Edwardson von Onichanjo ================================================================================ Exkurs in Sachen Leben ---------------------- Edwardson (wie immer, alle Charaktere frei erfunden *g*) Wenn ich heute darüber nachdenke, verklärt sich vieles, ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob alles was ich schreibe der Wahrheit entspricht, deshalb schreibe ich es jetzt auf, damit nicht noch mehr verloren geht. Es geschah in meinem zweiten Jahr an der Edwardson, einer Privatschule für "schwererziehbare" Jungen. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon in einigen Internaten gewesen und hatte den Kontakt zu meinen Eltern bereits vor Monaten abgebrochen. Ich wusste, dass sie monatlich einen Brief über mein Verhaltensbild, meine Fortschritte und meine geistige, gesundheitliche Lage bekamen, das gehörte zum Service... was nicht hieß, dass die Edwardson eine besonders noble oder teure Schule gewesen wäre, es gehörte einfach dazu, als eine Art Tradition. Deshalb schrieb ich ihnen nicht mehr, was hatte ich ihnen denn noch zu sagen? Es gab unter uns Jungen im Edwardson bestimmte ungeschriebene Regeln, die man zu befolgen hatte um Anerkennung zu erlangen, dazu später mehr, nur soviel, vor knapp einem halben Jahr hatte ich eine Übertretung gewagt und hatte seitdem ziemliche Schwierigkeiten. Man könnte meinen, dass Magersucht, Depressionen und Selbstmord mehr in den labilen Gedankengang eines Mädchens gehörten, aber tatsächliche waren fünf Jungs auf meiner Stufe magersüchtig und mindestens die Hälfte aller "Insassen" der Privatschule hatten schon mal irgendetwas ausprobiert, um sich das Leben zu nehmen. Das es gelang war keine Seltenheit. Wobei der Schnitt des "Edwardson" niedriger lag, als an der Schule, an der ich die vierte bis achte Klasse besucht hatte. Jetzt werdet ihr fragen, wieso ich gewechselt habe. Das erzähle ich euch später, aber der Schnitt war sicher einer der Gründe. Zurück zum Thema, wir hatten einen besonders "traurigen" Fall kurz vor meiner Regelübertretung, er hieß August Sander, war ein Jahrgang über mir, man kannte ihn einfach, er hieß "Schienenwerfer", einmal in einer Woche ging er zum nahegelegenem Bahnübergang und legte sich auf die Schienen, solange, bis man sich vom Donnern des herannahenden Zuges die Ohren zuhalten musste und man nur noch Schienenwerfer und den Zug im Kopf hatte. Diesmal blieb er liegen... die Lock kam etwa zwei Kilometer später zum Stehen. Der Lockführer stand unter Schock, er zitterte und wiederholte immer, dass der Junge normalerweise im letzten Moment hätte Aufspringen müssen... wieso dieses Mal nicht? Es gab eine Trauerfeier, diejenigen, die dabei waren bekamen eine Woche unterrichtsfrei und zwei Wochen psychologische Betreuung, mehr konnten sie schließlich nicht tun. Bauchschmerzen, die hatte ich in letzter Zeit öfters, ein seltsames Gefühl... man saß in der Klasse starrte an die Tafel, war aber ganz weit weg... Entfernung, wie definiert man das eigentlich, wie weit entfernt ist man, wenn man miteinander telefoniert? Seltsame Gedanken. Ich biss mir auf die Unterlippe, typisch, meine Art der Stressbewältigung... einmal kam ich mit blutiggebissener Lippe zum Schulpsychologen... danach biss ich sie mir nie wieder blutig. Eine weitere eiserne Regel, sprich niemals über die Besuche beim "Stein", ich hatte diese Regel schnell gelernt, sie war wichtig. Ich werde euch noch eine Regeln nennen... "Sprich nie über Geister!" Was ist ein Geist? Geister sind bei uns im Edwardson, diejenigen, die nicht mehr zum Unterricht erscheinen, einfach so, scheinbar grundlos,... wer das tat war entweder von der Schule genommen worden oder tot... letzteres war seit geraumer Zeit nicht mehr die Häufigste Ursache... ein Glück. Zurück zu meinem zweiten Jahr am Edwardson. Er war seit mir der Dritte, der mitten im Schuljahr an unsere Schule kam, er hieß Gabriel, kam in meine Stufe. Er sah ziemlich verwahrlost aus, vielleicht aus einem Waisenhaus, vielleicht hatte er zeitweise auf der Straße gelebt, wie er da an das Edwardson gekommen war, wusste "man" nicht. Man war eine gängige Bezeichnung für den Quatscher (Regel: "Verscherze es dir nie mit Quatscher") Er war der Sohn eines Sportlehrers, genoss gewisse Freiheiten, war etwas dicker und schaffte es mit der Beschaffung von Informationen in der Hierarchie der Dominanten klar zu kommen. Die Hierarchie ergab sich aus mehreren Gruppen, die sich folgendermaßen aufteilten: Die Höheren, wie der Name schon sagt, die Ältesten unter uns, was nicht hieß, dass sie in Höheren Klassen sein mussten, es ergab sich einfach durch körperliche Überlegenheit. Kraft, etwas was man hier unbedingt brauchte... Aber auch Geld, Geldsäcke, die es durch geschickte Bestechung an die Spitze schafften. Quatscher hatte weder das eine noch das andere, Schienenwerfer hatte auch nichts davon gehabt und ich? Ich schaffte es mich durchzuschmuggeln, mit einigen gut gezielten Gerüchten hielt ich sie mir vom Leib. Die Diener, ja so nannten sie sich wirklich, so eine Art Fußvolk, die sich immer einem Höheren angeschlossen hatten, ich erinnerte mich noch an eine blutige Auseinandersetzung zwischen zweier solcher Gruppen auf dem Schulhof, bei der eine Gabel zugegen war... seit dem wurden wir nach dem Essen abgetastet. Und wir... Wir waren im Gegensatz zu den anderen nicht organisiert, man fand uns hier und da. Leute, die ein Einzelzimmer hatten. Welche die wegen etwas schlimmeren saßen, als nur wegen eines Einbruchs, diese wurden sogar von den Höheren gemieden. Zu was gehörte ich? Zu denen, die mitten in einem Schuljahr gekommen waren... etwas, was ich niemandem am Edwardson wünsche, denn man freundete sich nicht mir "Neulingen" an. Schnell war klar, dass ich mich gut als Dienender eignete, ich wurde von "Hatsch" in seine Bande aufgenommen... davon erzähl ich später, jetzt zu Gabriel. Bei ihm sah man sofort, dass er zu einem "Höheren" berufen war, er hatte die nötige Kraft. Ich selbst hielt mich von ihm fern, ich wollte nicht, dass er den Hass der Anderen auf mich ausnützen würde, um so in ihr System zu gelangen. Ich hätte gegen Gabriel keine Chance, er war knapp zwei Köpfe größer als ich und beinah doppelt so breit, was nicht hieß, dass er dick war... ich war einfach sehr schmächtig. Wenn man nicht zu den geregelten Essenszeiten essen gehen konnte, und das konnte ich nicht mehr seit dem Zwischenfall, wurde man einfach nicht satt. Unsere Schule ist in zwei Schulgebäude gespalten, das eine ist der naturwissenschaftliche Trakt und der andere Teil ist der sprachliche Trakt, beide hatten einen dazugehörigen Schulhof, diese waren durch eine steile Treppe verbunden und der Schulhof der naturwissenschaftlichen Gebäude lag knapp 10 Meter über dem des Sprachlichen. Seitdem dort vor dreizehn Jahren ein Schüler in den Tod gesprungen war, stand dort ein sehr hoher Maschendrahtzaun, der nun auch zur Begrenzung eines Basketballfeldes diente. Die Rufe der Spielenden schallten bis zu mir herunter, ich saß auf dem unteren Schulhof und versuchte möglichst unauffällig zu sein. "Hey Luke!" Ich sah verwirrt