Blood red eyes von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- ente is da! und sie schreibt ma ne SF Story... damit auch die arme auri ma was davon hat und bei dem ganzen shônen-ai net immer *jrks* machen muss... und, damit des klar is: des hier is keine lovestory oder sonst was, des hier is einfach... naja... man könnte es als... ach, keine ahnung was des wird, auf jeden fall mit übernatürlichem zeugs und so.... ente kennt sich zwar net mit parapsychologie aus, aber... ich liebe solche stories!!! ^^ bitte schreibt kommis, ich muss wissen wie ihr's findet... *fleht* Kapitel 1 ---------------------- "Was soll das denn sein?" fragte Karrie. "Ich bin mir nicht sicher", antwortete Kim und runzelte leicht die Stirn, während sie die Zeichnung betrachtete, die sie gerade fertig gestellt hatte. Die Skizze zeigte einen jungen Mann mit langem, schwarzem Haar und schwarzen, durch- dringenden Augen. Sein Mund war leicht spöttisch verzogen. "Er sieht irgendwie gefährlich aus. Aber gleichzeitig auch sexy, findest du nicht?" meinte Janie. Kim nickte. "Ja." "Und das Gesicht ist dir einfach so eingefallen?" staunte Karrie. "Ihr werdet es mir vielleicht nicht glauben." Kim hielt einen Moment lang inne. "Gestern Nacht habe ich von ihm geträumt. Und als ich heute in den Kunstunterricht kam, juckten mir die Finger. Ich musste ihn unbedingt zeichnen." "Er ist süß, aber ist er nicht ein bisschen zu alt für dich?" warf Janie kichernd ein. "Er ist achtzehn", flüsterte Kim. "He, du kennst sein Alter, aber du weißt nicht, wer er ist?" Karrie fasste es nicht. Kim zuckte mit den Schultern. Sie war künstlerisch sehr begabt, aber sie handelte oft rein gefühlsmäßig. Es gab nicht immer eine Erklärung für das Thema, das sie auswählte. Sie ließ sich vom Augenblick leiten. Und an diesem Dienstagmorgen hatte sie eben diesen Jungen zeichnen wollen, an den sie sich undeutlich aus ihrem Traum erinnerte. Kim Burton war sechzehn Jahre alt. Sie war klein, hatte langes, kastanienbraunes Haar und ein sehr hübsches Gesicht mit Sommersprossen. Auf den ersten Blick wirkte sie wie das nette Mädchen von nebenan. Erst, wenn man sie näher betrachtete, fiel der zu ernste Blick in ihren grünen Augen auf. Ihre Freundin Janie Jones war erst fünfzehn und damit ein Jahr jünger als Karrie und Kim. Ihr Haar war lang und blond, und sie hatte schöne blaue Augen. Janie war noch kleiner als Kim, und zu ihrem großen Kummer hatte sie die Figur eines Jungen. Aber ihre Beine waren hübsch, und sie trug gerne Shorts und Miniröcke, um diese zu betonen. Karrie Vandermere hingegen besaß sexy Kurven und konnte sich vor Verehrern kaum retten: Ihr dunkelblondes Haar war so lang, dass sie darauf sitzen konnte, und ein schelmischer Blick lag in ihren braunen Augen. Sie wusste genau, was den Jungs gefiel, und hatte nie Schwierigkeiten, eine Verabredung zu bekommen. Die drei Mädchen waren enge Freundinnen und wohnten in der gleichen Gegend. Meistens waren sie unzertrennlich. Zumindest bis vor sechs Monaten, bevor Kim Jody kennen gelernt hatte. Wie aufs Stichwort brachte Karrie das Gespräch auf ihn. "Was sagt dein Freund dazu, dass du andere Männer zeichnest?" Kim lächelte. "Jody versteht, dass ich nicht immer kontrollieren kann, was ich aufs Papier bringe. Er ist nicht eifersüchtig." Das war glatt geschwindelt. Jody war total eifersüchtig. Er nahm sie jedes Mal regelrecht ins Kreuzverhör, wenn sie mit einem anderen Jungen auch nur ein paar Worte gewechselt hatte. Aus Jodys Sicht gehörte Kim ihm. und er wollte sie sich nicht wegnehmen lassen. "Hat Miss Killen die Zeichnung schon gesehen?" fragte Janie. Miss Killen war ihre Kunstlehrerin. Sie war cool, und ermutigte die Schüler, ihre Fantasien im Kunstunterricht voll auszuleben. Mit fünfundzwanzig war sie kaum älter als viele ihrer Schüler. "Noch nicht." "Es gefällt ihr sicher", rief Karrie. Sie selbst fand das Bild toll. Sie hatte sich damit abgefunden, dass sie keine künstlerische Begabung besaß, und den Kunstunterricht nur belegt, weil Kim ihre Freundin war. Sie konnte zeichnen und malen, aber die Menschen auf ihren Bildern sahen im Vergleich zu Kims Werken aus wie Strichmännchen. "Da kommt sie", flüsterte Janie. "Guten Morgen, Mädchen." Miss Killen trat zu den dreien. Sie war eine zierliche, kleine Frau. Ihr blondes Haar war elegant frisiert, und sie trug gern lange Hippiekleider im Stil der siebziger Jahre. "Woran hast du denn den ganzen Morgen gearbeitet, Kim?" fragte sie. Kim war ihre beste Schülerin, und sie war immer gespannt, ihre Arbeiten zu sehen. Kim wurde gegen ihren Willen rot und zeigte auf die Zeichnung des hübschen jungen Mannes. "Du lieber Himmel!" rief die Lehrerin. Sie beugte sich vor, um das Bild besser betrachten zu können. "Wer hat dir denn dafür Modell gesessen?" fragte sie, während sie sich langsam wieder aufrichtete. "Niemand." Kim freute sich, dass Miss Killen die Zeichnung gefiel. "Wirklich niemand?" Die Lehrerin war skeptisch. "Nein." Miss Killen musterte das Gesicht des Mannes. "Du hast ihn aus dem Gedächtnis gezeichnet?" "Ich weiß nicht, ob es aus dem Gedächtnis war", gab Kim zu und wurde wieder rot. Es war ihr immer peinlich, wenn Miss Killen so viel Wirbel um ihre Arbeiten machte, besonders wenn die anderen Schüler es mitbekamen. "Ich habe heute Morgen einfach angefangen zu zeichnen, und das ist dabei herausgekommen." "Und du kennst diesen jungen Mann tatsächlich nicht?" Miss Killen wandte keinen Moment den Blick von der Zeichnung. "Nein." "Das ist merkwürdig. Äußerst merkwürdig." Die Lehrerin runzelte die Stirn. "Darf ich dich etwas fragen?" Kim wand sich ein wenig. Sie ahnte, dass sie die Frage nicht beantworten konnte. "Ja." "Was bedeuten die Narben auf seinem Gesicht?" "Narben? Welche Narben?" Miss Killen lachte. "Willst du mich auf den Arm nehmen. Kim?" "Nein, ganz bestimmt nicht", versicherte Kim ihr schnell. Miss Killen holte einen kleinen Laserpointer aus der Tasche und ließ den Lichtstrahl über die Zeichnung wandern. "Hier. Siehst du? Über seiner Lippe. Das ist eine Narbe." "Wirklich?" Kim war echt überrascht. Es war ihr gar nicht aufgefallen, dass sie eine Narbe auf das Gesicht des jungen Mannes gezeichnet hatte. Seltsam. "Nun komm schon, Kim. Raus mit der Wahrheit", drängte Miss Killen freundlich. "Schau mal hier." Sie zeigte auf einen winzigen Strich über dem linken Auge. "Da ist noch eine." Kim war ehrlich geschockt. Sie konnte sich auch an diese Narbe nicht erinnern. Schnell suchte sie die Zeichnung nach anderen Merkmalen ab, fand aber keine. Unsicher wandte sie sich an Miss Killen. "Du darfst nicht denken, dass ich dich kritisieren will, Kim. Ich bin neugierig, das ist alles. Das Gesicht wirkt auf den ersten Blick so romantisch, und trotzdem hast du diese Narben hinzugefügt. Mir gefällt dieser Gegensatz. Ich möchte nur wissen, wie du auf den Einfall gekommen bist." "Keine Ahnung", gab Kim zu. Wo kamen die verflixten Narben her? Sie konnte sich ehrlich nicht daran erinnern, sie auf das attraktive Gesicht gezeichnet zu haben. "Wirst du ein Portrait davon malen?" Oft machten die Schüler erst Bleistiftskizzen, bevor sie sich an ein Bild wagten. Kim wurde das alles langsam peinlich. Miss Killen machte viel Lärm um nichts. "Meinen Sie, es ist die Sache wert?" "Nun, das ist deine Entscheidung", meinte die Kunstlehrerin. Dann lächelte sie aufmunternd. "Es tut mir Leid, wenn ich dich in Verlegenheit gebracht haben sollte. Das wollte ich wirklich nicht. Aber ich finde die Zeichnung faszinierend und würde gerne sehen, was du mit Farben daraus machen kannst." "Okay, ich werde das Bild malen", murmelte Kim. Sie schaute zu Janie und Karrie, die noch kein Wort gesagt hatten. "Was meint ihr dazu?" "Klingt echt cool", stimmte Karrie zu. Eigentlich war sie ein wenig eifersüchtig, weil Miss Killen sich nie so ausführlich mit ihren eigenen Projekten beschäftigte. Aber Karrie war klar, dass sie keine so talentierte Künstlerin wie Kim war. "Der Typ in Öl? Das wird bestimmt der Hit", schwärmte Janie und verdrehte entzückt die Augen. "Dann fange ich gleich morgen damit an", entschloss sich Kim, obwohl sie das Gefühl hatte, dass man sie in die Enge getrieben hatte. Miss Killen spürte ihr Zögern. "Kim, du musst das Bild nicht malen. Es war nur ein Vorschlag. Wenn