Nach dem Sturm von _Risa_ ================================================================================ Arc 1: Die Ruhe nach dem Sturm | Kapitel 2: Ein Essen mit alten Freunden ------------------------------------------------------------------------ Die Kinder kamen als Erstes aus dem Haus gestürmt. „Hange! Onyankopon! Armin!“ Dann wandten sie sich Mikasa ebenfalls zu und grüßten sie kurz, hatten wohl nicht mit ihrem Kommen gerechnet. Sie unternahm tatsächlich sehr selten etwas, verließ selten ihr Haus; genauso wie der Captain, der an den Türrahmen gelehnt stand. Er konnte bereits kurze Strecken gehen, hatte Onyankopon erzählt. „Gabi, bist du dem grummeligen, alten Mann täglich auf die Nerven gegangen?“, fragte Hange. „Täglich“, bestätigte Gabi. „Sehr gutes Mädchen. Dann hat er mehr zu tun, als vor sich hinzuvegetieren.“ „Falco weniger“, fügte sie hinzu. „Von Falco hätte ich es nicht erwartet.“ Falco und Gabi erzählten von allem Möglichen, waren aufgeregt zu hören wie es ihnen bei den Verhandlungen erging und was sie zu erzählen hatten. „Der grummelige, alte Mann“, sagte Gabi. „ist so fade mit dem allein in einem Haus zu leben und nie ist dem das Haus sauber genug. Gabi, putz die Badewanne noch einmal. Gabi, was klebt da; von der Schüssel hätte ich mein Pferd nicht fressen lassen. Falco ist so sauber und ordentlich.“ „Das bin ich“, bestätigte der Junge. „Das ist er“, bestätigte Levi vom Türrahmen aus. „Und du bist ein Ferkel.“ „Es ist schön daheim zu sein“, sagte Onyankopon und Levi bestätigte das. „Schön wieder daheim zu sein.“ „Das zweite Ferkel ist eingetroffen. Vielleicht kannst du das Mädchen bändigen und ihr lernt gemeinsam, wie man aufräumt und täglich badet, Augenklappe.“ „Das ist eine Aufwertung von Brillenschlange, schätze ich, und wir können es uns nicht leisten, dass jeder von uns täglich badet.“ Dey sah ihn abschätzend an. „Deinem Bein geht es nun besser?“ „Für kurze Strecken im Haus, ja. Bin nun wirklich ein alter, verkrüppelter Mann.“ Levi drehte sich um, um in das Wohnzimmer zurückzukehren und fiel beinahe. „Zu lange hier gestanden“, erklärte er kurz angebunden. „Scheiße, verdammte.“ Hange stützte ihn und half ihm gegen halbherzige Proteste zurück. „Das braucht Zeit. Sag, wieso hast keine solchen Namen für Onyankopon?“ Dann winkte dey Armin und Mikasa herein. „Wir würden dann noch kochen.“ „Der räumt hinter sich auf und ist ziemlich ruhig. Ein angenehmer Zeitgenosse“, sagte Levi trocken. „Ah, verstehe.“ Das Lachen hielt nicht lange an. „Wir haben dir etwas aus Paradis mitgebracht. Wir dachten… nun ja, du wolltest seine persönlichen Gegenstände bei uns im Haus haben. Ich hatte noch drei Zeichenblöcke von Moblit gefunden, da ist Onyankopon und mir der Gedanke gekommen. Ich kannte Erwin ebenfalls sehr lange und gut, daher lag mir das am Herzen zu tun.“ Er ließ sich in den Stuhl gleiten und presste seine Lippen aufeinander. „Legt sie oben ab, oder schließt sie weg.“ Dann hielt er die Tasse mit bereits ausgekühltem Tee am oberen Rand mit drei Fingern und schwenkte den Rest darin hin und her, nicht bereit dieses Gespräch fortzuführen. „Danke“, sagte er nach einer Pause schlicht und sah dey über die Tasse hinweg an, ein Auge sah man an, er war in seinen eigenen Gedanken versunken; das andere Auge glasig und blind. „Gerne.