Slytherins Skriptorium von Anastasya (A Hogwarts Legacy Story) ================================================================================ Kapitel 1: Der geheime Eingang ------------------------------ Camilla war sich sehr unsicher mit ihrem Vorhaben, aber Sebastian war Feuer und Flamme. Er war ihr erster und bester Freund, da konnte sie ihn doch schlecht alleine lassen. Außerdem klang es ja auch spannend. Zu spannend, um sich da einfach raus zu halten. Trotzdem war es fraglich, ob sie diesen geheimen Raum überhaupt finden würden. Im Grunde war das doch wirklich unwahrscheinlich. Wäre so ein geheimer Raum nicht schon längst gefunden worden? Von erwachsenen Hexen und Zauberern, die viel versierter waren, als sie? Vermutlich würde Ominis ihnen sowieso nicht helfen, das musste auch Sebastian klar sein. Aber wenn ihn der Versuch glücklich machte... Sie hatten inzwischen den richtigen Korridor erreicht und Sebastian sah sich schon ungeduldig um. „Irgendwo hier muss er sein.“ Er stemmte seine Hände in die Hüfte und ließ seinen Blick durch den Gang schweifen. „Dort ist er!“, sagte Cami dann und deutete auf Ominis Gaunt, der gerade um die Ecke bog. „Okay, reden wir mit ihm.“ Ohne lange zu überlegen, nahm Sebastian Camilla am Arm und zog sie mit sich, als er auf seinen besten Freund zuschritt. „Sebastian. Wer ist bei dir?“ Ominis hielt kurz inne, ehe er fortfuhr. „Sie ist es wieder, oder?“ Seine Stimme klang schnarrend und unterkühlt. Vermutlich spürte er, dass Sebastian etwas im Schilde führte, was ihm nicht gefallen würde. So war es oft, wenn er mit der Gryffindor zusammen war. „Ja, ich bin es, Ominis.“, erwiderte Cami freundlich. Sie wusste, dass der Slytherin ihr nicht sonderlich viel abgewinnen konnte. Zwar behandelte er sie nicht mehr so schroff, wie am Anfang, trotzdem schien er noch so seine Probleme mit ihr zu haben. Auf ihre Worte hin nickte er. „Und ihr wollt...?“ Sebastian tauschte einen raschen Blick mit seiner Begleiterin und ergriff dann das Wort: „Ominis, es geht um das geheime Skriptorium von Slytherin.“ Der blinde Junge seufzte. „Sebastian, das ist eine Legende. Und selbst wenn nicht, würde ich nichts damit zu tun haben wollen. Du solltest auch die Finger davon lassen!“ Seine Stimme hatte einen Hauch von Wut, auch wenn er nicht direkt sauer klang; vielmehr genervt oder zermürbt. Cami fühlte sich allmählich unwohl. Bei diesem Gespräch war sie die Außenstehende und es fühlte sich falsch an, alles, was die beiden besten Freunde zueinander sagen würden, mitzubekommen. Unauffällig machte sie ein paar Schritte zur Seite und lehnte sich an die Wand. Die Mauern in Hogwarts waren immer so kühl, besonders hier, so nahe an den Kerkern. Ob die Gemeinschaftsräume von Hufflepuff und Slytherin auch so kalt waren? Das klang sehr ungemütlich und sie war froh, in Gryffindor gelandet zu sein. Keine zwei Minuten später hörte Camilla ganz dicht neben sich ein wütendes Schnauben. Sie wirbelte herum und sah in Sebastians zornfunkelnde Augen. „Er will einfach nicht nachgeben!“ Cami sagte nichts dazu. Das war genau das, was sie sich schon gedacht hatte. Sie hatte wirklich keinen Schimmer, wieso er sich überhaupt so große Hoffnungen gemacht hatte. „Du musst mit ihm sprechen.“, konstatierte Sebastian und Cami sah irritiert zu ihm auf. „Ich? Wieso?