Gescheiterte Pläne
Gescheiterte Pläne:
Wenn ich etwas gelernt hatte, war das in erster Linie nicht entdeckt zu werden. Ich wusste inzwischen,
wie ich meine Aura verbergen konnte, Raphael würde also nicht merken, dass in seiner Stadt war.
Seit meinem letzten Besuch hatte sich nicht viel verändert. Ich nahm den Weg über die Dächer und fand
schnell Amabels und Raphaels Haus.
Ich versteckte mich auf dem Dach gegenüber und richtete alle meine Sinne auf ihr Haus. Ich hörte sie
leise sprechen, worüber weiss ich nicht mehr, jedenfalls war es nichts wichtiges. Dann nach einiger Zeit
begab sich Amabel ins Bett und Raphael verliess das Haus. Ich duckte mich noch tiefer, wagte mich
nicht zu rühren. Raphael ging vorbei ohne mich zu bemerken.
Ich wartete noch einige Minuten, dann sprang ich vom Dach herunter und ging zur Tür. Sie war
unverschlossen, und ich trat ein. Geräuschlos durchquerte ich den Laden und fand Amabel schlafend
auf ihrem Bett. Einige Minuten verstrichen, ich liess mir meine Pläne noch mal durch den Kopf gehen.
Dann ging ich zu ihr hinüber, beugte mich über sie und wollte gerade zubeissen als sie die Augen
aufschlug.
Den Schlag den sie mir versetzte werde ich nie vergessen. So kräftig konnte kein Mensch sein und
schon gar nicht eine zierliche Frau wie Amabel. Erschrocken taumelte ich rückwärts. Was war
geschehen, war sie Ein Vampir, hatte Raphael sich doch dafür entschieden?
Nein, definitiv nicht, sie war unverändert bis auf die Tatsache, dass sie etwas älter geworden war und
diesem Schlag, den sie mir versetzt hatte. Ich hatte keine Zeit darüber nachzusinnen. Sie hatte mich
erkannt.
"Alexandre?, Du bist hier?" fragte sie erstaunt. "Raphael hat gemerkt, dass du kommst, er ist gerade
nicht da"
Während sie sprach war sie zum Herd hinüber gegangen und entzündete eine Talgkerze.
"Aber sag mal, was hattest du eben vor, als du dich über mich gebeugt hattest?"
"Ich wollte bloss wissen, ob du schläfst" versuchte ich mich herauszureden. Sie wusste dass ich log, ich
merkte es an ihrem Blick, doch blieb mir die Erklärung erspart, Raphael trat ein.
"Also doch, ich hatte schon das Gefühl, du seist in der Stadt" begrüsste er mich. Er musste die Situation
durchschaut haben, denn er machte keine Anstalten mich zu begrüssen.
Auch ich machte keine Anstalten ihn zu begrüssen. Ich stand nur da und starrte ihn an. Jetzt wo er vor
mir stand merkte ich deutlich, dass er sich verändert hatte. Doch was war anders? Es fiel mir schwer es
zu sagen. Einerseits wirkte er stärker als zuvor, anderseits war er irgendwie menschlicher. Seine Haut
war nicht mehr so Leichenblass, sie hatte Farbe bekommen. Aber nicht die rosaröte, die nach einem
reichlichen mal erscheint, es wirkte viel natürlicher. Ausserdem merkte ich, das er Atmete, ich hatte
damit schon lange aufgehört als ich merkte, dass ich es nicht nötig hatte. Und sein Herz, es schlug,
nicht wie bei Vampiren langsam und kalt, sonder warm, wie bei einem Menschen. Verblüfft fragte ich
mich, wie ich auf diese Schlussfolgerungen kam.
Als ich aufsah merkte ich, wie Raphaels Blick auf mir ruhte. Augenblicklich wurde mir klar, dass er alles
wusste. Ich war so erstaunt gewesen, dass ich meine Gedanken nicht unter Kontrolle hatte. Raphael
hatte alles gesehen, er wusste wieso ich hergekommen war, und was geschehen war.
