Anariël von June (Cuivië Y gwaith - Erwachen der Schatten) ================================================================================ Kapitel 4: Elennas Interlude Teil 2 ----------------------------------- Dieses Interlude beinhaltet eine Erklärung des Charakters "Elenna", welche in meiner Fiction nun ein größere Rolle bekommt. Charadesigner und Autor dieses Interludes ist Ihu_laSeraphita. Auf der Straße nach Bree Elenna erlebte noch viele solcher Festlichkeiten, bei denen die Elben Bruchtals zusammen kamen und sich immer wieder von neuem an den Geschichten der Ahnen ergötzten und beim Klang einer Harfe und einer reinen Stimme den Frieden dieser Welt erfuhren. Auf den Winter folgte der Sommer und auf diesen ein weiterer Winter. Celebríans Gesundheit ließ immer mehr nach, bis sie schließlich eines Tages doch zu den Grauen Anfuhrten loszog. „Ich werde mir nun Eure Welt ansehen, Elenna“, hatte sie zum Abschied gesagt, „Denn Ihr kennt die meine. Möget Ihr Glück, Frieden und Liebe in dieser Welt finden!“ Reisende kamen und gingen in Imladris und in einer Zeit von drei Jahren, verfasste Elenna Bücher als Dokumentation über die Wege der alten Noldor. Ein sehr erträgliches Geschäft, wie sie bald feststellen durfte, denn sie kopierte und verkaufte die Schriften an viele Interessenten von überall her. Schon bald fand sie Freude daran, die Jüngsten Bruchtals zu unterrichten und die Kinder lauschten ihr aufgeregt, wenn sie in ihr Heim kamen, um zu lernen. Sie selbst hatte keine Kinder und war das jüngste von Feanors Kindern gewesen. Nie hatte sie Zeit gehabt, ein Kind zu sein, so schnell musste sie erwachsen werden. Daher genoss sie das Zusammensein mit diesen Elbenjünglingen, die noch so viel zu lernen hatten und wissbegierig in die Welt hinausgingen. Manchmal, wenn die Kinder daheim blieben und Stille sich über Imladris senkte, saß Elenna am Fenster und ließ die sanfte Brise durch ihr Haar und über ihr Gesicht streichen und dachte an all die Freunde und die Familie, die sie verloren hatte. Manchmal drohte auch die Trauer sie ihrer zu wieder bemächtigen, doch sie drängte sie zurück zu einem Ort, an der sie ihr nichts mehr anhaben konnte. An solchen Tagen der Einsamkeit nahm sie Pergament, Tinte und Federkiel und schrieb und dichtete über all das, was sie mit ihren sturmgrauen Augen schon gesehen hatte. In ihrem Haus wuchs ihre private Bibliothek ständig und das Archiv in Bruchtal wurde beinahe zu ihrem Zweiten Zuhause. Die Zeit flog so schnell vorüber, dass Elenna nicht mal die Möglichkeit hatte wahrzunehmen, was sich in der Welt abspielte. ~*~*~ Das Zischen der Klingen erfüllte die Luft über dem Übungsplatz am Rande von Bruchtal, als die Elben sich im Herbst einander im Bogenschießen und manche im Schwertkampf übten. Elrond und Maikaturiel, eine junge Elbe, die seit kurzem in Elennas Diensten stand, standen mit ihr bei Glorfindel in einer Baracke in der Nähe und betrachteten das Schauspiel. Glorfindel war erst vor einer Woche von einer langen Reise zu den Grauen Anfuhrten wieder gekehrt und war in letzter Zeit damit beschäftigt gewesen, diese jungen Elbenschüler und die Pferde von Bruchtal zu versorgen, gerade so, als würde die Welt aufhören sich zu drehen, wenn er nichts tat. Er hatte sie mit einem warmen Kräutertee an diesem kühlen Herbstnachmittag in Empfang genommen und hatte sie zu einer Fensterfront geführt, die ihnen einen vorzüglichen Blick auf den Übungsplatz darbot. Während der Elb mit dem Herrn von Bruchtal über seine Reise redete und von einer weiteren Elbe namens Morsoniel einige Kleinigkeiten zu Essen herrichten ließ, besah sich Elenna die Kämpfer auf dem Platz. Die Schwertkämpfer waren eine Minderheit, aber das waren sie schon immer gewesen, zumindest unter den Elben. Doch einer von ihnen war besonders talentiert, was das anging. Er hatte dunkelbraune Haare, die hinten zu einem Zopf zusammen geschnürt waren und wie eine dünne Schnür über seinen breiten Rücken hinabfielen. Das Haar glänzte vor Schweiß in der niedrigen und kalten Sonne, die nur hier und da durch den grauen Schleier am Himmel drang. Seiner Kleidung – einem recht dicken Kampfanzug – hatte er sich teilweise entledigt um seine Waffen besser führen zu können. Er bewegte die Klinge seines Schwertes sehr geschmeidig und bewegte sich im Kampf elegant, als wäre er Orome der Schmied selbst. „Wer ist das?“ fragte sie, als Elrond und Glorfindel beide ihre Blicke auf sie heftet, wie sie da stand und diesen einen Kämpfer beobachtete. Glorfindel räusperte sich ausgiebig. „Sein Name ist Avathar“, antwortete der Elb knapp, „Er ist noch sehr jung und idealistisch, ist auf dem besten Wege Schmied zu werden. Es geht kaum ein Tag vorüber, an dem er nicht hier trainiert.