du es nur bei der Skizze belassen willst, ist mir das auch Recht. Überhaupt kein Problem." "Nein, nein. Ich male es", erklärte Kim. In dem Moment, in dem sie die Entscheidung traf, fiel ihr etwas auf. Miss Killen war seit zwei Jahren ihre Kunstlehrerin. Noch nie hatte sie auf eine Arbeit von Kim so begeistert reagiert. Die Zeichnung muss wirklich sehr gut sein, dachte Kim. "Wie willst du ihn nennen?" fragte Miss Killen. Sie schien Schwierigkeiten zu haben, den Blick von dem Gesicht abzuwenden. "Ihn nennen?" "Aber sicher." Miss Killen lächelte. "Er muss doch einen Namen haben, findest du nicht?" "Ach, ich weiß nicht..." Kim zögerte. "Nenn ihn doch einfach Jody", schlug Janie vor. "Bist du verrückt?" Jody würde in die Luft gehen, wenn er von dem Bild hörte. So viel war sicher. Und er würde jede Kleinigkeit davon erfahren. Er und Karrie waren gute Freunde. Sie redeten ständig miteinander. Manchmal fand Kim ihr Verhältnis etwas zu eng. Es war ihr schon öfters passiert, dass sie abends bei Jody angerufen hatte, um ihm zu erzählen, wie der Tag gelaufen war. Und dann musste sie feststellen, dass Karrie ihn bereits über alle Neuigkeiten informiert hatte. Kim tat zwar so, als würde es ihr nichts ausmachen. Aber das war glatt gelogen. Da war ihr Janies Verhalten schon lieber. Janie fand Jodie nett, aber er war überhaupt nicht ihr Typ. Jody war ein Sportler, groß, stark und mit breiten Schultern. Janie schwärmte für Jungs, die sensibler waren. "Wie wäre es denn mit Adonis", schlug Miss Killen mit schelmischem Blick vor. "Wer war denn das?" fragte Kim. "Adonis war ein wunderschöner junger Mann aus der griechischen Sagenwelt", erklärte die Lehrerin. "Dichter haben über ihn geschrieben, und Künstler haben ihn als Modell für ihre Statuen genommen. Er war sehr berühmt." "Dann werde ich ihn Adonis nennen", beschloss Kim. Auf keinen Fall Jody! dachte sie. "Ich bin schon sehr gespannt auf das Bild, Kim", sagte Miss Killen. "Wenn es gut genug ist, bekommt er einen Platz in unserer jährlichen Kunstausstellung." Kim stöhnte innerlich. Jedes Jahr Anfang Dezember veranstaltete die Carlson High School eine öffentliche Kunstausstellung mit Werken von Schülern und Lehrern. Die Schüler brauchten die Zustimmung von mehr als der Hälfte der Kunstlehrer, bevor ein Werk in die engere Wahl kam. Kim hatte sich schon mit mehreren Bildern beworben und viel Lob bekommen. Aber das waren Landschaften oder Tiere gewesen. Noch nie hatte sie ein menschliches Portrait angefertigt. Okay, sie hatte vor ein paar Monaten eine Zeichnung von Jody gemacht und vorgehabt, sich damit zu bewerben. Aber sie musste sich selbst eingestehen, dass die Skizze von Adonis ihre anderen Arbeiten völlig in den Schatten stellte. Jody würde stinksauer sein, wenn er hörte, dass sie vorhatte, sein Portrait zurückzuziehen, um stattdessen das neue Bild einzureichen. Sie konnte schon seine bohrenden Fragen hören. Wer ist der Typ? Woher kennst du ihn? Und er würde ihr nie im Leben glauben, dass sie dem Fremden noch nie begegnet war. Jody würde ausflippen, wenn er Adonis sah. "Alles in Ordnung, Kim", fragte Miss Killen. "Wie bitte?" Verwirrt kehrte Kim in die Gegenwart zurück. "Du bist plötzlich so blass." "Nein, nein, mir geht es gut", versicherte sie schnell. Was mach ich bloß mit Jody? dachte sie. Ganz bestimmt würden heute abend die Telefonleitungen durchschmoren, wenn Karrie Jody die heiße Neuigkeit erzählte. Das war eine weitere Sache, die ihr auf die Nerven ging. Jody sprach immer zuerst mit Karrie. Jeder noch so billige Klatsch, den er von ihr hörte, war dann ein Anlass für ihn, Kim mit misstrauischen Fragen zu bombardieren. Es war unfair, aber was sollte sie tun? Sie mochte Jody wirklich. Aber sie hasste es, dass er Karrie immer über alles ausfragte, was sie in der Schule gesagt oder getan hatte. "Bitte räumt eure Sachen weg." Miss Killen sah auf ihre Uhr. "In zwei Minuten läutet es zur Pause." Janie und Karrie nickten und gingen an ihre Plätze. Kim hatte sich geade umgedreht, um einen letzten Blick auf Adonis zu werfen, als Miss Killen ihr den Arm um die Schultern legte. "Das wird dein Meisterwerk, Kim." Die Kunstlehrerin sprach so leise, dass nur Kim sie hören konnte. "Danke, Miss Killen." Kim wünschte sich, sie könnte die Begeisterung der anderen über das Bild teilen. Etwas stimmte nicht damit. Sie konnte nicht sagen, was, aber ein ungutes Gefühl blieb. Bevor sie das Blatt mit einem weißen Tuch bedeckte, streckte sie unwillkürlich die Hand aus und strich über eine der kleinen Narben auf Adonis' wunderschönem Gesicht. Sofort zuckte sie zurück. Es fühlte sich an, als hätte sie eine blanke, elektrische Leitung berührt. Das Gesicht auf der Zeichnung verzog sich schmerzerfüllt. "Was, um alles in der Welt...?" sagte Kim zu sich selbst. Dann war das Gesicht wieder normal. Habe ich mir das alles nur eingebildet? fragte sie sich verwirrt. Eine Zeichnung konnte nicht reagieren. Das war völlig unmöglich. Aber der Schreck saß ihr noch in den Gliedern. Seufzend legte sie vorsichtig das Tuch über das Bild. Seltsam. In dem Moment, als sie ihn nicht mehr sehen konnte, packte sie ein Gefühl von Verlust und tiefer Sehnsucht. Du bist wahnsinnig, schalt sie sich. Dann läutete es zum zweiten Mal. Kim schreckte aus ihren Gedanken hoch, nahm ihre Bücher und rannte aus dem Klassenzimmer. Jody wartete schon auf dem Flur, um sie zur nächsten Unterrichtsstunde zu begleiten. Kapitel 2: ----------- Kapitel 2 ------------------ "Was soll der Quatsch mit diesem Adonis?" Kim seufzte müde. Eine Sekunde lang hatte sie große Lust, den Hörer aufzuknallen. Schon an Jodys Tonfall konnte sie erkennen, dass es kein angenehmes Gespräch werden würde. "He, hast du nicht gehört?" fragte er, als sie nicht sofort antwortete. "Doch, doch." Jody besaß eine Menge Fehler. Eine zu leise Stimme gehörte nicht dazu. Als Kapitän der Footballmannschaft war er es gewohnt, dass er brüllen musste, um während des Spiels verstanden zu werden. Manchmal vergaß er, dass er nicht auf dem Sportplatz war, wenn er sich mit Kim am Telefon unterhielt. "Wie kommt es, dass du mir in der Schule nichts davon gesagt hast?" Jody war stinksauer. "Wir haben uns eben über andere Dinge unterhalten", wich sie ihm aus. " Du hast absichtlich vermieden, darüber zu sprechen", klagte er sie an. "Jetzt reden wir ja drüber. Was willst du wissen?" "Wer ist der Kerl?" "Niemand. Nur ein Gesicht aus meiner Fantasie." "Er hat überhaupt keine Ähnlichkeit mir mir", beschwerte er sich. Jetzt ist er sauer, dachte sie traurig. Und alles nur wegen dieser blöden Zeichnung. "Klar, er sieht nicht so gut aus wie du", schwindelte sie. In Wahrheit sah Adonis auf dunkle, geheimnisvolle Weise viel besser aus als Jody. Jody war ein typischer Junge von nebenan. Ein Sportler. Sein dunkelblondes Haar war im Bürstenschnitt geschnitten, und seine Zähne waren alle ganz gerade. Adonis hatte pechschwarzes Haar und ganz bestimmt nie im Leben eine Zahnspange getragen. Kim musste lächeln. Jetzt dachte sie schon an ihn wie an einen richtigen Menschen. "Karrie hat aber was anderes gesagt." "Jody, was willst du eigentlich von mir?" fragte Kim genervt. "Ich habe heute eine Zeichnung gemacht. Keine Ahnung, wer der Typ ist. Er ist ein Gesicht aus meiner Fantasie. Vielleicht habe ich ihn im Fernsehen gesehen oder in einer Illustrierten." Sie überlegte kurz. "Er sieht sogar ein bisschen aus wie Antonio Banderas. Aber ich kann dir versichern, ich habe nie ein Wort mit ihm gewechselt, und ich bin auch nicht scharf auf ihn. Du bist mein Freund. Wir gehen fest miteinander, schon vergessen?" Langsam wurde sie wütend. "Alles andere ist völlig unwichtig." Er schwieg einen Moment. Jetzt sammelt er sich für einen neuen Angriff, dachte sie und hatte Recht. "Und warum hast du dann vorhin in der Schule nichts von ihm erzählt?" "Weil es nicht wichtig war." Kim verlor langsam die Geduld. "Vielleicht hatte ich Angst, dass du ausflippst. Wie du es ja jetzt auch tust." "Ich will nur wissen ob dich ein anderer mehr antörnt als ich." Jody klang beleidigt. "Ach, Jody. Spinn doch nicht rum. Du bist der Einzige für mich." "Bist du sicher?" "Völlig sicher." "Gut." Er hörte sich erleichtert an. "Denn ich mag dich echt." "Das weiß ich." Kim wünschte sich, er würde endlich