nach oben. "Luke, was ist nun, wirf verdammt noch mal den Ball!", schrie eine wütende Stimme. Ich begriff erst nicht. Als ich dann aber vor meine Füße sah, entdeckte ich den Basketball, der wohl über die Absperrung geflogen war. Ich hob ihn auf und wollte ihn werfen, aber ich merkte bald, dass ich den Ball vielleicht 3 Meter in die Höhe bekommen würde, aber niemals über die zehn Meter Klippe plus dem Absperrgitter. Ich würde ihn hoch tragen müssen. Ich zitterte und rief so laut, dass es die Spieler auf dem oberen Schulhof gerade noch hören konnten, dass ich ihnen den Ball bringen würde. Ich schnappte also den Ball, der in einiger Entfernung wieder auf den Boden gefallen war und begab mich zu Treppe. Sie würden mir nichts tun, sie würden mir dankbar sein, es würde ihnen egal sein, bitte... Ich zitterte noch stärker, als ich endlich die Treppe hinaufgerannt war und mir vor Erschöpfung die Seite hielt. Nur keine Zeit vertrödeln, gib denen den Ball und dann geh! Geh einfach! Ich überlegte sogar kurzfristig, ob ich denn Ball vielleicht einfach nur in die Menge werfen und dann Abhauen sollte. Ich war noch am überlegen, als mir der Ball bereits aus der Hand geschlagen und ich zu Boden gestoßen wurde. Jetzt hatte ich ein Problem, jetzt hatten sie mich! Auf dem höheren Schulhof hatten die Oberschüler und nicht die Lehrer Aufsicht, und diese würden mir garantiert nicht helfen. Die ganze Gruppe von Spielern stand plötzlich um mich herum, mir ging auf, dass sie mich wohl mit Absicht hier herauf gelockt hatten. Panik stieg in mir auf. -Verflucht, dass sind knapp sieben Leute. Nicht mal gegen einen hätte ich den Hauch einer Chance- Ich schloss die Augen und spürte, wie sich unter gewaltigem Druck ein Fuß in meinen Bauch rammte. Ich schnappte nach Luft, der nächste Tritt richtete sich gegen mein Schienbein und ich krümmte mich unter Schmerzen zusammen, dann kamen viele, die ich heute nicht mehr zuordnen könnte. Ich kann mich kaum noch an das Geschehen erinnern, ich weiß auch nicht, wieso er mir geholfen hatte, aber er tat es und verwirkte somit seine Aufnahme in das System. Ich war schon fast ohnmächtig gewesen, als er sich einmischte und wusste nur aus späteren Erzählungen, dass er einem Jungen zwei Zähne ausgeschlagen hatte. Er trug mich auf sein Zimmer und legte mich in sein Bett, dort blieb ich eine Weile besinnungslos liegen, bis er mich ziemlich grob wach schüttelte. Ich hatte starke Schmerzen und er deutet auf eine Tablette, die neben einem Wasserglas lag. "Nimm das, ist' n Schmerzmittel." Ich richtete mich auf und verzog sogleich das Gesicht vor Schmerzen. "Was prügelst du dich auch mit SIEBEN Leuten?" "Glaubst du, ich wäre Masochist? Ich hatte nicht die Absicht mich zu prügeln!", verteidigte ich mich schnell und wunderte mich, wie ich überhaupt klar denken konnte. "Wie hast du denn die ganzen Leute gegen dich aufgehetzt?", wollte er schließlich wissen und ich sah ihn kurz an und biss mir auf die Lippen, "Ich hab jemanden getötet." Er sah mich etwas verwirrt an und lachte,... "Das war doch ein Scherz, oder?" Ich schüttelte sachte den Kopf. Er erhob sich daraufhin und ging zu seinem Kleiderschrank, so hatte ich etwas Zeit mich zu orientieren. Er bewohnte ebenfalls ein Einzelzimmer, die Schule hatte aus früheren Zwischenfällen gelernt und legte keine Neulinge mehr auf Mehrbettzimmer. "Wie heißt du eigentlich?", kam es von Gabriel, der anscheinend irgendwas in seinen Klamotten suchte. "Luke," gab ich als Antwort, "Ich bin in deiner Stufe." "Weiß ich, ich hab dich schon gesehen, siehst aus, wie' n Achtklässler." Ich lachte etwas, doch weil mein Bauch schmerzte lies ich es schnell bleiben. "Meine Elter sind beide nicht sehr groß," erklärte ich ihm. "Wieso bist du hier?", fragte er mich plötzlich, ich mochte diese Frage nicht, aber ich wusste, dass sie früher oder später immer kam, bei mir war es nur nicht besonderst spektakulär, wie bei anderen, die wegen einem Einbruch hier waren. Ich war nur hier, weil meine Eltern nicht als Eltern taugten. "Willst du die ärztliche, oder meine Meinung hören?", fragte ich schließlich leicht sarkastisch. Er musterte mich kritisch. "Bei mir weichen die beiden nicht besonders von einander ab." "Wirklich", fragte ich spöttisch und ließ mich zurück aufs Bett fallen, ein Fehler, denn der Schmerz durchfuhr mich, wie ein Blitz. "Autsch!" "Das war so klar, bist keine Prügel gewöhnt, ne?" "Nur von meinem Dad, aber das ist Jahre her..." "Warst wohl schon in einigen Heimen, ne?" "Ich wandere vom einen ins Nächste, seit ich zehn bin, meine Eltern sind unfähige Egoisten." "Wessen Eltern sind das nicht?", wollte er wissen und grinste mich blöde an. "Ich glaube nicht, dass es nur egoistische Menschen geben kann." "Optimist?" "Nein, eher ein realistischer Träumer." "Widerspricht sich das nicht etwas?", fragte er leicht verdutzt, doch man merkte ihm an, dass er die Diskussion nicht sonderlich ernst nahm. "Wär' ja schrecklich, wenn man berechenbar wäre." - Über was unterhalte ich mich hier eigentlich mit einem Wildfremden?! - "Schlaf jetzt erst Mal!", sagte er und lies mich alleine. Ich erwachte etwas später mit höllischen Schmerzen. Es war dunkel und kalt. Anfang Herbst wurde die Heizung im Heim noch nicht angestellt bis spät in den Oktober wurde prinzipiell gefroren. Und es war gerade mal Anfang September. Ich richtete mich auf und sah mich verstört um, wo war ich noch mal? Es war Dunkel, aber meine Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit. Mein Unterbewusstsein wollte sich zu Wort melden, als ich Gabriel erblickte... Schnell schossen alle Erinnerungen wieder durch meinen Kopf..., die Schlägerei (obwohl ich mir bei dieser Definition nicht sicher bin, Schlägerei? Muss man da nicht zurück schlagen?)... meine Rettung... Ich widmete mich nun meinem Retter, er saß in sich zusammengesunken auf einem Sessel und hatte ein Buch auf dem Schoß liegen... anscheinend war er beim Lesen eingeschlafen. Ich wurde rot, wegen mir hatte der arme Kerl auf einem unbequemen Sessel schlafen müssen. Sofort schwang ich meine Beine aus dem Bett und setzte sie auf dem Boden ab, heftiges Stechen in meiner Seite machte sich bemerkbar und ich kauerte kurz in mich zusammen. Ich war für eine Sekunden unschlüssig, sollte ich ihn wecken und mich bedanken, oder einfach leise davon schleichen und ihn schlafen lassen? Diese Frage hatte sich schnell erübrigt, denn Gabriel hatte wohl einen leichten Schlaf und war bereits aufgeschreckt und hatte das kleine Lämpchen neben seinem Schlafplatz eingeschaltet. -Wieso hatte er mich gerettet? - "Ah, endlich, ich dachte schon, du würdest gar nicht mehr aufwachen!", sagte er in einem ziemlich unhöflichen, eher gereizten Ton. Ich sah ihn verwundert an, wenn es ihn so störte, dass ich sein Bett belagerte, wieso hatte er mich nicht einfach wachgerüttelt. Unsicher erhob ich mich. "Tut... tut mir leid," stammelte ich und begann mich ganz langsam zur Tür zu bewegen. "Was hast du vor?", fragte er kritisch. "Ich geh auf mein Zimmer", erklärte ich schnell. "Das wirst du schön bleiben lassen, es ist nach 22 Uhr, also