Getrennte Wege
2. Teil: Erste Vampirerfahrungen
1. Getrennte Wege
Wir wachten auf, als es dunkel wurde. Der Durst war wieder da, und diesmal stärker als am Tag
zuvor. Raphael hatte vor so schnell wie möglich nach Hause zu gehen und seine Familie zu
beruhigen, die sich wegen seiner Abwesenheit bestimmt schon Sorgen machten. Mein Plan sah
anders aus, ich würde nach Hause gehen, das Geld hinlegen und dann verschwinden. Ich konnte
nicht schreiben und wenn hätte es niemand lesen können also musste ihnen das Geld als Abschied
reichen.
Wir liefen nach Hause. Immer noch war ich erstaunt wie schnell wir waren. Mein Körper fühlte sich
so leicht und trotzdem kräftig an. Ich genoss die Geschwindigkeit. Die Landschaft flog an uns
vorbei und obwohl es Nacht war, konnte ich alles deutlich erkennen. Trotzdem konnte ich die
Frage, wie es nun weitergehen sollte, nicht verbannen, ich studierte die ganze Zeit daran herum.
Schliesslich hielt ich es nicht mehr aus. "Raphael, wieso willst du eigentlich unbedingt mit deiner
Familie sprechen?" "Ist doch klar, ich kann doch nicht einfach davonlaufen. Sie würden sich
bestimmt sorgen machen, ich möchte nicht später ein schlechtes Gewissen deswegen haben." "Ich
finde es reicht, wenn sie wissen, dass wir noch leben, obwohl, ob wir wirklich noch leben? Sie
werden bestimmt merken, dass du nicht mehr bist, wie früher. Willst du ihnen alles erzählen?" "Ich
weiss nicht, ich möchte sie nicht erschrecken" darauf waren wir wieder still, jeder hing seinen
Gedanken nach.
In der Ferne zeichnete sich die Silhouette des Klosters ab, von dort war es nicht mehr weit. Schnell
kamen wir dem Kloster näher. Als wir nur noch 100 Meter entfernt waren verspürten ich wieder
starken Durst. Ich hatte noch nichts getrunken, aber jetzt war er plötzlich stärker geworden. Ich
versuchte herauszufinden woran es lag und da wurde mir klar, dass ich Blut roch. Vor dem Kloster
gab es immer Bettler, Kranke und verwundete, die auf ein Wunder hofften. Ich versuchte nicht
hinzusehen, nicht zu riechen, aber mein Instinkt war stärker.
Ich fand mich wieder, wie ich vor einem armen Verletzten stand. Er trug seinen Arm in einer Binde,
er war notdürftig verbunden. Der verband war voll Blut. "Es ist ein Mensch, ich kann doch keinen
Menschen töten" dachte ich, anderseits war da dieser Geruch von Blut, und er würde eh sterben. Er
sah mich verdattert an, schien nicht zu begreifen was los war. Kein Wunde, ich war auch sehr
schnell vor ihm aufgetaucht. "Bist du ein Engel oder ein Teufel" fragte er. Ich hörte sein pochendes
Herz, sah das Blut auf seinem verband. Ich verlor die Beherrschung. Ich riss ihn hoch "ein Teufel"
flüsterte ich in sein Ohr, dann Biss ich zu, ich hörte noch wie sein Genick knackend brach, dann
war ich im Rausch. Das Blut war herrlich. Es schmeckte viel besser als das des Hasen am Tag
zuvor. Warm schoss es mir entgegen. Der Mann in meinen Armen war längst tot. Ich trank, bis ich
keinen Tropfen mehr heraussaugen konnte. Dann liess ich ab. Ich fühlte mich kräftiger als zuvor,
der Durst war verschwunden und ich war überglücklich.
Dann sah ich mich nach Raphael um. Scheinbar hatte auch ihn den Durst übermannt, allerdings
ging er mit seinem Opfer etwas sanfter um als ich. Ich bemerkte, wie mich einige der Leute
ängstlich ansahen. Andere hatten noch nichts bemerkt. Die Aktion war zwar ziemlich auffällig
gewesen, aber auch lautlos. Mein Opfer hatte keinen To von sich gegeben. Langsam kam mir der
Gedanke, noch mehr Blut zu trinken. Wieso auch nicht, die Leute hier hatten eh schon gesehen,
was ich war und etwas Durst hatte ich immer noch. Ich sah mich nach einem geeigneten Opfer um.
