Jacky von abgemeldet
(let the game start)
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Prolog: New York
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Niemand kann meine Geschichte erzählen...
Niemand außer mir...
Wer ich bin?
Sie nannten mich Jacky...
1. : New York
Ich befinde mich im zerstörten New York des Jahres 2388. Die Welt wurde durch
ein gigantisches Erdbeben sprichwörtlich "aus den Angeln" gehoben. Wer
überlebt hat, findet sich in vollkommen verwüsteten Städten und Dörfern oder
der totalen Wildnis wieder.
Sie nannten es nur "Das Chaos" und dachten nicht, dass sich irgendwann wieder
eine gutfunktionierende Zivilisation entwickeln könnte.
Wer SIE sind? Alle Wirtschafts- und Politikbosse, die durch einen
widerlich-geplanten Zufall überlebt hatten...Nennen wir es einfach das Wunder
von Geld und Technik.
Sie hatten sich einfach Flugzeuge, Helikopter und andere fliegende Gefährte
genommen und die Zeit des Erdbebens in der Luft verbracht. Die Luft bebt
schließlich nicht mit und wer es sich leisten kann, ließ die arme Bevölkerung
gerne auf dem Boden der Tatsachen zurück, wenn er selbst einen Nutzen daraus
hatte.
Dieses große Beben lag nun fast 4 Jahre zurück.
3 Jahre, in denen die restlichen Bewohner der "Hauptstadt der Welt" verzweifelt
versucht hatten, der Millionenstadt ihr Ansehen und ihren Glanz zurückzugeben.
Leider war es ihnen nur teilweise gelungen, denn viele der Sehenswürdigkeiten
waren durch Erdrutsche und Verwüstungen zerstört wurden. Nur die
Freiheitsstatue stand noch wie ein Mahnmahl im Hafen der Stadt und machte einen
irgendwie trostlosen Eindruck.
So bewege ich mich nun zu Fuß durch die Straßen und halte nach bekannten
Gesichtern Ausschau. Die meisten meiner Freunde waren vor 3 Jahren ums Leben
gekommen oder verschwunden und auch meine Eltern hatte ich seid diesen
schicksalhaften Tagen nicht mehr wieder gesehen. Als sich die Welt für mich
eine Runde weiter drehte, war ich gerade einmal 14 Jahre alt gewesen. Niemand
hatte mich auf die schlimmen Dinge, die noch kommen sollten vorbereitet, denn
ich war in der Welt, die nun neu entstand, nicht besonders gerne gesehen...
Meine Eltern hatten es anscheinend zu gut mit mir gemeint, denn sie hatten mich
noch vor meiner Geburt genetisch "bearbeiten" lassen...Sie steigerten meine
Intelligenz und Schnelligkeit. Menschen wie mich behandelte man wie Aussätzige,
weil sie mich gleich an meiner Tattoovierung am Oberarm erkannten. Man hatte
mir als junges Mädchen ironischer Weise ein Friedenszeichen verpasst. Warum man
genau dieses Zeichen wählte, bleibt für mich ein unverständliches Geheimnis,
weil doch mit meiner "Bearbeitung" so viel Leid, Schmerz und Hass verbunden
waren. Zu meinem persönlichen Glück hatte sich aber auch der Treibhauseffekt
durch die Naturkatastrophen gewaltig verzögert. Die Durchschnittstemperatur war
weltweit gesunken und deshalb war es möglich, mein Erkennungszeichen unter
langen, dicken Kleidungsstücken zu verbergen. Nur meine Haare wiesen mich noch
als Mädchen der "alten Generation" aus...denn sie sind schon seid 4 Jahren so
violett wie die Glockenblume, die auf der Erde bis 2010 noch blühte... Meine
Eltern hatten es als Fehler angesehen, dass ich mir meine Haare dauerhaft
colorierte als ich 13 Jahre alt war...aber es war in und als rebellischer
Teenager tut man schließlich immer genau das, was die Eltern nicht wollen...
Aber nicht nur Klima und Vegetation hatten unter dem Erdbeben zu leiden, sondern
auch die Einteilung der Erde in Kontinente... Was früher undenkbar gewesen
wäre, ist nun für alle Menschen zur harten Realität geworden. New York war
eine Insel und hatte sich vom Rest des Nordamerikanischen Kontinents gelöst.
Auch Teile von Europa "schwammen" nun völlig ziellos wirkend in den Ozeanen
herum. Italiens gewohnte Stiefelform gehörte ebenfalls der Geschichte an...
Auch die Menschen hatten sich verändert...Sie mussten lernen, sich an kleineren
Dingen zu Erfreuen und taten dies mit einer Entschlossenheit, die für die
arrogante Erdbevölkerung nicht gerade gewöhnlich war. Mein Weg führt mich
auch durch die ehemaligen Slums unserer Großstadt. Heute kann man sie kaum von
ihrer Umgebung unterscheiden, denn auch die ehemaligen Villenviertel werden von
armen Menschen auf den Gehsteigen bevölkert und an Samstagen trifft man sie,
wenn sie ihre letzten Waren oder manchmal sogar sich selbst auf diesem Boulevard
der Armut anpreisen.
Auch die hochgepriesene Technik ist sang und klanglos untergegangen. Was man
früher als technische Steinzeit beschrieben hatte, war wieder eingetreten. Vor
3 Jahren hätte sich niemand vorstellen können, dass er einmal ohne
Luftdruckfahrzeuge oder einfache Küchenroboter klarkommen müsste, denn diese
wurden zusammen mit dem Hauptcomputer für Technik vollkommen zerstört. Wer
noch ein altes Auto oder ein Fahrrad besaß, gehörte nun zur angeseheneren
Bevölkerung, da er sich freier bewegen konnte als der Rest. Leider gehörte ich
nicht zu diesen Glücklichen und musste meinen Weg durch die Stadt
größtenteils zu Fuß zurücklegen. Der letzte Luxus, denn ich mir noch leisten
konnte, war mein altes Bildhandy gewesen... ein treuer Begleiter durch die
Stadt.
4 Stunden bin ich nun schon unterwegs... und das nur, weil ich heute für das
Einkaufen verantwortlich bin.Wenn ich bei meinem Ziel ankomme, werde ich
sicherlich weitere Stunden mit dem Anstehen in der Schlange verbringen müssen.
Der Lebensmittelstand steht in der Nähe des alten Medicine-Hospitals, das
früher einmal zu den angesehensten Krankenhäusern des Landes gehörte. Heute
haben sie selten die Mittel, ihre Patienten richtig zu behandeln und auch
Impfstoffe können schon lange nicht mehr hergestellt werden...Würde jetzt eine
Seuche ausbrechen, wären die Einwohner New Yorks in rasantem Tempo davon
betroffen und wahrscheinlich auch bald nicht mehr unter den Lebenden. Die
Wissenschaft war vollkommen zum Stillstand gekommen und man musste sich mit
Wunden oder Erkältungen selber helfen, da die nötigen medizinischen
Materialien und Kenntnisse fehlten.
Wahrscheinlich waren wir "Genos" doch dafür bestimmt, einmal die Welt zu
verändern, denn mit der zugespitzten Intelligenz und ein bisschen Glück, wäre
es uns sicherlich möglich eine neue medizinische Versorgung zu ermöglichen
oder das Staatssystem neu aufzubauen, denn aus der ehemaligen Demokratie war
eine Herschafft des Geldes und der Mächtigen geworden. Nur einmal in der Woche,
wurde New Yorks Bewohnern die Möglichkeit geboten, ihre Einkäufe zu tätigen.
Um Lebensmittel oder Haushaltswaren zu bekommen, musste man diese gegen Benzin
oder Elektrowaren eintauschen. Der Schwarzmarkt blühte geradezu und wer keine
dieser Luxusgüter besaß, konnte auch nicht essen.
Dadurch war auch die Kriminalitätsbereitschaft der Menschen in die
Unendlichkeit angestiegen. Die Armen beklauten die Reichen, die Ärmeren die
Armen und so weiter... Ich habe schon mit ansehen müssen, wie zwei Obdachlose
sich wegen einer Flasche Bier gegenseitig zu Tode geprügelt hatten. Am Schluss
des Kampfer ging die Flasche kaputt und mit ihr, hauchten auch ihre Besitzer den
letzten Lebenswillen aus...
Straßenkämpfe beherrschen die Stadt in der Nacht. Gangs sind auf der Suche
nach billigem Sex oder geben ihrer Wut, auf die Umstände in der Stadt, durch
Zerstörung und Mord Ausdruck. Morgens sind die Straßen voll Blut und man hört
Kinder um ihre Mütter weinen, die von ihren "nächtlichen Jobs" einfach nicht
wiedergekommen sind...
Also was hält mich noch in einer kaputten Welt wie dieser?
Die Angst...um meine Familie und neu gewonnenen Freunde.
Ich werde etwas verändern... Wir werden der Welt helfen...
Wie? Das weiß keiner so genau...
Kapitel 1: What comes around goes around
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2.: What comes around goes around...
Die Schlange ist noch kurz zu dieser frühen Tageszeit.
Das erste Licht spiegelt sich in den metallenen Dächern der alten Wohncontainer
wieder. Unter den "Anstehenden" erkenne ich auch einige bekannte Gesichter. Ganz
vorne steht eine alte Frau mit Krückstock. Ich glaube sie schon mein Leben
lang zu kennen, denn sie gehört zu New Yorks bettlerischer Gestalt wie kein
anderer. Im hohen Alter von 80 Jahren hat sie noch 5 Kinder zu versorgen...dass
es ihre Eigenen sind, bezweifle ich zwar stark, aber das zeugt noch mehr von
ihrer absoluten Aufopferung für andere Menschen. Sal ist das, was man einem
trüben Morgen wie heute als Engel bezeichnen könnte. Ich habe ihr schon oft
angeboten, mit ihren Kindern zu uns zu ziehen. Dieses Angebot hat sie aber
mehrmals mit sanfter Bestimmtheit abgelehnt, weil wir, wie sie sagte "schon
genug hungrige Mäuler zu versorgen und zu stopfen" hätten...Wahrscheinlich hat
sie recht, denn wenn ich daran denke, dass ich gleich versuchen werde einen
Discman, 10 Batterien und 3 Liter Benzin gegen Essen für 8 Personen
einzutauschen, bekomme ich ein ganz mulmiges Gefühl... es wird wieder nicht
für alle reichen...
Sal winkt und lächelt mich an, als sie mit etwas Trinkwasser und Brot für ihre
Kinder abzieht. Wie es aussieht, wird auch ihre Familie diese Woche etwas
zurückstecken müssen.
Ich rücke diesem heuchlerischen "Changer" immer näher... Er macht ein gutes
Geschäft mit seinen Waren, denn alle New Yorker sind von ihm so abhängig wie
von der Luft, die wir alle täglich atmen...
Das erklärt wahrscheinlich auch die Harley Davidson, die hinter seinem kleinen
Stand geparkt ist und vor Geld nur so zu blitzen scheint. Jeder Junge dieser
Zeit würde sich eine Maschine wie diese wünschen, aber auch ich würde alles
dafür geben um sie zu besitzen und ihr ihren alten Glanz zurück zu geben.