Ausgangssperre, wenn sie dich erwischen, dann bin ich auch dran!", sagte er schroff. "Dran hatte ich nicht mehr gedacht," verteidigte ich mich schnell. "So den Rest der Nacht bekomm ich das Bett und du den Stuhl!", stellte er fest und wir wechselten die Plätze. Ich ließ mich in den Sessel sinken, da ich kleiner war, war der Sessel sogar ein ausgesprochen angenehmes Nachlager. (im Vergleich zum Fußboden) Mit einem erleichterten Seufzer streckte sich Gabriel in seinem Bett aus und war wohl schon gleich darauf eingeschlafen. Ich löschte die kleine Lampe, die er eingeschaltet hatte und versuchte nun selbst einzuschlafen. Was wohl auch gelang, denn am nächsten Tag wurde ich mit einem gehörigen Stoß geweckt. "Autsch!", jammerte ich, ohne die Augen zu öffnen. "Das hast du jetzt davon, vom Rufen wirst du ja nicht wach!", das war wieder Gabriels Stimme und er klang immer noch etwas verstimmt. "Was immer ich getan habe, es tut mir leid," sagte ich etwas sarkastisch und schlug die Augen auf. "Wenn ich gewusst hätte, was ich mir da einhandle, wenn ich dich rette, hätt' ich dich mitverdroschen. Bist hier wohl der Internatsfeind Nummer Eins?" "Das hätte ich dir gleich sagen können, hab mich schon gewundert, wieso du mir geholfen hast..." "Ich hatte einfach keine Ahnung! Ist das Erklärung genug?", grummelte er. "Tut mir leid, wenn ich dir Schwierigkeiten bereite (diesmal war er ernst gemeint und die häufigste Aneinanderreihung von "tut mir leid" in meinem ganzen Leben.)" Er sah mich verwundet an, anscheinend hatte er mit einer anderen Reaktion gerechnet. "Schon okay," stammelte er und sah zu Boden, "Ich hatte nur gehofft, mich endlich mal in eine Internatsgemeinschaft einzugliedern ohne Probleme zu haben, das ist schon mein drittes Internat! Meine Eltern werden langsam sauer." "Ich... es tut mir leid," mehr wusste ich nicht zu sagen, mir war das alles mehr als unangenehm, er hätte einer der "Höheren" werden können und nur wegen mir hatte er sich diesen Weg verbaut. "Du könntest mich ausliefern, vielleicht geben sie dir eine zweite Chance." Ich hatte diesen Satz mit großen Bauchschmerzen ausgesprochen, denn ich wusste, was die "Höheren" mit mir anstellen würden. Unerwarteter Weise schüttelte Gabriel heftig de Kopf, "Spinnst du? Glaubst du ich will an deinem Tod Schuld haben? Ich habe gestern Abend erfahren, dass du auf der Abschussliste ganz oben stehst und das nicht erst seit gestern." Ich nickte sachte. "Wie hast du es bloß geschafft bis heute zu überleben?" "Ich halte mich im Hintergrund, versuche niemanden zu reizen, verbringe die Pausen in der Bibliothek oder auf dem untersten Schulhof und gehe nie in den Gemeinschaftsraum, wie du siehst, ist es gar nicht so schwierig." "Bewundernswert," sagte er und starrte ins Leere, "an meiner alten Schule ging es mir ähnlich, wie dir, wenn auch aus einem völlig anderem Grund, ich hab mich aber bereits nach einer Woche versetzen lassen." "Dann tut es mir noch mehr leid, wenn du gehofft hattest hier einen besseren Einstieg zu haben," flüsterte ich. (dieses verdammte "tut mit leid") "Mhm, kann man nichts machen, daran werde ich mich wohl gewöhnen müssen." Ich sah ihn mitleidvoll an, er war es bis jetzt wohl gewöhnt gewesen Freunde zu haben und im Mittelpunk zu stehen, doch nun hatte ihn sein Glück wohl verlassen. Ich hingegen hatte mich schon seit langen damit abgefunden, dass ich niemals eine tragende Rolle in der "Herrschaftsstruktur" innehaben würde. "Du hast wirklich jemanden getötet?", fragte er schließlich, anscheinend hatte er sich wirklich über mich erkundigt und fragte mich nur um eine Bestätigung zu erhalten. Ich nickte. "Wie kam es dazu?" Mein Atem geriet ins Stocken. "Ich rede nicht gerne darüber..." "Kann ich mir vorstellen, würde auch nicht gern darüber reden, wenn jemand durch mich sterben würde." Ich sah ihm fest in die Augen. "Urteile nicht vorschnell," riet ich ihm und begann zu erzählen. Als ich geendet hatte starrte er mich mit großen ausdruckslosen Augen an. Ich hatte ihn wohl verstört, trotzdem wagte ich es ihn nach einiger Zeit anzusprechen... "Nun, wie arrangieren wir uns nun mit unserer Situation? Willst du mich den "Höheren" ausliefern...oder?" "Nein... im Nachhinein weiß ich, dass ich dir so oder so geholfen hätte...was soll's." Er zeigte ein schiefes Grinsen. "Ich hab Hunger, wie steht's mit dir?" "Mhm, gehen wir... wir haben sowieso nur noch zehn Minuten Zeit fürs Essen." "Hab ich so lange gepennt?" "Scheinbar" Ich zwang mich aufzustehen, auch wenn alles an mir sagte, dass dies keine gute Idee sei. Ich schaute an mir runter und bemerkte, dass ich in meiner Schuluniform geschlafen hatte. "Glaubst du etwa, ich zieh dich aus?", kam der Kommentar von der Seite. "Das will ich dir auch nicht geraten haben," gab ich zurück. "Geh doch so, sonst können wir's frühstücken ganz vergessen." Er hatte Recht, der Schulkoch briet selten eine "Extrawurst", so schlubte ich in meine Schuhe und ging in den verknitterten, teilweise mit Blut besprenkelten Klamotten in den Speisesaal. Ich bin Schuld... schuldig am Tod eines Menschen... Schuldbewusst? Vor einem halben Jahr war es geschehen, es hatte schon seit Tagen in Strömen geregnet, der Fluss war über die Ufer getreten und die Kanalisation war zum Bersten gefüllt. Er hieß David Mende, war eine Stufe über mir, was hatte ich mit ihm zu tun? Nun, ich war zu dieser Zeit eine mathematische Niete und er hatte, auf Anweisung des Lehrers, mir Nachhilfeunterricht zu geben. Wir trafen uns Mittwochs und Freitags, sprachen ausschließlich über Mathematik, über nichts anderes, Fortschritte, keine Großen, aber kleine, gemächliche. Wir waren keine Freunde, dennoch verband uns eins, wir waren Diener, keine Höheren, obwohl er sehr groß war, hatte er es nicht geschafft sich zu etablieren. Ich wusste zu dieser Zeit noch nicht wieso, doch ich sollte es bald erfahren. Ich hatte es nicht gemerkt, viel zu lange nicht, so dass ich schon ein gewisses Vertrauen zu ihm aufgebaut hatte. Wir lernten schon lange nicht mehr in der Bibliothek, er meinte, dort wäre es zu laut, also suchte er die Plätze aus. Mittwoch, wir trafen uns in einem leeren Arbeitszimmer im vierten Stock der Schule, dort war es schön warm und nicht so frostig, wie in den unteren Teilen der Schule. Ich kam zu spät, was bei mir zu dieser Zeit noch selten vorkam, er war ziemlich sauer auf mich, aber dennoch lief alles wie immer. Erst besprachen wir die Aufgaben, die er mir aufgegeben hatte und schließlich verfielen wir ins übliche rechnerische Schweigen, ebenso gut hätte ich mit einem Kühlschrank lernen können. Ich weiß nicht, ob ich ihn gereizt hatte, oder ob ich ihm irgendeinen Anlass gegeben hatte, jeden Falls fand ich mich auf dem Fußboden wieder, meine Handgelenke fest umklammert und er beugte sich über mich, im ersten Augenblick wusste ich nicht, was er eigentlich von mir wollte, erst als er mir wirklich weh tat schrie ich und versuchte mich zu befreien... ein aussichtsloses Unterfangen, wie ich bereits erwähnt habe, war er um einiges größer und somit auch stärker als ich. Also schrie und kratze ich, biss nach allem, was ich zu fassen bekam, ich weiß nicht mehr genau wie, aber ich glaube ich hatte ihn angespuckt und in diesem Moment der Ablenkung konnte ich mein rechtes Bein befreien, ich zog es blitzschnell an und rammte es in seinen Bauch. Er lies für einen Moment von mir ab, ich sprang auf und musste mit Entsetzen feststellen, dass er die Tür wohl abgeschlossen hatte - was mich im Nachhinein wirklich wundert, mir war es gar nicht aufgefallen, vielleicht hatte jemand von außen...?