Die letzten Elben von niiv (Eldar na veduir) ================================================================================ Kapitel 6: Heimweg I -------------------- Heimweg Als Tirmo abends in seinem Bett lag, musste er lächeln bei dem Gedanken an die Frage, die er Ethuil gestellt hatte. Aber er hatte sich seit einiger Zeit ernsthaft gefragt, ob es auch Elbenfrauen gab- alle Angehörigen dieses Volkes, die er bisher gesehen hatte, waren schlank, zierlich und hochgewachsen und alle hatten mindestens schulterlange Haare, so dass man auf den ersten Blick tatsächlich nicht sicher sagen konnte, ob das jeweilige Wesen nun weiblich oder männlich war...! Tirmo drehte sich um, sodass er aus dem Fenster sehen konnte. In der Dunkelheit hörte er das Rascheln der übriggebliebenen, verwelkten Blätter an den kahlen Ästen und vor den klaren Sternenhimmel schoben sich langsam schwere Wolken, die den ersten Schnee mit sich vom Norden brachten. Mit dem Gedanken, bald wieder zu Hause zu sein, schlief Tirmo schließlich ein, während die letzten Blätter im aufkommenden Wind fielen. Er träumte, auf einer weiten, grasbewachsenen Ebene zu stehen, über der ein trockener, heißer Wind wehte. Am Horizont erhob sich ein dunkles Gebirge und als er sich umdrehte, sah er die tiefstehende Sonne, die das Steppengras in ein goldenes Licht tauchte. Plötzlich wurde der leichte Wind zum Sturm, und hinter ihm erklang ein Donnern wie das eines entfernten Gewitters. Er blickte zu den Bergen und sah, dass von dort eine schwarze Wolkenfront auf ihn zukam. Es schien ihm, als würde sie aus lebendigen Wesen bestehen: Vermummte Reiter auf riesigen Pferden, begleitet von Tausenden schwarzer Vögel. Sie galoppierten pfeilschnell über den Himmel, die dunklen Banner im Wind wehend; und hinter ihnen blieb eine Nebelschicht zurück, die den goldenen Himmel bedeckte und kein Licht mehr hindurchließ. Tirmo wollte vor ihnen fliehen, in die weite Steppe hinaus, doch wie aus dem Nichts erschienen, war jemand hinter ihm. Die Gestalt saß auf einem silbergrauen Pferd, ohne Sattel und Zaumzeug, und war in einen langen Mantel gehüllt. Tirmo konnte ihr Gesicht nicht erkennen- zum einen, weil der Reiter seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte; zum anderen stand die Sonne direkt hinter ihm, sodass praktisch nur sein Umriss erkennbar war. Er drehte den Kopf, sah Tirmo einen Moment lang aus unsichtbaren Augen an und gab seinem Reittier einen stummen Befehl. Das Pferd schnaubte, machte einen Satz und galoppierte direkt in den Himmel hinein, auf das dunkle Heer zu. Der Sturm riss dem Reiter die Kapuze vom Kopf, sodass sein langes, silberhelles Haar zum Vorschein kam, während er ein glänzendes Schwert zog und immer weiter nach oben stieg. Das Letzte, was Tirmo von ihm sah, war ein blitzender Sonnenstrahl, der die Klinge blutrot aufleuchten ließ... dann verschluckte ihn der schwarze Nebel. Tirmo wachte frierend auf; er erinnerte sich nur undeutlich an seinen Traum und ahnte jetzt noch nicht, dass dieser von Bedeutung sein würde- viele Jahre später. Er legte die Kleidung an, mit der er nach Ithilien gekommen war, zusätzlich noch einen mit Fell gefütterten Umhang, den ihm die Elben geschenkt hatten. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, graue Wolken hingen tief am Himmel und über Nacht war es um einiges kälter geworden. Tirmo öffnete die Tür und trat hinaus. Dort, wo die Wolkendecke aufriss, konnte er die Sterne kalt funkeln sehen und die Wachtposten auf den fletts hatten kleine Laternen in die Äste gehängt, sodass die Bäume leuchtende Blüten zu tragen schienen. Unten auf dem Platz standen Amdir und Legolin, die Tirmo grüßten, als er zu ihnen hinunterkam. "Wir werden dir genügend Proviant mitgeben... bei diesen Wetterverhältnissen kann ich nicht sagen, wie lange du brauchen wirst, um nach Pelennor zu gelangen. Aber solange es nicht zu stark schneit, dürftest du in 9 oder 10 Tagen dort sein." "Neun Tage? Aber hierher habe ich nur drei gebraucht...!" "Ja... du bist von Nord-Ithilien in unser Gebiet gekommen, was allerdings kein sonderlich kluger Weg für jemanden ist, der nicht einmal ein Schwert halten, geschweige denn damit kämpfen kann." Legolin zog die Augenbrauen hoch. "Ich würde dir jedenfalls raten, dich zuerst nach Westen zu wenden, dem Lauf des Poros flussabwärts zu folgen und erst nach Norden zu gehen, wenn du an die alte Harad-Strasse gelangst. Dieser Weg dürfte einigermaßen sicher sein." Tirmo nickte, obwohl er kein gutes Gefühl dabei hatte. Er hatte die Region um den Mindolluin-Berg so gut wie nie in seinem Leben verlassen, und wenn überhaupt, dann in nördliche Richtung... "Ich weiß, dass du in dieser Gegend noch nie gewesen bist. Aber wenn du dich auf dem Weg entlang des Flusses hältst, kannst du die alte Straße gar nicht verfehlen; und wenn du dich nach Norden wendest, wirst du