Früher war die letzte Bauart der Harley ZV78 ein Symbol für Freiheit und
Unabhängigkeit, aber heute diente sie nur noch dazu, die Armen von den Reichen
zu trennen.
Und dieses fiese Schwein stellte sich damit auf einen Platz mit 100en von armen
Seelen um ihnen ihre Nichtigkeit zu demonstrieren... Vielleicht würde sich ja
irgendwann mal die Gelegenheit ergeben, ihm dieses Privileg abspenstig zu
machen...
Mit diesen letzten Gedanken stehe ich ihm nun auch schon gegenüber und weiß
nicht einmal seinen Namen. Er scheit mit gegenüber aber nicht so unwissend zu
sein...
"Na Jacky, was haste denn heute für mich? Geht es deinen Leuten gut? Wie nennt
ihr euch doch gleich??"
Auch mein süßestes Lächeln konnte meine Abneigung ihm gegenüber nicht
verbergen...
"Nicht viel Changer, ein bisschen Kleinkram und eine ältere Ausgabe des
"Discman"...nächste Woche kann ich ihnen auch noch ein paar der älteren CD's
mitbringen. Den Fabrics geht es den Umständen entsprechend gut..." Ich musste
mir jedes Wort herauswürgen um ihm nicht meine vollkommene Verachtung
entgegenzubringen, denn dadurch würde unser kleines Tauschgeschäft nur noch
erschwert werden.
" Changer???" Gab er gespielt freundlich zum Ausdruck. "Warum denn so förmlich
Süße? Nenn mich doch Bennet...Fabrics also?
Ein nettes Wortspiel, wenn man bedenkt, dass ich doch alle in Fabriken
"hergestellt" wurdet..." "
Tja Changer... eigentlich stammt der Name davon, dass wir in einem alten
Fabrikgebäude hausen, aber danke dass du mir auf diese nette Weise zu verstehen
gibst, dass wir keine menschlichen Wesen sind...und jetzt entschuldige mich
bitte, denn ich muss meinen genmanipulierten Hintern wieder in Richtung meiner
Geburtsstätte - der Fabrik - bewegen, denn ich habe 8 Leute mit Essen zu
versorgen und leider nicht den Luxus von Auto oder MOTORRAD... also wenn du dann
so freundlich wärst meine Waren einzutauschen???"Mein Blick ruhte nun wieder
auf seiner Harley und ich war mir sicher...dass er sie nicht mehr lange fahren
würde...dafür würde ich schon sorgen.
Normaler Weise hatte ich nie Probleme damit meinen Zorn zu verstecken oder
wenigstens für eine Weile zu bändigen, aber gerade fällt es mir sogar
ziemlich schwer dieses kleinkarierte Arschloch nicht über seinen dreckigen
Tresen zu ziehen...
"Ach komm...jetz werd doch nich zickig Süße...wir haben alle unsere Laster zu
tragen...ich bin zum Beispiel kronisch gutaussehend ohne etwas an mir machen zu
lassen und du bist... na ja, klug wahrscheinlich...und eigentlich auch recht
nett anzusehen...also...wie wär's mit uns Beiden?"
"Danke nein...kein Interesse...aber was kannst du mir denn spannendes für meine
Waren anbieten?" "Nimm dir was du brauchst... du wirst dich mir gegenüber doch
sicherlich erkenntlich zeigen, oder?" sein anzügliches Lächeln widerte mich
an... Ich nahm mir trotzdem 3 Brote, ein Stück Seife und einen großen Kanister
Wasser mit. Für die Kleinen fand ich noch ein Paar TafelnSchokolade, die ich
schnell einsteckte, bevor er davon Wind bekam...
Da steht er auch schon hinter mir und lässt seine schmutzigen Fänger auf
meinen Hüften nieder... Durch meine von Natur aus schnelle Reaktionsgabe hatte
er aber auch schon den Wasserkanister im Gesicht und ich konnte nichts weiter
tun, als schnell das Weite zu suche...
"Hey was soll das du kleine Schlampe...wenn ich es legal von dir nicht bekomme,
dann komm ich eben nachts zu dir in den Club und bezahl dafür..."
Ich hätte gerne noch etwas erwidert, aber ich hatte mich schon zu weit von ihm
entfernt und hatte auch nicht vor, diese Distanz zwischen uns jemals wieder zu
verkleinern...
... In den ehemaligen Highschools war er sicherlich sehr beliebt gewesen und von
den Mädchen einfach nur vergöttert wurden, weil er sich nahm, was er
wollte...
Ja... das war wahrscheinlich das Problem... denn er "nahm" es sich einfach...ich
kann nur hoffen, dass ihm noch nicht allzu viele junge Mädchen zum Opfer
gefallen waren...
Der Club von dem er gesprochen hatte, war eigentlich nur eine kleine Bar in der
Nähe des Hafens, in der ich nachts manchmal sang und tanzte. Es war wirklich
beängstigend, wie viel dieser Kerl über mich wusste.
Schwer bepackt musste ich jetzt wohl den Heimweg antreten...Wenn ich ankomme,
werden die 2 Kleinen, Amy und Feron, bestimmt schon auf mich warten und mich mit
einem freundlichen "Tante Jacky, Tante Jacky, hast du uns was mitgebracht..??"
empfangen... Es wäre wirklich schön, wenn sie sich sonst auch mal so freuen
würden, wenn ich nach einem langen Tag nach Hause komme...und nicht nur wenn
ich einkaufe...Mit diesem Gedanken huscht ein Lächeln über mein Gesicht. Das
passierte nicht wirklich häufig, denn ich musste in dieser Welt sehr schnell
lernen, dass es manchmal besser ist seine Gefühle und Gedanken vor den Anderen
zu verbergen um sie zu schützen oder selbst nicht angegriffen zu werden.
In diesem kleinen Moment der Unachtsamkeit schießt ein Fahrradfahrer um die
Ecke... Der Schock und ein zu heftiges Ausweichmanöver werfen mich zu Boden
...das Essen liegt nun verstreut um mich herum und ich brauche selbst auch eine
Weile um mich wieder aufzurappeln... Meine Knie und mein rechter Fuß tun weh
und meine aufgeschürften Handflächen färben den dunkelgrauen Asphalt rot...
Als ich mich nach dem Fahrradfahrer umsehe geschieht es zum zweiten mal an
diesem Tag, dass mir die Gesichtszüge entgleisen und meine Gedanken sich im
Kreis drehen...
Wieder ein bekanntes Gesicht...diesmal noch vertrauter...war sie es wirklich?
Auch das Mädchen schaute mich ungläubig an und schwang sich dann schnell
wieder auf ihr Fahrrad um zu verschwinden...
Schade Kay... ich hatte mich ziemlich auf unser Wiedersehen gefreut...
Schade, dass es so ablaufen musste...
Kapitel 3: behind blue eyes
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3.: Behind blue eyes...
Meine Gedanken kommen ziemlich durcheinander an diesem doch eigentlich so
normalen Tag...
Obwohl... Normal war mein Leben eigentlich noch nie gewesen... ich habe 2 Jobs
und bin das "Oberhaupt" einer Gruppe genmanipulierter Kinder und
Jugendlicher...Was ist da schon als "normal" zu betrachten...? Wir sind eine
Gemeinschaft, die man eigentlich schon fast als Familie bezeichnen könnte und
in diesem Moment hätte ich sie sehr gerne bei mir gehabt, denn wenn ich ihnen
erzähle, was ich eben gesehen habe wird sich eine künstliche Ungläubigkeit
auf ihren Gesichtern breit machen, bevor sie in schallendes Gelächter
ausbrechen und mir mit gespielter Unsicherheit einen Vogel zeigen, weil es
unmöglich ist, dass die Radfahrerin, die mich am helllichten Tag umfährt Kay
ist... meine Kay... (A. d. A.: die Story mit Kay wird im nächsten Kapitel
ausführlich erklärt...^^)
Kopfschüttelnd sammle ich die verstreuten Lebensmittel vom Boden auf und Stelle
fest, dass der Wasserkanister durch meinen Sturz ebenfall ein Bisschen gelitten
hat, denn seine Plastikummantellung wird durch einen kleinen Riss geprägt,
durch den unaufhaltsam Wasser tropft...
Leise seufzend frage ich mich, ob heute alles schief gehen muss und setze meinen
Heimweg durch die trostlose Stadt fort. Meine Handflächen brennen unter der
Last des Kanisters und auch mein verstauchter Fuß macht das Laufen nicht
unbedingt leichter... In 2 Stunden werde ich mein Ziel erreichen und durch einen
Sprachcode die Tür zur Fabrik öffnen. Hoffentlich ist in meiner Abwesenheit
alles glatt gegangen und alle haben ihre Aufgaben oder Jobs mit relativ
positiven Ergebnissen erfüllt... Wenn ich mich recht erinnere, arbeitet meine
kleine Amy heute tagsüber im Wettbüro...Ich muss sie immer wieder bremsen und
sie erinnern, dass sie erst 10 ist, wenn es um die Arbeit geht... Wegen ihrer
parapsychologischen Fähigkeiten, hat sie es leicht den Ausgang der Wetten
vorherzusagen und sich so einen Teil des Haushaltsgeldes zu verdienen, denn ihre
"Kunden" sehen sie als seriös an und legen ihr Schicksal gern in ihre Hände...
Ich musste auch schon vor einiger Zeit feststellen, dass die Leute sie stets
älter schätzen, als sie es tatsächlich ist... Menschen sind so leicht zu
täuschen... Da steht ein 10-jähriges Mädchen in einem schwarzen Kleid vor
ihnen und sie geben ihr Geld um es zu verdoppeln oder zu verdreifachen. Die Welt
ist verrückt... aber diese Erkenntnis habe ich schon seid einigen Jahren.
Blut tropft von meinen geschundenen Handflächen und die Menschen werfen mir
verständnislose Blicke zu, während sie schweigend an mir vorbeigehen oder mich
überholen aber es ist mir egal... Es ist mir seid 3 Jahren egal, was die
Menschen von mir denken, denn ich habe gelernt, dass nur der Zusammenhalt in der
Gemeinschaft wichtig ist und man ohne Freunde oder Verbindungen in dieser
Ellenbogengesellschaft nicht weit kommt...
Meine Gruppe wäre ohne mich aufgeschmissen und ich wäre ohne sie genauso
verloren... Ein Geno hat es nur solange leicht, bis die Mensche erfahren, dass
er eben genau das ist was er ist... genetisch bearbeitet.
Und genau das bemerken die Passanten um mich herum durch die Tatsache, dass mein
Pullover durch den Sturz einen tiefen Riss oberhalb der Schulter bekommen hat...
genau über der Stelle mit meinem Tattoo... meinem Erkennungszeichen, dass mich
aus Transgender auszeichnet. Verdammt!! Hätte nicht der andere Ärmel reißen
können?? Wenn schon etwas schief geht...dann bitte richtig. Ich erhöhe mein
Tempo, denn wenn Menschen etwas sehen,
was sie selbst nicht verstehen können, gerät die Situation meist außer
Kontrolle... Rassismus, der früher wegen Hautfarbe oder sexueller Orientierung
ausbrach, beschränkte sich nun auf eine Frage "Geno...oder nicht Geno?" Es
klingt poetisch, ist aber die harte Realität, in der wir alle leben müssen...