“ Elenna nickte abwesend. Avathar hatte ein fein geschnittenes Kinn, hohe Wangenknochen und eine gerade, jedoch ein wenig zu große Nase. Er war recht attraktiv, aber noch sehr jung und seine Jugend sprach ihm aus den Zügen. „Aber ihr seid nicht hergekommen, um euch meine Schützlinge anzusehen, nicht wahr?“, fuhr Glorfindel, nun an Elrond gewandt fort. Elrond schüttelte belustigt den Kopf. „Nein, wahrhaftig nicht. Aber wenn man es genau nimmt, sind wir bloß hier, um einen Freund zu besuchen. Du hast sicher viel zu berichten, von deiner langen Reise, mein lieber Glorfindel!“ „Gewiss, gewiss“, meinte dieser mit einem milden Lächeln auf den Lippen und wandte sich mit Elrond gemeinsam ab, um ihn eines der Empfangszimmer zu bringen. Maikarturiel verharrte in einigen Metern Abstand im Raum und sah Elenna prüfend an, als wolle sie herausfinden, warum ihre Herrin den anderen nicht folgte. Diese wiederum war in Gedanken. Irgendetwas war mit Avathar. Und etwas sagte ihr, daß sie noch mit ihm zu tun haben würde, in welcher Weise auch immer. Die Frage war nur, zum Guten oder zum Schlechten. Auf dem Trainingsplatz schlug Avathar seinen Gegner, einen größeren, blonden, aber sehr drahtigen Elben, indem er ihm die Spitze seiner Schwertklinge ans Kinn hielt. Er hatte die Zuschauerin bemerkt. Und er wusste auch, wer sie war. Aber ihre Gedankenverlorene Art am Fenster zu stehen und den Ereignissen teilnahmslos zu zusehen, amüsierte ihn. Er sah, wie Elenna sich abwandte. Es war möglich, dass dies das einzige Treffen mit ihr bleiben würde. Aber wer wusste schon, was die Zukunft brachte. Er würde es sehen... ~*~*~ Elrond hatte sie in sein Haus gebeten. Die Kirschbäume in seinem Garten blühten und die ersten Blätter rieselten im sanften, warmen Frühlingswind zu Boden, als Elenna an jenem Brunnen saß, an dem sie sich vier Jahre zuvor niedergelassen hatte, um von Elrond empfangen zu werden. Und so stand heute auch wieder der Herr von Imladris in seinem Wintergarten, mit einem Kelch aus Elbenglas in seinen Händen und in ein matt-violettes Gewand gekleidet. Doch diesmal war er nicht allein. Aragorn stand bei ihm und verbeugte sich tief vor der Elbe, als sie zu ihr an den Brunnen traten. „Elen síla lumenn‘ omentielvo, Frau Elenna“, begrüßte er sie höflich. Elenna lächelte ihn an und verbeugte sich ebenfalls leicht vor dem Dúnedan. „Alae, Elessar!“ Elessar – das war Aragorn Name bei den Elben, was der „Elbenstein“ bedeutete. Und so wie sie mit Elenna angeredet wurde, tat sie es ihm gleich. „Was macht Eure Arbeit, Elenna?“ frage Elrond ohne Einleitung. In den letzten Jahren hatte sich bewiesen, dass Elrond ihre Arbeit bewunderte und hatte ihr sämtliche Hilfe angeboten, die der Herr von Bruchtal anzubieten hatte. Er hatte so gar eine Marmorplatte von den Eisenhügeln herschaffen lassen, damit Elenna ihm – im Tausch gegen ein kleines Vermögen – eine Karte von Aman in den Stein meißelte. Dabei hatte er es ihr wiederum nicht an Ansporn fehlen lassen und manchmal hatte er des Abends Aragorn und seine Tochter Arwen herbei gerufen, um mit ihm und Elenna zusammen ein wenig zu plaudern. In diesen Zeiten hatte sich Elenna beinahe wie ein Teil dieser Familie gefühlt – denn dies war die einzige Familie, zur der sie solch engen Kontakt pflegte, seit sie ihre Heimat verlassen hatte. „Ich bin gerade damit beschäftigt, die Etappen meiner langen Reise nieder zu schreiben. Leider bin ich erst bis zu meiner Ankunft auf Númenor vorgedrungen“, erklärte sie und kam noch einige Schritte auf Aragorn und Elrond zu. „Nun“, begann Aragorn wieder, „Vielleicht, Frau Elenna, hättet Ihr Interesse an einem weiteren Kapitel.“ Sie runzelte die Stirn und sah den Mann eingehend an. „Was meint Ihr damit, Elessar?“ Elrond derweil schritt in würdevoller Haltung zu einem Tisch im Freien hinüber und goss sich und auch seiner Besucherin ein Glas Elbenwein ein. Es war offenkundig, dass er mit Aragorns Plan vertraut war, denn sonst würde er Einspruch erheben oder zumindest dafür sorgen, dass man seinen Rat einholte. „Ich dachte mir, da Ihr ja eine belesene und weit gereiste Frau seid, dass ich Euch vielleicht auch einmal das Land Eriador zeigen könnte.“. erklärte Aragorn höflich und bemühte sich sichtlich, der weisen Elbe Respekt zu zollen. Elrond kam nun wieder zu ihnen hinüber und reichte den anderen beiden jeweils ein Glas, bevor er begann genüsslich sein eigenes Getränk zu verzehren. „Ich habe bereits mir Herrn Elrond darüber gesprochen“, sprach Aragorn weiter und machte eine wage Handbewegung in Elronds Richtung „Und die Dúnedain wären geehrt, Euch zu treffen.