versus von Phase ([...] In Überarbeitung [...]) ================================================================================ Kapitel 2: Vergangenheit ------------------------ versus Kapitel 02: Vergangenheit Bei Gott, wie lange war das nun her? Ein paar Monate? Ein, zwei Jahre vielleicht? In jedem Fall zu lange. Viel zu lange. Gedankenverloren lag er in dem unbequemen Bett, starrte an die Decke, kämpfte gegen das aufkeimende Gefühl der Leere in sich, dachte nach, was sie falsch gemacht hatten, was sie hätten anders machen können. Wieso auf einmal alles so schief gelaufen war, wieso sie sich in allen ihren Schätzungen so sehr vertan hatten. Wie war es nur so weit gekommen? Er konnte nicht anders, als sich selbst die Schuld an allem zu geben. Sie hatten den Feind unterschätzt. Nur deshalb hatten so viele sterben müssen, nur deshalb waren sie seit so langer Zeit rastlos, immer auf der Flucht und nur deshalb war Johnny jetzt ganz auf sich alleine gestellt. Johnny. Der Name hatte diesen bittersüßen Beigeschmack und Robert seufzte leise, als er den Versuch unternahm, sich das Aussehen des jungen Schotten wieder ins Gedächtnis zu rufen. Rote Haare, violette Augen. Er hatte ihn schon so lange Zeit nicht mehr gesehen, es fiel ihm schwer, ein klares Bild zu schaffen. Ob er sich sehr verändert hatte? Alleine der Gedanke ließ so viele alte Erinnerungen wieder hoch kommen, sorgte dafür, dass er sich so unendlich einsam fühlte, dass er ihn vermisste. Sein Herz schlug hart gegen seinen Brustkorb, sein Magen zog sich unangenehm zusammen. Es schmerzte. Desto weiter sie flohen, desto mehr sie kämpften, desto länger das alles dauerte... umso mehr schien er das zu verlieren, was ihm doch so wichtig war. Oder hatte er es schon längst verloren? Wer konnte ihm versprechen, dass alles wieder so wie früher sein würde? Dass Johnny in Ordnung war? Während er tief Luft holte und den Versuch unternahm, sich ein wenig zu entspannen, kreiste sein Denken nur um eine einzige Frage, die in diesem Augenblick so unglaublich bedeutsam schien: Lebte Johnny überhaupt noch? Die Ungewissheit schien ihn immer mehr zu verschlingen. Seit wann hatte er sich nun schon nicht mehr gemeldet? Ein Räuspern riss Robert unsanft aus seinen Gedanken, holte seinen benebelten Geist zurück in die Realität und hinterließ dieses brennende Gefühl der Sehnsucht nach der einen Sache, die er wollte, aber nicht haben konnte. Johnny. Mit ausdrucksloser Miene wandte er sich Enrico zu, der mit verschränkten Armen im Türrahmen des kleinen, kargen Zimmers stand und ihn mit einem ernsten, sorgenvollen Blick bedachte. Erst jetzt wurde Robert wieder bewusst, wie erbärmlich das eigentlich alles war. Die Holzhütte, in der sie im Moment hausten, erinnerte eher an eine Bruchbude, als an einen Ort, an dem man leben wollte. Ihre Wände waren lediglich dünne Holzbretter und es zog furchtbar durch die Ritzen zwischen diesen. Was die Einrichtung des winzigen Schlafzimmers betraf, so war diese spärlich, ein kleines, brüchiges Nachttischchen und das harte, picksende Bett, in dem er lag. Er wollte gar nicht wissen, mit welchem Ungeziefer er sich seinen Schlafplatz teilte. Ansonsten gab es nur einen weiteren Raum, in dem sich zwei kaputte Stühle, ein Tisch mit gerade einmal drei Beinen und ein uralter Fernseher befanden. Sie hatten zwei Decken, ein Kissen und ihre Kleidung. Woher sie das Essen für den nächsten Tag nehmen sollten, wussten sie genauso wenig, wie sie wussten, ob sie überhaupt noch allzulange mit diesem Lebensstil überleben würden. Der junge Italiener war hager, wirkte sichtlich erschöpft und obgleich er seinen Zustand oft genug durch witzige Bemerkungen überspielte, sah man ihm an, dass auch ihn ihre Situation ziemlich zu schaffen machte. Sein Gesicht wirkte eingefallen, seine blonden Haare matt und glanzlos, das freche Leuchten seiner blauen Augen hatte er schon vor Monaten verloren, zudem zeigten sich die Anfänge eines Bartes. Es war ein paar Tage her, seit er sich das letzte Mal rasiert hatte. Womit auch? Von ihrem Versteckspiel vor dem Herrscher und dem ewigen Davonrennen erzählte seine Kleidung eine eindeutige Geschichte. Das Hemd, das er trug, war irgendwann einmal weiß gewesen. Nun war es übersäht mit Dreckspritzern und Flecken, hatte einige Risse, seine Jeanshose war ebenfalls schmutzig. Niemand, der ihn in diesem Zustand sah (oder roch), hätte wohl gedacht, dass es sich bei ihm um einen einstmals adeligen und sehr gepflegten Menschen gehandelt hatte. Aber die Zeiten änderten sich. Und manchmal war einstiger Reichtum von weniger Bedeutung, als man glauben mochte. Vermutlich gab er außerdem selbst auch kein allzu gutes Bild ab. Wie Enrico und Oliver trug auch er schon seit Wochen immer dieselbe Kleidung: denselben roten Pulli und dieselbe schwarze Hose. Sie waren vermutlich ein ziemlich armseliger und bedauernswerter Anblick. Wie lange es wohl noch so weiter gehen würde? Sie hatten noch nie darüber gesprochen und Robert hatte seine Gedanken noch nie laut geäußert, aber vermutlich wussten sie alle drei ziemlich genau, wie aussichtslos ihre Lage eigentlich war. Vielleicht wären sie besser dran gewesen, wenn sie sich gleich dem Herrscher unterworfen und aus seinen eigenen Reihen heraus ihr Möglichstes für eine Besserung der Weltsituation gegeben hätten. Er hasste sich für diesen Gedanken. Mit einem leisen Seufzen richtete er sich in eine sitzende Position auf, fuhr sich durch seine strähnigen, violetten Haare. Vor einiger Zeit hatte er sich noch selbst angeekelt, aber nach all der Zeit und den bescheidenen Möglichkeiten, die sie hatten, war er wohl abgestumpft. „Was ist denn los, Enrico?