das Thema wechseln. "Und ich würde nichts tun, um unsere Freundschaft zu gefährden. Das müsste dir langsam klar sein." "Ich glaube dir." "Prima. Ich muss jetzt Schluss machen. Berge von Hausaufgaben warten. Ich weiß gar nicht, wie ich alles schaffen soll." "Was musst du denn noch machen?" "Französisch", sagte sie zögernd. "Ich hab dir doch gesagt, du sollst Spanisch nehmen!" beschwerte er sich. "Ja, ja, Jody." Tatsächlich hatte er ihr das bereits mehrmals vorgeschlagen, da er selber bereits im zweiten Jahr Spanisch lernte. Aber sie hatte sich dagegen gesträubt und sich mehr aus Trotz für Französisch entschieden. Jetzt bereute sie es bitter. Die Lektionen wurden mit jedem Tag schwieriger und ihre Noten immer schlechter. "Wenn du Spanisch genommen hättest, könnte ich rüberkommen und dir helfen." "Jody, es ist zu spät, sich noch darüber Gedanken zu machen. Ich muss jetzt wirklich Schluss machen. Wir sehen uns dann morgen in der Schule." Kim kämpfte eine Stunde mit ihren französischen Hausaufgaben, bevor sie um zehn Uhr endlich aufhörte. Kurz überlegte sie, ob sie Karrie anrufen sollte. Sie wollte ihr gründlich die Meinung sagen, weil sie bei Jody über Adonis getratscht hatte. Aber am Ende putzte sie sich nur die Zähne, wusch sich das Gesicht, zog ein Nachthemd an und kletterte ins Bett. Die Standpauke für Karrie konnte bis morgen warten. Dabei war ihr klar, dass bis morgen ihre Wut schon ziemlich verraucht sein würde. Schließlich hatte sie gewusst, dass Karrie Jody alles brandheiß erzählen würde. Wie immer. Dagegen muss ich unbedingt etwas unternehmen, dachte Kim schläfrig. So geht das nicht weiter. Kim hatte noch nie Mühe mit dem Einschlafen. Kaum hatte ihr Kopf das Kissen berührt, war sie schon weg. Aber heute begann sie sofort zu träumen - von Adonis. Der Traum war so realistisch, dass sie glaubte, alles wirklich zu erleben. In ihrem Traum war Adonis noch größer als Jody, und seine Zähne standen ein wenig schief. Adonis hatte nicht in diesem Jahrhundert gelebt. er kam aus einer anderen Zeit. Kim konnte im Traum nicht erkennen, aus welcher Epoche er stammte. Die Kleidung, die er trug, war ihr fremd. Dieser hohe Kragen seines weißen Hemdes, das graue Tuch mit den Tupfen... Seltsam. Wer ist dieser Typ? fragte sie sich, während der Traum weiterging. Er sprach sie direkt an. Sie kam sich vor wie in einem Theaterstück, in dem sich der Schauspieler direkt ans Publikum wendet. "Ich wusste, du kannst mich nicht vergessen", sagte er und lächelte zärtlich. Sein Haar war dunkel und glänzte. Wilde Lust packte sie, mit den Fingern hindurchzufahren. "Ich wusste, wenn ich warte, würdest du dich an mich erinnern und mich zurück ins Leben holen", fuhr er fort. "Unsere Aufgabe ist noch nicht erfüllt. Jetzt werden wir sie beenden." Erst als er innehielt, fiel Kim auf, dass er französisch gesprochen hatte - und sie hatte jedes Wort verstanden. Das ist unmöglich! dachte sie. Französisch bringt mich noch um. Ich kann ihn nicht verstanden haben. Und doch war es so. "Ich möchte, dass du mein Bild schnell malst", fügte er hinzu. "Ich bin es Leid, immer nur in deinem Herzen zu existieren. Gib mir mein Leben zurück, und ich werde dir großes Glück schenken." Seine sanfte Stimme klang so klar, als würde er direkt neben ihr stehen. Erschüttert öffnete Kim die Augen und erwartete fast, dass Adonis in ihrem Zimmer sitzen würde. Aber er war nicht da. Ihr Zimmer war dunkel und leer... Verschlafen öffnete Kim eine Nachttischschublade und zog ihr Tagebuch hervor. Sie wollte den Traum aufschreiben, damit sie ihn nicht bis zum Morgen vergessen hatte. >Ich hatte heute einen sehr ungewöhnlichen Traum. Er handelte von Adonis. Er sprach Französisch, und ich verstand jedes Wort. Irgendwie scheine ich ihn zu kennen. Er möchte, dass ich sein Bild schnell male. Ich habe den Eindruck, dass er große Pläne für uns hat. Und irgendwie geht es mir durch und durch, wenn er mich nur ansieht. Ich könnte mich glatt in ihn verlieben. Das ist das Verrückteste, was mir je passiert ist!< Kim schlief felsenfest, als der Wecker um sieben Uhr am nächsten Morgen klingelte. Sie erinnerte sich nicht mehr an den Traum. Und das Tagebuch hatte sie gestern Nacht im Halbschlaf wieder in die Schublade gelegt. Kim duschte und ging zum Frühstück in die Küche. Ihre Mutter war noch da, ihr Vater bereits zur Arbeit gegangen. Während sie ihr Müsli aß, fiel ihr verschwommen ein, dass sie gestern Nacht Französisch gehört und verstanden hatte. Ihr Lehrer, Mr. Mansfield, sprach fast die ganze Zeit französisch, und die meisten Schüler warteten wie Kim nur darauf, dass er endlich aufhörte, weil sie nicht mitkamen. Aber sie war sich sicher, dass sie letzte Nacht alles verstanden hatte. Seltsam, dachte sie. Um acht Uhr lief Kim nach draußen, um sich mit Karrie und Jamie zu treffen. Auch im Winter ging sie jeden Tag mit ihnen zur Schule. Wenn es schneite, fuhren die Eltern sie abwechselnd. Aber es geb selbst in kälteren Wintern wenig Schnee in Carson City. "Vielen Dank, beste Freundin", begrüßte Kim Karrie voller Sarkasmus. "Für was?" fragte diese unschuldig. "Dafür, dass du Jody von Adonis erzählt hast." "Ich wusste nicht, dass es ein großes Geheimnis ist", wehrte sich Karrie verlegen. "Ich hab nur gesagt, dass ich die Zeichnung für dein Meisterwerk halte. Und ich hab ihm geschildert, dass Adonis ihm nicht gleicht. Das war das einzige, was ihn gestört hat." "Ich weiß. Jetzt ist er wahnsinnig eifersüchtig." "Eifersüchtig auf ein Bild?" Janie verzog das Gesicht. Dann lachte sie. "Wie blöd kann einer sein?!" Kim konnte über so viel Unschuld nur den Kopf schütteln. Janies Eltern hielten ihre Tochter noch zu jung und hatten ihr verboten, sich mit Jungs zu verabreden. Sie hatte also keine Erfahrung und war auf diesem Gebiet völlig naiv. "Jungs sind eben manchmal ganz schön blöd, Janie", erklärte Karrie geduldig. "Stimmts, Kim?" "Von mir hörst du kein Wort darüber. Du erzählst doch sowieso alles Jody, und der kann sich dann wieder eine Woche lang nicht beruhigen." "Er ist immerhin auch mein Freund", verteidigte sich Karrie. "Ja, aber du solltest zu mir halten", gab Kim zurück. "Mich kennst du schon viel länger als ihn." "Ich hab keine Lust, mit dir zu streiten", wich Karrie aus. "Wenn du nicht willst, dass ich mit Jody über Adonis rede, sags einfach, und er erfährt kein Sterbenswörtchen mehr von mir." Natürlich wollte Kim nicht, dass Karrie Jody noch mehr über Adonis erzählte. Aber sie wusste, was passieren würde, wenn sie die Freundin darum bat. Jody würde von dieser Bitte erfahren und hatte dann wieder einen neuen Grund auszuflippen. Sie zuckte mit den Schultern. "Mach, was du willst. Aber denke an die Folgen für andere, wenn du immer alles weitertratscht." Hoffentlich kapiert sie den Wink mit dem Zaunpfahl, dachte Kim. Kim hätte nie im Leben zugegeben, dass sie an diesem Mittwochmorgen darauf brannte, endlich in den Kunstunterricht zu kommen. Seit gestern war so viel über Adonis geredet worden, dass sie es kaum erwarten konnte, ihn sich wieder anzuschauen. War er wirklich so attraktiv wie in ihrer Erinnerung? Während Miss Killen die Anwesenheitsliste überprüfte, rutschte Kim unruhig hin und her. Heute schien es endlos zu dauern. "So, wollen wir uns wieder den Kunstprojekten zuwenden, die ihr angefangen habt?" fragte die Lehrerin endlich. "Ich brauche ein klares Ja oder Nein." "Warum fragt sie uns das überhaupt?" flüsterte Karrie so laut, dass es alle hörten. Einige Schüler lachten. "Ich habe einen Spielfilm über das Leben van Goghs mitgebracht", erklärte Miss Killen ungerührt. "Der wird viele von euch sicher mehr interessieren." Kim hätte vor Frust am liebsten laut geschrien. Der Film war ihr völlig egal, obwohl sie van Goghs Kunst liebte. Sie wollte an ihre Staffelei und zu Adonis. Ihre Wangen brannten vor Zorn, aber sie schwieg. Karrie würde Jody jedes Wort weitererzählen, und die Folgen davon kannte sie nur zu gut. Wer ist dieser Typ? fragte sie sich, während sie an Adonis dachte. Warum fasziniert er mich so? "Nun, niemand scheint todtraurig zu sein, dass heute nicht an den Projekten gearbeitet wird", sagte Miss Killen. "Dann gehen wir hinunter in den Vorführsaal und lernen ein bisschen mehr über van Gogh. Nehmt eure Sachen mit. Der Film wird fast bis