“ Elenna unterdrückte krampfhaft, dass ihr die Röte auf die Wangen trat und sie hoffte inständig, dass ihr Gesicht nicht so heiß wirkte, wie es sich plötzlich anfühlte. „Ich danke Euch, Aragorn“, nannte sie ihn nun beim richtigen Namen, „Und vielleicht ist es keine so schlechte Idee, wieder einmal die Welt zu betrachten.“ ~*~*~ Sie trug einen Brauen Anzug und einen schwarzen Gürtel mit einem langen, wallenden, tarnfarbenen Mantel zu schwarzen, hochgeschlossenen Stiefeln. Das hellblonde Elbenhaar war zu einem dicken Zopf im Nacken geflochten und fiel ihr über den Rücken als ein gebündelter Strang. Aragorn war ähnlich gewandet und stand mit ihrem treuen Ross Angalos und seinem eigenen Pferd nahe bei der Treppe vor Elronds Haus. Ihr weißes Pferd schillerte im Licht, da seines von braunschwarzer Farbe war, doch ebenso stolz und noch um einiges größer. „Ich denke, die beiden werde sich vertragen“, erklärte Aragorn, als Elenna zu ihm trat und still beobachtete, wie der Dúnadan mit den Pferden umging. Elenna trat die letzten Stufen hinunter und nahm Angalos Zügel, der sie wiederum sanft mit seinen Nüstern im Gesicht berührte und leise und glücklich wieherte. Sie flüsterte Angalos in der Elbenzunge in eines seiner weißen Ohren und strich seine sorgfältig gepflegte Mähne beiseite, so dass sie in der Sonne glänzte und silbernes Licht zurück warf. Aragorn überließ ihr das Pferd und nahm die Zügel seines Hengstes zur Hand. Mit einer eleganten und fließenden Bewegung erhob sie sich auf den Rücken von Angalos und lächelt auf Aragorn hinab, der stumm ihren Blick erwiderte und dabei ganz vergaß die Hand zu senken. „Folgt mir bitte, Frau Elenna“, gestand er und bestieg sein eigenes Ross. Er nahm die Zügel fest ihn die Hand und wandte das Pferd auf der Straße nach Westen. Ohne jegliches Wort zu wechseln ritten sie los und durchquerten still noch einmal die Straßen im Westen von Imladris. Langsam zogen die Häuser der Hochelben von Bruchtal an ihnen vorbei und schienen zu zeitlos zu sein, wie die Welt der Valar. Erst, als sie die Furt hinter sich gelassen und den Bruinen, in der Sprache der Menschen die Lautwasser, erblickt hatten, gaben sie beide ihren Pferden die Sporen und gingen in einen gemächlichen Galopp über. Bald ließen sie zu ihrer Rechten, im Norden der Großen Oststraße die Trollhöhen hinter sich und setzten langsam auf die Wetterberge zu. Einige Meilen vor der Letzten Brücke verlangsamten sie ihr Tempo wieder und die Pferde schienen nach einem solch langem und anstrengend Ritt dankbar dafür. Elenna – die wie jeder Elb ohne Geschirr ritt – saß ab und ging einige Schritte über den Kiesboden, der mit Morast und den brauen Blättern des vergangenen Herbstes bedeckt war. „Ich denke“, begann Aragorn, „weiter sollten wir heute nicht mehr reiten. Vor Trollen werden wir uns hier nicht mehr fürchten müssen und ich glaube, wir haben uns beide eine Pause verdient.“ „Und diese beiden hier erst recht“, stimmte Elenna zu und strich über Angalos Schnauze. Sie und Aragorn hatten während des Rittes nicht viel geredet, aber wenn, dann recht herzlich. Er hatte ihr von der hübschen Frau Arwen erzählt und von ihrer Vermählung in Lothlorien. Sie wiederum hatte von ihren Arbeiten erzählt und von ihrem Lebensabschnitt im versunkenen Númenor. Sie ließen die Pferde auf einer nahen Grasfläche weiden, während Elenna das Lager aufschlug und Aragorn umherwanderte, Spuren las und schließlich mit etwas Feuerholz zu ihrem Rastplatz unter einer alten Buche zurückkehrte. „Keine Trollspuren in dieser Gegend“, berichtete er, „Ich schätze wir werden und keine Sorgen machen müssen, diese Nacht.“ Er legte das Holz in eine Freie Stelle inmitten ihres Lagers und entzündete langsam eine klein-flimmernde Glut. „Ich bin dafür, dass wir gleich morgen weiter ziehen“, meinte Elenna, „Derjenige, der als erstes erwacht, weckt den anderen. Ich werde sehen, ob ich etwas Frühstück zubereiten kann.“ „Gestattet mir die Frage, aber Kochen ist nicht eine Eurer Stärken, oder, Elenna?“ fragte er und setzte dabei ein fast schelmisches Lächeln auf, das Elenna bestätigte, weshalb sie ihn sehr gut leiden konnte. Als Antwort erhielt er ein fast resignierendes Seufzen. „Es scheint bei weitem so, aber Kochbücher sind in meiner Bibliothek wahrlich nicht oft zu finden“, erklärte sie und sah nach Westen, wo langsam die Sonne hinter dem Rand der Welt verschwand und nun ihre Heimat in der Westernis mit Licht erfüllte. Aragorn setzte sich zu seinem Gepäck und legte sein Schwert nahebei unter ein Tuch, um es immer griffbereit zu halten. Dann zog ein Bündel hervor und wickelte e aus. „Lembas“, sagte Elenna, als sie es sah, „Eine Wegzehrung aus Lorien!