“ „Eigentlich wollte ich nur schauen, ob du auch wirklich schläfst“, mit einem leisen Schnauben trat er ein paar Schritte auf das Bett zu, „Robert, es hat absolut keinen Sinn, wenn du immerzu vor dich hin grübelst und dabei vernachlässigst, dass dein Körper dringend Ruhe braucht. Gerade weil unsere Situation so aussichtslos zu sein scheint, ist es wichtig, dass wir gesund bleiben. Wann hast du das letzte Mal geschlafen?“ Schuldbewusst sah Robert ihn an, rieb sich mit seiner rechten Hand über sein kratziges Kinn. Er wusste, dass es nichts brachte, sein Gegenüber anzulügen. Zumal es nicht sonderlich sinnvoll erschien. „Ich weiß, du machst dir viele Gedanken. Zum einen wegen uns, zum anderen wegen Johnny. Aber wenn du deine gesamte Energie und Zeit nur dazu nutzt, unsere Lage zu bedauern, hilft uns das nicht weiter. Du weißt genauso gut wie ich, dass wir damals eine gemeinsame Entscheidung getroffen haben. Dass Johnny es so wollte. Dich trifft keine Schuld.“ Enrico hatte Recht. Mit allem, was er sagte. Aber obgleich sein Verstand ihm zuflüsterte, dass er endlich vernünftig und auf den Rat seines Freundes hören sollte, wusste er, dass er sich einfach keine Auszeit gönnen konnte, solange er Johnny in Gefahr wusste, solange die ganze Welt in Gefahr war. Sicher, er konnte die Welt nicht retten. Aber sollte er es nicht wenigstens versuchen? Der junge Italiener blickte ihn durchdringend an, schien seine Gedanken zu erraten. „Indem du hier herumsitzt und Kummer schiebst, wird sich überhaupt nichts ändern.“ In seinen Augen spiegelte sich ein stiller Vorwurf, was Robert dazu brachte, ihn mit düsterer Miene zu mustern. „Du tust so, als verbrächte ich den ganzen Tag alleine im Dunkeln und würde mich im Selbstmitleid ertränken. Aber-...“ „Ist es nicht so?“, wurde er unterbrochen und Enrico zuckte mit den Schultern, „Ich weiß, dass du viel tust, dass wir gemeinsam gut vorankommen, aber das letzte Mal, dass du wirklich aus Überzeugung bei der Sache warst, ist Ewigkeiten her. Robert, ich sage dir das als Freund, weil ich mir Sorgen um dich mache. So kann es nicht weiter gehen. Du machst dich selbst kaputt.“ Kurzes Schweigen folgte. Robert war sich nicht sicher, wie er auf die Anschuldigungen reagieren sollte. Obwohl er den Drang hatte, sich zu rechtfertigen, alles abzustreiten, schwieg er. Robert war in den letzten Tagen vielleicht ein wenig gedankenverloren, aber er hatte deshalb noch lange nicht seinen Verstand abgeschaltet. Enrico hatte Recht. Es war an der Zeit, dass er endlich wieder etwas unternahm. Er brachte ein schwaches Lächeln zustande, ehe er sprach: „Enrico, ich denke, ich muss dich und Oliver um einen kleinen Gefallen bitten...“ Mit einem leicht verstörten Gesichtsausdruck kam Enrico zurück in das Wohnzimmer, schloss die Tür hinter sich, mit der Gewissheit, dass Robert nun vermutlich seit Tagen das erste Mal wieder ordentlich durchschlafen würde. Zumindest schien ihn das Versprechen, das Enrico ihm gegeben hatte, wohl beruhigt zu haben und ihn ein neues Ziel finden lassen. Oliver saß auf einem der beiden wackligen Stühle, dessen Rückenlehne nur noch in Ansätzen vorhanden war, und blickte auf das kleine Fernsehgerät, das am Boden stand und auf dem flimmernd und mit verzerrtem Ton irgendeine Kultursendung zu laufen schien. Seine grünen, schulterlangen Haare trug er zu einem Zopf gebunden, was ihn zumindest ein wenig gepflegter als Robert und Enrico erscheinen ließ. Sein dunkler Mantel, den er eng um sich geschlossen hielt, damit er ihn ein wenig vor der Zugluft schützte, war dreckverschmiert, ebenso die schwarze Hose, die ein wenig unter dem Mantel hervorlugte. Enrico wusste, dass er zudem einen gelben Rollkragenpullover trug, auch wenn man diesen im Moment nicht sehen konnte. Wie eben die letzten Tage auch. Und die Tage davor. Als Enrico die Tür mit einem dumpfen Geräusch schloss, wandte sich Oliver zu ihm um. „Und? Was hat er gesagt?“, verwirrt ob des Gesichtsausdrucks seines italienischen Freundes runzelte er die Stirn, „Alles in Ordnung?“ Er holte tief Luft, öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Dann entschied er sich dazu, sich zunächst einmal auf die Decke am Boden zu setzen, ehe er Oliver mit einem Kopfschütteln anblickte. „Wusstest du, dass Robert und Johnny ein Paar waren?“ Der freundliche, etwas neckische Blick des Franzosen, sprach mehr als tausend Worte. „Du wusstest es?!“ „Ich hatte da zumindest meine Vermutungen“, für einen kurzen Moment hielt er inne und bedachte Enricos Gesichtsausdruck, als wäre es ein erinnerungswürdiges Kunstwerk, „Wie du dich vielleicht erinnerst, war mein Gästezimmer neben dem von Johnny. Ich habe so einiges von den Beiden mitbekommen. Nachdem ich mich einmal bei den Beiden beschwert habe, hatte ich allerdings wieder etwas mehr Ruhe.“ Das Grinsen, das auf Olivers Gesicht lag, veranlasste Enrico dazu, darüber nachzudenken, wie viel Tücke und Hinterlistigkeit wohl in einem so ästhetischen Menschen wie seinem besten Freund stecken konnte. „Warum hast du es mir nie gesagt?“ „War es denn notwendig? Ändert dieses Wissen irgendetwas?“ Mit einem leisen Seufzen fuhr sich Enrico durch die Haare, starrte auf den Boden. „Nein, tut es nicht. Aber es hat mich einfach... überrascht. Warum habe ich davon nichts mitbekommen?” „Vermutlich warst du zu sehr von deinen Freundinnen abgelenkt“, scherzte Oliver und schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln, „Denn so wirklich geheim war es zu keinem Zeitpunkt.