Ich hoffe auch, Melinda bei meiner Ankunft in der Fabrik anzutreffen...Sie
sollte unserem Computergenie Ben bei der Installation des neuen
Sicherheitssystems helfen... Ob sie die von mir gestellte Aufgabe jedoch
erfüllt, steht in den Sternen... Meine liebe Mel duldet keine Respektpersonen
und es fällt ihr schwer Tatsachen zu akzeptieren... Die größte Tatsache, die
sie nie akzeptieren wollte, war dass man mit 15 Jahren noch zu jung ist um durch
Prostitution Mutter zu werden... Das Ergebnis ist ihr jetzt einjähriger Sohn
Tim, den sie mit gerademal 15 Jahren in unserer Fabrik zur Welt brachte...
Als ich sie damals bat abzutreiben, empfand sie es als "Faulheit" meinerseits,
ein weiteres Maul zu stopfen... Das hatte zum ersten großen Krach in unserer
Gruppe geführt. Die Kleineren glaubten das ungeborene Kind schon als
Spielgefährten und stimmten mit Mel im "Wunder des Kinderkriegens" überein.
Eine ganze Weile stand ich allein mit der Einstellung, dass es ohne medizinische
Versorgung und unsteriles Verbandsmaterial zu risikoreich sein würde ein Kind
zu bekommen... Besonders im Alter von 15 und mit Melindas zierlicher Figur. Sie
hasste es immer, nach dem Aussehen beurteilt zu werden, denn ihre Eltern hatten
sie nach dem "Püppchenschema" genetisch "aufmotzen" lassen. Mel sah es also als
Beleidigung an, wenn ihr Menschen Komplimente machten, denn dann war sie ihren
Geist nebensächlich und nicht unbedingt von großer Bedeutung. Das war
vielleicht einer der Gründe gewesen, warum sie sich schon ab dem 14. Lebensjahr
prostituierte. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, kann ich fast verstehen, warum
Mel das Kind unbedingt bekommen wollte. Es stellte die Chance dar, die sie
selbst nie bekommen hatte. Tim besaß zwar die Schönheit seiner Mutter, war
aber nicht genetisch manipuliert und würde in ferner Zukunft ein relativ
normales Leben führen können. Eigentlich gehört er gar nicht zu uns, den er
ist ein Exemplar der Gattung Homo Sapiens... kein "Homo Sapien Geneticus" wie
sie uns medizinisch korrekt liebevoll bezeichnen. Es ist doch eigentlich
ziemlich krank, dass wir als ebenbürtige menschliche Wesen sogar unter
verschieden wissenschaftliche Bezeichnungen im Lexikon zu finden sind.
Keuchend und verschwitzt erreiche ich die heruntergekommene Fabrik im hinteren
Teil des New Yorker Hafens. Würde ich es nicht genau wissen, würde ich nicht
glauben können, dass hier tatsächlich Menschen wohnen, aber für uns ist sie
zu unserer Heimat geworden und in ihrem Inneren befinden sich große Raume,
denen wir durch künstliches Tageslicht einen Lebenshauch schenken.
Durch die außerordentliche Größe der Fabrik ist es auch möglich jedem meiner
7 Mitbewohner ein eigenes Zimmer zu bieten. Nur die alten Maschinen und
Förderbänder erinnern noch an ihren ehemaligen Zweck - Die
Medikamentenherstellung...welch Ironie.
3 - 8 - 7 -2 - 4 ...die schwere Eisentür öffnet sich vor mir und ich höre das
trappeln von Füßen auf Betonboden... "Tante Jacky, Tante Jacky, hast du u..."
Kapitel 4: See you soon my Dear
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4.: See you soon my Dear
...ns was mitgebracht..?? " Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich meine
Fähigkeiten nicht nur auf den Körper beschränken, sondern auch meinen Geist
vollkommen mit einbeziehen, denn dieser Satz kam mir ziemlich bekannt vor.
Amy und Feron kommen fröhlich lachend auf mich zu gerannt und fressen meine
Einkäufe schon förmlich mit den Augen auf. "Ja meine Süßen...wie könnt ich
euch vergessen..." Sie bekommen von mir eine der Schokoladentafeln und ziehen
fröhlich wieder ab. Kinder sind wirklich leicht zufrieden zu stellen...auch in
einer schweren Zeit wie dieser. Ich der "Küche" treffe ich Mel an, die lässig
an einem der Stahlträger lehnt und mich von oben bis unten mustert. "Na...?
Hast du dich schon wieder geprügelt Jacky??" Für den Bruchteil einer Sekunde
kann ich dem Sinn ihrer freundlichen Begrüßung nicht ganz folgen, bis ich an
mir herunter blickte und mir meinen Verletzungen wieder neu bewusst werde. Also
schüttele ich nur stumm den Kopf und stellte den Wasserkanister und die Taschen
auf dem improvisierten Küchentisch ab. "Eine Radfahrerin hat mich anscheinend
übersehen, als ich um die Ecke kam..." <...und diese Radfahrerin war eine alte
Bekannte...> Warum kann ich es ihr nicht einfach erzählen??? Auch wenn Melinda
und ich nicht unbedingt ein dickes Vertrauensverhältnis haben, hätte ich es
ihr doch einfach sagen können... Gerade als ich zum nächsten Satz ansetzen
will kommt meine Ernüchterung...direkt aus ihrem Mund. "Aha..." Sprachs... und
ging... Tja, so ist Mel eben. Intelligent aber uninteressiert... und dann fragt
sie sich ernsthaft, warum sie die Leute nur nach ihrem Aussehen beurteilen.
Unsere Küche ist das Zentrum des Hauses. Sie liegt im Untergeschoß und kann
durch 3 verschiedene Türen betreten werden. Es war schwierig einen Raum in der
Fabrik zu finden, der geeignet war, als "Futterstelle" für 8 Leute zu dienen.
Als wir damals schon kurz vorm Verzweifeln waren, sahen wir die ehemalige
Schaltzentrale der Fabrik mit ganz anderen Augen. Sie war der einzige Raum, der
sowohl mit Wasser- als auch mit Elektronikanschlüssen versehen war. Und so
montierten wir die veralteten Beobachtungsmonitore und Schaltflächen ab und
versuchten über mehrere Monate hinweg an Küchenutensilien und Geräte zu
kommen. Heute muss ich feststellen, dass wir immer noch nicht genügend Gläser
und Becher zur Verfügung haben um einen auslaufenden Wasserkanister zu
leeren...
"BAKER????" Ich muss geschlagene 5 Minuten warten, bis ich eine Antwort von ihm
erhalte. "Was wünschen die Dame?" Ich zucke zusammen, da dieser kleine
Scheißkerl schon hinter mir steht, als ich mich umdrehe...Obwohl klein...Der
straßenköterblonde Baker überragt mich um Längen. "Sag mal hackts? Musst du
mich so erschrecken? Hast wohl bei Feron 'nen Schnellkurs im Anschleichen
gemacht..." Mein Gesicht muss bei diesen Sätzen ziemlich dämlich ausgesehen
haben, denn ich hatte ihn schon lange nicht mehr so herzlich lachen hören...
"Na Tante Jacky, was willste denn??" "Komm mir nich mit der Masche...ich brauch
Hilfe beim reparieren eines Wasserkanisters... wenn du da jemanden mit
telekinetischen Kräften kennen würdest... ??" "Ja Tantchen ich baus dir...sag
mal, wie siehst du eigentlich aus? Hast du mit Löwen um diesen Kanister ringen
müssen??" Jetzt konnte ich mir ein kleines Lächeln nicht mehr verkneifen... Es
gab also auch liebevolle Wege, mir zu sagen, dass ich im Augenblick Scheiße
aussehe. "Tja Süßer.. das erzähl ich dir später...jetzt geht sich Tante
Jacky erstmal duschen und versorgt die Löwenwunden ...Du bist schon ein
richtiger Spinner... Habt ihr für warmes Wasser gesorgt?" Sein Gehirn
arbeitet....Ratter...Ratter... "Ja...ich glaube Ben hat vorhin an der
Vorrichtung rumgebastelt...Pass auf, dass du dir auf der Suche nach warmem
Wasser keinen Schlag holst..." Sein dreckiges Lächeln hätte mich fast zu einem
weiteren bissigen Kommentar ermutigt, aber ich winke nur ab und lasse ihn mit
dem Wasserkanister allein.
Wären alle meine Mitbewohner so strebsam und einfach zu überzeugen etwas zu
tun, dann wäre das Leben in der Fabrik ein reinstes Zuckerschlecken. Auf Baker
kann ich mich stets verlassen. Er ist zwar erst ein halbes Jahr bei uns und
erschien mir mit seinem unauffälligen Aussehen etwas sonderbar, aber er hat
sich gut in die Gruppe eingefügt und ich würde etwas vermissen, wenn er mich
nicht ständig auf die Palme bringen würde. Und Ben... Ja, Ben war mein erstes
"Findelkind" gewesen. Als ich ihn vor 2 ½ Jahren kennen lernte, war er
gerademal 11 und saß in seinem Rollstuhl an der Küste und starrte aufs Meer.
Eine ganze Weile stand ich neben ihm, bevor er mich wie in Trance ansprach. "Ist
es nicht wunderschön? Ich wäre auch gerne so frei wie die Wellen... Ich glaube
nicht, dass sie nachdenken müssen...sie lassen sich treiben, sehen fremde
Länder und Kulturen und sind niemals allein...niemals allein..." Und er weinte
los... Er saß am Meer neben einem fremden Mädchen und philosophierte über die
Schönheit des Ozeans. " Bist du denn allein?" Ich fragte es ihn aus heiterem
Himmel "Ja... ganz allein auf der Welt" ohne ein weiteres Wort schob ich seinen
Rollstuhl den steinigen Weg hinauf und nahm ihn mit mir... Seid diesem
schicksalhaften Tag haben wir kein Wort mehr darüber verloren und ich weiß
nicht, wer sich von uns beiden in diesem Moment einsamer gefühlt hatte, denn
ich brauchte diesen kleinen Jungen genauso sehr, wie er mich.
Es ist schon komisch, wie sehr rührselige Geschichten in unserem Gedächtnis
haften bleiben. Und diese Erinnerungen überfallen uns stets an schicksalhaften
Tagen, die wir ebenfalls nie vergessen werden.
Ich habe diese heiße Dusche heute so nötig... Ich hoffe, dass sie die
Verspannungen aus meinem Nacken lösen kann, die der lange Fußmarsch und das
schwere tragen ausgelöst haben.
