieder ernst. „Und? Möchtest du mir jetzt vielleicht sagen, was der Unsinn gestern sollte? Alkohol löst auch keine Probleme. Und Liebeskummer geht davon auch nicht weg!“ Dies Augen weiteten sich erschrocken. „W-woher?“ Irritiert hob er seinen Kopf von Kaos Schulter und sah ihn skeptisch an. „Woher willst du wissen, dass ich Liebeskummer hab?“ „Die, hör auf dich rauszureden. Es ist offensichtlich.“ „Achja?“ Er verengte herausfordernd die dunklen Augen. „Wenn das so offensichtlich ist kannst du mir bestimmt auch sagen, in wen ich angeblich-“ „Kyo“, antwortete der Ältere trocken ohne den Jüngeren seinen Satz beenden zu lassen. Jetzt sah der Rotschopf wirklich bestürzt aus. Nach einer knappen Sekunde des Entsetzens fragte er mit zittriger Stimme. „Weiß… also... weiß Kyo es auch?“ Er wusste nicht, ob er die Antwort wirklich hören wollte, doch als Kaoru den Kopf schüttelte, glaubte er einen schweren Stein von seinem Herzen fallen zu hören und er atmete spürbar erleichtert auf. „Gut… er würde mich nur noch mehr hassen, wenn er davon erfährt!“ Kaoru stockte verwundert. „Aber Kyo hasst dich doch nicht.“ Erkenntnis schien sich langsam in ihm breit zu machen. //Denkst du wirklich, dass Kyo dich hasst? Hast du dich deshalb betrunken? Weil du den Gedanken nicht ertragen konntest, dass er nichts für dich empfindet? Wolltest du dieses unerträgliche Gefühl in Alkohol ertränken, in der Hoffnung, dass aller Schmerz taub würde?// Die antwortete nicht und so fuhr Kaoru einfach fort. „Kyo ist ein kleiner Möchtegern-Bösewicht. Ich glaub er kann einfach nicht mit Gefühlen umgehen, am wenigsten mit seinen eigenen. Er ist vielleicht zuweilen sehr rücksichtslos und grob, aber er hasst dich nicht, da bin ich mir sicher.“ Freundschaftlich legte der Ältere seinen Arm um den Rücken des noch immer an ihm lehnenden Die. „Und jetzt lach wieder, ja? Für mich.“ Stück für Stück schlich sich ein ehrliches Lächeln auf die vollen Lippen. „Danke Kao.“ *** Montag morgen, halb Zehn in Japan. Oder besser gesagt im Matheunterricht. Total frustriert hing ein rothaariger Achtzehnjähriger über seinem Steinzeittaschenrechner, dessen Batterie langsam das Zeitliche segnete, und versuchte verkrampft zu kapieren, was um Himmels Willen er rechnen musste oder genauer formuliert, WIE?! Stöhnend ließ er sich in seinem Sitz zurückfallen und verdrehte die Augen. Mathe war einfach nicht sein Fall. //Wer auch immer diese scheiße erfunden hat, gebt mir die Adresse seines Friedhofs und ich schände sein Grab!// Resigniert ließ er seinen Blick durch die Klasse schweifen. Viele schienen genauso mit sich und der Rechenaufgabe zu kämpfen wie Die selbst, andere hingegen hatten sich schon gelangweilt, doch mit sich selbst zufrieden, zurückgelehnt und warteten, dass man sie für ihre Intelligenz lobte. Zu dieser Kategorie gehörte erstaunlicherweise auch Kyo, auch wenn der letztere Teil mit dem Loben ihm eher am Arsch vorbei ging. //Wer hätte gedacht, dass Kyo so etwas wie Intelligenz besitzt// dachte Die gereizt. Der kleine blonde Sänger hatte ihn heute noch keines Blickes gewürdigt und als Die ihm Guten Morgen gesagt hatte, war er gänzlich ignoriert worden. Er hatte echt keine Ahnung, was jetzt schon wieder in Kyo vorging, aber ganz knusper war das nicht. Mit seinem Latein (bzw. Mathe) am Ende startete er einen weiteren Versuch der Kontaktaufnahme. „Oi Kyo“, flüsterte er quer nach vorn. „Sssssss!“ //Ist der so schwerhörig oder ignoriert der mich mit Absicht?// Entnervt hob Die seine Stimme etwas an. „Kyoooo! Hey Kyo! Hast du die Aufgabe schon gelöst? Kannst du mir die Antwort geben?“ Endlich kam etwas Regung in den Gelbhaarigen. Langsam drehte er seinen Kopf nach hinten. Sein Blick war ausdruckslos, doch seine Mittelfinger, der sich dazugesellte, sagte genug aus. Die verzog das Gesicht. //Was soll das denn jetzt wieder? Mann, warum is der so schlecht drauf? Hab ich ihm irgendwas getan? Samstag vielleicht? Im Club? Ich kann mich nicht erinnern… Kuso! Aber Kaoru hat doch gesagt, dass nichts passiert ist… Was wenn er gelogen hat… oder er hat es nicht mitgekriegt. Argh scheiße, so komm ich nicht weiter.// „Andou“, hörte er die Stimme seines Lehrers. „Da Sie ja Zeit zum Quatschen zu haben scheinen sind Sie wohl fertig und können uns sicherlich die Aufgabe an der Tafel erläutern!“ //Neeeeeeeeeeeiiiiiiiiiiiiiiinnn!!!!!// Frustriert ließ er seinen Kopf auf die Bank sinken. //Erschießt mich bitte jemand!// Doch den Gefallen tat ihm niemand… *** „Das war die totaaaale Blamage.“ Es war Mittagspause und sie standen in der Raucherecke, als Die Kaoru über die jüngsten Ereignisse in seinem „fürchterlichen, grauenhaften, mitleidlosen, ethnisch unkorrekten, moralisch nicht vertretbaren, menschenunwürdigen Matheunterricht in dem Schwächere und hirnmäßig Benachteiligte unterdrückt wurden“ (Zitat: Daisuke Andou) aufklärte. Der Ältere lächelte mild. //Du bist so niedlich, wenn du dich aufregst. Wie gerne würde ich dich jetzt einfach küssen, um dich vergessen zu lassen.// Die ließ seinen glimmenden Kippenstummel zu Boden segeln und trat ihn gewaltsam aus, als wollte er all seine Wut an der wehrlosen sterbenden Zigarette auslassen. „Und Kyo, der Arsch“, fuhr er bitter fort, „hat mich die ganze Stunde lang ignoriert. Und als Harada-sensei mich vor der Klasse zum Oberidioten gemacht hat hat er sich einfach desinteressiert auf die Bank gelegt und geschlafen!“ Ein leichtes Zittern hatte sich in seine Stimme gelegt. „So egal bin ich ihm.“ Kaorus Inneres zog sich schmerzhaft zusammen. //Kyo… was tust du ihm nur an? Wieso bist du Die gegenüber so reserviert? Uns gegenüber benimmst du dich doch auch nicht so. Was hast du nur gegen meinen kleinen kostbaren Schatz?// Liebevoll legte er seine Arme um Dies Taille und zog ihn in eine tröstende Umarmung. //Ich würde dir so gerne helfen, würde dir sagen, dass alles gut wird und Kyo deine Gefühle bestimmt irgendwann erwidern wird… doch das kann ich nicht. Und du würdest mir meine Worte auch gar nicht glauben. Eigentlich sollte ich ja erleichtert sein. Ich weiß nicht, ob ich es ertragen könnte, wenn ihr beide zusammen kämt. Wenn ich euch ständig dabei erwischen würde, wie ihr euch küsst und gegenseitig zärtliche Liebesbotschaften ins Ohr wispert. Aber dich so leiden zu sehen ertrage ich ebenso wenig. Es ist ein verdammter Teufelskreis aus dem keiner unbeschadet wieder herausfindet. Aber wann ist das Leben schon fair?// *** Genervt ließ der kleine Sänger das Mikro sinken und fuhr herum. „Schaffst du es heute noch einen richtigen Ton zu treffen?“ Die Frage war an Die gerichtet, der unter den anklagenden Worten wie unter einem Schlag zusammenzuckte. „Lass ihn in Ruhe“, zischte Kaoru verärgert. Er war heute echt nicht gut auf Kyo zu sprechen. „Was denn? Musst du dein Schoßhündchen jetzt auch noch verteidigen, weil er nicht mal mehr dazu allein in der Lage ist?“ giftete der Gelbschopf zurück. Zwischen seine feinen Augenbrauen hatte sich eine steile Falte gebildet. Kaorus Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. „Was willst du Kyo? Willst du dich prügeln?“ Die Herausforderung hing greifbar in der Luft und es brauchte nur ein kleiner Windhauch aufzukommen, und ein Orkan würde durch den kleinen Proberaum toben. Kaoru schien sich dessen nicht bewusst. „Du singst doch genauso scheiße, wie Die spielt. Also hör auf alle Leute voll zu motzen und reiß dich lieber zusammen“, schmiss er dem kleinen Sänger die achtlos gewählten Worte an den Kopf. „Ich sing also scheiße, ja?“ fragte der Jüngere aufgebracht. „Hey, ganz ruhig“, versuchte Toshiya zu schlichten. „Es bringt uns doch jetzt nichts, wenn wir uns gegenseitig an die Kehle springen. Die muss sich einfach mehr konzentrieren und Kyo muss sein Temperament zügeln. So einfach geht das.“ Er strahlte gewinnend und zuversichtlich wie eh und je übers ganze Gesicht. „Ich geb dir gleich einfach“, knurrte Kyo angepisst. Er konnte soviel Fröhlichkeit und Optimismus partout nicht ertragen. Die, der die ganze Zeit kein Wort gesagt hatte, biss sich nervös auf der Innenseite seiner Unterlippe herum. Er hatte den Kopf gesenkt und betrachtete sein Plektrum, peinlichst darum bemüht Kyo nicht anzuschauen. Er konnte diesen verächtlichen genervten Gesichtsausdruck nicht ertragen. Da war dieses kleine, bunte Stückchen Plastik ein wesentlich erfreulicherer Anblick. //Konzentrier dich. Das kann doch nicht so schwer sein, verdammt noch mal// schalt er sich in Gedanken. //Steh endlich deinen Mann und versteck dich nicht hinter Kaoru. Kein Wunder, dass Kyo dich verachtet, wenn du nicht einmal für dich selbst sprechen kannst.// Langsam hob er seinen Kopf. „Und ich singe nicht scheiße!“ zischte Kyo gerade in Kaorus Richtung. „Das soll so klingen!“ Kaoru hob skeptisch eine Augenbraue. „So? Soll es das? Wer sagt das?“ „Ich!“ „Und ich sage, es klingt scheiße! Als ob du kotzen würdest.“ „Das war meine Absicht!“ „Wieso um alles in der Welt sollte es wie kotzen klingen?“ „Das ist eben ein starkes Ausdrucksmittel!“ „Kotzen?“ „Ja verdammt! Außerdem passt es zum Text.“ „Stimmt, der Text ist zum Kotzen!“ Kyo grinste, nicht im Mindesten beleidigt. „Dann musst du erst mal die anderen lesen!“ Kaoru schüttelte seufzend den Kopf. „Du hast sie echt nicht mehr alle!“ „Wenigstens einer, der es merkt“, meinte Kyo zufrieden. Dem Leader entwischte ein amüsiertes Grinsen. Der Kleine war echt durchgedreht. Aber irgendwie machte ihn das auch sympathisch. „Keine Sorge“, beschwichtigte er den Jüngeren. „Das haben schon alle mitgekriegt!“ Toshiya konnte nicht mehr und prustete laut los, wenig später fiel auch Shinya in das Gelächter ein. Auch auf Dies Lippen hatte sich ein Lächeln geschlichen. Es war einfach zu amüsant, wie die beiden sich stritten. Und auf einmal war die Atmosphäre viel lockerer. Alle Anspannung war von ihnen abgefallen. Was ein Streit doch alles bewirken konnte. //Danke Kao… ich hab das Gefühl in letzter Zeit bedank ich mich nur noch bei dir.// Er warf seinem besten Freund einen warmen Blick zu, den dieser nicht mitbekam, da er selbst zu sehr damit beschäftigt war die Lachtränen zurück zu halten. Entschlossen hob er seine Stimme, um seine Worte über den Lärm hinweg tragen zu lassen. „Da wir das ja nun geklärt haben, können wir ja weiter machen oder wird das hier ein verdammtes Kaffeekränzchen?“ Alle Blicke richteten sich erstaunt auf den Rotschopf, der in all dem Tumult irgendwie in Vergessenheit geraten war. Er warf der Allgemeinheit ein schelmisches Die-Grinsen zu und ließ das Plektrum probeweise über die Saiten fahren. „Mir juckt es in den Fingern!“ Kyo verdrehte nur die tiefbraunen Augen und wandte sich wieder nach vorn. Kaoru hingegen schenkte ihm ein stolzes Lächeln. Schon bald darauf setzten die ersten Töne der Akustikgitarren wieder ein, dann der Bass und das Scheppern des Schlagzeuges. Kyo atmete noch einmal tief durch, ehe er zu Schreien begann und die Wände unter der Gewalt Dir en Greys erbebten. *** „Kyo hat dich heute aber ganz schön fertig gemacht“, stichelte Shinya, der froh war, dass endlich auch Die mal eins über die Rübe bekam. Er und der Rotschopf befanden sich gerade auf dem Nachhauseweg. Es war ein schöner milder Nachmittag und die Sonne blechte friedlich auf sie herab. Ein flüchtiger Schatten huschte bei Shinyas Worten über Dies Züge ehe sich wieder das allzu bekannte Grinsen auf seinen Lippen festsetzte. Spielerisch zerwühlte er Shinyas wertvolle Haarpracht. „Ach, der hat nur nen schlechten Tag.“ „Eeeey!“ beschwerte sich der hochgewachsene Chibi und versuchte seine Haarfrisur zu retten. „Du hast aber wirklich schon mal besser gespielt“, setzte er herausfordernd nach, erntete jedoch von Die nur einen gespielt gekränkten Blick, gefolgt von einem niedlichen Schmollmund. „Mann Shinya, das verletzt mich jetzt tief. Wie kannst du das nur sagen?“ Er grinste erneut und bohrte seinen spitzen Zeigefinger in die Seite des schlanken Drummers, was diesem ein überraschtes Quieken entlockte und erschrocken aufspringen ließ. „Hehe, Rache ist süß“, meinte der Rotschopf gehässig. „Außerdem hab ich nicht schlecht gespielt, weil ich es nicht kann, sondern weil ich Kopfschmerzen hab. Mein Kater vom Wochenende sitzt mir immer noch im Nacken.“ „Pff, selbst schuld,“ meinte Shinya herzlos. „Was säufst du auch so viel? Trinken ist genauso ungesund wie rauchen, das sag ich dir ja immer wieder. Aber hörst du auf mich? Nein!“ Die zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Kann ja nicht jeder so ein enthaltsamer Moralprediger sein wie du.“ „Hey, willst du damit andeuten ich wär langweilig?“ empörte sich Shin. „Vielleicht“, konterte Die grinsend. „Na und? Wenigstens bin ich kein abgewrackter Alkoholiker, dem es Spaß macht auf ständig auf Kleineren und Schwächeren rumzuhacken.“ Das saß. Aber wie. Wie angewurzelt blieb der Rotschopf stehen. //Abgewrackter… Alkoholiker… der auf… Schwächeren… rumhackt?// Reißende imaginäre Dornenranken schienen aus dem Boden zu wachsen, sich um seine Beine zu schlingen, seinen Körper hinauf zu wandern. Gierig griffen sie nach seinem Herzen, hinderten es für einen Sekundenbruchteil am Schlagen. //Bin ich das wirklich?// „Die?“ Shinya war verwirrt stehen geblieben und betrachtete seinen geschockten Bandkollegen. „Geht’s dir nicht gut? Du bist so blass.“ Doch er reagierte nicht. Das einzige, was sich regte war die einsame Träne, die geräuschlos ihren Weg in die Unendlichkeit antrat. „D-die?“ Shinya wirkte verunsichert. „Weinst du? Das... ich hab das nicht so gemeint… ich... “ Nach Worten suchend hielt er inne. Der Rotschopf hatte inzwischen seinen Kopf gesenkt, sodass ihm einige längere lose Strähnen in die Augen hingen. „Hey Die, ich… es...“ Ein Zucken der muskulösen Schultern ließ den Schlagzeuger inne halten. //Was… gott, hab ich ihn jetzt wirklich zum Weinen gebracht?!?// Doch dann lachte Die plötzlich leise los. „Wer weint denn hier?“, meinte er mit einem spöttischen Grinsen. „Nee Shin-chan, dafür bist du nicht gut genug. Deine Konterattacken sind voll lahm.“ Shinya sah ihn einen Moment vollkommen perplex an. „Aber.. die Träne...du…“ Dies Grinsen wurde, wenn überhaupt möglich, noch breiter. „Das war doch nur so ne blöde Fliege, die nichts besseres zu tun hatte, als ne Notlandung in meinem Auge zu machen.“, erklärte er lächelnd. „So ein Mistvieh!“ Shinyas volle Lippen verzogen sich verärgert. „Und ich hab mir Sorgen gemacht, du Vollidiot.“ „Ach Shin-chan, wie süüüüß von dir“, neckte ihn der Ältere und schlang seinen Arm über die Schulter des Drummers. „Aber du weißt doch, um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“ Er stupste ihm gegen die Nase. „Und außerdem: Ich weine nie!“ Noch immer über die frechen Lippen lachend zog er den Jüngeren mit sich. Doch seine Augen blitzten verräterisch. Dort war kein Lachen zu sehen. //Nein, ich weine nie… Selbst wenn ein jedes Lächeln mich innerlich zerreißt…// *** Ganz langsam führte er seinen Schlüssel Zahn um Zahn in die Öffnung und drehte ihn lautlos nach rechts. Leise und bedächtig begann er die Tür aufzuschieben, Zentimeter für Zentimeter, ehe er auf Zehenspitzen nach innen huschte und die Tür ebenso leise wieder schloss. Es war eine alltägliche Prozedur, die noch immer unglaublich an seinen Nerven zerrte. Sein Blut rauschte brausend durch seine Ohren, so laut, es übertönte selbst seine samtweichen Schritte. Behutsam stellte er seine Schuhe auf einen Abtreter und schlich Richtung seines Zimmers. Er hatte seine Tür schon fast erreicht, als: „DAISUKE!!!“ Unwillkürlich schreckte er auf und schrumpfte einige Zentimeter in sich zusammen. Er hatte es befürchtet. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen fuhr er langsam herum und blickte in das Zornesgerötete Gesicht seines Vaters. Er war ein mittelgroßer dürrer Mann mit dichtem, schwarzem Haar. Seine Gesichtszüge waren hart und streng, sodass nicht einmal die vielen weichen Falten es aufzulockern vermochten. Ein schmuddeliger Drei-Tage-Bart verriet dem Achtzehnjährigen, dass sein Vater wieder einmal nicht auf Arbeit gegangen war, sondern es vorgezogen hatte die Zweisamkeit mit der Schnapsflasche zu genießen. „Wo warst du gestern den ganzen Tag?“ fragte er mit schmetternder Stimme und ein bitterer Geruch von Alkohol kroch schleichend durch die Luft. Wabernd, wie Gift, vermischte es sich mit Abermillionen von Ionen. Der Rotschopf verzog angewidert das Gesicht. Dieser Gestank. Hatte er gestern auch solche Dünste verströmt, als der arme Kaoru ihn zu sich nach Hause geschleppt hatte, wo er anschließend das Klo des Violetthaarigen bereichert hatte? Widerwillen kam in ihm auf. Wieso hatte er überhaupt so viel getrunken? Aus Liebeskummer? Welch absurde Ausrede. Nur weil er zu dumm war und sich in einen kaltherzigen, abweisenden und noch dazu männlichen(!) Typen verliebte, hieß das noch lange nicht, dass er seine Innereien mit alkoholischen Sturzbächen fluten musste. Wieso war er nur so schwach? Wieso konnte er nicht einfach vergessen und sich ein süßes nettes Mädchen suchen. Er wusste, dass so einige bei ihm Schlange standen. Schließlich war er beliebt, sah nicht allzu schlecht aus, spielte in einer Band und hatte Ausstrahlung, die so manches Mädchen vor seinen Füßen zerschmelzen ließ. //Like ice in the sun shine… baby// Ein flüchtiges aufmunterndes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Ja, warum eigentlich nicht? Was war schon so toll an dem kleinen Sänger, dass er sich so nach ihm verzehrte? Was? Sein Aussehen? Es gab besseres. Sein Charakter? Den konnte man wegschmeißen. Sein Verhalten? Gott, es war zum fürchten. Wenn er nicht gerade böse durch die Gegend funkelte und Leute beleidigte, schlief (was er irgendwie dauernd tat) oder ihn ignorierte, dachte er über wirklich widerliche Dinge nach, die er ihnen dann als Texte vorsetzte. Manchmal war es Die regelrecht unheimlich, was unter den gelben Haaren so alles vor sich ging. Kyo war schräg, wirklich schräg, vielleicht sogar ein Psycho. Ein wenig gestört war er mit Sicherheit. Also was um alles in der Welt wollte er von solch einer Person? Wieso machte er sich selbst so fertig, ließ sich fertig machen? „Ich hab gefragt WO DU WARST!!“ Eine tobende Stimme riss ihn aus seinem kleinen geistigen Disput. Erschrocken aufgerissene Augen fixierten den zornigen Gegenüber. „Bei Kaoru“, kam die unterwürfige Antwort schließlich. Nervöse Finger spielten mit dem Ärmel seines großen T-Shirts. „Und wieso wusste ich davon nichts?“ verlangte der Ältere herrisch zu wissen. Zwei starke Arme verschränkten sich vor der Brust. //Als ob es dich interessieren würde, wo ich bin. Du kriegst doch gar nicht mit, ob ich zu Hause bin oder nicht.// Trotzig hob der Rotschopf den Kopf, während die dunklen Augen wie Dolche blitzten. „Weil ich gedacht habe, dass es dir am Arsch vorbei geht.“ BATSCH. Schon saß der erste Schlag im Gesicht. „Nicht in so einem Ton, Freundchen“, drohte der Hausherr und ein wütendes Funkeln trat in die vom Schnaps benebelten Augen. „Ja, Sir“, presste der Gitarrist die anerzogene Respektsfloskel zwischen den Zähnen hervor. Seine Wange brannte schmerzhaft, doch noch viel lodernder brannte sein Hass. Zufrieden ließ sein „Vater“ die Hand wieder sinken. „So, du warst also wieder bei dieser Schwuchtel. Den ganzen Tag? Habt ihr’s getrieben oder was?“ //GE-TRIE-BEN?!?// Die musste sich stark beherrschen seinem Erzeuger nicht an die Kehle zu springen. Flammende Wut kochte durch seine Adern, brachte sein Blut zum Wallen, seinen Körper zum Brennen. Er holte einmal ganz tief Luft, um seine Emotionen zu kontrollieren und entgegnete mit bedrohlich ruhiger Stimme: „Kaoru. Ist. Keine. Schwuchtel! Und NEIN!!! Wir haben es nicht getrieben!“ Bebend vor Zorn ballte er seine Hände zu Fäusten. Wie oft hatte er sich schon die Vorurteile seines Vaters anhören müssen, hatte dulden müssen, wie er über Homosexuelle oder Ausländer herzog. //Wenn du wüsstest, dass dein ach so unterbelichteter Sohn selbst nicht ganz hetero ist, dass er einen Mann liebt… du würdest mich lebenslang in mein Zimmer sperren.// Liebe? Wo kam dieser Gedanke schon wieder her? Hatte er nicht eben mit sich selbst geklärt, dass Kyo ihm eigentlich gar nichts zu bedeuten brauchte, weil er ein Psycho war. Ein Psycho… war er das nicht selbst auch? Er hasste seinen Vater mit einer Leidenschaft, die schon wieder pervers war, und doch beging er die gleichen Fehler. Auch Die hatte sich vom Alkohol leiten lassen, hatte sich zum Sklaven der Prozente machen lassen und alles den Hals hinunter gestürzt, was ordentlich die Sinne benebelte. Er hatte alles betäuben wollen, allen Schmerz. Aber das war kein Ausweg, denn der Schmerz würde wieder kommen, mit noch viel größerer Wucht und alle Qual begann von vorn. Mit Bier im Blut war er nur eine Last. Er hatte Kaoru den Abend verdorben und seine Bude mit widerlichen Magensäften getränkt. Er war keinen Deut besser als sein Vater. Oder als Kyo. Er war genauso rücksichtslos, dachte nicht nach, was er mit seinem Verhalten anrichtete. Shinya hatte recht gehabt. Er war ein abgewrackter Alkoholiker. Und dieser Gedanke tat so verdammt weh. Im Grunde war er schlimmer als Kyo, denn er konnte den kleinen Gelbschopf unmöglich mit seinem Vater auf eine Stufe stellen. Er selbst verdiente diesen Stellenwert, doch Kyo, er war so viel wertvoller, so viel kostbarer, er verdiente es höher gehalten zu werden. … Da waren sie wieder. Diese verfluchten Gedanken. Diese verklärte Sicht, sobald Kyo die Bildfläche betrat. Was er auch versuchte, er schaffte es nicht sich selbst zu belügen. Kyo hatte es irgendwie fertig gebracht einen geheiligten Platz in seinem unreinen Herzen einzunehmen. Die liebte ihn wirklich, dass wurde ihm nun schmerzhaft klar. Auch wenn er nicht wusste, wie das geschehen konnte. Wie er das überstehen sollte. All diese Feindseligkeit, die Ignoranz. Er musste stark sein. Auch wenn ihm klar war, dass er seine Gefühle nicht abstellen konnte, die ihn tagtäglich quälten und ihm seine eigene Machtlosigkeit vor Augen führten, wenn der kleine zierliche Sänger so nah war und doch in immer weitere Ferne rückte. Auch wenn er ihn nicht vergessen konnte, weil sie einander jeden Tag begegneten und Dies Herz aufs Neue vor Sehnsucht starb. Alles was ihm blieb, war diese Situation, diese Ohnmacht, welche er empfand, mit Würde zu ertragen. Und das würde er auch, denn ein tröstlicher Gedanke hielt ihn aufrecht: Kaoru würde ihm helfen. Schließlich war der Ältere immer für ihn da gewesen. Er war sein bester Freund, der beste, den man sich wünschen konnte. Und er hatte bisher immer eine Lösung gewusst. So würde es auch diesmal sein, denn auf den Leader war Verlass. Erleichtert hob er den Blick an und die Anwesenheit seines Vaters wurde ihm wieder bewusst. Dieser sah ihn mit einem überheblichen Grinsen auf den Lippen an. „Ich will, dass du diese- diese Tunte nicht wieder siehst. Du wirst dich von ihm fern halten!“ Erstaunt riss der Rothaarige seine Augen auf Tellergröße. Aber- das konnte unmöglich sein Ernst sein. Kaoru nie wieder sehen. Er kannte den Älteren jetzt seit ungefähr fünf Jahren. Fünf Jahre, die sie zu Brüdern zusammen geschweißt hatten. Er würde sich niemals, NIEMALS, den Kontakt zu ihm verbieten lassen. „EINEN DRECK WERD ICH TUN!“ Nun war es mit der Selbstbeherrschung endgültig aus. Doch seinem Vater ging es da ähnlich. „MEIN Sohn wird nicht zu einer Tunte. MEIN Sohn fickt keine Ärsche. Und MEIN Sohn tut verdammt noch mal was ICH ihm sage!!!“ „Du kannst mich mal!“ fauchte Die atemlos. Er konnte den Hass und den Zorn, den er empfand, nicht beschreiben, nicht in Worte kleiden. Diese Gefühle waren so gewaltig, er fühlte sich, als müsse er platzen, als würden all seine Emotionen von innen schmerzhaft gegen seine menschliche Hülle drücken, an seiner Haut reißen. Und er wusste nicht wie lange er diese Gewalten noch zurück halten konnte. Fluchtartig überbrückte er die letzte Distanz zu seinem Zimmer und schlug seinem Vater die Tür vor der Nase zu. Das Geräusch eines drehenden Schlüssels war zu hören. Dann Stille. Mit geschlossenen Augen und unregelmäßiger Atmung lehnte der Rothaarige sich an das kühle Holz, welches ihn und seinen Erzeuger trennte. Sein Herz schlug so schnell, so brutal, seine Rippen erzitterten unter den Fausthieben. „Mach nur so weiter, Daisuke“, drang die Stimme des Älteren durch die Wand. „Du wirst schon sehen, wohin es dich bringt.“ Weiße Zähne bissen auf rote Lippen. „Keiner will einen elendigen Schlappschwanz, einen Arschficker. Nur die Stärkeren überleben in dieser Gesellschaft, hörst du! Und was bist du? Du bist ein Nichts, Daisuke, ein Nichts.“ Immer tiefer gruben sich die spitzen Werkzeuge in das schwache Fleisch. Langsam ließ sich der Gitarrist von Dir en grey zu Boden sinken, zog die Knie an seinen Körper und schlang die Arme darum. Er wollte klein sein, noch viel kleiner, als er sich fühlte. Wie gerne würde er jetzt einfach verschwinden, sich auflösen in Luft und nie mehr sein. Irgendwie waren alle Gefühle erloschen, als die Tür geräuschvoll ins Schloss gefallen war. All die Wut und der Hass waren einfach so verpufft. „Es ist eine Schande dich als meinen Sohn bezeichnen zu müssen“, drang die Stimme ein letztes Mal zu ihm hinüber. Zitternd biss sich der Achtzehnjährige auf die Unterlippe bis Blut floss. //Ich bin nicht dein Sohn!// *** Wenn es etwas gab, dass Kyo wirklich rasend machte, dann waren es störende, nagende Gedankenfluten, die wie Insekten durch seinen Kopf krabbelten, alles anknabberten, summende, brummende Geräusche verursachten und seine Kopfschmerzen in überirdische Dimensionen trieben. Er wollte schlafen, schlafen verdammt noch mal. Unruhig warf er sich auf die andere Seite. Dunkelheit hüllte ihn in ein nächtliches Kleid. Schlafen war etwas, was er für sein Leben gut konnte, es war wie ein Talent, eine Gabe, von Mutter Natur großzügig an ihn verteilt, doch immer wenn es dunkel wurde, wenn die Schatten ihre Krallen nach ihm ausstreckten und die Schreie des Tages der Stille wichen schien ihn all sein Können im Stich zu lassen. Alles was ihm blieb war an die Decke zu starren und all jene flüsternden und wispernden Gedanken über ihn hereinbrechen zu lassen. Ängste vermischten sich mit Erinnerungen, Wünschen, Gesprächsfetzen, Gesichtsausdrücken. Er fühlte sich überrannt, fühlte sich überfordert. Wie gerne würde er schreien, würde mit seinen Fäusten gegen seine Schädelwand schlagen, um all die Stimmen und Bilder endlich zur Ruhe zu bringen, sie zum Schweigen zu zwingen. Aber er regte sich nicht. Seine Hände blieben steif in die Decke gekrampft, die Augen hielten starr Kontakt mit der bedrückend grauen Wand, die ihm auf den Kopf zu fallen drohte, seine Lippen waren geschlossen, blutleer und taub. Er hörte das Kratzen von kleinen Füßen, sechs an der Zahl. Er spürte die Berührungen auf seiner nackten Haut, so viele kleine Füße, sie erklommen die fleischliche Maschine, seinen Körper, kletterten, kletterten, durch sein Haar, über seine Stirn, hangelten sich hinab. Blanke blitzende Hauer im Mondschein, kratzend, klackend, langsam, Bein für Bein, die gerade Brücke seiner Nase entlang. Stop, eine Kehrtwendung, seitlicher Absturz, unbeholfen, kullernd, die spitzen Füßchen tief in die seidige, helle, weiche Schicht gegraben, so unschuldig und rein, doch unter der Oberfläche brodelt Blut, zucken Stränge von Nerven, Muskeln spielen ein abstraktes Spiel. Mutig marschierten die sechs kleinen Gliedmaßen voran, an zarten schwarzen Härchen reißend, auf springt der Deckel, offenbart die leere Seele, stumpf ist der Spiegel, der kein Bild mehr zeigen wird. Ein letztes Zucken, ein tiefer schwerer Atemzug, furchtlos den Unzähligen entgegen, tauchte es ein in die braune leere Flut. „Neeeeiiin!“ Ein Schrei durchbrach die Dunkelheit, riss an ihren dichten Vorhängen. Geschockt sprang der blonde Sänger in seinem Bett auf. Fahrige Hände rieben über kalte Haut, suchten nach Spuren, suchten nach kleinen krabbelnden Unwesen, die nie da gewesen waren. Schmale weiße Finger tasteten zitternd über sein rechtes Auge. Es fühlte sich fremd an, so widerlich fremd. Schmerzhaft bohrten sich spitze Fingernägel in die frische milchig weiße Haut seiner Wange, wollten zerstören. Doch der Schmerz war rein, er half den Ekel zu ertragen, den er im Moment empfand. Ekel vor sich selbst und seinen lebendig gewordenen Gedanken. Lautlos fiel die Bettdecke zu Boden. Kleine nackte Füße kollidierten mit dem eiskalten Grund. Unsichere Schritte klangen durch die Einsamkeit, wankend, noch ein Schritt, eine Sicherheit suchende Hand streckte sich nach der schützenden Wand, Finger strichen über Raufasertapete, so uneben und fehlerhaft. Ein schmaler kleiner Rücken lehnte sich schwer gegen den Stein, rutschte hinab, immer tiefer, hinab in den Abgrund, bis der tiefste Punkt erreicht war. Bebende Arme schlangen sich um weiche Knie. Ein rundes Kinn gesellte sich dazu. Einsam in der Ecke des ungastlichen Zimmers saß er, rührte sich nicht und ertrug das fortwährende Summen der Insekten und das Krabbeln der Käfer, als der Wahnsinn einmal mehr über ihm zusammen schwappte. ~ooOoo~ END Chapter 3 Kapitel 4: 迷子 ------------- Chapter 4 迷子 (Verirrtes Kind) *Kyo* Gefangen in mir, verirrt für immer Ist es gefallen Am Boden so tief Nicht fähig zu leben ohne zu leiden verspeiste es sich, das eigene Ich Ist mehr nicht Nein nicht mehr Nur ein verlor'nes Kind im Geist der Realität. *** Dreck Die gelben, gefräßigen Insekten Sind meine frustrierten Sympathisanten Verrottete Äpfel in meinen Magensäften Willst du die Suppe sexuellen Verlangens nicht probieren? Die tropfende, triefende pinke Made Getränkt in die Flüssigkeit von sadistischem Verlangen Verrottete Erdbeeren darin Eine saure Marinade zubereitet mit Blut Dreckige Höhen Lass uns einen Film schauen, Hände haltend wie ich es dir versprochen habe Abschied nehmend an diesem Abend ehe die Äpfel und Erdbeeren verrotten Der Traum dehnt sich aus, während wir uns küssen, wie ich es dir versprochen habe Abschied nehmend von dir Lass uns das letzte Mahl genießen Dreckige Höhen Das Fest der fleischlichen Gelüste wird beginnen Das Fest der sexuellen Gelüste wird beginnen Das außer Kontrolle geratene sadistische Fest Der rapide Menschenfleisch Psycho Horror Orangensaft mit Leber Süßer Curry vermischt mit Niere Pescatore zubereitet mit Bauchspeicheldrüse Der heiß geliebte, geliebte Psycho Horror (1) Langsam hob Kaoru den Blick, betrachtete den gelbhaarigen Bandkollegen ihm gegenüber zweifelnd. So viele irritierende Fragen flogen durch seinen Kopf, prallten an seiner Schädeldecke ab und fielen zurück auf den unwissenden Grund. „Ähm…“ Er brach ab, zu verwirrt, um den fragenden Augen eine Antwort zu schenken. Erneut setzte er an. „Das ist…“ Er suchte nach Worten, die es beschreiben konnten. „… widerlich.“ Kyo nickte eifrig, ein seltsames Leuchten in den Augen. „So war es auch gedacht“, erklärte er. „Ich versteh kein Wort“, gestand der Leader ehrlich. „Dacht ich mir“, kam es knapp zurück. „Musst du auch nicht!“ Der kleine Sänger grinste verhalten, den Kopf leicht schief gelegt. „Also was ist? Nehmen wir den Text?“ Kaoru nickte zögernd. „… Warum nicht.“ „Prima“, Kyo wirkte zufrieden. Grob entzog er dem Älteren das Stück Papier, welches mit seiner schön geschwungenen und doch irgendwie abstrakt wirkenden Handschrift verziert war. //Zittrig// schoss es Kaoru durch den Kopf, als er an die verwackelten Buchstaben zurückdachte. //Hat er gezittert, als er das geschrieben hat?