- Panisch lief ich zum Fenster, ungeachtete dessen, dass wir uns im vierten Stock befangen riss ich es auf und suchte nach einer Fluchtmöglichkeit. Ich war schnell auf den Fenstersims geklettert, als ich einen Ruck an meiner Schulter spürte. David war in der Zwischenzeit wieder auf die Beine gekommen und wollte mich von der Fensterbank auf den Boden zerren. So schnell ich konnte ließ ich meinen Ellbogen gegen seine Nase schnellen und warf mich mit meinem gesamten Gewicht auf ihn. Er taumelte nicht mal, sondern fluchte nur wegen seiner blutenden Nase. Ich hatte verloren, dass schoss mir als unausweichliche Konsequenz durch den Kopf, doch das Schicksal wollte es anders. Da er mich in die Enge gedrängt hatte und hinter mir nur noch das offene Fenster war, ließ er meinen Arm los und untersuchte seine Nase. Ich machte einen kleinen Satz rückwärts, beförderte mich wieder auf den Sims, packte die tiefen Steinfurchen, dir durch die Lücken zwischen den Backsteinen des Schulgemäuers entstanden, seitlich des Fensters und zog Mich an die Außenwand des Gebäudes nach draussen. Was hatte mich da bloß geritten? Ein falscher Schritt, ein falscher Griff und ich würde in die Tiefe auf den Beton klatschen. Mit dieser Gewissheit hangelte ich an der Außenwand entlang zum nächsten erreichbaren Fenster und klammerte mich erleichtert daran fest. Hinter mir ein wütender und schreiender David, der offensichtlich nicht so todesmutig war mir zu folgen. Ich atmete schnell und begann panisch ans Fenster zu hämmern, als ich feststellen musste, dass der Klassenraum verlassen war, auch David hatte aufgehört zu Schreien und ich sah verwundert zurück. Hatte er mich aufgegeben? Er war weg, doch plötzlich öffnete sich die Tür zum Klassenraum, an dessen Fenster ich hing und David trat hinein mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck. Ich hangelte mich an der Fensterfront entlang, die immer glitschiger wurde, so dass ich sie kaum noch fassen konnte. Ich war mehr als panisch, ich hatte Todesangst. Die nächsten fünf Fenster gehörten alle noch zur selben Klasse und er ging gemächlich neben mir her, während ich draußen um mein Leben fürchtete. Ich merkte, dass es Sinnlos wäre und blieb einfach sitzen, er hatte meine Resignation bemerkt, öffnete das Fenster, was vor mir lag und hielt mir seine Hand entgegen. Ich griff danach, doch anstatt mich reinziehen zu lassen, stemmte ich meine Füße gegen das Glas und zog mit meinem ganzen Gewicht in Richtung Erdboden. David versuchte sich noch zu halten, doch er fand keinen Halt auf dem glitschigen Stein. Ich war im durchweichten Blumenbeet der Sekretärin gelandet, der nasse Boden hatte wie eine Matratze gewirkt und ich hatte überlebt, nur David war auf den Schulhof nur wenige Meter vom Beet entfernt aufgeschlagen. Ich hatte Gabriel mit dieser Geschichte nicht belasten wollen, auch verstand er im ersten Moment nicht die Zusammenhänge. So erklärte ich ihm, dass David zu einem anderen Höheren gehört hatte, wie ich, so dass, diese beiden Höheren, durch den Verlust von David miteinander gebrochen hatten und es durch mein verschulden einen Bandenkrieg in Edwardson gegeben hatte. Wir saßen im Speisesaal und kauten schweigend auf den steinharten Brötchen rum, es war so üblich das nur die Höheren frische Brötchen bekamen. In diesem Moment der Absoluten Stille kam mir ein Gedanke... Wer bestimmt eigentlich, dass die Höheren bessere Brötchen bekommen? Ich zitterte am ganzen Körper, als hätte ich so eben ein hochkompliziertes System entschlüsselt. Zum ersten Mal, seit einer Ewigkeit sah ich auf und musterte die Höheren an ihrem extra Tisch, niemand schenkte mir Beachtung, mein Blick schweifte zum Lehrertisch und ich hielt den Atem an. Dort saß ein Lehrer, der mich mit dem Ausdruck bitterer Erkenntnis musterte und ich verstand. Es war kein Zufall, dass nur die "Starken" einen Einfluss auf die Rangordnung hatten, dies alles, alles, alles, alles an Edwardson war ein riesiger Plan... ein Plan, nur was für einer? Ich wollte, ich musste dahinter kommen! Gabriel legte seine Hand auf meine Schulter und ich fuhr zusammen. "Was starrst du denn so?", flüsterte er mit Besorgnis in der Stimme. "Ich hatte gerade eine Erkenntnis", gab ich kurz angebunden zurück. "Erkenntnis?", fragte er verdutzt. Ich warf schnell einen Blick auf die Uhr, wenn wir noch vor den Höheren den Speisesaal verlassen wollte, mussten wir und beeilen. Aus der Freundschaft mit Gabriel entstanden Vor- und Nachteile, zum einen musste ich keine Angst mehr haben, wenn ich mich auf dem Oberen Schulhof aufhielt, zum anderen sahen es die Lehrer wohl nicht gerne, wenn sich zwei Außenseiter verbündeten. Wir bekamen aus unerfindlichen Gründen immer schlechtere Noten, wurden beim Verlesen der Hausaufgaben übergangen, generell herrschte eine völlig neue Stimmung mir gegenüber. Wir trafen uns Donnerstags in einem ruhigen Teil der Bibliothek und dort sprach ich es zum ersten Mal aus... "Das ist ein Plan..." "Plan?" "Alles, was am Edwardson passiert, die Herrschaft der Oberen, das Verhalten der Lehrer, einfach alles ist Absicht!" Er erwiderte nichts, sondern starrte mich verständnislos an. "Verstehst du, was ich sage? Wir sind nichts weiter, als ein Experiment!" Plötzlich schüttelte er bestimmend den Kopf. "Weißt du, was du da behauptest? Wenn das stimmt, dann... dann, ist das doch strafbar... oder?" "Ich weiß nicht," gab ich offen zu, daran hatte ich noch gar nicht gedacht, zu erschreckend war diese Erkenntnis gewesen. "Aber ohne Beweise sind wir aufgeschmissen..." Wochenende, etwas, was man am Edwardson nicht genießen konnte, nur die Wenigsten fuhren nachhause und somit blieb die Situation die Selbe, nur ohne Unterricht. Wir hatten uns entschieden unsere Augen offen zu halten und uns Abends alles zu berichten, was meine Vermutung bestätigen könnte, erst durch Anhaltspunkte kann man an Beweise kommen. Gabriel erzählte mir sehr viel von sich, er war der Sohn eines arbeitslosen Schreiners, der chronischer Alkoholiker war und Gabriels Mutter verprügelte. Aus Gabriels Erzählung schloss ich, dass er wohl auch öfters mal eine gefangen hatte, es mir aber noch nicht erzählen wollte. Gabriel hatte mit zwölf seine ersten Drogenerfahrungen hinter sich und war zu diesem Zeitpunkt ziemlich fertig, einige Sozialhelfer wollte ihn aus seiner Familie rausholen, doch aus irgendwelchen bürokratischen Gründen hatte das nicht geklappt, damals war er zum ersten Mal von Zuhause abgehauen, hatte es sogar zwei Monate geschafft, durch betteln und Diebstähle, als sie ihn dann wieder eingefangen hatten, kam er auf ein Internat, die Kosten wurden vom Staat