“ Dey erinnerte sich noch an die Zeit, nachdem Erwin und Moblit gestorben waren. Manchmal waren sie beide für eine halbe Nacht nur beieinandergesessen, ohne viel zu sprechen, oft gar nicht, und Tee getrunken oder Hange hatte gelesen und Papierkram neben ihm bearbeitet, nur damit sie beide nicht allein in ihrer eigenen Trauer, allein in einsamen vier Wänden und allein mit ihren Gedanken sein mussten. Dabei hatte dey herausgefunden, Levi schlief seit jeher kaum. Höchstens vier Stunden, wenn es hochkam und er legte sich selten hin. Sobald er sich hinlegte, sah man ihm an, dass der Schrecken aller Tode, die er mitangesehen hatte, zurückkam. So schlief er meistens aufrecht in einem Stuhl und war bei jedem Geräusch alarmiert. Onyankopon brachte Erwins persönlichen Besitz hoch in Levis Zimmer und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Vielleicht war es falsch Erwins persönliche Gegenstände mitzunehmen und ihn zu erinnern. Doch dey wollte ebenfalls Andenken an deren alten Freund. Zwei Bücher seines Vaters, in denen von einem Land jenseits des Ozeans geschrieben worden war, das Medaillon, das er Hange vermacht hatte, und Unbedeutendes, mit dem man erst etwas Tieferes verband, wenn ein Mensch verstorben war. Etwas so Kleines wie ein edler Stift und ein Tintenfass. Von Moblit blieb denen bloß Zeichenblöcke. Als einfacher Soldat hatte er kaum etwas besessen. Doch diese Zeichnungen bildeten sein gesamtes Leben ab; alles, das er gesehen hatte mit Liebe zum Detail auf Papier niedergebracht. Menschen innerhalb der Mauern beim Einkauf am Wochenmarkt, eine Katze auf einer Stiege, Pflanzen, und zwischen den Momentaufnahmen von verschiedenen Kameraden, die miteinander sprachen oder während des Trainings in dynamischen Posen abbildeten, Zeichnungen von Hange. Titanen befanden sich in einem gesonderten Zeichenblock, der für Hange und deren Forschungsteam bestimmt gewesen waren. „Der ist für mich. In diesem zeichne ich nur, was mich selbst glücklich macht“, hatte er gesagt. „Von Moblit?“, fragte Levi. Hange bejahte und erwartete eine spitze Bemerkung, doch er nickte nur verstehend und trank seinen Tee. Dey sah gedankenverloren einige Seiten aus Moblits persönlichem Zeichenblock durch, konnte Erinnerungsfetzen vor deren innerem Auge aufblitzen sehen, als dey Orte erblickte, die sie gemeinsam besucht hatte, bis Mikasa und Armin den Raum betraten. „Möchtet ihr, dass wir beim Kochen helfen?“, fragte Mikasa an. „Ich möchte mich gerne nützlich machen.“ „Wir hätten gekocht“, kam es von Onyankopon und Hange, bis dey Mikasa Gemüse und ein Schneidebrett gab. „Wenn du möchtest.“ „Niccolo hatte uns ein paar Tricks und Rezepte gezeigt“, brachte sich Armin ein. „Dann machen wir das. Ich wollte seine Spaghetti nachkochen, das hatte ich nie selbst gemacht.“ „An Niccolo heranzukommen ist eine hohe Messlatte.“ Onyankopon stellte ihnen Töpfe bereit. Er fand sich in ihrer gemeinsamen Küche, die zu fünft benutzt wurde, im Dunkeln zurecht. „Viel Spaß. Wo lebt Niccolo nun? Noch in Paradis?“ „Ich glaube ja“, erwiderte Armin. „Er wollte an Sashas Geburtsort ein kleines Gasthaus eröffnen. Es gibt noch einige Probleme mit einer Gruppe aus Yaegeristen, die extremistisch unterwegs sind und jede Person aus Marley aus dem Land haben wollen, oder Schlimmeres. Manche wollen sogar „es zu Ende bringen“. Ich hoffe, Niccolo ist sicher.“ „Ich verstehe nicht, dass die Menschen nicht lernen. Aber die politischen Details besprechen wir, wenn Jean und Connie nachkommen.“ „Deshalb setzt man sich an den Arsch der Welt ab, Hange“, wandte sich Levi an denen. „Weil die Menschen nicht lernen.“ „Ich glaube, dass die Menschen lernen können. Sie müssen lernen mit ihrem bisherigen Hass umzugehen und die Menschen, die sie hassen, kennenzulernen. Es ist einfach andere Menschen als Monster zu bezeichnen, ohne denen je begegnet zu sein und die Horrorgeschichten zu glauben, die dir von ihnen erzählt werden.“ „Hange hat Recht“, wandte Onyankopon ein. „Wir müssen es immer weiterversuchen und weiter, bis die Menschen lernen wollen und es dann tatsächlich lernen.