“ Erschöpft lehnte Enrico sich zurück, sodass er lag, und verzog sein Gesicht. „Du hast meine Frage nicht wirklich beantwortet“, meinte Oliver erneut, „Was hat Robert gesagt? Wie hat er reagiert?“ „Nun ja“, der Angesprochene ließ sich mit der Antwort ein wenig Zeit, um Oliver zu ärgern, „Ab morgen früh sind wir auf einer Kamikaze-Aktion und werden Roberts Prinzessin Rotschopf aus den Klauen des bösen, bösen Herrschers retten.“ Für einen kurzen Augenblick sah Oliver ihn skeptisch an, seufzte, überschlug seine Beine: „Zumindest unternehmen wir dann endlich mal wieder etwas zusammen. So zur Abwechslung.“ Enrico schloss seine Augen und grinste breit. „Schade nur, dass wir den Picknickkorb zu Hause stehen lassen haben...“ Der prächtige Speisesaal in Roberts Schloss wirkte ungewöhnlich kalt, obwohl sich äußerlich nichts verändert hatte. In der Mitte stand der lange, edle Esstisch, mit seinen zahlreichen Stühlen, an einer Wand stand die Liege, auf der Johnny sich so gerne niederließ, die schweren, roten Vorhänge hingen bedrohlich vor den Fenstern und an den Wänden befanden sich wertvolle Gemälde. Auch wenn alles so bekannt war, wirkte es dieses Mal fremd, erdrückend. Aufgebracht und zitternd vor Wut starrte Robert Johnny mit durchdringendem Blick an. Direkt in die Augen. Für einen kurzen Moment schien der Schotte dem standzuhalten, doch dann brach er den Augenkontakt, blickte betreten zu Boden, zögerte kurz. „Du wirst nicht gehen! Unter keinen Umständen!“ Noch nie zuvor hatte Robert sich irgendwem gegenüber so wütend gezeigt. Er war kühl, berechnend und distanziert, nicht aufbrausend und gefühlsbetont. Vermutlich war es das, was Johnny so verunsicherte, was ihn so sehr aus dem Konzept brachte. Mit einem leisen Seufzen hob er den Blick, sah ihn offen an. „Robert, irgendjemand muss es machen.“ „Und warum gerade du? Warum willst ausgerechnet du es so unbedingt machen? Ich kann gehen! Es besteht keine Notwendigkeit, dass du dein Leben aufs Spiel setzt!“ Überrascht hob Johnny seine Augenbrauen an, blinzelte. „Warum ist das für dich ein Problem?“ Robert ließ seine Hände sinken, die er zu Fäusten geballt hatte, blickte zur Seite. Sein Herz raste und er versuchte, seine Fassung wieder zu erlangen. Ja, er war aufgebracht. Aber nicht ohne Grund. Er wusste schon seit einiger Zeit, dass etwas mit Johnny überhaupt nicht stimmte, dass er Geheimnisse hatte. Seine Sorgen hatten sich bestätigt und dass Johnny sich jetzt für diese Mission freiwillig meldete machte ihn so unendlich wütend. Er war enttäuscht und verzweifelt, wollte das Spiel nicht mitspielen. „Robert, ich bin alt genug, um derart wichtige Entscheidungen für mich selbst zu treffen. Ich möchte, dass du das akzeptierst. Bitte.“ Robert war immer wieder davon fasziniert, wie erwachsen Johnny sein konnte, wie reif er sich manchmal gab. Wenn er es denn wollte. Doch diesmal schürte es seinen Zorn eher, als dass es ihn beruhigte. Er wollte keine Grundsatzdiskussion mit Johnny anfangen. Einige Zeit hatte er ihn gedeckt, sein Wissen vor den anderen zurückgehalten. War es falsch gewesen? Hätte er Enrico und Oliver in alles einweihen sollen? Es war in Ordnung, solange er ihre Mission nicht in Gefahr brachte. Aber diesmal überschritt er eine Grenze. Diesmal ging er zu weit. Während er sich auf der einen Seite furchtbare Sorgen um Johnny machte und er ihn einfach nicht verlieren wollte, hegte er auf der anderen Seite diesen unbeschreiblichen Groll, diese Abneigung gegen das, was er tat. Konnte man jemanden lieben und verabscheuen zugleich? „Es geht bei all dem hier doch nicht darum was der Einzelne will, Robert. Die gesamte Menschheit ist in Gefahr.“ Robert atmete tief durch, bemühte sich, sich zu beruhigen. Seine Stimme bebte jedoch leicht, als er im ruhigen Tonfall meinte: „Und was gedenkst du zu tun?“ Schweigen. Johnny wusste es vermutlich selbst nicht genau, wirkte für einen Moment unsicher und unentschlossen. „Ich muss jetzt gehen, Robert. Aber versteh bitte, dass wir gar keine andere Wahl haben.“ Er wandte sich ab, lief in Richtung Zimmertür. Ein eindeutiger Fluchtversuch vor der Erklärung, die von ihm verlangt wurde. Doch Robert packte ihn grob am Arm, hielt ihn zurück. „Und warum? Warum haben wir keine andere Wahl, Jonathan? Der Schotte erstarrte augenblicklich, sein Gesicht verlor jedwede Farbe. Wahrscheinlich hatte er ernsthaft gehofft, dass die Angelegenheit geklärt war. Doch für Robert war das Ganze noch lange nicht vorbei. Er wusste, was hinter all dem stand, wollte endlich Klarheit und vor allem die Wahrheit von Johnny selbst hören. Denn anders würde er es wohl nie begreifen, dass ausgerechnet die Person, für die er so viel empfand, gerade das Schlimmste tat, was er sich vorstellen konnte. Und dass er selbst es schon eine ganze Weile wusste, aber dennoch niemandem etwas davon gesagt hatte. Robert sah ihn ernst an, verstärkte seinen Griff. Dieses Mal würde er ihn nicht davon kommen lassen, auch wenn es ihm schwer fiel. Er würde ihn zur Rede stellen und verhindern, dass er sie alle weiterhin gefährdete. „Es tut mir so leid!“ Mit beiden Händen packte ihn Robert grob an den Schultern, widerstand dem Drang, ihn zu schütteln. „Was tut dir leid?“ „L-lass mich los!“ „Was tut dir leid?