// Besorgte Augen musterten den kleinen Körper vor sich. „Oi Kyo?“ Ein schelmisches Grinsen schlich sich auf die anmutigen Lippen. „Bist du irgendwie sexuell frustriert?“ Feingeschwungene dunkle Augenbrauen zogen sich irritiert zusammen. „Huh?“ „Naja“, der Leader musste sich ein Lachen verkneifen, als er Kyos verwirrten Blick sah. „Der Text.“ Er deutete auf das weiße Blatt in Kyos kleinen Händen. „Du schreibst dauernd über sexuelles Verlangen und so. Klingt, als hättest du es mal wieder nötig!“ Die braunen Augen des Älteren blitzten belustigt. Es war ihm anzusehen, dass er die ernste Miene nur mit großer Anstrengung aufrecht erhielt. Kyos Augen hingegen verfinsterten sich. „Ich komm schon auf meine Kosten, danke der Nachfrage“, knurrte er gereizt. „Keine Ursache“, gab der Andere amüsiert zurück und zog den Rückzug an, ehe der Kleine sich noch zähnefletschend auf ihn stürzte. Das der aber auch gar keinen Spaß verstand. *** Seufzend ließ Die sich auf einen unbequemen Stuhl fallen. Die Probe war heute ohne Zwischenfälle verlaufen. Keine Patzer. Der Gitarrist war stolz auf sich, er hatte seine alte Form wieder gewonnen. Aufmerksam beobachtete er das Gespräch zwischen Kaoru und Kyo. Es schien mal wieder um Lyrics zu gehen. Der Rotschopf verzog das Gesicht. Beim Anblick von Kaos Miene konnte das ja nur wieder das Schlimmste bedeuten. Er grinste leicht und ließ seinen Blick weiter durch den Raum schweifen. Toshiya und Shinya saßen schwatzend in einer anderen Ecke und durchblätterten eine Musikzeitschrift. Ab und an hob Toshiya seinen Kopf und sah zu Leadgitarrist und Sänger hinüber. Seine kleine glatte Stirn legte sich nachdenklich in Falten, ehe er kaum merklich den Kopf schüttelte und wieder in das Gespräch über eine unglaublich tolle, aber unbezahlbare Bassgitarre verfiel. Gelangweilt griff Die nach seinen Zigaretten auf dem Tisch, als seine Finger gegen etwas anderes stießen. Überrascht sah er auf. Ein Buch. Kyos Gedichtbuch. Ein Lachen ertönte. Sein Blick richtete sich nach vorn. Kaoru stand grinsend im Raum und blickte zur Tür, durch die Kyo eben schlecht gelaunt verschwunden war. Wieder fielen Dies braune Augen auf das zierliche Büchlein, eingebunden ist schwarzes Leder. Der kleine Sänger hatte es vergessen. Dabei ließ er es nie irgendwo liegen. Er liebte dieses Buch, hütete es wie einen Schatz, und jetzt, jetzt ließ er es einfach so zurück? Hastige Finger griffen danach, Muskeln hievten den schmalen Körper in die Senkrechte, trieben die Beine zum Laufen an. „Kyo!“ rief er dem dahinschwindenden Gelbschopf hinterher, doch seine Stimme blieb ungehört. Der Rotschopf ächzte genervt. Wie er sportliche Betätigung hasste. Resigniert verfiel er in einen lockeren Laufschritt, um mit dem Kleinen aufzuschließen, der für seine kurzen Beine erstaunlich schnell lief. Doch schon hatte er ihn aus den Augen verloren. //Na toll… wieso renn ich ihm eigentlich hinterher? Ist doch nicht mein Problem, wenn er das Teil vergisst!// Langsam trugen ihn seine langen Beine voran. Sein Blick wanderte suchend umher. Hatte Toshiya nicht mal erwähnt, dass er Kyo manchmal auf seinem Schulweg traf? Die war noch nicht allzu oft bei dem Blauhaarigen zu Hause gewesen, dennoch konnte er sich noch an den Weg erinnern. Zielstrebig bog er um die nächste Ecke und hielt überrascht inne. Da stand er ja. In Begleitung einer wirklich zwielichtigen Gestalt. Der Fremde trug zerrissene schwarze Klamotten, die hier und da von einigen Sicherheitsnadeln zusammen gehalten wurden. Ein Band spannte sich zwischen beiden Hosenbeinen, als hätte er Fußfesseln. Die Arme waren von oben bis unten tätowiert, die Ohren unzählige Male durchlöchert und mit jeder Menge Silberschmuck behangen. Auffällig war auch die silberne Kette, die sich von seinem Ohr bis zu seiner Lippe zog, wo sie an einem Piercing befestigt war. Doch am meisten heraus stachen wohl die grünen Haare, die an den Seiten kahl rasiert und in der Mitte zu einem Iro hochgestylt waren. //Daher holt sich Kyo also seine Modetipps// dachte Die belustigt, doch in seinem Hinterkopf ratterten die Zahnräder bereits auf Hochtouren und die Fragezeichen drehten sich nur so im Kreis. Was hatte Kyo mit solchen Straßenpunks am Hut? Er war zu weit entfernt, um irgendwelche Wortfetzen aufschnappen zu können und so schlich er näher und duckte sich hinter einer großen metallenen Mülltonne in den Schatten. Kyo schien inzwischen in seiner Tasche zu kramen. Gierig folgten ihm die Augen seines Gegenübers. Und schon beförderte der Gelbhaarige eine winzige durchsichtige Plastiktüte ans Tageslicht, deren Inhalt stark nach roten Pillen aussah. Die kniff die Augen zusammen, um schärfer sehen zu können. Waren das etwa…?? Entsetzen machte sich in ihm breit. //Nein… nicht Kyo… // Unbewusst krampften sich seine Finger in das kalte Metall der Mülltonne. Kantig stachen seine Fingerknöchel hervor. //Bitte lass es ein Missverständnis sein// flehte er innerlich, doch seine Hoffnungen wurde enttäuscht, als der Punk einige zerknitterte Geldscheine aus seiner Hosentasche fischte und Kyo in die Hand drückte, woraufhin dieser ihm das kleine Tütchen reichte. Bonbons würden bestimmt nicht so ein Vermögen kosten. Schwer atmend senkte Die seinen Kopf. Er musste sich beruhigen, sonst würde er Kyo jetzt hier an Ort und Stelle in Fetzen reißen. Drogen, ausgerechnet Drogen. Wo hing der kleine Gelbschopf da nur drin? Verbittert ballten sich seine Hände zu Fäusten, als alte Erinnerungen hochkamen, ihn zu überwältigen drohten. Es durfte nicht noch einmal geschehen. Nicht noch einmal. Er musste es verhindern. Die alten Wunden durften nicht erneut aufreißen, denn dieses Mal, das wusste er, würde er daran verbluten. Diese Wunde würde nie wieder heilen. Gewaltsam riss er sich aus seinen melancholischen Gedanken und hob den Kopf. Der Punk war verschwunden, zurückgeblieben war nur Kyo. Regungslos stand er da, den Rücken zu Die gedreht. Zweifellos hatte er noch nichts von der Anwesenheit des Rotschopfs mitbekommen. Langsam richtete Die sich auf, wuchs in die Höhe, während Kyo immer mehr vor seinen Augen zu schrumpfen schien. Er wirkte so klein und zerbrechlich. Entschlossenen Schrittes trat er aus seinem Versteck, die Finger der linken Hand fest um das schwarze Buch gekrallt. Lautlos trat er hinter den scheinbar weggetretenen Sänger und packte ihn am Arm, um ihn grob zu sich herumzureißen. Kyo, der scheinbar aus seiner Trance zu erwachen schien, entwich ein erschrockenes Keuchen und seine Augen weiteten sich, als er Die erblickte. Der Größere überragte ihn wie eine gewaltige Wolkenfront, die gleich auf ihn nieder regnen würde. Dunkle wütende Lichter blickten anklagend auf ihn herab und die rechte Hand, die noch immer um Kyos schmales Handgelenk geschlossen war, verstärkte ihren Druck. „Du bist ein Dealer?“ platzte die Frage schließlich aus dem Älteren heraus, wobei es vielmehr ein Vorwurf, eine Anschuldigung war. Trotzig begegnete der Kleinere dem finsteren Blick und versuchte sich aus Dies eisernem Griff zu befreien. „Lass los“, zischte er gequält, als dieser nur noch mehr Druck auf seine schmale Hand ausübte. „Beantworte meine Frage!“ drohte der Rotschopf mit bebender Stimme. „Fick dich doch“, entgegnete Kyo eiskalt. Dies Lippen verschlossen sich gewaltsam zu einem blutleeren Strich. Nur mühsam hielt er seine Beherrschung aufrecht. Schweigend starrten sie sich an, Wut brannte in beiden Augenpaaren. „Warum?“ Wie ein leiser Windhauch hing das einsame Wort zwischen beiden Fronten. //Warum tust du das?// „Das geht dich einen Scheiß an!“ fauchte der Jüngere, einer Raubkatze gleich. „UND OB ES MICH WAS ANGEHT!“ Erschrocken zuckte Kyo unter der Lautstärke zusammen und auch Die schien über seinen Ausbruch verwundert. Er holte einmal tief Luft, bevor er mit beherrscht ruhiger Stimme weiter sprach. „Es geht mich sehr wohl was an, wenn mein Freund“, er legte besonders viel Betonung in dieses Wort, „Drogen nimmt!“ „Ich nehm den Dreck nicht“, widersprach Kyo hitzig. „Das sagen sie alle!“ „Du bist doch derjenige von uns, der Drogen nimmt. Du Säufer!“ Die zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. „Das-“ „Bis du nicht mehr stehen kannst.“ //Findest du mich so verabscheuungswürdig?// „Bis oben und unten einerlei sind.“ //Ignorierst du mich deshalb?// „Bis Kotzen zum einzigen Sinn wird.“ //Weil ich wie mein Vater bin?// „Macht es Spaß ein verfickter Alkoholiker zu sein?“ Langsam lösten sich Dies Finger, befreiten Kyos Hand aus ihrem mörderischen Griff. Seine Augen brannten, salziges Wasser staute sich hinter den maroden Dämmen, die bald brechen würden. Zitternd stolperte er einen Schritt zurück, sah in Kyos verächtlich verzogenes Gesicht. Wieso nur bekam er keine Luft? Wieso nur schlug sein Herz so brutal. Wollte es ihn innerlich zerschmettern? Nur mühsam noch hielt er die Tränen zurück. Aber er würde lieber sterben, als jetzt vor dem Gelbhaarigen Schwäche zu zeigen und wie ein Mädchen loszuflennen. Mühsam schluckte er den Schluchzer hinunter, der sich seinen Weg nach oben gekämpft hatte. Immer weiter trugen ihn seine langen Beine zurück, weg von Kyo und seiner Verachtung. Tief durchatmend schloss er die Augen. //Nicht weinen! Nicht weinen!// Dann drehte er sich auf dem Absatz herum und ergriff die Flucht. „Und außerdem bin ich nicht dein Freund!“ hörte er noch Kyos Worte, als die letzten Dämme brachen und Tränen ihren Weg in die Freiheit fanden. *** Nachdenklich saß Die auf seinem Bett, die Beine im Schneidersitz verschränkt. Er hielt das kleine schwarze Büchlein in seinen Händen und starrte regelrecht Löcher in seine Oberfläche. Irgendwie hatte er in all dem Trubel ganz vergessen Kyo das Teil einfach vor die Füße zu schmettern. Am besten hätte es dabei noch in einer Pfütze landen müssen. Ja, das wäre lustig gewesen. Vielleicht hätte er dann auch nicht heulen müssen. Wieso hatte er überhaupt zu flennen angefangen? Es war so erbärmlich, so jämmerlich. Aber wenigstens hatte Kyo es nicht gesehen. Auch wenn seine Flucht nicht gerade weniger erniedrigend war. Unruhig knabberte er auf seiner Unterlippe herum. Sollte er einfach darin lesen? Aber war das dann nicht ein Vertrauensbruch? //Welches Vertrauen//, dachte er bitter. //Kyo bringt niemandem Vertrauen entgegen, am wenigsten mir. Außerdem, was soll schon passieren? Er hasst mich ohnehin. Schlimmer kann’s nicht werden.// Entschlossen klappte er die erste Seite des Buches auf. Krakelige schwarze Zeichen starrten ihm anklagend entgegen. Sie waren mit Tinte geschrieben und schimmerten blass im Licht. Ein Herz, zu kalt Das ist Wie tief auch immer Wie kalt auch Zugefroren Dieses Herz Verbrennt Wie die feuerrote Sonne Alle, die mit ihm in Berührung kommen (2) Sanft strichen schmale Finger über die wenigen Zeilen. So tiefgründig. Kyo zu verstehen erschien plötzlich so viel schwieriger als gedacht. Es war wie eine Herausforderung. Aber er würde sie gerne annehmen. So schnell gab er nicht auf. Kyo konnte ihn ignorieren, er konnte ihn auch hassen, wenn er wollte, aber er hielt den Rothaarigen nicht davon ab, ihm zu helfen. Die würde niemals zulassen den Kleinen an Drogen zu verlieren. Entschlossen blätterte er einige Seiten weiter. Hier und da blitzten ihm abstrakte Zeichnungen entgegen; aufgerissene Mäuler mit spitzen Zähnen, blinde Augen, blutende Körper, blutige Messer, blutige Spritzen. Die schluckte schwer. Irgendetwas lief bei Kyo im Kopf gründlich falsch. Aber wer wusste schon, was sich hinter der Fassade der provokativen Ekeligkeit und dem Masochismus wirklich verbarg? Langsam senkten sich seine Augen auf ein weiteres Gedicht nieder und begann die Worte in sich aufzusaugen. Masochist der Dekadenz Das Kind, das geboren werden wird Erwachsene mit keinerlei Schuldbewusstsein Gefallen Ich, der ich keinen Namen habe Warum bin ich hier? Ich verstehe nicht einmal, Ich ahne nicht, dass ich nur wenige Monate zu leben habe Ich will lieben Ich will geboren werden In diesem Mutterkörper, starrend seit jener Zeit wartete ich auf Bewusstsein Zwei Monate später, es geschah so schnell und doch konnte ich nichts tun Das Band zwischen uns wird bestehen Ich, so unvollständig, mein Körper wird von Schmerz durchdrungen Mutters schreiende Stimme schallt in meinen Ohren, wird nicht verblassen weiße bekittelte Erwachsene schaufeln mich heraus Augen, überflutet mit Gefühlskälte Blutig, ohne eine rechte Hand spiegle ich mich wieder so wie ich war, eingehüllt in schwarzes Vinyl, verschlungen während mein Bewusstsein allmählich schwindet überlege ich leise Ob ich, in einen Käfig gesperrt, geliebt werde, so wie ich bin, wie es sein sollte Es kann nicht vergeben werden Es ist besser, dass ich, der ich nicht geliebt werden kann, sterbe wie ich bin in Stille werde ich ruhen ohne meinen ersten Schrei zu geben nur einmal möchte ich Mutterliebe fühlen vielleicht ist das Liebe, ich danke dir eine Tür, die sich niemals öffnen wird, wird fest verschlossen dennoch bin ich deine Zukunft und so... la la la... * mein Körper brennt, von Flammen verzehrt, bis meine Knochen zu Nichts wurden verbrannt, vernichtet Auf Wiedersehen (3) Ein schweres Gewicht schien ihn auf einmal zu Boden zu drücken. Diese Worte, sie strahlten so viel Traurigkeit und Schmerz aus. Die schluckte schwer. Was Kyo da beschrieb war die Abtreibung eines Kindes, doch wie er es schrieb klang es eher, als spräche er von sich. Sich, als unvollkommenes Geschöpf, welches ungeliebt und ungewollt wie es war, lieber den Weg des Todes suchte, als in dieser Welt zu existieren. Die fühlte, wie sich sein Herz bei diesen Gedanken zusammenkrampfte. Wieso hatte er auf einmal Angst? *** Indes wühlte ein ziemlich aufgekratzter kleiner Gelbschopf durch seine Sachen. „Es muss hier irgendwo sein, verdammt noch mal“, schrie er aufgebracht durch seine kleinen vier Wände. Aber wieso konnte er es dann nicht finden? Hatte er es verloren? Seinen kostbarsten Besitz! „Scheiße!“ Sein Herz hing an diesem Buch. Er brauchte es. Darin steckte sein Leben, sein Ich, seine Ängste, seine Kraft. Frustriert ließ er sich auf sein Bett sinken. Was sollte er jetzt tun? Erschöpft fixierten seine Augen die graue Decke. Die Nacht würde kommen und mit ihr die Schatten, Abbilder seiner Angst. Und diese Nacht hatte er keinen Halt, keine weißen Seiten, an die er sich klammern und die er füllen konnte. Er war allein! *** Schlurfenden Schrittes bahnte sich ein gähnender Kyo seinen Weg durch die Bankreihen. Er war so furchtbar müde, da er gestern wieder einmal einfach kein Auge zubekommen hatte. Einfach nichts hatte ihn ins Traumreich befördern können, weder altbewährtes Schafezählen noch der Trick seinen Geist zu leeren und an rein gar nichts zu denken. Letzteres war schon allein dadurch gescheitert, dass seine Gedanken immer wieder abwanderten, während er sich vorstellte, wie genau das Nichts wohl aussehen konnte. Schwarz und bodenlos? Oder doch eher weiß und endlos? Er seufzte resigniert. Sein Kopf war einfach nie leer. Mit halb geschlossenen Augen ließ er sich auf seinen Stuhl in der vorletzten Reihe fallen und senkte seinen Schädel auf die Bank, um seinen nächtlichen Schlaf nachzuholen. Doch sein Kopf traf nicht das kühle Holz der Bank, sondern etwas anderes. Eine spitze Kante bohrte sich in seine Stirn und trieb die Müdigkeit für eine Sekunde in die hinterste Ecke. “Fuck alda“, brummelte er leise vor sich hin und hob seinen Hirnbehälter. Da lag es, unschuldig schauend und spöttisch höhnend zugleich. Sein Buch. Erleichterung flutete ihn, gefolgt von Misstrauen und einem forschenden Blick durch die Klasse. Seine verengten Augen blieben bei einem gewissen Rotschopf hängen, der mit einigen Leuten lautstark herumalberte. Die! Wer sonst? Hatte er ihm sein Gedichtbuch geklaut? Oder hatte Kyo selbst es irgendwo liegen gelassen? Möglich wäre beides. Nachdenklich strichen seine Finger über das kühle Leder. Der Rothaarige hatte bestimmt darin gelesen. Kyo wusste nicht, ob ihn das beunruhigen oder wütend machen sollte. Seltsamerweise war es ihm gleichgültig. Vielleicht, weil er sich sicher war, dass Die seine Texte eh nicht verstehen würde. Er hielt nicht wirklich viel vom Intellekt des Gitarristen. Außerdem schien selbst Kaoru, der wohl der Intelligenteste von ihnen war, des Öfteren rein gar nichts mit seinen künstlerischen Ergüssen anfangen zu können. Kyos Gedankensprünge waren einfach zu verworren für ein normal denkendes Hirn, um das Chaos seiner Bilder- und Wortgewalt entwirren oder gar enträtseln zu können. Für Daisuke Andou würde er wohl ewig ein Mysterium bleiben, obwohl der Rotschopf ihn wohl eher als durchgeknallten Spinner betiteln würde. Aber was interessierte es ihn? Die konnte von ihm denken, was er wollte. Sobald die Drogensache sich herumsprach würde er eh von der Schule fliegen, beziehungsweise er würde die Flucht antreten, ehe man ihn noch für illegalen Drogenhandel dran kriegte. Dann war es aus mit Dir en Grey. Wehmütig senkte sich sein Blick. Er hatte diese Band in kurzer Zeit zu lieben gelernt. Es war das Einzige, was ihn so lange an dieser Schule hielt. Bisher hatte er es noch nie so lange an einem Ort ausgehalten. Doch Kaoru würde ihn bestimmt rausschmeißen. //Kuso!// Nur weil Die ihm nachspioniert hatte. Warum konnte der Idiot sich nicht um seinen eigenen Kram kümmern und ihn endlich in Frieden lassen? Zornig schlug er mit der Faust auf den Tisch. Die Gespräche am Nachbartisch verstummten und fragende Augen richteten sich auf den kleinen Gelbschopf. Doch der war bereits in seinen Gedanken verloren gegangen und blickte starr ins Leere. Endlich war in seinem Leben einmal nicht alles scheiße gelaufen und da kam der Penner und machte alles kaputt. Okay, er konnte Die nicht gänzlich verantwortlich machen, schließlich war er derjenige, der in illegalen Geschäften drin hing. Aber was hatte er denn schon für eine Wahl? Er musste es tun. Die hatte ja keine Ahnung. //Er denkt er weiß alles. Jetzt glaubt er bestimmt ich bin voll der Junkie! Nur weil er gesehen hat, wie ich Pillen vertickt habe. Der hat doch keinen Schimmer. Von gar nichts!// Hilflos krallten sich seine Finger in das schwarze Leder. Dabei hatte er gehofft endlich seinen Platz gefunden zu haben, an dieser Schule, bei Dir en Grey… unter Freunden? Aber er hatte alles auf einen Schlag verloren. Wie so oft. Langsam sollte er sich vielleicht daran gewöhnen, dass in seinem Leben kein Platz für Freude und Glück war, denn irgendwann wurde immer alles von der schwarzen Wolke verschlungen, die wie eine Krankheit über ihm hing und seine Leben bedrohlich überschattete. *** Ein mulmiges Gefühl hatte sich in Dies Magen ausgebreitet. Immer wieder wanderte sein Blick unauffällig nach links. Kyo sah wütend aus. War es seine Schuld? Hätte er ihm das Buch doch lieber gestern gleich geben sollen? Aber wie denn? Schließlich war es doch nicht seine Schuld, wenn er aus Versehen Kyos Machenschaften mitbekam. Dann sollte er seine illegalen Geschäfte gefälligst unauffälliger abwickeln, wenn er nicht wollte, dass sie jemand beobachtete. //Ich hätte es einfach im Proberaum liegen lassen sollen. Dann wäre das alles nicht passiert… Aber dann wüsste ich auch nichts von der ganzen Sache... Nein, es ist schon gut, dass ich Wind davon bekommen habe. Nur so kann ich ihm helfen!// Langsam ließ er seinen Blick über Kyos Erscheinung gleiten, seine angespannten Gesichtszüge, die weißen Zähne, die auf seine Unterlippe bissen, die verkrampften Finger, die er um das kleine Buch gelegt hatten, die weißen Fingerknöchel, die unter seiner Haut hervorstachen. //Wenn er sich überhaupt helfen lässt!// Denn daran zweifelte er stark. Kyo war noch nie wirklich gut auf Die zu sprechen gewesen, warum auch immer. Vielleicht hatten sie lediglich einen schlechten Start gehabt, vielleicht hatte Kyo sich sein Urteil über den Rotschopf auch einfach zu schnell gebildet; Fakt war, Die schaffte es nicht den kleinen Sänger vom Gegenteil zu überzeugen. Dass er sich dann gerade von ihm helfen lassen würde war, nüchtern betrachtet, einfach nur lächerlich. Aber Die wäre nicht Die, wenn ihn das aufhalten würde! *** Unsicher trugen ihn seine Füße fort. Er wollte nicht an diesen Ort, doch sein Körper gehorchte nicht. Alles in ihm sträubte sich gegen das Bevorstehende: die anklagenden Blicke, die in der Luft hängenden Vorwürfe, die Verachtung, die Enttäuschung. Warum tat er sich das überhaupt an? Warum? Diese Frage schien ihn endlich zur Vernunft zu bringen. Entschlossen drehte er sich um und rannte, rannte so schnell er konnte, um möglichst viel Distanz zwischen sich und sein vorheriges Ziel zu bringen. Doch seine Flucht wurde jäh gestoppt, als er kopflos in jemanden hineinlief. „Wuah, Kyo“, ächzte der zu Boden Gerissene. „Wo willst du denn hin?“ Diese Stimme. „Shin?!“ Hastig rappelte sich der Kleinere auf. Wieso musste er unter allen Schülern gerade in ein Mitglied von Dir en Grey hineinrennen? „Da geht’s zum Proberaum“, meinte der Chibi grinsend und deutete nach vorn. Kyo folgte seinem Finger. „Ich…“ Er brach ab, nach Worten suchend. Dann sah er wieder zu Shinya herab. Der Drummer lächelte lieb und streckte ihm seine Hand entgegen, damit Kyo ihm aufhalf. Der Ältere war verwirrt. Wieso war Shinya so gutgelaunt und so… freundlich? Wusste er denn noch nichts davon? Gedankenverloren starrte er die schmale Hand an. … „Was macht ihr denn da?“ Kyo ächzte innerlich. Das war heute nicht sein Tag. Da versuchte er seinen Bandkollegen aus dem Weg zu gehen und lief gleich in zwei von ihrer Sorte. Selbst wenn Shinya wirklich noch nichts von den Vorkommnissen wusste, Kaoru wusste es auf jeden Fall. Schließlich war er Dies bester Freund. Der Rotschopf hatte ihn bestimmt schon gestern Abend angerufen und über alles informiert. Und das hieß es war aus. Er hatte verspielt. Shinya hockte noch immer auf dem Boden und sah Kyo verwirrt an. Jener schien irgendwie leicht weggetreten zu sein. Ungeduldig wedelte der Jüngste mit seiner Hand vor Kyos Nase herum, ehe Kaoru sich erbarmte und Shinya zurück auf die Füße half. „Danke Kao“, murmelte er und klopfte sich den Staub aus den Klamotten. „Was ist mit ihm?“ fragte der Ältere, während er Kyos regungslose Form betrachtete. Shinya zuckte nur mit den Schultern. „Keinen Plan. Er bewegt sich nicht wirklich seit er in mich hineingerannt ist. Ob er was am Kopf abgekriegt hat?“ Wie um seine Theorie zu testen begann er erneut vor Kyos Gesicht hin und her zu wedeln. Keine Reaktion. „Mmh…“ Nachdenkliche Falten überzogen Shinyas blasse Stirn. „Visuell scheint er voll weggetreten zu sein“, erklärte er fachmännisch. „Schauen wir doch mal, wie es mit seinem physischen Empfinden aussieht“, und ein spitzbübisches Grinsen schlich sich auf seine femininen Züge. Langsam schloss er seine Finger um Kyos kleine Nase und drückte zu. „WTF?! Spinnst du?“ schnappte dieser endlich aus seiner Trance. „Was wird das, wenn’s fertig is?“ „Ich wollte nur deine Lebenserhaltungsfunktionen checken“, verteidigte sich der Schlagzeuger lächelnd. „Indem du meine Nase zuhältst? Ich glaub es hakt!“ „Na wenn du dich in irgendwelchen nicht-existenten, überirdischen Sphären rumschleichst. Ich hab mir doch nur Sorgen gemacht, dass du da irgendwo falsch abbiegst und nie wieder zurück findest“, versuchte sich Shinya herauszureden. „Indem du mich erstickst?! Sehr effektiv, danke!“ Der kleine Sänger verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. Sein Blick wanderte zu Kaoru, der belustigt neben der Szene stand und sehr darum bemüht war ein Grinsen zu unterdrücken. War er etwa auch nicht sauer? Was ging denn in denen vor? Oder hatten sie wirklich noch keine Ahnung? „Oi, was geht? Proben wir heute draußen oder was?“ Und da kam auch Diru Member Number Three, gefolgt von Number Four. //Damit wären wir ja komplett, super!// dachte Kyo sarkastisch und buddelte sich bereits ein imaginäres Loch, in das er sich später flüchten konnte. „Wir haben nur eben Kyo wiederbelebt“, erklärte Shinya Die trocken. „Echt? Warum habt ihr nicht auf mich gewartet? Ich wollte Mund-zu-Mund-Beatmung machen!“ Kyos Kinnlade verabschiedete sich und trat ihren Fall einige Etagen tiefer an. Mit offenem Mund starrte er den Rotschopf entgeistert an. Waren jetzt alle komplett durchgedreht? „Bleib locker“, Die klopfte ihm kumpelhaft auf die Schulter. „Ich werd deine süßen kleinen Schmolllippen schon nicht entjungfern!“ Das gab Kyo völlig den Rest. Mit einem entnervten Stöhnen schloss er die Augen und begab sich auf die Suche nach seiner Selbstachtung, die ihm während dieses kurzen, Hirnzellen verbrennenden Gesprächs abhanden gekommen sein musste. „Na los, lasst uns endlich reingehen, ich will nachher noch shoppen“, meine Kaoru und riss Kyo aus seiner Selbstfindungsphase. „Shoppen?“ Toshiyas Augen begannen zu glitzern. „Kann ich mitkommen, bitte, bitte, bitte!“ Der Leader lächelte nachgiebig. „Klar, warum nicht. Aber jetzt wird erst mal gearbeitet. Husch husch!“ Er versuchte seine Freunde Richtung Proberaum zu scheuchen. Ganz langsam setzte sich die Meute in Bewegung. Alle bis auf einen. „Hey“, Kyo hielt Die am Arm zurück. Der Rotschopf sah sich verwundert um und blickte den kleinen Sänger fragend an. Noch ehe er zu einer Frage ansetzen konnte wurde er von Kyo unterbrochen. „Hast du es ihnen gesagt oder nicht?“ Die stutzte, völlig aus dem Konzept gebracht. „Huh? Was gesagt?“ „Na was wohl?!“ Der Gelbschopf klang eindeutig gereizt. „Die Sache von gestern. Du weißt schon.“ Die Kajal umschminkten Augen des Rothaarigen verengten sich leicht. „Nein, hab ich nicht“, kam die patzige Antwort. „Ich werd es ihnen auch nicht erzählen, wenn’s dich beruhigt. Ist schließlich deine Angelegenheit. Außerdem will ich nicht, dass sie enttäuscht sind. Reicht ja, wenn ich’s bin.“ Kyos Augen weiteten sich einen Moment, ehe er skeptisch den Kopf zu Seite lehnte. „Sie werden es also nicht erfahren?“ fragte er sicherheitshalber nach, ohne auf Dies letzten Kommentar einzugehen. Die schüttelte die roten Haare. Ein erleichterter Seufzer entwich Kyos Kehle. Ihm waren in diesem Moment gleich mehrere Steine vom Herzen gefallen. „…danke, Die“, flüsterte er, beinahe schüchtern. Nur sehr wenige Dankesworte hatten je seinen Mund verlassen und wenn er sie schon aussprechen musste, dann tat er es nur sehr leise, am besten so leise, dass man es kaum verstand. „Dir en Grey bedeutet mir… viel… und wenn Kaoru es erfährt… er würde mich bestimmt rausschmeißen.“ Ernste Augen musterten den kleinen Sänger. „Würde er nicht“, widersprach Die ruhig. „Er wäre nur unendlich enttäuscht von dir. Alle wären das. Vielleicht merkst du es ja wirklich nicht, aber alle haben dich gern, egal wie sehr du dich bemühst ein Arschloch zu sein!“ //Denn wir wissen, tief in dir drin da bist du sensibel und so unendlich verletzlich. Du bist nicht halb so hart wie du dich gibst.// Der Rothaarige schenkte ihm sein typisches, unbeschwertes Die-Grinsen und wuschelte ihm kurz durch die wüsten gelben Haare. Kyo verzog nur das Gesicht und verkniff sich jeglichen Kommentar. „Hey ihr Triefnasen! Wird das heute noch was?“ Kaoru hatte seinen purpurnen Kopf aus der Tür gesteckt. „Wir wollten eigentlich heute noch anfangen!“ „Kommen ja schon“, rief der Rotschopf noch immer grinsend hinüber und setzte sich langsam in Bewegung. Er hätte Kaoru köpfen können. Da stand er nun, zusammen mit seinem Kyo, unterhielt sich, friedlich(!), wagte es gar mit den Fingern durch dessen weiche Haare zu streichen, die selbst vom vielen Bleichen nicht ihre Kraft und ihren Glanz verloren hatten, und bekam zudem noch Dank geschenkt, der so selten und kostbar war… und was machte Kaoru? Er platzte ungehobelt dazwischen und erinnerte sie daran, dass Arbeit auf sie wartete. Er sollte sich ernsthaft eine Bestrafung für Kaoru überlegen. „Hey Die?“ kam es leise von hinten. „Mmh?“ Er hielt erneut inne und sah zurück. Kyo hatte die Hände nervös ineinander verkeilt und sah ihm scheu entgegen. „Anou… Ich wollte noch… also was ich gestern gesagt habe...“ Gott, wie er Entschuldigungen hasste. Hatte er sich jemals bei irgendwem entschuldigt? Wahrscheinlich nicht, sonst wüsste er jetzt, wie es ginge. Er seufzte ein letztes Mal, holte tief Luft und begann von neuem. „…Es tut mir Leid. Ich hätte das nicht sagen sollen, dass mit dem… naja... du weißt schon…Alkoholiker und so.“ Dies Gesichtsausdruck wandelte sich von Entsetzen über Erstaunen bis hin zu Verständnislosigkeit. „Du… entschuldigst dich? Bei mir?“ Er starrte Kyo an, als ob ihm ein zweiter Kopf gewachsen wäre. Der Kleinere verdrehte die Augen. „Ja mann. Aber gewöhn dich nicht dran. Kommt sicher nicht wieder vor! Ich will nur nicht, dass du wieder heulst.“ Dies Augen weiteten sich ertappt. „Ich hab überhaupt nicht geheult“, widersprach er resolut. „Nein, gar nicht“, entgegnete der Kleine sarkastisch. „Und das Wasser in deinen Augen fiel vom Himmel. Oh nein, noch besser es hüpfte mal eben aus einer Pfütze in dein Gesicht, weil es mal fix die Schwerkraft überwunden hat. Schon klar.“ Der Rothaarige biss sich unruhig auf die Innenseite seiner Unterlippe. „Ey Mann, wenn ich es dir doch sage. Ich. Hab. NICHT. Geheult! Das war bestimmt irgend so ein beschissener Lichtreflex oder was weiß ich.“ Trotzig verschränkte er die Arme vor der Brust. „Da muss schon mehr kommen, als so ein abgebrochener Gartenzwerg.“ Ein spöttisches Grinsen übertünchte die Nervosität. Kyo schnaubte verärgert. „Noch so’n Spruch über meine Größe und ich latsch dir in die Eier!“ Da kannte er keinen Spaß. Leider war Die einfach nicht der Mensch, der an dieser Stelle schwieg und so prustete er lauthals los. „Kyo, du bist so putzig, wenn du versuchst den oberfiesen Bösewicht raushängen zu lassen.“ Verspielt verwuschelte er ihm erneut das Haar. Ein grollendes Furcht erregendes Geräusch war zu hören, ein Ton, welcher der Hölle entsprungen zu sein schien. „DU BIST SOOOOO TOT!!!“ schrie ein gelbes rasendes Etwas und schon stürzte sich ein Knäuel aus Armen, Beinen und Haaren auf den wesentlich größeren und noch immer lachenden Die. //Das kann länger dauern// dachte Kaoru amüsiert. Dann musste die Probe eben ohne die Beiden beginnen. *** Fernab der Vernunft, zwischen Blümchenmustern, Spitze und Stoffen jeglicher Form und Farbe rollte ein verzweifeltes Individuum die schokobraunen Augen und stieß einen resignierten Seufzer aus. „Mann Toshiya, das ist ja nicht zum Aushalten.“ Es warf die langen Arme in die Luft. „Jetzt schmeiß dich endlich ran!“ Ein blauhaariges Wesen mit dem Arm voller Klamotten schüttelte energisch den Kopf. „Das sagst du so einfach, Shin. Aber du würdest dich an meiner Stelle auch nicht einfach so auf ihn stürzen.“ „Ich hab auch eine Entschuldigung: Ich bin schüchtern“, meinte der Hochgewachsene grinsend. „Wo bist du denn bitte schüchtern?!“ widersprach der Bassist schnaubend. „Wer ist schüchtern?“ unterbrach eine dritte Stimme den Disput. Kaoru war soeben aus der Umkleidekabine wiedergekehrt und hatte Toshiyas letzte Worte aufgeschnappt. Mit einem überraschten Quieken fuhr der Blauhaarige herum und ein leichter Rosaschimmer legte sich auf seine Wangen. Alles was er zustande brachte war wortlos auf Shinya zu deuten. „Aha. Und? Habt ihr schon was gefunden?