Pet von Maginisha ================================================================================ Kapitel 6: ----------- Außerhalb des Badezimmers war die Luft kühler und weniger feucht. Makoto spürte es, während er nach nebenan in den Waschraum ging und dort den Spiegelschrank öffnete. Darin alles, was er brauchte. Neben diversen Fläschchen, Pillen und Döschen gab es Mullbinden, Kompressen und Heftpflaster. Makoto griff danach, als er draußen ein Geräusch hörte. Es klang wie …   Scheiße.   Die Utensilien fielen klirrend und raschelnd ins Waschbecken. Makoto stürzte in den Flur. Das Bild, das sich ihm dort bot, war schlimmer, als er befürchtet hatte. Viel, viel schlimmer.   Der Gefangene auf dem Boden, die Fliesen um ihn herum blutverschmiert und voller Scherben. Er rührte sich nicht. Erschien wie tot. Scheiße! „Hey!“, bellte Makoto und war mit einem Schritt bei dem Jungen. Der lag auf der Seite, die Augen geschlossen. Hatte er sich beim Sturz erneut den Kopf angeschlagen? Woher kam das Blut?   „Hey! Hörst du mich? Antworte!“   Noch einmal schossen ihm die Geräusche durch den Kopf. Das gedämpfte Platschen von nackten Füßen. Rhythmisch mit längeren Pausen. Als wäre er gehüpft. Danach ein Knirschen und Klirren. Lautes Klatschen und Rumpeln gefolgt von einem dumpfen Schmerzenslaut. Und dann nichts mehr. Gar nichts. Und jetzt lag dieser Idiot hier und rührte sich nicht.   Scheiße, scheiße, scheiße, fuck! Na los, komm schon. Wach auf!   Makoto gab ihm einen Schlag auf die Wange. Nicht fest genug, um ihn zu verletzen. Er sollte nur aufwachen. Zu sich kommen. Seine Finger hinterließen blutige Abdrücke.   „Hey, Kleiner. Los, sag was!“   Die Augenlider des Jungen flatterten. Langsam, so langsam, dass Makoto schreien wollte, hoben sie sich wieder. Getrübter Bernstein unter langen, dunklen Wimpern. Er hatte schöne Augen. „Fuck“, fluchte Makoto und verzog das Gesicht zu einer wütenden Grimasse. „Bist du wahnsinnig geworden? Was fällt dir ein? Wolltest du fliehen? Hier? So?“   Seine ausholende Geste schloss alles mit ein. Den immer noch feuchten und reichlich unbekleideten Körper, die Einsamkeit der Waldhütte und nicht zuletzt den Scherbenhaufen, der dem Jungen zum Verhängnis geworden war. Er musste in eine der scharfen Spitzen hineingetreten und dann ausgerutscht sein. Wer tat so etwas?   Jemand, der sehr verzweifelt ist.   Der Gedanke drängte sich förmlich auf, aber Makoto schob ihn zurück in die Ecke, aus der er gekommen war. So etwas konnte er jetzt nicht brauchen. Er musste den Jungen versorgen. Die Blutung finden und stoppen.   „Idiot“, murmelte er noch einmal, bevor er sich vom Anblick der seltsamen Augen losriss und begann, den Körper des Jungen nach Verletzungen abzusuchen. Wenigstens war er glücklich gefallen und nicht mitten in den Überresten der Vase gelandet. Lediglich in seinem Fuß entdeckte Makoto eine Scherbe. Das Porzellanstück stak mitten im weichen, gebogenen Teil der Sohle. Die Haut drumherum rot verschmiert. Als er sich bewegte, quoll mehr Blut aus der Wunde, rann herab und tropfte zu Boden. Makoto presste die Lippen aufeinander. „Bleib liegen“, befahl er und stand auf, um nun endlich das Verbandszeug zu holen. Als er zurückkam, hatte der Junge sich aufgerichtet. Sein Oberkörper lehnte an der Wand, während er die Beine in Makotos Richtung ausgestreckt hatte. Auch sie waren mittlerweile blutverschmiert. Es stieß Makoto ab und gleichzeitig war da eine seltsame Ästhetik, der er sich nicht vollkommen entziehen konnte. Helle Haut, schwarzes Leder, rotes Blut. Die Kombination ließ Makoto für einen Moment schwindeln.   „Du bist wirklich zu dumm“, murmelte er und war sich nicht sicher, ob er damit den Jungen meinte oder sich selbst.   Ich brauche dringend etwas zu trinken. „Warte hier“, knurrte er noch einmal, dieses Mal deutlich an den Jungen gewandt, und ging, um die Verbandsmaterialien in den Raum mit der Wanne zu bringen. Danach holte er den Gefangenen. „Du schuldest mir ein Hemd“, erklärte er, bevor er den Jungen kurzerhand packte und ihn in seine Arme hob. Den Kopf mit der Schulter stützend, den anderen Arm in seinen Kniekehlen, trug er seine Fracht zurück zu dem kleinen Hocker, setzte ihn vorsichtig darauf und griff erneut nach der Brause.   