“ „Und wenn sie nicht lernen, sitz ich hier lieber am Arsch der Welt und hab meine Ruh.“ „Du hast mal dein Leben in den Dienst der Menschheit gestellt.“ Hange drehte die Flamme für den Teekessel nochmal hoch und wartete neben dem Ofen. „Und mein Dienst an ihr ist vorbei. Deiner auch. Du lässt Armin die Verhandlungen führen, gehst an die Uni, und machst… was auch immer du für einen Scheiß du vorher schon getan hast mit diesen unheimlichen Geräten und deinen wahnsinnigen Ideen.“ „Meinst du, das Mikroskop, das ich hatte oder…“ „Alles.“ „Das war unheimlich für dich?“ Hange lachte, drehte den pfeifenden Kessel ab und schenkte ihm nochmal eine Tasse nach. „Ich war mir sicher, dass du die ganze, verdammte Baracke in die Luft sprengst und den Titanen die Arbeit abnimmst uns alle abzumurksen.“ „In Ordnung, aber ich werde Armin dennoch zu Verhandlungen begleiten.“ „Bitte“, kam es von Armin, während er die Tomaten schnitt und es nicht wagte den Blick vom Schneidebrett zu heben. „Ich bin einfach nicht gut darin zu reden, oder aufzutreten. Ich hab kein Auftreten. Hange bringt man mehr Respekt entgegen, man hört denen zu, hab ich den Eindruck. In den Augen dieser älteren Männer bin ich ein Kind. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie Historia ernstnehmen.“ „Alles, was du sagst, ist sinnvoll“, erwiderte Mikasa. „Du hast uns schon oft geholfen.“ „Doch das nutzt niemanden etwas, wenn jemand nicht auftreten kann. Ich bin nicht wie Erwin, ich kann keinen Saal zum Jubeln bringen und die Menschen mitreißen. Ich war immer der Junge, den man aus Spaß verprügelt hat um Dampf abzulassen und nun soll ich für eine Nation sprechen, um Frieden zu wahren und Städte wieder aufzubauen.“ „Du hast viel Auftreten und in einem Verhandlungssaal musst du nicht eine Masse an Menschen zum Jubeln bringen, sondern dich mit ein paar wenigen Menschen an den Tisch setzen, die dem Inhalt deiner Argumente genauso Gehör schenken. Wenn sie dies nicht tun, ist das nicht deine Schuld.“ Hange stand ihm gegenüber und wartete, bis er dey endlich ansah. „Niemand erwartet von dir, dass du Erwin ersetzt. Ich hatte genauso damit gehadert und gedacht es gäbe keine unfähigere Person als Commander, Erwin hatte sich geirrt.“ „Danke.“ Er lächelte schwach. „Ein großer Teil der Welt steht noch. Also hast du wohl vieles richtig gemacht.“ Hanges Blick wurde sanft. „Das bedeutet mir viel.“ „Es ist wahr, Commander.“ Er brachte das Schneidebrett zum Kochtopf. „Ich sehe da draußen einen großen Teil der Welt immer noch intakt und der andere erholt sich.“ Mikasa tat es ihm gleich und ließ das geschnittene Gemüse vom Brett in die Sauce gleiten. „Das erinnert mich an damals, als wir noch zusammen mit Carla und Eren gekocht haben.“ „Das stimmt allerdings. Sind die Spaghetti schon im Wasser? Kocht es?“ „Ja.“ „Gesalzen?“ „Nein“, erwiderte sie überrascht. „Muss man das? Warte.“ Onyankopon gab ihnen erneut eine schnelle Einführung in die Küche des Hauses und zeigte ihnen das Gewürzregal in der Vorratskammer. „Wie viel Salz?“ Er nahm ihr den Streuer ab und war sichtlich vertraut damit die hier heimischen Gerichte zu kochen. „Ich finde wir befinden uns in einer Gesellschaft, in der es wichtiger für Menschen mit Ideen und die etwas bewegen möchten, ist populistisch aufzutreten und mit Reden überzeugen zu können, als Inhalte vorzubringen“, warf Onyankopon ein. „Und ein intelligenter, junger Mann wie du sagt Wichtiges, also hören weise Menschen dir zu.“ „Danke. Onyankopon, würdest du nochmal versuchen Anwalt zu werden?“ „Ich weiß nicht, ob ich genügend Gerechtigkeit in Marleys Recht finden kann, oder in Paradis“, erwiderte er nach einer Pause des Nachdenkens. „In Zukunft vielleicht, falls ich das je können sollte.“ „Verstehe ich.