Nicht weit entfernt, sass eine alte verwirrte Frau. Sie schaute mich mit ihren blutunterlaufenen
Augen an, ihre Lippen bewegten sich, doch brachte sie kein Wort heraus. Ich näherte mich ihr. Sie
sah mich immer noch verwirrt an als ich mich zu ihr hinabbeugte. Ihre haut war trocken und faltig.
Jetzt hörte ich sie mit heiserer Stimme etwas flüstern, verstand aber nicht, was sie sagte. Raphaels
Vorbild folgend hob ich sie sanft auf und biss zu. Im Gegensatz zum anderen Opfer leistete sie
nicht die geringste Gegenwehr. Sanft glitt sie in den Tod.
Als ich ihre Leiche wieder auf den Boden legte, merkte ich, dass Raphael hinter mir stand. Er
packte mich am Arm und zog mich schnell weg. Als wir etwa hundert Meter entfernt waren hielt er
an und sah mich an. Ich konnte sein Gesichtsausdruck nicht deuten aber als er zu sprechen
begann, wurde mir alles klar. "Alex, du hast sie Umgebracht! Wieso?" "Ich hatte Durst, du hast doch
auch Blut getrunken." Meinte ich etwas verwirrt. "Aber du hättest sie nicht töten müssen. Du musst
nicht alles Blut trinken, dann überleben sie" Jetzt war ich doch ziemlich überrascht. Ich war gar
nicht erst auf den Gedanken gekommen. Die beiden Vampirdamen hatten uns auch fast
umgebracht, irgendwie war es für mich logisch gewesen, dass das Opfer starb.
Raphael hatte mich einmal mehr überrascht und es ärgerte mich schon, dass er mir überlegen war.
Wir hatten uns wieder in Bewegung gesetzt. Ich wusste nicht, wie ich ihm antworten sollte und
blieb deshalb still. "Weißt du" begann Raphael nach einer Weile "Ich habe mir überlegt, ob wir nicht
bei unseren Familien bleiben wollen. Wir trinken abwechslungsweise ein wenig von ihnen, ohne
dass jemand zu schaden kommt." Seine Stimme klang hoffnungsvoll. Ich hegte meine Zweifel.
"Sieh es ein, Raphael, selbst wenn sie einverstanden wären, es würde sie trotzdem schwächen, und
das wäre mir nicht recht. Die Arbeit auf dem Feld ist hart, dass können sie sich nicht leisten." Vor
und tauchten die ersten Höfe auf. "Ich liefere jetzt das Geld ab, dann verschwinde ich" sagte ich
entschlossen, nicht zuletzt um auch mich selbst zu Überzeugen. Raphael antwortete nicht.
"Kommst du mit?" Fragte ich ihn, auch wenn ich seine Antwort schon im vorhinein befürchtete.
"Nein" flüsterte er nach einer kurzen Pause. Ich verlangsamte meine Schritte und blieb schliesslich
stehen. Wie waren nur noch wenige Meter vom Dorf entfernt. Raphael war ebenfalls stehen
geblieben. Ich sah ihn mir noch mal an. Seine hellbraunen Haare waren zersaust, sein Hemd
schmutzig und zerknittert. Seine braunen Augen schimmerten in der Dunkelheit. Wir sahen uns an.
Ich wusste genau, dass er nicht mitkommen würde, genauso wie er wusste, dass ich nicht bleiben
würde. Wir ersparten uns die Diskussion. "Auf Wiedersehen" sagte ich und ging in Richtung
unseres Hofes davon. "Auf Wiedersehen" hörte ich seine Stimme. Ich drehte mich nicht um, ich
mochte es nicht ertragen. So schnell ich konnte lief ich nach Hause.