Doch das Badezimmer befindet sich noch 2 Etagen über mir. Es war eigentlich
schwachsinnig, unser Bad im obersten Stockwerk anzulegen... Denn so vergeuden
wir mehr Energie zum Hochpumpen des Wassers, als uns eigentlich zur Verfügung
steht. Hoffentlich hat es Ben geschafft, das Wasser einigermaßen heiß zu
bekommen. Die letzten Meter liegen vor mir. Schon von Weitem kann ich auf
unserem Türschild erkennen, dass das Badezimmer frei ist. Das Schild hängt nun
schon seid 3 Jahren an diesem Fleck...aufgehängt, durch eine Person, der ich
mein Leben verdanke... Sie hat uns nur wenige Erinnerungen hier gelassen, und
die Anderen hatten versucht sie so gut wie möglich zu vergessen... Selavi, so
ist das Leben...
Ich war die Einzige, die sie nie vergessen konnte... Kay blieb immer in meinem
Gedächtnis...............
Nachwooort: also... es tut mir leid, dass das kapitel aml wieder so plötzlich
aufhört...aber ich möchte den storyverlauf doch noch etwas hinauszögern ^^
danke fürs lesen ^^
Kapitel 5: Forgotten Memory
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5.:Forgotten Memory
Geschlagene 2 Stunden später spähe ich vorsichtig aus dar Badezimmertür ins
Freie. Vor der Tür hat sich schon eine kleine Schlage gebildet, denn sowohl Amy
als auch unserer ältestes Familienmitglied Camron warten sehnsüchtig auf das
jetzt hoffentlich bald freiwerdende Bad. Ich dränge mich an ihnen vorbei zum
Verbandsschrank, husche dann schnell zurück über den Flur und bin wieder im
Bad, ehe die Beiden protestieren können. Tja, manchmal hat es doch Vorteile,
genetisch auf Hochleistung getrimmt zu sein. ^^
Kurz darauf trommelt es energisch an die Badezimmertür. "Verdammt noch mal
Jacky! Komm aus dem Bad raus! ICH MUß MAL!!!!!" Camron hat ein ganz schönes
Organ, aber mit Schreien kommt er bei mir nicht weit... "Hör mal genau zu
Kleiner, wenn du mal was für die Gemeinschaft tust und deinen Hintern
hochbekommst um für uns einzukaufen, dann darfst du das Bad auch so lange
blockieren, wie du willst! Jetzt bin ich hier drin und du suchst dir gefälligst
nen Busch!" "Aber..." "Jetzt tu nicht so mädchenhaft... ihr Kerle habt da doch
sonst kein Problem mit..."
Camron stampft fluchend und meckernd die Treppe herunter und ich kann ihn noch
brabbeln hören, bis die Tür hinter ihm in Schloss fällt. Ich bin immer gerne
bereit das Bad frei zu machen ... aber ER hatte diese Sonderbehandlung nicht
anders verdient, denn er gehörte zusammen mit Melinda zu den Bewohnern dieses
Hauses, die sich lieber die Hand abhacken würden, als freiwillig etwas für
Andere zutun.
Es klopft wieder... diesmal vorsichtiger, zurückhaltender. "Jacky? Ist alles in
Ordnung?" Ich öffne Amy die Tür. Ich lächle, als sie mir nun fast schüchtern
gegenübersteht. "Komm rein meine Kleine. Ich hatte nicht erwartet dich jetzt
schon hier anzutreffen... war wohl ein schwarzer Wetttag, hm??" Sie grinst...
und das tut sie wirklich selten... "Nein... ich bin gegangen, weil meine Taschen
so voll Geld waren, dass nichts mehr rein gepasst hat. Du kennst mich doch ^^"
"Ja, eben WEIL ich dich kenne, wundere ich mich, warum du dir nich' noch 'nen
Beutel für das ganze Geld mitgenommen hast" Jetzt lacht sie los... "Hey, was
ist denn heute mit dir los? Warum so fröhlich? Und das um diese Uhrzeit?" Ich
kann mich über dieses Mädchen nur wundern...Sie war die letzten Tage so
niedergeschlagen gewesen...und jetzt? "Ich habe..." Spannungspause in der Amy
bedeutungsvoll die Augen schließt " ...den großen Clou gemacht!! Heute bei
einer Pferderennenwette habe ich 2000$ gewonnen... KA-TSCHING!!!" Ich kann
förmlich die Dollerzeichen in ihren Augen sehen...es ist fast schon
beängstigend. Sie ist doch erst 10! "Tantchen...pass auf, was du in meiner
Gegenwart denkst...hast du schon vergessen, dass ich alle deine gemeinen
Gedanken hören kann?" "Warum nennt ihr mich jetzt eigentlich alle Tantchen?
Hast du nen Kurs bei Baker gemacht? "Wie nerve ich Jacky in 3 Tagen"?"
"Entschuldige...ich hatte vergessen, dass du 'nen harten Tag hattest... Soll ich
dir helfen deine Hände zu verbinden?" "Danke Kleines, das wäre nett..." Amy
macht sich ans Werk...< Sie ist wirklich geschickt. Ich kann mich gar nicht mehr
daran erinnern, ihr das jemals beigebracht zu haben. Amy ist jetzt ein
anderthalbes Jahr bei uns. Sie kam nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters in die
Nähe der Fabrik um sich ein trockenes Plätzchen zu suchen, denn ihr ehemaliger
Vermieter hatte sie ohne Räumungsfrist aus der Wohnung geworfen. Gut, dass Kay
sie damals gefunden hat... Kay... vielleicht hat sie Amy viel mehr beigebracht,
als ich es je können werde. Auch ich habe ihr alles zu verdanken, was ich jetzt
kann, besitze oder bin. Sie war es, die mich vor 3 Jahren aus dem Ozean
fischte, denn als das große Beben begann, war ich gerade mit meinen Eltern auf
der "Santa Fe" unterwegs auf dem Weg nach Europa... Wir waren noch keine 20 min
gefahren, als eine gigantische Flutwelle das Schiff zum schwanken brachte. Ich
stand gerade an der Reeling und betrachte den Sonnenaufgang als es mich
erwischte und über Bord spülte. Es war noch sehr früh und ich nehme an, dass
meine Eltern noch geschlafen haben bis das Schiff später unterging... Ich
glaube bis heute nicht daran, dass sie eine wirkliche Überlebenschance hatten.
Aber mir ging es auch nicht viel besser, ich hatte viel Wasser geschluckt und
trieb, viele Kilometer vom Hafen entfernt, ziellos im kalten Ozean. Es herrschte
starker Wellengang und auch ich als guter Schwimmer hatte Probleme dagegen
anzukämpfen. Ich kann mich nur noch teilweise daran erinnern...Ich weiß, dass
ich um Hilfe gerufen habe, aber meine Stimme kam nur wenige Meter und wurde dann
von den Wellen und vom starken Wind einfach geschluckt, als hätte ich nie ein
Sterbenswörtchen von mir gegeben. Ich weiß auch, dass ich geheult habe wie ein
Schlosshund... was beim schwimmen nicht unbedingt vorteilhaft war, denn ich
verlor, je näher ich dem Hafen kam, zunehmend an Kraft. Als ich nur noch
wenige Meter vom rettenden Ufer entfernt war, kam eine weitere, starke Welle
und riss mich hinab in die Tiefe... In die dunkle, kalte Tiefe...und ich hatte
nur noch einen Gedanken " Was habe ich der Welt gebracht, wenn ich schon mit 14
Jahren mein Grad in der Tiefe des Ozeans finde?" Ich werde es nie vergessen,
denn mit diesem letzten Gedanken schwanden mir die Sinne und ich kam erst wieder
zu mir, als ich den harten Feld in meinem Rücken spürte und vorsichtig die
Augen öffnete. Ich sah einen rotgelockten Engel, der von einem gespenstischen
Lichtschein umgeben war. "Bin ich im Himmel?" Der Engel schüttelte den Kopf...
"Nein, du hast noch mal Glück gehabt... Ich stand auf den Klippen und habe dich
schwimmen sehen...ich habe gedacht, du wärst ne Irre, die einfach nur zum Spaß
und für die Fitness im Ozean herumschwimmt... aber als ich dich dann aus
meinem Blickfeld verloren hab, ist mir irgendwie Angst und Bange geworden und
ich bin runter zum Stand gerannt um zu schauen, ob du jetzt vielleicht tauchst,
aber du warst verschwunden... Du hast großes Glück gehabt, dass ich ne gute
Schwimmerin bin und zufällig am Strand war, sonst wärst du jetzt mit
Sicherheit Fischfutter..." Ich öffnete die Augen nun ganz und versuchte mich
aufzurichten... Ein starker Schmerz im Rücken hielt mich jedoch davon ab.
"Ah..." Ich stöhnte auf und fiel wieder zu Boden. Doch der Schmerz hatte mich
in die Realität zurückgeholt und ich sah, dass der Schein um meinen
Schutzengel nichts anderes, als Sonnenlicht und sie kein Engel , sondern einfach
nur ein Mädchen war, dass mir gerade mein erbärmliches kleines Leben
zurückgebracht hatte... Tränen rannen über meine Wangen und ich war nicht
einmal im Stande, ihr für meine Rettung zu danken... Meine Gedanken führen
Karussell und ich fühlte mich, als würden sie sich jeden Moment überschlagen
und mich wieder ins eisige, unbarmherzige Meer zurückwerfen. "Wer... wer bist
du?" "Ich... nur ein kleines Geno-Mädchen dass dir gerade den Hals gerettet
hat... Ich heiße Kay" Ich drehte mich leicht zur Seite und mein blasser Arm gab
das Tattoo frei, dass mich ebenfalls zweifellos als Geno identifizierte. Sie
lächelte... "Na dann... Willkommen in meiner Welt Kleine... Ich habe das
Gefühl, dass wir das schon irgendwie durchstehen, hm?"
Danach erinnere ich mich an nichts mehr...Ich weiß nicht, ob ich eingeschlafen
oder in Ohnmacht gefallen bin, doch ich wachte erst mehrere Tage später auf
einer Pritsche und mit verbundenem Oberkörper wieder auf und wurde freudig vor
Kay begrüßt . "Welcome back! Ich dachte schon, du kommst nie mehr zurück..."
Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, glaube ich, dass sie sich besser damit
auskannte "nie mehr zurückzukommen" als ich es könnte... Ja, sie konnte eben
alles BESSER als ich... >
"Jacky hör auf!!! Du musst aufhören auch nur an SIE zu denken! Du bist um
einiges besser als SIE! Du hättest uns niemals im Stich gelassen! Niemals!" Amy
schluchzt... Sie hatte alle meine Gedanken mit angehört und hatte diesen
Rückblick genauso stark miterleben müßen wie ich... "Es tut mir Leid.. Ich
hatte schon wieder vergessen, dass...na, du weißt schon... Hör bitte auf zu
weinen...ich kann halt nicht anders!" "Doch du kannst!! Du musst sogar! Sie ist
weg und kommt nie wieder...n i e wieder!" "Aber Amy... sie ist doch... wieder
da...."
Leider konnte Amy meine letzten Worte nicht mehr hören, denn sie war
aufgesprungen und hatte das Badezimmer fast fluchtartig verlassen... Aber ich
wollte es wirklich nicht...Ich wollte sie nicht traurig machen. Sie ist doch
noch ein Kind, obwohl sie sich nur selten so benimmt... Jetzt bin ich also
wieder allein...mit meinem Wissen und meinen Gedanken, denn niemand außer mir
weiß, dass sie wieder da ist...