“ „Ich konzentriere mich lieber darauf den Wohlstand und den Wiederaufbau meiner eigenen Heimat voranzubringen. Das ist meine Art für Recht zu sorgen. Ist das nicht ironisch, die Schlacht um Himmel und Erde hat uns in geringerer Härte getroffen, im Speziellen die Grenzgebiete, weiter sind sie nicht mehr vorgedrungen, aber dafür die Jahrzehnte unter Marleys Herrschaft und dem Krieg zuvor. Nun sind wir unabhängig, aber meine Heimat leidet immer noch, viele der Menschen sind immer noch arm.“ Er sah geistesabwesend vor sich. „Marley wird nun ein besseres Land.“ Dann holte er aus seinem Koffer verschiedene Packungen, nahm sich den Stuhl neben Levi und setzte sich zu ihm. „Wie viele Teesorten kennst du? Das sind vermutlich mehr, als du je zuvor probiert hast.“ „Damit kriegt man den aus der Reserve? Mit Tee? Interessant“, kam es von Gabi von den Stufen. Levi ignorierte sie geflissentlich. „Der hier ist…?“ Er griff nach einem Beutel, der ein etwas würziges Aroma verströmte. „Rooibos aus meiner Heimat. Der wurde in meinem Heimatort von meinen Nachbarn schon vor Jahrzehnten angebaut. Manchmal gibt man ihm Vanille hinzu.“ „Ein was gibt man ihm hinzu?“ „Ein Gewürz.“ „Ich wollte mal einen Teeladen eröffnen“, sagte er, während er die verschiedenen Beutel betrachtete. „Da hab ich mir den Schädel einmal zu oft im Kampf angeschlagen, um auf sowas zu kommen.“ „Aber wieso denn nicht“, ergänzte Onyankopon. „Jetzt hättest du die Möglichkeit dazu. Du wärst nicht mehr im Dienst, hast du vorhin noch gemeint.“ „Dieser geschäftliche Schwachsinn liegt mir nicht. Das Einzige, das ich je gelernt habe, ist zu kämpfen. Ich bin Krimineller und Soldat, nichts anderes.“ „Dann wirst du nun lernen etwas anderes zu sein und ich werde dich unterstützen. Tu mir bloß einen Gefallen und kauf nicht von Plantagen meiner Heimat, die die Arbeiter immer ausnutzten. Unter Marleys Herrschaft haben sie meine Leute dort versklavt.“ „Ich will nicht reich werden. Die reichen Schweine, die uns ausgenutzt haben und hungern ließen, während sie sich selbst angefressen haben, hab ich schon im Untergrund verachtet. Dreien davon hab ich die Kehle aufgeschlitzt.“ Onyankopons Gesichtszüge erstarrten. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Levi eine solche Aussage derart beiläufig in das Gespräch einbrachte, als hätte sie genauso viel Gewichtung wie jeder andere seiner Sätze. „Das wirst du bitte nicht mit den Plantagenbesitzern, die ich dir vorschlagen könnte. Das sind Kleinbetriebe in den Händen von Einheimischen.“ „Hatte ich nicht vor und ich hoffe, sie geben einem keinen Grund. Die Schweine haben Kinder aus meinem Revier im Untergrund verschleppt und ich hab den Händlern und dem adeligen Kinderficker, der sie kaufen wollte, ein schnelles Ende gesetzt. Der war dasselbe Schwein, das zuvor Isabel angefasst hat, aber es hat ihm nicht gereicht, dass ich ihm die Hand abschnitt.“ Er legte zwei Finger an seinen Hals und zeigte eine kleine, schnelle Schnittbewegung an, zuckte mit den Schultern und drehte dann einen Beutel in seiner Hand Onyankopon zu. „Danke“, sagte er, als wäre beides Teil ein und derselben Konversation. „Das heißt für uns würdest du dasselbe tun? Wenn uns jemand zu verschleppen versucht?“ Levi sah sie abschätzig an und deutete zu Falco hinüber. „Für das Balg hier schon.“ „Natürlich würde er“, flüsterte Falco ihr beabsichtigt etwas zu laut zu. Die Kinder deckten rasch das Besteck für alle anwesenden und erwarteten Personen auf und sie setzten sich an die andere Seite des Tisches, wo sie darüber tuschelten, was im Untergrund wohl geschehen war und ob Levi die beiden aus den Händen von Kriminellen retten würde. Aus dem Augenwinkel sah Levi wie Mikasa kurz zusammenzuckte, sich einige Male dem Gespräch zuwenden und etwas sagen wollte und dann es dabei beließ vor dem Ofen zu stehen und darauf zu achten, dass das Nudelwasser nicht überkochte. „Ich will mehr darüber hören, über den Untergrund und die Händler und den grummeligen, alten Mann als Kriminellen.