“ Er nickte und reichte ihr ein Stück. „Ich kann Euch versprechen, dass, sobald wir in Bree sind, ihr wahrlich besser speisen werdet!“ gelobte Aragorn und nahm einen Bissen von dem Brot, dass einem Kraft für eine ganze Woche gab und eine angenehme Frische durch sämtliche Glieder schickte. Auch Elenna reichte er ein Brot und sie riss eine kleine Ecke davon ab und legte sie sich auf die Zunge. Beide tranken sie einige Schlucke und beobachteten schweigend das Firmament über ihnen und das stille und dunkle Land ringsum. In keiner der Himmelsrichtungen ließ sich etwas ausmachen und auch kein Geräusch dran zu ihnen hinüber. Eine fast vollkommene Nacht war herein gebrochen. Schließlich legte Aragorn seinen Becher bei Seite und legte sich hin, während ihr kleines Feuer langsam verging. „Morgen werden wir an den Wetterbergen vorbeikommen“, erklärte er und seine Stimme wurde von einem Fell, das er als Decke gebrauchte, gedämpft, „Ruht Euch aus, denn wenn wir uns beeilen, können wir in einigen Tagen in Bree sein. ~*~*~ Es geschah auch so, wie Aragorn es vorher sagte. Am zweiten Tag, gelangten sie zu Ross in Sichtweite der Wetterberge und sahen den Amon Sûl, wie er sich majestätisch n die Höhe ragte. Am östlichen Fuße der Wetterberge lagerten sie bei Anbruch der Nacht erneut. Der Abend unterschied sich kaum vom vorherigen und auch diesmal schlief Aragorn vor der Elbe, die ihn begleitete. Selbst die dritte Nacht war ruhig, die sie auf der anderen Seite der Wetterberge verbrachten. Und schließlich, nach fast einer Woche Reise, als ihre Lembas Vorräte und auch das Wasser langsam zur Neige gingen, gelangten sie, vorbei an den Mückenwassermooren im Norden, ins Land um Bree. Im Schatten der Bäume des Chetwaldes saßen beide ab und nahmen ihre Pferde an den Zügeln. Langsam und würdevoll verließen sie den Wald und erreichten das Osttor der Stadt Bree. Als sie ihre Füße auf die grob gepflasterte Straße vor dem Tor setzten nieselte es ein wenig und von ihren grünbraunen Mänteln perlten kleine Tropfen ab und glitten zu Boden. Elenna spürte Aragorns Zügel in ihrer Hand, als er sie ihr übergab, zum Tor hinüber schritt und mit erhobener Faust dagegen klopfte. Die Stadtmauer war etwa drei bis vier Meter hoch und bestand aus massivem Holz. Die Tür war eindeutig etwas kleiner und besaß zwei kleinere Fenster. Eines davon auf Augenhöhe von Aragorn und Elenna und ein weiteres auf halber Höhe, etwa 3 Fuß über dem Boden. Und noch während Elenna das zweite Fenster betrachtete, öffnete sich das obere von beiden und ein alter, griesgrämig wirkender Mann schaute durch einen schwarzen Kapuzenmantel auf die Straße. ~*~*~ Aragorn hielt ihr die Tür weit auf und sie betrat das Gasthaus, das von Außen ganz freundlich wirkte. Im Inneren war eine Schar Männer um die Theke versammelt und tranken aus großen Krügen, lachten, mal freundlich, mal amüsiert, mal anzüglich und mal hämisch. Viele Redeten auf dem Wirt ein, der jedes Mal in einem Redeschwall antwortete, der selbst den Gesprächigsten den Nerv töten konnte. „Das ist Gerstenmann Butterblüm“ erklärte Aragorn von hinten leise, während einige Halblinge um sie herum schlichen und nach draußen verschwanden. Butterblüm musste sie anscheinend durch die Menge hin gesehen haben, denn er warf ihr einen anzüglichen und Aragorn einen finsteren Blick zu. „Er scheint Euch nicht zu mögen“, flüsterte Elenna. „Er mag mich nicht, weil ich ein Waldläufer bin, wie sie es hier im Breeland nennen“, erklärte Aragorn und führte sie zu einer Nische im Hinteren Teil des Gasthauses. Aragorn nahm ihren Mantel und faltete ihn sauber zusammen, legte ihn auf einen Stuhl und faltete seinen daneben zusammen. Sie nahm Platz und sah, wie Butterblüm ihnen entgegen kam. „Was darf ich den Herrschaften bringen?“ fragte er mit einer rauen und tiefen Stimme, die aus einem Mund kam, den Elenna unter seinem buschigen Bart nicht ausmachen konnte. „Zwei Met“, erklärte Aragorn kurz und sachlich, doch unter seinem Anzug hatte eine Hand an den Schaft seines Schwertes gelegt. Als Butterblüm sich entfernte, sah Elenna ihren Begleiter mit einem Seitenblick an und fragte mir gespielt-koketter Stimme, „Weshalb die Feindseligkeiten, Estel?