Kapitel 6: Everybody needs...
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6.: Everybody needs...
Es ist schon verrückt, wie viel man als junger Mensch in der heutigen Zeit für
seinen Lebensunterhalt tun muss. Ich selbst habe 2 Jobs und arbeite tagsüber
als Fahrradcourier und nachts singe ich in einer kleinen Hafenkneipe. Leider
interessieren sich die esucher oft weniger für meinen Gesang, als für
die Kleidung die ich trage. Die Fischer, Trinker und Prostituierten, die ich
dort "besäusele" nutzen die Kneipe als Sprungbrett für die Nacht - Sie finden
dort festen Boden unter den Füßen, lauwarmes Bier, ihre Nächsten Kunden, oder
den schnellen Sex und wie ich heute morgen von Bennet erfahren durfte, gibt es
auch einige, die nur dorthin kommen um die Sängerin zu begaffen... Und aus
diesem Grund versuche ich gerade meinen, von diesem langen Tag schon sehr
geschundenen, Körper in einen engen Lederanzug zu zwängen. Meine
aufgeschürften Handflächen verdecke ich mit fingerlosen Handschuhen und den
Verband am rechten Fuß lasse ich unter schweren Lederstiefeln verschwinden.
Auch meine Augen erhalten den üblichen schwarzen "Anstrich" für die Nacht...
Es sind diese kleinen Rituale, die meinen chaotischen Tagesablauf im Rhythmus
halten und ich bin froh, wenn ich morgens total erschöpft in den Schlaf fallen
kann... mit dem Gedanken einen weiteren Tag meines Lebens überstanden zu haben.
Gestern war einer dieser nie enden wollenden Tage... Ich musste morgens 5.00 Uhr
auf der Matte stehen und schon die ersten Auslieferungen machen und als ich in
meiner Mittagspause das erste Essen des Tages zu mir nehmen wollte, rief mich
Melinda an, die mir sagte, dass ihr Kleiner hohes Fieber hat. Es war mir klar,
dass er dringend einen Arzt brauchte, aber wie zum Himmel sollten wir das
bezahlen? Unsere Gehälter reichten gerade für die Versorgung der
Fabrics-Familie aus und da im letzten Monat unser Dach ein Leck hatte, waren
auch die allerletzten Geldreserven aufgebraucht. Es gab nur 2 Wege um Melinda zu
helfen, entweder wir verkaufen unser letztes Fahrrad oder meine geliebte
schwarze Harley-Benson Gitarre... Tja, und das war dann auch ihr Ende, denn wir
brauchten das Fahrrad mehr als alle Saiten und all die Töne zusammen, die ich
darauf jemals gespielt hatte...
Heute muss ich deswegen auf die Begleitung beim Singen verzichten... und im
stehenden Dunstgemisch aus abgestandenem Zigarettenrauch und zu viel Alkohol
versuchen, auch ohne die sanften Klänge, der Konzertgitarre klarzukommen.
Natürlich werde ich das vermissen, aber in einer Welt in der es kein "Geben und
Nehmen", sondern nur noch "Geben und bestohlen werden" gibt, hatten wir wohl
keine andere Wahl als für die Behandlung der Lungenentzündung unseres
jüngsten Familienmitglieds mit allem was wir hatten zu bezahlen.
Mit einem letzten Blick auf die Uhr schließe ich die Zimmertür hinter mir.
Mein Zimmer befindet sich im obersten Stock des Haupthauses. Es ist zwar nicht
der Größte, aber meiner Meinung nach der gemütlichste aller Räume und stellt
einen Kontrast zum grauen Alltag in der Fabrik dar. Helle, orange Wände, die an
verschiedenen Stellen von Ornamenten verziert sind bringen ein abendländisches
Flair von Wärme und einer besseren Welt in die Tristheit des New Yorker Trubels
... Das Einzige, was die Romantik unterbricht ist das fehlende Bett... Denn
dieses habe ich an Amy und Feron abgetreten. Da sie in der Ersten Etage direkt
über dem Kellergewölbe schlafen, konnten wir es ihnen nicht zumuten direkt auf
dem Boden liegen zu müssen...
"Leute?? Ich mach lohooossss" Es klingt für mich schon fast wie ein
einsingen... denn diesen Satz hören alle, die sich im Haus aufhalten... und das
jeden Abend aufs Neue. " Tschü Jacky...lass dich nich weg fangen...pass auf
dich auf...sauf nich zu viel...." "Ja, Baker... Ich weiß... geh nicht mit dem
bösen schwarzen Mann mit, benimm dich... ich kenne deine Sprüche... Höre sie
doch jeden Abend aufs Neue..."
Ein letzter Blick auf das graue Treppenhaus und ich schließe die große Tür
hinter mir. Aus dem Inneren der Fabrik dringt noch gedämpftes Lachen durch die
dicken Wände, als ich in der Dunkelheit verschwinde. Die Luft ist kalt und ich
kann meinen Atem sehen, während ich fast geräuschlos durch die Straßen
schlendere. Hier und da liegen Obdachlose am Straßenrand, die mich entweder
vollkommen ignorieren oder mich mit Freude begrüßen. Wenn ich es recht
bedenke, könnte ich jetzt auch einer von ihnen sein, denn ich bin sicher, dass
der ein oder andere ehemalige Bänker der Vorbebenzeit unter ihnen ist, und mich
jetzt gerade freundlich anlächelt...Oder eben Mädchen aus gutem Hause, die
jetzt genauso rackern müssen, wie ich es tue, auch wenn sie sich früher für
etwas Besseres hielten. Genauso, wie vielleicht meine Eltern hier irgendwo
liegen, oder meine ehemaligen Freunde, ohne dass ich auch nur den Hauch einer
Ahnung davon habe. Wie auch immer... es bringt mich nicht weiter, darüber zu
philosophieren was ist oder eventuell sein könnte. Ich kämpfe für das nackte
Überleben der Gruppe und werde nie die Hoffnung aufgeben, dass auch ich
irgendwann einmal ein geregeltes Leben führen kann, ohne mir dafür die
Rückseite aufzurumpfen! Ansonsten sieht man kaum noch Menschen auf den
Straßen. Das ist auch nicht sonderlich verwunderlich, denn jeder der um diese
Uhrzeit noch unterwegs ist, muss einen triftigen Grund dafür haben, sein Leben
aufs Spiel zu setzten. Ich seufze... das ist heut wirklich nicht mein Tag. Erst
der Zusammenstoß mit Bennet und dann noch der sprichwörtliche ZusammenPRALL
mit Kay und nur der Himmel weiß, ob mir meine Einbildung mal wieder einen
Streich gespielt hat, oder ob sie tatsächlich noch lebt und in der Stadt ist.
Nobody knows... Wie alt müsste sie jetzt sein? Wohl 20... leider konnte ich
ihre Haare nicht unter der schwarzen Kapuze ihres Capes erkennen. Wenn ich es
mir recht überlege, könnte ich nicht zu 100% bezeugen, sie gesehen zu haben.
Nur einen Schatten, der in mir längst vergessene Erinnerungen neu zum Leben
erweckte und mich jetzt an meinem eigenen Verstand zweifeln lässt. Ich konnte
damals nicht verstehen, warum sie gegangen und uns alle im Stich gelassen hatte,
aber ich konnte auch mit niemandem reden, da sie das Thema "Kay" einfach tot
schwiegen. Als ich vor über einem Jahr einen Brief ohne Absender bekam, dachte
ich mir nicht sonderlich viel dabei und legte ihn achtlos beiseite um ihn zu
lesen, wenn ich wieder nach Hause kam. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht
wusste war, dass Kay einen fast gleich klingenden Brief bekommen hatte und dass
dadurch unser aller Leben bestimmt werden sollte. Er war direkt an uns
adressiert, mit Poststempel und Briefmarke versehen und einzeln an uns
abgeschickt worden, was nicht selbstverständlich war, da die Post
größtenteils mit Courier und nicht mit Briefmarke ausgetragen wurde. Jacky
verschwand am selben Tag, am dem ich beschlossen hatte den Brief nicht sofort zu
lesen. Sie war ohne ein Wort des Abschieds gegangen...hatte ihre 7 Sachen
gepackt und hatte uns verlassen. Als ich in dieser Julinacht erschöpft nach
Hause kam und Ben mir sagte, dass sie noch nichts gegessen hatten, schwante mir
das erste Mal an diesem Tag böses. Ich versicherte mich, dass mit den Kleinen
alles in Ordnung war, machte Ben noch etwas zu essen und machte mich auf die
Suche nach Kay, aber ich konnte sie weder im Haus, noch im angrenzenden
Fabrikgelände finden. Als ich die Suche nach Ihr aufgegeben hatte und zum
zweiten Mal mein Zimmer betrat, hatte sich etwas geändert...Kays Kette lag auf
meinem Bett. Eine feine Silberkette mit dem keltischen Dreistern als Symbol für
Schutz als Anhänger. Ich war ratlos und legte mich zu Bett um dann feststellen
zu müssen, dass auch die heimtückische Müdigkeit mich nicht dazu bewegen
konnte, mit dem Grübeln aufzuhören. Erst nach einigen Stunden, die ich in der
Dunkelheit verbracht hatte, kam mir der Brief wieder in den Sinn und ich sprang
wie elektrisiert von meinem Nachtlager auf. Nachdem ich ihn von allen Seiten
misstrauisch betrachtet hatte, öffnete ich ihn vorsichtig und fand eine via
Computer geschriebene Seite Papier vor. Der Briefkopf erschien mir viel zu
förmlich, um nicht zu sagen pompös. Goldenen Letter sprangen mir entgegen und
ein Strudel aus Phrasen sein seinen Lauf.
"Safety Government of the United States of Amerika."
"Liebe Mrs. Adams,
Wir wenden uns an sie mit der strengen Bitte einer Zusammensetzung. Wir wissen
um ihre speziellen Begabungen und hoffen inständig, dass sie gewillt sind,
diese für die nationale Sicherheit der USA und auch um ihrer Selbst Willen
einzusetzen. Sie sind durch ein langwieriges Verfahren ausgewählt wurden, und
befinden sich unter 200 genmanipulierten Jugendlichen, die sich nach unserem
Ermessen als würdig erweisen die Angelegenheiten und gestellten Aufgaben des
Staates zu vertreten und ihm unter festen Regelungen zu dienen.
Es bringt ihnen natürlich kommerzielle und persönliche Vorteile, die wir gerne
in einem Gespräch mit ihnen erörtern würden. Für ihre Sicherheit und
Unterkunft wird gesorgt.
Wir wissen über ihre finanzielle Lage bescheid und sind auch bereit dafür
Sorge zu tragen, dass ihre Freunde ausreichend versorgt bleiben. Leider wird es
ihnen aber nicht möglich sein, den Kontakt aufrecht zu erhalten, da wir auf
vollkommene Diskretion sehr großen Wert legen.
Da sie für die Regierung der Vereinigten Staaten arbeiten, bitten wir sie alle
Verhaltensregeln ohne Pardon entgegen nehmen, und ihren Dienst für die
Sicherheit unseres Landes anzutreten.