Schon von weitem sah ich das Licht, dass aus dem Fenster schien. Das warf meine Pläne etwas
durcheinander. Ich hatte vorgehabt, das Geld hinzulegen und dann so schnell und so weit wie
möglich zu verschwinden. Vielleicht hatte ich Angst, dass mein Beschluss ins wanken geraten
könnte. Und jetzt waren sie noch wach. Ob sie auf mich warteten? Ich musste abwarten, bis sie
müde wurden. Ich setzte mich ein einiger Entfernung ins Gras und wartete. Nach einiger Zeit
wurde ich ungeduldig, aber auch neugierig, wer noch auf war. Vorsichtig schlich ich mich ans
Fenster. Es war kein Laut zu hören. Vorsichtig spähte ich hinein.
Auf einem Stuhl sass meine Mutter und schlief. Auf ihrem Schoss lag ein Hemd, dass sie
wahrscheinlich geflickt hatte, jetzt lagen ihre Hände schlaff auf ihren Knien. Das Licht stammte von
einer Kerze, die auf den Tisch stand, sie flackerte ein wenig. Ich zögerte. Würde sie aufwachen,
wenn ich hineinging? Nach längerem abwägen legte ich den Geldbeutel auf den Fenstersims und
ging davon.
Erst langsam, dann immer schneller. Ich lief davon, so weit ich konnte. Irgendeinmal kannte ich die
Gegend nicht mehr. Ich verlangsamte meine Schritte. Wohin sollte ich gehen? Ich kannte nichts von
der Welt. Ich hatte erst Geschichten über ferne Länder, Heiden, Reichtum aber auch Krieg gehört.
Doch das half mir auch nicht weiter. Ich wusste nicht, was nun wirklich wahr war und konkrete
Angaben hatte ich sowieso nicht. Schliesslich beschloss ich, erst mal ein sicheres Versteck zu
suchen, und dann weiterzusehen.
Schliesslich fand ich ein abgebranntes Bauernhaus, es war zwar nur noch eine Ruine, aber in der
Küche war ein grosser Kamin und dahinter gab es eine dunkle Nische, die Schutz vor der Sonne
bot. Ich fand sogar noch ein paar alte Kartoffelsäcke, mit denen ich mein Lager etwas polstern
konnte. Dann machte ich mich daran, die Umgebung zu erkunden. Das nächste Dorf war einige
Kilometer entfernt. Dazwischen befand sich ein Buchenwald. Der Pfad der vom Haus auf die
Landstrasse führte, war überwuchert. Scheinbar war schon lange niemand mehr hierher
gekommen. Mir war das nur recht. Ich wusste zwar nicht, was passieren würde, wenn plötzlich
Menschen auftauchen würden, aber die Vorstellung, von ihnen an die Sonne gezerrt zu werden
gefiel mir gar nicht.
Ich blieb etwa zwei Wochen dort, aber es war nicht gerade befriedigend. Um nicht zu viel aufsehen
zu erregen jagte ich immer wo anders. Ich lernte schnell wie es am besten ging. Raphaels Methode
war nicht gerade Ideal, schliesslich merkten die Menschen ja, wenn ich ihr Blut trank, und wie
sollte ich sie dazu bringen es zu vergessen? Ich tötete sie, es war die einfachste Möglichkeit. Ich
kam mir vor wie ein wildes Tier: Ich schlief, ich jagte und ich trank Blut, das war meine einzige
Beschäftigung. Schliesslich hielt ich es nicht mehr aus. Ich zog weiter.
Ich weiss nicht ob es Zufall war oder eher ein unbewusster Wille, jedenfalls fand ich mich nach
einigen Tagen wieder in der Nähe meines Heimatdorfes. Und wenn ich schon da war, beschloss ich
nach Raphael zu sehen.
Im Haus seiner Familie war er nicht. Ich überlegte wo er sich sonst aufhalten könnte. Ich suchte
alle seine Lieblingsplätze ab, fand ihn aber nicht. War er doch nicht im Dorf geblieben? Oder hatten
sie ihn vertrieben?
An so was hatte ich bisher noch gar nicht gedacht. Jedenfalls nicht im Bezug auf ihn. Ich war ja gar
nicht erst geblieben, weil ich Angst davor hatte, vertrieben zu werden. Aber wie sollte ich ihn dann
finden?
Etwas verärgert war ich schon, wenn er gegangen war, wieso war er nicht zu mir gekommen. Gut
er wusste nicht, wo ich war, aber er hätte mir hier eine Nachricht hinterlassen können. Es schien,
als hätten sich unsere Wege endgültig getrennt.