“ „Gefunden?“ Toshiya schien seine Sprache wieder erlangt zu haben, allerdings nicht seinen Verstand. „Na an Klamotten“, erklärte Kaoru geduldig. „Oh ach so. Ähm… naja…“, Toshiya blickte etwas hilflos auf die Stoffe in seinem Arm. Was um Himmels Willen wollte er denn mit diesem überaus hässlichen schreiend grünen Oberteil? Er musste es wohl blind aus dem Regal genommen haben, als er mit seinen Gedanken wo ganz anders gewesen war. Kaoru musterte diese Ausgeburt an Hässlichkeit gerade kritisch. Hastig entledigte er sich dieses lästigen Stückes, indem er es achtlos nach hinten warf… und somit einem weiteren Kunden prompt auf den Kopf. „Upps“, nun kroch die Röte von seinen Wangen bis in die Haarspitzen. „’tschuldigung.“ Er verbeugte sich kurz, peinlich berührte, nahm die Wurzel allen Übels mit spitzen Fingern wieder an sich und ergriff die Flucht Richtung Umkleidekabine, während er sich in Gedanken vorstellte, wie gern er jetzt von einem Loch im Boden verschlungen werden würde. Komischerweise hatte sein imaginäres Loch Glubschaugen, Zähne und eine grüne Zunge und rülpste, nachdem es ihn in seiner blühenden Fantasie verschlungen hatte. Musste wohl an dem grünen Oberteil liegen. Wem kam es da nicht wieder hoch? „Was war denn das?“ fragte ein verdutzter Kaoru, der nur noch Toshiyas Rücklichter sah. Doch er bekam keine Antwort, denn Shinya stöhnte nur gequält und schlug sich die Hand vors Gesicht. *** „Wie lange willst du mir noch hinterher dackeln? ES NERVT!“ Kyo war wirklich sauer. Nicht nur, dass Die seit Ende der Probe wie eine Klette an ihm hing, nein, er verfolgte ihn auch noch total auffällig und war ihm bereits zweimal in die Hacken gelatscht. „Ich pass nur auf, dass du keine Dummheiten machst“, antwortete der Übeltäter. „Indem du mir auf Schritt und Tritt folgst?“ Die Stimme des Gelbhaarigen überschlug sich fast. „Wie soll das gehen? Willst du mit mir aufs Scheißhaus? Hey, vielleicht schlafen wir ja heute Nacht im selben Bett“, höhnte Kyo ironisch. „VERPISS DICH ENDLICH!“ Die zuckte erschrocken zusammen. Zwar war ihm durchaus bewusst, dass er Kyo mit seinem Verhalten tierisch auf den Kranz ging, aber das dieser gleich so laut wurde war doch unerwartet. „Keine Chance!“ meinte er dennoch entschlossen. So einfach ließ er sich nicht einschüchtern. „Aaargh!“ Kyo vergrub frustriert die Finger in seinen Haaren. „Du gehst mir auf n Sack!!!“ „Ich weiß“, flötete der Rotschopf vergnügt. „Darin bin ich weltklasse!“ Er schien Kyos ganzes Gefluche auch noch als Kompliment aufzufassen. Jedenfalls ließ er sich nicht davon beirren. „Hör mal“, resigniert blieb der Blondschopf stehen und drehte sich zu Die herum. „Ich find es ja schmeichelhaft, dass du mir helfen willst und so. Aber das ist wirklich nicht nötig. Ich krieg das schon allein geregelt, ok?“ “Kriegst du eben nicht!“ widersprach der Gitarrist störrisch. „Sonst wärst du jetzt schon lang aus der Scheiße raus!“ „Das ist doch wohl mein Problem, oder? Was mischst du dich da überhaupt ein?“ Kyo riss langsam der Geduldsfaden. Der Kleine konnte es ganz und gar nicht leiden, wenn man ihm Moralpredigten hielt. Er hatte sich bisher immer allein durchgeboxt, also würde er das jetzt auch tun. „Und jetzt komm mir nicht wieder mit dieser Ich-bin-dein-Freund-Tour“, fügte er gereizt hinzu, denn er hatte Dies Argumente sowas von satt. „Wenn es aber so ist!“ „Das ist mir scheiß egal!“ „Dir scheint ja alles scheiß egal zu sein. Du wirfst dein Leben einfach so weg.“ „Was kümmert es dich? Ist doch mein Leben!“ Die ließ resigniert die Schultern sinken. Dieser Junge schaffte ihn. Seufzend fuhr er sich durch die roten Haare. „Und was sagen deine Eltern dazu?“ Kyos Augen verengten sich bedrohlich und der Rothaarige merkte zu spät, dass er wohl ein Tabuthema angesprochen hatte. „Welche Eltern? Meine Mutter ist doch Schuld, dass ich überhaupt die ganze Scheiße am Hals hab.“ Dies verwirrter Blick sprach Bände. „Sie war ein verfickter Junkie“, erbarmte sich der Sänger schließlich zu einer Antwort. „Hat sich durch die halbe Welt gevögelt ohne Rücksicht auf Verluste. Hauptsache sie bekam ihre Drogen. Ich war nur eines ihrer Missgeschicke, das Kind von irgend nem dreckigen Penner, der sich wahrscheinlich schon lange den Goldenen Schuss gegeben hat.“ Die schluckte. Er hatte zwar damit gerechnet, dass Kyos Leben nicht so rosig aussah, aber dass es so scheiße verlief… Er musste wieder an Kyos Gedicht denken, in welchem er die Abtreibung eines Kindes beschrieb, eines ungeliebten Wesens, aus Verantwortungslosigkeit gezeugt. Und plötzlich verstand er, alles wurde so viel klarer. „Scheiße“, murmelte er leise. Kyos Augen funkelten böse. „Verstehst du jetzt? Wegen dieser Schlampe musste ich in dem ganzen Dreck aufwachsen. Das ist mein verdammtes Leben. Ich komm da nicht so einfach raus!“ „Aber…“, Die wollte hilflos widersprechen, doch ihm fehlten die Argumente. Wohl zum ersten Mal in seinem Leben wusste er nicht, was er sagen sollte. „Und jetzt verschwinde endlich“, hauchte der Gelbhaarige leise. „Kyo, ich…“ „VERSCHWINDE!“ Erschrocken zuckte der Rotschopf erneut zusammen. Unsicher starrte er den Kleineren an, ehe er sich schließlich umwand und den Rückzug antreten wollte, doch der Weg war versperrt. Zwei schwarz gekleidete riesige Männer wuchsen vor ihm aus dem Boden, die Arme vor der Brust verschränkt. „Was seid ihr denn für Gestalten?“ fragte Die missgelaunt, eine Augenbraue skeptisch erhoben. Der linke Riese ging einen Schritt auf ihn zu. „Verzieh dich, Kleiner. Wir haben was mit dem Knirps da zu klären!“ Langsam hatte Die die Schnauze voll. Wieso verlangte nur jeder von ihm, dass er die Biege machte? War er so unerwünscht? Zweifelnd warf er einen Blick auf Kyo, dann wandte er sich wieder nach vorn. Den Kleinen mit diesen zwei Schränken allein lassen? Ja, er war doch nicht blöd! Demonstrativ verschränkte er seine Arme vor der Brust. „Das könnt ihr knicken!“ Der rechte Riese löste sich von seinem Platz und baute sich Unheil verkündend vor Die auf. „Wie du willst, Kleiner.“ Das war der Moment, in dem endlich Bewegung in Kyo kam. Augenblicklich schob er sich vor Die. „Was wollt ihr von mir?“ fragte er misstrauisch und sein Blick wanderte abwertend über die zwei Gestalten. „Du hast unseren Boss beklaut.“ Kyos Miene verdüsterte sich. „Bullshit! Ich kenne euren Boss überhaupt nicht. Außerdem klaue ich nicht!“ „Dann werden wir deinem Gedächtnis mal auf die Sprünge helfen. Letzten Samstag. Das Black Moon.“ Dies Augen weiteten sich. Ebenso Kyos. „Das Black Moon? Kyo, was…?“ Der Kleine brachte ihn mit einer herrischen Handbewegung zum Schweigen. „Ihr habt mich also gesehen?“ „Es wurde alles von einer Überwachungskamera aufgenommen.“ „Verstehe. Und jetzt?“ Ein fieses Grinsen breitete sich auf den Gesichtern der Unbekannten aus. „Wir sollen dir eine Lektion erteilen, die dich lehrt nicht wieder in fremden Gewässern zu fischen!“ „Ich wusste nicht, dass es Sperrgebiet war“, verteidigte sich der Blondschopf trotzig. „Das ist nicht unser Problem!“ „Wie wär’s mit einem Deal. Ich zahl eurem Boss das Geld zurück, was ich eingenommen hab und wir vergessen die Sache“, schlug er hoffnungsvoll vor. Doch die Schränke schüttelten den Kopf. „Es geht unserem Boss nicht um das Kleingeld. Ihm geht’s um’s Prinzip. Er mag es nicht, wenn man ihm in seine Geschäfte pfuscht.“ Kyo stöhnte genervt und warf einen unsicheren Blick auf Die. Warum hatte der Rotschopf nicht einfach verschwinden können, wir er es ihm befohlen hatte? Jetzt hing er da mit drin. „Also schön. Dann erteilt mir ne Lektion. Aber lasst ihn…“, er deutete auf den Gitarristen, „…da raus!“ Die sah den Kleinen erstaunt an. Seit wann machte Kyo sich denn bitte Sorgen, was mit ihm geschah? „Der hatte seine Chance abzuhauen. Jetzt ist’s zu spät für Einsicht“, meinte einer der Schränke kalt. „Er hat doch gar nichts damit zu tun“, versuchte Kyo erneut an ihr Gewissen zu appellieren, doch er stieß nur auf gleichgültige Ohren. Dann ging alles ganz schnell. Blitzschnell packte ihn einer der Zwei an beiden Armen, drehte sie ihm hinter den schmalen Rücken und hielt ihn fest. Wütend versuchte sich der kleine, kräftemäßig benachteiligte Sänger zu befreien, riss und zerrte, trat und kratzte, schimpfte und spukte, aber alles umsonst. Der andere Riese musterte ihn amüsiert. Für sie war das alles nur ein Spiel. Ein grausames Spiel. Nicht gerade sanft ergriff er Kyos Kinn und zwang ihn in das kantige Gesicht seines Gegenübers zu blicken. „Den gleichen Fehler wirst du bestimmt kein zweites Mal machen. Dafür garantieren wir.“ Er zeigte seine gelben schiefen Zähne, als sich seine trockenen Lippen zu einem gehässigen Grinsen verzogen. Kyo verzog angewidert das Gesicht, als ihm herber Mundgeruch entgegen wehte. Störrisch versuchte er sich aus dem Griff zu befreien, doch er erreichte lediglich, dass sein Gegenüber den Druck nur noch verstärkte. Wütend bleckte er seine Zähne und ließ ein leises Knurren verlauten. „Bist wohl eine kleine Wildkatze?“ kommentierte der Riese belustigt, als er seine freie Hand an Kyos Hals hinab über seine Brust gleiten ließ. „Du kannst bestimmt noch andere Sachen, nicht wahr? Das könnt ihr Straßenköter doch alle.“ Bedeutungsschwanger hing diese Behauptung in der Luft. Kyos Augen weiteten sich entsetzt und schon schob sein Gegenüber die raue grobe Hand unter das eng anliegende Oberteil und begann über die junge seidige Haut zu streichen. Der Kleine war wie erstarrt, seine Augen wirkten glasig, sein Blick distanziert und leer. Endlich kam wieder Bewegung in Die. Mit einem Satz war er neben seinem gelbhaarigen Freund angekommen. „Nimm deine Dreckspfoten von ihm“, knurrte er bedrohlich und versuchte ihn von Kyo wegzustoßen, doch er hatte einfach nicht genug Kraft. Der Mann begann zu lachen. „Wie niedlich? Willst du deinen kleinen Freund beschützen? Aber schau doch, er wehrt sich gar nicht. Es scheint ihm zu gefallen.“ Wie zur Bestätigung ließ er seine Hand tiefer sinken und schob sie unter den Bund von Kyos weit sitzender Jeanshose. Die warf seinem Bandkollegen einen besorgten Blick zu. Der Kleine war ganz blass, fast weiß. Keine Regung ging durch seinen fragilen Körper, nur die schmalen Schultern bebten. Was war los? Wieso wehrte er sich nicht mehr? Der Rotschopf startete einen erneuten Angriff auf den Riesen, versuchte ihn von Kyo abzulenken, damit dieser endlich seine Fassung wieder erlangte. Er wusste, dass wenn er jetzt gewalttätig wurde, der Kampf erst richtig entflammen würde, aber sie steckten eh schon viel zu tief drin. Und so ließ er seiner Faust freien Lauf. Ungebremst traf sie ihr Ziel. Ein ekliges Knacken, ein schmerzerfüllter Schrei, dann Stöhnen. Hastig kniff Die seine Augen zusammen. Seine Hand brannte. Aber es tat gut. So unglaublich gut. Niemand rührte seinen Kyo an! Niemand! Der Moment des Triumphs ging jedoch so schnell vorbei, wie er gekommen war. Schon stand der Schlägertyp wieder auf beiden Beinen, einen rasenden Ausdruck in den funkelnden Augen. Blut strömte aus seiner Nase, über seine Lippen, sein Kinn und troff in seine schwarze Kleidung. Er hatte ihm wohl die Nase gebrochen. Zufriedenheit machte sich in Die breit. „Das wirst du bereuen“, grollte der Blutverschmierte zornig. Zufriedenheit wich Angst. Die wusste, dass er gegen diesen Riesen wenig ausrichten konnte. Und gegen einen wütenden Riesen noch viel weniger. Der ersten Rechten konnte er noch ausweichen, auch der zweite Schlag ging an ihm vorbei, doch der dritte traf schließlich sein Ziel. Stöhnend ging Die zu Boden, die Arme um den schmerzenden Leib geschlungen. So hatte er sich den Nachmittag nicht vorgestellt. Wahrlich nicht. Breitbeinig baute sich der zornige Gigant vor ihm auf, blitzte mordlüstern auf ihn herab. Der Rotschopf schluckte, Panik begann seinen Verstand zu benebeln. Ein Blick zu Kyo zeigte ihm, dass der Kleine sich endlich wieder aus seiner Erstarrung gelöst hatte. Verzweifelt versuchte er sich aus dem eisernen Griff des zweiten Kolosses zu befreien. In diesem Moment begriff Die, dass sie verloren hatten. Sie waren hoffnungslos unterlegen. Eine Sekunde später zerstob der Gedanke in alle Himmelsrichtungen, als Schmerz seinen Kopf flutete. Sein Gegner hatte ihn an den Haaren gepackt und wieder in die Höhe gerissen. Ein schmerzerfüllter Schrei entfloh seiner Kehle. Ein Schrei, der Dies Peiniger nur noch anzuregen schien. Doch gleichzeitig setzte jener Schrei auch etwas in Kyo frei. Es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Mit einem kräftigen Ruck riss er sich los, wand sich um hundertachtzig Grad und rammte seinem Gegenspieler das Knie in die Weichteile, sodass dieser vor Schmerz zu Boden ging. Wie ein Berserker begann der kleine Sänger ihn mit seinen Fäusten zu bearbeiten, bis er sich nicht mehr rührte. Blut spritzte nach allen Seiten. Schon längst war kein Laut mehr zu hören. Keine Regung. Kein Lebenszeichen. Die verfolgte das grauenerregende Spektakel mit fassungslosen Augen. „Er ist ein Monster“, hörte er die erstickte Stimme seines eigenen Folterknechts, der ebenso entsetzt inne gehalten hatte. Dies Augen fixierten seinen Gegenüber. Wut begann seine Sicht zu blenden, seine Vernunft in dunkle Ecken zu treiben. „Er ist kein Monster!“ widersprach er vehement und der Hass, der sich in ihm anstaute, gegen die inneren Felsen brandete und Stein zum Stürzen brachte, entlud sich in einem gewaltigen Schlag. Doch so wie sein eigener Zorn den Weg an die Oberfläche fand so fand ihn auch der seines Gegners. Beinah sekundengleich schlugen die zwei ungleichen Körper auf der harten Erde auf. Kraftlos sackten die Köpfe zur Seite. Regungslos blieben sie liegen, eingehüllt in einen unreinen Mantel aus Dreck und Staub. … Mühsam erhob sich ein gelber Haarschopf. Leere Augen blickten distanziert über das Schlachtfeld. Blutverklärte Sicht. Rote zitternde Hände. Sinkender Staub. Ummantelt von Dreck sinkt die Welt in niedrigste Sphären. Nur Gewalt und Schmerz wandelt über tote Erde. Auf ihr rotes Haar. „Die!“ Ein Rütteln. „Die?!“ Kein Regen. „Diiiiie!“ Nur Stille. Und rot… ~ooOoo~o~ooOoo~ (1) Filth, englische Übersetzung von tattered cloth; ich hab es bei der Übersetzung ins deutsche ein wenig abgewandelt an manchen stellen (2) Diese Verse hat Kyo zu dem Song "Taiyou no ao" geschrieben. Übersetzt von mir Hier ist das Original: 冷たすぎる心 それは 何処までも深 く 何処までも冷たく 凍てついている その心は 触れる物全てを 真っ赤な太陽の 様に全てを焼き尽くす (3) wie der Titel schon sagt ist das der Song "Mazohyst of decadence", auch das ist keine 1:1 Übersetzung, ich hab einiges zugunsten dieser FF umgeändert Kapitel 5: 愛しいのサイコホラー --------------------- Chapter 5 愛しいのサイコホラー (Geliebter Psycho Horror) *Kaoru Niikura* Könnte ich dich retten, ich würde es tun. Doch liegt es nicht an mir, deine Seele aufzufangen. Alles was mir bleibt, ist die Scherben zu kitten. Doch die Risse zu heilen vermag ich nicht. *** „Wo ist er?“ Wie ein losgebrochener Orkan stürmte er den schmalen sterilen Flur entlang. Alle tadelnden und missbilligenden Blicke missachtend packte er Kyo bei den Schultern und begann ihn zu schütteln, als wenn er so seine Antwort bekommen würde. „Sag mir, was passiert ist!“ „Ganz ruhig, Kao“, versuchte Toshiya seinen Freund zu beruhigen und zog ihn von Kyo fort. „Nein!“ Er versuchte sich loszumachen. „Sag es mir“, drängte er. Kyo hob langsam seinen Blick, betrachtete die besorgten braunen Augen des Bandleaders. „Es war… ein Kampf“, erklärte er stockend. „Zwei Männer. Sie haben uns überfallen, wollten uns ausrauben.“ Toshiya starrte ihn entgeistert an. „Diebe? Und die überfallen einen am helllichten Tag?“ Er war wohl soeben aus seiner naiven Illusion von einer gut behüteten Welt gerissen worden. „Wo ist er?“ wiederholte Kaoru seine Frage. Der kleine Sänger deutete nur stumm auf eine Tür zu ihrer Rechten und schon war der Violetthaarige verschwunden. *** Das weiße Zimmer war in Stille getaucht. Ein einsames Bett, ein Nachtschrank, ein Stuhl, einige unbenutzte Apparate in der Ecke. Monotonie. Sterilität. Gleichgültigkeit. Kaoru erschauderte bei dem Anblick. Dann fiel sein Blick auf das rote Haar. Flammend stach es hervor, hob sich wie ein Blutfleck von der Reinheit des Raumes ab. Einige scheue Schritte noch, ein sorgenvoller Ausdruck im Gesicht. Langsam ließ er sich auf das weiße Laken sinken, ergriff die bleiche reglose Hand. Sie war kalt. Behutsam hob er sie an seine Wange, wärmte sie, streichelte die makellose Haut. Eine Tür öffnete sich, fiel erneut ins Schloss. Stille. Dann Schritte. Eine scheue Hand auf seiner Schulter. „Es waren keine Diebe!“ Eine Behauptung. Kühl kam sie über die verbitterten Lippen. „Nein.“ Die ehrliche Antwort. „Wo hast du ihn da mit hineingezogen?“ Schweigen… „Das kann ich dir nicht sagen.“ „Wieso nicht?“ Zorniges Funkeln in feuchten Augen. „Ist es illegal?“ Keine Antwort. Nur erdrückende Stille. „Es tut mir Leid, Kaoru. Ich wollte nicht, dass einem von euch etwas passiert.“ Der Ältere lachte trocken. „Natürlich nicht.“ Er drehte den Kopf, sah auf die reglose Gestalt hinab. Das wüste rote Haar hing ihm in die geschlossenen Augen. Er wirkte so friedlich. So unschuldig. Kein freches Grinsen lag auf seinen Lippen, keine Grübchen zierten seine Wangen. „Sie sagen er hat eine leichte Gehirnerschütterung. Nichts schlimmes.“ Wütend fuhr Kaoru herum. „Und du denkst das rechtfertigt es? Weil es ja nichts schlimmes ist?“ „Das hab ich nicht behauptet!“ „Es hätte auch anders ausgehen können!“ „Ich weiß.“ „Er verachtet Gewalt.“ „Kaoru…“ „Sein Vater schlägt ihn! Wusstest du das?“ „…“ „Natürlich nicht! Es interessiert dich ja auch nicht. Er ist dir egal.“ „Das stimmt doch überhaupt nicht“, widersprach der Blondschopf schwach. „Und ob es stimmt. Wann hast du je versucht mit ihm auszukommen? Wann hast du je ein vernünftiges Wort mit ihm gewechselt ohne ihn anzuschnauzen? Dabei hat er sich wirklich um deine Freundschaft bemüht!“ Kyo fuhr sich mit der rechten Hand über die müden Augen. Das letzte, was er jetzt brauchte, waren Vorwürfe und Anschuldigungen. „Kaoru, was willst du eigentlich von mir? Ich hab mich doch schon entschuldigt. Mehr kann ich nicht tun!“ Er seufzte lautlos. „Ich kann es nicht rückgängig machen. Was erwartest du?“ Langsam ließ der Violetthaarige seinen Kopf sinken. Er hatte nicht so laut werden wollen. Kyo sah erschöpft aus. Es war sicher auch ein harter Tag für ihn gewesen. „Ehrlichkeit“, war schließlich die ruhige Antwort. Resigniert schüttelte der Sänger die gelben Haare. „Ich kann es dir nicht sagen. Ich würde euch nur auch noch mit hineinziehen.“ Und auf einmal war die Wut wieder da. „Findest du das fair? Wir hängen da doch eh schon mittendrin! Alles, was dich betrifft, geht uns auch etwas an.“ „Nein, tut es nicht“, entgegnete Kyo resolut. Er hatte endgültig genug. „Hört endlich auf euch in mein Leben einzumischen. Alle!“ Er warf einen Blick auf Dies reglose Gestalt. „Er ganz besonders. Wenn er mir weiterhin hinterher schnüffelt vergess ich mich!“ Entrüstet presste Kaoru seine Lippen aufeinander. „Was fällt dir ein?!“ Lodernd begann die Wut in ihm hoch zu kochen. Er war so frustriert, so zornig. Wie konnte Kyo nur so reden, nach allem was war? „Alles, was Die wollte, war dir zu helfen. Wo auch immer du drin hängst. Er hat dich nicht verraten. Er hätte es mir erzählen können, jederzeit. Hat er aber nicht. Weil er deine Wünsche respektiert. Ich weiß nicht, was du angestellt hast, dass irgendwelche Schlägertypen hinter dir her sind. Es scheint nichts Gutes zu sein, aber Die hat trotzdem zu dir gehalten.“ „Ich hab ihn nie darum gebeten!“ verteidigte sich Kyo mindestens ebenso laut. „Was kann ich dafür, dass dieser Idiot so stur ist? Ich hab ihm gesagt, dass er verschwinden soll, mehrmals. Aber er hat ja nicht auf mich gehört.“ Ein heiseres Lachen entrann Kaorus Kehle. Es klang nicht im Mindesten amüsiert. „Natürlich nicht. Denkst du allen Ernstes er lässt dich da einfach allein zurück?“ „Ja, verdammt!“ „Nein, du Idiot!“ „Wieso nicht? Was um Himmels Willen ist los mit dem Typ?!“ „Raffst du es wirklich nicht? Er liebt dich, verdammt noch mal!“ Jetzt war es raus. Kaoru wusste, dass es eigentlich nicht an ihm war, dieses Geheimnis zu lüften, doch in jenem Moment genoss er den fassungslosen Ausdruck in Kyos Gesicht einfach. „…….. WAS?!?“ “Du hast schon richtig verstanden!” erwiderte der Ältere kühl. „Willst du mich verarschen?“ Unglauben spiegelte sich in Kyos Augen wieder. „Mich?“ „Siehst du noch jemanden in diesem Raum?“ „Aber… ich dachte… du und er… nicht?“ Kyo war sichtlich verwirrt. Kaoru hob eine Augenbraue. „Du dachtest wir zwei wären zusammen?“ Ein knappes Nicken. Der Leader lachte humorlos. „Schön wär’s. Aber Die will nichts von mir.“ „Aber du von ihm?“ hakte der Kleine nach. „Das spielt keine Rolle.“ „Wieso nicht?“ „Er weiß nichts von meinen Gefühlen. Und so wird es auch bleiben.“ „Aber..warum?“ Ein verbitterter Blick. „Weil er dich liebt.“ Wieso nur hatte Kyo das Gefühl, dass Kaoru ihm einen Vorwurf machte? „Und genau das will einfach nicht in meinen Kopf. Warum mich?“ „Das verstehe ich genauso wenig wie du. Glaub mir, mir wäre jeder andere lieber.“ Kyos Augen verengten sich leicht. So viel Ablehnung hätte er von Kaoru gar nicht erwartet. „Ich will dich nicht dafür verantwortlich machen“, versuchte der Leader ihn zu beschwichtigen. „Aber ich will auch nicht länger zusehen müssen, wie er leidet. Deine kühle Art, die ständigen Abweisungen. Es macht ihn fertig.“ Kyo schwieg. Ein nachdenklicher Ausdruck hatte sich in seine Züge geschlichen. Erst ein zaghaftes Klopfen zerriss die Stille. Toshiyas blauer Kopf tauchte in der Tür auf. „Was schreit ihr so rum?“ Ein kleiner Schubs von hinten beförderte ihn ganz ins Zimmer. Hinter ihm trat Shinya ein. Kaoru senkte betreten den Kopf und sah zu Die. Er schlief noch immer. Zum Glück. Sie hätten dennoch mehr Rücksicht nehmen und nicht so laut machen oder wenigstens das Zimmer verlassen können. Liebevoll strich er durch das seidig rote Haar. „Ist er ok?“ fragte Shinya betroffen. Er war zwar nie so gut auf Die zu sprechen gewesen, aber ihn jetzt so daliegen zu sehen machte ihm klar, wie wichtig ihm der Rotschopf in Wirklichkeit war und wie banal ihm plötzlich all ihre kleinen Streitereien erschienen. „Ja, er ist ok“, flüsterte Kaoru, während sein Blick langsam über das schlafende bleiche Gesicht wanderte. Ein verträumtes Lächeln legte sich über die Ernsthaftigkeit und vertrieb die Anspannung in seinen Zügen. Toshiya klammerte sich Halt suchend an Shinya. Jetzt hatte er seine Antwort. Er würde nie einen Platz in Kaorus Herzen einnehmen können, solange dieses Herz noch an einer anderen Person hing. Die. Kaoru liebte Die. Dass er das nicht vorher gesehen hatte. Eine tröstende Hand umfasste seine und drückte sie. Ein ermutigendes Lächeln. Ja, Shinya war da. Die Welt würde nicht untergehen. Vielleicht würde sein Herz eine Weile weinen, aber auch Tränen trockneten irgendwann. Und das Leben ging immer weiter. Ein tapferes Lächeln überwand den Schmerz. Er schenkte es Shinya. Hier waren sie also. Fünf Freunde, fünf Bandkollegen. In einem kleinen weißen Zimmer, monoton und steril, und doch angefüllt mit Emotionen. Jeder in seinen eigenen Gedanken verloren. Füreinander da und doch jeder für sich allein. Kyo hatte das Gefühl zu ersticken. Noch immer von Unglauben und Fassungslosigkeit gepackt starrte dieser in das blasse friedliche Gesicht, eingerahmt in rote Seide. Er wurde geliebt. ER?! Wie konnte ihn jemand lieben? Diese verabscheuungswürdige Kreatur voller Kälte und Schmerz. Nicht einmal seine eigene Mutter hatte ihm je diese Gefühle entgegen gebracht, geschweige denn ein fremder Mensch. Er kannte diese Emotionen überhaupt nicht, wusste nicht, wie es sich anfühlte zu lieben, noch wusste er, wie es war geliebt zu werden. Was sollte man fühlen? Wie musste man reagieren, wie sich verhalten? Unsicher stolperte er zurück, weg von ihm, weg von allen, die wussten, wie man fühlte, die wussten, wie es war. Er fühlte sich so fremd, so überfordert mit der Situation. Kyo war anders. Kyo dachte anders. Kyo fühlte anders. Kyo lebte anders. Vielleicht hätte er seinen alten Prinzipien treu bleiben sollen. Immer war er ein Einzelgänger gewesen. Freunde zu haben war neu. Es war anders. Und er hasste Veränderungen. Unbeachtet verließ er das Zimmer, brachte immer mehr Distanz zwischen sich und das normale Leben. Seine Schritte wurden schneller, er rannte, rannte die weißen Flure entlang. So steril. Der Geruch. Es machte ihn wahnsinnig. Er hasste diesen Geruch, hasste weiße Flure, hasste das weiße kalte Licht, die großen Fenster, die man nicht öffnen konnte, hasste diesen Ort, und andere Orte wie diesen, in dem alles Leben seinen Anfang nahm und auch sein Ende wieder fand. Ein Gefängnis der Gefühle, wo Freud und Leid sich vermischten, wo Angst und Anspannung einen wilden Tanz aufführten und Zeit zum größten Feind wurde. Dieser Ort erstickte ihn. Er musste hier raus. Und so trugen sie ihn fort, die kurzen Beine, die zitternden Knie, der erschöpfte Verstand. *** Mehrere Wochen zogen ins Land und der Alltag kehrte wieder ein. Es wurde kein Wort mehr über den Vorfall verloren, als wäre es nie geschehen. Und doch war etwas anders. Kyo war anders. Zwar hatten die regelmäßigen Streitereien zwischen ihm und Die gewaltig abgenommen, doch herrschte auch sonst so gut wie Funkstille zwischen ihnen. Kyo hatte sich verschlossen, ging jedem so gut wie möglich aus dem Weg und sprach nur das Nötigste mit ihnen. Zu den meisten Unterrichtsstunden erschien er gar nicht erst und auch während der Proben hielt er sich zurück. Nur wenn er das Mikro zur Hand nahm kam der alte Kyo durch. Dann schrie er wieder, mit aller Kraft schrie er sein Herz zu Tage, legte alle Frustration, die Verwirrung und den Schmerz der Hilflosigkeit in seine Stimme, als wolle er alles hinausschreien, seine Emotionen aus sich heraus würgen, sich übergeben. Die schwieg weiterhin. Kyos Geheimnis war bei ihm sicher. Doch auch von dem Gespräch zwischen Kaoru und Kyo erfuhr er nie. *** Ein nervtötendes Klingeln durchbrach das harmonische Zusammenspiel der drei Gitarren. Unbeirrt sang Kyo weiter, ungeachtet dessen, dass es sein Handy war, welches die Probe störte. Nach dem achten Klingeln jedoch setzten die Instrumente langsam aus. „Da ist aber jemand hartnäckig“, meinte Toshiya anerkennend. „Ich würd mal sagen, da ist jemand heiß begehrt. So oft wie Kyos Handy in letzter Zeit geklingelt hat hat meins in 3 Jahren nicht geklingelt“, meinte Kaoru. „Ui, hat unser Kyo-chan etwa eine Verehrerin? Oder einen Verehrer?“ Ein kesses Grinsen schlich sich auf Toshiyas Lippen. Ein knapper Blick nach links hinten bewies, dass Die bei diesem Kommentar den Kopf gesenkt hatte und so tat, als würde seine Gitarre all seine Konzentration beanspruchen. Jetzt, wo Kyo von den Gefühlen des Rothaarigen wusste, erkannte er es viel leichter. Es war erstaunlich, dass es ihm nicht früher aufgefallen war. „Nein verdammt“, presste er schließlich die gereizte Antwort zwischen seinen Zähnen hervor. Nicht nur, dass Toshiya es einfach nicht lernte, dass er seinen Namen nicht verniedlichen sollte, nein, dieses blöde Handy gab ihm auch noch den Rest. „Willst du nicht vielleicht rangehen?“ meldete sich Shinya schüchtern zu Wort. Ohne zu antworten stapfte der kleine Gelbschopf auf seine Jacke zu und begann die einzelnen Taschen zu durchwühlen, ehe er ein schwarzes altmodisches Handy aus den Tiefen herauf beförderte. Wütend starrte er die vier kleinen blinkenden Buchstaben an. HOME. Unter diesem Namen hatte er die Nummer seines Chefs abgespeichert, um eventuelle neugierige Spürnasen in die Irre zu leiten. Er konnte den Anruf jetzt einfach wegdrücken, doch es würden weitere Anrufe folgen, da war er sich sicher. Seit mehr als zwei Wochen hatte er sich jetzt nicht mehr gemeldet. Wann immer sein Chef ihn zu sprechen wünschte, hatte er ihn ignoriert. Er hatte keine Lust mehr. Keine Kraft mehr. Er wollte aussteigen. Aber so einfach war das nicht. Erst gestern hatten zwei Bulldozer von Männern vor seiner verschlossenen Tür gestanden und wie wild auf das stabile Holz eingeschlagen. Er hatte nicht geöffnet. Aber es war nur eine Frage der Zeit bis sie sich irgendwann gewaltsam Eintritt in sein Reich verschaffen würden. Er konnte ihnen nicht ewig aus dem Weg gehen. Jedenfalls nicht, wenn er weiter dort wohnte. Aber wo sollte er sonst hin? Der nervige Klingelton begann erneut von vorn und riss Kyo aus seinen düsteren Gedanken. Mit einem frustrierten Laut schmiss er das Teil gegen die nächste Wand. Ein lautes Scheppern. Das Brechen von Plastik. Dann verstummte das Klingeln. Alle Blicke richteten sich entgeistert auf Kyo. „Es einfach auszuschalten hätte auch gereicht“, meinte Toshiya kleinlaut. Das bitterböse Funkeln in Kyos Augen erstickte jeglichen weiteren Kommentar im Keim. Damit war das Thema abgehakt. Verloren und verlassen lagen die Einzelteile des einstigen Mobiltelefons noch Tage später in der Ecke. Doch dass sich Probleme so nicht aus der Welt schaffen ließen, wurde Kyo sehr schnell bewusst gemacht. *** Unruhig hüpfte Die vor der geschlossenen Tür von einem Fuß auf den anderen. Noch eine Minute bis zum Stundenende. Wieso musste die Zeit immer so schleichen, wenn man es eilig hatte? Noch dreißig Sekunden. Fünfzehn. Zehn. Fünf. Drei. Zwei. Eins. Endlich das erlösende Klingeln. Achtlos stieß er die Klassenzimmertür auf und drängelte sich zwischen den zusammenpackenden Schülern hindurch. „Kao!“ rief er über den Krach. Ein violetter Kopf hob sich. Er war gerade damit beschäftigt gewesen den Inhalt seiner, von irgendeinen unachtsamen Idioten hinunter gestoßenen, Federmappe wieder aufzusammeln. „Kyo ist verschwunden!“ Verdutzt hielt der Ältere in seinem Tun inne. „Wie verschwunden?“ „Er war seit gestern nicht mehr im Unterricht.“ Kaoru hob eine seiner fein geschwungenen Augenbrauen an. „Ich denk er schwänzt eh dauernd.“ „Ja, aber alle Stunden? Außerdem hatten wir heute Mathe. Das hat er noch nie geschwänzt. Irgendwie mag er dieses Alptraumfach, weiß der Geier warum“, argumentierte Die. Der Violetthaarige schulterte seine Schultasche. „Vielleicht hat er grad irgendne Null-Bock-Phase.“ „Das glaub ich nicht.“ Ein verzweifelter Ausdruck schlich sich in die besorgten Züge. „Ich hab ein ungutes Gefühl.“ „Die. Beruhig dich erst mal.“ Nebeneinander verließen sie das inzwischen leere Klassenzimmer. „Ich kann mich nicht beruhigen. Ich hab eben an jedem Fleckchen auf dem Schulgelände nachgeschaut, wo er sich manchmal aufhält, wenn er schwänzt. Aber er war nirgends.“ „Vielleicht ist er zuhause oder irgendwo in der Stadt. Vielleicht hat er ja das dringende Bedürfnis verspürt shoppen zu gehen oder er haut sich grad an irgendeinem Imbissstand die Wampe voll. Die, es gibt Tausende Orte, an denen er sich jetzt aufhalten könnte.“ Der Rothaarige seufzte geschlagen. Er wusste, dass Kaoru Recht hatte, und dennoch half ihm dieser Gedanke kein wenig sich zu beruhigen. Die Angst blieb. Schließlich war er der Einzige, der wusste, wo Kyo da drin hing. Schon vorgestern, als Kyo sein Handy in rasender Wut gegen die Wand gepfeffert hatte, war ihm klar geworden, dass irgendetwas nicht stimmte. „Warten wir es doch erst einmal ab“, meinte Kaoru, als sein Freund weiterhin schwieg. „Zur Probe kommt er bestimmt. Er hat noch keine einzige geschwänzt.