zur Pause dauern. Wir haben dann nur noch ein paar Minuten, um zu diskutieren, was wir gesehen haben." Kim war nahe daran, sich zu beschweren. Sie hatte sich fest vorgenommen, heute mit Farben auf der Leinwand zu beginnen. Sie verstand natürlich, dass Miss Killen den Film nicht vorgeschlagen hatte, um sie zu ärgern. Trotzdem war sie aufgewühlt und wütend. "Geht schon vor. Wir treffen uns im Vorführsaal." Während die Schüler langsam hinausgingen, hielt Miss Killen Kim zurück. "Warte mal einen Moment." "Ja", antwortete Kim düster. Wahrscheinlich brauchte die Lehrerin jemanden, der ihr half, Material nach unten zu tragen. Sie wurde total überrascht, als Miss Killen fragte: "Warum bleibst du nicht hier und arbeitest an deinem Bild, Kim? Du bist die einzige talentierte Schülerin in der Klasse. Und ich merke doch, dass du kein Interesse an dem Film hast." Kim war vor Freude außer sich, versuchte aber, es nicht zu deutlich zu zeigen. "Du möchtest doch bleiben, oder?" fragte Miss Killen lächelnd. Kim beschloss, ehrlich zu sein. "Oh ja. Furchtbar gern!" "Gut. Räume bitte alles auf, wenn du fertig bist. Wir sehen uns morgen früh." Kaum war Kim allein, lief sie zu der verdeckten Leinwand. Sie konnte es selber nicht fassen, aber ihr Herz klopfte wie wild, während sie das Tuch abnahm. Ihr Herzschlag setzte fast aus, als sie sein Gesicht endlich wiedersah. Er war so unglaublich attraktiv! Habe ich dich wirklich gezeichnet? Adonis Lippen verzogen sich zu einem zärtlichen Lächeln. Was geht hier vor? fragte Kim sich mit klopfendem Herzen. Wer bist du, Adonis? Aber er schien nicht bereit zu sprechen. Noch nicht. Kapitel 3: ----------- Kapitel 3 ---------------- Kim ging sehr kritisch mit ihrem Werk um. Beim Malen von Portraits begann sie am liebsten mit dem Haar. Wenn das Haar stimmte, war die Sache schon halb gewonnen. "Sein Haar ist pechschwarz", murmelte sie und zuckte zusammen. Woher wusste sie das? Sie hatte absolut keine Ahnung. Sie wusste es eben. Sie mischte Schwarz mit Blau. Lächelnd tauchte sie einen schmalen Pinsel in die Farbe. Mit festen, sicheren Strichen begann sie das Bild. Fast tollkühn malte sie einige lange Strähnen, die sich um sein Gesicht schmiegten. Genau so würde sein Haar aussehen, wenn es ihn wirklich geben würde. Aber es gibt ihn, sagte eine Stimme in ihrem Kopf. Adonis ist so real wie Jody. Kim runzelte die Stirn. Das konnte nicht sein. Sie schaute immer wieder auf sein Gesicht. Er lächelte nicht mehr. Seine Miene war ungeduldig. Plötzlich verzog er sein Gesicht. "Beeil dich", sagte er mit schwerem, französischem Akzent. Kim erstarrte. "Hast du etwa gesprochen?" Nein, das war absolut unmöglich. Sie musste sich das eingebildet haben. Sie schüttelte den Kopf und arbeitete weiter an seinem Haar. Erst als sie auf die Uhr schaute, merkte sie, dass schon mehr als eine halbe Stunde verstrichen war, seit die Klasse zum Vorführraum gegangen war. Gleich ist Schluss, dachte sie traurig. Es bleibt noch so viel zu tun, und ich habe nur so wenig Zeit. Sie seufzte. Sie würde es kaum schaffen, bis zum Wochenende fertig zu werden. Sie mischte Braun mit Schwarz, tauchte den Pinsel in die Muschung und gab seinen Augen Farbe und einen feurigen Blick. War er wütend auf sie, weil sie nicht schnell genug arbeitete? Ich will leben! schien er zu schreien. "Du musst schon warten, bis ich mit dir fertig bin", sagte sie laut und musste über sich selbst lachen. Jetzt redete sie schon mit ihrem Bild! Sie überlegte gerade, welche Farben sie für seinen Teint nehmen sollte, als die Schulglocke erklang. "Himmel!" rief sie. Waren die fünfzig Minuten wirklich schon vorbei? Unmöglich. Sie schaute wieder auf die Uhr. Tatsächlich. Sie musste sich beeilen, um rechtzeitig in den Geschichtsunterricht zu kommen. "Armer Adonis", flüsterte sie. "Ich hatte gehofft, heute mehr zu schaffen. Ich hasse es, dich so unfertig zurückzulassen." Verlass mich nicht, schien er sie anzuflehen. Aber Kim wusste, dass ihr nur ihre Einbildung einen Streich spielte. Er konnte nicht reden. Er war ein Geschöpf ihrer Fantasie, nicht mehr. Schweren Herzens räumte sie die Farben weg. Aber sie hatte keine andere Wahl. Miss Killen unterrichtete danach eine andere Klasse und würde nicht erlauben, dass Kim blieb und weiter an dem Bild arbeitete.. Außerdem würde sie nachsitzen müssen, wenn sie zu spät zum Geschichtsunterricht kam. Und dann würden ihre Eltern ihr eine Woche Hausarrest verpassen. Nein, das darf ich nicht riskieren, dachte sie. Als sie zu Adonis aufsah, sah sie die Traurigkeit in seinen dunklen Augen. Fast hätte sie nicht die Kraft gehabt, ihn allein zu lassen. Schnell wandte sie sich ab, um die restlichen Töpfe wegzuräumen. Sie musste sich beherrschen, um vor Kummer nicht laut loszuheulen. "Du bist immer noch hier, Kim?" fragte Miss Killen, als sie den Kunstraum betrat. "Tut mir Leid", entschuldigte sich Kim hastig. "Ich war gerade dabei, meine Sachen wegzuräumen." "Beeil dich. Meine nächste Klasse kommt in ein paar Minuten." Währens sie sprach, kam Miss Killen heran und warf einen Blick auf Adonis. "Du lieber Himmel! So schwarze Haare und Augen! Ich hatte sie mir heller vorgestellt." "Nein, er hat ganz schwarzes Haar", sagte Kim und wunderte sich, woher sie das wusste. Die Lehrerin musterte sie nachdenklich. "Du steckst eine Menge Arbeit in dieses Projekt." Kim zuckte mit den Schultern. "Na ja." Es war ihr fast peinlich, in dieser Weise über Adonis zu reden. Für sie war er mehr als ein Projekt geworden. Aber sie hatte Angst, mit Miss Killen darüber zu reden. Das kann sie nicht verstehen, dachte sie. Miss Killen war sicher nicht die einzige, die damit Schwierigkeiten haben würde. Jody würde fuchsteufelswild sein, wenn er hörte, wie sehr Kim inzwischen an Adonis hing. Damit er nichts davon erfuhr, musste sie Karrie gegenüber den Mund halten. Und das bedeutete wiederum, dass sie auch Janie nichts verraten durfte. Janie war zu jund und naiv, um ein solches Geheimnis für sich zu behalten. Also bleibts zwischen uns beiden, Adonis, dachte sie. Und sie bildete sich ein, dass bei diesem Gedanken das Lächeln auf sein attraktives Gesicht zurückgekehrt war. "Ein außergewöhnliches Portrait." Miss Killen musterte das angefangene Bild. "Ich kann kaum erwarten, es fertig zu sehen." "Ich auch nicht." Plötzlich beschlich Kim eine andere Sorge. Was würde passieren, wenn das Gesicht vollendet war? Was geht hier vor, Adonis? fragte sie ängstlich. Was willst du von mir? Aber er schwieg. "Na, heute konntest du dich wohl gar nicht von deinem Liebsten trennen, was?" fragte Jody ätzend. "Was soll das?" fragte Kim und weigerte sich, auf sein Spielchen einzugehen. "Du weißt genau, von wem ich rede. Von diesem Adonis. Karrie hat mir heute erzählt, dass du heut an seinem Bild gearbeitet hast, während sich alle anderen einen Film angesehen haben." Er platzte fast vor Eifersucht. Kim war froh, dass sie sich nur am Telefon unterhielten, und sie den misstrauischen Ausdruck in seinen Augen nicht sehen musste. Natürlich war er früher schon eifersüchtig gewesen. Aber nur auf Menschen aus Fleisch und Blut, und nicht auf ein unschuldiges Kunstprojekt. Kim wusste nicht, wie sie mit dieser neuen Situation umgehen sollte. "Also, wie ists gelaufen?" Er war offensichtlich irritiertm weil Kim nicht gleich antwortete. "Ziemlich schleppend." "Du hattest Angst, seine hübsche Fratze zu verunstalten, stimmts?" Er klang immer gereizter. Kim lachte. Sie konnte es nicht fassen. "Mensch, Jody. Wenn uns jemand zuhört, der denkt doch, dass du von einem richtigen Menschen redest." "Leider scheint der Kerl für dich ja inzwischen mehr zu sein als nur eine Ausgeburt deiner Fantasie", meinte er abfällig. Was mach ich bloß mit ihm? dachte Kim verzweifelt. Am liebsten hätte sie ihm klipp und klar gesagt, wie blöd er war. Aber das würde nichts bringen. Jody hatte schon immer zum Jähzorn geneigt. Jetzt hatte er sich wegen Adonis in Rage gebracht, und Kim zerbrach sich den Kopf, wie sie am besten das Thema wechseln konnte. Zum Glück übernahm Jody das für sie. "Okay, ich mach jetzt Schluss. Ich weiß dass du noch ne Menge Hausaufgaben für Französisch machen musst. Aber eins sage ich dir: Ich habs satt, ständig etwas von diesem Kerl zu hören." "He, ich habe ihn mit keinem