“ Ominis und sie waren nicht gerade die dicksten Freunde. Was sollte sie schon ausrichten? „Ominis hat das Gefühl, dass er mich schützen muss. Aber wenn du ihm klar machst, wie wichtig das ist...“, fügte Sebastian hinzu und sah sie fast schon flehentlich an. Sie erwiderte seinen Blick. Die Frage war ja, ob die ganze Sache wirklich so wichtig war. Sebastian schien der Gryffindor ihre Gedanken anzusehen. „Cami... Annes Gesundheit... Ihr Leben... Es gibt nichts Wichtigeres für mich.“ „Das ist nicht der Punkt.“, entgegnete sie sofort. „Wir wissen nicht einmal genau, ob es dieses Skriptorium wirklich gibt oder ob, was auch immer darin ist, Anne überhaupt helfen kann.“ Sebastians Gesicht wurde kalt und hart, als er antwortete: „Sie ist mein Zwilling. Ich werde alles versuchen, alles was möglich ist, um ihr zu helfen.“ Jetzt wurde Cami sauer. Warum dachte Sebi immer, dass sie einander bekämpften? Manchmal war sie es wirklich Leid! Wieso begriff er nicht, dass er sich zu 100 Prozent auf sie verlassen konnte? Sie stand ihm immer zur Seite und unterstützte ihn, so gut sie konnte. Aber sie war kein hirnloses Helferlein, das sofort sprang, wenn er pfiff und nie was hinterfragte. „Ich frage mich doch nur“, begann sie und schluckte ihren Ärger herunter. „warum Ominis dir nichts sagen will. Das wird doch einen Grund haben. Ihm ist Anne auch wichtig. Und was noch wichtiger ist: Wann hast du jemals von heilender schwarzer Magie gehört?“ Sie machte eine kurze, bedeutungsvolle Pause, aber Sebastians Miene veränderte sich nicht. „Du könntest alles noch viel schlimmer machen. Ich habe das Gefühl, dass du dich vielleicht verrennst...“, fügte sie leise hinzu. Keiner der beiden sagte etwas. Sie sahen sich einfach nur an. Und obwohl Camis Magen sich unangenehm verkrampfte, wandte sie ihren Blick nicht ab. Dann wurde Sebis Miene weicher. „Ich muss doch nach jedem Strohhalm greifen... Ich habe schon so viel probiert...“, krächzte er. Das unangenehme Krampfen schien sich bis auf Camis Luftröhre auszuweiten. Mit einem Seufzen sagte sie dann: „Ich spreche mit Ominis. Aber mach dir keine großen Hoffnungen.“ Sebastian lächelte seine Freundin dankbar an und sie ging schnurstracks den Korridor herunter, bis sie Ominis eingeholt hatte. „Camilla... Du sollst mir sicher das Gleiche erzählen, wie eben Sebastian. Spar' dir den Atem.“ Wie gerne sie das tun würde... Trotzdem versuchte sie ihr Bestes, immerhin hatte Sebastian es ja geschafft, sie dazu zu überreden. „Hör zu, ich weiß, warum du ihm nichts sagen willst. Also, ich kann es mir denken. Er verrennt sich da vielleicht. Ich mache mir auch Sorgen. Aber ich kann ihn auch verstehen. Ich weiß nicht, ob ich nicht genauso handeln würde, wäre ich in seiner Lage. Wir müssen auch irgendwie auf ihn aufpassen, klar, aber genauso müssen wir doch alles in unserer Macht stehende tun, um ihm zu helfen.“ Die Worte sprudelten nur so aus der blonden Gryffindor raus und kurz schien es, als würde sie Ominis gar nicht mehr zu Wort kommen lassen, aber dann endete sie. Mittlerweile waren sie stehen geblieben und es schien, als würde der Slytherin sie ausgiebig betrachten, obwohl er sie natürlich nicht sehen konnte. „Wir sprechen hier von Salazar Slytherin. Du weißt noch, wer das ist? Und als jemand aus seiner Ahnenlinie kann ich dir versichern, dass er nichts Gutes im Schloss versteckt hat. Außerdem...“ Er fuhr aber nicht fort, sondern brach ab. Doch damit würde Cami ihn nicht davon kommen lassen. „Außerdem was?