getragen und er fing sich wieder. Gabriel sagte von dieser Zeit, dass sie die schönste in seinem Leben gewesen wäre... leider war sie nach einem Jahr bereits wieder vorbei. Die Bedingungen, an diesem Internat zu bleiben, waren gute Noten und die konnte Gabriel nicht liefern, so wurde er zurück zu seinen Eltern geschickt, wo alles wieder von vorne begann. Zu dem Zeitpunkt war er vierzehn Jahre alt und beging seinen ersten schweren Diebstahl. Sie erwischten ihn und er kam in eine "Besserungsanstalt", aus der er nicht mehr rauskam, er hatte zwar schnell Anschluss gefunden (für gewöhnlich suchen sich die Schwachen immer die Starken aus, und Gabriel gehörte nun mal in die letztere Gruppe), konnte sich jedoch auch in dieser Schule nicht lange halten und kam schnell in eine anderen, wo er keine Lust mehr hatte sich einzufinden. Keine Lust mehr... so was kennt man ja, das Gefühl gegen Windmühlen anzurennen und jedes Mal nur zurückgeschleudert zu werden... wieso kam mir mein Leben nur wie das von Donquichott vor? Wir hielten uns auf dem untersten Schulhof auf und hatten uns unter einen Baum gesetzt, dort konnte man nur schlecht belauscht werden, wir waren weit genau vom Gebäude entfernt, das die Leute in den oberen Stockwerken keine Gesprächsfetzen hören konnten, die unteren Fenster waren immer geschlossen, die oberen Fenster waren seit "seinem" Sturz mit Gittern versehen, also durften sie geöffnet werden. Ich seufzte tief und Gabriel sah mich verwundert an, er war nicht der Hellste, das war mir gleich aufgefallen, vielleicht lag es auch an seiner für ihn ungewohnten Position, die er nun irgendwie zu ertragen versuchte. Ich hoffte jedenfalls, dass mein neuer "einziger" Freund irgendwann mal vernünftig mit mir reden würde und vielleicht auch mal philosophieren würde (recht unwahrscheinlich). "Was ist, wenn wir nichts finden?", fragte er schließlich. "Worauf willst du hinaus?" "Wenn,... also, wenn wir nichts finden, dann müssen wir noch ein Jahr hier durchhalten, bis wir unseren Abschluss haben... ich weiß nicht, ob wir das schaffen..." Er wollte nicht sagen, dass er sich darum sorgen machte, ob wir die Zeit überlegen würden, doch ich spürte, was er meinte. "Was mich am Meisten stört sind die vielen Neuen, die alle in das System rutschen werden und denen wir nicht helfen können." Er legte den Kopf schief, "so kann man das natürlich auch sehen, aber in erster Linie sollten wir doch an uns denken, wenn wir uns retten können, dann helfen wir auch unseren Nachfolgern." "Hast wahrscheinlich recht..., was machen wir, wenn die Lehrer wirklich dahinter stehen? Wir können doch nicht einfach unsere Lehrer beschatten, oder?" Gabriels Augen blitzten auf, "wieso nicht? Das ist doch eine gute Idee, fangen wir erst Mal damit an, Belauschen von Unterhaltungen zwischen Lehren, wir können auch versuchen einen Blick ins Lehrerzimmer zu erhaschen." "NEIN", rief ich überrascht aus, und tadelte mich in selben Moment. Er sah mich verdutzt an, "Was ist so schlimm daran?", wollte er wissen. "Nichts... nichts... es war nur ein Reflex..." "Du hast seltsame Reflexe...", sagte er lachend. "Also, es gibt gewisse Regeln, an die man sich halten sollte, wenn man hier überleben will, einige hast du schon mitbekommen, nicht wahr? Ich selbst suche jeden Tag nach neuen." "Meinst du diese ungeschriebenen Gesetze?" Ich nickte. "Davon habe ich sehr wohl schon gehört, du hast auch gegen eins verstoßen, ne?" Ich nickte erneut. "Als der Junge in den Tod fiel, hast du das Heiligste gebrochen." "Stimmt." "Dann hat dich "Hatsch" aus seiner Gruppe geworfen und dich vogelfrei erklärt. Aber was hat das nun mit dem Reflex zu tun?" "Ähm... das ist auch eine Regel, Das Lehrerzimmer ist tabu!" "Von wem wurde die den aufgestellt, hört sich ja fast an, als wären die Regeln von Lehrern gemacht." Hatte er da gerade unbewusste eine weitere Wahrheit von Edwardson ausgesprochen? Ich sah ihn überrascht an, aber anscheinend war ihm nicht aufgefallen, dass sie These durchaus vertretbar war. Ich sprach ihn nicht darauf an, sondern stand auf und machte mich zum Gehen fertig. "Wohin willst du?" Ohne etwas zu antworten ging ich davon, mir war nicht mehr nach reden, wenn es die Lehrer waren, welche Gründe hatten sie dann? Wieso taten sie so etwas, wieso? Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, wenn ich heute zurückdenke ist es sowieso verwunderlich, wie ich dem Ganzen überhaupt auf die Schliche gekommen bin. Wenn ich heute aus dem Fenster schau, sehe ich nur einen kleinen Hof, von Zäunen umringt, gelegentlich beleuchten die Scheinwerfer des Gefängnisturms meine spartanische Zelle, während ich diese Zeilen schreibe höre ich nur das Schnarchen meines Zellengenossen und das tropfen das Wasserhahns. Flucht? Aussichtslos, die würden bei der ersten Gelegenheit auf mich schießen... Lebenslänglich ist auf freiem Fuß ein Todesurteil. Ich genieße es hier... auch wenn sich das skuriel anhört, aber hier fühle ich mich frei.... Keine Angst mehr vor den Höheren, vor den Lehrern, vorm Stein. Die Psychologen sagen, dass sie eine Chance sehen mich hier rauszuholen, das ich vorübergehen nicht zurechnungsfähig war. Aber ich will gar nicht raus, hier ist es so schön ruhig. Was haben die damals nur gesagt, als sie mich neben David Mendes Leiche fanden? Tragischer Unfall, zwei Wochen Einzelgespräch mit Stein. Nur die Höheren hatten es sofort durchschaut, wussten, dass Mende pervers war. Heute weiß ich, dass ich hätte sterben sollen, dass das alles geplant war, sie wollten einen Krieg und meine Ermordung wäre der Auftakt gewesen. Damals hatte ich nicht so viel Durchblick und konnte vor Schuldgefühlen kaum in den Spiegel sehen, dazu kam, dass ich eine der heiligsten Regeln verletzt hatte, ich hatte einem Höhern einen Diener geraubt, das bedeutete Blutrache. Nun, einen Krieg haben die Banden bekommen. Ich lag zu dieser Zeit noch auf der Intensivstation, ich weiß leider nichts genaues. Als ich entlassen wurde, war Edwardson nicht mehr das Edwardson, was ich verlassen hatte, eine neue Bande hatte die Macht, angespornt durch den Tod ihres Mitglieds hatten sie "Hatschs" Bande (welcher ich angehört und welche bis dahin den Oberbefehl hatte) einfach überrannt. Mein Name kam aus symbolischen Gründen ganz oben auf die "Todesliste" und somit war auch mein Rauswurf besiegelt, denn niemand auf dieser Liste darf in einer Bande sein. Ich saß in der Bibliothek, als Gabriel ziemlich außer Atem hineinplatze, er erzählte, wie ein Wasserfall, dass er einen Freund seiner Eltern angerufen habe, der uns helfen wolle. Ich war etwas skeptisch, dennoch willigte ich ein, dass wir uns für das Wochenende entschuldigen sollten um diesen Freund zu besuchen, doch das Wochenende lag noch in weiter ferne, wir hatten jetzt wieder eine unerträgliche Woche unter Hyänen vor uns. So beschlossen wir unser bestes zu geben, unsere Hausaufgaben ordentlich zu machen und nicht anzuecken, abtauchen und ruhig bleiben, das wurde unser Überlebensmotto, nur nicht auffallen. Ich hatte Gabriel schnell die Illusion geraubt, dass ich diese Befreiungsaktion auch für unsere