“ Die nickte abwesend, hatte er sich doch schon längst in den schlimmsten Horrorszenarien verloren, die seine Imagination heimsuchten und seine Angst um Kyo in immer höhere Dimensionen trieben. Kaoru maß seinen besten Freund besorgt. Der Kleine schien seit dem Vorfall noch mehr an Kyo zu hängen. Es machte ihn vollkommen fertig nicht zu wissen, wie es dem gelbhaarigen Sänger ging. Der Leader war wütend. Wütend auf Kyo, weil er sich nicht im Mindesten gebessert hatte seit sie dieses Gespräch oder vielmehr diesen Streit geführt hatten. Zwar stritt er sich kaum mehr mit Die, doch sprach er auch sonst kein Wort mehr mit ihm. Nein, das war keine Verbesserung, es war vielmehr eine Verschlechterung. Und Die litt darunter. Wie musste er sich fühlen, wenn er, der Kyos Nähe suchte, sich nach ihr sehnte, nur stumm mit ansehen konnte, wie der kleine Sänger ihm krampfhaft aus dem Weg ging? Kaoru war sich beinahe sicher, dass der Rotschopf sich ihre Streitereien zurückwünschte, nur um Kyo nahe sein zu können. Nicht zu wissen, wo er war, immer mit der Angst lebend, dass ihm etwas passiert war, musste eine schlimme Erfahrung sein. Und sie wurde zunehmend schlimmer, denn auch zur Probe ließ sich der Gelbschopf nicht blicken. *** Den ganzen verbliebenen Nachmittag war er umher gestreift, hatte den Park durchsucht, war Strecken abgelaufen, von denen er wusste, dass Kyo sie manchmal entlang lief, hatte Leute gefragt, ob sie ihn gesehen hatten. Erfolglos. Der kleine Sänger blieb wie vom Erdboden verschluckt. Panik hatte sich längst in ihm ausgebreitet. Der Gedanke, dass Kyo wirklich seelenruhig zuhause sitzen oder irgendwo shoppen gehen konnte, kam ihm nicht. Nicht einmal anrufen konnte er ihn, da der Blonde ja erst vor zwei Tagen sein Handy zertrümmert hatte und er seine Festnetznummer nicht kannte, sofern er denn überhaupt eine hatte. Er wusste ja nicht einmal Kyos Adresse. Es war aussichtslos. Um seinen Tag abzurunden hatte es inzwischen sogar zu regnen begonnen. Das perfekte Wetter, um seine niedergeschlagene Stimmung auszudrücken. Völlig durchnässt bog er in seine Straße ein und steuerte seinen Hauseingang an, als er aus den Augenwinkeln etwas Gelbes durch das Grau leuchten sah. Abrupt hielt er inne und fuhr herum. An eine Hausmauer gelehnt saß er, den Kopf gesenkt, die Arme eng um den eigenen Leib gepresst. „Kyo“, entfuhr es ihm, als Erleichterung sein Inneres flutete. So lange hatte er ihn gesucht und nun musste er feststellen, dass der Blondschopf genau vor seiner Haustür auf ihn gewartet zu haben schien. Ein ironisches Lächeln erklomm seine Züge. Mit wenigen Schritten war er bei ihm. „Du Idiot, was machst du denn bei dem Sauwetter hier draußen? Wo warst du überhaupt? Ich hab dich überall gesucht“, fuhr er ihn an, doch Kyo reagierte nicht. Erst jetzt, aus der Nähe betrachtet, fiel ihm auf, dass der Jüngere wie Espenlaub zitterte. Erleichterung wich Sorge. „Kyo?“ Langsam sank er neben ihm in die Hocke. Seine rechte Hand legte sich behutsam auf die schmale zitternde Schulter. Doch wie sanft und sacht die Berührung auch war, Kyo zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Ein leises Wimmern drang über seine feuchten Lippen. Erschrocken zog Die die Hand wieder zurück und maß den Kleinen vor ihm aus besorgten Augen. Regenwasser perlte in einem fort über sein blasses Gesicht und ließ ihn noch elender erscheinen. Die sonst so struppigen Haare hingen ihm wirr ins Gesicht. Seine gesamte Haltung wirkte verkrampft. Er wirkte so verloren wie er da saß, zusammengekauert, versteckt im Schatten eines Hauses, die Arme um seinen Bauch geschlungen, die Beine dicht an den Körper gezogen. //Wie ein verängstigtes Tier// schoss es Die durch den Kopf und Wut stieg in den tiefbraunen sorgvollen Augen auf. Ein Auto fuhr vorbei, tauchte das trübe Grau für einen Moment in hellen gelben Schein, ließ das Grauen noch viel detaillierter erscheinen. Erneut zuckte das kleine Wesen zusammen. //Wer hat dir das angetan, Kyo?// Unkontrolliert begannen seine Augenlider zu flackern ehe sich die braunen Lichter in seinen Kopf zurück rollten. Unmenschliche Laute verließen die verkrampfte Kehle und brachen über einem hilflosen Rotschopf herein. //Wer auch immer es war, er wird dafür zahlen!// +~~~ Ein junger Mann, klein und zierlich. Sonnengelbes Haar, zerzaust nach allen Seiten stehend. Silbergraues Metall im Gesicht. Die Schritte energisch, spiegeln den Zorn, den er empfindet, wühlen den Staub auf, den seine Wut nicht zu Tode zu stampfen vermag. Er bleibt stehen, schaut sich um. Eine Erinnerung? Ein Déjà vu? Unsichtbare Gewalten zerreißen die Szene, Geräusche erfüllen die Stille, ein Klingeln, dann Scheppern. Zerbrochene Einzelteile eines Handy erscheinen wie aus dem Nichts, zieren den Staub, der langsam gen Boden hernieder sinkt, alles unter sich begräbt. Stille legt sich über die dunkelnde Landschaft. Bäume wachsen aus dem Boden. Gräser und Farne sprießen durch den kalten Beton, brechen ihn auf. Das alte Schulgemäuer versinkt geräuschlos in der Tiefe, als würde ein gieriger Schlund es verschlingen. Hinab in die Finsternis. Das furchtlose Zwitschern von Vögeln zerbricht die Sekunden der Trance in Tausend Scherben. Freche Sonnenstrahlen blinzeln durch das dichte Blätterdach der Bäume. Ein anderer Ort. Derselbe Junge. Eilig beschreitet er den steinigen Weg des Parks. Stämme ziehen an ihm vorbei, zieren seinen Pfad. Grün vermischt sich mit den Farben des Lebens. Die Welt beginnt zu schwinden und erst als der Farbwirbel sich erneut lichtet erscheint eine dritte Landschaft im Bild. Hohe graue Häuserfronten wuchern wie Unkraut am Wegesrand eines breiten grauen Betonflusses über dessen glatte Oberfläche bunte metallene Unheuer schießen. Das Quietschen von Rädern, das Geräusch einer sich öffnenden Tür. Starke Hände greifen nach der vorbei gehenden Gestalt, zerren sie gewaltsam in den Magen des Untiers, ehe das metallene Maul mit einem lauten Knall wieder zuspringt und das Monster in der rollenden, flüchtenden Herde untertaucht. Zurück bleibt nur ein leerer wimmernder Fleck voll Einsamkeit und die Erinnerung an einen leuchtend gelben Schopf im bedrückenden Licht der beobachtenden Sonne. ~~~+ Eine scheue Hand, ein ängstliches Zucken. Es war wie ein grausames Spiel und Die schien daran zu verzweifeln. „Kyo, ich bin’s. Die“, redete er immer wieder auf den Sänger ein, der ihn einfach nicht zu erkennen schien und sich immer stärker gegen die Hauswand presste, als wolle er darin versinken. „Die, der Blödmann. Die, die Nervensäge. Komm schon, Kyo, bitte!“ Der Rotschopf war den Tränen nahe. „Ich will dich doch nur ins Trockene bringen. Du holst dir hier draußen den Tod.“ Erneut griff er mit beiden Händen unter Kyos Arme, um ihn hochzuheben, doch ein gequälter Schrei zerriss den Versuch. Erschöpft ging er vor dem Kleineren auf die Knie. Augenblicklich sogen sich seine Hosenbeine voll mit Wasser, doch das war ihm im Moment gleichgültig. „Was hat man dir nur angetan?“ Hilflos betrachtete er seinen mitgenommenen Freund. Das Zittern hatte sich die letzten Minuten nur noch verschlimmert. Er musste handeln, und zwar schnell. Entschlossen schob er seine linke Hand hinter Kyos Rücken und schlang seinen anderen Arm unter die zitternden Knie. Die Schmerzenslaute und gequälten Bewegungen des Kleineren tapfer ignorierend, hob er ihn sanft auf seine Arme. Ein letztes kraftloses Wimmern und der gelbe Kopf sackte haltlos gegen Dies muskulöse Brust. Der Schmerz musste ihm die Besinnung geraubt haben. +~~~ Grobe Arme schleiften ihn durch die Dunkelheit. Eine vertraute Umgebung und doch so fremd. Einst nannte er es sein Zuhause, doch diese Zeiten waren längst vorbei. Die Hände schwanden, überließen ihn einen Moment der Schwerelosigkeit, ehe er haltlos in die Tiefe stürzte… stürzte bis seine Knie mit dem harten Boden der Realität kollidierten. Schmerz… Ein mächtiger Schreibtisch türmte sich über ihm auf, überragte ihn wie ein drohender Berg. Über dem Gipfel des Giganten thronte ein Kopf, eingerahmt von schwarzem Haar. Spottend sah er zu ihm herab. „Lange nicht gesehen, Tooru“, höhnte das Echo, kroch hinab zu ihm, hinab in die Tiefe. „Es war gar nicht so leicht, dich ausfindig zu machen. Wo hast du dich nur wieder herumgetrieben?“ Langsam stieg der Kopf in die Höhe, gab den restlichen Körper preis. Anmutigen, eleganten Schrittes stolzierte die Gestalt um den Schreibtisch herum, auf ihn zu. „Seit Tagen beschleicht mich das unangenehme Gefühl, dass du mir aus dem Weg zu gehen versuchst. Alle meine Anrufe blieben unbeantwortet. Ich mag es nicht ignoriert zu werden.“ Grob packte er das schmale Kinn den Jüngeren und zwang ihn aufzusehen. Schmerz… „Mir ist zu Ohren gekommen, dass du einige Differenzen mit Yazawas Leuten hattest. Wieso bin ich darüber nicht in Kenntnis gesetzt worden?“ Ruppig versuchte der kniende Junge sich aus dem eisernen Griff zu befreien. Seine Lippen waren zu einem blutleeren Strich zusammengepresst. „Antworte!“ Trotzig hob der Blondschopf seinen Blick. „Ich hab keinen Bock mehr“, kam die ehrliche Antwort. „So?“ Eine spöttische schwarze Augenbraue zog sich in die Höhe. „Keinen Bock mehr. Bedauerlich.“ Die hochgewachsene Gestalt schüttelte bedächtig die schwarzen Haare. „Wirklich bedauerlich. Dann muss ich dich wohl gehen lassen.“ Ein kaltes Lächeln schlich sich auf die leblosen Züge, doch es erstarrte sehr schnell wieder in Ausdruckslosigkeit. „Für wie blöd hältst du mich eigentlich, Tooru? Du glaubst doch nicht allen ernstes, dass du jetzt einfach aussteigen kannst. Du gehörst mir.“ Harte Worte, harte Realität. Ein klirrendes Lachen erklang. „Du hast doch nicht wirklich gedacht, dass du dich ewig vor mir verstecken kannst. Ich habe meine Augen und Ohren überall, dass solltest du langsam wissen.“ Seine Finger schlossen sich enger um Kyos Kinn. Nur noch Schmerz… „Du kannst nicht gewinnen, nicht gegen mich!“ ~~~+ Der kleine schmale Körper in Dies Armen war viel zu leicht. Schützend drückte er ihn enger an sich und ließ seinen Blick über die unschuldigen Gesichtszüge wandern. Nie hatte der Sänger verletzlicher gewirkt, jetzt, wo seine Maske zerbrochen war. Rasch überquerte der Rotschopf die wenig befahrene Straße und überwand die letzten Meter bis zu der Haustür des kleinen Einfamilienhauses der Zweimannfamilie Andou. Zum ersten Mal war es ihm gleichgültig wie viel Lärm er verursachte und wie wütend sein Vater werden würde, wenn er jemanden mit nach Hause brachte. Insbesondere wenn dieser jemand ein männliches Wesen mit der Tendenz zum Weiblichen war. Auf dem rechten Bein balancierend schob er die Tür mit dem linken Fuß ins Schloss und lauschte. Alles blieb still. Sein Vater schien sich wohl ausnahmsweise mal wieder auf Arbeit blicken zu lassen. Zu Dies Glück. Somit blieb das Haus für mindestens eine weitere Stunde ruhig. Mit wenigen Schritten durchquerte er den schmalen dunklen Flur bis zu seinem Zimmer. Seine dreckigen Schuhe hinterließen schlammige Abdrücke auf dem Boden. Noch immer tropfte Wasser aus seinen durchnässten Haaren und Kleidern. Sein Vater würde ausrasten, aber darum konnte er sich später kümmern. Behutsam manövrierte er das bemitleidenswerte Bündel in seinen Armen durch die Enge Türöffnung seines Zimmers und legte ihn sanft auf seinem Bett ab. Liebevoll strich er dem Jüngeren eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Seine Haut war eiskalt und auch das Zittern wollte einfach nicht aufhören. Vielleicht hatte er sich unterkühlt, denn wer wusste schon, wie lange der Kleine bereits im Regen gehockt hatte. Er musste ihm schleunigst die nassen Klamotten ausziehen. Mit scheuen Fingern begann er Kyos blaugemusterte durchscheinende Bluse aufzuknöpfen. Ein durchtrainierter Oberkörper kam zum Vorschein und ließ Die einen Moment inne halten. Beinahe andächtig strich er über die sich abzeichnenden Bauchmuskeln. Fast schon gewaltsam riss er sich wieder von dem Anblick los und begann Kyos Arme aus dem Stückchen Stoff zu schälen. Achtlos schmiss er das Oberteil in die nächste Ecke und machte sich an Kyos Gürtel zu schaffen, als plötzlich eine Bewegung durch den fragilen Körper ging. Erstaunt stellte er fest, dass Kyos Augen geöffnet waren, obwohl „weit aufgerissen“ es wohl eher traf. Erleichterung flutete sein Herz und er ließ für einen Augenblick von Kyos Hose ab, um sich über ihn zu beugen. „Hey“, grüßte er ihn leise und ein winziges Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Du hast mir einen ganz schönen Schreck eingejagt.“ Kyos Augen folgten seinen Bewegungen misstrauisch. Rote geplatzte Äderchen durchzogen das einst so makellose Weiß seiner Augäpfel. Ein undefinierbarer Laut drang über seine Lippen, ehe er sich ruckartig aufsetzte und seine Arme um die entblößte Brust schlang. Die zuckte erschrocken ein wenig zurück und maß seinen Gegenüber verwirrt. „Keine Angst, ich guck dir schon nichts ab“, scherzte er, obwohl ihm alles andere als danach zumute war. „Wir müssen dir noch die nasse Hose ausziehen, dann kannst du dich meinetwegen unter der Decke verkriechen.“ Ein schelmisches Grinsen huschte über seine Lippen und er warf ihm noch einen verlegenen Blick zu, ehe er erneut versuchte den Gürtel um Kyos Hose zu öffnen. „Nein!“ Kyo wich ein Stück zurück bis er mit dem Rücken gegen die Wand stieß. „Kyo, sei doch vernünftig.“ Verängstigt wanderten die braunen Augen hin und her. Er saß in der Falle. „Kyo, du bist ganz nass und frierst.“ Langsam rutschte Die wieder näher. „Ich tu dir doch nichts!“ Zaghaft streckte er seine rechte Hand nach dem Kleineren aus, wie um ihm zu zeigen, dass von ihm wirklich keine Gefahr drohte. „Fass mich nicht an!“ Die Worte waren kaum mehr als ein Zischen, einem in die Ecke gedrängtem Raubtier gleich. Erstaunt starrte der Gitarrist seinen Bandkollegen an. Irgendwie war er mit dieser Situation überfordert. Kyo zitterte wie Espenlaub, war leichenblass, hatten allen Anschein nach Schmerzen und schien zu allem Überfluss auch noch Angst vor Die zu haben. Vielleicht sollte er ihn doch lieber in ein Krankenhaus bringen. Andererseits wollte er Kyo nicht in Schwierigkeiten bringen. Schließlich hatte er keine Ahnung, was mit dem Gelbhaarigen nicht stimmte. Aber dass etwas gewaltig falsch lief wurde ihm wenig später bewusst. +~~~ Wenn Kyo sich früher den Tod vorgestellt hatte, und das hatte er oft getan, so hatte er immer an undurchdringliche Schwärze, Leere und Einsamkeit denken müssen. Jetzt, wo er einsam in einem dunklen leeren Raum eingesperrt war, wusste er, dass er etwas Entscheidendes vergessen hatte. Der Tod fühlte sich kalt an, furchtbar kalt. Und irgendwie unbedeutend. Hier saß er nun und schloss mit seinem Leben ab, und alles was er fühlte, war Nichtigkeit. Zum ersten Mal wurde ihm klar, dass ihm egal war, ob er lebte oder starb. Alles war auf einmal so leicht. Früher war er zu feige gewesen es einfach zu beenden. Wie oft hatte er das Messer bereits angesetzt, um es dann doch wieder beiseite zu legen, als die ersten dünnen Rinnsale Blut die weiße Haut befleckten? Heute wusste er, wenn er nur ein Messer hätte, dann würde er es gleich tun, anstatt darauf warten zu müssen. Er hatte schon mehreren Exekutionen zugesehen, um zu wissen, was ihn erwartete, schließlich war er nicht der erste der diesem Teufelskreis zu entrinnen versuchte. Für gewöhnlich ging es schnell und schmerzlos vorbei. Manchmal ein einfacher, sauberer Schuss ins Herz, manchmal in den Kopf. Wenn er Pech hatte schoss man vorbei und es dauerte eine Weile ehe er verblutete oder sein Herz-Lungen-Kreislauf schlapp machte. Er hatte keine Angst. Was erwartete ihn schon? Schmerz. Das war er gewöhnt. Sein gesamtes Leben war eine einzige schmerzhafte Erinnerung, nicht wert, gelebt zu werden. Und danach? Leere. Dunkelheit. Auch keine sonderlich neuen Erfahrungen. Nichts würde sich ändern. Dann konnte er wenigstens endlich schlafen, ohne sich ruhelos herumwälzen zu müssen, ohne von all den grausamen Bildern erneut überwältigt zu werden, die er seit Jahren versuchte in sein Innerstes einzuschließen, doch ohne Erfolg. Ein Quietschen ertönte, dem Kreischen eines Raubvogels gleich, und Licht flutete das Dunkel, zerriss die Finsternis, bis eine Schattengestalt der Grelle die Stärke nahm. Schritte ertönten, kamen immer näher. „Weißt du Tooru, du warst stets wie ein Sohn für mich“, durchstach eine tiefe Stimme die Stille. Ein grausames Lachen ertönte. “Ich hab dich großgezogen, als deine Mutter starb. Du hattest mehr Freiheiten als viele andere. Und so dankst du es mir? Indem du mir den Rücken kehrst?“ Müde hob Kyo seinen Kopf. „Ich kann nicht mehr“, gab er zu. „Hör auf zu labern und bring es endlich hinter dich.“ Wieder ertönte ein eisiges Lachen, gefühllos und tot. „Du denkst ich bringe dich um?“ Die Gestalt schüttelte den Kopf. „Nein, Tooru, du wirst nicht sterben. Ich werde dich reformieren, damit du wieder klar siehst, wohin du gehörst. Ich werde dich an mich binden, wenn nötig mit Gewalt.“ Auf einen Wink hin erschien ein weiterer Mann, ein weißer Kittel umwehte seinen hageren Körper. Er war einer der Forscher, die in den verborgenen Laboren an neuen künstlichen Drogen arbeiteten. „Nein“, Kyos Augen weiteten sich. Ängstlich kroch er in die dunkelste Ecke, die sich bot. Angst kroch durch seine Adern… „Du lässt mir leider keine andere Wahl, Tooru.“ Mitleidlos traten beide Männer immer näher. „Diese Droge ist ganz neu, noch nicht einmal auf dem Markt. Ich nenne sie ‚Filth’“, erklärte er stolz. „Wir haben Monate an ihr gearbeitet. Sie ist perfekt, ein Meisterwerk.“ Ein makaberes Grinsen leuchtete über seine irren Gesichtszüge. Auch er war längst von Drogen zersetzt. Kyo konnte die Maden in seinem Gehirn schon durch die Schädeldecke scheinen sehen. Wie sie krabbelten und krochen, ihre schleimigen Spuren hinterließen und alles zerfraßen. Oder war das nur wieder eine Illusion…? „Das tollste ist, dass wir es zum ersten Mal geschafft haben den Rausch in drei Zyklen einzuteilen. So ist für jeden etwas dabei. Zuerst kommt die Bewusstseinserweiterung. Du glaubst zu fliegen und plötzlich scheint alles ganz leicht. Dinge, die du nie so gesehen hast, erscheinen plötzlich in einem ganz anderen Licht, regelrecht abstrakt. Doch dann, wenn du am höchsten bist, kommt der Fall. Übersteigertes Empfinden und Schmerz ist die zweite Stufe. Für die Masochisten unter uns der absolute Hochgenuss. Deine Sinne sind absolut überreizt. Sex in diesem Zustand ist die absolute Extase.“ Er lachte dreckig. „Die kleinste Berührung gleicht einem Feuerwerk. Jedes Geräusch dröhnt wie ein Inferno auf dich ein und Licht setzt deine Sehnerven fast in Flammen. Man glaubt, es zerreißt einen innerlich und doch ist aller Schmerz…“ er hob seine rechte Hand und tippte mit der Fingerkuppe seines Zeigefingers gegen Kyos Stirn, „… nur hier.“ Ein Schaudern durchlief den kleinen Körper. „Stufe drei ist mein persönlicher Liebling“, fuhr sein Gegenüber lächelnd fort. „Halluzinationen und Angstzustände. Das wird dir gefallen.“ Er strich ihm zärtlich über die blonden Haare, eine groteske Geste im Anbetracht der Lage. Kyo wehrte sich nicht, zu geschockt von der plötzlichen Wende. Er wollte doch einfach nur sterben, endlich Ruhe und Frieden haben. Aber sein Boss schien erkannt zu haben, dass der Tod für Kyo keine Bestrafung war. Drogen jedoch, dass wusste er, waren Kyos persönlicher Alptraum. Zwar war er in den Drogensumpf hinein gewachsen, doch war er nie damit fertig geworden, was der Dreck, den man hier verkaufte aus den Menschen um ihn herum machte. Seine Mutter war das beste Beispiel und auch der Grund für seinen weiteren Absturz. „Du brauchst keine Angst zu haben. Sieh es mehr als Geschenk, es schweißt uns enger zusammen, denn schon morgen wirst du angekrochen kommen und nach mehr betteln.“ „Lieber verrecke ich“, zischte Kyo verächtlich und spukte seinem Boss ins Gesicht. Doch die erwünschte Reaktion kam nicht. Ruhig nahm er ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und wischte sich über die Wange. „Ganz egal wie sehr du dich sträubst, am Ende gehörst du doch mir!“ „Du kannst mich mal, Nishimura!“ „Später vielleicht.“ Sein Gegenüber grinste dreckig und hob die rechte Hand. Sofort wuchsen zwei breitschultrige Männer aus dem Schatten, packten Kyo an den kurzen Armen und pinnten ihn gegen die Wand. Drohend schritt der weißbekittelte hagere Mann auf ihn zu. In seiner Hand blitzte die Spritze Unheil verkündend auf. Furchtvoll zerrte sie an seinen Nerven, die blanke, nackte Angst! „Neeeeiiin!!!“ Wild begann der Jugendliche an seinen lebendigen Fesseln zu reißen und zu zerren. Nishimura jedoch packte, ungeachtet seiner verzweifelten Versuche sich zu befreien, Kyos rechten Arm und begann ihn abzuschnüren. „Weil ich so ein herzensguter Mensch bin geb ich dir sogar eine größere Dosis. Mehr hilft mehr“, meinte er mit spöttischer Stimme. „Nein Nein NEIN!“ schrie Kyo erneut, von nackter Panik ergriffen. Erbarmungslos spürte er das kalte Metall in sich eindringen. Blind durchstach es seine Haut, durchdrang das Gewebe und brach in seine Blutbahn ein. Ein schreckliches Gefühl der Ohnmacht machte sich in ihm breit. Von Taubheit ergriffen bekam er nicht einmal mehr mit, wie die Arme allmählich von ihm abließen. „Macht mit ihm was ihr wollt und dann setzt ihn irgendwo in der Stadt ab. Ich will sehen, wie er morgen angekrochen kommt.“ Langsam wich der Schatten Nishimuras wieder zurück ins Licht, wo er von grellen Flammen umschlossen wurde. Mit einem Quietschen fiel die Teufelspforte ins Schloss und ließ ihn in der Hölle zurück. ~~~+ Hilflos musterte Die seinen kleinen Gegenüber, dessen Blick auf einmal ganz distanziert wirkte, als würden seine Gedanken an einem entfernten Ort fest hängen, als könnte er sich nicht losreißen. Dann ganz plötzlich zuckte er zusammen, als hätte man ihn geschlagen und die Finger seiner linken Hand krallten sich in seinen rechten Arm, den er schützend, geradezu panisch, an seinen Körper gezogen hatte. Die konnte mit dieser Reaktion nichts anfangen. Überhaupt war Kyos Verhalten unverständlich. Wenn er nur wüsste, was in dem Kleinen vorging. Vorsichtig ließ er sich auf der Bettkante nieder und versuchte Kyos Finger um seinen Arm zu lösen, da sich seine spitzen Fingernägel krampfhaft in das zarte Fleisch bohrten und blutige Kratzer hinterließen. „Kyo, lass los. Du tust dir doch nur selbst weh“, versuchte er auf ihn einzureden, stieß jedoch auf taube Ohren. Behutsam begann er die Finger mit seiner rechten Hand zu entkrampfen, während er mit seiner linken zärtlich über Kyos Arm strich, und ihn zu beruhigen versuchte. „Sssh Kyo. Wer auch immer dir das angetan hat, es ist vorbei. Alles wird gut.“ Er schloss ihn in eine sanfte Umarmung, gegen die sich der Gelbschopf ausnahmsweise einmal nicht wehrte. Ganz langsam begann die Abwehrhaltung, die Kyo wie ein Eiswall umgab, zu schmelzen und die Hoffnung in Die wuchs. Eine Weile verharrten sie in dieser Position, doch dann löste sich der Rotschopf zögerlich von dem Kleinen und schob ihn ein wenig von sich. Die dunklen Augen des Anderen folgten jeder seiner Bewegungen misstrauisch, als hätte er Angst das freundliche Verhalten seines Gegenübers könnte jede Sekunde plötzlich ins Gegenteil umschlagen. Dies Aufmerksamkeit hingegen war auf etwas ganz anderes gerichtet. Entsetzt weiteten sich seine Augen, als Erkenntnis ihn ergriff. Ungeachtet der Reaktion, die sein Handeln hervorrufen konnte, packte er grob nach Kyos Arm und besah sich den blauen Fleck und die Einstichwunde, die er nun, da Kyo seine Hand davon gelöst hatte, sehr gut erkennen konnte. Der Gelbschopf zuckte erschrocken zusammen, völlig überrascht von der groben Behandlung. Verschreckt wollte er seinen Arm entziehen, doch der Druck um sein Handgelenk war zu stark. „Kyo, hast du… hast du etwa…“ Die konnte es nicht aussprechen, zu schrecklich war der Verdacht, der immer klarer wurde und plötzlich setzten sich alle Puzzleteile zusammen. Das Zittern, die Lichtempfindlichkeit, die Angstzustände. Und mit einem Mal schäumte die Wut in dem Rotschopf hoch. „Du hast gesagt du nimmst den Dreck nicht“, schrie er, völlig enttäuscht. Irgendwie hatte er ihm doch geglaubt, tief in sich drinnen hatte er gehofft, dass Kyo wirklich die Wahrheit sprach. Kyo, völlig eingeschüchtert von dem plötzlichen Umschwung, begann wieder heftiger an seinen Fesseln zu zerren. Wild schlug er um sich, traf hier und da sein Ziel, doch Die hielt ihn eisern fest. „Kyo, jetzt beruhig dich doch. Ich tu dir doch ni-AU!“, schon hatte er einen weiteren Schlag kassiert, diesmal direkt ins Gesicht. Das würde ein schönes Veilchen werden. „Jetzt reicht’s.“ Mit seinem Latein am Ende beschloss er sich einfach auf Kyo drauf zu setzen, während er sich mit den Knien links und rechts neben seinem Becken auf dem Bett abstützte, um Kyo mit seinem Gewicht nicht zu erquetschen, ihn aber immerhin ans Bett zu pinnen und ihm so den Bewegungsfreiraum zu nehmen. Doch das verschlimmerte nur alles. Denn der Gelbschopf begann zu schreien Völlig verzweifelt versuchte Die ihm den Mund zuzuhalten, aber das verbesserte die Situation kein bisschen. Er fühlte sich so hilflos, so allein. Alles wiederholte sich auf grausame Art und Weise. Das Schicksal spielte mit ihm, verspottete ihn. Egal wie sehr er sich bemühte, wie sehnlich er es sich wünschte, es würde wieder geschehen, er würde versagen. Alles zog sich in ihm zusammen, schmerzte so sehr. Er durfte nicht versagen, durfte nicht unterliegen. Nicht noch einmal. Verzweifelt vergrub er sein Gesicht neben dem des Blondschopfs in den Tiefen seines Kissens und begann zu weinen, wie so oft seit der kleine Sänger in sein Leben getreten war. Er wusste, wenn er diesen Kampf verlor würde sein Herz zu Tode bluten… *** Die hatte keine Ahnung, wie lang er in dieser Position gelegen und Tränen vergossen hatte, doch irgendwann beruhigte sich der Kleine, als würde das salzige Nass seine Ängste mildern. Aller Widerstand fiel in sich zusammen, als er schließlich in einen erschöpften, aber erholsamen Schlaf sank. Erleichtert ließ Die von ihm ab und wischte sich die Tränenspuren aus dem Gesicht. Auch er fror inzwischen erbärmlich und so entledigte er sich seines nassen Oberteils. Nachdenklich maß er den kleinen Sänger. Das Zittern hatte nicht nachgelassen. Wenn sein Körper sich nicht bald aufwärmte, würde die Unterkühlung nur weitere Folgen hinter sich herziehen und schlimmsten Falls in einer Lungenentzündung enden. Unsicher biss er sich auf die Unterlippe. Eine fixe Idee hatte sich in seinem Kopf festgesetzt und kämpfte nun mit seinem Gewissen um die Vorherrschaft. Konnte er das wirklich tun? Doch nach längerem Hadern warf er einfach alle Bedenken über Bord. Schließlich diente das einem ganz bestimmten Zweck. Er wollte Kyo aufwärmen, nicht mehr! Und so kuschelte er sich näher an den kleinen Körper und zog ihn behutsam in seine Arme, um ihn durch seine eigene Körperwärme aufzuheizen. Oberkörper an Oberkörper lagen sie da, der eine verloren im Land der Träume, der andere in seinen eigenen Gedanken. Abwesend schmiegte er sich näher an den zitternden Körper, während die Finger seiner linken Hand unkontrolliert durch das sonnengelbe Haar strichen. Es war ein schönes Gefühl und entlockte Die trotz trüber Stimmung ein Lächeln. Er wusste, dass dies nicht der richtige Moment war, um glücklich zu sein, aber er genoss ihn dennoch, schließlich würde er diese Gelegenheit so schnell nicht wieder bekommen. Langsam schlossen sich seine Augenlider. Es fühlte sich so gut an, so richtig, auch wenn Kyo ein Mann war, auch wenn er diese Berührungen nur duldete, weil er schlief und nichts von alldem mitbekam. Dieser Augenblick gehörte ihm. Und so näherten sich seine Lippen unaufhörlich, eine nervöse Zunge befeuchtete sie flüchtig, ein heißer unrhythmischer Atemstoß entfloh seiner Kehle, streichelte über die weiche Haut des Schlafenden, ehe der Rotschopf einen federleichten Kuss auf den sinnlichen Mund des Ahnungslosen hauchte. Wie eine laue Frühlingsbrise strichen seine Lippen über die des Anderen. Er durfte nicht weiter gehen, die Grenzen nicht überschreiten. Kyo liebte ihn nicht, also durfte und würde er seinen derzeitigen Zustand auch nicht zu seinem Vergnügen missbrauchen. Schweren Herzens distanzierte er sich wieder ein wenig von ihm, wobei er jedoch ihren wärmenden Körperkontakt nicht brach, und bettete sein Kinn in Kyos gelbem Haar. Von jetzt an würde er auf den kleinen Trotzkopf aufpassen. //Niemand wird dir jemals mehr wehtun, das verspreche ich dir!// *** Vielleicht war der Tod doch nicht so kalt, wie er immer gedacht hatte. Dieser Gedanke schoss durch sein kleines Köpfchen, als er die Augen aufschlug und trübes Grau ihm entgegen sickerte. Der zweite Gedanke jedoch riss ihn in die Realität zurück, denn er war nicht allein. Irgendein Arm lag um seine Hüfte, presste ihn eng gegen einen warmen Körper. Wo war sein Hemd? Panik flutete ihn. War es wieder geschehen? Er konnte sich nicht erinnern? Was war geschehen? Alles war so schwammig. Sein Kopf schmerzte und sein Körper schrie, aber wonach? Er wusste nur eins: Er wollte hier weg! Vorsichtig versuchte er sich aus der Umarmung zu befreien, peinlichst darum bemüht den Anderen nicht aufzuwecken. Doch dann stach ihn etwas Bekanntes ins Auge. Feuerrotes flammendes Haar. Die?! Wieso um alles in der Welt lag er mit Die in einem Bett? Er entspannte sich wieder ein wenig. Auch wenn er keine Ahnung hatte, wie es dazu gekommen war, so wusste er wenigstens, dass von dem Rotschopf keine Bedrohung ausging. Eigentlich fühlte er sich in den starken Armen sogar geborgen und so sicher, wie lange nicht mehr. Völlig zerschlagen ließ er seinen Kopf wieder gegen die, sich rhythmisch hebende und senkende, Brust Dies sinken und schloss die Augen. Er war so unglaublich müde und erschöpft. Wärme suchend kuschelte er sich näher an den Gitarristen. Er hatte keine Kraft sich darüber Gedanken zu machen, wie er hierher gekommen war, noch hatte er Kraft sich Sorgen darum zu machen, dass es Die war, mit dem er hier in einem Bett lag, obwohl er ihm seit Wochen aus dem Weg zu gehen versuchte. Langsam schlummerte sein Verstand wieder dahin, doch noch ehe er vollständig ins Land der Träume übergegangen war fiel eine Tür krachend ins Schloss und riss ihn gewaltsam wieder in die Wirklichkeit zurück. Einen Moment herrschte Stille, die Stille vor dem Sturm. Doch dann brach er los. „DAISUKE!!!“ Entsetzt fuhr der Rotschopf aus dem Schlaf. Er musste eingedöst sein, während er über Kyos Schlaf gewacht hatte. Sofort wanderte sein Blick über die leicht angespannten Gesichtszüge des Gelbhaarigen. Seine Augen waren geschlossen. Dass er sich jedoch nur schlafend stellte, wusste er nicht. Die Türklinke wurde hinunter gedrückt, doch die Tür blieb verschlossen. Ein wütendes Rütteln erschütterte das fragile Holz. „Mach sofort auf. Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du deine Tür nicht abzuschließen hast?!“ dröhnte die gewaltige Stimme seines Vaters durch die Stille. Erschrocken setzte sein Verstand ein. Sein Blick suchte fahrig das Zifferblatt seiner Armbanduhr. Schon acht Uhr. Draußen war inzwischen die Sonne untergegangen. Und sein Vater war von der Arbeit zurückgekehrt. „Was ist das hier für Dreck? Wo sind deine Schuhe? Wieso hast du sie nicht ausgezogen?