“ Aragorns Blick traf ihren, doch er erwiderte nicht. Seine Haltung sagte ihr, dass er keinen konkreten Grund außer eigenem Selbstschutz vor diesen Wesen hatte. „Ihr solltet etwas Vertrauen in diese Wesen haben, Ihr werdet überrascht sein“, meinte Elenna mit weisem Tonfall. „Es ist nicht so, dass ich ihm Feindseligkeit entgegen bringe“, sagte Aragorn ruhig, „Aber diese Zeiten sind gefährlicher als Euch klar ist, Frau Elenna, und ich möchte ihn schützen. Aber hütet Euch, er redet sehr viel, wenn man ihn einmal dazu ermutigt hat!“ Sein Blick löste sich von ihrem Gesicht, als Butterblüm erneut heran eilte, mit zwei großen Bierkrügen auf einem Holztablett. Ihr entgingen nicht die neugierigen Blicke, die Butterblüm ihr zuwarf, anscheinend interessierte es ihn sehr, wenn ein neuer und fremder Gast sein Gasthaus betrat. Doch Elenna zog es vor, sich seinen Reden zu entziehen und nahm ihr Getränk lediglich dankend in Empfang. Wieder entfernte sich der Wirt und die Elbe und ihr menschlicher Begleiter tranken schweigend einige Schlücke. Das Bier war sehr herb und sie schmeckte den Hopfen deutlich heraus. Aber schlecht war es gewiss nicht. Die Tür des „Tänzelnden Ponys“ ging erneut auf und ein alter Mann mit einem Spitzhut trat ins Gasthaus. Elenna bemerkte ihn zunächst nicht, nur die Anwesenheit eines vertrauen Geistes machte sie auf das Geschehen im Lokal aufmerksam. Sie hörte wie Butterblüm laut lachte und dann zu ihrem Tisch hinüber eilte. „Ich gratuliere“, sagte er, „Ihr habt sehr... überzeugende Freunde!“ Mit einer Handbewegung in Richtung des neuen Gastest verließ er sie wieder. Elenna sah den alten Mann mit dem langen Grauen Bart und Haar und einem Stock der Istari einige Sekunden an. „Olòrin!“ rief sie dann, stand auf und kam auf dem Zauberer zu. „Nae saian luume' (Es ist zu lange her), Elenna, meine alte Freundin. Schön zu wissen, dass es auch noch andere Geschöpfe auf Arda gibt, die mich noch aus meiner Jugend kennen“, erwiderte der Mann und legte einen Arm um ihre Schulter zur Begrüßung. Auch Aragorn hatte sich erhoben und war an sie heran getreten. „Alae, Gandalf!“ begrüßte er den Zauberer. „Ja, ich sehe, ihr kennt euch bereits“, meinte er und sah mit einem freundschaftlichen Lächeln von Aragorn zu Elenna. Der alte graue Zauberer war ihnen beiden sehr vertraut. Elenna hatte in ihrer Kindheit in den Unsterblichenlanden sehr oft mit dem mächtigen Istari zu tun gehabt und hatte ihn beinahe so sehr ins Herz geschlossen wie ihre Schwester. Er war stets ihr Freund gewesen und er würde es immer sein. Aragorn hingegen hatte den Istari erst hier in Mittelerde getroffen und pflegte eine ebenso tiefe Freundschaft zu Gandalf wie Elenna. Doch er war ein Mann und sie eine Elbenfrau. Elennas Beziehung zu Gandalf würde immer tiefer und inniger sein als die eines anderen. Der Zauberer setzte sich zu ihnen an den Tisch. Er schien erfreut, seine alte Freundin wieder zu sehen, denn sie hatten sich seit fast 7000 Jahren nicht mehr in die Augen blicken können. Das Gespräch war zunächst recht heiter und entspannt. Gandalf und Aragorn machten sich einen Spaß daraus, ihr von den Halblingen, den Hobbits, und ihren außergewöhnlichen Bräuchen, wie zum Beispiel dem Pfeifenkraut zu erzählen. Elenna für ihren Teil hörte aufmerksam zu, denn zu diesem Zweck war sie schließlich mit dem Dunedain–Fürsten nach Eriador gekommen. Doch irgendwann wurde Gandalf sehr merkwürdig, als würde ihn etwas bedrücken. Elenna hatte es immer gespürt, wenn der Zauberer Sorgen hatte. Sie sah ihn mit ihren nebelgrauen Augen forschend an und hörte auf, an einer Strähne ihres malzfarbenen Haares zu spielen. Gandalf runzelte die Stirn, denn er konnte ihren eindringlichen Blick deutlich spüren. Auch Aragorn wurde still, als seine Gefährten nicht mehr sprach und sah zu erst die Elbe und dann den alten Mann an. „Die Lage ist ernster als ihr denkt. Oder zumindest als du denkst, Elenna“, begann Gandalf, „Du warst immer sehr zuversichtlich und gutgläubig.“ „Worauf willst du hinaus, Olòrin?“ drängte Elenna nun. Wie als Antwort zog Gandalf einen Brief mit seinem Siegel, einer Elbenrune, aus seinem weiten, grauen Mantel, in den er sich zu hüllen pflegte. „Der hier ist geht zu den Truchsessen von Gondor. Noch habe ich nicht alle Teile dieses Puzzles zusammen gesetzte, doch ich glaube, dass etwas Schlimmes im Gang ist, von dem die Welt noch keine Ahnung hat.“ Elenna starrte Gandalf für eine Sekunde an. „Wie meinst du das nur, Olòrin?“ Aragorn sah Elenna für einen Moment prüfend an. „Ich kann dir nicht alles sagen“, flüsterte Gandalf, „ Das tut mir leid, aber es ist zu deinem Schutz. Es wird sicher Krieg geben!