Auf ein Neues, dachte er, bevor er den warmen Wasserstrahl anstellte und anfing, die Spuren des Unfalls wegzuwaschen. Dabei konzentrierte er sich darauf, seinen Blick nur auf das zu richten, was er tat. Obwohl er spürte, dass der Junge ihn beobachtete. Ganz genau. Wie eine Katze. „Jetzt der Fuß“, befahl er und bedeutete dem Jungen, die Beine auszustrecken. Wieder wusch er die ebenmäßigen Schenkel, die leicht knochigen Knie, die wohlgeformten Waden. Er stockte kurz, als er die Knöchel erreichte. Seine improvisierten Fesseln hatten dort mittlerweile rote Striemen hinterlassen. Es wurde Zeit, dass er sich etwas anderes einfallen ließ, um den Jungen am Weglaufen zu hindern. Etwas, das effektiver und weniger schmerzhaft war.   Später, beschloss er und wandte sich zunächst dem verletzten Fuß zu. Die Scherbe steckte immer noch darin, das Blut mischte sich mit dem Wasser zu einem leicht rosafarbenen Rinnsal. Makoto schnaufte und drehte das Wasser ab. „Das wird jetzt wehtun“, verkündete er und wollte schon nach der Scherbe greifen, als der Junge zurückzuckte. Dabei hatte Makoto ihn kaum berührt. „Halt still“, knurrte er und griff nach dem Fuß des Jungen. Schon wieder. Makotos Mund wurde trocken. „Stillhalten!“, schnauzte er erneut und war sich dieses Mal sicher, dass er nicht nur mit dem Jungen sprach. Da waren Dinge in der Dunkelheit, die sich bewegten. Ihren Kopf hoben und witterten. Dabei gab es hier nichts für sie. Nichts und niemanden.   Makoto atmete tief durch. Er wusste, dass er kräftig würde ziehen müssen. Und hoffen, dass nichts in der Wunde zurückblieb. Außerdem schnell die Blutung stillen, wenn er nicht riskieren wollte, dass der Kleine ihm zusammenklappte.   Er braucht etwas zu essen. Zu trinken. Und Kleidung. Wenn das hier vorbei ist, hole ich erst mal seine Tasche. Und dann …   Ruck.   Makoto hörte den Schrei. Das Entsetzen. Die Pein. Es ließ etwas in ihm hochbrodeln. Den Willen zuzuschlagen. Die Stimme zum Schweigen zu bringen. Solange darauf einzuprügeln, bis es sich nicht mehr bewegte. Hass.   „Verdammt!“, herrschte er den Jungen an. Die Scherbe klirrte zu Boden, rotes Blut schoss hinterher. Makoto fletschte die Zähne.   „Hör auf zu heulen. Sie ist raus.“   Ihre Blicke trafen sich. Der Junge atmete schwer, die Augen voller Tränen. Makoto ebenso erregt, wenngleich auch aus anderen Gründen. Es hätte nur ein Streichholz gebraucht, einen Funken, der Raum wäre explodiert.   Aber er kam nicht. Und die Wut verging.   Makoto schluckte.   „Ich … die Scherbe ist raus.“ Er wandte den Blick ab. Die Binde, das Verbandszeug. Er musste sich darum kümmern. Der Junge würde sonst verbluten. „Ist gleich vorbei“, murmelte er, während er weißen Stoff gegen die Fußsohle presste. Erst danach fiel ihm auf, dass er sie noch hätte desinfizieren sollen.   Egal. Das Blut wird den Dreck ausgewaschen haben.   Ohne noch einmal innezuhalten griff er nach einem der Verbandsröllchen. Öffnete es. Begann, die lange weiße Bahn in ordentlichen Schlaufen um den Fuß zu winden. Rauf und runter. Immer herum. Er blickte nicht nach oben. Nicht rechts, nicht links. Nur nicht ablenken lassen. Immer weiter wickeln.   Als die Gaze endete, endete auch Makotos Bewegung. Er starrte auf das, was er getan hatte. Ein ordentlicher Verband. Er bedeckte den Fuß und einen Teil des Knöchels. Die Zehen waren frei geblieben. Fünf perfekte, kleine Gliedmaßen eingebettet in makellosen, weißen Stoff. Makoto konnte nicht aufhören, sie anzusehen. Sich vorzustellen, wie es wäre, wenn …   Mit einem Ruck riss Makoto seinen Blick los. Sein Herz pochte und da war eine Erregung in ihm, die seine Finger zittern ließ. Oder zittern hätte lassen, wenn er sie nicht zur Faust geballt hätte. Mit der anderen Hand beherrschte er sich. Die hielt immer noch den Fuß des Jungen. Er musste sich zusammenreißen.   Vollkommen unangebracht.   Das hier war ein Junge. Ein Mann. Verletzt obendrein. Und in seiner Gewalt. Es gab tausend Gründe, die gegen das sprachen, was Makoto fühlte. Und trotzdem hatte sich der Anblick, der sich ihm gerade geboten hatte, in ihn eingebrannt. Das war falsch. Absolut falsch.   „Ich werde jetzt nach deinem Kopf sehen.