Sie haben diesen Brief um 16:35:00 entgegen genommen und werden gebeten sich
noch am selbigen Tag 22:00:00 am Hafen, Pier 19 einzufinden."
BUMM!!! Ich wusste genau was Sache war... und ich wusste auch, wo Kay
war...Warum sie dort war, und dass sie uns verlassen hatte, um ein Handlanger
der Regierung zu werden und endlich aus diesem Drecksloch herauszukommen. Sie
legte jegliche Verantwortung auf meine Schultern und ließ mir nichts da, als
ihre gottverdammte Kette und die Hoffnung, dass ich vielleicht doch ein kleines
Bisschen besser war als sie, da ich nie auf die Idee gekommen wäre, alles
hinter mir zu lassen nur um Vorteile daraus zu ziehen. Ich weiß nicht, was sie
machen musste, aber mit großer Sicherheit was sie kein einfacher Beamter
geworden, der sich den Hintern in einem bequemen Sessel breit saß, denn für
diese Aufgabe braucht unser lieber Staat keine durch Gentechnik zur Perfektion
gebrachten Menschen. Ich konnte auch niemals nachvollziehen, warum sie uns aus
unserem gemeinsamen Leben verdrängen wollte, wo sie uns doch erst ein solches
ermöglicht hatte. Es sind immer wieder die gleichen Fragen, die mir im Kopf
herum kreisen, wenn ich es am Wenigsten möchte. Jeden Tag das gleiche Spiel...
Ich höre das Meer. Es erzählt mir, dass ich meine Arbeitsstelle fast erreicht
habe und drei weitere Stunden meines Lebens zu vergeuden. Ich kann es sogar
riechen. Ein Duftgemisch aus Salz, Öl und Staub von Jahrtausenden weht in einer
frischen Briese und erwischt mich auf seinem weg ins Landesinnere. Ich erreiche
Pier 18 und bin damit nur ein paar Meter von dem ort entfernt, an dem Kays neues
Leben begann und meins eine neue Wendung nahm. Als sie sich damals endgültig
von uns abwandte und in sich in jener Nacht auf dem Weg zu Pier 19 machte, stand
ich gerade nur einen Luftzug von ihr entfernt in einer schäbigen Kneipe auf
einer viel zu kleinen Bühne und sang Evergreens aus der alten Welt, genauso wie
ich es heute immer noch tue... Nacht für Nacht.
Ich weiß nicht an was sie dachte und ob sie einen letzten Blick in meine
Richtung schweifen ließ, aber ich bin mir sicher, dass sie spürte wie falsch
ihre Entscheidung war.
Kapitel 7: Come and Go
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6.:Come and Go
"Hey Flash!!" Ich werde wahrscheinlich nie verstehen, warum sie den
fettleibigen, schon etwas in die Jahre gekommenen Wirt des "Shinning"
ausgerechnet 'Flash' nannten, aber er war mir ein guter Arbeitgeber und ich
musste nicht allzu viel für mein Geld tun. " Hey Jacky... na...bist du heut gut
bei Stimme? Wir haben volles Haus!" Oha... ich seh schon; der Raum war schon
jetzt voller, als er es sonst zu Hochbetriebszeiten war. Na das konnte ja heiter
werden.
Und Dann auch noch ganz ohne Begleitung...na Danke... Dann fange ich am
allerbesten mit was ganz Seichtem an um mein angetrunkenes Publikum zu dieser
frühen Stunde nicht vollkommen zu überfordern...
"Hey Leute... Habt ihr Lust auf etwas Musik? Bringt mal Stimmung in die Bude!!"
Allgemeines Gegröle, ein paar Pfiffe und ein halb gelalltes "Gibs uns Baby!"
waren die Antworten auf meine Frage.
"It's bout as bad as it could be.. seems everybody's buggin'meeee... like
nothing wants to go my way... yeah, it just hasen't been my day... nothing goin
easyly... but up! Up! Up! It only goes up from here................"
Ich konnte im Scheinwerferlicht nicht erkennen, ob die Masse verstand was ich
sang, ob es irgendjemand gefiel oder wie sie es aufnahmen, aber nachdem ich
fertig mit diesem Klassiker von 1999 war, spendeten sie mir begeistert Beifall.
Naja, wenigstens klatschten ein Paar, die noch im Stande dazu waren...
Es dauert immer eine Weile bis ich mich an das Angestrahltwerden auf der Bühne
und die Dunkelheit im Zuschauerbereich gewöhnt habe aber heute schienen meine
Augen genauso überfordert zu sein die Schwärze in Bilder umzuwandeln wie ich
mit der Tatsache, dass ich hier vollkommen ohne Gitarre auf der Bühne stand. So
ein Chaos.
"Der nächste Song ist mal was Eigenes... Ich Hoffe ihr seid gnädig zu
mir...Viel Spaß mit 'Come and Go' "
Ein Zwinkern von mir und zustimmendes Gelächter aus der Menge. Gut, dann werde
ich eben mein Glück versuchen.
"She came in with a smile on her face... I never noticed, that she has fallen
from grace..."
Im hinteren Teil der Bar ging eine Türe auf und 2 schwarze Gestalten betraten
den Raum. Eine von ihnen verschwand kurzzeitig hinter der Bar und kam wenige
Sekunden später wieder zum Vorschein.
"She looked at me with her cigarette-smile ... and asked me if I would stay for
a while..."
Wo ist den der zweite neue Gast hin? "Blacky Nr. 1" setzte sich in den vorderen
Teil des Zuschauerraums und schien mich zu beobachten. Aber das kann doch gar
nicht sein. Ich konnte doch ihr Gesicht überhaupt nicht erkennen und woher
wollte ich überhaupt wissen, dass "Blacky 1 " eine Frau war? Nennen wir es
Intuition...
"Hold on... Hold on...Hold on to me and thread me good like phantasy..."
"Blacky 2" taucht jetzt ebenfalls kurz vor der Bühne auf und lümmelt sich
nebem seinen schwarzen Gesellen auf einen Stuhl. Ach wer weiß... Es kommen
ständig neue Leute durch diese Tür. Warum hatten es mir genau diese Beiden so
angetan?
"And I say: Hold on...Hold on..Hold on to me, and thread me good like
phantasy!"
Die Scheinwerfer nervten mich heute bis aufs Letzte. Ich wollte wissen wer vor
mir saß... das gibt's ja wohl nicht!
"And so we talked for all night long... she never asked me to be strong..."
Aber einer Sache war ich mir inzwischen sicher... "Blacky 1" war zu 100% eine
Frau. Ich konnte die Umrisse von langen, glatten dunklen Haaren erkennen und
jetzt war ich mir auch sicher, dass sie mich anstarrte.
"I fell asleep in lovely dreems... the world was perfect - like it seems..."
War mir mein Ruf voraus geeilt? Und die Leute kamen schon von sonst woher um
mich singen zu hören? Träum weiter Jacky... Unweigerlich musste ich grinsen,
obwohl diese Situation nun doch etwas beängstigend auf mich wirkte.
"In the morning she went away... I never asked her here to stay..."
"Blacky 2" war verschwunden....Ich hatte nur für einen kurzen Moment gezwinkert
um meine vom starken Licht gestressten Augen zu regenerieren und schon war das
kleine, schwarze Wesen verschwunden. Nur die Dunkelhaarige saß noch auf ihrem
Platz und schien mich eindringlich zu mustern.
"All she left me was this song... and I will sing it all day long...
Hold on, Hold on, Hold on to me and thread me good like phantasy..."
Plötzlich wendet sich auch "Blacky 1" zum gehen und in meinem Unterbewusstsein
mischte sich Traurigkeit mit einem leichten Hauch von Panik. Hastig bedeutete
ich Flash den Scheinwerfer aus-, und das normale Raumlicht wieder anzuschalten,
was er auch im Bruchteil von Sekunden tat. Mein Blick hing an ihrer schwarzen
Kleidung und den dunklen Haaren und als sie sich erschrocken umdrehte, klappte
mir die Kinnlade bis zum Fußboden herunter und ich sprang wie elektrisiert von
der aus Brettern improvisierten Bühne, doch ehe ich mir einem Weg durch das
Gewühle bahnen konnte, war sie bereits verschwunden.
"Hey Kleine wo willst du denn hin?? Du Hast noch mindestens ne dreiviertel
Stunde zu singen..."
"Ziehs mir vom Gehalt ab Flash..." Ich hatte die Türe erreicht und wäre fast
über meine eigenen Füße gestolpert, als ich diese aufstieß und mit einem
Satz ins Freie sprang.
"Jetz bleib stehn verdammt!!! Wie kann man nur so feige sein!". "Blacky 1"
rannte, als ob es um ihr Leben ginge, bog dann in eine Seitenstraße ab und war
somit aus meinem Blickfeld verschwunden. Ich folgte ihr so schnell es meinem
genmanipuliertem, verwirrtem Wesen eben möglich war doch als ich um die Ecke
bog, konnte ich nur noch die Rücklichter eines Motorrads erkennen, welches auf
die von mir Verfolgte zu warten schien.
Ein letzter Blick in meine Richtung und "Blacky 1" war zusammen mit der anderen
schwarzen Gestalt in der Nacht verschwunden.
"VERDAMMTE SCHEIßE!!!!!!!!!"
Ich warf mich auf den Boden. Was sollte denn dieses Spielchen hier?
Erschöpft und mit einem Wirrwarr im Kopf, dass sogar die Zimmer der Kleinen
beeindruckt hätte, kehrte ich ins 'shinning' zurück.
"Sag mal Jacky was war denn los? Du bist losgerannt wie von 'ner Tarantel
gestochen!"
"Nich so wichtig... jetz bin ich ja wieder da... könntest du mir bitte für den
Rest des Abends frei geben? Ich fühl mich nich so gut..."
Ich wandte mich schon wieder in Richtung Tür, als Flash mich noch mal zu sich
rief.
" Jacky??? Hier hat vorhin noch jemand was für dich abgegeben...!"
Ich weiß nicht, ob man mir meine Verwunderung angesehen hat, als ich zu ihm
hinter den Tresen trat, denn was ich fand war meine schwarze Harley Benton
Gitarre, die ich eigentlich schon für tot erklärt hatte und ein Zettel, der
auch aus einem Schulheft hätte stammen können mit der schlichten Notiz:
"Du kannst es immer noch...
K.
a.10.B.E."
Ich stammelte ein "Danke" und verschwand mit meiner neuen/alten Gitarre und
jeder Art von Chaos im Kopf, dass man sich hätte vorstellen können. Ich
versuchte durch Schubladendenken meine Gedanken wieder einigermaßen in die
richtige Richtung zu lenken.
Schublade auf: Kay war hier. Sie ist am Leben. Sie ist in der Stadt. Sie war in
der Bar. Ihre Haare sind jetzt schwarz. Schublade zu.
Neue Schublade..: Wo sind die roten Locken hin?? Wer war "Blacky 2"?, Was wollte
sie hier? Warum gerade jetzt? Was bedeutet a.10.B.E? Woher wusste sie von meiner
Gitarre??
Schublade zu.