“ Er warf den Gestalten in der Kneipe einige Blicke zu als befürchtete er, man könnte ihn belauschen. „Es war schön dich wieder zu sehen, aber ich würde es vorziehen, wenn du wieder weg gehst von hier. Meinetwegen nach Aman, aber bleibe nicht hier, Elenna!“ erklärte Gandalf leise und hastig, was für ihn recht untypisch war. Elenna verstand nicht recht. Er wusste, dass sie in der Lage war, sich selbst zu schützen, doch andererseits erinnerte sie sich wie grausam und blutig die Schlacht in Mordor damals gewesen war, wo die Asche wie schwarzgrauer Schnee vom Himmel fiel. Als die Elbe lange Zeit stumm blieb ergriff auch Aragorn erneut das Wort. „Hört und tut war es Sagt, Frau Elenna!“ sagte er, „Ich wusste nicht, dass es Grund für solche Vermutungen gibt, ansonsten hätte ich Euch bei Meister Elrond in Imladris gelassen, wo Ihr sicher seid.“ Immer noch schwieg Elenna und betrachtete Aragorn genau. Sein kantiges Kinn, seine langen Haare, sein brauner Bart. Schließlich seufzte sie resignierend uns ließ ihre Schulter vornüber sinken. „Vielleicht habt ihr beide Recht. Aber ich könnte helfen bei diesem Krieg!“ „Du bist Gelehrte und keine Kriegerin wie deine Schwester, Elenna“, sagte Gandalf, als er ihr eine Hand auf die Schulter legte du sie unterbrach, „Dein Wissen ist so etwas wie ein lebendes Archiv. Wenn du sterben würdest wäre vieles verloren, das einst war. Rette dich!“ Traurig sah Elenna auf den Bierkrug vor ihr. Ihre Gedanken jagten sich, bis Gandalf ihr die Entscheidung abnahm und aufstand. „Komm schon, Elenna, du weißt, dass ich Recht habe!“ Sie nickte schweigend und erhob sich, „Ja, in der Tat, das weiß ich. Lasst uns gehen. Ich muss Angalos noch reisefertig machen.“ ~*~*~ Draußen war es nun stock finster, doch noch immer irrten im Nieselregen einige Wesen durch die Strassen. Elenna zog ihren Mantel enger um sich, als sie vor dem Osttor der Stadt auf ihr Pferd stieg. „Ich wünsche Euch alles Gute“, sagte Aragorn, der neben ihr stand und noch die Zügel von Angalos hielt, „ Es war eine Ehre Euch zu treffen und ich wäre erfreut, wieder die Ehre Eurer Gegenwart in Anspruch zu nehmen!“ Er verbeugte sich und Elenna, die auf ihrem Pferd saß, neigte den Kopf vor dem Fürsten. „Es war mir ebenfalls eine Ehre, Aragorn, Arathorns Sohn!“ sagte sie und wandte sich an Gandalf, der nun hinzu trat. Sie nahm seine Hand und drückte sie kurz, „Ich hoffe, dass war nicht das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben in so vielen Jahren!“ „Nein, sicherlich nicht, Elenna. Ich kann es spüren! Alles Gute!“ Sie erwiderte den Gruß mit einem warmen Lächeln, nahm die Zügel und ritt durch das Osttor davon: „Aa' menealle nauva calen ar' malta (Mögen deine Wege immer grün und golden sein)“ “Lissenen ar' maska'lalaith tenna' lye omentuva, Elenna (Süßes Wasser und helles Lachen für dich, bis wir uns wieder sehen, Elenna!)” ~*~*~ Die Bäume schienen ihr nachts dichter als am Tage. Und der Regen milderte diesen Eindruck nicht sonderlich. Nachdem sie Bree hinter sich gelassen hatte, war sie nicht wie mit Aragorn durch den Chetwald direkt zurückgekehrt, sonder ritt eine Weile Richtung Süden, um dem Wald zu entkommen. Doch selbst vom Waldrand aus, ragten die Bäume gewaltig und Furcht einflößend in die Höhe, wo sie einem dunklen, grauschwarz und blauem Himmel entgegen wuchsen. Angalos ritt schnell und der Regen peitschte Elenna unter ihrer Mantelkapuze hart ins Gesicht, so dass dann und wann ihre Sicht verschwamm und sie den Weg nicht richtig erkennen konnte. Angalos machte in dieser Zeit seinen Weg selbst und ritt manchmal recht mutwillig über den einfachsten Weg ohne zu wissen, ob dieser Weg sie nicht in größere Schwierigkeiten bringen könnte. Elenna fragte sich, was Olòrin so sehr dazu bewegt hatte sie noch heute und bei diesem unglaublichen Unwetter los reiten zu lassen. Nach einiger Zeit blieb Angalos stehen und wieherte. Es war offensichtlich, dass er etwas wahrnahm, dass ihn Angst einjagte und verunsichert blickte Elenna in die dunkle Gegend. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie in ihrer Eile die rettende Oststraße bereist hinter sich gelassen hatte und zu weit in den Süden gekommen war. Durch das laute Prasseln des Regens, der klatschen in dem weichen und schlammigen Boden versickerte, lauschte sie und konnte selbst ein tiefes Brummen hören, das sich mit einem keuchenden Atem vermischte. Starr vor Schreck saß sie auf Angalos, der ebenfalls sich kaum rührte und in dieselbe Richtung wie seine Herrin sah. Dann zeichnete sich ein großer Schatten einige hundert Meter vor ihnen auf dem Pfad ab, den sie genommen hatten. Er war größer und dunkler als das Gebüsch umher und wesentlich Furcht einflößender. Elenna nahm die Zügel fest und gab Angalos die Sporen. Ihr Pferd sprang ängstlich hervor, hinunter von dem Pfad und hinein ins Dickicht. Elenna spürte, wie ihr Ross panisch den dich bewachsenen Abhang hinunter pretschte. Ihr schlugen Äste gewaltsam ins Gesicht und sie hielt schützend ihren linken Arm vor ihr Gesicht. Dann erreichte Angalos einen weiteren Pfad, der kleines, schlammiger und unbenutzter war, als der vorherige. Doch Angalos hielt sich nicht dort, sondern ritt Richtung Westen weiter, bis ein Scharren von Füßen auf dem Pfad zu hören und zu spüren war. Dann riss Elenna treuer Freund erneut nach links in Gestrüpp aus. Unbeherrscht wurde das verschreckte Pferd noch schneller, doch der neue Abhang war noch steiler als der ersten und das Geäst war weitaus dichter. Überrascht wurde Elenna von einem Ast, an dem ihr Mantel hängen blieb. Als Angalos den Widerstand spürte, warf er seine Herrin kurz entschlossen ab. Mit einem Aufschrei prallte Elenna auf den Waldboden, als der Mantel riss und stürzte schmerzhaft den Abhang hinunter. ~*~*~ Das nächste was sie spürte waren warme Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht. Der Sturz war vorüber und sie lang am Rande eines Kiesweges auf alten, braunen Blättern, die die Bäume in den vergangenen Jahren im Herbst verloren hatten. Sie war – was einem Wunder gleichkam – beinahe unversehrt, bis auf eine lange Schramme an ihrem rechten Arm, als ein Ast dort die Haut aufgerissen hatte un einigen Schürfwunden an den Wangen. Sie fragte sich, wie lange sie schon dort liegen mochte. Von Angalos war keine Spur zu sehen und auch war ihr der bedrohliche Schatten nicht gefolgt. Sie musste geschlafen haben, denn sie fühlte sich ausgeruht, auch wenn sie unbequem gelegen hatte. Sie stützte sich auf ihre Arme und spürte in ihnen den Schmerz, wie bei einem leichten Muskelkater. Auch ihr Magen meldete sich. Vorsichtig stand sie auf und belastete beide Füße. Dann suchte sie nach ihrer Umhängetasche. Wenige Meter lag sie, ebenfalls unversehrt und noch mit ihrem kompletten Inhalt. Daraus entnahm sie das Lembas, das sie mitgenommen hatte. Es war nicht mehr viel da, nicht einmal genug, um ihren Hunger zu stillen. Still aß sie den Bissen und sammelte sich. Sie blickte die Straße auf und ab und entdeckte an einem Ast ihren Silberbogen und den Köcher, den sie mitgenommen hatte. Sie kletterte behände den Abhang hinauf und pflückte die Sachen von den Ästen hinunter. Allerdings musste sie feststellen, dass einige der Pfeile fehlten. Sie hatte nur noch drei übrig, drei Schuss, um einen Feind zu töten, wenn er sie angriff. Pfeifend heulte der Wind umher und sie wusste, sie durfte nicht lange verweilen und musste so schnell wie möglich nach Imladris zurückkehren. Den zerschlissenen Mantel legte sie ab und machte sich auf den Weg nach Osten die Straße hinunter. In den Pfützen, die sich nach dem großen Regen gebildet hatten, betrachtete sie dann und wann ihr Gesicht. Sie sah verhärmt und ein wenig erschöpft aus, doch sie missachtete die Zeichen des Schmerzes, die ihr ihr Körper sandte, während sie weiter gen Osten ging. Sie knotete ihr Haar im Lauf neu, damit es ihr nicht immerzu in die Stirn fiel. Sie ging sicherlich schon zwei oder drei Stunden auf der unbekannten Strasse entlang, sich nicht sicher, ob es auch die richtige Richtung war oder ob sie weit von ihrem Pfad abgekommen war. Immer wieder sandte sie Stoßgebete zu Varda, damit sie ihr beistehe und ihr die Sterne in dieser Nacht den Weg weisen würden. Lange Zeit passierte nichts, doch dann ereignete sich etwas Seltsames. Eine Brücke kam in Sichtweite und Elenna beschleunigte Ihre Schritte ein wenig. Sie eilte hinüber und blickte in das klare Wasser unter sich. Ihr kam dieser Fluss mehr als bekannt war, der von Norden sich gen Süden hinfort schlängelte. Die Weißquell. Mit einem Lächeln füllte sie ihre Trinkflasche und zog weiter, als sich langsam die Sonne dem Abend entgegen senkte. Obwohl sie nun wusste, dass sie den rechten Weg eingeschlagen hatte, bereiteten ihr die heraufziehenden Schatten neues Unbehagen. Was war, wenn man sie wieder angriff? Mit drei Schüssen würde sie keinen Troll niederschmettern können. Und schon gar nicht mehrere. Sie trank aus der Feldflasche und beschleunigte ihre Schritte erneut, in der Hoffnung, bald den dichten Bäumen umher zu entkommen. Dann hörte sie es. Zunächst nur ein Rascheln im Gebüsch, dann deutliche Schritte und sie blieb wie erstarrt stehen und spähte mit scharfen Elbenaugen ins Zwielicht. Es klang wie die Laute ihres unbekannten Angreifers