“ Mit dem Seitenblick auf Mikasa kam ein endgültiges, hartes Nein, das einer zu enthusiastischen Gabi das Wort abschnitt. Armin und Hange sahen ebenfalls ihr Unwohlsein. „Genug von den Gangsterstorys“, entschloss dey. „Du kennst den Gangster mit Putzlappen und Schürze, da ist er nicht mehr so beeindruckend.“ Das Mädchen kicherte. Es klingelte, als sich soeben ein neues Gespräch entwickelte und Hange stand auf, um die Tür zu öffnen. Dey begrüßte Jean und Connie und sie blieben anscheinend einige Zeit am Eingangsbereich der Türe stehen. Aus dem Gang hörte man halbe Sätze und Gesprächsfetzen, während Jean Anzugsjacke und Hut am Kleidungsständer ablegte und das Thema zu Ende brachte, bevor sie zu dritt das Wohnzimmer betraten. Jean kam zu Mikasa, die sich ihm zuwandte, legte eine Hand auf ihr Schulterblatt und fragte die normalsten Dinge, die man sich vorstellen konnte. Nach ihrem Tag, was Armin und sie gerade kochten, dass er sich freute bei ihr zu sein und das schien sie mit Zufriedenheit zu erfüllen. Sie unterhielten sich für wenige Minuten in leiserer Gesprächslautstärke. Kein Flüstern, doch auch nicht dafür bestimmt, dass sich andere in das Gespräch einmischten. Armin, der neben ihr stand, hörte, dass sie wieder über die Knochen nachdachte, und Jean küsste ihre Stirn, ehe er sich von ihr abwandte. „Armin, hey.“ Jean drückte ihn in eine kumpelhafte Umarmung. „Wie liefen die Verhandlungen?“ „Mittelmäßig bis durchwachsen“, gab er wahrheitsgemäß zu. „Wir besprechen das beim Essen.“ Es wurde aufgedeckt und Spaghetti ausgeteilt. Niccolo hätte die Spaghetti eventuell anders gekocht, besser, irgendwie vielleicht auch bissfester, aber man konnte sie dennoch als ordentlich bezeichnen, zumindest wenn man keine hohe Messlatte an ihnen anlegte. „Über die Verhandlungen“, setzte Armin an. „Wir haben leider keine besonders guten Nachrichten von Paradis. Die extremistische Yaegeristgruppe hat mehr Einfluss als uns lieb ist und die Besprechungen … über uns.“ Er sah zweimal zu Hange hinüber. „Über Historias und meinen Kopf wurde hinweg gesprochen und wir wurden speziell von Marleys Minister öfters übergangen. Nichts worauf ich sonderlich stolz wäre. Ich dachte ich könnte Reden halten und Menschen überzeugen, aber wenn es an einen Tisch mit internationalen Politikern, so kann ich das anscheinend nicht. Ansonsten steht der Friedensvertrag nach wie vor aufrecht. Zu unserer aller Erleichterung, aber sehr viel mehr gibt es nicht zu berichten.“ Er biss sich auf die Unterlippe und aß schließlich weiter. „Das war’s?“, hakte Jean ungläubig nach und sah wie Armin mehr in sich zusammensank. „Er kann nichts dafür“, warf Mikasa verteidigend ein. „Ich mach niemanden einen Vorwurf, ich hatte nur mehr erwartet.“ „Wir haben bei den Menschen selbst mehr erreicht“, sagte Hange schließlich. „Mit den Menschen in Paradis, die sich unschlüssig über die Yaegeristengruppe waren und bei einigen jungen Männern der Yeageristen, die mit sich reden ließen. Zu wem wir auch immer durchdringen können, sollten wir das tun.“ „Wir hatten ebenfalls einiges an Erfolg bei den Leuten“, sagte Connie. Jean stimmte stolz zu. „Wir verwalten Hilfsgüter, in erster Linie Nahrung, Decken, Hygieneprodukte und anderes, die wir Lager von Geflüchteten und momentan obdachlosen Personen zukommen lassen und unsere Versorgungskette läuft sehr gut. Auf der Landesebene macht uns einiges zu schaffen, aber wir kommen bei den Menschen an, bei denen es wichtig ist anzukommen. Leider müssen wir uns mit den Lieferungen und allem Möglichen ebenfalls herumschlagen. Eine kleine Splittergruppe der Yaegeristen, die nach Marley gekommen ist um „die große Schlacht“ zu Ende bringen will, hat letzte Woche einen unserer Nahrungslieferanten angegriffen und zwei unserer Männer getötet.