Es war auch nicht schwer herauszufinden, dass er nicht erfreut war. Eigentlich hatte ich Raphael noch
nie wütend erlebt, bisher kannte ich nur den beherrschten, sensiblen Raphael, der Probleme
diplomatisch löste. Doch jetzt war er wütend. Er war furchteinflössend. Ja, ich fürchtete mich
tatsächlich. Normalerweise überspielte ich so was. Ich kämpfte und besiegte dadurch meine Angst, aber
das war eine andrer Situation. Ich wollte nicht mit Raphael kämpfen. Ausserdem wusste ich instinktiv,
dass er mir überlegen war.
Ich fand mich auf der Strasse wieder, ich lief, so schnell ich konnte. Erst als es zu dämmern begann,
wurde ich langsamer, begann wieder vernünftig zu denken.
Ich hatte eine Niederlage erlitten, ich war davongelaufen. Und das vor Raphael. Und sofort kamen die
alten Selbstzweifel wieder, nur waren sie stärker den je. Raphael war in einer Weise immer ein Massstab
gewesen, ich war stärker, schneller, besser als er. Die letzten Jahre hatten eigentlich nur darin
bestanden, Raphael ebenwürdig zu werden, ihn zu überholen.
Hatte ich mich einfach überschätzt? Hatte ich zu viel erwartet? Ich war davon ausgegangen, dass ich die
Differenz ausgemerzt hatte. Eigentlich hatte ich in meiner Selbstzufriedenheit gar nicht daran gedacht,
dass auch er etwas dazugelernt hatte.
Natürlich betrachtete ich das Ganze in dem Moment nicht so objektiv. Im Gegenteil, ich war
niedergeschlagen und wütend. Es war ein Glück, dass es dämmerte und mein Instinkt zum Schlafen
aufrief. So litten unter meiner Wut bloss zwei Bauern, die gerade auf dem Weg zu ihrem Feld waren,
und einige Bäume die meinen heftigen Tritten standhielten.
Es war ein glücklicher Zufall, dass ich einen passenden Unterschlupf fand und mich schlafen legte. Ich
bezweifle, dass ich sonst den Tag überlebt hätte.
Die darauffolgenden Wochen waren ein verzweifelter Kampf mit mir selbst. Ich überlegte mir, einfach in
die nächstbeste Stadt zu gehen und mich vom dort lebenden Vampir erwischen zu lassen. Ob ich
überlebte oder nicht, das sollte der Zufall entscheiden. Aber dennoch war mein Überlebenswille stärker.
Ich mied auch weiterhin zu starke Gegner und hinterliess keine auffälligen spuren.
Ich verbannte alle Gedanken an Raphael, an Schwäche und begann mich wieder auf meine Stärken zu
besinnen.
Und wieder kam mir der Gedanke, in eine Stadt zu gehen, den dort lebenden Vampir herauszufordern.
Aber diesmal war mein Ziel ein anderes. Ich würde siegen, bestimmt, und dann würde ich diesen Platz
einnehmen..
Ich streifte einige weitere Wochen umher und suchte nach einer passenden Stadt. So kam ich
schlussendlich nach Marseille. Mit verborgener Aura schlich ich durch die Gassen. Es dauerte nicht
lange, bis ich den vorherrschenden Vampir bemerkte. Er war gekleidet wie ein Adliger, seine Haare
waren kurz geschnitten und er trug ein Schwert. Eben flirtete er mit einem Mädchen. Sie warf lachend
den Kopf zurück und ihr langer brauner Zopf schwang mit der Bewegung mit. Sie war hübsch, ja sie
gefiel mir.
Ihm würde ich sie nicht überlassen. Er schien mir nicht besonders mächtig, also rechnete ich mir gute
Chancen aus. Unter anderen Umständen hätte ich ihn sicher aus dem Hinterhalt angefallen und ihn
schnell umgebracht. Aber diesmal war das Mädchen dabei, vor ihr wollte ich eine gute Figur machen.
Also trat ich aus dem Schatten hervor und ging zu den beiden hinüber.
An ihrem Verhalten merkte ich mehr als deutlich, dass ich störte, doch das spornte ich nur noch mehr
an. Frech ging ich auf die Beiden zu und gab mich zugleich als Vampir zu erkennen. "Sie spielen ein
gefährliches Spiel, Mademoiselle, wissen sie, dass dieser Mann sie töten will?"