Sterbenswörtchen erwähnt", wehrte sich Kim. "Sag lieber Karrie, sie soll den Mund halten." Warum hat die blöde Kuh die Sache aus dem Kunstunterricht weitergetratscht? fragte sich Kim, nachdem sie aufgelegt hatte. Ich habe ihr doch heute morgen klargemacht, dass sie Adonis Jody gegenüber nicht mehr erwähnen soll. Anscheinend hatte Karrie das nicht mitbekommen. Und wieder einmal hatte sie, bewusst oder unbewusst, dafür gesorgt, dass Kim und Jody sich stritten. Kim widerstand der Versuchung, Karrie anzurufen und ihr gehörig die Meinung zu sagen. Sie würde es auf den Morgen verschieben, wenn sie zur Schuld gingen. Irgendwie war sie plötzlich sehr müde. Unbewusst sehnte sie sich danach, ins Bett zu gehen und wieder von Adonis zu träumen. Sie schlief sofort ein, aber ihr Schlaf war traumlos. Als sie am nächsten Morgen erwachte, lag ihr Tagebuch auf dem Nachttisch. Wie kommt das dorthin? fragte sie sich. Sie blätterte durch die Seiten bis zur letzten Eintragung. Sie war kurz, knapp und nicht in ihrer Handschrift geschrieben: Kim war geschockt. Ein Fremder hatte etwas in ihr Tagebuch geschrieben! Aber wie war er in ihr Zimmer gekommen? Wie war er überhaupt ins Haus gekommen? Und wieso hatte niemand etwas gehört, weder ihre Eltern noch sie selbst? Oder war sie das vielleicht sogar selber gewesen? Da fiel ihr Blick auf ihren eigenen Eintrag von der Nacht davor. Was habe ich am Dienstag geträumt? grübelte sie. Er hat französisch gesprochen, und ich habe jedes Wort verstanden? Unmöglich! Er möchte, dass ich sein Bild schnell weitermale? Nun, das konnte sie verstehen. Auch sie wollte das. Aber ich kann mich weder an den Traum erinnern, noch daran, etwas aufgeschrieben zu haben. Kim wünschte, sie könnte mit jemandem über die sonderbaren Ereignissen sprechen. Aber sie konnte weder Janie noch Karrie trauen, und Jody war der Letzte, der Verständnis haben würde. Er wollte bestimmt nicht hören, dass Adonis schon in ihren Träumen erschien. Aufgewühlt duschte Kim und wusch sich das lockige, rotbraune Haar. Die ganze Zeit dachte sie an Adonis und die Einträge in ihrem Tagebuch. Ich soll einsehen, dass er Wesley heißt und nicht Adonis? Und wenn ich es tue, wie soll ich das den anderen erklären? Sie war total verwirrt. Mit wem kann ich darüber bloß reden? fragte sie sich, während sie ihr Haar föhnte. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Lori Sanders! Sie war mit Lori in der Grundschule befreundet gewesen. Seit der High School hatten sie sich aus den Augen verloren. Lori war nämlich ein klein wenig seltsam geworden. Sie trug ihr schwarzes Haar ganz glatt und lang, kleidete sich nur in Schwarz, schminkte ihr blasses Gesicht dramatisch mit dunklen Farben und glich mehr und mehr einer Figur aus einem Horrorfilm. Impulsiv griff Kim nach dem telefon und wählte aus dem Gedächtnis Loris Nummer. Seltsam, dachte sie. Sie hatte Lori seit mehr als vier Jahren nicht angerufen, aber sie erinnerte sich an die Zahlen, als sei es gestern gewesen. "Hallo", meldete sich Lori. "He, ich bins, Kim. Hast du nen Moment Zeit?" "Eigentlich nicht. Ich mache mich gerade für die Schule fertig, Kim", antwortete Lori geradeheraus. "Was gibts?" "Ich muss mit dir reden." "Na, dann schieß los." Loris Tonfall klang so, als wären sie noch immer die besten Freundinnen. "Nein, nicht am Telefon. Bist du heute in der Schule?" "So wie jeden Tag. Das weißt du doch. Kannst du mir nicht wenigstens einen kleinen Tip geben, worum es geht?" "Um eine ganz seltsame Sache, Lori. Ich weiß nicht, mit wem ich sonst darüber reden soll." "Nun, trotz allem, was du vielleicht gehört hast, befasse ich mich nicht mit Hexerei, Kim. Ich sehe vielleicht aus wie Morticia Addams, aber was Okkultismus angeht, habe ich null Ahnung." "Können wir uns wenigstens unterhalten?" flehte Kim. "Klar." Lori hielt einen Moment inne. "Hör zu. Ich habe eine Freundin in der Parker High School. Ihr Name ist Amber Crane. Das sagt dir nichts, oder?" "Nein." "Nun, sie ist dehr clever und kennt sich auf vielen Gebieten aus", erklärte Lori. "Warum treffen wir drei uns nicht einfach mal? Oder kann das, was du mit mir bereden willst, nicht so lang warten?" wollte sie dann wissen. "Muss es dann wohl", seufzte Kim. "Ist es denn echt so wichtig?" "Wichtig? Eher gruselig." "Warum redest du nicht mit Karrie und Janie? Ihr seid doch noch Freundinnen, oder?" "Janie ist zu jung, und Karrie tratscht alles an Jody weiter." "Und Jody soll nichts davon wissen?" fragte Lori leise. "Nein." "Also gehts um einen Typen." "Äh, sozusagen." Lori lachte. "Ich kenne Jody nicht gut, aber nach dem, was ich gehört habe, scheint er ziemlich eifersüchtig zu sein. Okay, genug davon. Warum kommst du nicht heute abend so um fünf vorbei? Ich rufe Amber an und sag ihr Bescheid. Sie ist noch ein bisschen verrückter als ich, aber sie ist in Ordnung." "Kann sie den Mund halten?" "Kim, sie geht auf die Parker High", wiederholte Lori. "Sie kennt unsere Freunde nicht einmal. Du brauchst dir wegen ihr wirklich keine Sorgen zu machen." Kim bekam plötzlich ein schlechtes Gewissen. "Es tut mir Leid, dass ich so lang nichts habe von mir hören lassen, Lori..." "He, das ist nicht deine Schuld. Ich hätte mich ja auch mal bei dir melden können. Vor ein paar Jahren sind wir eben auseinandergedriftet, und ich bin sicher, wenn das hier vorüber ist, werden wir wieder verschiedene Wege gehen. Aber ich spüre, dass du Hilfe brauchst. Hoffentlich können Amber und ich etwas für dich tun." "Das hoffe ich auch." Aber Kim hatte keine großen Erwartungen. Die Sache mit Wesley/Adonis war einfach zu verrückt. Lori und Amber würden vermutlich genauso fassungslos sein wie sie. Kapitel 4: ----------- Kapitel 4 ----------------- Kim war ganz aufgeregt, als sie später im Kunstunterricht das weiße Tuch von der Staffelei hob. Sie hatte weder mit Karrie noch mit Janie über die Eintragungen in ihrem Tagebuch gesprochen und auch ihr Gespräch mit Lori Sanders verschwiegen. Auf dem Schulweg war sie still und in sich gekehrt gewesen. Sie wusste, dass sie kein Sterbenswort über Adonis zu Karrie oder Janie sagen durfte. Sonst würde alles sofort bei Jody landen, und dann wäre der nächste Streit vorprogrammiert. Während Kim das Bild musterte, fiel ihr auf, dass sich etwas an seinem Haar verändert hatte. Es dauerte eine Weile, bis sie merkte, dass der Seitenscheitel jetzt auf der linken Seite war. Sie war sich sicher, dass sie ihn gestern rechts gemalt hatte. Hatte jemand in der Nacht heimlich an ihrem Bild gearbeitet? Nein, wohl kaum. Aber die andere Möglichkeit war unmöglich. Adonis konnte den Scheitel nicht selbst verändert haben. Oder etwa doch? "Wow!" staunte Miss Killen. Sie war leise herangetreten. "Was hast du mit dem Bild gemacht, Kim?" "Nichts", antwortete Kim schnell. Ob der Lehrerin die Veränderung wohl auffiel? "Nein, nein, da ist etwas anders als gestern", beharrte Miss Killen. Sie stand ungefähr zwei Meter entfernt, hatte die Hände in die Hüften gestützt und schaute in Adonis' dunkle Augen. "Es ist anders, aber es hat funktioniert. Mir gefällt es. Kim, du bist doch nicht etwa in der Nacht hergekommen und hast heimlich daran gearbeitet?" scherzte sie. "Nein, natürlich nicht!" protestierte Kim, obwohl sie das nur allzu gern getan hätte. "Gut, dann fang an", ermutigte sie Miss Killen. "Ich brenne darauf, zu erfahren, wie der junge Mann aussieht, wenn du fertig bist. Obwohl das Bild noch im Anfangsstadium ist, bin ich überzeugt, dass es bei der Ausstellung den ersten Preis machen wird." Normalerweise wäre Kim vor Freude ausgeflippt. Aber in diesem Moment hatte sie ganz andere Sorgen. Das Bild schien ein Eigenleben zu entwickeln, und sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Wesley/Adonis war so real geworden, dass sie davor zurückscheute, Farbe auf die Leinwand zu bringen. Sie hatte Angst davor, etwas falsch zu machen, und fürchtete sich gleichzeitig davor, das Portrait fertig zu malen. Wer weiß, was dann passiert, fragte sie sich heimlich. Wenn dieser Wesley/Adonis jetzt schon die Macht hatte, nachts etwas in ihr Tagebuch zu schreiben, was geschah dann erst, wenn das Bild fertig war? "Hast du heite Morgen etwa keine Lust, an deinem Traumtyp zu arbeiten, Kim?" fragte Karrie. Sie hatte ihr eigenes, langweiliges Projekt - die Kohlenstiftskizze eines modernen Einkaufszentrums - im Stich gelassen, um sich Kims Meisterwerk anzusehen. "Und ob", murmelte Kim. Ihr Atem stockte, während sie die Palette und die Farbtuben in die Hand nahm. Mit zitternden Fingern mischte sie einen Klecks Gelb mit Rot und Weiß und versuchte, die richtige Farbe für seine Haut zu finden. Noch bevor sie die erssten Pinselstriche wagte, war ihr klar, dass die Farbe nicht dunkel genug war. Einige Mitschüler waren herangekommen. Kim kam sich vor wie auf dem Präsentierteller, als sie ein klein wenig Braun zu der Farbe gab und sorgfältig untermischte. "Super cool!" rief Carla, eine Mitschülerin. Sie war ein kleines, zierliches Mädchen aus Chile. Ihre Augen glühten, als sie Adonis musterte. Plötzlich hatte Kim große Lust zu schreien. Haut doch alle ab und lasst mich in Ruhe, dachte sie. Früher hätte sie das Lob genossen. Aber mit diesem Bild wollte sie allein sein. Nervös begann sie Adonis Gesicht auszumalen und folgte den Bleistiftstrichen, die sie Dienstag gezeichnet hatte. Als sie das Bild mit der Spitze des Pinsels berührte, durchlief sie ein leichtes Prickeln. Es schien, als würde sie dem Bild mit jedem Farbtupfer Leben verleihen. Kim widerstand dem Drang, Palette und Pinsel hinzuwerfen und zu fliehen. Sie arbeitete stattdessen weiter und merkte kaum, dass sie mehrere Narben auf das attraktive Gesicht malte. Als es läutete, fühlte sie sich müde und ausgelaugt. Die dunklen Augen erwiderten ihren Blick so lebendig, dass ihr ein Schuer den Rücken hinunterlief. Mensch, am Freitag werde ich schon ganz fertig sein mit dem Bild, dachte sie. Doch sie wusste nicht, ob sie sich wirklich darauf freuen sollte. Amber Crane hatte orangerotes Haar, dass in viele unregelmäßige, kleine Zöpfe geflochten war. Große, grüne Augen beherrschten ihr Gesicht. Ihr Blick war einschüchternd. Ein ungewöhn-liches Mädchen, war Kims erster Eindruck. Kim hatte Amber bei Lori kennen gelernt. Jetzt waren die drei Mädchen in Kims Zimmer. Lori war größer als die beiden anderen, aber mit ihrem tiefausgeschnittenen, schwarzen Kleid und dem glatten schwarzen Haar wirkte sie auf dramatische Art recht anziehend. "Also, worum gehts?" fragte Amber, nachdem es sich die drei Mädchen bequem gemacht hatten. Lori und Amber saßen auf dem Bettrand. Kim nahm den einzigen Stuhl im Zimmer. Schnell erzählte sie ihnen alles von Anfang an. "Ist das nicht seltsam?" fragte sie dann unsicher. "Bin ich verrückt, oder kann so etwas wirklich geschehen?" "Beides." Amber lachte. "Aber für mich hört sich das alles gar nicht so ungewöhnlich an." "Nein?" Kim war überrascht. "Nein." Amber schüttelte den Kopf. Sie sah zu Lori. "Erinnerst du dich daran, dass wir vor kurzem über Reinkarnation gesprochen haben?" "Ja." "Hast du in letzter Zeit das Gefühl von déjà vu gehabt?" wandte sich Amber wieder an Kim. "Was ist das?" "Nun, du hast das starke Gefühl, dass du eine Situation schon einmal durchlebt hast, obwohl du weißt, dass das unmöglich ist." "Ich glaube nicht..." "Und ich glaube doch. Du hast erwähnt, dass du im Traum plötzlich Französisch verstanden hast, nicht wahr?" "Und?" "Bei einer Wiedergeburt ist es nicht ungewöhnlich, dass man Erfahrungen aus dem vorigen Leben wieder erlebt", erklärte Amber. "Du siehst oder hörst etwas, das dein Unterbewusstsein an etwas erinnert, was in der Vergangenheit passiert isst..." "Du glaubst, dass ich in einem früheren Leben mit diesem Typen befreundet war?" fragte Kim ungläubig. "Meine Meinung ist nicht wichtig. Nur, was du selbst empfindest, zählt. Ich habe das Bild noch nicht gesehen, aber ich bin sehr neugierig darauf. Wenn ich du wäre, würde ich alles tun, um mich an meine früheren Leben zu erinnern." "Wieso?" unterbrach Kim. "Es gibt ein altes Sprichwort: Wenn wir die Vergangenheit vergessen, sind wir dazu verdammt, sie noch einmal zu durchleben", erklärte Amber. "Etwas an der ganzen Sache gefällt mir nicht. Kim, du hast erzählt, dass der junge Mann auf deiner Originalskizze Narben hat?" "Ja." "Und wie ist es mit dem Gemälde? Hast du auch da die Narben hinzugefügt?" "Nicht absichtlich. Aber sie sind da." "Ich frage mich, woher er die hat." Amber runzelte die Stirn. "Was macht das für einen Unterschied?" Lori dachte laut nach. "Es könnte sehr wichtig sein. Wir haben keinen Hinweis, wass dieser Typ gelebt hat. Im Grunde wissen wir gar nichts über ihn. Aber jemand hat ihm diese Narben zugefügt. Vielleicht ist er daran gestorben - und an anderen Verletzungen." "Ich verstehe nicht, wovon ihr redet." Doch noch während Kim sprach, wurde ihr so heiß, als würde sie in Flammen stehen. Bevor sie kapierte, was geschah, stöhnte sie vor Schmerzen. "Was ist los?" rief Lori besorgt. "Ich... ich weiß es nicht!" Kim stieß die Worte keuchend hervor. Die unsichtbaren Flammen leckten an ihr, quälten sie. "Du durchlebst die Vergangenheit. Wahrscheinlich durchleidest du gerade deinen Tod", erklärte Amber sachlich. "Wieso? Was habe ich getan?" schluchzte Kim. Das Feuer drohte sie zu verbrennen. Sie sprang auf und schlug um sich. Panisch warf sie sich auf den Boden und wälzte sich hin und her, als wollte sie ein unsichtbares Feuer ersticken. Lori schrie entsetzt auf. Amber behielt die Nerven. Sie trat zu Kim, riss sie hoch und schlug ihr hart ins Gesicht. Kim war so geschockt von dem Schlag, dass sie den Schmerz vergaß. Das Feuer war weg. Sie stand jetzt mittem im Zimmer, mit einem roten Händeabdruck auf der Wange, und kam sich schrecklich albern vor. "He, spinnst du, oder was?" fuhr Lori Amber an. "Sie verbrannte", erklärte Amber ruhig. "Ich bin sicher, unsere Unterhaltung hat die Erinnerung an ihren Tod ausgelöst. Kim, es wäre klug, wenn du dieses Bild loswirst - bevor noch etwas anderes passiert." "Ist sie in Gefahr?" wollte Lori wissen. "Ganz sicher", antwortete Amber besorgt. "An deiner Stelle würde ich mich dem Bild nicht mehr nähern, Kim. Du hast doch Freunde, die dir helfen, oder?" "Ja..." "Dann lass sie das Bild vernichten", riet Amber. Es klang fast wie ein Befehl. "Komm nicht mehr in die Nähe des Bildes." "Aber es ist ein Projekt für eine Klassenarbeit", protestierte Kim. "Was ist dir wichtiger? Eine gute Schulnote oder dein Leben?" Kim brauchte diese Frage nicht zu beantworten. "Du hast gesagt, dass Kim eine Reinkarnation erlebt. Aber was ist mit diesem Typ? Diesem Adonis? Wie ist es möglich, dass er zum Leben erwacht, wenn sie an dem Bild arbeitet?" fragte Lori. "Okay, es hört sich unglaublich an, aber seine Seele scheint an ihre gekettet zu sein. Man nennt das 'huckepack reiten'", antwortete Amber. "Huckepack?" Kim konnte es nicht fassen. Das war doch ein Spiel für Kinder. Amber nickte. "Ich weiß, es ist ein blöder Ausdruck, aber so wirds nun mal genannt. Als du gestorben bist, ist sein Geist irgendwie mit dir gegangen. Ich bin sicher, dass er die ganze Zeit bei dir war und nur auf eine Chance gewartet hat, wieder geboren zu werden. Kim, du hast wahrscheinlich noch andere Leben vor diesem hier gelebt..." "Meinst du das ernst?" "Ja", versicherte Amber ihr. "Aber aus Gründen, die ich nicht erklären kann, ist es diesem Kerl bisher nicht gelungen, zu dir durchzudringen. Irgendwie hast du ihn in deinen Träumen oder sonst wo gesehen, und das hat dich dazu gebracht, sein Bild zu zeichnen. Anscheinend hat das genügt, um ihn zurückzubringen." "Aber was will er?" Kim war genauso erschüttert von diesen Enthüllungen wie von den unsichtbaren Flammen, die sie vor einem Moment zu verbrennen drohten. Sie hoffte, dass sie diese qualvolle Erfahrung nie wieder machen musste. "Sein Leben zurück? Rache? Wieder der sein, der er vorher war? Wer war er überhaupt? Wir können es nicht wissen. Und das macht die Sache so unglaublich gefährlich." "Muss ich mich vor ihm fürchten?" überlegte Kim laut. "Ich habe bereits Angst vor ihm", gab Amber zu. "Große Angst. Denk daran, wir tappen völlig im Dunkeln." "Okay, Mädels, ich melde mich freiwillig. Eine muss es ja machen. Wenn du willst, gehe ich morgen in der Schule hin und hole sein Bild", bot Lori an. "Ich kanns ja runter in den Keller bringen und in das Feuer des Heizungskessels werfen." Sie hielt inne und sah Amber fragend an. "Das wäre doch das Beste, oder?" "Ich hab keine Ahnung", gab Amber zu. "Ich rate Kim nur, das Bild nicht