“ Er fasste sich an die Nasenrücken. „Idioten“, fluchte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Ihr macht eure Arbeit sehr gut“, bekräftigte Mikasa. „Und du ebenfalls und ich weiß, du siehst deine momentane Arbeit als deine Pflicht an, aber wir könnten deine Stärke bei uns ebenfalls gebrauchen. Du könntest helfen auf gefährdeten Strecken die Lieferungen zu beschützen.“ „Du kannst Mikasa, deine Freundin, nicht, …“, setzte Armin an, wollte seine Kindheitsfreundin schon wieder, nachdem Friede eingekehrt war, als Soldatin sehen. Sie alle hätten ausgedient haben sollen. „Bitte, seit wann unterschätzt du sie. Sie ist eine Soldatin und die stärkste Frau, die ich kenne. Auch im wahrsten Sinne des Wortes. Ich trau niemand anderen diese Aufgabe mehr zu als ihr und ich bin dafür verantwortlich die fähigsten Leute auf die jeweiligen Posten zu holen, die sie ausfüllen müssen.“ Jean sah sie an, während der Raum still geworden war. „Ich will dich nicht dazu drängen. Wenn du sagst, du möchtest nie wieder in deinem Leben eine Waffe anfassen, dann versteh ich das.“ „Ich will, dass die Menschen die Hilfsgüter erhalten. Dann hat es einen Sinn wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen“, erwiderte sie. „Aber… ich muss darüber nachdenken. Ich bin müde.“ „Vom heutigen Tag oder vom Kämpfen?“ „Von beidem.“ Er rubbelte über ihren Oberarm. „In Ordnung. Ich möchte dich nicht drängen.“ Ich bin Soldat, sonst kann ich nichts, hallten Levis Worte in ihren Gedanken wider. Vielleicht war da bei den Ackermanns etwas Wahres dran. Sie konnten kämpfen, sie waren stark, sie waren loyale und verantwortungsbewusste Soldaten und sie warteten auf einen Befehl, auf eine Aufgabe, auf einen Auftrag jemanden zu beschützen. Angeblich war das alles erlogen gewesen, um den Ackermann-Clan loyal zu halten. Die Ackermanns konnten sonst nichts, sagte sich Mikasa selbst hin und wieder. Vielleicht gab es doch etwas, das sie noch herausfinden musste. Bis dorthin hatte sie keine Aufgabe, wenn sie niemanden mehr beschützen und für niemanden kämpfen oder ihre Stärke einsetzen konnte. Die Gespräche entwickelten sich in eine andere Richtung. Eine Stunde später floss auch etwas Alkohol, die Gespräche waren ausgelassener und fröhlicher und man schickte die Kinder um elf Uhr abends in ihre Betten, und Mikasa brachte sich ein. Das Band, das früher bloß zu Eren und Armin bestanden hatte, weitete sich und fasste mit der Zeit mehrere Personen ein. Das war neu und irgendwie beängstigend wie auch erfreulich. Levi deutete auf die Uhr gegenüber. „Wenn ich zu Gast wäre, würde ich jetzt gehen.“ „Versteh ich nicht. Wir sind doch die, die hier zu Gast sind.“ „Du sollst heimgehen, Connie.“ „Die vier werden bleiben. So spät fährt ihr bestimmt nicht mehr die holprige Straße hinunter. Wir haben ein Gästezimmer“, übergingen Onyankopon und Hange ihn. „Leider nur eines, das ihr euch teilen müsst, aber das weckt vielleicht Erinnerung an die gute, alte Barackenzeit.“ „So gut war die nun nicht“, wandte Connie ein und folgte den beiden dennoch mit den anderen in ein spärlich eingerichtetes Zimmer. Ein Bett, ein kleines Nachtkästchen und zwei provisorische Matratzen und Decken am Boden. „Ich möchte noch etwas mit dir besprechen.“ Mikasa nahm Jean zur Seite. „Können wir draußen ein wenig spazieren gehen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)