“, dass er Johnny fast anschrie, bemerkte er erst, als er in dessen Augen die Unsicherheit und die Angst sah. Verdammt, Johnny war es ihm schuldig! Johnny war es ihnen allen schuldig, dass er endlich die Wahrheit aussprach. Dass er es zugab. Und doch wusste Robert, dass es falsch war, ihn derart unter Druck zu setzen. Vermutlich würde er die ganze Sache niemals zugeben, wenn er ihn derart bedrängte. „Nichts tut mir leid! Lass mich los!“, ob Johnnys Stimme nun gereizt oder panisch klang, war Robert relativ egal. Was sollte es ihn auch kümmern? Er hatte sich Ehrlichkeit erhofft, stattdessen stand er einem sturen Dickkopf gegenüber, der nicht bereit war, irgendetwas von sich und seinen Gedanken preis zu geben. Robert wusste, dass es keinen Sinn hatte. Ohne irgendeine weitere Reaktion, zog er seine Hände zurück, wandte sich ab. „In Ordnung. Dann eben nicht“, er ging auf die große, schwere Holztür zu, blieb dann jedoch noch einmal stehen, drehte sich um, „Aber ich werde dafür sorgen, dass du nicht mit der Mission betraut wirst! Ich bin nicht bereit für deine dämlichen Spielchen alles zu riskieren, was wir aufgebaut haben.“ Johnny starrte ihn an. Sein Gesicht war blass. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, brachte jedoch keinen Ton heraus. Das Entsetzen war ihm deutlich anzusehen. „Ich habe dich lange genug gedeckt“, fuhr Robert fort, kniff gereizt die Augen zusammen, „Aber diesmal gehst du zu weit. Erwarte nicht, dass ich weiterhin den Mund halte.“ „Du weißt es?“ Robert verschränkte die Arme vor der Brust und schnaubte. „Ja, seit Wochen. Und ich war so bescheuert und habe niemandem irgendetwas gesagt, obwohl ich wusste, welche Gefahr von dir ausgeht. Vermutlich habe ich einfach gehofft, dass du deine Gründe hast, dass du zumindest-...“ „Robert, bitte, es ist nicht so, wie es aussieht!“, unterbrach ihn Johnny aufgeregt, wirkte ernsthaft betroffen, „Ich wusste nicht, was ich tun sollte und ich hatte solche Angst es euch zu sagen! Bitte, ich habe nie die Absicht gehabt-...“ Er stockte, holte tief Luft. Allem Anschein nach rang er um seine Fassung, kämpfte mit sich selbst um die Stärke, das, was er getan hatte, in Worte zu fassen. „Ich habe nie die Absicht gehabt euch-... zu verraten...“ Johnny sah nicht auf, blickte beschämt zu Boden, war sich nicht sicher, wie er handeln sollte. „Und warum hast du es dann getan?!“, Roberts Stimme klang hart und kontrolliert. Er wollte sich nicht von Johnnys Mitleidsmasche umgarnen lassen, viel zu lange hatte er mitgespielt. „Bedeuten wir dir so wenig, dass du uns bei der erstbesten Gelegenheit an den Feind verkaufst?“ Sein Gegenüber starrte ihn mit verzweifelter Miene an, schrie ihn aufgebracht an: „Du verstehst das nicht!“ Robert schüttelte nur langsam den Kopf, ehe er leise und mit ruhiger Stimme antwortete. „Du hast Recht. Ich verstehe es nicht.“ Im Halbschlaf nahm Robert dieses penetrante Piepen wahr, das ihn aus seinen Träumen riss. Für einen kurzen Moment fühlte er sich orientierungslos und musste erst einmal seine Gedanken ordnen, um überhaupt zu realisieren, wo er sich befand. Immer noch die selbe, triste Hütte, in der sie zur Zeit Pause machten. Er setzte sich auf, fuhr mit der Hand durch seine Haare und runzelte die Stirn. Zuerst hatte er geglaubt, dass sein Verstand ihm einen Streich spielte, doch das regelmäßige, piepende Geräusch setzte sich ununterbrochen fort. Nachdenklich rieb er sich über sein Kinn, riss im nächsten Augenblick die Augen auf. Bei dem Versuch zu seinem Rucksack zu gelangen, der neben dem Nachttischen lag, stürzte er aus dem Bett und fluchte laut, ehe er sich aufrappelte und nach seinem Gepäck griff. So lange hatte er diesen Klang schon nicht mehr gehört. So lange... Hastig durchwühlte er seine Sachen auf der Suche nach dem kleinen Funkgerät. Bei Gott, hoffentlich brach die Verbindung nicht ab, während er nach dem kleinen Apparat suchte! In dem Moment, indem er das kleine graue Ding in den Händen hielt, kamen Oliver und Enrico in das Zimmer geeilt. Bevor einer der beiden etwas sagen konnte, betätigte er die Bestätigungstaste und brachte lediglich ein „Ja?“ über die Lippen. Seine Hände zitterten vor Aufregung. „Robert? Bist du das?“ Sein Herz schlug schneller, als er die bekannte Stimme wahrnahm. Johnny lebte. Und nach all der Zeit hatte er sich endlich wieder bei ihnen gemeldet. Ein Schauer überkam ihn und er schloss kurz die Augen, lächelte, ehe er mit sanfter Stimme antwortete: „Ja, Johnny. Hier ist Robert.“ Er musste sich zusammenreißen, dass er ihn nicht mit Fragen überschüttete, ihm erzählte, wie sehr er ihn vermisste und wie viel er ihm bedeutete. Die Kontaktaufnahme hatte mit Sicherheit einen guten Grund, gerade deshalb war es wichtig, dass er sich nicht durch seine Gefühle und seine wirren Gedanken ablenken ließ. Enrico und Oliver tauschten einen überraschten und etwas verwunderten Blick aus. „Robert, es ist wichtig, dass du mir jetzt wirklich gut zuhörst, ja? Ihr müsst unbedingt Kai Hiwatari finden! Er ist-...“ „Kai Hiwatari ist tot“, warf Enrico im trockenen Tonfall ein, „Wir können gerne zum Friedhof gehen und ihn ausgraben, aber-...“ „Kai Hiwatari ist nicht tot“, man konnte Johnnys Stimme deutlich entnehmen, dass er gereizt war, „Er ist dem Herrscher aus einem seiner Gefängnisse entkommen und ist mit seinen alten Teamkollegen auf der Flucht. Es ist von extremer Wichtigkeit, dass ihr sie findet, bevor es der Herrscher tut. Habt ihr mich verstanden?