“ Erneut erbebte die Tür unter einem Stoß. „Ich dulde dein Verhalten nicht länger. Du bist eine Schande!“ Der Rotschopf seufzte genervt. Sein Vater würde Kyo nur aufwecken. Die hatte Angst, dass der ganze Kampf dann von Neuem begann. Sanft drückte er seine Handfläche auf Kyos Ohr und zog ihm die Decke weiter über den Kopf, um den Lärm, den sein Vater verursachte, zu mindern. „Antworte mir gefälligst, wenn ich mit dir rede.“ Doch Die dachte nicht daran. Er würde sich jetzt bestimmt nicht in eine dieser ewig währenden hitzigen Diskussionen verwickeln lassen, die doch nur wieder mit blauen Flecken und Kopfschmerzen endeten. Ratlos griff er mit seiner freien Hand nach seinem Handy und wählte Kaorus Nummer. Nach kurzen Klingeln ertönte dessen Stimme. „Hey Kao… ich hab Kyo gefunden… Ihm geht’s nicht so gut“, erklärte er stockend. „Mit wem redest du da?“ tönte es durch die dünne Wand. „Wer ist bei dir im Zimmer? Mach sofort die Tür auf!“ Das Hämmern wurde immer lauter. „Kannst du vorbei kommen und uns abholen?“ fragte er hilflos. „Ist das dein Vater im Hintergrund?“ wollte Kaorus leise Stimme am Ende der Leitung wissen. „… Ja.“ Die resignierte Antwort. „Ist das diese Schwuchtel von Freund? Ich dulde keine Arschficker in meinem Haus. Ich schmeiß ihn raus. Ich schmeiß euch beide raus! MACH DIE TÜR AUF!!“ Betretenes Schweigen. Dies Hand krampfte sich schmerzhaft um das kleine Handy bis die Plastik bedrohlich knackte. „Okay, bin gleich da.“ „Danke.“ „Kein Ding. Bis gleich.“ „Ja.“ Kraftlos lief Die das Handy sinken. Haltlos rutschte es zwischen seinen Fingern hindurch zu Boden. Er hielt es nicht mehr aus. Er musste hier raus. Kaoru würde in ungefähr zehn Minuten da sein. Irgendwie musste er Kyo aus dem Haus bringen. Eins war klar: er würde sich nicht von seinem Vater aufhalten lassen. Skeptisch wanderte sein Blick zur Tür. Es war verdächtig ruhig. Sein Erzeuger schien sich wohl gerade eine neue Vorgehensweise auszudenken. Behutsam zog er Kyo die Bettdecke wieder vom Kopf… und sah in zwei große braune Augen. Überraschung begann sich auf seinen Zügen abzuzeichnen. „Du bist ja wach!?“ „Mh…“ Erleichterung begann sich seiner zu bemächtigen. Der Horror schien endlich vorbei. Es sah so aus, als würde der Blondschopf ihn wieder erkennen. „Wie lange schon?“ fragte er zaghaft nach. “Länger…” Die biss sich nervös auf die Unterlippe. Er hatte noch niemandem je von seiner Familiensituation erzählt, nicht einmal Kaoru, obwohl er das Gefühl hatte, dass der Violetthaarige mehr wusste, als er sollte. Und jetzt war Kyo Zeuge geworden, welchen Alptraum er täglich durchlebte und gewissenhaft unter seiner fröhlichen Maske zu verbergen vermochte. Dieser Gedanke machte ihn verletzlich, auch wenn er sich nicht erklären konnte, wieso. „Kaoru kommt gleich“, unterbrach er die peinliche Stille. „Er fährt uns zu sich. Dort kannst du dich ausruhen und noch ein wenig schlafen.“ Der Rotschopf hatte den Kopf leicht zur Seite gedreht, um Kyo nicht direkt anblicken zu müssen. Irgendwie war es ihm peinlich, dass Kyo in seinen Armen aufgewacht zu sein schien. Was musste er jetzt von ihm denken? „Die?“ meldete sich Kyo zaghaft zu Wort. „Hhm?“ „Ich hab das Zeug nicht freiwillig genommen!“ Verwirrt sah der Gitarrist auf. Kyos Stimme klang zwar schwach und zittrig, aber er hatte seine Worte dennoch klar und deutlich verstanden. Oder etwa nicht? „Was?“ „Die Drogen. Ich will, dass du weißt, dass ich wirklich keine nehme. So einer bin ich nicht.“ Unglauben spross über die verwirrten Züge. „Aber…wie... heißt das…?“ “Man hat es mir gegen meinen Willen verabreicht”, beendete der Gelbschopf den in der Luft hängenden Satz. Fassungslos starrte der Gitarrist den kleinen Propheten an. „Was? Aber wieso?!“ Kyo ließ ein schwaches Lachen verlauten. Aber er lachte nicht etwa über Dies schlechte Auffassungsgabe, nein, er lachte vielmehr über seine eigene Dummheit. Hatte er wirklich gedacht, dass es so einfach wäre? Anrufe ignorieren und Leuten aus dem Weg gehen? Lächerlich. „Weil ich nicht mehr nach ihren Spielregeln spielen will.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Ich will raus!“ „Raus? Du meinst… aussteigen?“ Die konnte sich ein glückliches Lächeln nicht verkneifen. „Aber, das ist doch großartig!“ Wieder lachte Kyo heiser. Der Rotschopf war so naiv. „Der Vorfall hat doch eindeutig gezeigt, dass ich dort nie rauskomme. Er… er will mich abhängig machen… von sich.“ Gewaltsam von Kyo wieder auf den harten Boden der Realität zurückgeholt, ließ Die die Schultern sinken. „Aber… du hast doch gesagt, dass du das Zeug normalerweise nicht nimmst. Kann man denn von einem Trip gleich abhängig werden?“ „Das kommt auf die Droge an. Aber da Nishimura wollte, dass ich zurückkomme, nehme ich doch mal stark an, dass er mich durch Drogenabhängigkeit an sich binden will.“ Schmerzliche Stille legte sich zwischen die beiden ungleichen Bandmitglieder. Dies Hände hatten sich zu Fäusten geballt. „Dann… helfen wir dir, wieder davon loszukommen.“ „Wir?“ Skeptisch hob Kyo eine der fein geschwungenen Augenbrauen. „Du kannst es nicht länger verheimlichen, Kyo. Die Anderen haben ein Recht zu erfahren, worin du verwickelt bist. Zumindest Kao werde ich es erzählen.“ Geschlagen senkte der Sänger den Kopf. „Alles wird gut“, versuchte Die ihn aufzumuntern. „Du wirst schon sehen.“ Kyo lächelte matt. //Wenn ich das nur glauben könnte.// „Hier“, Kyo schreckte aus seinen Gedanken, als Die ihm etwas vor die Nase hielt. „Zieh das an. Dein Hemd ist noch immer nicht trocken.“ Irritiert betrachtete der Sänger den schwarzen, viel zu großen Pullover. Erst jetzt fiel ihm wieder ein, dass er oberkörperfrei in Dies Zimmer hockte. Und auch Die war recht spärlich bekleidet. Mit Mühe unterdrückte er die Röte, die ihm ins Gesicht schießen wollte, und griff nach dem Kleidungsstück, um es sich über den wüsten Haarschopf zu streifen. Wie erwartet war das Oberteil ein paar Nummern zu groß und rutschte ihm seitlich über die linke Schulter, sodass ein Stück Haut offenbart wurde. Auch die Ärmel waren zu lang und verschluckten seine zierlichen Hände. „Steht dir“, meinte der Rotschopf grinsend und zog sich ebenfalls an. „Urusai“, knurrte Kyo nur und entlockte Die damit ein ehrliches Lächeln. Der alte übellaunige Kyo war zurück. Wenn das kein gutes Zeichen war. Wenig später zerriss ein schrilles Klingeln die Stille. „Das wird Kao sein“, erklärte Die hoffnungsvoll. „Kannst du allein laufen?“ Kyos Augen verengten sich leicht. „Natürlich. Ich bin doch kein Invalide.“ Die seufzte und krallte sich seinen Rucksack, in den er einige Sachen gepackt hatte. „Dann komm.“ Etwas wackelig erhob sich Kyo vom Bett und folgte Die aus dem Zimmer. „Was macht die Schwuchtel vor unserer Tür?“ knurrte Dies Vater, der gerade durch den Spion linste. Verwirrt drehte er sich zu seinem Sohn. „Und wer ist das da? Verkehrst du jetzt schon mit abgewrackten Straßenpunks und Junkies?“ Kyos Erscheinungsbild ließ wahrlich etwas zu wünschen übrig, denn er war blass und seine Augen waren von dunklen Ringen unterlegt. Wütend ballte Die die Hände zu Fäusten. „Wag es nicht ihn als Junkie zu bezeichnen!“ „Sprich du nicht in diesem Ton mit mir!“ „Ich spreche mit dir wie ich will!“ Aufgebracht riss Die die Tür auf vor der noch immer Kaoru stand. „Wo gehst du hin?“ „Geht dich einen Dreck an!“ „Ich hab dich gefragt wo du hingehst.“ Zornig hatte ihn sein Vater am Handgelenk gepackt. Kaoru und Kyo musterten die Szene regungslos. „Lass los!“ zischte der Rotschopf bedrohlich, während er sich zu seinem besten Freund umwandte. „Kaoru, geh mit Kyo vor. Ich komme gleich nach.“ Der Violetthaarige nickte gehorsam und zog den verwirrten Gelbschopf auf die Straße zu seinem Auto. „Du gehst nirgendwo hin! Ich lass nicht zu, dass du mit so zwielichtigen Gestalten verkehrst! Schlimm genug, dass ich dir erlaube dein Haar so lächerlich rot zu färben. Als dein Vater verbiete ich dir mit diesen Typen mitzugehen!“ „Du kannst mich mal“, entgegnete Die erbost und riss sich los. Mit einem lauten Knall fiel die Tür ins Schloss. ~*~ Aufmerksam lauschte Kaoru den ernsten Worten seines Freundes, nickte ab und an oder zog die Stirn besorgt in Falten. Nachdem der Rotschopf geendet hatte ließ der Leader ein langgezogenes Seufzen verlauten. „Da ist er ja in was reingeraten“, meinte er erschüttert. Nachdenklich warf er einen Blick über die Schulter auf die schmale Gestalt, die unter der großen Bettdecke fast verloren ging. Gleich nachdem sie die Wohnung betreten hatten hatten den Kleinen die verbliebenen Kraftreserven verlassen und er war erschöpft eingeschlafen. „Und man hat ihm wirklich Drogen verabreicht?“ fragte Kaoru ungläubig nach. Die nickte traurig. „Heilige Scheiße“, murmelte der Violetthaarige resigniert. „Und was machen wir nun?“ „Na was wohl? Wir holen ihn da raus.“ „Das sagst du so einfach. Mit solchen Leuten ist nicht zu spaßen. Die killen dich auch mal eben, wenn du ihnen im Weg stehst.“ Verbittert presste Die die Lippen aufeinander. Das wusste er auch. Aber er konnte doch nicht einfach tatenlos zusehen. „Auf jeden Fall müssen wir ihn wieder von den Drogen runter kriegen.“ Er strich sich seufzend über das Gesicht und die müden Augen. Das alles machte ihn vollkommen fertig. „Kann er eine Weile bei dir bleiben?“ fragte er schließlich in die entstandene Stille. Sein Blick war abwesend aus dem Fenster gerichtet. „Ich würde ihn ja mit zu mir nehmen, aber dann bringt ihn mein Vater womöglich um“, erklärte er mit einem schiefen Grinsen, doch Kaoru wusste, dass kein Spaß dahinter lag, sondern vielmehr Schmerz. „Kein Problem. Er kann solange hier wohnen, wie er will. Es ist genug Platz für eine weitere Person.“ Der Rotschopf lächelte dankbar und wandte sich zu Kaorus Schlafcouch um. Kyos gelber Haarschopf hob sich leuchtend von der dunklen Bettwäsche ab, während der Rest seinen kleinen Körpers fast gänzlich verschluckt wurde. Lautlos ging er neben dem Sofa in die Knie, um mit Kyo auf einer Höhe zu sein. Wie in Trance ließ er seinen Blick über das ebene blasse Gesichtchen schweifen, welches ohne dunkle Schminke und die Härte des Alltags regelrecht unschuldig und kindlich aussah. Sanft strich er mit seinen Fingerspitzen über die kühle Haut. Ein Klingeln riss Kaoru aus seiner Starre. „Oh verdammt, ich hab Toshiya ganz vergessen“, fluchte er leise. „Wir waren ja verabredet.“ „Geh ruhig“, meinte Die. „Ich komm schon klar.“ „Bist du sicher? Ich mein, ich kann Toshiya auch einfach absagen. Er versteht das sicher.“ „Nein nein. Schon okay. Ich will dir den Abend nicht noch mehr verderben.“ „Aber du-“ „Kao“, unterbrach ihn der Rotschopf flüchtig lächelnd. „Es ist okay!“ //Verstehe. Sag doch einfach, dass du mich nicht brauchst. Du nimmst doch sonst kein Blatt vor den Mund. Und ich kenne deine Gedanken doch sowieso.// Ein unehrliches Lächeln schlich sich auf seine Züge. „Na schön. Aber wenn etwas ist, dann rufst du mich an und ich komme sofort vorbei. Einverstanden?“ „Ok.“ Kaoru nickte zufrieden. „Bis später.“ Mit diesen Worten verließ er die Wohnung und ließ Die mit Kyo allein zurück. ~*~ Angenehme Ruhe war eingekehrt. Die war irgendwann auf den Knien hockend eingeschlafen. Den Kopf hatte er auf die Bettkante gelegt und zwischen seinen Armen vergraben. Ein scheues Paar Augen öffnete sich blinzelnd und sog die fremde Umgebung in sich auf, ehe eine schmale Hand zögerlich durch flammend rotes Haar strich. Es war so weich. Hatte er die ganze Zeit an seiner Seite über ihn gewacht? Zärtlich wanderten die Finger weiter, streichelten über die zarte Haut des Anderen, fuhren die feinen Konturen seines Gesichtes nach. Wieso? Wieso sorgte er sich so sehr um ihn? Weil er ihn liebte? „Kyo?“ Braune Augen hatten sich geöffnet, maßen ihn verwundert, versuchten zu verstehen. Langsam zog der Kleinere seine Hand zurück, begegnete reglos seinem Blick. „Wie fühlst du dich?“ „Geht“, kam die knappe Antwort. „Willst du was trinken? Hast du Hunger? Du bist viel zu dünn. Wann hast du eigentlich-“ „Die?“ „Hn?“ „Wieso tust du das?“ Die Verwirrung war dem Rotschopf deutlich ins Gesicht geschrieben. „Wieso tue ich was?“ „Wieso sorgst du dich so?“ Ein leichter Rotschimmer kroch auf die Wangen des Gitarristen. „Du bist mir wichtig“, gab er ehrlich zu. Unruhe begann sich seiner zu bemächtigen. Kyos Blick schien ihn zu durchbohren, zu durchleuchten. „Liebst du mich?“ Überrascht weiteten sich Dies Augen. „Was?“ „Liebst du mich“, wiederholte der Gelbschopf geduldig seine Frage. Nervös biss sich Die auf die Innenseite seiner Unterlippe. Er konnte ihn nicht belügen. Ergeben senkte er seinen Blick. „..Ja.“ Die Antwort war kaum mehr als ein milder Hauch und doch hallte sie noch lange in Kyos Ohren nach. Hieß es nicht immer, dass Liebe glücklich machte? Aber wieso krampfte sich sein Herz dann so schmerzhaft zusammen. „Wieso?“ fragte er schwach. Er musste es wissen. Die erwiderte seinen Blick schweigend, nach einer Antwort suchend. Ein schwaches Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Weil du du bist“, waren seine einzigen Worte. ~*~ Anm.: Ich habe versucht die drei Zyklen des Drogenrausches in den Träumen bzw. Rückblicken zu verarbeiten. Die drei Abschnitte, die immer in +~~ geschrieben sind, wickeln jeweils eine Phase ab; erst die Bewusstseinserweiterung, der expressionistisch anmutende Erzählstil, die wechselnde Landschaft und das metaphorische "Maul" des Autos, das sind Illusionen, die hervorgerufen werden, die zweite Phase ist der Schmerz, sowohl physisch als auch psychisch, verursacht durch seinen Boss und "Vaterersatz" Nishimura, ihm wird seine Hilflosigkeit vor Augen geführt, die dritte Phase die Angst, die schließliche Injektion der Drogen, die er so sehr fürchtet und hasst und das Grauen was folgt... Der Titel 愛しいのサイコホラー stammt übrigens aus dem Lied Filth, nach dem ich auch die Droge benannt habe. Kapitel 6: 嗜癖 ------------- Chapter 6 嗜癖 (Sucht) *Daisuke Andou* Dein Funke, nur eine flackernde Flamme im Sturm, umgeben von schwarzem Meer… Schäumend brechen die Wellen über dir zusammen, zerstören den schützenden Fels, löschen das Licht… *** In einem niedlichen kleinen Restaurant in einer gemütlichen Ecke bei Kerzenschein saßen sie und unterhielten sich. Des einen Haare leuchteten blau im warmen Licht der Flamme, des anderen Schopf strahlte in warmem Purpur. Kaoru und Toshiya hatten sich in den letzten Wochen des Öfteren getroffen und waren einen Trinken gegangen. Doch heute war die Stimmung anders, wesentlich gedrückter. Mit leiser ernster Stimme brachte der Leader den Bassisten gerade auf den neusten Stand der Dinge und erzählte von Kyos Dilemma. Der sonst so fröhliche Blauschopf schwieg betreten und ließ nur hier und da ein leises Geräusch des Entsetzens verlauten. "Oh mein Gott", meinte er schließlich, als Kaoru geendet hatte. "Das ist ja schrecklich. Und du hast die beiden einfach allein gelassen, wegen mir? Du hättest doch einfach was sagen können, dann hätten wir unser Treffen verschoben. Ich wusste doch nicht-" Kaoru hob besänftigend eine Hand, um Toshiyas Redefluss zu stoppen, und lächelte. "Keine Panik, Toshiya. Das ist schon okay. Ich glaube die beiden brauchen einfach ein wenig Zeit für sich." Nun gänzlich verwirrt legte der Bassist den Kopf schief. "Wie jetz? Zeit für sich?!" "Nun, sagen wir es so: Unser Big Red hat eine kleine Schwäche für unser kleines Sorgenkind." "Ernsthaft?" Ungläubig weiteten sich die braunen Augen Toshiyas. "Aber..." //.. aber ich dachte doch du wärst in Die verliebt. Doch wieso lächelst du dann, während du mir davon erzählst?// "Und...und Kyo? Erwidert er Dies Gefühle?" Kaoru seufzte. "Das ist Kyo, von dem wir hier reden. Wer kann schon genau sagen, was in ihm vorgeht? Ich kann es jedenfalls nicht. Ich hoffe nur, dass er, wenn das alles überstanden ist, Die nicht das Herz bricht." *** Stille war über ihnen zusammengebrochen und hüllte sie ein. Kyo hatte die Augen geschlossen, doch Die wusste, dass er nicht schlief. Nervös kaute er auf seiner Unterlippe herum. Wieso wusste der Sänger von seinen Gefühlen? Hatte Kaoru etwas verraten? Oder war es tatsächlich so offensichtlich? Immer wieder drehten sich seine Gedanken im Kreis, während Kyos Frage noch immer hinter seinen Schläfen widerhallte. //Wieso? Wieso liebte er ihn? Ihn, der so unnahbar und abweisend war. Der kaum ein freundliches Wort für ihn übrig hatte und ihm meist die kalte Schulter zeigte. Was hatte ihm nur so den Kopf verdreht? Angefangen hatte es mit seiner Stimme. Er hatte vorgesungen und Die komplett überrascht. Der Gitarrist hatte bis zu jenem Zeitpunkt nur die erstarrte Fassade des Gelbschopfes zu Gesicht bekommen, die jedoch auf einmal unter seinem Gesang dahin zu schmelzen begonnen hatte. So viele unterdrückte Emotionen hatten in seiner Stimme gelegen, so viel Schmerz und Gefühl. Es kam so unerwartet wie die darauf folgenden Sehnsüchte, die langsam in Die erwachten. Er hatte angefangen Kyo zu beobachten. Er wollte ihn verstehen, wollte wieder hinter seine Masken blicken, doch was er fand war erschreckend. Kyos Leben schien von Drogen, Gewalt und Schmerz zerfressen, sein Optimismus war gänzlich erloschen. Je tiefer er bohrte, umso größere Abgründe taten sich auf und Die erkannte schnell, dass Kyo ein Gefangener seines eigenen Lebens war. In diesen Sumpf hineingewachsen trug er keine Schuld für seinen Absturz. Er war ein Opfer. Nicht fähig auszubrechen. Doch je erschreckender die Fakten waren, umso mehr bestärkten sie den Rotschopf in seinen Gefühlen. Es war wohl Kyos Stärke, die ihn beeindruckt hatte, die Stärke, die den kleinen Sänger nicht aufgeben, nicht den Verstand verlieren ließ. Er hatte es geschafft eine Mauer aufzubauen, die ihn von der Grausamkeit der Welt abschottete. Aber zugleich war er auch abgestumpft. Gleichgültigkeit war über ihm zusammengebrochen, beherrschte ihn. Seine Umwelt nahm er kaum noch wahr. Mitmenschen ignorierte er, verachtete er. Er wusste, dass ihn keiner dieser fröhlichen Menschen je verstehen könnte. Ihnen gegenüber fühlte er sich so nieder, so dreckig. Sein Funken war grau, während die Welt um ihn in schillernden Farben leuchtete. Er färbte seine Haare, ein künstlich leuchtender Funken. So unecht wie seine Fassade. Denn innerlich war er längst zerbrochen. Die wusste es, war Zeuge geworden. Kyo verachtete die Menschen nicht nur, er hatte Angst vor ihnen. Angst vor ihren Taten. Angst vor Gefühlen und ihren Folgen. Und der Rotschopf ahnte, fürchtete den Grund. Innerlich drängte die Frage, der Wunsch nach Wahrheit. Er musste es wissen! Sanft ergriff er eine seiner kleinen Hände. "Kyo?" Die Augen des kleinen Sängers öffneten sich nicht, dennoch ließ er ein knappes fragendes "Mh?" verlauten. Die ließ seinen Blick noch einmal über die verkrampften Gesichtszüge des Kleineren wandern. Er schluckte. "Wurdest du... also... haben dich... hat dich irgendwer...falsch angefasst. Hat man dir Sachen angetan, die du nicht wolltest?" Erwartungsvoll presste der Rotschopf die Lippen zusammen. Eigentlich wollte er die Antwort nicht hören, wollte die Verbrechen nicht wissen, die man an seinem kleinen Schatz schon begangen hatte. Kyos Augen waren inzwischen aufgesprungen. Starr blickten sie zur Decke. Dies Herz krampfte sich zusammen. Eigentlich war dieses Schweigen schon Antwort genug. Dann, irgendwann, drehte Kyo seinen Kopf zur Wand, weg von Die. "Als ich klein war und mich noch nicht wehren konnte... haben sie es oft getan... Zum Dealen war ich noch nicht zu gebrauchen... Eigentlich war ich nur eine Last... Nishimura dachte, es wäre leicht verdientes Geld... Er hat mich gezwungen." Leise geisterten seine Worte durch den Raum, brachen eiskalt über dem Gitarristen herein. Kraftlos lief er seinen Kopf auf die Bettkante sinken. Stumme Tränen gruben sich ihren Weg über seine Wangen. Es tat so weh, zu wissen, dass man machtlos war, dass man all den Schmerz und die Qualen nicht lindern konnte. "Warum heulst du schon wieder?" Kyo hatte ihm sein Gesicht wieder zugewandt. Seine Augen wirkten so leer und reglos, wie tot. "Jetzt willst du mich nicht mehr, nicht wahr. Weil ich dreckig und abgenutzt bin." Ausdruckslos suchte er Dies Blick. Seine Worte waren so gleichgültig, eiskalt gesprochen, obwohl er Die gerade eines seiner wohlbehüteten Geheimnisse anvertraut hatte. Ungläubig weiteten sich Dies Augen. "Red keinen Unsinn!" Resolut schüttelte er den Kopf. "Kyo, du bist mir das Wichtigste auf der ganzen Welt." Kyos Augen weiteten sich ungläubig, ehe seine Gesichtszüge wieder in Ausdruckslosigkeit erstarrten. Dies Worte stoben wie Blätter im Wind an ihm vorbei, welkendes Laub, tote Gefühle. "Wieso ich?" "Weil... weil du ein wunderbarer Mensch bist." Kyo machte ein verächtliches Geräusch. "Mit dieser Meinung stehst du wohl allein da." "Was interessiert mich die Meinung anderer? Kyo, für mich bist du das Wunderbarste, was es gibt." Ehrlich begegnete er dem leeren Blick des Kleineren. Doch dieser wandte sich ab. "Du bist krank." Trotzig drehte er seinen Kopf wieder zur Wand. "Bitte Kyo, zieh dich nicht in dein Schneckenhaus zurück. Ich will für dich da sein." "Hör auf damit!" "Ich werd dir nicht wehtun." "Sei still." "Kyo..." "NEIN!" Erschrocken zuckte der Rotschopf zusammen. "Kyo? Wieso willst du dir nicht helfen lassen? Du schaffst das nicht allein." Schweigen. "... Weißt du", begann Kyo nach einer Weile leise. "Ich dachte immer du wärst ein verwöhntes Einzelkind, dem alles in den Arsch geschoben wird. Jemand, der bei allen beliebt ist und ständig nur auf Parties abhängt und sich sinnlos die Kante gibt. Ich konnte dich deswegen von Anfang an nicht leiden." "Kyo, was..." "Aber", unterbrach er ihn. "... eigentlich bist du wie ich. Du versteckst dich genauso hinter Lügen und einem unechten Lächeln. Du bist genauso falsch wie ich und trotzdem brauchst du keine Hilfe. Also wieso glaubst du, dass ich welche brauch." "Das ist doch etwas total anderes. Mein Vater demütigt und schlägt mich, okay, fein, aber das ist doch nichts im Vergleich zu den Qualen, die du durchstehen musstest. Kyo, du wurdest als kleines Kind vergewaltigt!" Der Kleine zuckte zusammen. Er hatte ihm noch immer den Rücken zugewandt, doch seine verkrampfte Haltung verriet seinen Gesichtsausdruck. Die biss sich auf die Lippe. Er hatte es nicht so hart sagen wollen. "Kyo, ich... ich erwarte nicht, dass du meine Gefühle erwiderst. Und ich werde garantiert nichts von dir verlangen. Ich werde nicht über dich herfallen oder etwas tun, was du nicht willst. Ich möchte nur, dass du mir vertraust und dir von mir helfen lässt." Minutenlang herrschte Stille ehe Kyo leise fragte: "Was kannst du schon tun?" Ein lautloses Seufzen entrann der zugeschnürten Kehle des Gitarristen. Vorsichtig ließ er sich auf der Bettkante nieder und strich über den schmalen Rücken des Anderen. "Ich kann für dich da sein, wenn du dich einsam fühlst und dir die Decke auf den Kopf fällt. Und ich hör dir zu, wenn du jemanden zum Reden brauchst." Der Gelbschopf rührte sich nicht. "... Meinetwegen, wenn du dich dann besser fühlst!" "Kyo, es geht hier nicht um mich, sondern um DICH. DIR soll es endlich besser gehen." Gleichgültig starrte er an die Wand. "Was auch immer..." *** Leise drehte sich der Schlüssel im Schloss und Licht brach durch den schmalen entstandenen Spalt. Tastend wanderten seine Finger über die Wand auf der Suche nach dem Lichtschalter. Flackernd trat die Lampe ihre Nachtschicht an. Ein langer schlanker Schatten fiel in den erleuchteten Flur. Alles war still. Auf Zehenspitzen schlich er in sein Schlafzimmer. Zwei Gestalten hoben sich fahl in der Dunkelheit ab. Die eine lag zusammengerollt in seinem Bett, während die andere wachend davor hockte. Ein ehrliches Lächeln breitete sich auf seinen Zügen aus. "Hey", grüßte er die zweite Gestalt, deren Finger immer wieder abwesend über den Arm des Schlafenden strichen. "Wie geht es ihm?" Müde hob der Angesprochene seinen Kopf vom Bett. "Besser... Aber das schlimmste steht ihm noch bevor." Der Ältere nickte verständnisvoll. Langsam trat er auf die kniende Gestalt zu, legte ihr seine Hand beruhigend auf die Schulter. "Er schafft das, Die. Er ist stark." "Mh." Der Rotschopf nickte kaum merklich. Und dennoch wusste er tief in sich drinnen, dass Kyos Stärke allmählich versiegte. Er war kein Übermensch. Vielmehr war er ein kleines Kind, dem man nie eine sorgenfreie Kindheit gegönnt hatte, der nie Liebe erfahren hatte und stets nur mit Gewalt und Leid konfrontiert worden war. Wie sollte so ein Mensch die innere Stärke bewahren, wenn er jeden Tag mehr gebrochen wurde? Liebevoll ließ er seine Augen über das schlafende Gesichtchen wandern. Die glaubte, dass es noch nicht zu spät war. Er konnte ihm zeigen, was es hieß ein glückliches Leben zu führen. Er würde Kyo die schönen Dinge des Lebens zeigen und ihm Liebe, Wärme und Geborgenheit schenken. *** Ein nervöses Zucken riss ihn aus seinem Dämmerzustand. Vergeblich versuchte er seinen Verstand zu klären. Seine Umgebung war warm und weich. Ein Bett. Ja, er lag in Kaorus Bett. Die war da. Er saß neben ihm, streichelte abwesend immer wieder über seinen dünnen Arm. Ein angenehmes Gefühl. Was war es dann, was ihn nicht ruhen ließ? Was zerrte an ihm? An seinem Verstand? Seine Kehle war so trocken. Seine Gelenke taten weh. Unruhig blinzelte er die Tränen weg, die das grelle Licht hervorgelockt hatte. Welcher Tag war heute? Wie lange hatte er geschlafen? Er fühlte sich so orientierungslos und fremd, als würde er über sich schweben. Und immer wieder spürte er dieses Ziehen, diese Sehnsucht nach etwas, etwas besonderem. Was war es? Er musste es haben! Er brauchte es. Es sollte aufhören, dieses nervige Gefühl, dieses Ziehen, als zerrte etwas an seinem Verstand. Erschöpft schloss er die Augen, versuchte zu ignorieren und zu schlafen. *** Reglos saß er da, starrte auf den kleinen Körper neben sich. Kyo wachte hin und wieder auf. Seine Augen wurden von Mal zu Mal glasiger. Die wusste, dass es hart und grausam werden würde. Doch er musste stark sein, für Kyo, für sie beide. Er durfte keine Schwäche zeigen, denn das würde Kyo nur entmutigen. Abwesend wanderte sein Blick aus dem Fenster. Er blinzelte, einmal mehr brannte das Salz in seinen Augen, kämpfte sich in die Freiheit. Nein, er würde nicht schon wieder weinen. Er hatte in letzte Zeit genug Wasser vergossen. Nutzloses Wasser. Er wollte stärker sein, wollte vor Kyo keine Schwäche mehr zeigen, wollte sein Halt sein. Zärtlich strichen seine Finger über den weichen Stoff der Bettdecke, die Kyos kleinen Körper verbarg. Nachdenklich betrachtete er das kleine Gesichtchen, erkannte die vielen Sorgenfalten, die es trotz der jungen Jahre schon zierten. Der kleine Sänger hatte schon so viel leiden müssen. Die hatte Wut gesehen, Resignation und Schmerz. Aber eines war ihm bis heute verborgen geblieben. Vorsichtig zeichnete er mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand eine imaginäre Linie von Kyos rechtem Auge über seine Wange, als wolle er den Verlauf einer fallenden Träne nachmalen. //Kyo... warum weinst du nie?// *** Ein Kreischen riss ihn aus der Dunkelheit. Erschrocken flogen seine Augen auf. Er zitterte. Wieso zitterte er? Alles bewegte sich gegen seinen Willen. Seine Arme und Beine, nichts wollte still halten. Wieso hatte er keine Kontrolle? Er fühlte sich so schwach. Unterdrückt. Fahrig wanderten seine Augen umher. Es war bereits wieder dunkel. Mehrere Stunden mussten vergangen sein, oder Tage? Er wusste es nicht und das machte ihm Sorgen. "Sssh Kyo", hörte er eine leise Stimme nah an seinem Ohr. "Ich bin bei dir. Hab keine Angst." Sein Kopf lag in Dies Schoß. Lange Finger strichen fürsorglich durch sein Haar, beruhigten ihn ein wenig. Doch eine Frage hämmerte hinter seinen Schläfen. Wer hatte geschrieen? War er es am Ende selbst gewesen? *** Stimmen. Da waren Stimmen. Aber woher kamen sie? Sprach da wirklich jemand? Oder bildete er sich das alles nur ein? ... Nein... da war jemand... Wieso konnte er seine Augen nicht öffnen? Wieso waren seine Lider so schwer? Was stimmte nicht mit ihm? Angst. Hatte er Angst? Nein, da war etwas anderes? In ihm? Dieses Ziehen. Dieser Schmerz. Es tat weh. Diese Sehnsucht nach dem Unbekannten. Was war es? Was hielt ihn hier gefangen an diesem verwirrenden Ort? Sperrte ihn ein in diese Hilflosigkeit. Er wollte raus, musste irgendwas tun gegen diese Ohnmacht. Ein leises Stöhnen erkämpfte sich die Freiheit. "Wie geht es ihm?" Wieder diese Stimme. "Nicht gut." Jemand berührte ihn, streichelte seine Wange. Sehnsüchtig streckte er sich der Wärme entgegen, drückte sich gegen die schützende Hand. Alles drehte sich, selbst die Schwärze hinter seinen versiegelten Lidern. Ihm war so schlecht. Und dieses Ziehen, diese Schreie in seinem Kopf, dieser Lärm und der Druck, es brachte ihn schier um den Verstand. Sein Körper lechzte nach mehr. Mehr... mehr..... Stöhnend bäumte er sich auf. Heißer Atem entwich seinen zusammengepressten Lippen. Schweiß hatte sich auf seiner Stirn angesammelt. "D-die?" "Ja", kam die beruhigende Antwort. "Ich bin bei dir." "Es tut so weh!" Traurig schlug der Rotschopf die Augen nieder. "Ich weiß", hauchte er hilflos. Er konnte Kyo den Schmerz nicht nehmen. Alles, was er vermochte, war für ihn da zu sein und ihm Kraft und Mut zu spenden. *** Dunkelheit… schwer hing sie in der Luft… ummantelte ihn .. . Einsamkeit drückte ihn immer tiefer zu Boden, nahm ihm die Luft zum Atmen .. . Kälte umschloss ihn, strich eisig über seine Haut, flüsterte tote Botschaften in seine Ohren… .. . Übelkeit, ein schleimiges widerliches Gefühl bemächtigte sich seines Körpers, zwang ihn zum Würgen… .. . Schreie hallten durch seinen Kopf, prallten gegen den Knochen seines Schädels .. . Schmerz umnebelte seinen verlorenen Geist .. . Angst trieb ihn schier in den Wahnsinn .. . Dieser fürchterliche Druck .. . So viele Stimmen .. . Ein Kreischen .. . Bilderfetzen . Verzweiflung . Qualen . Furcht . Allein Verloren Dunkel Rot Blut Schmerz Dreck Ekel Tod Kein Halten mehr Nur Bersten *** Würgend beugte er sich über den kleinen Eimer, der neben dem Bett stand. Seine Eingeweide brannten. Sein Kopf schrie. Immer und immer wieder verweigerte sein Schließmuskel ihm den Dienst, zwang ihn seinen Mageninhalt erneut zu Tage zu befördern, doch alles, was sein Magen noch hergab, war bittere Galle. Sein schwacher Körper bebte vor Erschöpfung. Allein Dies starker Halt verhinderte Kyos Absturz. Zitternd ließ er sich zurücksinken, klammerte sich verzweifelt an Die, welcher ihn schützend festhielt und sanft hin und herwiegte. "Hier. Trink einen Schluck." Er hatte ein kleines Wasserglas vom Nachttisch genommen und hielt es ihm an die Lippen. Kyo schüttelte schwach den Kopf. Ihm war noch immer schlecht und er würde ohnehin nur alles verschütten. Doch Die ließ nicht locker. "Komm schon, Kyo. Du musst wenigstens etwas trinken, wenn du schon nichts festes drin behalten kannst." Resigniert öffnete der Sänger seine Lippen einen Spalt und erlaubte dem Rothaarigen somit, ihm etwas von dem klaren Wasser einzuflößen. Kühl und lindernd rann es seine Kehle hinab, brachte ihn jedoch im gleichen Moment zum Husten. Seufzend stelle der Rotschopf das Glas wieder ab und hüllte Kyo in eine wärmende Umarmung. Er fühlte sich schrecklich. Kyo so sehen zu müssen war eine der härtesten Prüfungen, die ihm das Leben je auferlegt hatte. Wie gerne würde er einfach zu Kyos Boss stürmen und ihm die notwendigen Drogen abknöpfen, nur damit der kleine Gelbschopf nicht mehr leiden musste. Aber das war keine Lösung. Kyo musste weg von den Drogen, endgültig. Er hatte lange genug in diesen Kreisen verkehrt, wenn auch unfreiwillig und dennoch hatte es nur dazu beigetragen sein Leben langsam aber sicher in einen Trümmerhaufen zu verwandeln. Doch bald würde es vorbei sein. Nicht mehr lange. Er musste nur noch ein paar Tage durchhalten. Sie beide mussten es. Ein leises Stöhnen riss ihn aus seinen Gedanken. Kyo hatte seinen Kopf in den Nacken gelegt und sah zu Die hinauf, in dessen Armen er mehr oder weniger lag. "Welcher Tag ist heute?" Seine Stimme zitterte. "Mittwoch", antwortete Die tapfer. Kyo starrte ihn einen Moment schweigend an ehe er fragte: "Warum bist du dann nicht in der Schule?" Die verdrehte die Augen. "Das ist im Moment doch völlig unwichtig. Also mach dir darüber keine Gedanken.