mehr anzufassen." "Keine Sorge. Du hast mich überzeugt." Kim wünschte sich, sie hätte nie mit der Skizze von Adonis angefangen. "Du bist also einverstanden, dass ich es morgen aus der Welt schaffe?" fragte Lori. Kim nickte. Sie hatte bei dieser Vorstellung ein total schlechtes Gewissen, und sie hatte keine Ahnung, warum. Am Freitagmorgen stand Lori zu ihrem Wort. Sie kam früh in die Schule und ging direkt in Miss Killens Klassenraum. Überrascht stellte sie fest, dass nicht einmal abgeschlossen war. Ein kalter Wind streifte sie, als sie in das Klassenzimmer trat. Lori schaute zu den Fenstern. Sie waren alle fest verschlossen. Sie erschauerte und fragte sich, wo der eiskalte Luftzug hergekommen war. Schnell lief sie zu Kims Staffelei. Als sie sich dem Bild näherte, gefror das Blut in ihren Adern. Es kam ihr so vor, als sei sie im Begriff, ein schreckliches Verbrechen zu begehen. Dabei hatte sie Kims Einverständnis, das Bild zu zerstören. Lori besaß normalerweise starke Nerven, aber jetzt hatte sie zwei linke Hände, als sie ungeschickt versuchte, das Bild von der Staffelei zu nehmen. Es war unfassbar, aber die Leinwand brannte unter ihren Fingern. Sie konnte die Hitze kaum ertragen. Ich mache einen furchtbaren Fehler, schoss es ihr durch den Kopf. Sie wusste nicht, woher dieser Gedanke kam, aber er drängte sich ihr geradezu auf. Schließlich riss sie die Leinwand mit einem Ruck herunter, rollte sie fest auf und ging zur Tür. Jetzt kam der schwierigste Teil. Sie musste den Flur entlang zur Treppe, die in den Keller führte -und zum Heizungskessel. Loris Herz schlug wie wild, während sie die Stufen hinunterrannte. Sie wollte es möglichst schnell hinter sich bringen. Inzwischen tat es ihr schon Leid, dass sie sich freiwillig gemeldet hatte. Klar, sie mochte Kim - aber nicht so sehr, um ihr Leben für sie zu riskieren. Je mehr sie sich dem Heizungskessel näherte, desto unsicherer wurde sie. Warum taucht keiner der Hausmeister auf und jagt mich zum Teufel? dachte sie. Die Kerle sind immer nur dann da, wenn man sie nicht brauchen kann. Sie hatte wirklich große Lust, das Bild einfach in eine dunkle Kellerecke zu werfen, wo es nie mehr das Tageslicht erblicken würde. Es musste ja nicht direkt verbrannt werden, oder? Aber sie hatte es Kim versprochen... Lori begegnete keiner Menschenseele. Sie näherte sich vorsichtig dem riesigen Ofen. Er strahlte eine enorme Hitze aus. Schweiß strömte über ihren Körper. Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Sie nahm einen eisernen Haken und öffnete damit die Ofentür. Plötzlich hörte sie eine Stimme mit starkem, französischem Akzent. "Törichtes Mädchen." Sie klang belustigt und gleichzeitig furchteinflößend. Lori zuckte zusammen. Woher kam diese Stimme? "Wer ist da?" rief sie zitternd und sah sich um. Alles war leer. "Wer versucht, mich zu töten, muss sterben", erklang die Stimme wieder. Lori schrie auf. Ein heftiger Schmerz durchzuckte sie. Jemand hatte ihr ein Messer in den Rücken gestoßen. Schreiend fiel sie zu Boden und landete auf dem Gesicht. "Heute ist ein guter Tag zum Sterben." Die Stimme schien keinen Meter entfernt. Lori wurde schwarz vor Augen. Sie fiel in Ohnmacht. Das war ihr Glück, denn der unheimliche Angreifer hielt sie für tot und ließ von ihr ab. Kapitel 5: ----------- Kapitel 5 ----------------- Kim saß in der ersten Unterrichtsstunde, als sie die Sirenen des Notarztwagens hörte. Sie schaute aus dem Fenster und fuhr hoch, als sie sah, dass ein Krankenwagen vor der Schule hielt. "Kim, darf ich auch um deine Aufmerksamkeit bitten?" ermahnte sie Mr. Fane, der Biologielehrer scharf. "Ja, Sir." Der alte Trottel. Der wartete geradezu auf die kleinste Gelegeneit, um einen Verweis zu erteilen. "Ich bin sicher, du hast schon einmal einen Krankenwagen gesehen", spottete er. "Natürlich, Sir." Lass mich endlich in Ruhe, dachte sie. Zum Glück wurde ihre Bitte erhört. In der Pause versuchte sie verzweifelt herauszufinden, was geschehen war. Matt Klinger klärte sie schließlich auf. "Sie bringen diese komische Type, diese Lori Sanders, weg", erzählte er aufgeregt. "Sie bringen sie weg?" Kim war entsetzt über die Neuigkeit. "Was soll das heißen?" "Keine Ahnung was mit der los ist." Matt zuckte mit den Schultern. "Sie haben sie auf ner Bahre rausgetragen. Sie war noch weißer im Gesicht als sonst." "Bist du sicher, dass es Lori war?" "He, jeder kennt Lori Sanders", verteidigte er sich. "Klar war sie's." Kim war außer sich vor Sorge. Lori hatte früh in die Schule kommen wollen, um das Bild von Adonis zu vernichten. Nein, er hat gesagt, er heißt Wesley, verbesserte sie sich unbewusst. Okay, Wesley. Was war passiert? Hatte jemand Lori daran gehindert? Zum Glück stand als Nächstes Kunst auf dem Stundenplan. Statt zuerst an ihren Platz zu gehen, eilte Kim sofort zu ihrer Staffelei. Geschockt stellte sie fest, dass die Leinwand immer noch mit dem weißen Tuch verdeckt war. Nervös riss sie den Stoff herunter und stand Wesley gegenüber. Einem ganz anderen Wesley. Sein Haar war total durcheinander. Es war völlig zerzaust, als wäre er gerade eine lange Strecke schnell gelaufen. Vorsichtig berührte Kim seine Wangen. Ihre Fingerspitzen wurden feucht. Aber das kam nicht von der Farbe. Nein, nein, das kann nicht sein, schrie alles in ihr. Ein Bild kann nicht schwitzen! Die Sache wurde immer gruseliger. Völlig verwirrt ließ Kim das Tuch über das Bild fallen und ging zu ihrem Platz zurück. "Alles okay?" Karrie hatte sofort erkannt, dass etwas nicht stimmte. "Nein, nichts ist okay." Kim seufzte. "Was ist los?" Janie wartete nicht auf Kims Antwort. "Du kannst es sicher nicht erwarten, weiter an Adonis zu arbeiten, stimmts?" Kim schwieg. Sie hatte Angst, etwas zu sagen. Außerdem wollte sie Janie nicht grob anfahren. Janie konnte schließlich nichts dafür, dass Kim soviel Stress mit ihrem neuen Kunstprojekt hatte. "Guten Morgen", begrüßte Miss Killen die Schüler, während sie in die Klasse eilte. "Guten Morgen", erwiderten alle im Chor. Miss Killen überprüfte die Anwesenheitsliste, dann sagte sie: "Gut, dann wollen wir mit den angefangenen Bildern weitermachen." Die Klasse stöhnte. "Tut mir Leid, aber wir können uns nicht jeden Tag einen Film ansehen", erklärte die Lehrerin fest. "Kommt, lasst uns anfangen." Unter mürrischem Gemurmel gingen die Schüler zu ihren Arbeitsplätzen. Alle, außer Kim, die an das Pult ihrer Lehrerin trat. "Darf ich sie etwas fragen?" "Aber sicher, Kim. Was gibts?" "Ich habe gehört, dass Lori Sanders vom Krankenwagen weggebracht worden ist. Wissen Sie etwas darüber?" "Ja," gab Miss Killen zu. "Aber ich darf nicht darüber reden." Kim hatte plötzlich einen ganz trockenen Mund. "Wird sie wieder gesund werden?" "Es tut mir Leid, Kim, aber ich darf im Moment wirklich nichts sagen." Dann lächelte sie und fuhr fort: "Willst du heute Morgen nicht an Adonis arbeiten?" Kim ignorierte die Frage. "In welches Krankenhaus hat man sie gebracht?" "Ins Klinikum", antwortete Miss Killen. "Aber sie darf in nächster Zeit noch keine Besucher empfangen - außer der engsten Familie." Das war Kim egal. Sie musste unbedingt herausfinden, was mit Lori passiert war. Ich bin schuld, dachte sie und machte sich bittere Vorwürfe. Ich habe Lori in die Sache reingezogen, und jetzt liegt sie im Krankenhaus! "Komm, Kim!" Janie riss sie aus ihren Gedanken. Sie trat zu Kim und Miss Killen. "Du musst die letzten Pinselstriche machen!" "Mir ist heute nicht nach Malen zumute", murmelte Kim. Sie hatte Angst, einen weiteren Blick auf ihr geheimnisvolles Projekt zu werfen. "Stimmt etwas nicht, Kim?" fragte Miss Killen und betrachtete ihre Lieblingsschülerin neugierig. "Nein, alles klar", versicherte Kim schnell. "Ich... ich hab heute einfach keine Lust zu malen, das ist alles", fügte sie hinzu. "Aber, Kim. Du kannst dich wirklich freuen", ermutigte Miss Killen sie. "Dein Adonis ist ein wunderbares Kunstwerk." "Also, erst mal heißt er Wesley", stellte Kim richtig. "Und zweitens fehlt mir heute... na, mir fehlt die Inspiration. So ist das eben bei Künstlern." "Wer hat behauptet, dass er Wesley heißt?" fragte Janie aufgeregt. "Er selbst." Kim war klar, dass sich weder die Lehrerin noch ihre Freundinnen mit dieser Antwort zufrieden geben würden - obwohl es der Wahrheit