“ Oliver hob skeptisch eine Augenbraue, Enrico verschränkte die Arme vor der Brust, schwieg jedoch. Robert hielt immer noch das kleine Gerät in seiner Hand, als wäre es von höchster Bedeutung, konzentrierte sich auf jedes Wort, das Johnny sprach. „Ich schicke euch die Koordinaten zu, wo sie sich vermutlich befinden. Mehr kann ich leider nicht tun.“ „Und was ist mit dir?“ Schweigen. Schweigen bedeutete niemals etwas Gutes. „Ich bin in Ordnung, mach dir bitte keine Sorgen, Robert. Meine Position hier ist ziemlich unbedeutend, aber man hatte mich für einige Zeit in Verdacht, dass ich für die Gegenseite arbeite. Deswegen habe ich mich nicht gemeldet. Tut mir wirklich leid.“ „Johnny, das, was du da tust ist zu riskant. Wir holen dich da raus und-...“ „Sei bitte vernünftig, Robert. Zum einen muss ich dir, denke ich, wohl kaum erzählen, dass es so gut wie unmöglich ist, hier in deinen alten Landsitz reinzukommen, ohne entdeckt zu werden. Zum anderen frage ich mich, ob ich mit euch wirklich so viel sicherer wäre. Wenn ich dich erinnern darf, werdet ihr vom Herrscher gejagt.“ Da steckte Johnny. In Roberts eigener Burg. Dass sein alter Sitz als Basis des Herrschers genutzt wurde, war ein offenes Geheimnis, doch dass sich Johnny dort befand... Robert brachte ein Lächeln zustande. Er wusste nun, was sein Ziel war, und dass es gar nicht mal so weit entfernt lag. „Hast du die Koordinaten erhalten?“ Der Bildschirm des kleinen Apparates leuchtete hell auf, zeigte eine wirre Kombination von Zahlen. Zuerst nickte Robert lediglich, ehe ihm bewusst wurde, dass Johnny seine Reaktion nicht sehen konnte. „Ja, habe ich.“ „Warte kurz-...“, Johnnys Stimme klang plötzlich ein wenig nervös, er schien nicht mehr in das Gerät zu sprechen, denn das, was er sagte, war unverständlich. Dann wandte er sich wieder an Robert und meinte hastig: „Tut mir leid, ich muss jetzt Schluss machen. Bitte kümmert euch um die Sache mit Kai.“ Ein leises Klicken, danach folgte Rauschen. Johnny hatte die Verbindung getrennt. Robert starrte das Funkgerät für einen Moment schweigend an. War Johnny entdeckt worden? Unangenehm schlug sein Herz gegen seine Brust und es dauerte ein bisschen, ehe er seine Hand sinken ließ. Enrico war der Erste, der das Schweigen brach. „Was will der Herrscher von Kai Hiwatari?“ Oliver nickte: „Wenn Kai tatsächlich noch leben sollte, wie Johnny behauptet, stellt sich mir die Frage, was an ihm für den Herrscher so wichtig ist.“ „Was auch immer es ist, Johnny hat ziemlich viel riskiert, um uns von der Sache zu erzählen.“ Für einen kurzen Augenblick blickten sie alle zu Boden. Ihnen war klar, dass es nichts Gutes verheißen konnte, wie Johnny am Ende des Gesprächs reagiert hatte. „Zumindest wissen wir jetzt, wo er steckt“, stellte Oliver mit einem leisen Seufzen fest, nahm Robert das Funkgerät ab und blickte auf die Koordinaten, „Ich kümmere mich darum, dass wir eine geeignete Reiseroute zu den Koordinaten finden.“ Enrico und Robert nickten zustimmend. „Ich denke, es wäre am besten, wenn wir uns alle noch ein wenig ausruhen, bevor wir aufbrechen“, meinte Enrico mit einem erschöpften Lächeln und fuhr sich durch die zerzausten Haare, „Wir wollen Johnny doch nicht enttäuschen, oder?“ Beschämt blickte Johnny zu Boden, fragte sich vermutlich, wie er überhaupt in diese Situation gekommen war. Robert musterte ihn weiterhin mit distanzierter Miene und kämpfte mit der Enttäuschung, die er tief in seinem Inneren empfand. Er hatte es gewusst. Johnny ein Spion des Feindes. Verdammt, warum hatte er ihn nicht gleich zur Rede gestellt?! In dem Versuch, sich zu beruhigen, die Angelegenheit endlich zu klären, legte er dem Schotten seine Hand auf die Schulter. Es brachte rein gar nichts, wenn sie sich die nächsten Stunden Anschreien oder Anschweigen würden. Mit hoffnungsloser Miene blickte Johnny auf. „Am besten setzen wir uns erst einmal hin und dann reden wir weiter, okay?“, Robert deutete zum Tisch und führte ihn mit bestimmender, jedoch sanfter Gewalt zu einem Stuhl am oberen Ende des Tisches. Er selbst setzte sich daneben. „Lass uns die Sache klären, in Ordnung? Ich will wissen, warum du das getan hast. Dass bist du mir schuldig. Dass bist du uns allen schuldig. Um ehrlich zu sein habe ich keine Lust, dass wir uns gegenseitig lautstark Vorwürfe machen. Ich will das jetzt sachlich besprechen, verstanden? Und danach entscheide ich, wie es weitergeht.“ Johnny nickte zögerlich, wirkte plötzlich sehr müde und erschöpft. Wahrscheinlich war er es selbst leid, dieses Geheimnis mit sich herum zu tragen, stetig mit der Angst zu leben, entdeckt zu werden. Dennoch schwieg er zunächst, das Thema war ihm höchstwahrscheinlich äußerst unangenehm. „Du weißt doch schon alles.“ Ob der Äußerung und des abweisenden Blickes zur Seite hob Robert überrascht die Augenbrauen und musste sich zusammenreißen, den Kopf seines starrsinnigen Gegenübers nicht einfach auf die Tischplatte zu schlagen. Er hatte ihn gedeckt und geschützt. Nun gab er ihm erneut eine Chance, sich zu rechtfertigen, und was war der Dank dafür? Innerlich kochte Robert vor Wut, wollte es äußerlich jedoch nicht zeigen. Es war für ihn eine neue Erfahrung, derart von seinen Gefühlen übermannt zu werden, wenngleich es keine gute war. „Johnny. Ich gebe dir hier die Möglichkeit dich zu erklären, mir die Gründe zu nennen! Ich hätte dich auch gleich auffliegen lassen können. Aber weißt du was? Ich hab’s nicht getan! Ich gebe dir gerade die Gelegenheit, mir deine Sicht der Dinge zu erklären“, er machte eine kurze Pause, hoffte auf irgendeine Reaktion seines Gegenübers, doch sie blieb aus. „Wenn du selbstverständlich kein Bedürfnis dazu hast, dann will ich dich auch nicht zwingen. Aber ich sorge höchstpersönlich dafür, dass man dich wegen der Angelegenheit belangt.