der vorherigen Nacht. Ohne hinzusehen nestelte sie am Verschluss des Gurtes, mit dem sie den Langbogen umgeschnallt hatte und griff nach einem, der verbleibenden Pfeile. Elenna hörte ihren eigenen Atem, wie sie ihn zuvor nur in der Schlacht gegen Mordor gehört hatte und das Blut rauschte ihr in den Ohren, während ihr Herz immer schneller gegen ihre Brust trommelte. Sie schlich leichtfüßig vorwärts, dicht entlang der Bäume. Das Fußgetrappel kam jetzt näher. Es klang nach Tieren, die durch die Nacht galoppierten. Ein Zirpen, dann das ferne Wiehern eines Pferdes. Äste knarrten und brachen unter dem Gewicht von vorbeiziehenden und Elenna hoffte, sie würde unentdeckt bleiben. Doch dann sah sie die Schatten vor sich. Einige huschten über die Straße, schneller, als sie es sehen konnte. Das Trommeln von Hufen wurde lauter und ein dunkler Reiter erschien auf der Lichtung, ein Schwert in der Hand. Elenna zögerte nicht lange. Sie hatte nicht vor auf diese Art zu sterben. Ihr Pfeil ging los und schoss mit der Schnelligkeit eines Blitzes auf den Reiter zu. Doch er war noch schneller als sie, denn der Pfeil wurde pariert von einem lässigen Streich seines Schwertes. Er wendete sein Pferd und trapte auf Elenna zu, sein Gesicht unter einer Kapuze verborgen. Doch aus seiner Haltung konnte sie erkennen, dass auch er in die Dunkelheit spähte und nach ihr Ausschau hielt. Elenna zog den zweiten Pfeil hervor, legte ihn an die straff gespannte Sehne und zielte diesmal auf seinen Kopf. „Kommt nicht näher!“ rief sie in der Sprache der Menschen. Erstaunt blieb der Reiter stehen und blickte in ihre Richtung. Er musste sie im Halbdunkel des abendlichen Waldes wohl endlich ausgemacht haben. Dann lachte er laut und röhrend auf, als würde er sich köstlich amüsieren. Verärgert spannte Elenna den Bogen nach weiter, bereit jede Sekunde erneut zuzuschlagen. „Elen sila lumenn omentielvo! (ein Stern scheint über die Stunde unserer Begegnung)“, erwiderte der Reiter in exzellentem Sindarin, „Endlich können wir persönlich miteinander sprechen, Elenna Calaciryan!“ Er griff mit großen und behandschuhten Händen hinauf und strich seine Kapuze zurück, damit sie sein Gesicht sehen konnte. Und Elenna erstarrte erneut, diesmal aus freudiger Überraschung. Sie blickte in ein jungenhaftes Gesicht eines heran reifenden Elb mit einer großen Nase und dunkelbraunem Haar. Derselbe junge Elb, den sie vor kurzem erst bei Glorfindel gesehen hatte. „Avathar, richtig?“ sagte sie, ihn nicht aus den Augen lassend. „Ja, sehr richtig. Aber ich fände es überaus liebenswürdig von Euch, wenn ihr den Bogen senken könntet!“ sagte er und ritt nun näher heran. Elenna entspannte die Sehne und verstaute Pfeil und Bogen wieder auf ihrem Rücken. „Was tut Ihr hier?“ fragte sie ihn. „Nun, eigentlich war ich mit einem Trupp aus Imladris unterwegs. Einige Trolle treiben sich in der letzten Zeit herum und werden immer dreister. Ich habe nicht damit gerechnet euch hier zu sehen und offenkundig werdet ihr in Imladris nicht zurück erwartet!“ Elenna überlegte einen Augenblick, wie viel sie Avathar von ihrem Gespräch mit Gandalf und Aragorn preisgeben sollte. Am besten war, sie würde es für sich behalten. „Ich musste meine Reise leider früher beenden als geplant. Angalos, mein Pferd, ist mir durchgegangen, als wir durch den Wald kamen.“ „Ja, das liegt sicher auch an den Trollen! Kommt, steigt hinter mir auf! Ich werde euch nach Imladris bringen. Meister Elrond wäre sicher sehr ungehalten, wenn ich ihm die hohe Frau Elenna nicht wiederbringe!“ Er lächelte und sie bekam den Eindruck, er würde sich über sie lustig machen und gleichzeitig verehren. „Kommt schon“, sagte er noch einmal, als sie stumm blieb und ihn anstarrte, „Das sollte keine Beleidigung sein. Mir ist durchaus bekannt, dass die Intellektuellen Euch sehr schätzen. Und nun springt auf!“ Mit einer Mischung aus Widerwillen und Freude umklammerte Elenna also das Zaumzeug des Pferdes und schwank sich hinter Avathar auf den Rücken des Pferdes, da wendete er auch schon wieder und ließ sein Ross langsam vorwärts traben. Es war eine merkwürdige Begegnung gewesen und Elenna konnte sich nicht erinnern, jemals einem ungestümeren Jungspund wie ihm begegnet zu sein. Doch letztendlich war sie dankbar, dass er sie gefunden hatte. Und obwohl er sie noch dann und wann mit unreifen Sprüchen nervte und zur Weißglut trieb… als sie in Imladris ankamen und Elenna in ihr altes Leben zurückkehrte, wurde er langsam und allmählich zu einem guten Freund. *** FORTSETZUNG FOLGT *** Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)