Nachfolger plante, ich machte ihm klar, das in unserer Situation nur Egoismus angebracht war, er weigerte sich anfangs, begann mit großen Reden, dass doch alles mehr Sinn haben würde, wenn wir nicht nur für uns kämpfen würden, doch mir fehlte dafür eindeutig der Idealismus. Am Montag geschah etwas unerwartetes, ich bekam einen Brief von meinen Eltern, angehäuft mit Floskeln, die mich anwidernd durch den ganzen Brief zogen, aus den wenigen Zeilen, die sie mir geschrieben hatte, entnahm ich, dass meine Mutter wieder schwanger war, den Vorwurf, dass ich solch ein schlechtes Kind gewesen war und die Hoffnung auf eine neue Chance. Ich zerriss den Brief im selben Moment, als ich das Lesen beendet hatte, auf solch eine Beleidigung hatten sie keine Antwort verdient, sollte das Kind doch ungeboren verrecken, es wäre besser dran. Heute bereue ich es, das ich kein Interesse an Lisa, meiner kleinen Schwester, gezeigt hatte. Sie ist ein liebes Mädchen, die mir ab und zu Briefe ins Gefängnis schickt, anfangs noch zaghaft, dann immer Längere, manchmal habe ich das Gefühl, sie benutzt mich als emotionales Tagebuch, als einen Ratgeber, der sich niemals aktiv in ihr Leben einmischen wird... Gut, das sie nicht gestorben ist, denn ihre Briefe sind wirklich ein Lichtblick in dem Grau, was mich zu Ersticken droht. Damals war Gabriel dieser Lichtblick für mich gewesen, er war jemand, der dasselbe Schicksal wie ich teilte, und so halfen wir uns gegenseitig. Die Woche vor dem Treffen mit Gabriels Verwandten verlief ohne große Unregelmäßigkeiten, natürlich waren wir jeden Tag auf der Hut, versuchten uns so gut wie möglich zu Isolieren und als "unwichtig" darzustellen, eine Kunst, die mir auch in meinem späteren Leben sehr geholfen hatte, wenn man dich ignoriert, kannst du dir alles erlauben. Es war die Nacht von Freitag auf Samstag, ich lag in meinem Bett und versuchte einzuschlafen, was mir aber nicht gelingen wollte, als es leise an der Tür scharrte. Ich schrak auf und schwang meine Beine aus dem Bett, ich hoffte inständig, dass es nur Gabriel war und meine Hoffnung wurde bestätigt, kein nächtlicher Rachebesuch eines Höheren, es war nur Gabriel, der ziemlich bleich vor meiner Tür stand. Im schwachen Licht (ich hatte nicht gewagt meine Lampe einzuschalten, so wurden der Gang nur vom Mondlicht beschienen) konnte ich ihn kaum erkennen, demonstrativ ging ich einen Schritt zurück, damit er an mir vorbei in mein Zimmer konnte. Schweigend gingen wir hinein, was er hier tat war ein Vergehen erster Klasse, was sofortigen Schulverweis nach sich zog, nächtliche Treffen waren strengstens untersagt. Schon, dass ich eine Nacht unentdeckt bei ihm schlafen konnte grenzte an ein Wunder. Die Tür fiel mit einem leisen "Klack" ins Schloss und ich wagte wieder zu Atmen. "Ich kann nicht schlafen", gestand er endlich, "tut mir leid, wenn ich dich geweckt haben sollte, bin eigentlich nur auf gut Glück hier... hätte denen irgendwas von Schlafwanderung erzählt..." Was eindeutig eine zusammengeschusterte Ausrede war, er war sicher nicht nur zufällig hier. "Machst du dir Sorgen?" Erst sah er mich verunsichert an, dann aber nickte er. "Was ist, wenn er uns nicht helfen kann, dann fangen wir von vorne an, was ist, wann du recht hast und die Lehrer eingeweiht sind und wir nicht dazu bestimmt sind hier durchzukommen." Ich war mir nicht sicher, was ich darauf antworten sollte, aber ich wusste, dass ich ihn irgendwie beruhigen musste. "He... alles wird wieder gut...." Wie lächerlich sich das anhört, was sollte den gut werden? Ich kannte die Welt nicht "gut", meine Welt war seit einer halben Ewigkeit nicht mehr "gut" gewesen, was erzählte ich da? Ich setzte mich im Schneidersitz auf mein Bett, er setzte sich neben mich und legte seinen Kopf an meine Schulter. "Ich kann das alleine nicht...", flüsterte er. "Was redest du da? Wäre ich nicht gewesen, dann hättest du auch keine Probleme." Für eine Sekunde hatte ich die leise Angst, dass er aufstehen und mit den Worten "Eigentlich hast du ja Recht!" den Raum verlassen würde. Aber meine Angst blieb unbegründet. "Mhm, kann sein, aber in Wirklichkeit bin ich einfach nicht für ein System geschaffen." Ich horchte auf, Worte, wie System, hatten bis vor kurzem keinen Platz in Gabriels Vokabular gehabt, anscheinend hatte ich ihn sehr beeinflusst und ich musste Grinsen. Das muss ein seltsames Bild gewesen sein, als dieser Riese seinen Kopf, wie ein kleines Kind hilfesuchend auf meine Schulter gelegt hatte. "Meine Mum ist wieder schwanger", sagte ich plötzlich, völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Er sah überrascht auf. "Was?" "Ich bekomm ein Geschwisterchen", sagte ich rasch, offensichtlich hatte er nicht verstanden, was ich gesagt hatte. "Oh... ist das was gutes?" "Hast du Geschwister?" "Nein." "Ich auch nicht, bis jetzt." "Geschwister müssen was tolles sein," sagte er schwärmerisch. "Wenn du meinst, mir tut das Kind nur leid... mit so einem Bruder." Er sah mich nun wieder an, "Was erzählst du da? Leid tun, das Ding kann stolz auf seinen Bruder sein! Man, du hast es ein halbes Jahr auf der Todesliste überlebt!" "Is keine Kunst, wenn man so klein ist wie ich, die haben mich einfach nicht gefunden!" Plötzlich begann er laut zu Lachen und ich musste auch lachen, bis mir plötzlich einfiel, wo ich war, und wie viel Uhr wir hatten. Ich legte schnell einen Finger auf die Lippen und brachte ihn mit einem "Bssst!" zum Schweigen. "'Tschuldigung, aber ich hab das Gefühl, dass du irgendwie recht hast, was heißt das dann aber für mich? Vielleicht bin ich zu groß um auf einer solchen Liste zu überleben?" Ich war für einen Augenblick wie gelähmt. Gabriel auf der Liste? Natürlich, er hatte mir geholfen und damit die Eingliederung in das System verwirkt, aber er hatte doch nichts schlimmeres getan, oder? "Ähm, ich hab einem dieser "Höheren" die Nase gebrochen, was nicht mal so schlimm war, die wurden eher sauer, als ich sagte, er kann mich mal am Arsch lecken und ich würde dich niemals rausrücken... öhm, dann hat er irgendwas geschimpft und meinte ich wäre ein Verräter und hätte somit gegen eine der Regeln verstoßen, weiß nicht, ob ich auf der Liste bin, aber ich glaube ich hab sie richtig schön sauer gemacht." Ich war geschockt, was, wenn sie ihn erwischten und ich alleine bleiben würde? Alleine, ich hatte mich schon so daran gewöhnt endlich jemand zum Sprechen zu haben, jemanden der mit hilft, wenn sie ihn mir wegnehmen würden, dann, dann... Irgendwie waren mir Tränen in die Augen geschossen und ich versuchte sie nun hastig wegzuwischen, ich hatte doch keinen Grund wie ein Baby zu flennen, ich war es doch gewöhnt allein zu sein und niemanden an meiner Seite zu haben... "Was heulst du denn?" "Ich..." Am nächsten Morgen war er ziemlich früh aus meinem Zimmer geschlichen und mir noch einen Treffpunkt und eine Uhrzeit genannt, wo wir seinen "Informanten", wie wir ihn nannten, treffen würden. Wir gingen zu unterschiedlichen Zeiten Frühstücken, wieder um etwas von uns abzulenken. Zwei einzelne Außenseiter waren unauffälliger. Ich hatte mich ungewollt gut angezogen, verwirrt über mich selbst stand ich vor dem Spiegel und stellte fest, das mir meine "guten" Klamotten etwas zu weit waren. War ich denn nicht gewachsen? Nein, ich hatte abgenommen, war dürrer geworden und da ich nun seit einiger Zeit keinen Anlass mehr hatte, diese Klamotten zu tagen war es mir gar nicht so aufgefallen, denn die Schulkleidung bekommen wir immer frisch zugeteilt (Eine weitere Tradition) und wenn man aus etwas hinausgewachsen ist, bekommt man automatisch "neue" Sachen, ich meine natürlich, Sachen, die einem passen. Nur war ich nicht aus meinen Sachen herausgewachsen, sondern war eingegangen. Wie viel war ich wohl gewachsen? Würde ich meine Mutter langsam überragen? Ich steckte meinen Geldbeutel in die Hosentasche, schloss meine Zimmertür ab und steckte den Schlüssen in die andere Tasche. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich gut im Zeitplan war, abgemeldet hatte ich mich bei Frau Traut, meiner Religionslehrein, die Einzige, von der ich keine Widerworte zu erwarten hatte. Ich machte mich auf den Weg nach draussen, da fiel mir auf, dass ich seit einer halben Ewigkeit nicht mehr "draussen" gewesen war, ich hatte einfach keinen Grund gehabt. Die Eisdeale lag rund einen Kilometer vom Internat entfernt und war somit gut per Fuß zu erreichen, ich stellte fest, dass sich einiges in der kleinen Stadt getan hatte, in vielen kleinen Lädchen hingen "Zu vermieten" Schilder, die ehemals belebte Innenstadt lag fast beängstigend still dar, nur hier und da bildeten sich Menschentrauben, ab und zu sauste ein Auto durch den "verkehrberuhigten Bereich" und überschritt dabei gnadenlos die angegebene Geschwindigkeit. Ich seufzte, was würde sich in der Welt ändern, wenn sich jeder an die aufgestellten Regeln halten würde, wäre sie dann besser? Wären wir dann bessere Menschen, oder nur schlechte Menschen, die sich an Regeln halten? Mit leichten Kopfschmerzen betrat ich die Eisdeale, es war nicht viel los, wieso auch immer, zwar hatte es angefangen kälter zu werden, aber man könnte trotzdem noch Eis essen gehen. Ich setzte mich in eine ruhige Ecke, von der aus wir nicht beobachtete werden könnten, ohne, dass wir den Beobachter entdeckten. Ich war fast zehn Minuten zu früh, ich lies mich nach vorne sinken und legte meinen Kopf auf den Tisch, so war ich nicht gezwungen die Leute anzusehen und konnte so tun, als ob ich noch müde wäre. Der Kellner fragte mich unhöflich nach meiner Bestellung und ich erklärte ihm, das ich auf jemanden warten würde, mies gelaunt verschwand er hinter der Theke. Seltsam, es wollte einfach keiner kommen, Leute kamen und gingen und ich begann nervös auf meinem Stuhl hin und her zu rutschen, was, wenn ich mich vertan hatte? Hatte ich mich verhört? Hatte er eine andere Eisdeale gemeint? Was, wenn irgendwas passiert ist? Meine Kopfschmerzen waren schlimmer geworden und ich kniff die Augen zusammen um die Menschen, die ins Kaffee kamen und denen die Sonne im Rücken stand, erkennen zu können. Mein Herz setzte aus, es war ein Lehrer, nicht der Rektor, aber einer von der Schulleitung, gefolgt von einem unbekannten Mann. Sie kamen direkt auf mich zu, unaufgefordert stand ich auf. "Folg uns bitte." Wie paralysiert tappte ich hinter den Männern her, sie führten mich zurück zur Schule. Meine Kopfschmerzen brachten mich fast um und mir war schleierhaft, was diese Menschen von mir wollten. Ich wurde ihn ein Zimmer geführt, welches von der Schülerschaft liebevoll das "Verhörzimmer" genannt wurde. Widerstandslos ließ ich mich hineinschieben. Ich nahm auf dem Verhörstuhl platz. Und dann folgte lange Zeit nichts, rein gar nichts, wenn ich mich jetzt daran zurückerinnern kann es gar nicht so lange gedauert haben, doch für mich in dieser Situation kam es unheimlich lang vor. Die Männer waren so eben ins Zimmer gekommen und musterten mich aufmerksam, ich versuchte unbeeindruckt zu wirken, so als ob mir das täglich passieren würde. "Du hast meinem Gabriel ganz schöne Flausen in den Kopf gesetzt," sagte der große Unbekannte, "rief völlig verstört an, redete was von Todesliste und das er dich gerettet habe, irgendwas von Verschwörung, dass ihr eure Lehre ausforschen wollt. Wenn ich dich so sehe, dann weiß ich wirklich nicht, was du dir dabei gedacht hast meinen Gabriel so anzulügen?" Mein Magen verkrampfte sich, vielleicht hatte ich soeben meinen Entlassungsschein unterzeichnet. War das keine gute Nachricht? Raus aus Edwardson! Oder? "Was sagst du zu diesen Anschuldigungen?", fragte mich der Konrektor. Sollte ich darauf wirklich antworten? Was hatte ich schon zu sagen? Sollte ich leugnen? Hatte mich Gabriel mit Absicht verraten? Nein! "He, hör uns gefälligst zu!", donnerte die Stimme des Konrektors und ich schrak zusammen. "Verzeihung", stammelte ich völlig eingeschüchtert, durch meine Reaktion hatte ich die beiden verwirrt, hatten sie vielleicht den Falschen? Ich sah endlich auf und versuchte schnell von der Defensive in die Offensive zu wechseln, was hatte ich schon zu verlieren? Von der Schule war ich sicher schon geflogen! "Wo ist Gabriel?", fragte ich. "Er ist auf seinem Zimmer, dort reden gerade seine Eltern mit ihm..." "Eltern", fauchte ich abfällig. "Wir haben deine Eltern ebenfalls informiert, doch diese sagten, dass sie mit ihrer Situation schon alleine fertig werden würden und das sie kein Interesse daran haben ihnen ihre Unterstützung zukommen zu lassen." "Was sie nicht sagen, wo soll ich den unterstützt werden?" "Nun, wir sind am überlegen, ob wir sie nicht aus der Schulgemeinschaft des Edwardson ausschließen wollen." "Am Überlegen?" Der Konrektor war sichtlich durch die Gleichgültigkeit in meiner Stimme verwundert, er war wohl davon ausgegangen, dass es mir etwas mehr ausmachen würde von der vierten Schule in Folge zu fliegen. "Nun, mich wundert es, dass sie mich nicht als Gesellschaftlichen Ballast gleich nach meinem Ausschluss aus dem System entlassen haben." Ich wartete gespannt auf eine Reaktion, doch die blieb aus. Er sah lediglich zu dem Unbekannten und bat diesen freundlich nach Gabriel zu sehen. Verwundert verließ dieser den Raum. Es herrschte für einige Augenblicke Stille. "Hältst dich wohl für besonderst schlau, muss dich aber enttäuschen, du bist nicht der Erste, der dahinter gekommen ist, aber eins muss man dir lassen, ein halbes Jahr auf der Liste hat noch keiner überlebt. Eigentlich hatten sie meine Segen, dich auf dem Oberen Schulhof zu beseitigen, wäre dieser Volltrottel nicht dazwischen gegangen, dann wäre das Experiment jetzt nicht in Gefahr, nur gut, dass deine Geschichte nur allzu abstrus ist, so dass Herr Beck (hier hatten wir also den Namen des Unbekannten) zu erst mich informiert hat, bevor er in die Eisdeale ging." "Von wem wird dieses Experiment unterstützt?" Der Konrektor sah überrascht auf, "Keine Vorwürfe? Kein Geschrei? Das bewundere ich an dir, maximale Anpassungsfähigkeit, aber nur, wenn es sein muss, faszinierend." Er sprach über mich, wie ein Tier, wie eine Käfigratte, die auf einen Knopf drückte um an Futter zu kommen, so als ob er dieser Ratte diesen Kniff beigebracht