“ Johnny erstarrte, schien angestrengt nachzudenken. Als Robert sich erhob, um den Raum zu verlassen, packte er ihn am Arm, hielt ihn zurück. „Okay, ich werde es dir erzählen.“ Langsam ließ Robert sich wieder in den Stuhl sinken, während Johnny sich nach vorne auf den Tisch lehnte, seine Arme aufstützte und unruhig seine Hände wie zum Gebet faltete. „Vor zwei Monaten etwa... als wir zu viert in Rom waren und ich früher gegangen bin, weil ich-...“, er brach kurz ab, fuhr sich mit den Handflächen über sein Gesicht, „Weil ich zu diesem dämlichen Interview musste. Ich ging hin, aber irgendwie wirkte alles so falsch. Die Frau, die Interviewerin, stellte mir seltsame Fragen und als ich mich weigerte weiter zu machen, als ich gehen wollte, war ich plötzlich von diesen Männern umringt. Man sagte mir, dass der Herrscher Interesse an meinen Diensten hätte und ich habe selbstverständlich abgelehnt und gemeint, dass ich niemals für diesen Typen arbeiten würde.“ Robert blickte ihn skeptisch an, wartete darauf, dass er weitererzählte. Johnny zitterte am ganzen Körper, wirkte noch unruhiger, als davor. Seine Augen zuckten nervös hin und her, er holte tief Luft, ehe er mit brüchiger Stimme mit seiner Erklärung fortfuhr. „Die Frau meinte-... Sie meinte, dass ich nicht zu entbehren wäre und wenn ich ihnen nicht freiwillig helfen würde, dann müssten eben Menschen, die mir wichtig sind, dran glauben. Und zwar so lange und so viele, bis ich mitmache.“ Er legte beide Hände flach auf den Tisch, als könne er dadurch sein Zittern und seine Unruhe unter Kontrolle bekommen. „Sie zeigte mir auf einem Bildschirm, wie du, Enrico und Oliver über den Marktplatz gelaufen seid, wie ein Kerl dich angerempelt hat. Der Typ hat für den Herrscher gearbeitet und so einem Scharfschützen auf dem Rathausdach gezeigt, wen er erschießen soll. Das konnte ich doch nicht zulassen!“, Johnny sprang auf, sah Robert mit wildem Blick an, „Ich konnte doch nicht zulassen, dass dieser Kerl dich erschießt! Verdammt, Robert, ich hatte solche Angst!“ Er ließ sich kraftlos auf seinen Stuhl zurücksinken, stützte seinen Kopf in seine Hände. „Was hätte ich denn tun sollen?“ Robert zögerte, blickte mit unentschlossener Miene auf das verzweifelte Häufchen Elend vor ihm. Es klang alles auf einmal so einleuchtend, so nachvollziehbar. Für Johnny musste es all die Zeit eine schwere Last gewesen sein. Mit dem Gefühl von Sympathie und Selbstverachtung verzog Robert sein Gesicht. Wieso hatte er Johnny nicht vertraut? Er hätte es besser wissen müssen! „Ich hatte gedacht, wenn einer von euch für den Herrscher arbeiten würde, um ihn auszuspionieren, wäre ich geliefert. Und warum sollte ich meine Lage nicht ausnutzen, und Doppelspion werden? Sag‘ mir bitte, dass du mich deshalb nicht hasst.“ Schon viel zu lange hatte Robert sich seinen Stimmungsschwankungen hingegeben, wusste, dass es besser wäre, endlich wieder vernunftorientiert zu handeln, und doch konnte er seinem inneren Drang nicht widerstehen, Johnny zu zeigen, dass er ihm verzieh, dass er ihn verstand. Nachdem er Johnny so grob behandelt hatte, musste er es irgendwie wieder gut machen. Nicht nur, um sein Gewissen zu beruhigen, sondern auch, um zu beweisen, dass er Johnny nicht hasste. Sanft, fast zärtlich, legte er seinen Arm um Johnnys Schultern, zog ihn vorsichtig näher zu sich, lehnte seine Stirn beruhigend gegen dessen Kopf, flüsterte ihm leise Worte zu: „Es ist in Ordnung. Es ist okay.“ Sorgsam fuhr er mit seiner Hand durch Johnnys rotes Haar, drückte ihn fest an sich, schloss kurz die Augen, während er zum ersten Mal in seinem Leben seinen besten Freund im Arm hielt und einfach nur die Nähe genoss. Er wusste, dass er in diesem Moment zu weit ging, dass er zu viel von seinen Empfindungen gegenüber Johnny preisgab, doch der süße Geschmack der Versuchung war zu verlockend. Johnny blickte auf, sah ihn an, atmete schwer, zögerte. Nur sehr langsam näherte er sich mit seinen Lippen Roberts Gesicht, berührte dessen Wange mit seiner Hand, schloss die Augen. In diesem Moment schien Roberts Herz einen Hüpfer zu machen, er wurde überwältigt von diesem unbeschreiblichen Kribbeln in seinem Bauch und er versuchte verzweifelt Ordnung in das Gefühlschaos in seinem Kopf zu bringen, doch Johnnys heißer Atem auf seiner Wange ließ ihn erschaudern. Um Gottes willen! Was tat er hier eigentlich? Ihre Lippen berührten sich behutsam und flüchtig. Der erste Kuss dauerte kaum länger als ein paar Sekunden, fühlte sich aber so unendlich gut, einfach nur richtig an. Robert keuchte leise vor Überraschung auf, als Johnny ihn erneut küsste, sich auf ein zärtliches Spiel um die Oberhand einließ und ihm dabei immer näher kam. Robert wünschte sich, dass dieser Moment niemals enden würde, dass er auf ewig die Nähe des Schotten genießen konnte... In seinen kühnsten Träumen hatte er niemals damit gerechnet, dass Johnny seine Gefühle erwidern würde. Dass er ihn liebte. Wie sollte er seine Reaktion sonst deuten? Der Verrat, die Auseinandersetzung war vergessen und es stand fest, dass Robert Johnnys Geheimnis für sich behalten würde. Mit einem leisen Seufzen ließ er sich gehen, entspannte er sich. Zum ersten Mal in seinem Leben genoss er es, die Kontrolle über sich und seine Gefühle zu verlieren. „Und du bist dir wirklich sicher, dass du klar kommst?