Das macht doch alles keinen Sinn. Weder die Schubladen noch die kühle Nachtluft
konnten mir meine Fragen beantworten. Ich wollte nur noch in mein Bett...
Schlafen... Vergessen....
Kapitel 8: iceblue questionmark...
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8.: iceblue question mark
Ich erinnere mich nicht mehr daran, wie ich nach Hause gekommen war. Ich weiß
nur, dass ich länger als gewöhnlich für den mir eigentlich bekannten Heimweg
gebracht habe. Ich bin einfach nur gelaufen und gelaufen… ohne Ziel, ohne
nachzudenken. Als ich in der alten Fabrik ankam, graute bereits der Morgen und
ich sah halbwegs wache Gesichter, als ich meine Gitarre in die Ecke stellte und
mich im Wohnbereich auf einem Kissen niederließ.
Feron begrüßte mich mit seinem strahlendsten Lächeln, doch als er meinen
erschöpften Gesichtsausdruck bemerkt, verfinstert sich auch sein kleines,
rundes Gesicht. Kinder merken immer am schnellsten, wenn etwas faul ist. Ich
glaube nicht, dass er es deuten kann, aber er realisiert schnell, wenn ’Tante
Jacky’ Probleme hat und lieber in Ruhe gelassen werden sollte.
Ich hoffe immer, dass sein Respekt für mich nicht irgendwann in Angast
umschlägt.
So stehe ich dem Kleinen in seinem zerknitterten Pullover gegenüber und
überlege mir ob es besser wäre zu schweigen oder zu sprechen. Ich entscheide
mich für Letzteres, beuge mich zu ihm herunter, küsse ihn auf die Stirn und
brumme ein vorsichtiges „Hallo mein Kleiner“.
Er lächelt, schaut mich mit großen Augen an und verschwindet - schwupp-di-wupp
- im Treppenhaus.
Baker, der die kleine Szene mit einem Lächeln auf den Lippen beobachtet hatte,
kam schlendernden Ganges auf mich zu.
„Was ist los? Versuchst du ihm etwas zu verheimlichen?“
Mein Schweigen schreit ihm lauter entgegen, als ich es je könnte.
„Du weißt doch genau, dass ER bei Weitem der Begabteste von uns ist. Du
kannst ihm nichts vor machen… auch wenn du es versuchst. ER weiß schon was
los ist, wenn er dir nur in die Augen schaut.“ In seinen spöttischen Unterton
mischt sich ein Hauch von Sorge. „Naja… so schwer kann das ja wirklich nicht
sein, wenn sogar ich und mein kleiner Schädel mitbekommen, dass irgendwas
falsch läuft…“ Er lächelt sanft. „Redest du jetzt gleich mit mir oder
muss ich dich erst zwingen mir zu sagen, warum du die ganze Nacht unterwegs
warst?“
Sein herausfordernder Blick brachte mich normaler Weise immer zum Schmunzeln
aber nicht heute… nicht nach dieser Nacht.
„Weder noch… Ich will jetzt nur noch schlafen. Außerdem bin ich mir gar
nicht sicher, ob ich will, dass du mich verstehst… Es reicht schon aus, dass
ein 5-Jähriger scheinbar über mein Seelenleben bescheit weiß und sich
womöglich noch Sorgen macht… Mir wärs lieber, wenn du mich jetz nich
ausquetschst und mir was zum Frühstück machst… Wie wäre das?“
Ich bin mir ziemlich sicher, dass er genau wusste, dass ich nicht mit ihm
geredet hätte, auch wenn er sich ein Bein ausgerissen und auf dem Tisch Tango
getanzt hätte, aber wenigstens hatte er es versucht.
Bakers Einwurf hatte mich dennoch wieder ins Grübeln gebracht. Ich hatte
versucht meine Gedanken vor Feron zu verbergen, ohne dass ich es eigentlich
gemerkt hatte. Unbewusst hatte ich versucht die Emotionen vor ihm abzuschirmen
und ihn so aus meinem Kopf auszuschließen. Aber warum?
Keiner von uns weiß genau, über welche Fähigkeiten er verfügt. Wir wissen
nur, dass er zum Kurier ausgebildet wurde und sein genetischer Code erst nach
seiner Geburt ’unters Messer’ kam, was in der heutigen Zeit eigentlich nur
noch sehr selten vorkam.
Die Folgen seiner Verbesserung waren seine fast lautlose und schnelle
Bewegungsgabe und seine eisblauen Augen, die in der Nähe und in der Ferne auch
nur die kleinste Veränderung wahrnehmen können.
Ob er aber ein Telepath ist, kann uns niemand beantworten, denn wir wissen weder
woher er stammt, noch für welche Aufgabe er ’geschaffen’ wurde.
Manchmal ist sein Verhalten sonderbar und ich weiß nicht, wie oft ich schon
erschrocken zusammengezuckt bin, weil der blonde Fünfjährige plötzlich hinter
mir stand.
Ich glaube jeder von uns kann ein Lied davon singen. Man ist alleine im Gang
oder im Raum und fühlt plötzlich etwas im Nacken, dreht sich um und starrt in
Ferons himmelblaue Augen.
Er sagt kein Wort. Er steht einfach nur bewegungslos da und schaut dich mit
fragenden Blicken an und du weißt, dass er deinen Schreck bis in den letzten
Millimeter seines zierlichen Kinderkörpers spüren kann und dass es ihm Leid
tut.
Er weiß, dass er die Schuld für deine Aufregung trägt und in die leuchtenden
Augen mischt sich eine tiefe Traurigkeit, sodass man das Bedürfnis hat, ihn
direkt in die Arme zu nehmen um ihm zu sagen, dass er nichts getan hat. Doch er
versetzt dich in eine stille Betroffenheit, die es dir nicht möglich macht das
zu tun. Du stehst ihm nur gegenüber und irgendwann dreht er sich auf dem Absatz
um und lässt dich und deine Gefangenheit an dieser Stelle zurück, als wäre
nichts gewesen.
Ja, man kann ihn wirklich als sonderbar beschreiben, weil man ihn nicht mit den
anderen Mitgliedern der Gruppe vergleichen kann. Trotzdem bin zumindest ich der
Ansicht, dass er nichts weiter ist als ein kleiner Junge, dem das Leben schon
ganz schön übel mitgespielt hat.
Das erklärt meiner Meinung nach auch sein teilweise seltsames Verhalten und
seine ständige Verschlossenheit, denn obwohl er schon ein halbes Jahr bei uns
ist, kann ich die Gespräche, die ich mit ihm geführt habe noch an meinen
beiden Händen abzählen.
„Jacky kommst du???“
Bakers Stimmer holt mich wieder in die Realität zurück.
„Was ist denn??“ Ich glaube spätestens jetzt haben wir auch die Anderen
durch unser Gebrülle geweckt…
„Ich wage mich zu erinnern, dass du was essen wolltest…!“
Ach ja… Essen… Wie dankbar ich dieser guten Seele doch gerade war. Die
Tatsache, dass er mir tatsächlich etwas zu essen fabriziert hatte, ließ mich
aus meiner träumenden Haltung aufstehen und mich schlaftrunken in die Küche
schwanken, wo ich von duftenden Pfannkuchen begrüßt wurde. Erschöpft plumpse
ich auf einen der wild durcheinander gewürfelten Küchenstühle. Baker setzt
sich mir gegenüber und rutscht in Abständen von 2 Sekunden auf dem Stuhl hin
und her. Rechts… Er verlagert sein Gewicht und stützt sich auf den rechten
Arm…. Und links die gleiche Prozedur. Dabei wackelt er rhythmisch mit den
Füßen und treibt mich damit fast zum Wahnsinn.
„Baker…? Wenn du so weiter machst, ist deine Hose gleich durchgescheuert und
ich gegen die nächstbeste Wand gesprungen… Also was zum Teufel ist los mit
dir?“
„Ich war letzte Nacht im ’Shinning’… Die Stimmung war kurz vorm
Überkochen und die Leute haben gefeiert als gebe es kein Morgen… das Einzige
was gefehlt hat, war die Sängerin…“
Das er so schnell und vor allem so deutlich zum Punkt kam, brachte mich nun doch
ein kleines Bisschen aus der Fassung…
„Flash wusste auch nicht, wo du dich rumtreibst. Er meinte nur, dass du
verschwunden bist, wie vom Blitz getroffen… Wo warst du wirklich? Hast du
Probleme, von denen wir nichts wissen? Nimmst du irgendwas? Jacky… verdammt
noch mal ich mach mir Sorgen um dich!!! Und außerd…“ „Das brauchst du
aber nicht!!!!“ Er hatte nicht damit gerechnet, dass ich seinen Redeschwall so
schnell wieder unterbrechen würde. „Niemand braucht sich Sorgen um mich
machen. Gerade um mich nicht! Und da du mich anscheinend eh schon für
durchgeknallt hältst, kann ich dir auch sagen, dass ich keine Drogen nehme,
mich nicht prostituiere, nicht schwanger bin und dass ich keine Beziehungen habe
von denen eventuell mal nicht der ganze Hausstaat wissen könnte und wenn du
wirklich darauf bestehst, herauszufinden, warum ich vollkommen am Ende mit den
Nerven und meinen Kräften bin, kann ich dir natürlich auch noch brühwarm
erzählen, dass Kay wieder da ist, dass sie es war, die mich gestern angefahren
hat, dass sie in der Bar war, dass sie mir meine Gitarre wieder gebracht hat und
dass sie dann ohne ein Wort verschwunden ist… ohne ein einziges Wort…
Einfach auf ein Motorrad gesprungen und aufs Neue aus unserer Welt verschwunden
als wäre sie nie zurück gekommen, als sei ich so verrückt, wie du es dir
gerade denkst. Als wäre sie nie hier gewesen, aber verdammt… Sie ist wieder
da!! Ob es in unsere Köpfe rein will, oder eben auch nicht…“
Ich schluchze, kann meine Tränen nicht mehr halten und sitze einem vollkommen
verwirrten Baker gegenüber, der mich das erste Mal in unseren Koexistenz
zusammenbrechen sieht und nicht weißt, wie er mich auch nur ein Bisschen
beruhigen könnte.
Ich erinnere mich an kein Ereignis, wegen dem ich jemals so ausdauernd geweint
hätte.
Die Emotionen brechen aus mit heraus als würde eine Bombe explodieren.
Unaufhaltsam. Plötzlich. Unkontrollierbar.
Alles stürzt über mir zusammen und meine kleine, halbwegs kontrollierbare
Existenz bricht vor meinen eigenen Augen auseinander… Genau wie damals. Es
ist genauso, all wäre sie gerade wieder gegangen. Als sie das das letzte Mal
getan hatte überließ sie mir eine Fabrik und 3 kleine Kinder, die jemanden
brauchten, der ihnen half die Welt zu verstehen und ihre eigene schlimme
Vergangenheit zu vergessen und in einem rasanten Tempo wuchs meine kleine
Familie auch immer weiter an. Vor einem Jahr und 8 Monaten hatte ich selbst
keine Zeit zum Trauern gehabt. Ich wurde ins kalte Wasser geschmissen und musste
um mein Eigenes und dass Leben der Anderen schwimmen. Aber irgendwann verlassen
auch den erfahrensten Schwimmer die Kräfte und er droht im Ozean der Emotionen
unterzugehen.