hätte. "Erschrick nicht, aber unsere Sponsoren sitzen tatsächlich in der Regierung." "Das hatte ich mir fast gedacht." Er grinste, als wollte er sagen "Kluge Ratte." "Nun, du wirst verstehen, dass ich dich nun leider nicht vom Edwardson entlassen kann, auch wenn dir keiner diese Geschichte glauben wird, so würde es doch unserem Ansehen schaden, wenn wir einen vollständig gesunden Jungen in den Wahnsinn getrieben hätten, neugierige Fragen würden gestellt werden." "Ich verstehe. Darf ich zu Gabriel?" "Nein, aber das versteht sich ja von selbst." Ich nickte und nannte mich innerlich töricht. "Darf ich dich etwas fragen?" Ich sah auf und nickte. "Was ist das für ein Gefühl, wenn man zwanzig Meter über dem Boden hängt und weiß, das man bald sterben wird?" "Ein beruhigendes." Der Konrektor lächelte und schrieb mir einen Zettel. "Damit gehst du zum Stein." Meine Beine wurden bleiern und mein Herz begann zu rasen. "Nun nimm schon." Ich streckte die Hand aus und er ließ den Zettel hineinfallen. Ich umklammerte diesen und erhob mich vom Stuhl. Leise fiel die Tür des Schulpsychologen hinter mir ins Schloss. Gabriel habe ich nie wieder gesehen, keine Ahnung, wie es ihm heute geht, ich denke nicht, dass er mich noch kennen würde, es wäre schrecklich für mich in seine Augen zu sehen. Bereits nach dem dritten Besuch beim Stein war ich ein anderer Mensch geworden, stiller, leiser, unauffälliger. Wenn ich jetzt ans Edwardson denke, verbinde ich nichts mehr damit, keine Emotion, nichts, ich schiebe meine Gewaltbereitschaft nicht auf diese Schule, das wäre zu einfach und zu offensichtlich. Vielleicht war ich schon immer ein potentieller Mörder, meine Eltern hatten dies frühzeitig erkannt und mir mit den Heimen nur helfen wollen... Vielleicht... Vielleicht... Mit diesen Worten beende ich meine Erzählung, vieles konnte ich nicht mehr sagen, da ich es heute vergessen habe, vieles will ich nicht sagen, da es mir zu heilig ist, aber eins kann ich sagen... Wenn euch ein Unrecht begegnen sollte, schließt die Augen, denn ändern könnt ihr nichts... ~~Endlich fertig~~~ Uh... ich bin selbst etwas geplättet, so was habe ich noch nie geschrieben *kopf kratz* ich hoffe, das der Sarkasmus offensichtlich geworden ist und das die letzten Worte nur für die Situation sprechen, in der sich meine Hauptfigur befindet *öhm* Inspiriert hat mich das Buch "Der Plan zur Abschaffung des Dunkels" (hab derbst böse geklaut) und der Film "Sleepers... der mit Brett Pit, ne? Mhm, ich mag diese Geschichte sehr, weil sie nicht so gradlinig ist und irgendwie sehr offen ist, einige Geheimnisse sind gar nicht gelüftet worden und ich werde das auch so lassen, den zufrieden bin ich allemal ~rumfuchtel~ Danke für's lesen °___°'' Das Onii None ---- Ist der Mensch zu etwas Besserem bestimmt? Bin ich zu etwas besserem bestimmt? Beweisen diese Gedanken nicht gerade, dass wir einfach zu nichtig sind, um uns einzugestehen, dass unser Leben in erster Linie sinnlos ist? Oder ist das alles ein großer Plan? Ich lag auf dem Flachdach der Garage unseres Sommerhauses, überall zwitscherten Vögel und ich ließ meine Beine an der Hauswand hinunterbaumeln. Meine Mutter hasste es, wenn ich das tat. Man konnte sich aus dieser Höhe zwar nicht lebensgefährlich verletzten, aber dennoch sei es gefährlich und ich solle gevölligst die Füße einziehen. Der Himmel war unheimlich blau und wohin man auch sah, eine Wolke war nicht in Sicht. Vielleicht war heute ein guter Tag, vielleicht würde ich heute alle Sorgen vergessen können. Aber dieses Gefühl wollte sich nicht einstellen, eher war da eine unangenehme Vorahnung. Irgendwas an dieser Idylle war falsch, irgendetwas war schlecht... . Ich setzte mich auf und sah mich um. Was ich erblickte war eine schöne Vorstadtgegend mit gepflegten Gärten, sauberen Autos, Müttern die stolz ihre Kinder in verspielt verziehrten Kinderwägen vor sich herschoben... Ich wusste, dass meine Familie nicht in dieses Bild passte, dass bei uns etwas faul war. Aber keiner aus unserer Nachbarschaft durfte etwas davon wissen... das war die Lebensaufgabe meiner Eltern. Einen Sohn, lebenslänglich im Gefängnis sitzend, war wirklich nichts, was man stolz präsentieren konnte und eine Tochter, die diesen Sohn trotz allem nicht hasste, war noch weniger zu dulden... Die vielen Briefe, die wir uns regelmäßig schrieben waren immer wieder Anlass für Streiterein mit meinen Eltern, doch ich ignorierte das, so gut ich konnte. Luke, mein Bruder, hatte einen Menschen getötet. Kennt ihr den Film Sleeper? Mit Bret Pitt? Nun so muss es gelaufen sein. Sein Opfer hieß "Herr Stein" und wie sich herausstellte war Stein ein Psychologe in "Edwardson" gewesen. Einer Schule für schwererziehbare Jungen, die mein Bruder besucht hatte. Stein war ein pädophilies Schwein, er hatte den Jungen schlimme Dinge angetan, aber mein Bruder hatte nie darüber gesprochen. Er schrieb mir mal, dass sei eine eiserne Regel, die er niemals brechen würde. Regeln waren das, worauf sein Leben bis dahin basiert hatte und er brach sie nur ungern. Wieso ich davon erfahren habe? Nun, die Zeitungen waren voll davon. Als mein Bruder den Stein ermordet hatte, meldeten sich überall alte Edwardson Insassen zu Wort. Diese erzählten die schrecklichsten Geschichten, von Folter und anderen Dingen. Zeitweise sah es sogar so aus, dass mein Bruder ein milderes Urteil bekommen könnte. Doch er nutze diesen Tumult nie aus. Schob die Schuld der Tat nie auf einen anderen, als auf sich. Luke hatte sich damit abgefunden und schwieg, wenn man ihn fragte, ob der Stein ihm auch was angetan habe. Die meisten glaubten irgendwann nicht mehr an einen Zusammenhang und sagten, es sei vielleicht Zufall, dass gerade ein schlechter Mensch von einem schlechten Menschen getötet wurde. Denn ein schlechter Mensch war mein Bruder in den Augen der Gesellschaft allemal. Seit er zehn war, lebte er in irgendwelchen Heimen, galt als Unruhestifter. Einige verdächtigten ihn sogar bereits einen Mitschüler getötet zu haben. Wenn er kein schlechter Mensch war, dann zu mindest ein Ballast für die Gesellschaft. Zu der Zeit des Gerichtsurteils kannte ich ihn noch nicht, ich begann erst drei Jahre nach seiner Inhaftierung ihm zu schreiben. Heute bin ich mir sicher, dass es auf keinen Fall ein Zufall war, das mein Bruder eigentlich das Opfer war, welches sich verzweifelt an alle Regel halten wollte. Der Mord an Stein war kein Regelbruch gewesen, denn keine Regeln unterbot Rache, nein einige Regeln verlangten Rache. "He... kommst du mit? Wir wollen in die Stadt!", rief ein Mädchen vom Nachbarhaus zu mir herüber. "Wartet auf mich! Ich hol nur schnell mein Geld!", rief ich zurück, stand auf und ging über das Flachdach zurück zu meinem Fenster, mit etwas Anlauf konnte man sich bequem hineinhieven. Das Mädchen, was gerufen hatte hieß Mara und war eine gute Bekannte von mir. Meine Eltern waren immer bemüht gewesen, dass ich in der Nachbarschaft so viele Freunde, wie möglich gewinnen sollte. Nur das mein Interesse demgegenüber eher gering war störte meine Eltern nicht... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)