“ „Aber…dein Vater.“ „Der kriegt davon nichts mit“, beruhigte der Gitarrist ihn. „Ich fälsch einfach eine Entschuldigung, ok?“ Sanft strich er ihm einige Haarsträhnen aus den Augen und lächelte leicht. Machte sich Kyo etwa Sorgen? Wer hätte das gedacht? „Mh.“ Mit der Antwort zufrieden gestellt lehnte er seinen Kopf wieder gegen Dies Brust und schloss die Augen. Der Gitarrist war so schön warm und weich. Seine Anwesenheit war beruhigend, ließ ihn für einen Moment den Schmerz verdrängen und gab ihm ein längst verloren geglaubtes Gefühl von Geborgenheit. Langsam begann er wieder wegzudämmern, doch etwas brannte in seinem Schädel, hielt ihn davon ab wieder ins Land der Schwärze zurück zu kehren. Lautlos seufzend kuschelte er sich tiefer in die Umarmung. „Die?“ Leise und brüchig durchbrach Kyos Stimme die Stille. „Mmh?“ „Erzähl mir was von dir!“ Überrascht blickte der Rothaarige auf seinen kleinen Freund hinab. Er sollte etwas von sich erzählen? Aber was wollte Kyo denn jetzt hören? Er hatte sich doch sonst auch nie für ihn interessiert. „Irgendwas“, fügte Kyo leise hinzu, als er Dies Verwirrung merkte. „Weil… ich festgestellt hab, dass ich dich überhaupt nicht kenne.“ Flüchtig lächelnd schlang Die seine Arme um Kyos Oberkörper und zog ihn näher zu sich. Sanft bettete er seine Wange in Kyos Haaren. „Hm… vielleicht sollte ich damit anfangen, dass ich eigentlich gar kein Einzelkind bin, weil du doch dachtest, dass ich ein verwöhntes Einzelkind wär.“ Er konnte Kyos verwirrtes Gesicht schon beinahe sehen, auch wenn er ihm nicht direkt ins Gesicht blicken konnte. „Ich hab…“, er brach ab, sammelte sich einen Moment und sprach dann ruhig weiter. „Ich hatte einen Bruder. Er war sechs Jahre älter als ich und der ganze Stolz meiner Eltern. Jahrgangsbester. Überall beliebt. Er schien eine strahlende Zukunft vor sich zu haben...“ „Was ist mit ihm passiert?“ hakte Kyo vorsichtig nach. Traurig schloss Die die Augen, als sich alte, verdrängt geglaubte Erinnerungen erneut vor seinem inneren Auge abzuspielen begannen. Kyo glaubte schon keine Antwort mehr zu bekommen, als der Rotschopf schließlich mit leiser, aber fester Stimme erklärte: „Er hat Drogen genommen.“ Verlegene Stille breitete sich über ihnen aus bis der Gitarrist irgendwann fort fuhr. Er wollte es endlich jemandem erzählen. Jahrelang hatte er geschwiegen, verdrängt. „Mit gerade einmal achtzehn Jahren ist er dann gestorben. Als er so alt wie ich jetzt war.“ Unbewusst kuschelte er sich enger an den kleinen warmen Körper vor sich. „Meine Mutter hat das nicht verkraftet. Sie hat meinen Vater verlassen. Naja und mein Vater hat zu trinken begonnen. Er war nicht immer so, weißt du. Aber er gibt sich wohl die Schuld daran, dass Miya Drogen genommen hat. Seit seinem Tod versucht er verkrampft mich zu einem zweiten Miya umzukrempeln, bei dem er diesmal alles richtig machen kann. Aber ich bin nicht wie mein Bruder. Ich tanze aus der Reihe und das macht ihn wahnsinnig. In der Schule bin ich eher mittelmäßig, außer Gitarre spielen hab ich im Gegensatz zu meinem Bruder nicht grad viele Talente mit denen er vor seinen Arbeitskollegen oder Nachbarn angeben kann, diese ganze Band-Sache geht ihm ziemlich gegen den Strich, denn er meint es ist Zeitverschwendung, meine Haarfarbe regt ihn auf, meine Freunde sind ihm zu weiblich und so weiter und so fort. In seinen Augen bin ich wohl eine einzige Verfehlung.“ Er seufzte und öffnete seine Augen, richtete sie starr geradeaus auf eine kahle weiße Wand. „Ich glaube ihm wäre es lieber, wenn ich anstelle von Miya gestorben wäre.“ Stillschweigend hatte Kyo die Worte in sich aufgesogen, hatte Die kein einziges Mal unterbrochen auch wenn er seinen Vater nach dem Gehörten am liebsten an die entlegensten Orte gewünscht hätte. Wer hätte gedacht, dass Dies farbenfrohes Leben so viele Grauschattierungen beinhaltete? Eine Weile saßen sie einfach nur schweigend da, jeder in seinen eigenen Gedanken verloren, jeder an den anderen gedrängt, wie frierende Tiere, die sich gegenseitig zu wärmen versuchten. „Ich hätte dir vielleicht lieber etwas positives aus meinem Lebens erzählen sollen“, meinte Die irgendwann verlegen. Kyo lehnte seinen Kopf zurück, um zu Die aufzusehen. „Nein. Schon okay… Ich bin nur… erstaunt wie wenig ich von dir weiß.“ Die schenkte ihm ein flüchtiges Grinsen, ein wenig gequält. „Eigentlich bist du der einzige, der das jetzt weiß.“ Überrascht zog Kyo eine Augenbraue in die Höhe. „Du meinst, du hast das nicht mal Kao erzählt?“ Der Rotschopf nickte. „Aber.. er ist doch dein bester Freund. Er muss das doch mitgekriegt haben.“ „Mein Bruder starb bevor ich Kao kennen gelernt habe. Kao weiß nicht, dass ich jemals einen Bruder hatte.“ Verwirrung breitete sich über dem gelben Haupt aus. Die hatte ihm soeben etwas anvertraut, was er niemand anderem je erzählt hatte. Vertraute er ihm wirklich so sehr? Waren seine Gefühle wirklich so ernst gemeint? Kyo konnte sich das immer noch nicht vorstellen, konnte es nicht verstehen? Wie man ihn lieben konnte. Er wusste, dass er Dies liebevolle Art und seine Zuneigung überhaupt nicht verdient hatte. Er konnte ihm nichts zurückgeben. Wieso also hielt der Gitarrist noch immer an ihm fest? „Und warum hast du es ihm nie erzählt?“ Der Rotschopf ließ ein leises Seufzen verlauten. „Ich… ich red nicht gern über solche Sachen. Ich mag es nicht, wenn Leute mich deswegen anders behandeln. Ich wollte nicht Kaorus Mitleid, ich wollte seine Freundschaft, eine ehrliche Freundschaft. Und da ich weiß, dass Kaoru ein sehr fröhlicher Mensch ist hab ich mich bemüht auch immer fröhlich zu sein bis es selbstverständlich wurde.“ Er lächelte zaghaft. „Man muss das Leben halt nehmen wie es ist und das Beste draus machen. Ich mag mein Leben wie es ist, auch wenn es nicht immer rosig aussieht. Aber ich hab viele Freunde, auf die ich mich verlassen kann, ich lache viel und habe Spaß, ich genieße meine Freiheit ohne große Einschränkungen und wenn es Probleme gibt, dann schaff ich sie aus dem Weg. Und am wichtigsten: Ich hab mir meinen Traum erfüllt. Die Musik bestimmt mein Leben und dass ich Mitglied einer Band voller solcher toller Menschen sein kann macht mich einfach nur glücklich. Dich kennen gelernt zu haben macht mich glücklich. Ich hab keinen Grund traurig zu sein und andere damit zu belasten.“ Er lächelte, zufrieden mit sich und seiner kleinen Rede. Ja, er war wirklich nicht traurig. Auch wenn seinem Vater ab und an die Hand ausrutschte, auch wenn er ihn beschimpfte und verfluchte, im Grunde waren das kleine Probleme im Vergleich zu denen von Kyo. Stille legte sich über den kleinen Raum. Eine angenehme Stille, in der jeder seinen Gedanken nachhing. „Hattest du ihn gern?“ Es war Kyo, der als erster wieder das Wort ergriff. „Wen? Meinen Bruder?“ Kyo nickte stumm. „Ja. Zwar gab es immer diese kleinen Differenzen. Wir waren sechs Jahre auseinander und er war immer der Liebling aller. Ich hab mich oft vernachlässigt gefühlt, aber ich gab eher meinen Eltern und nicht Miya die Schuld. Miya war immer fröhlich und aufgeweckt. Er war ein guter großer Bruder. Wenn ich mal wieder vergessen wurde kam er zu mir und hat mich aufgeheitert, denn er hat mich nie vergessen. Ich glaube es tat ihm Leid, dass er alle Aufmerksamkeit abbekam und ich nur im Schatten stand und er versuchte es auszubügeln, indem wenigstens er mir eine Familie zu sein versuchte.“ Er seufzte leise. Unbewusst hatte er sich enger an Kyo gekuschelt, den Halt um den schmalen Körper in seinen Armen verstärkt, als würde er sich an ihn klammern. „Ich konnte nie verstehen, wieso er überhaupt Drogen genommen hatte“, fuhr er leise fort. „Er hatte immer alles, was er wollte, war der Beste in allem, was er tat und hatte mit achtzehn Jahren schon Unmengen an guten Beziehungen. Er war der Stolz unserer gesamten Familie und mein Vater gab vor allen Leuten mit ihm an. Aber heute denk ich hab ich es verstanden.“ Er schwieg einen Moment, als suchte er nach den passenden Worten. Kyo wartete geduldig, gab ihm die Zeit, die er brauchte. Er spürte, dass Die schon viel früher darüber hätte reden sollen, anstatt es nur in sich hineinzufressen und zu verdrängen. „Es war wohl der Druck, mit dem er nicht umgehen konnte. All die Erwartungen, die auf ihm lagen. Unsere Eltern erwarteten, dass er immer der Beste bleiben würde, in allen Dingen herausragend. Fehltritte konnte er sich nicht leisten. Richtige Freunde auch nicht. Zwar mochte ihn jeder, weil er freundlich und lustig war, aber es gab auch viel Neid. Außerdem hatte er nie Zeit für sich, Zeit für Freundschaft. Ich glaub er war nie einfach mal aus, ins Kino oder mit Freunden tanzen. Alles was er tat war lernen. Daran muss ein Mensch ja kaputt gehen.“ Wehmütig vergrub er sein Gesicht in Kyos Haaren. „Meine Eltern hätten es merken müssen. Sie sind selbst Schuld. Sie haben ihn zu dem gemacht, was er geworden war. Er starb einsam, ohne je gelebt zu haben. Ein Musterleben, was die Hölle war.“ Langsam drehte Kyo seinen Kopf, sah Die tief in die Augen. „Aber du lässt dich nicht manipulieren.“ Resolut schüttelte der Rotschopf seinen Kopf. „Nein. Ich lebe mein Leben allein, ohne dass mir mein Vater dazwischen redet. Ich lasse mir nicht die Musik verbieten oder vorschreiben, wer meine Freunde sind.“ Ein laues Lächeln hatte sich aufs Kyos Lippen gelegt und verweilte dort für einen Moment. „Weil du stärker bist, als dein Bruder.“ Die blinzelte leicht. „Vielleicht“, meinte er leise und brach den Blickkontakt. Wieso wurde ihm auf einmal so heiß? Seine Wangen glühten regelrecht. Musste er gerade jetzt erröten? Peinlich berührt wandte er sich etwas ab. Und alles nur, weil Kyo plötzlich beschlossen hatte mal menschlich zu sein und vernünftig mit ihm zu reden ohne ihm an die Kehle zu springen. „Die?“ „Hm?“ kam die beschämte Antwort, den Kopf immer noch zur Wand gedreht, um den roten Wangen die Intensität zu nehmen. „Es tut mir Leid, dass du das jetzt noch mal durchmachen musst.“ Überrascht weiteten sich Dies kleine, ausnahmsweise mal nicht schwarz geschminkte, Augen. Mit so einem Satz hätte er nicht im Entferntesten gerechnet. Scheu suchte er wieder Kyos Augen, verlor sich in ihnen. Was sollte er darauf erwidern. Ihm fehlten die Worte. Er war erstaunt und gerührt zugleich. „Das.. ist doch nicht deine Schuld. Also hör auf dich zu entschuldigen!“ Resigniert senkte Kyo die Lider. „Doch es ist meine Schuld. Ich hätte dich da nicht mit hineinziehen dürfen.“ Erstaunen wich Wut. „Kyo, hör endlich auf damit!“ Ein fragender Blick. „Du hast keine Schuld, wie oft soll ich das noch sagen? Ich stecke aus freien Stücken in der ganzen Misere mit drin. Also wag es nicht noch einmal mir zu widersprechen!“ Ein kleines Grinsen, dann wieder trauriger Ernst. „Du wurdest wegen mir verprügelt und hattest eine Gehirnerschütterung.“ Schweigen. „Kyo. Bitte hör auf. Verstehst du nicht? Die ganze Angelegenheit ist zu groß für dich, zu schwer, um sie allein zu tragen. Ich will dich beschützen. Bitte lass es zu!“ Blasse Lippen pressten sich zu einem blutleeren Strich zusammen. „Und wer beschützt dann dich?“ Ein zaghaftes Lächeln. „Mach dir mal keine Sorgen, Kleiner.“ „Kleiner?“ Mürrisch zog Kyo die niedliche Nase kraus und entlockte Die ein weiteres flüchtiges Lächeln. Er seufzte geschlagen und ließ sich abermals gegen Die zurücksinken, den Kopf gegen die starke Brust des Gitarristen gelehnt. Eine weitere Schmerzenswelle kündigte sich bereits an, zog an seinen Sinnen, drohte über ihm zusammenzubrechen und gegen seinen geschändeten Geist zu branden. Die letzten Schutzwälle würden fallen. Halt suchend krallte er sich in Dies Hand, vergrub sein Gesicht in der schützenden Umarmung. … Die nächsten Stunden erfuhr er, was wahrer Schmerz bedeutete. *** Drei Tage waren bereits vergangen, Tage voller Schmerz und Qual, in denen Die kaum gegessen oder geschlafen hatte. Kyos Zustand hatte sich nur sehr langsam wieder verbessert, die Krämpfe und die Übelkeit ebbten allmählich ab. Das Licht am Ende des pechschwarzen Tunnels kam näher und Hoffnung keimte in den von Sorgen geplagten Geistern der Bandmitglieder auf. Auch Shinya, dem Kyos lange Abwesenheit nicht entgangen war, hatte man schließlich eingeweiht. Er war mehr als geschockt gewesen und hatte immer wieder ungläubig den Kopf geschüttelt und auf das kleine bemitleidenswerte Geschöpf in Kaorus Bett hinabgestarrt. Jetzt saßen sie alle in Kaorus provisorischem Wohnzimmer. Die hatte müde den Kopf an Kaorus Schulter gelehnt und die Augen geschlossen. Im Moment bedurfte es nicht einmal mehr seiner schwarzen Schminke, denn die dunklen Ringe unter seinen Augen sprachen schon für sich. Toshiya lehnte zur Linken des Bandleaders und spielte abwesend mit dessen Fingern, die auf dem Oberschenkel des Bassisten lagen. Shinya schlürfte Gedanken verloren seinen Tee. „Ich muss dann noch mal nach Hause“, durchbrach Dies leises Murmeln schließlich die Stille. „Was?“ fragte Kaoru verwirrt. „Muss was holen“, erklärte der Rotschopf leise. „Jetzt? Hat das nicht Zeit bis später?“ Spielerisch kitzelten die roten Haare seines Freundes an sein Ohr, als dieser den Kopf schüttelte. „Kyo hat danach gefragt.“ Seufzend blickte der Leadgitarrist an die Decke. „Soll ich dich fahren?“ Wieder ein Kopfschütteln. „Nein, schon gut. Ich brauch eh mal frische Luft.“ Erschöpft erhob sich der schmächtige junge Mann und streckte sich. „Ich bin bald zurück.“ Er krallte sich seine Jacke, hob die Hand zum Abschied und verließ das kleine Apartment. Wie lange hatte er jetzt eigentlich nicht mehr geraucht? Mit zitternden Fingern klaubte er sich eine Zigarette aus seiner Kippenschachtel und zündete sie an. Einen tiefen Zug später spürte er, wie sich die Anspannung allmählich von seiner Seele löste, die Ketten brach, die sich um sein Herz gelegt hatten. Erleichtert atmete er tief durch. Die kalte Luft brannte klar in seinen Lungen, vertrieb den Nebel in seinem Kopf und die bleierne Müdigkeit in seinen Knochen. Hastig beschleunigte er seine Schritte. Er wollte zurück sein, wenn Kyo erwachte, wollte ihm ein Lächeln schenken, ihm sagen, dass es bald überstanden war, dass es nicht mehr lange dauerte, dass er nicht allein war. Ein flüchtiges Lächeln schlich sich auf seine trockenen Lippen, setzte sich für einen Moment dort fest und erwärmte Dies Gemüt. Ja, bald war es geschafft. Kyo hatte die ganze Nacht friedlich geschlafen ohne einmal aufzuwachen. Das war ein gutes Zeichen. Amüsiert ertappte er sich dabei, wie er eine leise Melodie zu summen begann. Seichter Wind wirbelte durch seine roten Haare. Zum Glück wohnte er nicht allzu weit von Kaoru entfernt. Schon eine Viertelstunde später stand er vor dem Haus, welches viele Jahre sein Zuhause und gleichzeitig sein Gefängnis gewesen war. Innerlich unzählige Stoßgebete zum Himmel schickend, dass sein Vater auf Arbeit war, schob er das quietschende Tor auf und lief die wenigen Meter bis zur Haustür. Als er den Schlüssel ins Schloss stecken wollte stockte er. Die Tür stand bereits einen kleinen Spalt breit offen. Verwirrt streckte er die Hand aus und schob das trostlose Holz nach innen in den düsteren Flur. War sein Vater schon so besoffen, dass er nicht einmal mehr die Tür richtig schließen konnte? Mit einem mulmigen Gefühl im Magen trat er ein. Chaos begrüßte ihn. Auf dem Fußboden verstreut lagen mehrere leere Bierflaschen, unzählige zerknüllte Zettel bedeckten den Teppich wie Hagelkörner, Klamotten lagen bunt verteilt. Hatte sein Vater jetzt vollkommen den Verstand verloren? Es kam ihm vor, als hätte ein Sturm durch die Wohnung gewütet. Auf Zehenspitzen stakste er durch den Flur Richtung seines Zimmers und auch hier begrüßte ihn kein besseres Bild. War sein Vater wirklich so wütend gewesen, dass er alles verwüstet hatte.. oder..? Entsetzen machte sich in seinem Kopf breit, als ein weiterer Gedanke ihn traf. Ein Einbruch?! Hatte man Kyo bei ihm gesucht? Aber woher wussten sie von ihm? Woher kannten sie seine Adresse? Hatte man den kleinen Sänger etwa beobachten lassen? Tausende Fragen stoben durch sein Innerstes, wühlten ihn auf. Fahrig fuhr er herum, versuchte das Chaos zu überblicken und einen Anhaltspunkt zu finden, der die Verwirrung lichten würde. In einer Ecke entdeckte er Kyos Hemd, welches er achtlos dort hingeschmissen hatte und welches dort immer noch lag. Mit wenigen Fingergriffen hatte er das kleine Gedichtbuch, nach dem Kyo gefragt hatte, aus der Brusttasche des Hemdes gezogen. Das Papier hatte sich aufgrund des Regens gewellt und an einigen Stellen war die Tinte verlaufen. Die seufzte leise und schob das Buch in einer beiläufigen Bewegung in seine Hosentasche. Wehmütig ließ er seinen Blick durch das verwüstete Zimmer schweifen. Das waren seine heiligen vier Wände gewesen, sein Zufluchtsort. Wie würde sein Vater reagieren, wenn er erfuhr, dass einer seiner Freunde Grund dafür war, dass man hier eingebrochen hatte? Sein Vater… Was, wenn die Einbrecher ihn überrascht hatten? Was, wenn er gar nicht mehr lebte? Verärgert über seine eigenen Gedanken schüttelte der Rotschopf den Kopf. „Unsinn“, murmelte er leise. Sein Vater war bestimmt wohlauf. Wahrscheinlich saß er gerade in seinem Büro in der Klinik und verwünschte sein einzig gebliebenes Familienmitglied, weil es eine Verfehlung war. Müde strich sich Die durchs Gesicht. Was für eine grausame Woche. „Na wen haben wir denn da?“ Erschrocken fuhr Die herum und erstarrte. Das war gar nicht gut… *** Auf wackeligen Füßen tapste er aus dem Schlafzimmer. Er fühlte sich ausgelaugt, aber besser, als noch vor wenigen Stunden. Suchend ließ er seinen Blick über die Gesichter der im Wohnzimmer Versammelten wandern, ehe er leise fragte: „Wo ist Die?“ Erschrocken sah Kaoru auf. „Kyo!“ Überraschung machte sich auf seinen Gesichtszügen breit, gefolgt von Erleichterung und Freude. „Wie geht’s dir?“ Genervt verzog der kleine Blondschopf das Gesicht. „Geht. Wo ist Die?“ wiederholte er seine Frage etwas ungeduldig. „Oh, der wollte nur schnell nach Hause. Irgendwas für dich holen.“ Mit einem irritierten Blick auf die Uhr, fügte er hinzu: „Er müsste eigentlich schon längst zurück sein.“ Überrascht weiteten sich Kyos gerötete Augen. „Nach Hause?“ „Keine Angst“, beruhigte ihn der Leader, als er den besorgten Blick des kleinen Sängers sah. „Der taucht schon wieder auf.“ Er lächelte aufmunternd, als ein Piepsen seitens seines Handys seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Flink huschten seine Finger über die Tasten. „Ist von Die“, erklärte er und öffnete die Nachricht. Langsam wanderten seine Augen über die digitalisierten Zeichen, sogen sie in sich auf und versuchten zu begreifen. „Oh Gott“, drang es fassungslos über seine Lippen und alle Farbe wich aus seinem Gesicht. „Was ist?“ sprach Kyo die Frage aus, die wohl allen auf der Seele brannte. Langsam hob Kaoru den Kopf. „Sie.. sie haben Die…“ Kapitel 7: Bottom of the death valley ------------------------------------- Chapter 7 Bottom of the death Valley *Kyo* Ich stehe, unfähig mich zu rühren, vor dem Abgrund, den mein Leben aufriss... ...wird der nächste Schritt mein letzter sein? ~*~ „Sie haben Die!“ Unheilvoll hing dieser Satz in der Luft, lähmte ihre Gedanken, ihren Geist. „Sie? Wer sind ‚Sie’?“ Toshiya war der Erste, der die drückende Stille brach, schier zerriss. „Nishimura!“ Kyos Stimme zitterte, zitterte so stark, dass Kaoru schon glaubte, sie würde brechen. Er hatte dem Leader das kleine Mobiltelefon aus der Hand genommen und die Nachricht überflogen. Krampfhaft umschlossen seine kleinen Finger das Handy, brachten die Plastik dazu gequält unter dem Druck zu knirschen. Besorgt betrachtete der Ältere den kleinen Sänger. Seine Hände bebten aufgrund der unterdrückten Gewalt, die seinen kleinen schwachen Körper schüttelte. Er hatte die Kiefer fest aufeinander gepresst. Das Blut war längst aus seinen Lippen gewichen. „Kyo, wir-“, begann er, nach Worten suchend, hielt aber sogleich erschrocken inne, als die Knie des Blondschopfs unverhofft unter dem Gewicht seines Körpers nachgaben. In einem Sekundenbruchteil hatte Kaoru die Arme nach vorne ausgestreckt und bremste den Sturz des kleinen Körpers, ehe dieser am Boden zerschellen konnte. Aufgelöst hing der Sänger in den starken Armen des Gitarristen, den Kopf gegen die muskulöse Brust gelehnt, den Blick zu Boden gesenkt. Entsetzt betrachtete Kaoru das unregelmäßige Beben der schmalen Schultern. Weinte er? „Kyo, bitte beruhig dich.“ Sanft strich er durch die gelben Haare, doch der Angesprochene sträubte sich gegen die Berührung, gegen die Geste, egal, wie freundlich sie gemeint war. Nur Die durfte ihm so durch die Haare streicheln. Nur Die! Aber er war fort. Und es war seine Schuld. Ein kraftloses Schluchzen war zu hören. Hilflos warf der Leader einen Blick zu den anderen, die wohl ebenso erschrocken über diesen emotionalen Ausbruch waren wie er. Es sah Kyo überhaupt nicht ähnlich, dass er seine Gefühle so offen zeigte, regelrecht zusammenbrach. Vor allem, da es „nur“ um Die ging, mit dem er sich seit ihrem ersten Zusammentreffen eigentlich immer in der Wolle gehabt hatte und ständig Streit anfing. „Keine Angst. Wir holen ihn zurück.“ Beruhigend strich er über den schmächtigen Rücken. „Und wie willst du das schaffen?“ Kyos Stimme drang leise an sein Ohr. Resignation lag in ihr, Angst und Verzweiflung. „Du weißt nicht mal, wo er ist. Du kennst Nishimura nicht. Weißt nicht wozu er fähig ist… Er ist ein Monster.“ Hass hatte sich in die Verzweiflung geschlichen, vergiftete seine Gedanken mit Wut, half die Hoffnungslosigkeit zu ertragen. Wie viel hatte ihm dieser Mann schon angetan, wie viel genommen? „Wir müssen die Polizei alarmieren!“ Auch Shinya hatte sich inzwischen aus seiner Starre gelöst. „Allein können wir nichts ausrichten. Die Typen sind sicher bewaffnet bis an die Zähne.“ „NEIN! Keine Polizei!“ Ruckartig hatte Kyo seinen Kopf gehoben. Entgegen Kaorus Annahme waren seine Augen weder tränennass noch gerötet. Alles was in ihnen blitzte war Angst und… Entschlossenheit? „Dann bringt er ihn um.“ „Aber.. wir können dort nicht allein reinstürmen. Wir haben doch null Chance“, mischte sich Toshiya wieder in die Diskussion. „Ihr werdet auch nicht gehen!“ Alle Aufmerksamkeit fixierte sich auf Kyo. „Ich geh allein. Schließlich will er mich. Dai ist für ihn nur.. nur ein Werkzeug, ein Mittel zum Zweck.“ Bitter kamen die Worte über seine Lippen, sickerten langsam auf den tiefen Grund der Erkenntnis. „… Du…du willst dich ihm stellen?“ Kaoru starrte ihn fassungslos an. „Bist du verrückt?! Du kannst dort nicht wieder zurück. Der Typ hat dich unter Drogen gesetzt.“ „Aber er wird ihm etwas antun, wenn ich nichts unternehme.“ „Aber es bringt doch nichts, wenn du dich jetzt opferst. Das würde Die niemals zulassen. Bitte Kyo, er liebt dich. Tu ihm das nicht an. Wir finden einen anderen Weg.“ Kyo schüttelte den Kopf. „Es gibt keinen anderen Weg. Ich kenne als einziger den Ort, an dem man ihn gefangen hält. Ich weiß, was mich dort erwartet. Ich kenne die Schleichwege, ich kenne die Räume, weiß, wo die Überwachungskameras hängen. Ihr wärt dort drinnen aufgeschmissen. Sie hätten euch schon entdeckt, ehe ihr überhaupt im Gebäude wärt.“ Kaorus Selbstsicherheit sank. Dennoch blieb er stur. „Kyo, du bist noch viel zu schwach. Ich erlaube nicht, dass du mitkommst.“ „Du kannst es mir nicht verbieten!“ Langsam verlor Kyo die Geduld. Seine Stimme war schrill, verriet die vielen unkontrollierten Emotionen. „Doch das kann ich!“ Ernst erwiderte der Leader den wütenden, aber ebenso verlorenen Blick des Kleineren. Seine Stimme wurde sofort wieder sanfter. „In deinem Zustand wärst du nur ein Hindernis, Kyo, bitte versteh das.“ Große Augen fixierten ihn, überschwemmten ihn mit der Gefühlsgewalt, die in ihnen lag. Niemals hatte Kyo seine Fassade so tief fallen lassen, dass man wie ein offenes Buch in ihm lesen konnte. Doch jetzt hatte Kaoru das Gefühl tief in Kyos Herz sehen zu können und die Angst und Sorge erdrückten ihn schier. Hilflos hielt er den zitternden Sänger in seinen Armen, strich ihm liebevoll über den Rücken. Er wusste, dass seine Worte grausam gewählt waren, doch dienten sie lediglich dem Zweck Kyo zur Vernunft zu bringen, ihn in Sicherheit zu wägen. „Ein Hindernis?“ wiederholte der Blondschopf die Worte fast schon weinerlich. Der Gitarrist nickte leicht. „Ja.“ Tröstend presste er den schwachen Körper des Sängers an sich, versuchte ihn ein wenig zu beruhigen. „Shinya und Toshiya werden auf dich aufpassen. Ich gehe allein.“ „Waas?!“ Jetzt mischte sich auch Toshiya in die Diskussion. „Auf keinen Fall. Ich komme mit dir!“ Kaoru schloss für einen Moment die Augen und seufzte, ehe er sich langsam zu dem Bassisten umdrehte. „Toshi, bitte, fang du nicht auch noch an.“ Entschlossen verschränkte der Jüngere die Arme vor der Brust. „Du kannst sagen, was du willst. Ich lass dich nicht alleine gehen! Entweder du nimmst mich mit, oder wir bleiben alle hier!“ Kaoru raufte sich frustriert die wertvollen Haare. „Ihr raubt mir den letzten Nerv“, murrte er leise. „Also schön, Toshiya kommt mit. Und du Kyo erklärst mir jetzt ganz genau, wie wir da ungesehen reinkommen und wo wir Die finden.“ ~*~ Dunkelheit umgab ihn, erdrückte ihn, erstickte seine Seele. Resigniert hatte er die Augen geschlossen, versuchte die fremde, auferzwungene Finsternis durch das Versiegeln der Lider auszusperren, ihr zu trotzen und den Geist mit selbst ersuchter Blindheit zu beruhigen. Er war nicht vollständig machtlos, nur vorübergehend mittellos und ein wenig eingeschränkt in seiner Freiheit. Ja, nur eingeschränkt. Kein Grund in Panik auszubrechen. Und dennoch kroch die Angst wie ein schleichendes Gift durch seine Adern, zehrte an seinem aufgescheuchten Herz. Was würde mit ihm geschehen? Und was noch viel wichtiger war: Was würde Kyo tun? Denn dass er als Köder für den kleinen Gelbschopf fungierte war ihm recht schnell bewusst geworden. Sein Verstand sagte ihm, dass Kyo nicht kommen würde, denn er würde nicht freiwillig in diese Hölle zurückkehren, der er nur knapp entkommen konnte. Eine Hölle, die ihn ängstigte. Nein… er würde nicht kommen… Nicht für Die. Dais Herz jedoch hoffte, dass Kyo ihn nicht an diesem Ort zurücklassen würde, dass er dem Sänger nicht egal war. Aber erneut in Nishimuras Fänge geraten durfte er auch nicht. Er fühlte sich so zerrissen zwischen seinen Wünschen. Stöhnend vergrub er seinen Kopf zwischen den Armen. Er konnte nichts tun, war ohnmächtig. Was auch immer geschehen mochte, es stand nicht in seiner Macht. ~*~ Nervös lief Toshiya hinter dem Violetthaarigen her, der einen erstaunlich schnellen Schritt zu Tage legte. „Kao!“ Hastig schloss er auf. „Wie stellst du dir unsere kleine Rettungsaktion eigentlich vor? Wir können da doch nicht einfach reinspazieren, Die schnappen und wieder abhauen.“ Ruckartig blieb der Ältere stehen, fixierte Toshiya, der durch den plötzlichen Halt beinahe in ihn hineingelaufen wäre. „Doch, so war es eigentlich geplant“, meinte der Gitarrist trocken. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen und Kao nicht so in Eile, wahrscheinlich hätte er sich in diesem Moment über Toshiyas selten dämlichen Gesichtsausdruck totgelacht. „A..aber…selbst wenn wir da unbemerkt reinkommen, Dies Flucht wird nicht unbemerkt bleiben. Man wird alles auf Videokamera aufzeichnen. Kyo hat gesagt, dass das Gebäude regelrecht mit Kameras bepflastert ist. Sie wissen dann, wer Die befreit hat. Was ist, wenn sie dann auch hinter uns her sind?“ Die Augen des Leaders verengten sich leicht. „Das ist ein Risiko, dass wir eingehen müssen.“ Toshiyas schokoladenbraune Augen weiteten sich ängstlich. Seufzend legte Kaoru eine Hand auf die Schulter des Jüngeren. „Hör mal Toshiya. Du musst das nicht machen. Ich zieh das auch alleine durch. Noch kannst du umkehren.“ „Nein!“ Resolut schüttelte der Blauhaarige seinen Kopf. „Ich lass dich nicht allein.“ Nachdenklich maßen ihn die durchdringenden Augen seines Gegenübers, versuchten zu analysieren, zusammenzufügen, zu verstehen. Wieso war Toshiya so wild entschlossen ihn zu begleiten? Verärgert schüttelte er den Kopf. Jetzt war nicht die Zeit, um über solche Belanglosigkeiten nachzudenken. Die saß irgendwo ganz allein in einer Zelle und hatte bestimmt furchtbare Angst. „Also schön. Dann lass uns nicht noch mehr Zeit verlieren.“ Entschlossen packte er Toshiyas schmale Hand, drückte sie ermutigend und zog ihn dann mit sich, der Gefahr entgegen. *** Unheilvoll ragte das Firmengebäude vor ihnen in die Höhe. „DAS ist es?“ fragte Toshiya ungläubig. „Das sieht so… normal aus.“ Kaoru lächelte schwach. „Sie werden bestimmt nicht in Großbuchstaben ‚Wir verticken Drogen’ an die Fassade pinseln.“ Beleidigt verzog der Blauhaarige seine Lippe zu einem Schmollmund. „Manno, ich mein doch nur. Hab halt was…Spektakuläreres erwartet.“ Der Ältere rollte mit den Augen, ging aber nicht weiter darauf ein. „Komm jetzt. Dai wartet“, drängte er ungeduldig und wollte weiter gehen, doch etwas hielt ihn am Arm zurück. Langsam drehte er sich wieder zu Toshiya um, hob fragend eine Augenbraue. Der Bassist kaute nervös auf seiner Unterlippe herum. „Du liebst ihn, oder?“ Erstaunen spiegelte sich in den braunen Tiefen des Gitarristen wieder. „Eh... können wir bitte später darüber diskutieren? Das ist nicht gerade der passende Zeitpunkt.“ „Nein!“ wandte Toshiya hastig ein. „Bitte, ich will es jetzt wissen.“ Seufzend legte der Violetthaarige den Kopf schief, blickte einen Moment an dem Blauhaarigen vorbei in die Ferne und überlegte, wie er auf die Frage antworten sollte. „Ich… hab Gefühle für ihn… aber… sagen wir so, ich hab ihn aufgegeben, da ich gegen Kyo keine Chance hab. Er liebt Kyo wirklich, das weiß ich. Ich sehe es ihm an, jeden Tag, jede Minute. Ich hab mich damit abgefunden, es akzeptiert.“ Er schwieg einen kurzen Moment. „Und mit der Zeit sind dann auch die Gefühle abgeschwächt. Ich mein, ich liebe ihn noch immer… aber nicht mehr auf die gleiche Weise… anders... ich will ihn als meinen besten Freund nicht verlieren. Ich bin auch so glücklich, verstehst du?