Genau in dieser Situation befand ich mich in diesem Moment.
Als ich nach einer für mich ewigen Zeit wieder vollkommen zur Besinnung kam,
hatte sich auch schon die gesamte Gemeinschaft in der Küche versammelt und
stand mit besorgten Blicken in einem Halbkreis um mich herum und starrte mich
verstört an.
Sogar Mel, die normaler Weise nicht so leicht aus der Fassung zu bringen war,
musterte mich eingehend mit mitfühlenden Blicken.
Ob Minuten oder sogar Stunden vergangen waren, konnte ich nicht mehr einordnen,
doch als ich die besorgten Gesichter sah, machte es in meinem Kopf klick und
mein Blick schoss sofort zu Baker, der ohne ein Wort verstand, was ich von ihm
wollte, als meine Lippen den lautlosen Befehl „KEIN WORT!!!“ formten.
In den nun folgendes Sekundenbruchteilen suchte ich nach seinem Blick um in
seinen Augen die Antwort auf die Frage zu finden, ob er sich wirklich an meine
Anweisung halten würde, doch er schlug sofort die Augen nieder.
Ich kann nur hoffen, dass er genügend Pflichtbewusstsein besitzt, den Anderen
nichts von unserem Gespräch oder besser gesagt vom Grund meines Ausbruches zu
erzählen. Ich will sie nicht auch noch mit in mein tiefes Loch ziehen, denn im
Moment weiß ich nicht einmal, ob ich es aus eigener Kraft schaffen kann wieder
heraus zu kriechen.
Sie schauen mich nur fragend an. Ich überwinde mich zu einem leichten
Lächeln.
Ich kann es ihnen einfach nicht erzählen. Meine Gedanken wirbeln nur noch
bruchstückhaft durch meinen Kopf.
Einige von ihnen hatten Kay noch kennen gelernt, hatten mit ihr gelebt und sie
vielleicht genauso vergöttert, wie ich es tat.
Meiner Meinung nach braucht jeder junge Mensch einen Helden, zu dem er
aufblicken kann. Gerade wenn er in einer schweren Zeit lebt, in der die Zukunft
oft ungewiss und der nächste Tag einfach nur dunkel erscheint.
Mein Stern in dieser Zeit hieß Kay. Als er für mich erlosch, breitete sich
auch in mir ein kleiner Teil der Dunkelheit aus.
„Schaut mich nicht so übertrieben betroffen an… Auch der stärkste Krieger
is mal müde, hmm?“ Die Ungläubigkeit aus ihren Gesichtern will einfach nicht
weichen. Hätte ich mir zuhören können, hätte ich mir bestimmt selber nicht
geglaubt.
„Habt ihr nichts zu tun an diesem sonnigen Tag? Verderbt ihn euch nicht durch
mein Geheule. Es ist nicht weiter wichtig und ich werde auch in näherer Zukunft
nicht sterben also schiebt die Totenmontaggesichter beiseite und lasst euch
lieber von Baker was zu essen geben. Er ist heute unser persönlicher Koch und
freut sich über jeden zufriedenen Kunden… Ich für meinen Teil genieße
gerade die besten Pfannkuchen, die ich jemals gegessen habe… Lasst euch das
nicht entgehen...“
Übertrieben optimistisch stecke ich mir eine volle Gabelladung Pfannkuchen in
den Mund um ihre Gedanken endgültig zu zerstreuen. Ich kenne sie einfach
genau… Hunger ist schlimmer als alles andere und wenn es bei uns schon einmal
ein Festessen zu verschlingen gibt, zerstreuen sich die Trauernden mit dem
ergatterten in alle Winde und vergessen alles um sich herum.
Auch ich wandte mich wieder vollkommen appetitlos meinem Essen zu. Es schmeckte
wirklich wunderbar. Süß… eigentlich eine Sünde wert… Aber im Moment
würde mich auch das beste 5-Sterne-Menü nicht im Geringsten reizen.
Ich schüttele den Kopf und Blicke von meinem Teller auf um dann erschrocken
festzustellen, dass Feron nur eine handbreit von mir entfernt steht und mich
förmlich mit seinen Eisaugen fixiert.
Ich brauche einige Sekunden um meine innere Ruhe wieder zu finden.
Warum bringt er mich nur immer so aus der Fassung?
„Was ist denn los mein Kleiner? Hast du gar keinen Hunger?“
Einige Augenblicke herrscht ein Schweigen zwischen uns, dass die Atmosphäre im
Raum fast zum zerreisen anspannt. Ich habe das Gefühl, dass er mir in die
tiefste Seele blicken kann…
Dann beugt er sich vor, küsst mich auf die Stirn und flüstert mir ins Ohr
„Tief in deinem Inneren weißt du, dass es besser ist, wenn DU uns führst. Du
weißt, dass du genau wie sie Besonders bist. Du musst es nur irgendwann
rauslassen… Wehr dich nicht dagegen… das bekommt dir nicht… Das kann ich
dir versprechen. Ich bin mir sicher, dass sie genauso auf dich aufpasst, wie ich
es tue…
Du kommst nicht dagegen an…“
Ich sitze da wie erstarrt. ER spricht nicht wie ein 5-Jähriger.
ER Spricht nicht wie ein kleines Kind, dass den Schrecken der Welt noch nicht am
eigenen Leib erfahren hat.
Und dabei hat er sie doch nicht einmal gekannt…..
Kapitel 9: Darkness Falls
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9.: Darkness Falls
---22:11:47--- Baker East Street---New York der Neuzeit.
“Glaubst du nich, dass es ein Fehler war in die Bar zu fahren?“
Kaugummikauende Gesichtszüge mit fragend blickenden grüne Augen. „Ich
mein… du wusstest doch, dass es der Kleinen gut geht..?“
Vorwurfvolle Blicke, die im verträumten Gesicht des Gegenübers verloren
gehen.
„Sie hat wundervoll gesungen, oder? Nur die Gitarre hat eben gefehlt. Hmm..
Wie auch immer“ Eine Zigarette wird angezündet. Sie erhellt ein schönes
junges Gesicht, und gibt dem in der Dunkelheit nur zu erahnenden Lächeln einen
besonderen Glanz.
„Und, glaubst du, dass sie kommt?“ Dunkle Stille in der weiten Lagerhalle.
Schwere Holzkisten und vernagelte Fenster vor Schimmel besetzten Wänden. Nur
eine kleine Lampe im Zentrum des rechteckigen Raumes, wirft einige schwache
Schatten. Die beiden jungen Frauen, die in der Halle nervös wirkend auf und ab
gehen, sind nur als schwache Silhouetten zu erkennen.
„Nein.. Ich glaube es kaum. Zumindest kann ich mir schwer vorstellen, dass sie
noch weiß was mein kyrillisch wirkendes Gekritzel bedeuten soll.... Ich hatte
es doch selbst für lange lange Zeit vergessen... Aber ich bin mir sicher, dass
sie sich Gedanken machen und darauf kommen wird... zu spät... wie immer. Sie
ist erwachsen geworden... Deswegen glaube ich nicht, dass sie sich noch an
solche Kindereien erinnern kann.“
„Naja… wenn das dein Grundproblem ist?! Ich bin mir nichmal sicher ob sie
überhaupt weiß WEM sie da hinterher gerannt ist. Sie hat zwar spezielle
Fähigkeiten, aber sie ist nicht GOTT! Auch wenn ich manchmal das Gefühl habe,
dass du ständig versucht sie auf eine Ampore zu heben um sie dann davor kniend
anzubetten…!“
Ein Funkeln verlässt bernsteinfarbene Augen und scheint Elaine direkt zu
treffen.
„Jetzt mach mal halblang verdammt! Nur weil du noch nie wahre Freunde hattest,
kannst du MIR wenigstens zugestehen die Menschen die mir wichtig sind
einschätzen zu können!“
„Ja danke… die Unterhaltung wird mir langsam echt zu blöd… Ich geh
pennen. Es war ein langer Tag. Warte nicht mehr allzu lang. Früher oder später
wird sie es verstehen und kommt. Ich hoffe natürlich eher früher als
später… Ich mein… Ach du weißt schon…“
Sie dreht sich um und verschwindet langsam im hinteren Teil des Raumes um es
sich auf dem nur spärlich mit einer Decke ausgestatteten Boden bequem zu
machen.
„Elaine…? Entschuldige… so was hätte ich nicht sagen sollen. Es tut mir
Leid… ich… bin nur total angespannt. Ich… ähm… Danke für alles.“
Kurzer Verharren. Ein unsichtbares Lächeln in der Dunkelheit und ein
verständnisvolles Nicken.
„Hör auf zu denken und schlaf endlich Kay…“
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Wenn das so einfach wäre… würde ich es glatt meinen ständig um sie
kreisenden Gedanken vorziehen.
Sie hat mich doch erkannt, oder? Ich habe mich verändert…. Aber sie KENNT
mich doch?
Und wenn nicht, dann doch zumindest meine Handschrift? Hab ich ihr eigentlich
jemals irgendetwas aufgeschrieben? Irgendwas??? Ich weiß es nicht mehr.
Ich wusste nicht einmal mehr genau wie sie singt. Wie stark und gefühlvoll.
Ob sie genauso viel vergessen hat, oder mich sogar vergessen wollte?
Ich kenne sie nicht mehr und auch ich werde nur noch ein Schatten in ihrer
Erinnerung sein.
Ob ich will oder nicht hat dabei keinen Einfluss…
Aber ich will verdammt noch mal kein Schatten sein.
Schließlich… schließlich habe ich sie gerettet. Ich habe ihr ein Leben und
eine Familie gegeben. Ich habe mich gekümmert und bin arbeiten gegangen… ich
wollte doch immer nur das Beste für sie.
Das Beste….
Ich… habe sie zurückgelassen… allein… mit allem… unverzeihlich…
unvergesslich… Scheiße…
Ich habe mich verpisst und versucht ein neues und besseres Leben anzufangen.
So werden sie es empfinden… Nicht nur Jacky sondern vor allem die Kleinen…
Amy… Sie brauchen einen starken Halt zu dem sie aufschauen können und der bin
ich schon lange Zeit nicht mehr…
Ich bin und bleibe nur Schall und Rauch in ihren Köpfen und sie werden nicht
verstehen, dass ich alles nur tat damit Jacky bei ihnen bleiben kann…
Verzeiht mir…
Ein neuer Tag erwacht kühl und sonnig in New York als Kay endlich den ersehnten
Schlaf findet. In der Halle bleibt es dunkel. Nur dünne Lichtstreifen bahnen
sich ihren Weg durch die mit Brettern vernagelten Fenster und zerschneiden die
staubtrockene Luft die die beiden jungen Offiziere atmen.
Es ist nicht einfach gebunden zu sein und ein lebenslang nicht existieren zu
dürfen.
Ein Leben ohne einen eigenen Name, ohne Individualität, in dem man Einer von
Vielen in der Maße ist und Befehle ausführt und ein Regime vertritt, hinter
dessen Einstellungen man nicht steht.
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