war. "Oh, er spricht mit dir?" Miss Killens Tonfall war ernst. Sie machte sich offenbar nicht über Kim lustig. "Ja." Kim wappnete sich. Mal hören, ob Janie auch ihren Senf dazugeben würde. "Dann nennen wir ihn Wesley", beschloss Miss Killen. "Was ist schon ein Name?" "Mir ist es egal, wie du ihn nennst. Von mir aus Donald Duck", fügte Janie hinzu. Sie war frustriert und enttäuscht, dass Kim streikte. "Ich möchte nur endlich sein vollständiges Gesicht sehen." "Ich machs am Montag. Ehrlich", versprach Kim, obwohl sie sich gar nicht so sicher war. Von mir aus kann jemand das verdammte Bild nehmen und zerfetzen, dachte sie. Mich interessiert viel mehr, was mit Lori passiert ist. Dieser Sache musste sie gleich nach dem Unterricht auf den Grund gehen. "Du hast zu hart daran gearbeitet, um so kurz vor Schluss einfach aufzuhören. Das wäre schade", bedauerte Miss Killen. "Aber ich gebe dir die Note 'sehr gut', einfach schon auf Grund dessen was du bisher geleistet hast." "Danke", murmelte Kim. Schulnoten waren ihr im Moment wirklich völlig egal. "Womit willst du dich denn beschäftigen, wenn du nicht malen willst?" fragte Janie. "Vielleicht sehe ich dir ein Weilchen zu", fuhr Kim sie an. "Schauen wir doch mal, was du so kannst." Janie war tief getroffen. Beide wussten, dass sie keine große Künstlerin war. Sie konnte sich nicht an Kim messen. Dies lag nicht nur daran, dass Janie jünger war. Kim war ein Naturtalent. Janie musste sich sehr anstrengen, um wenigstens eine Drei im Kunstunterricht zu bekommen, und es war nie die Rede davon gewesen, eine ihrer Arbeiten auszustellen. Beleidigt zog sie ab. "War das nötig, Kim?" fragte Miss Killen leise. "Ach, keine Ahnung, was heute mit mir los ist." Kim seufzte. Sie konnte der Lehrerin nicht verraten, was sie am meisten beschäftigte: Wie ging es Lori? Trotzdem ging sie zu Janie hinüber. "Tut mir Leid, Janie", sagte sie leise. "Ich weiß auch nicht, warum ich heute so genervt bin." Janie lächelte sie erleichtert an. "Macht doch nichts. Haben wir doch alle mal." Kim verbrachte den Rest der Stunde damit, Karrie und Janie beim Zeichnen zuzusehen. Keins der Mädchen war wirklich gut. Sie weigerte sich standhaft, Farbe auf die Leinwand zu bringen. Wer konnte sagen, was für verheerende Folgen das haben würde? Während der Pause ging sie zu Jody, der mit seinen Freunden zusammensaß. "Kannst du mich ins Klinikum fahren?" fragte sie ihn, sobald sie ihn zur Seite gezogen hatte. "Ist dir schlecht oder so was?" "Nein, es geht nicht um mich, sondern um Lori Sanders. Es ist ihr etwas zugestoßen. "Ja, man hat auf sie eingestochen." "Eingestochen?" rief Kim entsetzt. "Bist du sicher?" "Klar. Peter Colbert hat sie gefunden." Colbert war ebenfalls Footballspieler und ein guter Freund von Jody. "Er hat Müll in den Keller gebracht, und da lag sie vor dem Heizungskessel in einer Blutlache." Kim traute ihren Ohren kaum. Was war Lori im Keller zugestoßen? Was hatte sie dort unten zu suchen? Wollte sie tatsächlich die Leinwand verbrennen? Wenn das stimmte, wie war das Bild dann zurück ins Klassenzimmer gekommen? Ein neues Geheimnis, vor dessen Aufklärung sie panische Angst hatte. "Wird sie wieder gesund?" fragte sie und merkte, wie ihr richtiggehend übel wurde bei der Vorstellung, was mit Lori passiert war. "Ihr Zustand war kritisch. Aber sie hatte Glück, dass Pete sie so schnell gefunden hat. Etwas später und sie wäre verblutet. Ich hab gehört, die Sanitäter haben noch im Krankenwagen eine Bluttransfusion machen müssen. "Aber sie ist nicht mehr in Lebensgefahr, oder?" fragte Kim ängstlich. Alles in ihr wehrte sich gegen den Gedanken, dass Lori sterben könnte, nur weil sie versucht hatte, ihr zu helfen. Kim wusste, sie würde in ihrem ganzen Leben keine ruhige Minute haben, wenn das geschah. "Nein, sie kommt wieder in Ordnung. Allerdings braucht sie viel Ruhe", erklärte Jody. Plötzlich wurde er stutzig. "He, warum interessierst du dich so für sie? Ihr seid doch nicht mal befreundet." "Wir waren einmal sehr gute Freundinnen", erinnerte Kim ihn. "Das war lange, bevor wir zwei miteinande gingen." "Vor meiner Zeit? Dann ist es nicht so wichtig." Er schüttelte den Kopf. "Wieso glaubst du, dass man dich im Krankenhaus überhaupt zu ihr lässt? Du gehörst nicht zur Familie." "Das lass mal meine Sorge sein", erklärte Kim tollkühn. "Fährst du mich jetzt oder nicht? "Muss ich ja wohl", antwortete er unwillig. "Wie lange soll das Ganze denn dauern?" "Solange es eben dauert", fuhr Kim ihn an. "Brich dir wegen mir bloß keinen Zacken aus der Krone!" "He, nun werd nicht gleich sauer. Ich hab schließlich deiner Lori nichts getan." Kim seufzte. Sie war es satt, ständig mit Jody zu streiten. Warum musste er alles immer so kompliziert machen? "Fahr mich nur hin. Mehr will ich nicht." Im Klinikum ging Kim sofort zur Information. Dort erfuhr sie, dass Lori Sanders immer noch auf der Intensivstation lag. "Sie darf noch keinen Besuch haben", erklärte die Krankenschwester. "Erst, wenn sie wieder in ihrem Zimmer ist. Aber auch dann darf nur ihre Familie zu ihr." "Ich bin ihre Schwester", schwindelte Kim lächelnd. "Nun, sie wird heute noch aufs Zimmer verlegt werden. Ich würde dir nicht raten zu warten. Es kann noch Stunden dauern." "Aber sie ist außer Lebensgefahr?" "Im Moment scheint es so. Sie bleibt allerdings noch eine Zeit auf der Intensivstation. Wir dürfen kein Risiko eingehen." "Hast du schon das Neueste von Lori gehört?" begann Kim. "Nein, was ist mit ihr?" fragte Amber. Es war sechs Uhr abends, und sie unterhielten sich am Telefon. "Sie ist im Krankenhaus." "Im Krankenhaus?" rief Amber. "Was ist ihr passiert?" "Anscheinend wurde sie niedergestochen", erklärte Kim. Sie hasste es, die schlechte Nachricht überbringen zu müssen. Aber Amber musste so schnell wie möglich informiert werden. "Niedergestochen?" fragte Amber entsetzt. "Von wem?" "Das möchte ich auch gern wissen. Sag mal, hältst du es für möglich, dass Wesley es getan hat?" "Alles ist möglich", gab Amber zu. Sie klang sehr erregt. "Erzähl mir, was passiert ist." "Das weiß ich nicht genau. Du weißt ja, Lori wollte heute morgen früher in die Schule kommen, um Wesleys Bild zu zerstören, und jetzt ist sie im Krankenhaus. Stell dir vor, jemand hat ihr ein Messer in den Rücken gestoßen." "Konntest du schon mit ihr sprechen?" "Nein", sagte Kim unglücklich. "Man hat sie ins Klinikum gebracht. Ich bin hingefahren, aber sie liegt noch auf der Intensivstation. Amber, hast du einen Führerschein?" "Klar." "Könnten wir hinfahren?" "Jetzt sofort?" "So bald wie möglich", sagte Kim mit Nachdruck. "Bist du gerade sehr beschäftigt?" "Nein, aber..." "Es ist noch früh", erwiderte Kim. "Ja, es ist noch früh", stimmte Amber langsam zu. "Aber es wird bald dunkel draußen. Und irgendetwas sagt mir, dass dein Wesley lebendig geworden ist und dich im Auge behalten wird. Und auch alle, mit denen du zusammen bist." "Glaubst du im Ernst, dass er hinter uns herkommt?" Kim hätte sich nie träumen lassen, dass sie wegen einer Figur, die sie malte, in Gefahr schweben könnte. "Wir wissen nicht viel über ihn, stimmts?" "Du sprichst von ihm, als sei er ein richtiger Mensch." Kim erschauerte unwillkürlich. Schließlich hatte sie genau das Gleiche getan. War Wesley lebendig genug, um Lori niederzustechen? "Amber, könnte er ihr das Messer in den Rücken gestoßen haben, um zu verhindern, dass sie die Leinwand ins Feuer wirft?" "Erstens muss ich dir gestehen, dass diese Sache meine Erfahrungen bei weitem übersteigt. Zweitens, ja, mein Gefühl sagt mir, er würde alles tun, um zu verhindern, dass sein Bild zerstört wird." "Auch einen Mord begehen?" "Ganz sicher - auch einen Mord begehen." Kim stöhnte. Das war alles nicht fair! Sie hatte das beste Kunstwerk ihres Lebens geschaffen, und jetzt versuchte dieses Ding, sie zu töten. Sie klammerte sich an einen Strohhalm. "Aber ich dachte, Wesley und ich, nun, wir wären früher ein Liebespaar gewesen." "Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wir haben weder einen Beweis für das eine noch für das andere. Wenn er jedoch glaubt, dass du ihn vernichten willst, kann niemand vorhersagen, was er dir antun wird." Sie senkte die Stimme. "Oder mir, weil ich dir geholfen habe." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)