“, fragte Enrico mit skeptischem Unterton, blickte ihn zweifelnd an, „Dir ist bewusst, dass dich und dein Vorhaben etwa hundert, wenn nicht gar tausend, Soldaten des Herrschers voneinander trennen?“ Sie standen am Rande eines kleinen Waldes, blickten auf die Burg, die auf einem Berg, und in der Dunkelheit der frühen Morgenstunden fast bedrohlich, über sie ragte. Vor einiger Zeit hatte sie Robert gehört. Das war, bevor der Herrscher Deutschland überrannt und jeden, der einst Roberts Bediensteter gewesen war, niedergemetzelt hatte. Es war die Schuld, mit der sie leben mussten. So viele waren gestorben – und nur sie hatten überlebt. „Ja“, antwortete Robert ruhig und brachte ein schwaches Lächeln zustande, „Ich kenne die Burg wie meine Westentasche, also macht euch deshalb bitte keine Gedanken. Stattdessen solltet ihr euch lieber darauf konzentrieren, wie ihr möglichst schnell nach Asien kommt. So einfach ist das nämlich nicht. Johnny und ich werden nachkommen, sobald wir können.“ Oliver schwieg, bedachte ihn mit vorwurfsvollem Blick. Sie alle wussten, dass Roberts Idee einfach nur wahnsinnig war und niemals funktionieren würde, und doch bestand er darauf und ließ sich nicht davon abbringen. „Und wir treffen uns dann irgendwann bei Kenneth?“ Ein Nicken folgte. „Johnny und ich werden dort auf euch warten.“ Enrico schnaubte und verschränkte seine Arme vor der Brust. „Falls ihr beiden lebend aus der ganzen Sache herauskommen und eher als wir am vereinbarten Treffpunkt ankommen solltet, werde ich dir wohl bei nächster Gelegenheit einen Drink ausgeben. Einfach, um dir meine Anerkennung auszudrücken.“ „Pass besser auf, Enrico, ich nehme dich sonst noch beim Wort.“ „Solange es dir dabei hilft, die Aktion zu überleben, kannst du das gerne tun.“ Robert lächelte immer noch und wandte sich dann ab. „Ich denke, es wird Zeit, dass ich gehe. Sonst wird es zu hell und ich werde am Ende noch entdeckt, bevor ich überhaupt bis zu Johnny vorgedrungen bin. Wir sehen uns.“ Mit diesen Worten eilte er leise davon, Enrico und Oliver starrten ihm eine Weile schweigend hinterher, ehe Enrico gähnte und sich müde streckte. „Wird dann wohl Zeit, dass wir uns auch auf den Weg machen.“ „Bist du dir sicher, dass der Abstand schon groß genug ist? Du weißt, wie er reagieren wird, wenn er merkt, dass wir ihm folgen.“ Der Italiener lächelte und steckte seine Hände in seine Hosentaschen. „Daran wird er sich wohl gewöhnen müssen. Immerhin sind wir ja ein Team, oder nicht?“ Behutsam und so leise er konnte schlich Robert durch einen der unzähligen Geheimgänge seiner alten Burg. Er kannte sie alle, er kannte jeden Winkel des Gemäuers und wusste, wie er unentdeckt von einem Punkt zum nächsten kam. Zumindest hoffte er, dass der Herrscher sich nicht darüber im Klaren war, dass sich kleine, tunnelähnliche Gänge durch das ganze Gebäude zogen, und somit keine Gefahr bestand, dass er entdeckt wurde. Der Weg war eng und zu beiden Seiten ragten die steinernen Wände hoch empor, bildeten dann und wann eine kleine Einbuchtung, wenn es geheime Ausgänge gab. Es gab keine Fenster, keine Fackeln und die einzige Lichtquelle war der matte Schein von Roberts Taschenlampe. Er lief schon eine ganze Weile, hatte jegliches Gefühl für die Zeit verloren und es kam ihm schon fast wie ein paar Stunden vor, dass er den versteckten Eingang außerhalb der Burg betreten hatte. Ab und an vernahm er durch kleine, luftspendende Schlitze in der Mauer Stimmen, doch Johnnys war noch nicht unter ihnen gewesen. Wie genau er ihn finden sollte, wusste er nicht, wenn er ehrlich war, aber er würde es schon hinbekommen. Irgendwie. Er war niemand, der einfach aufgab, sobald er sich ein Ziel gesetzt hatte. Und deshalb würde er es jetzt durchziehen. Er würde Johnny finden und mitnehmen, damit er ihn endlich außerhalb der unmittelbaren Gefahr des Herrschers wusste. In Gedanken malte er sich ihr Wiedertreffen aus, stellte er sich Johnnys Anblick vor, wie er sich vor ihm aufbaute und sich bei ihm beschwerte: „Ich habe dir doch gesagt, dass mit mir alles in Ordnung ist! Kannst du mich nicht einmal beim Wort nehmen?“. Das wäre so typisch für ihn. Mit einem Lächeln auf den Lippen und der inneren Vorfreude darauf, Johnny endlich wiederzusehen, ihn endlich wieder in die Arme schließen zu können, bewegte sich Robert weiter fort, immer vorsichtig, immer konzentriert und immer damit beschäftigt, die Räume abzugleichen, an denen er vorbei ging und zu überlegen, wo er Johnny wohl finden konnte. Ein schmerzerfüllter Aufschrei riss Robert aus seinen Gedanken, ließ ihn herumfahren, überlegen, woher das Geräusch kam. Es musste nah sein, und wer immer da schrie, litt im Moment vermutlich schlimmste Qualen. Er wusste nicht wieso er, sobald es um Johnny ging, grundsätzlich immer erst vom Schlimmsten ausging, aber er hatte Angst. Angst, dass es Johnny sein könnte, dass man ihn enttarnt hatte und nun versuchte, hinter Informationen zu kommen, ihn auszuquetschen. Ihn zu töten. Bitte lass es nicht Johnny sein! Hastig eilte Robert in die Richtung, aus der er die Schmerzensschreie wahrzunehmen glaubte, mit dem stillen Gebet, dass er nicht zu spät war, dass es sich nicht um Johnny handelte. Sein Magen zog sich unangenehm zusammen, als er vor einer der Geheimtüren, die zu seinem ehemaligen Speisesaal führte, zum Stehen kam. Er zitterte am ganzen Körper, hatte Angst davor, dass sich seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten würden. Zögerlich hob er seine Hand, holte tief Luft, ehe er langsam, leise und vorsichtig die getarnte Tür einen Spalt beiseiteschob, um einen Blick auf das Geschehen werfen zu können. In Gedanken betete er, dass er nicht entdeckt wurde. Der Raum hatte sich stark verändert. Zwar hingen noch seine teuren Gemälde an den Wänden und die roten Vorhänge an den Fenstern, doch der Tisch und die Stühle waren verschwunden. Stattdessen befand sich nun am anderen Ende des Raumes eine kleine Apparatur mit einigen Schaltern und Hebeln, daneben eine Art Schreibtisch mit einem Computer. In der Mitte stand ein einzelner Stuhl, um den drei Personen herum standen, eine vierte lag zusammengekrümmt am Boden und schrie. Sie alle trugen die weiße Uniform des Herrschers, auf der Brust das schwarze Fünfeck. Sein Blick fiel zunächst auf den Gefolterten, der sich unter Schmerzen aufbäumte, sich wand. Robert konnte sein Gesicht nicht erkennen. Aber er hatte rote Haare. Ihm wurde schlecht. Bei Gott, er musste etwas unternehmen, ihm helfen! Wenn das Johnny war... Zwei der Personen hatten ihm den Rücken zugewandt, blickten auf den am Boden liegenden, kicherten. Während der eine der Beiden kurze, schwarze Haare hatte, eher hoch gewachsen und gut durchtrainiert war, war der zweite eher schmächtig und etwas fülliger, hatte eine Glatze. Ihnen gegenüber stand eine muskulöse, blondhaarige Frau mit Pferdeschwanz, die zunächst verächtlich auf den Schreienden hinabsah, sich dann abwandte. Sie alle drei trugen eine größere Waffe über ihren Rücken und besaßen eine kleinere an ihrem Gürtel. Verdammt, Robert musste irgendetwas unternehmen! Wenn das wirklich Johnny war... Im Geiste ging er alle Optionen durch, die er sah und verfluchte sich selbst, dass er selbst keine Waffe besaß. Er schaltete die Taschenlampe aus, öffnete die Tür ein bisschen mehr, dass er hindurchschlüpfen und sie leise wieder schließen konnte und betete währenddessen, dass die blondhaarige Frau sich nicht doch kurzzeitig dazu entschied, sich wieder umzudrehen. Seine Hand umschloss verkrampft seine Taschenlampe, während er sich leise und vorsichtig an die beiden Wachen heranschlich, die ihm den Rücken zugedreht hatten. Gut, vermutlich hätte man ihn nicht einmal gehört, wenn er normal gelaufen wäre, denn der Lautstärkepegel war durch die Schreie enorm hoch. Dennoch fühlte er sich sicherer, wenn er nur langsam lief. Während die beiden Männer kurz auflachten, hob er seine Lampe und schlug sie dem rechten, dem Kahlkopf, über den Schädel. Er sackte mit einem überraschten Keuchen vorn über und sein Partner starrte zunächst von ihm auf Robert, ehe er nach seiner Handfeuerwaffe griff, um auf ihn zu schießen. Erneut holte Robert mit seiner Taschenlampe aus, schlug dem Typen die Waffe aus der Hand. Ein gehässiges Grinsen formte sich auf dem Gesicht des Mannes und er holte mit seiner Faust aus, schlug nach Robert. Mittlerweile hatte auch die Frau ihn bemerkt und schrie den Befehl, ihn festzunehmen. Oder gegebenenfalls zu töten. Robert erschauderte und widerstand der Versuchung den Mann auf den Boden anzusehen, um sicher zu sein, dass es sich um Johnny handelte, dass es die Sache zumindest wert war. Überrascht keuchte er auf, als ihn ein Tritt in den Bauch traf und er auf die Knie sackte. Als der Kerl sein Gewehr vom Rücken löste, um ihn zu erschießen, gelang es Robert ihm, in einem Moment der Unachtsamkeit, die Beine unter den Füßen wegzutreten. Er stürzte vorn über, direkt auf seine Waffe, und verlor das Bewusstsein. Erleichtert atmete Robert aus, sah nach der Frau, die zu der kleinen Apparatur lief. Vermutlich wollte sie Alarm schlagen. Ohne groß nachzudenken packte er die Pistole, die er kurz zuvor seinem Angreifer aus der Hand geschlagen hatte, richtete sie auf die Frau, zielte und feuerte. Leider traf er sie nur am Bein, doch sie stürzte zu Boden, blieb liegen. Er würde sich später um sie kümmern, doch es gab eine Sache, die für diesen Augenblick wichtiger war. Unachtsam ließ er die Waffe fallen. Johnny. Er zitterte am ganzen Körper, lag zusammengekrümmt am Boden, die Augen zusammengepresst, das Gesicht schmerzverzerrt, atmete stoßweiße, schrie panisch auf. In dem Moment, als er auf ihn zustürzen, ihm helfen wollte, wurde er von hinten gepackt, von ihm weggezogen. Ein Arm schob sich um seinen Hals, drückte fest zu. Er japste nach Luft und versuchte sich verzweifelt aus dem Schwitzkasten zu befreien. Verdammt! Warum hatte er nicht besser aufgepasst! Während er sich mit beiden Händen in den Arm des Angreifers krallte, trat er nach hinten aus und hoffte verzweifelt, irgendeinen schmerzhaften Punkt zu treffen. Plötzlich jaulte der Soldat auf, ließ ihn los, sodass er nach vorne taumelte. Anscheinend hatte er ihn genau zwischen den Beinen erwischt. Zufrieden betrachtete er sein Werk, als er verzweifelt überlegte, wie er sein Gegenüber aus dem Weg räumen konnte. „Das wirst du bereuen!“ Aufgebracht stürmte der Mann auf Robert zu, der sich darüber bewusst war, dass er gegen einen gut durchtrainierten Soldaten keinerlei Chancen hatte. Wie war der Typ überhaupt so schnell wieder zu sich gekommen? Ungeschickt wich er zur Seite aus, stolperte über den bewusstlosen, dicken Soldaten am Boden und landete auf seinem Hintern. Sein Angreifer stand über ihm und lachte trocken. „Ist das alles, was du zu bieten hast? Um den Kleinen hier zu retten, musst du schon etwas mehr Leistung bringen.“ ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)