“ Seine Stimme war rau, seine Hände immer noch zittrig, als er dieses Mal zuerst nach dem Jod und dann nach dem Verband griff. Er desinfizierte den Riss, gab etwas von der braunroten Flüssigkeit darauf und verschloss das kleine Fläschchen mit der gläsernen Pipette sorgfältig, bevor er eine Kompresse nahm und sie auf die Wunde drückte. Wieder begann er, weißen Stoff abzuwickeln. Immer rundherum. Ihm war klar, dass er dem Jungen zuerst die Haare hätte trocknen müssen. Der Verband würde durchweichen, die Wunde vielleicht erneut anfangen zu bluten. Aber darauf konnte Makoto jetzt keine Rücksicht nehmen. Er musste dafür sorgen, dass sie endlich aus diesem Bad herauskamen. Essen, Trinken, Kleidung. Sein Verstand verbiss sich darin. Er musste es dorthin schaffen. Er musste. „Fertig.“   Der Verband war nicht gut. Zu locker, zu schief, zu unregelmäßig. Er hätte ihn unter dem Kinn fixieren müssen, aber da war noch der Knebel. Die Socken. Auch sie würden weichen müssen. Das hier war einfach nur … Makoto fand keine Worte dafür. Etwas, das er gerne losgeworden, ja am besten nie getroffen hätte. Wann war er falsch abgebogen? Egal. Du schaffst das. Reiß dich zusammen!   „Ich hole das Handtuch.“   Äußerlich ruhig ging er los und fischte das fragliche Stück Stoff aus dem Hausflur. Dort draußen herrschte immer noch Chaos. Noch etwas, das Makoto würde beseitigen müssen. Aber zuerst der Junge.   „Kannst du aufstehen?“   Makoto wartete die Antwort auf seine Frage nicht ab. Er hüllte in das Handtuch, was er nicht zu sehen wünschte, und setzte dann an, den Jungen hochzuheben. In diesem Moment war er froh darum, dass der sich nicht bewegen konnte. Er war nur … ein Ding. Etwas, das Makoto auf- und wieder abladen konnte. Nicht mehr und nicht weniger. „Ich werde dich … bringen“, murmelte er, nicht wirklich sicher, wohin jetzt mit seiner Fracht. Er kannte sich hier nicht aus. Der offene Wohnbereich mit den vielen Fenstern schien ihm weniger geeignet. Vielleicht in die Küche?   Nein. Er muss zuerst etwas anziehen.   „Das Schlafzimmer“, entschlüpfte es ihm, als er eine halb geöffnete Schiebetür erspähte. Die äußere Optik des Raumes ahmte das Muster traditioneller Reispapiertüren nach, doch in seinem Inneren befanden sich keine Tatamimatten oder Futons. Stattdessen ein breites Bett im westlichen Stil aus dunklem Holz mit passenden Tischchen an beiden Seiten. Dazu ein in die Wand eingelassener Schrank aus dem gleichen Material. Makoto ging in den Raum hinein.   Dort, beschloss er und trat auf das Bett zu. Die üppige, weiße Bettwäsche wurde von einer weiteren, ebenfalls weißen Tagesdecke geschützt. Ein Relief aus Blumen und Kreuzen gab ihr ein altmodisches aber gemütliches Aussehen. Makoto konnte die erhabenen Strukturen fühlen, als er den Jungen darauf ablegte.   „Warte hier“, befahl er und setzte nach einigem Zögern noch ein „aber dieses Mal wirklich“ hinzu, bevor er sich umdrehte, um die Tasche aus dem Auto zu holen. Seine Schuhe schlappten lose um seine bloßen Füße, als er draußen über den Parkplatz ging. Trotzdem beeilte er sich.   Wer weiß, was er sonst noch anstellt.   Als er wieder ins Haus kam, lauschte er. Es war alles ruhig, kein Laut war zu hören. Makoto war sich nicht sicher, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. So schnell er konnte, streifte er seine Schuhe ab und lief auf nackten Füßen zum Schlafzimmer zurück.   Ich hätte Pantoffeln mitbringen sollen, schoss es ihm dabei durch den Kopf, aber wer hatte ahnen können, dass er heute hier landen würde. Oder dass es keine Hausschuhe in seiner Größe gab. Noch einmal verwünschte er Shisu, dann bog er um die Ecke und sah den Jungen. Er saß immer noch dort, wo Makoto ihn zurückgelassen hatte. Eine zusammengesunkene Gestalt, in ein großes, braunes Handtuch gewickelt, um Kopf und Fuß einen weißen Verband. Die Beine gefesselt mit Makotos Schnürsenkeln und in seinem Mund ein Knebel. Makoto beschloss, dass der als Nächstes weichen würde. Doch zuerst würde er dem Jungen etwas anziehen.   Fest entschlossen, auch diese Unannehmlichkeit hinter sich zu bringen, hob Makoto die Tasche, ließ den Verschluss aufschnappen, klappte sie auf und erstarrte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)