“ Toshiya nickte zögerlich. Einerseits stimmten ihn Kaorus Worte traurig, denn auch er kannte das Gefühl chancenlos zu sein. Wie oft hatte er Die in den letzten Wochen für sein Glück beneidet, von welchem dieser nicht einmal wusste. Andererseits entfachten Kaorus Worte eine kleine Flamme der Hoffnung in ihm. Vielleicht... vielleicht würde Kaoru ja irgendwann wirklich seine Gefühle erwidern. Aber er musste wohl den ersten Schritt tun und es ihm sagen. Nur nicht jetzt… erst wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war… wenn sie diese Selbstmordaktion hier überlebten. Ein kleines Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Los, holen wir uns unseren Bigred zurück!“ *** Er wusste nicht, wie lange er schon reglos dasaß und die Dunkelheit tot starrte. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, doch konnten es erst Stunden sein, die er hier festsaß. Er hatte Hunger. Die letzten Tage hatten ihn sichtlich erschöpft. Er hatte pausenlos an Kyos Bett gewacht und kaum ein Auge zugetan. Kaoru hatte ihn irgendwann gezwungen etwas zu essen, doch sein Magen war so verkrampft gewesen, dass er ohnehin nicht viel herunter bekommen hatte. Das bereute er jetzt ein wenig. Schutzsuchend hatte er die Arme um den Körper geschlungen, versuchte sich ein wenig aufzuwärmen. Seine Gedanken schweiften immer wieder an entlegene Orte und wurden erst wieder in die Realität zurückgerissen, als Schritte ertönten. Grausam quietschend öffnete sich das Auge der Zelle, ließ kaltes grelles Licht hineinströmen. Die Künstlichkeit der Atmosphäre wirkte falsch, beinahe krank. Ängstlich und neugierig zugleich betrachtete der Rotschopf den dunklen Schatten, der in das Licht trat, ihm seine Intensität nahm. Es konnte sich um niemand anderen als Nishimura handeln, von dem Kyo ihm schon erzählt hatte, wegen dem der kleine Sänger so viel hatte leiden müssen. "Du bist also der Bengel, der mir einen Strich durch die Rechnung gemacht hat." Erschrocken zuckte der Gittarist unter dem unerwartet eiskalten Tonfall zusammen. Nervös kroch er tiefer in den Schatten der Zelle, doch erntete er dafür nur ein spöttisches Lachen. "Du kannst nicht vor mir davonlaufen. Niemand kann das. Auch Tooru nicht." Tooru? Dai blinzelte. Wer zum Teufel war Tooru? Verwirrung machte sich unter den roten Haaren breit. Wovon redete dieser Kerl überhaupt? "Sag mir, wo er ist, dann lasse ich dich eventuell leben." Unsicherheit schwappte über ihm zusammen, verbündete sich mit der nagenden Angst und Hilflosigkeit. "Ich... ich kenne keinen Tooru", stammelte er leise. "Jetzt spiel hier nicht den Unwissenden", fuhr ihn sein Gegenüber herrisch an. "Meine Leute haben ihn beobachtet und haben mir berichtet, dass du ihn von der Straße aufgelesen und mit zu dir nach Hause genommen hast." Die Augen des Gitaristen weiteten sich leicht. Von der Straße aufgelesen.. und mit nach Hause.... //K...Kyo? Aber wieso.. wieso Tooru? Ist dein Name etwa überhaupt nicht Kyo?// "Alles war so schön geplant gewesen", rissen ihn die Worte Nishimuras wieder aus seinen Gedanken. Der verträumte Tonfall irritierte den Rotschopf. Skeptisch maß er den Mann vor sich. Eines war klar: Bei dem lief so einiges nicht mehr rund im Kopf. "Er wäre zu mir zurück gekrochen gekommen, hätte um mehr gebettelt und es auch bekommen. Und dann hätte er eingesehen, wo er hingehört", ein krankes Lächeln breitete sich auf den Lippen seines Gegenübers aus, "Zu mir!" Hass flammte in Die auf, verbrannte seine Angst und ließ nur Wut zurück. "Sie sind doch krank. Erst lassen sie ihn für sich anschaffen, dann verdammen sie ihn dazu mit Drogen zu dealen und jetzt machen sie ihn von dem Dreckszeug abhängig. Sie sind doch total gestört im Kopf." Seine Stimme bebte vor Verachtung und Zorn. Gewaltsam hatten sich seine Hände zu Fäusten geballt. "Er wird nie Ihnen gehören und er wird ganz bestimmt nicht hierher zurückkehren. Denn Sie haben den Falschen entführt. Ich bedeute ihm rein gar nichts. Niemand bedeutet ihm etwas und daran sind allein Sie schuld. Sie haben ihn zu dem gemacht, was er heute ist. Er vertraut niemandem und stößt alle von sich. Und deswegen haben Sie verloren." Kalt kamen diese Worte über seine Lippen und dennoch schwang Triumph in seiner Stimme. "Er kommt nicht zurück!" Ein schwaches Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus. Vielleicht würde er hier und jetzt sterben. Er konnte nicht behaupten, dass ihn dieser Gedanke nicht fast wahnsinnig vor Angst machte, und doch war das Gefühl der Zufriedenheit in diesem Moment einfach vorherrschend. Mit Genugtuung betrachtete er, wie Wut in den Augen seines Gegenübers aufstieg. Er hatte es sich bestimmt einfacher vorgestellt. Wahrscheinlich dachte er, dass er Die nur ein wenig Angst einjagen brauchte, damit dieser ihm tränenreich alles erzählte, was er wissen wollte. "WO IST ER?" donnerte Nishimuras Stimme nun ungeduldig durch die winzige Zelle, ließ Dai zusammenzucken. Doch der Rotschopf schwieg verbissen. Nichts und niemand würde ihn dazu bringen ihm zu verraten, wo Kyo sich im Moment befand. Lieber würde er seine Zunge verschlucken. "Muss ich dir erst Gewalt androhen, damit du mir sagst, wo mein Sohn ist?" Entsetzt riss der Rotschopf die Augen auf. "S..Sohn?" Unglauben schwang in seiner Stimme. Hatte er das gerade richtig verstanden? Nein, unmöglich. Kyo selbst hatte ihm erzählt, dass er sein Vater irgendein Junkie war, von dem er nicht einmal wusste, ob er noch lebte... Aber... bedeutete das nicht, dass Kyo seinen Vater noch nie zu Gesicht bekommen hatte und dementsprechend gar keine Ahnung hatte, wer nun eigentlich sein Vater war? War es deswegen nicht auch möglich, dass Nishimura... NEIN! Entschieden schüttelte er den Kopf, versuchte den Gedanken zu verdrängen. "Er ist nicht Ihr Sohn!" meinte er dann bestimmt. "Er IST mein Sohn!" widersprach Nishimura resolut. "Ich habe seine verdammte Hure von Mutter geschwängert und den Bengel großgezogen. Wie kann er es wagen sich, nach allem, was ich für ihn getan hab, jetzt von mir abzuwenden." Ein heiseres Lachen entwich Dais Kehle. "Nach allem was Sie für ihn getan haben? Das ist doch wohl ein schlechter Scherz!" Zornig verengten sich seine Augen. "Sie haben nichts getan, als ihm Leid zuzufügen. Sie haben es zugelassen, dass man sich wieder und wieder an ihm vergriff. Er war damals noch ein unschuldiges Kind, Sie Bastard!" Unglaublicher Hass wallte in seinen Adern, nahm ihm schier die Luft zum Atmen und versengte ihn von innen heraus. "Wenn ich könnte dann würde ich Sie auf der Stelle dafür töten, Sie Arschloch!" Spöttisch kräuselte sein Gegenüber die Lippen. "Ach.. würdest du das? Nur bedauerlich, dass du keine Gelegenheit dazu haben wirst." Gemächlich hob er seine rechte Hand und schnipste mit den Fingern. Kurz darauf betraten zwei kräftige Männer, die wohl vor der Zelle gewartet haben mussten, die Bildfläche und bauten sich rechts und links neben Nishimura auf, die Arme vor der Brust verschränkt. "Kitzelt Toorus Standort aus ihm heraus!" Mit einen gehässigen Grinsen auf den Lippen drehte er sich um und verließ den Raum. ~*~ Im Inneren des Gebäudes war es kalt. Irgendwie erinnerte es an eine Eishölle. Ängstlich klammerte sich der Bassist an den Ärmel des Gitarristen. Er zitterte, doch wusste er nicht, ob es von seiner Angst oder der beißenden Kälte herrührte. Fahrig wanderten seine Augen hin und her, ständig in der Furcht lebend, entdeckt zu werden. "Was nun?" kamen die panisch gehauchten Worte über seine Lippen, als die Tür vor ihnen trotz beständigen Rüttelns verschlossen blieb. "Wir nehmen einen anderen Weg", flüsterte Kaoru hektisch und zog den Blauschopf den Gang zurück, den sie eben beschritten hatten. Leise hallten ihre Tritte auf dem trostlosen Linoleumfußboden wieder, der dem Gebäude mit samt den sterilen Wänden und dem grellen Neonlicht eine gespenstige Krankenhausatmosphäre verlieh. Nein, Irrenanstalt traf es wohl eher. Lautlos bogen sie in einen weiteren Flur ein und passierten die Tür an dessen Ende. Kaorus Finger, die einen von Kyo in Eile niedergekritzelten Lageplan des Firmengebäudes hielten, zitterten leicht. "Da lang", erklärte er nach einem kurzen Blick auf den Plan und dirigierte Toshiya in Richtung eines Treppenhauses. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen legte der Bassist den Kopf in den Nacken und starrte in die unglaublichen Höhen, in die sich die Treppe wand. "Nicht nach oben", erklärte Kaoru kopfschüttelnd. "Wir müssen nach unten. In den Keller." Toshiyas Herz sank. Der Keller? Kein sehr einladender Gedanke. Aber er hatte es sich so ausgesucht. Er wollte Kaoru begleiten und nichts würde ihn jetzt noch davon abhalten. Nicht einmal ein gruseliger, dunkler Keller voller Geisteskranker, Drogenabhängiger, Folterknechte und Mörder. Hastig schüttelte er diesen Gedanken ab. Kein Grund sich selbst wahnsinnig zu machen. Zögerlich lief er hinter dem Violetthaarigen die Treppe hinab. ~*~ "Wie geht es dir?" Fragend maßen ihn zwei große schokoladenbraune Lichter, eingerahmt von hellbraunem Haar. Kyo saß mit angezogenen Beinen auf der Couch, die bis vor einer Stunde noch zwei weitere Bandmitglieder beherbergt hatte, welche nun auf einer Rettungsmission waren, die eigentlich seine Aufgabe hätte sein sollen. "Lass mich", knurrte er gereizt und drehte den Kopf weg. Es tat so unglaublich weh hilflos zu sein und nur abwarten zu können. Ein tiefes Seufzen entrann Shinyas Kehle. Die Couch senkte sich ein Stück, als der Schlagzeuger neben dem Sänger auf ihr Platz nahm. "Kyo, Kaoru hat Recht. Du kannst in deinem Zustand eh nichts ausrichten. Die beiden machen das schon." Wütend fuhr der Gelbschopf herum, funkelte seinen Gegenüber aus dunklen Sternen entgegen. "Wieso müsst ihr mir immer alle meine Schwäche unter die Nase reiben. Macht es euch Spaß mich zu quälen?" Überraschung zeichnete sich auf den sanften Gesichtszügen des Bandkükens ab, gefolgt von Wehmut. "Nein, du verstehst das falsch. Wir machen uns doch nur Sorgen. Du hast eine furchtbare Woche hinter dir, eine Woche voller Schmerzen und Qualen und du bist gerade erst auf dem Weg der Besserung. Wir wollen dir doch nur weiteres Leid ersparen." Kyos Lippen verzogen sich zu einem blutleeren Strich. "Wenn du mir Leid ersparen willst, dann lass mich gehen. Ich ertrage es nicht nur hier rum zu sitzen und Däumchen zu drehen." "Das kann ich nicht!" Resigniert senkte der Drummer sein Haupt, blickte betreten zu Boden. "Du kannst mich nicht aufhalten, Shin, DU nicht. Vielleicht ist Kao stärker als ich, aber mit dir werde ich allemal fertig, egal wie beschissen es mir geht." Shinya beschloss die Beleidigung zu überhören und fragte stattdessen: "Willst du mich jetzt niederschlagen oder was?" Forsch blickte ihm der Blondschopf entgegen. Entschlossenheit glitzerte in seinem Blick. "Wenn es sein muss!" Der Jüngere wirkte gekränkt. "Das würdest du wirklich tun? Und das, obwohl wir befreundet sind?" "Du lässt mir keine andere Wahl." Shinya seufzte. "Kao würde es mir niemals verzeihen, wenn ich dich einfach gehen lassen würde." "Dann komm mit mir." Nachdenklich legte der Braunhaarige den Kopf schief. Lange Zeit herrschte Schweigen, ehe er wieder die Stimme erhob. "Okay... unter einer Bedingung!" ~*~ Ängstlich kroch der Rotschopf dichter in den Schatten der unbarmherzigen Steinwand. Es gab kein Entkommen. Aus geweiteten Augen musste er zusehen, wie die zwei Kolosse immer näher kamen. Herauskitzeln. Wieso klang dieses Wort in Verbindung mit jenen zwei Gestalten nur so brutal? "Möchtest du oder soll ich anfangen?" fragte der linke Riese den rechten, als ginge es darum, wer beim Karaoke das erste Lied anstimmen sollte. "Nein nein, mach du nur. Ich überlasse dir gern den Vortritt", meinte der Andere grinsend. Hätte Die in diesem Moment klar denken können, so wäre er sich wohl wie ein Stück Vieh vorgekommen, wie Ware, die man wahllos hin und herschob, doch sein Verstand war längst von Angst beherrscht und ließ Gedanken nicht einmal zu. Fingerknackend trat die linke personifizierte Gewalt auf ihn zu und packte ihn am Kragen, um ihn brutal vom Boden in eine senkrechte Position zu ziehen. "Hallo Vögelchen", drang die tiefe raue Stimme seines Gegenübers an sein Ohr, jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken. "Ich bring dich jetzt zum Singen." ~*~ In einem Punkt hatte Toshiya sich geirrt. Der Keller war keineswegs dunkel. Vielmehr schienen sich hier unten die Neonröhren nur noch zu mehren, als wollten sie jeden Winkel, jedes kleine Fleckchen in krankes totes Licht tränken, die Dunkelheit ersticken und somit jedes Versteck, jeden Zufluchtsort auszulöschen. "Wir sind ganz nahe", verkündete Kaoru plötzlich, "Laut Kyo werden die Gefangenen irgendwo hier unten eingesperrt." Er studierte noch einmal die Karte ehe er Toshiya in einen weiteren Gang lotste, der wie der vorhergehende aussah. Der Bassist hoffte innigst, dass Kaoru hier unten den Überblick bewahrte, denn er hatte ihn in diesem labyrinthartigen Gänge-Gewirr schon längst verloren. "Pass auf!" Hastig hielt der Dunkelhaarige den Gitarristen zurück und deutete auf eine Überwachungskamera, die langsam von links nach rechts schwenkte. "Die ist auf der Karte überhaupt nicht eingezeichnet", beschwerte sich der Ältere und bedachte das kleine Stück Technik mit einem verächtlichen Blick, als wollte er es allein durch Verachtung von der Decke holen. "Scheiße, wie kommen wir denn jetzt daran vorbei?" fluchte er leise und studierte erneut den Plan. "Es gibt keinen anderen Weg", meinte er schließlich resigniert. Nachdenklich legte Toshiya den Kopf schief. "Wie wärs, wenn wir einfach ganz schnell durchrennen. Wenn wir Glück haben schaut in dem Moment gerade niemand auf den Bildschirm." Kaoru seufzte. Die Idee war idiotisch, doch leider fiel ihm auch nichts Besseres ein. "Okay, versuchen wir es!" Sogleich griff er nach Toshiyas Hand, was dem Bassisten ein kleines Lächeln entlockte. "Wenn ich ,Jetzt' sage rennst du los!" erklärte er ernst, während er die Bewegungen der Kamera analysierte und die Zeitabstände im Kopf mitzählte. "Okay, mach dich bereit", flüsterte er angespannt. Toshiya, der die ganze Zeit nervös auf seiner Unterlippe herumgekaut hatte, nickte knapp und umfasste die Hand seines Liebsten fester. "Eins... zwei... JETZT!" Hastig zog er den Blauschopf mit sich über den langen, hell erleuchteten Flur, vorbei an dem wachenden Auge der sterilen Hölle. "Meinst du man hat uns gesehen", fragte der Jüngere noch immer leicht außer Atem. Kaoru zuckte ratlos mit den Schultern. "Ich denke, dass werden wir sehr bald erfahren." Ein kaltes Lachen ertönte. "Früher als euch lieb ist, schätze ich!" ~*~ Kyos Meinung nach hatte es viel zu lange gedauert bis sie endlich das Firmengebäude erreicht hatten. Sie hatten auf Shinyas Drängen hin einen kurzen Abstecher gemacht, der ihm gar nicht recht gewesen war. Doch er hatte den Kompromiss eingehen müssen. Jetzt wollte er keine Zeit mehr verlieren. Ungeduldig sah er an der düsteren Fassade empor. "Was wenn sie längst mit Dai zurück sind", fragte Shinya in die bedrückende Stille. Der kleine Sänger schüttelte den Kopf. "Dann hätten sie eine SMS geschrieben und gefragt, wo wir wären. Nein, ich bin mir sicher, dass sie es versaut haben." "Na du bist ja sehr optimistisch", erwiderte der Braunhaarige trocken, erntete jedoch nur ein Schulterzucken. "Los komm!" Er hatte lange genug gewartet und tatenlos zusehen müssen. Er hielt dieses Verlangen nicht mehr aus, diese Sehnsucht nach seinem strahlenden Lächeln, seinen zärtlichen Fingern, die beruhigend durch sein Haar strichen. Er brauchte diesen Menschen, in dessen Nähe er zum ersten Mal Geborgenheit spürte, Wärme fand, ohne den er nie wieder glücklich werden würde. ~*~ Ein leises Schluchzen war zu hören. Ein einziges einsames Geräusch, gefangen in der Dunkelheit. Eine scheue Hand strich einige verzweifelte Tränen fort, streichelte zärtlich über die rosigen Wangen. "Es tut mir Leid, Totchi. Ich wollte nicht, dass es soweit kommt." Ein weiterer Schluchzer, dann ein Schniefen. "Das...das weiß ich doch. Es ist doch nicht deine Schuld... Es... es war einfach unmöglich ihn da raus zu holen. Wir hätten auf Shin hören und die Polizei alarmieren sollen." Ein Seufzen war zu hören. "Vielleicht." ... "Werden wir jetzt sterben?" Die Stimme des Siebzehnjährigen zitterte. Er hatte Angst. "Niemand stirbt hier!" widersprach der Leadgitarrist energisch. "Shinya und Kyo werden sich Sorgen machen, wenn sie nichts von uns hören und bestimmt etwas unternehmen!" Ein erneutes Schniefen, gefolgt von einem schwachen Nicken. Dann Stille. "Kao...ich...ich hab Angst." "Ich weiß", erwiderte der Ältere sanft. "Ich hab auch Angst! Aber es wird alles gut werden, du wirst sehen." Behutsam legte er seine Arme um den zitternden Körper des Jüngeren, drückte ihn liebevoll an sich. Zärtlich strichen seine Finger durch das blauschwarze Haar, welches sich in der Finsternis verlor. "Alles wird gut", wiederholte er seine Worte schon fast wie ein Mantra, doch selbst ihm fiel es schwer an seine eigenen Worte zu glauben. Und wahrscheinlich tat es der Jüngere auch nicht. "Kao... wenn wir sterben-" "Wir sterben nicht!" "A..aber wenn doch..." nuschelte er leise in den Pullover des Gitarristen. "Ich... ich wollte dir noch etwas sagen. Schon ganz lange, aber... ich hab mich nie getraut... weil... weil du... ich... ich hab..." Er seufzte, holte tief Luft und versuchte erneut einen Satz zu formulieren. "Aber...wenn wir jetzt wirklich sterben, dann möchte ich, dass du es weißt." Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und doch hörte man sie vor Nervosität zittern. "Sssh Totchi. Was auch immer es ist, ich werd es dir bestimmt nicht übel nehmen!" versuchte er ihn zu ermuntern. "Das...das sagst du jetzt", murmelte er bitter und seufzte erneut. Die Atmosphäre war furchtbar, der Zeitpunkt schrecklich, die Umstände grotesk. Und dennoch nahm er all seinen Mut zusammen und hob den Kopf. "Kao, ich... ich bin nicht wegen Dai mitgekommen, sondern weil ich dich nicht allein gehen lassen wollte. Ich hatte Angst dir würde was passieren. Das... das würde ich nicht aushalten, denn...du bist mir so unglaublich wichtig...du..." Er stockte, holte erneut tief Luft. "Kao, ich liebe dich!" Stille brach über den beiden zusammen. Toshiya schluckte. "Mann, diese Atmosphäre ist so was von unromantisch. Fehlt nur noch der Geruch von Verwesung und das Trabbeln unzähliger Rattenfüße. Mann, ist mir kalt, ist dir auch so kalt... ich glaub ich erfriere hier drin schon, bevor die überhaupt mit der Folter anfangen können. Die foltern uns doch bestimmt. Das sieht man doch immer in den ganzen Filmen. Oh mein Gott, das tut sicher weh! Aber ich erfriere ja sowieso vorher, also ist das auch egal. Ob erfrieren auch wehtut? Ich meine, wenn dir alles langsam abstirbt-" "Toshiya", brachte Kaoru den nervös plappernden Blauschopf zum Schweigen. //Toshiya? Nicht mehr Totchi? Scheiße...ich habs versaut...Wieso konnte ich nicht meine dämliche Klappe halten? Wieso muss ich immer alles schlimmer machen?// Er spürte Tränen in seinen Augen brennen. //Nein, du fängst jetzt nicht an zu heulen, Toshimasa Hara!!!// Zwei sanfte weiche Lippen rissen ihn aus seinen Gedanken, zogen ihn liebevoll in die Realität zurück. Haltlos lösten sich die Tränen, kullerten langsam seine Wangen hinab. //Kaoru...?// Eine zärtliche Zunge strich über seine Lippen, bettelte um Einlass, den er ihr, nachdem der erste Schreck überwunden war und das wohlige Kribbeln einsetzte, nicht länger verwehren wollte. Zögerlich berührten sich ihre Zungenspitzen, erforschten sich gegenseitig scheu, ehe sie verlangender wurden, miteinander spielten und tanzten. Selbstverloren schlang Toshiya seine Arme um Kaorus Nacken, zog ihn enger an sich, genoss die Nähe und Wärme des Augenblicks, kostete die Süße des Lebens. In diesem Moment war es egal, wo sie sich befanden, egal, was vor ihnen lag. Was zählte war das Hier und Jetzt, dieses intensive Gefühl von Liebe, welches durch die Adern des Blauschopfes zog, seinen Kopf benebelte und die Angst vertrieb. Er war glücklich. Und Kaoru war es auch. Sie waren so vertieft in den Kuss, dass sie nicht einmal mitbekamen, wie die Tür geöffnet wurde und ein braunhaariger Junge in die Zelle spähte. Alles was seinen jungfräulichen Lippen entkam, war ein peinlich berührtes: "Uuups!" ~*~ Mit zitternden Fingern zog er den Riegel zur Seite. Die letzte Tür. Die letzte. Er hatte sich von Shinya getrennt, als dieser Kaoru und Toshiya in einer der Zellen ausfindig gemacht hatte. Er konnte nicht warten, wollte nicht. Ein mulmiges Gefühl hatte sich in seinem Innersten breit gemacht. Was für ein Bild würde ihn erwarten? Würde Die überhaupt in der Zelle sein? Was wenn nicht? Wo sollte er noch suchen? Wild hämmerte sein Herz gegen seine Rippen, drohte die Knochen zu sprengen. Die würde ihm Vorwürfe machen. Man hatte ihn nur seinetwegen entführt und in ein dunkles Loch gesperrt. Nur seinetwegen. Würde Die ihn jetzt hassen? Er spürte, wie sich sein Herz bei diesem Gedanken zusammen zog. Aber seit wann war es ihm denn wichtig, was der Rotschopf von ihm hielt? Was er für ihn empfand? Angespannt führte er die beiden Dietriche in das Schlüsselloch, bewegte sie zielsicher, seinem Instinkt folgend, hin und her. Schon wenig später verkündete ein Klicken den Erfolg seiner Aktion. Mit einem flauen Gefühl im Magen schob er die Tür auf. Die letzte Tür. Was würde er tun, wenn auch sie leer war? Hastig wischte er seine störenden Zweifel beiseite und betrat die Zelle. Dunkelheit begrüßte ihn, die selbst das grelle Licht des Flures nur teilweise zerreißen konnte. Unsicher trat er näher, schaute sich um. Suchend scannten seine Augen die Dunkelheit, die er ebenso fürchtete wie die Einsamkeit und die dennoch schon so sehr zum Inhalt seines Lebens geworden war, dass er sich auf erschreckende Weise in ihr heimisch fühlte. Er brauchte kein Licht mehr, um in der Dunkelheit sehen zu können, so vertraut war ihm die Schwärze bereits. Er hielt in der Bewegung inne. Sein Blick war auf einen Widerstand gestoßen. In einer Ecke, fast gänzlich vom Schatten der Finsternis verschluckt, erkannte er eine zusammengekauerte Gestalt. Sie saß, die Beine an den Körper gezogen an die Wand gelehnt, den Kopf auf den Knien liegend und schaukelte kaum sichtbar vor und zurück. Durch das plötzliche Licht aufgeschreckt hob sie langsam den Kopf, sah ihn aus großen Augen an. Es war Die! Kyos Herz krampfte sich zusammen, als er sah, in welch mitleidvollem Zustand er sich befand. Seine roten Haare standen wüst nach allen Seiten, seine Kleidung war verdreckt und an einigen Stellen zerrissen, sodass man einige blutige Schrammen und blaugrüne Flecken durchschimmern sah. Ein kleines Rinnsal von getrocknetem Blut zog sich ein Stückchen oberhalb seiner linken Augenbraue vorbei an seinem Auge die Wange hinab und auch seine Unterlippe war aufgeplatzt und blutig. Man schien ihn ordentlich verprügelt zu haben. Getrocknete glitzernde Spuren bewiesen, dass er vor nicht allzu langer Zeit geweint hatte. Kyos Hände ballten sich frustriert zu Fäusten. Das war seine Schuld, alles seine Schuld! Er hatte zugelassen, dass Die in diese ganze Misere mit hineingezogen wurde. Seit er in das Leben des Gitarristen getreten war hatte er ihm nur Unglück und Leid gebracht. Wie konnte er das nur jemals wieder gut machen? War das überhaupt wieder gut zu machen? "Kyo?" Dais leise Stimme war das erste, was die bedrückende Stille durchbrach. "Was...was machst du hier? Bist du verrückt? Das ist viel zu gefährlich. Willst du, dass er dich wieder einsperrt und unter Drogen setzt?" "D..Dai...halt den Mund... bitte..." Die Lippen des Blonden hatten sich zu einem blutleeren Strich verzogen, seine schmalen Schultern bebten. Wieso sorgte der Rotschopf sich ständig um ihn? Wieso dachte er nicht einmal an sich selbst? Zitternd gaben seine Beine unter seinem kleinen zitternden Körper nach und er sank dem Boden entgegen. Erst seine Knie stoppten den Fall. Er spürte keinen Schmerz, nur die Machtlosigkeit seines Körpers und die Schwerkraft, die ihn nach vorne zog. Geistesgegenwärtig streckte er seine Arme aus und wirkte der Anziehungskraft entgegen, stützte sich ab. Vornüber gebeugt saß er da, den Kopf gesenkt. Sein hilfloser Blick kollidierte mit dem dreckigen steinernen Grund, versuchte zu begreifen, zu verstehen. "Wieso... wieso schreist du mich nicht an?" Seine Stimme zitterte vor Schmerz. Er hatte immer gedacht, dass er stärker wäre, aber in diesem Moment brachen jegliche Stützen in seinem Innersten zusammen. Tränen sammelten sich in seinen Augen. Tränen? Seit wann hatte er nicht mehr geweint? Hatte er es überhaupt jemals getan? Er konnte sich nicht erinnern. Konnte sich nicht erinnern, wie es war, wenn alles brach und nichts das Wasser halten konnte, welches wie Verzweiflung in ihm brannte. "Wieso hasst du mich nicht? Es ist meine Schuld, dass man dir das angetan hat. Es ist immer nur meine Schuld." Seine Worte waren kaum mehr als ein Wispern, wurden von den unendlichen Emotionen, die in Kyos Stimme lagen, schier erstickt, und doch schienen sie zu schreien. "Aber du... du machst dir wieder nur Sorgen um mich. Wieso? Wieso bist du so? Du...du musst mich doch hassen!" Langsam kam der Rotschopf auf ihn zugekrochen. Überraschung und Besorgnis waren in seinen Gesichtszügen zu lesen. "Kyo, ich...ich könnte dich niemals hassen." Behutsam legte er seine Arme um den Sänger, zog ihn an sich, die Schmerzen missachtend, die seinen geschändeten Körper peinigten. "Niemals!" Ein entkräftetes Schluchzen ertönte, ließ den Älteren erschrocken inne halten. "Kyo...du weinst ja?!" Erstaunen spiegelte sich in der Stimme des Gitarristen wieder, als er langsam den Kopf des Sängers anhob und mit dem Daumen die Tränen auf Kyos Wangen wegstrich, der nicht einmal bemerkt hatte, wie sie aus seinen Augen getreten waren. //Weinst du etwa...um mich...?// Der Gelbschopf schluchzte erneut. Dais liebevolle Geste und der sorgenvolle Ton seiner Stimme machten nur noch alles schlimmer. Unaufhaltsam grub sich das kostbare Nass einen Weg über seine Haut, hinterließ silberne Spuren. Wieso konnte er nicht aufhören? Wo kamen all die Tränen her? Hatten sie sich über die Jahre unaufhaltsam in ihm angestaut und nur auf ihren Ausbruch gewartet? "Sssh Kyo. Ist doch gut." Beruhigend strichen seine Finger durch das gelbe Haar, sanfte Lippen liebkosten die tränenassen Wangen. "Ich hab dich noch nie weinen gesehen", hauchte er leise. "Ich hatte schon Angst, dass du es nicht kannst." Ein schwaches Lachen mischte sich zwischen die Schluchzer. "Irgendwas muss ich ja können." Die seufzte. Da waren sie wieder. Die Selbstverachtung und die Schuldgefühle, die den kleinen Körper langsam aber sicher zerstörten. Liebevoll strich er über den verkrampften Rücken. "Kyo... Ich bin ok." Er lächelte tapfer, wollte Kyos Nerven beruhigen und die nagende Schuld tilgen. "Aber wie geht es dir?" versuchte er abzulenken. Besorgt schob er den kleinen Sänger ein wenig von sich, strich ihm einige lose Haarsträhnen aus den Augen und musterte sein rundliches Gesicht. "Du bist blass. Und ganz kalt." Sanft streichelte er seine Wange. "Du hättest nicht kommen sollen. Dein Körper ist noch viel zu geschwächt." Störrisch schüttelte der Gelbschopf seinen Kopf. "Die", seine Stimme klang ernst, aber auch ein wenig zögerlich. "Ich... ich musste kommen. Ich hatte solche Angst um dich!" Ein gerührtes Lächeln schlich sich auf Daisukes Züge. Kyo hatte sich also wirklich Sorgen gemacht. Und er war nur wegen ihm in diese Hölle zurückgekehrt, hatte für ihn all seine Ängste überwunden, nur für ihn. Erneut schlang er seine Arme um den kleinen Körper, schmiegte sich eng an ihn und vergrub sein Gesicht in den gelben Fluten. "Danke", hauchte er leise. Regungslos ließ Kyo die Behandlung über sich ergehen, blinzelte lediglich verwirrt. "..Wofür?" Der Gitarrist lächelte flüchtig. "Dafür, dass du soviel für mich auf dich genommen hast.. weil du dir Sorgen gemacht hast und mich hier nicht einfach zurücklassen wolltest." Der blonde Sänger regte sich leicht. "Würdest du mir zutrauen, dass ich dich einfach hier verrotten lasse?" Seine brüchige Stimme klang vorwurfsvoll. Die schwieg einen Moment, ehe er leise erklärte: "Bis vor wenigen Tagen hast du mich schließlich noch gehasst. Du warst ständig nur genervt von mir, weil ich so ein aufdringlicher Idiot bin." Er grinste gequält, ob dieses Selbstgeständnisses. Kyo schüttelte sanft den Kopf. "Es hat sich vieles verändert." Der Rotschopf nickte nachdenklich. "Aber nicht wirklich zum Positiven." Der Kleine seufzte. "Mh... aber in einem Punkt schon." "Welchen?" "...Du bist mir wichtig." "Wichtig?" "... Ich hab dich gern", erklärte der Jüngere. "Und ich vertraue dir. Es ist lange her, dass ich vertraut habe." Vorsichtig griff Daisuke nach der schmächtigen Hand des Sängers, verflocht seine Finger mit den seinen. Ein teils trauriges, teils dankbares Lächeln zierte seine spröden Lippen. "Lass uns von hier verschwinden." Er brach den Kontakt ihrer Finger, rappelte sich langsam auf. Seine Knie schmerzten von dem harten unebenen Untergrund. Er klopfte sich abwesend den Staub von der Hose und sah zu Kyo herab, der noch immer am Boden hockte, sich nicht gerührt hatte. Aufmunternd hielt er ihm seine Hand vor die Nase, wollte ihm helfen aufzustehen. Kyos, von den Tränen glitzernde, Augen wanderten unsicher zwischen der dargebotenen Geste und Dies Lächeln hin und her. Er wirkte unentschlossen. "Die, ich... ich..." Er senkte den Blick, unfähig es auszusprechen. Resigniert griff er nach der angebotenen Hilfe, ließ sich hochziehen, den fragenden Blick des Gitarristen missachtend. Starr blickte er auf ihre Hände, die noch immer ineinander lagen. Er wollte ihn nicht gehen lassen, wollte nicht loslassen, jetzt, da er ihn endlich wieder hatte. Der Rotschopf verstand den Blick, las den Wunsch darin und schenkte ihm ein ehrliches Lächeln. Sanft verübte er Druck auf seine schmalen Finger, strich mit seinem Daumen über die kalte Haut, ehe er sich zur Tür umwandte und ihn hinter sich herziehen wollte. Doch Kyo hielt ihn zurück, zwang ihn sich wieder zu ihm umzudrehen. Innerhalb eines Augenschlags war er heran, hatte er sich auf Zehenspitzen gestellt, die linke freie Hand an Dies verwundertes Gesicht erhoben, die Wange sanft berührt. Nervöse unsichere Lippen legten sich über einen vor Erstaunen leicht geöffneten Mund, verschlossen ihn zärtlich. Dies Herz begann zu rasen, passte sich Kyos aufgeregtem Rhythmus an. Augenblicklich senkten sich seine Lider nieder, vertrieben die grausame Welt aus seinem Blick, tauchten ihn in süße Dunkelheit und genießerische Stille. Der Kuss dauerte nicht lang und war auch eher schüchtern, als verlangend, dennoch war das Gefühl überwältigend, die Wirkung intensiver, als tausend schöne Worte. Zögerlich lösten sich ihre Gesichter, brachten wieder Distanz zwischen sich. Große Augen sahen einander an, ungläubig, aber keineswegs von Reue gezeichnet. Kyo regte sich als erster. Seine Lippen bewegten sich leicht, als wollte er etwas sagen, aber kein Ton drang aus seinem Mund. Sein Blick fiel zu Boden, unsicher, verwirrt. Die indes suchte nach einer Antwort. Kyos Handeln hatte einen Stein in ihm losgerissen und eine wahre Lawine ausgelöst. Unzählige Gefühle purzelten durch sein Innerstes, irrten durch seinen Geist. Wieso hatte Kyo ihn geküsst? War es aus Dankbarkeit? Oder aus Zuneigung? Was hatte es zu bedeuten? Was