Während sie nicht recht wusste, was sie damit anfangen wollte, war der Vampir schon losgestürmt. In
letzter Sekunde konnte ich ihm ausweichen. Doch er blieb nicht bei diesem einen Angriff, mit Mühe und
Not versuchte ich auszuweichen. Fieberhaft suchte ich nach einer Möglichkeit, den Kampf
auszugleichen. Mit einem Sprung auf das nächste Dach brachte ich mich aus seiner Reichweite. Da er
unten blieb, wähnte ich mich sicher.
Doch diese trügerische Sicherheit hielt nicht lange an. Etwas warmes bewegte sich meine bene herauf.
Verwirrt sah ich nach unten, konnte aber nichts entdecken. Die wärme stieg schnell hoch, es wurde
immer heisser. Ein Blick auf den Vampir bestätigte meine Befürchtung, dass er das verursachte.
Die Hitze wurde unerträglich, doch so schnell wollte ich nicht aufgeben. Ich sprang zu ihm runter, doch
er war zu schnell, ich landete neben ihm auf dem Boden. Mein Körper fühlte sich an, als würde ich
verbrennen. Ich kämpfte um bei Bewusstsein zu bleiben, wie durch Nebel sah ich ihn lachen.
Einen Moment war alles schwarz, ich biss die Zähne zusammen, riss meine Augen auf. Er stand über
mir, lachte noch immer. Ich wollte etwas machen, doch die schmerzen waren unerträglich. Auf meiner
Haut bildeten sich blasen, dann wurde alles schwarz. "Jetzt ist es aus" dachte ich, wie durch Watte hörte
ich das Mädchen schreien. Dann war da nichts mehr.
Der Geruch von Blut weckte mich. Ehe ich richtig wach war, rann es durch meine Kehle, erfrischend. Ich
schlug die Augen auf. In meinen Armen hielt ich einen älteren Mann fest umklammert. Sein Hals war
aufgerissen, als hätte ihn ein Tier gebissen.
Sein Gesicht war Schmerzverzerrt und ich merkte, dass sich meine Fingernägel tief in seine Haut
gruben. War ich das gewesen? Doch zum nachdenken, war keine Zeit, sein Blut roch köstlich und mich
quälte ein unglaublicher Durst.
Minuten später liess ich ihn zu Boden gleiten, stand auf. Mein Körper schmerzte noch immer, aber
immerhin gehorchte er mir wieder. Ich war müde und noch immer durstig.
Der schnell heller werdende Himmel mahnte mich, einen Unterschlupf zu suchen. Ich verkroch mich in
den nächstbesten Keller und fiel in tiefen Schlaf.
Durstig erwachte ich am nächsten Abend auf. Ich wollte mir gerade ein Opfer suchen als mir bewusst
wurde, dass ich die Stadt noch immer nicht verlassen hatte. Der Gedanke, noch mal auf den Vampir zu
treffen liess mich meinen starken Durst überwinden und ich machte mich davon.
Kaum war ich draussen liess ich mich von meinem Instinkt leiten und fand mich kurz darauf in einer
Stube wieder. Der Durst und die Schmerzen hatten nachgelassen, langsam begann mein Verstand
wieder zu arbeiten. Vor mir lagen die Blutleeren Leichen eines Ehepaares und deren Kind, ein kleines
Mädchen mit braunen Locken. Der Anblick war scheusslich, angeekelt verliess ich das Haus. War das
wirklich ich gewesen? Gut ich hatte öfters aus Durst instinktiv gehandelt, aber ein solcher Anblick war
mir bisher erspart geblieben.
Ich versuchte mich zu erinnern, wie ich überhaupt hergekommen war aber ich konnte mich beim besten
willen nicht an alles erinnern. Dieser Vampir hatte mich fast getötet, wie hatte ich es geschafft zu
überleben? Bruchstückhafte Bilder erschienen vor meinem inneren Auge. Allein meinem Instinkt hatte
ich es zu verdanken, dass ich noch lebte. Nie hätte ich gedacht, einen solch mächtigen Verbündeten zu
haben.
Doch zum Nachdenken blieb nicht viel Zeit, in erster Linie wollte ich weg, weg von Marseille. In der
ferne hörte ich das Meer rauschen. Mein Entschluss war schnell gefasst, ich würde nicht nur Marseille,
ich würde auch Frankreich verlassen.