bald auf deinesgleichen treffen." Amdir trat auf Tirmo zu und überreichte ihm einen Lederbeutel. "Hier. Darin befinden sich Proviant und einige nützliche Dinge." "Und damit du es den Wölfen nicht zu einfach machst", fügte Legolin hinzu, "möchte ich dir noch das hier geben..." Er holte einen einfach gearbeiteten Dolch und die dazugehörige Scheide aus dunklem Leder hervor und reichte ihn Tirmo. Dieser bedankte sich überrascht bei den Elben und Legolin meinte, es sei nun an der Zeit für ihn, aufzubrechen. Sie verließen die Stadt und gingen nach Süden, bis sie auf einer Lichtung am Bergeshang standen. Zu Tirmos Linken erhob sich das Schattengebirge, rechts von ihm ein vereinzelter Berg. Über den mächtigen, dunklen Gipfeln färbte sich der Himmel hellgrau. "Du musst dieses Tal durchqueren, dann gelangst du an den Fluss. Der Berg, den du rechts siehst, erstreckt sich in südlicher Richtung bis kurz vor die Straße." Legolin sah ihn an. "Es ist jetzt endgültig Zeit, zu gehen." "ich habe noch eine Frage an Euch... Wieso habt ihr mich gefangen genommen und lasst mich nun einfach gehen?" "... Zunächst nehmen wir jeden gefangen, der unerlaubt unser Gebiet betritt, sofern wir ihn nicht ohne Vorwarnung erschießen. Allerdings stellte sich dann ja heraus, dass du offensichtlich harmlos bist. Zuerst waren wir nicht sicher, aber aus Gründen, die du noch früh genug erfahren wirst, lassen wir dich jetzt zurückgehen." "Oh...in Ordnung... Ich wünsche euch alles Gute- und vielen Dank nochmals." Legolin lächelte traurig. "Ich hoffe, dein Wunsch geht in Erfüllung... ich hoffe es für uns und die Menschen. Mögen die Sterne auf das Ende deines Weges scheinen!" Tirmo ging den Hang einige Schritte hinunter und drehte sich nochmals um. Die zwei Elben standen, in schwere Wollmäntel gehüllt, da und hoben die Hände zum Gruß; ihre dunklen Gestalten verschwimmend hinter dem dünnen Schleier der Schneeflocken, die lautlos vom Himmel zu fallen begonnen hatten. Die Sonne stieg über den Gebirgskamm, als Tirmo am Talgrund angelangte. Hier und dort wuchsen vereinzelte Bäume; zwischen den hohen Büscheln aus gelblichem Gras ragten Felsblöcke aus dem Boden. Tirmo zog sich den Umhang fester um die Schultern: es war sehr kalt, aber die Schneeflocken schmolzen, sobald sie die Erde erreichten, anstatt liegenzubleiben. Links und rechts von ihm stieg der Boden immer weiter an und in einiger Entfernung mündete der grasbewachsene Untergrund rechts in einen dichten Wald, links in steil aufragenden, schwarzen Fels, auf dem nur einige Flechten wuchsen. Tirmo schätzte, dass es früher Abend war (die Sonne war schließlich über das Schattengebirge gestiegen und nach einiger Zeit hinter dem Gipfel des Berges zu seiner Rechten versunken), als er, noch weit entfernt, das Band des Flusses schimmern sah. Als Tirmo das Gewässer schließlich erreichte, war es beinahe stockfinster und er beschloss, sich einen Schlafplatz zu suchen. Ein Stück weiter flussabwärts stand eine Gruppe kleiner Büsche, die genügend Windschutz bieten würden, am Ufer. Um den Schnee einigermaßen abzuhalten, brach Tirmo die unteren Äste einer in der Nähe wachsenden Tanne ab und legte sie überkreuzt zwischen die der Büsche. Obwohl er damit das Risiko einging, Raubtiere anzulocken, musste er ein Feuer entzünden, wenn er nicht erfrieren wollte. Tirmo öffnete den Beutel und fand nach kurzem Suchen das, was er sich erhofft hatte: ein Paar Feuersteine. Vom Flussufer holte er einige flache Steine und schichtete darauf trockene Äste und Reisig. Im Licht des Feuers nahm Tirmo den weiteren Inhalt des Beutels in Augenschein: einige flache, helle Brote und getrocknete Früchte, in Stoff eingeschlagen; ein Seil, aus silbergrauem Material geknüpft, das zwar dünn war, aber trotzdem sehr haltbar zu sein schien, und ein lederner Trinkbeutel, größer als der, den er besessen hatte. Als Tirmo nach der Tasche griff, um die Dinge wieder zu verstauen, fiel etwas heraus. Neugierig hob er den Gegenstand hoch und hielt ihn ins Licht: Es war ein kleiner Anhänger an einer leichten, silbernen Kette. Er bestand aus einer glänzenden, ovalen Platte aus dunklem Holz, in das ein verschlungenes Muster aus dünnen Silberfäden eingelassen war. Am unteren Ende des Anhängers befand sich ein weißer Edelstein, der im Feuerschein dunkelrot schimmerte. Erstaunt fragte sich Tirmo, wie die Elben dazu kamen, ihm ein so wertvolles Geschenk zu machen- mit einem reinen Diamant dieser Größe wäre er vermutlich in der Lage, zwei gute Pferde mitsamt Zaumzeug zu bezahlen... Vorsichtig streifte er die Kette über und schob den Anhänger unter sein Hemd. Anschließend aß er etwas von den Früchten- da er nicht wusste, wie lange seine Reise dauern würde, beschloss er, sparsam mit dem Proviant umzugehen- und versuchte, in einer halbwegs bequemen Lage einzuschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)