drückte es aus? "Lass uns gehen!" riss der Grund seines Gefühlschaos ihn aus den Gedanken und zog ihn an der Hand, die noch immer die seine hielt, aus der Zelle... und lief direkt in jemanden hinein. "Uff!" Erschrocken hob er den Blick, doch es war nur Kaoru, der seinen Weg versperrte. Erleichterung machte sich breit, erhellte sein Herz. Er sah in die Runde. Sie waren wieder vereint. Überschwänglich stürzte der Älteste sich auf seinen besten Freund, umarmte ihn herzlich. "Oh Gott sei Dank... wir haben uns solche Sorgen gemacht." Er schob ihn ein Stück von sich, betrachtete ihn kritisch. "Und wie es scheint zu Recht." Die, der die erste Überraschung überwunden hatte, da er nicht damit gerechnet hatte, dass sie alle gekommen waren und er auch gleich so stürmisch umgerannt wurde, erwiderte des Leaders Blick zerknirscht. "Ich bin ok", wiederholte er seine Worte von vorhin. "Ich will nur endlich hier weg!" Kaoru nickte verständnisvoll und entließ ihn endgültig aus seiner Umarmung. Big Red nutzte die Chance, um sich erst einmal umzusehen. Sie alle waren da, sie alle waren gekommen, um ihn zu retten. Er war gerührt. "Sag mal..." Er lehnte sich näher zu Kao. "Was hat denn unser Chibi?" Der Leader lachte leise und klopfte dem bis unter die Haarwurzeln erröteten Schlagzeuger auf die Schulter. "Er hat wohl den Schock seines Lebens wegbekommen, als er nicht nur Toshiya und mich, sondern auch euch beide beim Knutschen erwischt hat. Das war wohl zuviel für seine jungfräulichen Augen." Kyos Augen weiteten sich leicht, ertappt, Shinya verzog beleidigt seine Lippen zu einem Schmollmund und brabbelte irgendwas von "Gar nicht wahr", während Dies Augenbraue sich hob. "Du und Toshiya?" Ein Grinsen umspielte seine Mundwinkel. "Das erzähl ich dir, wenn wir hier raus sind." "Ich bitte darum!" ~*~ "Ich wusste, dass du kommst, Tooru!" Ein gewinnendes Lächeln zierte das Gesicht des hochgewachsenen Mannes, der die kleine Gruppe auf ihrem Weg nach draußen am Ende eines hell erleuchteten Ganges, lässig im Türrahmen lehnend, empfing. Ausnahmslos jeder verharrte augenblicklich in der Bewegung, starrte mit aufgerissenen Augen hilflos geradeaus. Entsetzen war die einzige Emotion. "Na na, nicht so viel Enthusiasmus auf einmal", meinte Nishimura spöttisch und löste sich von seiner Position. Gemächlich trat er näher, ein hämisches Grinsen im Gesicht, eine schwarze blitzende Pistole in der rechten Hand. Alle Augen wanderten zu der Waffe, löcherten sie mit verzweifelten Blicken. Mehrere Gestalten waren bereits hinter sie getreten, versperrten ihnen den Rückweg. "Du hast mich verletzt, Tooru. Du bist nicht wegen mir zurückgekehrt. Erst wegen ihm", er hob die rechte Hand und deutete mit seiner Schusswaffe auf Die, dessen Augen sich erschrocken weiteten, "..bist du gekommen. Das nehme ich persönlich." "Nimm das Ding runter", knurrte Kyo warnend, löste seine Finger aus denen von Die und trat einen Schritt vor. "Du bist nicht in der Position, um Forderungen zu stellen, Tooru." Ein eisiges Lächeln legte sich auf Nishimuras Züge. "Ich werde deine kleinen Freunde jetzt leider erschießen müssen. Sie wissen einfach zu viel", meinte er mit theatralischem Bedauern. "Und mit deinem Liebling fange ich wohl an." Er grinste süffisant und entsicherte die Pistole. Kyo glaubte, sein Herz müsse aussetzen. Die war wie erstarrt. Jetzt war alles aus. "NEIN!" Schützend stellte der Gelbschopf sich vor den Älteren. "Dann wirst du erst mich erschießen müssen." Was war sein Leben denn schon noch wert, wenn Die sterben würde, Die und all die anderen? Keinen Yen mehr. Lieber wählte er den Tod, als in dieser tristen leeren Welt weiter existieren zu müssen. "Geh zur Seite!" "Verreck doch!" Galant hob sich eine dichte Augenbraue. "Gut... Dann fange ich eben mit jemand anderem an", erwiderte sein Vater gelassen und richtete die Pistole auf Kaoru. Toshiya krallte sich ängstlich in Kaorus Ärmel, schmiegte sich hilflos an ihn. "Waffe fallen lassen. Sie sind verhaftet", ertönte eine autoritäre Stimme und ein Pistolenlauf wurde an Nishimuras Hinterkopf gedrückt. Ein Polizeibeamter hatte sich unbemerkt von hinten herangeschlichen, weitere hielten die restlichen Männer in Schach. Ein erleichtertes Lächeln breitete sich auf Shinyas Gesicht aus. Wieso hatte das so lange gedauert? Auch Kyos Anspannung löste sich ein wenig, dennoch traute er sich nicht vollends aufzuatmen. Zögerlich trat Dai neben ihn, ergriff seine Hand. Er war so gerührt von Kyos Handeln, fand keine Worte. Schweigend zog er ihn in seine Arme, schmiegte sich an ihn. Er konnte Kyos rasendes Herz gegen seine eigene Brust schlagen spüren, spürte seine Aufregung und Angst. Nishimura ließ die Beiden nicht aus den Augen. Hass wallte durch seinen drogenzerfressenen Geist. Dieser Junge war Schuld, dass sein Sohn abtrünnig geworden war. Er war Schuld, dass Tooru begonnen hatte sich zu widersetzen, ihm den Rücken zu kehren. Einst hätte er sein Lebenswerk übernehmen, Nishimuras Traum von der ultimativen Droge weiterleben sollen. Wieso verstand er seine Philosophie nicht? Sein Leben... Frustriert richtete er seine Waffe wieder auf Die. "Lassen Sie sofort die Waffe fallen!" Ein Zittern ging durch seine Hand. "Waffe fallen lassen habe ich gesagt!" Der Druck auf seinen Hinterkopf wurde stärker. Der Druck auf den Abzugshebel auch. Er hatte schon oft getötet. Getötet mittels Chemikalien, getötet durch Befehle, doch nie durch seine eigene Hand. Wieso zitterte die Waffe so? Wieso verschwendete er keinen einzigen Gedanken an das Metall an seinem Kopf, die Kugel, die durch sein Hirn schmettern, dem allen ein Ende bereiten würde? War das nicht eine Ironie. Töten und Sterben im gleichen Moment? Ein astreiner Selbstmord. Ein Lachen löste sich. Der Gedanke war auf bizarre Weise witzig. Tooru hatte sein Lebenswerk zerstört. Die Polizei würde ihn knechten, hinter eiserne Stäbe sperren, seine Rauschmittel vernichten. Der ultimative Traum, der höchste Rausch, der stärkste Kick, er würde die Erleuchtung nie erfahren. Und nun würde er sterben. War vielleicht der Moment des Todes, die Sekunde zwischen Hier und Dort, war sie die letzte fehlende Komponente, die er seit Ewigkeiten suchte? Sein Finger zitterte. Gleich würde er es wissen. "Ich sagte: Lassen - Sie - die - Waffe - fallen!" Mit Genugtuung las er den angsterfüllten Blick des Rotschopfes, sog er die Verzweiflung seines Sohnes in sich auf. Dann vollendete sein Finger die Bewegung, ein Schuss hallte durch den grellen Gang, dicht gefolgt von einem Zweiten. Entsetzte Schreie. Ein Körper ging zu Boden. Ein seltsam totes Geräusch. Blut sickerte aus Nishimuras Haaren, tränkte den Boden in warmes Rot. Sein leerer Blick war nach oben gerichtet. Der Falsche war gefallen. Der Falsche! Nein, das war es nicht! Nicht danach hatte er gesucht. Da war nur Kälte, nur Taubheit, jedoch kein Schmerz. Kein Licht, kein Rausch, kein Traum der Sinne. Alles war grau, verschwommen nur. Trist, trostlos flackernd, zog es ihn hinab, tief, tiefer noch. Ins Reich der Stille. Und sein Blick wurde schwarz. ~*~ Wie ein Kanonenschuss hallte das Geräusch durch seinen Kopf, machte es unmöglich auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Er torkelte rückwärts, von der Wucht des Körpers getroffen, der ihn grob zur Seite geschubst hatte. Ein Wimpernschlag nur, der alles zerstörte. "KYO!" Ein Schrei, der seine Kehle sprengte. Ein Wort nur, das sein Innerstes zum Bersten brachte. Was hatte er getan? Er fiel, fiel in seine ausgestreckten Arme. Roter Saft benetzte seine Fingerspitzen, zerriss alle Hoffnung in Fetzen. Kraftlos zog ihn der kleine Körper zu Boden, in die Tiefe des Todestals. Die Augen geschlossen, der Atem versiegt. Rote Seen tränkten den Stoff, untermalten das Bild. Ein junger Mann saß am Boden. Sein Blick war leer. Rotes Haar hing ihm wirr in die Stirn. In seinen Armen ein blutend Wesen, der Sinn seines Lebens. Verlöscht mit einem Knall. Kein Laut war zu hören. Kein Regen zu sehen. Die Szenerie war erstarrt, erstarrt im Momente des Todes... ... ~o~O~o~+~o~O~o~ Geboren aus einem toten Schrei Durch eine Nadel dringt das Leben In mich Aus mir Ein buntes Sein Träg laut verzerrt So nah dem Sterben Leis' sanft verwoben Immerzu In mir Heraus Durch Nebel tragend Ein Windstoß nur Ein kleiner Hauch Zum Sturme wachsend Tief in mir Die Welt verschluckend Geist um Geist Aus mir In mich Die Nadel reifend Schwarze Pest Um mich herum Der Sud verkocht Rottende Meere Zu meinen Füßen schwarzer Sand Im Todestal Am Grund ganz tief Ein letzter Schimmer Meiner selbst Bin ich nur noch Ein blutend' Wesen Das ward Ganz still nur Einst geboren Geboren aus einem toten Schrei ... .. . . . ~o~oOo~o~ Bitte erst nach dem Epilog töten -___-;; und vergebt mir das schlimme Geschnulze. Ich wär beim noch mal drüber lesen beinah dran erstickt >.<;; Epilog: 更生 ---------- Epilog ~更生~ ~ the past may not return but in my rebirth I'll search for you so until that time wait for me, but for now that hill is still... Ein dunkles Zimmer, verirrt im Universum. Ein dunkles Zimmer, verloren in der Zeit. Fahles Licht stahl sich durch die geschlossenen Vorhänge, verspottete seinem Wunsch nach Finsternis. Sein Herz war zersplittert und nur Schwärze ließ ihn dieses Gefühl ertragen, nur Schwärze hielt ihn bei Verstand. In Dunkelheit versunken fühlte er sich ihm näher, vereinsamt in der Finsternis glaubte er ihn fast greifen zu können, ihn, der er stets ein Kind der Dunkelheit gewesen ist und in deren ewig währende Umarmung er nun übergegangen war. Man hatte ihm das Liebste genommen, es ihm entrissen, brutal und vernichtend. Zwei Monate war es nun schon her, doch noch immer konnte er nicht vergessen, noch immer sah er jenes Bild, welches sich in seine Netzhäute gebrannt hatte. Sein kleiner lebloser Körper, das blasse Gesicht. In seinen Armen war er geboren, nur um in seinen Armen wieder zu sterben. Keine Träne war seitdem geflossen. Welch grausame Ironie. Er, der er in den letzten Monaten so oft geweint hatte, wegen Banalitäten, war nun unfähig auch nur einen Tropfen hervorzupressen. Er hasste sich dafür, hasste sich für diese Kälte, die seinen Geist lähmte. Wieso konnte er nicht um ihn weinen? Schuldete er ihm nicht diesen letzten Gefallen? Er hatte einfach reglos dagesessen, hatte zugeschaut, wie sie ihn fortgebracht hatten, wie sein Körper immer kleiner wurde, wie er verschwand. Unfähig sich zu rühren, als wäre mit ihm sein Lebenselexir erloschen, als würde er zwar noch existieren, aber nicht mehr leben. Weder Kaoru, noch Toshiya oder Shinya hatten durch seine Wand der Stille dringen können. Niemanden ließ er an sich heran. Alles war gleichgültig geworden. Selbst die Aufgabe seiner Identität. Er hatte sich mehreren polizeilichen und psychologischen Gesprächen stellen müssen ohne nur ein einziges Wort zu verlieren. Sprechen war so nichtig, wenn man nur noch existierte. Man hatte ihn in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen, hatte ihm eine neue Identität aufgezwängt, ihm und den drei Anderen. Zwar war Nishimura tot, doch gab es genügend Anhänger, die nicht gefasst werden konnten, die ihn rächen könnten. Doch ihm war es gleich. Alles war gleich. Er lehnte seine kühle Stirn auf die angezogenen Knie, schloss die Augen, um die Dunkelheit zu verdichten. Wenn er doch nur aufhören könnte zu denken. Es tat so unglaublich weh sich all diesen Gedanken stellen zu müssen. War er verflucht? Wieso verschwanden alle um ihn herum? Wieso hatte Miya den Tod gewählt? Weshalb hatte seine Mutter ihn im Stich gelassen und die Flucht ergriffen? Warum hatte Kyo ihn nicht mitgenommen? Warum ließ ihn jeder allein? Es schmerzte so unglaublich, der Einzige zu sein, der zurückbleiben musste. Leere fraß sich unaufhaltsam durch sein Innerstes, zersetzte ihn langsam aber stetig. Es wäre falsch, zu behaupten, er würde allmählich zerbrechen, denn zerbrochen war er schon lange, nein, der jetzige Zustand war bereits ein späteres Stadium, das Stadium der Beseitigung aller Splitter. Langsam schmolzen sie ins Nichts. Zurückbleiben würde nur ein trüber Fleck, an dem einstmals ein Herz geschlagen hatte. Er wusste, dass er nie wieder lieben könnte. Zu groß war die Angst vor dem Schmerz, der unweigerlich folgen würde. Niemand blieb. Niemand hielt ihn. Stützte ihn in dieser Welt. Er war eine verlorene Seele, verloren in sich selbst. ~*~ Nichts Brennende Augen Kühle Haut Lindernde Tropfen Perlen aus Licht Streichelnder Wind Die Bäume entwurzelnd Peitschend Wispernd Reißend Glimmend Versiedend Nichts ... .. . ~*~ Gedankenverloren zog Kaoru an seiner Zigarette. "So kann das nicht weitergehen, Kao. Er quält sich." Ein wehmütiges Seufzen entrann dem Violetthaarigen. "Denkst du das weiß ich nicht? Aber, er lässt mich einfach nicht an sich heran. Wie oft ich es auch versuche, er geht nicht ans Telefon, antwortet auf keine SMS, wenn ich bei ihm zu Hause vor der Tür stehe macht er nicht auf oder sein Vater schickt mich weg." Verbitterung schwang in seiner Stimme. "Glaub mir, ich hab bereits alles versucht." Eine liebevolle zärtliche Hand strich durch das violette Haar, schmiegte sich an die kühle Wange. "Ich weiß", hauchten rosige Lippen ehe sie sich sanft auf die seines Gegenübers legten, ihn kurz der Realität entziehen und ihm Wärme schenken wollten. "Du bist ein wunderbarer Freund. Doch es liegt an Dai selbst wieder aus seinem Loch zu kriechen. Wir alle vermissen Kyo. Es ist so unerträglich, der Gedanke, ihn nie wieder zu sehen.. und... ich mag mir gar nicht vorstellen, wie Dai sich fühlt. Aber... ich hab Angst, dass er sich in seiner Trauer verliert. Er muss endlich loslassen und weiter leben." Ein erneutes Seufzen entrann der zugeschnürten Kehle des Älteren. "Was ist, wenn er gar nicht aus diesem Loch heraus will? Wenn er darin verloren geht." Die Stimme des Gitarristen zitterte. "Sein Vater hat mir erzählt, dass er nicht mehr redet. Er sagt kein Wort... kein Wort." Verzweifelte Schluchzer stahlen sich zwischen die brüchigen Sätze. "Er reagiert auf nichts, isst kaum... er... er hockt nur im Dunkeln und schweigt." Fahrig hob er die Hand zum Gesicht, wischte eine einzelne verirrte Träne fort. "Ich hatte gehofft, dass er wenigstens zu Kyos Beerdigung kommt." "Ich auch", hauchte der schwarzhaarige Bassist. "Eine Beerdigung mit drei Leuten. Hast du jemals so etwas Trauriges erlebt?" Ein schwaches Kopfschütteln. "Er hatte ein trauriges Leben und einen noch viel traurigeren Tod." ~*~ Es war schwer einen Schritt vor den anderen zu setzen, wenn sich alles in einem sträubte, schwer den Blick zu heben, wenn der triste staubige Boden alles war, an das man sich klammern wollte, weil die fröhlichen Farben des Lebens, der strahlend blaue Himmel und das saftige Grün des nahenden Sommers, seine ergraute Welt erschütterten. Ein weiterer Monat voller vergeblicher Mühen seines Vaters und eines zu Rate gezogenen Psychologen war verstrichen und hatte keine Veränderung mit sich gebracht. Wenn reden nicht half und geheuchelte Fürsorge auf taube Ohren stieß mussten eben wieder die alten Drohungen her. Sein Vater hatte die Geduld verloren und ihn einfach wieder zur Schule geschickt. Sollen die sich doch mit ihm rumschlagen. Leuten seinen Willen aufzwingen konnte er eben immer noch am Besten. Und bei seinem Sohn, dessen Willen gebrochen war und in dessen Blick nur noch Gleichgültigkeit regierte, ging es noch viel einfacher. Seine neue Schule war nicht anders, als die alte. Es herrschten die gleichen Regeln, man traf gleiche Leute. Es würde immer die fleißigen Streber geben, die scheuen Zurückhaltenden, die vorlauten Aufmüpfigen, die coolen Angesagten und die ausgelassenen Unbeschwerten. Es war doch überall dasselbe. Auch die Lehrer unterschieden sich kaum. Streng und autoritär. Dem System angepasst. Sie ähnelten seinem Vater irgendwie. Das würde also für die nächsten Monate sein Gefängnis sein. Und es hatte nur einen Tag gebraucht, um ihn zum Außenseiter zu machen. Er konnte darüber nur trostlos lächeln. Schon merkwürdig wie schnell sich das Blatt wenden konnte. Früher hatte er immer viele Freunde gehabt. Es war ihm nicht schwer gefallen auf andere zuzugehen. Seine fröhliche aufgeschlossene Art hatte ihm immer recht schnell Sympathien eingebracht. Früher, als er heiter und ausgelassen war, zu den Unbeschwerten gehörte, oder sich wenigstens anpasste. Seltsam... dieses alte Ich schien so weit entfernt, als wären Jahre vergangen. War er so schnell gealtert, war sein Geist ergraut? Er hatte sie über ihn flüstern gehört. Er galt als verschlossen, wurde als depressiv abgestempelt und zu den Akten gelegt. Ein Tag, sein erster, und schon war er in eine Schublade eingeordnet worden oder vielmehr hineingedrängt. Wieso war ihm noch nie aufgefallen wie oberflächlich diese Welt war? War sein altes Selbst auch so gewesen? Hatte er anfangs nicht auch so über Kyo gedacht. ....da war er wieder. Der Schmerz, den nur ein einziger Name verursachen konnte. Kyo. Wie ein eiskaltes Feuer in ihm. Es brannte, so sehr, so kalt. Dennoch war es das einzige letzte Gefühl inmitten der allgegenwärtigen Gleichgültigkeit. Schmerz und Leere, umgeben von Dunkelheit, die alles zusammenhielt. Sein Unwille zu reden war immer größer geworden, als er inmitten der plaudernden Schüler saß, als der Lehrer auf ihn einredete, als alle fragenden Blicke ihn trafen. Entblößt. So hatte er sich gefühlt. Wie ein Tier im Zoo. In den Pausen waren mehr Fragen auf ihn eingestürzt. Er hatte keine Antwort gegeben und irgendwann löste sich jegliches Interesse und die Fragen erstarben. Der dichte Wald um ihn lichtete sich. Einsamkeit legte seine dunklen Schwingen um ihn, wärmte ihn. Er hob seinen Blick. Der Lehrer redete wieder, jedenfalls bewegte er seine Lippen. Er füllte die Köpfe mit Wissen, nährte eine neue Generation von kopflosen Arbeitern. Doch Daisuke verstand kein Wort. Die Lippen bewegten sich unaufhörlich, aber nichts drang zu ihm durch. Seine Welt war abgeschlossen und niemand durfte sie betreten. Kein Mensch, kein Laut, kein fremdes Gedankengut. Es war seine Welt. Hier würde ihn niemand verlassen, nicht mal die Einsamkeit. ~*~ 苦しい思い出 Gebrochen Vibrierende Schmerzen Verwirrter Verstand Kannst den Wind nicht fangen Durchbrichst die Achse Durchläufst die Tortur Stellst dir ewigwährend Fragen Gönnst dir einfach keine Ruh Sahst ihn dort stehen Ließest ihn ziehn Kein Wort mehr Hörst du Kein Laut mehr dringt An dein Herz Verstummt Bist du Und deine Seele Verlassen Ausgebrannt ... .. . ~*~ Seine Füße trugen ihn automatisch. Wohin war egal. Jedes Ziel war bedeutungslos. Sein Weg würde enden. Wo war noch ungewiss. Er lief einfach weiter, den Blick starr in die Tiefe gerichtet, den Staub zu Tode tretend, bis ein Schatten ihm vor die Füße fiel und inne halten ließ. Jemand stand vor ihm, schien nicht weichen zu wollen. Langsam wanderten seine Augen über den Schatten, bis dessen Ende mit einem paar schwarzen Stiefeln verschmolz, kletterte die dünnen, in verwaschene Jeans gekleideten Beine empor, erfassten die schmale Taille, um die sich ein Gürtel schlang, den in einen Pullover gehüllten Oberkörper, den Hals, das Gesicht.... Und alles in ihm verkrampfte sich... ~*~ "Kyo lebt?" Fassungslosigkeit und Unglauben verbanden einander, ließen Kaorus Stimme beinahe überspringen. "Aber...wie...?" Er und Toshiya saßen in Shinyas neuem Zimmer. Da sie nicht mehr die gleiche Schule besuchten sahen sie einander kaum noch. Gemeinsam hatten sie vieles durchlebt, was sie enger zusammenschweißte, dennoch hatte jeder anfangs die Einsamkeit gesucht, sich zurückgezogen, um zu verarbeiten. Anders als Dai hatten sie allerdings den Sprung ins Leben zurück geschafft, hatten darüber geredet, ihren Kummer geteilt. Für sie war Kyo ein guter Freund gewesen, den zu verlieren nicht einfach war, doch für Die, das wussten sie, war Kyo alles. Shinya nickte zögerlich. "Es...Es war nur Fake. Sein Tod... er...er trug eine schusssichere Weste." Shinya lächelte scheu. Er hatte es von Anfang an geahnt, hatte sich an die Hoffnung geklammert, dass Kyo nicht tot sein konnte, und es schließlich herausgefunden. Doch wie schwer war es ihm gefallen darüber zu schweigen. Es war ein schreckliches Gefühl gewesen seine Liebsten um sich herum leiden zu lassen, grundlos. Doch er hatte versprochen das Geheimnis zu wahren. "Aber das ganze Blut..." stammelte Toshiya völlig verwirrt. "Kunstblut", hauchte Shinya betreten. "In die Weste sind Blutkammern eingearbeitet, die bei Beschuss platzen. Kyo ist bei der Wucht der Kugel ohnmächtig geworden. Sogar seine Atmung hat kurzzeitig ausgesetzt. Aber die Ärzte haben ihn wieder beatmet. Alles in allem ist er mit einem großen Schreck davon gekommen." Toshiyas Augen weiteten sich zusehends, als die Informationen langsam einsickerten und auf Verständnis stießen. "Dann… war der Sarg leer… als sie ihn verbrannten… die Asche..?" stammelte er verwirrt. Ein Nicken war die Antwort. "Aber wieso das alles?" fragte der Älteste verständnislos. "Wieso hat er es uns nicht gesagt? Wieso hat er es Die nicht gesagt VERDAMMT NOCH MAL?!" Shinya seufzte. "Die Polizei hat ihm eine neue Identität beschafft, so wie uns. Sie haben den "glücklichen Umstand", wie sie es nannten, ausgenutzt, um seinen Tod vorzutäuschen, damit niemand auf die Idee kommen würde nach ihm zu suchen. Sie haben ihm den Kontakt zu uns untersagt, aber Kyo...Kyo wollte sowieso nicht zu Die zurückehren. Er hatte Angst ihn wieder zu sehen, Angst ihn erneut in Gefahr zu bringen." "Aber Nishimura ist tot!" entgegnete Kaoru aufgebracht. "Ja, aber es gibt genügend Anhänger, die Rache wollen", erklärte Shinya weiterhin ruhig. "Kyo war Nishimuras Sohn. Jeder kennt ihn. Und nicht wenige würden ihn erneut umbringen wollen, wenn sie erfahren würden, dass er noch lebt. Diesmal dann aber richtig!" Kaoru seufzte und fuhr sich aufgewühlt durch die Haare. Das war einfach unglaublich. Kyo hatte ihnen allen etwas vorgespielt. Fassungslos schüttelte er den Kopf. "Aber...wieso hat Kyo Die nicht irgendeine Nachricht zukommen lassen? Wie kann Kyo ihn nur so leiden lassen?" "Kyo hat auch gelitten! Denkst du es ist ihm leicht gefallen diese Entscheidung zu treffen? Weißt du wie oft er in letzter Zeit nach Dies Zustand gefragt hat, wie fertig es ihn gemacht hat?" "Warum zögert er dann noch? Will er solange zusehen, bis Die sich zugrunde gerichtet hat?" Shinya schüttelte den Kopf. "Nein...das wird er nicht..." ~*~ Reglos stand er da, starrte ihn an. Das war unmöglich. Nicht genug, dass er ihn schon in seinen Träumen verfolgte und vor seinem geistigen Auge einfach nie zu verblassen schien, jetzt suchte er ihn schon in der realen Welt heim, als wäre ihm seine kleine verzerrte Scheinwelt, in die er sich geflüchtet hatte, nicht mehr genug. Wurde er jetzt langsam verrückt? Die Erscheinung trat einen Schritt auf ihn zu. Dies Beine gaben kraftlos nach, sodass die Schwerkraft ihn unbarmherzig zu Boden zog. Grauer Staub bäumte sich auf, schlug glitzernde Wogen. Halt suchend krallte er seine kalten Finger in den harten Untergrund, versuchte das Zittern zu unterdrücken, das sich seiner bemächtigt hatte. Er war nicht schwach! "Die." Drei kleine Buchstaben. Sie erschütterten ihn bis ins Mark. "Es tut mir Leid..." Spielerisch wurde das Flüstern vom Wind fort getragen. ~*~ Melodie Du bist Eine Erinnerung Geboren in der Zeit Verblasstes Kind Ein Lidschlag der Unendlichkeit Du bist Ein seichter Hauch Im Ohr hallt noch dein Schwur Verlornes Kind Bleibst unvergessen Gleich einem Knoten Im Gewebe der Weltenuhr Du bist Die Melodie Die unsere Herzen füllt Die sanfte Stimme In tiefster Nacht Geliebtes Kind Im Herzen stets Hör ich dich singen Verklingen tut sie nie ~*~ Er hatte es sich nicht einfach vorgestellt, doch was er jetzt sah machte alles noch viel schwerer. Kyo hatte mit vielen Reaktionen gerechnet, mit Wut und Tränen, mit Schreien und Schluchzen, Überraschung, Fassungslosigkeit, Erleichterung. Doch nichts davon kam annähernd an die Realität heran. Unsicher blickte er auf die kniende Gestalt herab. Sein Herz hatte sich krampfhaft zusammengezogen und schmerzte, schmerzte noch mehr, als es je getan hatte, wenn immer Shinya ihm von Dies Zustand berichtet hatte. Dies Augen waren leer, erkaltet. Einzig allein der Schock in ihnen lebte. Täuschte er sich oder konnte er wirklich glitzernde Glassplitter in den Tiefen seiner Seele aufblitzen sehen? Wieso nur glaubte er die scharfen Kanten auf seiner Haut zu spüren, wie sie an ihm rissen, ihn mit eisiger Kälte aufschlitzten. Die Barriere brach. Endlich überwand er die letzten Meter, sank vor dem Größeren in die Knie. Wie von selbst schlang er die Arme um den reglosen Körper, drückte ihn an sich, versuchte zu heilen. "Die", kam der geliebte Name erneut über seine Lippen, streichelte sanft über die kühle Haut des Angesprochenen. "Verzeih mir. Ich hab nie gewollt, dass du so sehr leidest." Mit grausamer Klarheit stellte er fest, dass sein Gegenüber die Umarmung nicht erwiderte, nein, eigentlich gar nicht reagierte. Und auf einmal schoss das Bild einer leblosen Puppe in Kyos Gedanken und ließ ihn erstarren. War er zu spät? Hatte er Die schon zerstört? Verzweiflung kochte in ihm hoch, brannte in seinen Augen. Entsetzt presste er ihn näher an sich, versuchte ihn zu wärmen. Er würde nicht so einfach aufgeben. "Dai. Ich geh nie mehr fort. Ich bleib bei dir. Für immer. Bitte...bitte komm zurück zu mir." Er hatte seine Wange an die von Die gelehnt und strich ihm unentwegt durch das inzwischen schwarz gefärbte Haar, welches seinen derzeitigen Seelenzustand perfekt widerspiegelte. Rote Haare hatten in seiner farblosen Welt keinen Platz mehr gehabt. Viel zu sehr erinnerte es an Blut…Kyos Blut. Ein Zucken ging durch den schmächtigen Körper des Älteren, schüttelte ihn unbarmherzig, woraufhin sich die Umarmung des Kleineren nur noch verstärkte. „Dai.. komm zurück zu mir!“ geisterten seine erstickten Worte verloren durch den Wind. ~*~ Vielleicht bin ich naiv Doch ich hoffe noch immer auf deine Rückkehr Vielleicht bin ich ein Träumer Der den Weg in die Realität nicht mehr findet Vielleicht will ich auch gar nicht zurück Nicht, wenn du nicht auch dort bist ~*~ "Deine Haare sind schwarz." Es war nur ein einfacher Satz, belanglos, und dennoch kam er einer Erlösung gleich. Kyos Augen weiteten sich leicht. Mit sanftem Druck schob er den schmalen Körper ein Stück von sich, sah in das geliebte Gesicht. "…was?" Verwirrung hatte sich auf seinen Zügen breit gemacht. "Sie sind schwarz." Kyo blinzelte, ehe sich ein erleichtertes Lachen aus seiner verkrampften Kehle löste. "Ja. Ja sie sind schwarz!“ bestätigte er lächelnd und strich dem ehemaligen Gitarristen durch die kurzen Haare. „Genau wie deine.“ Erleichterung hatte seinen ganzen Körper ergriffen. Er wusste, dass er das Eis gebrochen hatte, welches Die umschlossen hatte. Er würde wieder den alten Die aus ihm machen, egal wie lange es dauern würde. "Du bist tot!" Langsam kam wieder Leben in Dies Stimme, in seine Augen, seine Bewegungen. Er krümmte sich in Kyos Armen, wand sich, versuchte sich zu befreien. "Nein, Dai! Schau mich an! Ich bin nicht tot! Dai!" Sanft zwang er ihn den Kopf zu heben, fing seine ängstlichen Augen ein, hielt sie fest. "Ich bin NICHT tot." "Doch." Das Wort war kaum mehr als ein Hauchen und dennoch zerbrach es schier unter der Gewalt der Gefühle, die darin lagen, es zum Beben brachten. Dies Augen füllten sich mit Tränen, Tränen, die er so herbei gesehnt hatte, die er für Kyo hatte vergießen wollen. War er jetzt nur hier, um sie einzufordern? Zwei zärtliche Hände legten sich auf seine Wangen, eine kühle Stirn lehnte sich gegen die seine. "Es tut mir so Leid", wiederholte er seine Worte und strich mit dem Daumen seiner rechten Hand eine Träne fort. Die schloss verkrampft die Augen. "Bin ich...bin ich jetzt verrückt?" Kyo stockte einen Moment, ehe er den Kopf schüttelte und Dai wieder in seine Arme zog. "Nein", hauchte er ihm die Antwort beruhigend ins Ohr. "Nein, du bist nicht verrückt, Dai." Seufzend schmiegte er sich an den ehemaligen Gitarristen. Es würde schwer werden, schwerer als erwartet. "Du bist nicht mehr allein." Aber er würde kämpfen. Denn einst hatte Die ihn aus der Dunkelheit gerettet, ihn der Einsamkeit entrissen. Jetzt würde er das Gleiche für ihn tun... ~*~ Du bist mein Stern Das Licht in meinem Herzen Du bist der Funke Der mein Lächeln entfacht Und meine Tränen trocknet Du bist Und doch bist du nicht mehr Du bist der Regen Der mich kühlt Und auch die Trauer Die mich frisst Du bist mein Schmerz Der mich erstarren ließ Der eisig kalt mein Innerstes verbrennt Wie konntest du so einfach gehen Und mich den Flammen überlassen Rette mich! ~*~ Es war fast eine Woche vergangen und jeden Tag hatte sich Dies Zustand ein wenig gebessert. Es waren noch viele erlösende Tränen geflossen, wobei auch Kyos Augen nicht trocken geblieben waren, und schließlich hatte der Jüngere es sogar geschafft Die wieder ein Lächeln zu entlocken. Bis dieser wieder aus ganzem Herzen lachen konnte würde wohl noch einige Zeit vergehen. Aber die Zeit drängte nicht. Sie würden nichts überstürzen und mit Bedacht ihren gemeinsamen Weg beschreiten. Langsam schlug er sein Buch zu und ließ seinen Blick über den jungen Mann schweifen, welcher friedlich an seiner Schulter lehnte. "Und die hast du alle selbst geschrieben?" Ein schwaches Nicken war die Antwort. "Willst du mir jetzt meinen Posten als Songwriter streitig machen?" Kyo lächelte mild und strich ihm durch die geliebten Haare. "Nein“, kam die leise Antwort. „Aber immer wenn ich dein Buch in der Hand hatte, warst du da. Immer wenn ich hineingeschrieben habe, hab ich mich dir näher gefühlt." Der kleine Sänger schmiegte sich an den warmen Körper neben sich. "Dann machen wir das jetzt zu unserem Buch", entschied er. Ein flüchtiges Lächeln legte sich auf die vollen Lippen des Älteren. "Ok." Eine Weile saßen sie einfach so da, genossen die Nähe des Anderen, in vertrautes, keineswegs unangenehmes, Schweigen gehüllt, ehe Daisuke sich leicht regte. "Kyo?" "Hm?" "Hättest du dich eigentlich auch vor mich geworfen, wenn du keine schusssichere Weste angehabt hättest?" Ein verblüffter Ausdruck legte sich auf Kyos Züge, ehe er einem kleinen Lächeln wich. "Glaub mir, in dem Moment hab ich keinen Gedanken daran verschwendet, ob ich eine schusssichere Weste trage oder nicht. Ich hab einfach nur an dich gedacht. Da war kein anderer Gedanke in meinem Kopf. Nur du." Ein warmer Glanz trat in die Augen des Anderen und ein gerührtes ehrliches Lächeln setzte sich auf seinen Lippen fest, ehe Kyo die letzte Distanz überwand und sie mit den seinen verschloss. //Und ich würde es immer wieder tun...// The End ~oOo~+~oOo~ 更生 = Wiedergeburt 苦しい思い出 = schmerzvolle Erinnerung sooo... das war sie also, meine erste Dir en Grey FF.. übrigens auch eine der wenigen Geschichten, die ich je zu Ende geschrieben habe ^^;; an dieser stelle möchte ich mich noch einmal bei allen fleißigen reviewern bedanken. Es hat mir Freude gemacht zu lesen, was ihr über diese FF denkt. Was meint ihr? ist das Ende zu kitschig -__-;;; …und du lieber Schwarzleser kannst doch jetzt, da die Geschichte zu Ende ist, auch einmal ein kurzes Statement abgeben, wie dir die FF gefallen hat.. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)