“, hakte sie nach und als er sich wand und noch immer nicht antwortete, war sie kurz davor, ihn am Kragen zu packen und kräftig zu schütteln. „Außerdem was? Ominis, ich weiß auch, dass mit schwarzer Magie nicht zu spaßen ist, aber du kannst Sebastian diese Chance nicht verwehren. Und auch Anne nicht. Egal, wie winzig die Wahrscheinlichkeit ist. Sie sind deine besten Freunde!“ Und gewissermaßen waren sie auch seine Familie, wenn sie alles bedachte, was sie bisher über den blinden jungen Gaunt aus Slytherin wusste. „Wir lassen Sebastian nicht in sein Unglück rennen.“, fügte Cami hinzu, aber Ominis sagte noch immer nichts. Trotzdem konnte sie sehen, wie sie langsam zu ihm durchdrang. Also würde sie nicht aufgeben. „Und wenn er sieht, dass dieses Skriptorium Anne nicht helfen kann, dann kann er endlich nach anderen Möglichkeiten suchen.“ Ihr Monolog zerrte an ihren Nerven. Immerhin versuchte sie hier, jemanden von etwas zu überzeugen, woran sie selbst nicht so recht glaubte. Und bisher hatte er noch kein Wort gesagt oder sie unterbrochen. Beide Slytherins, Ominis und Sebastian, waren stur, wirklich stur, aber als Ominis endlich seine Sprache wiederfand, fiel Cami ein riesiger Stein vom Herzen. „Nun gut. Aber danach muss endlich Schluss sein. Hol' Sebastian.“ Zwar nervte es Camilla, hier die Posteule zu spielen, aber sie wollte die ganze Angelegenheit auch nicht unnötig weiter verkomplizieren. Also nahm sie wieder die entgegengesetzte Richtung und eilte auf Sebastian zu, der mit düsterer Miene vor einem Wasserspeier auf und ab lief. Als er sie sah, richtete er sich sofort auf und kam der Gryffindor mit einem erwartungsvollen Ausdruck entgegen. „Und?“, fragte er sofort und Cami antwortete ohne Umschweife: „Er hilft uns.“ Sebastian ballte triumphierend die Faust. „Aber er sagt auch, dass danach Schluss damit sein muss.“ Er zog sie in eine heftige Umarmung und sie spürte, wie erleichtert er war. Auch seiner Stimme hörte man das deutlich an. „Ich wusste, du packst das. Wer dich schon mal duellieren gesehen hat wird sich hüten, sich mit dir anzulegen. Immerhin kannst du es mit mir aufnehmen.“ „Großmaul.“, entgegnete Cami augenrollend und löste sich von ihm. „Vergiss aber nicht, was Ominis gesagt hat.“ Eben dieser hatte sich den beiden nun auch wieder genähert und die Stimmung zwischen den drei Fünftklässlern wurde ein wenig seltsam. „Ich bleibe dabei, Sebastian. Deine Idee ist hirnrissig und gefährlich.“, murmelte Ominis matt, doch Sebastian winkte nur ab. „Ach Ominis, ich glaube, du verkennst unseren Hausgründer.“ Ominis schüttelte nur den Kopf und Cami konnte sich vorstellen, wie frustriert er war, ihr selbst ging es ja kaum anders. Ominis machte eine Geste, dass sie ihm folgen sollten und zu dritt liefen sie ein Stück tiefer in die Kerkerkorridore. Sie hatten noch keinen allzu langen Weg hinter sich gebracht, als Ominis auch schon wieder stoppte. Auf den ersten Blick war nichts Besonderes zu erkennen. Ominis drehte sich zu seinen beiden Begleitern um und begann mit ruhiger Stimme: „Wie gesagt, es ist eine Legende, eine von vielen. Meine Tante Noctua, sie ist - war - die Einzige in meiner Familie, die ich mochte. Sie war eine der Guten... Sie hat nach diesem Raum gesucht. Auch sie war überzeugt davon, dass darin etwas Gutes war. Etwas, das mehr als Slytherins schlechte, radikale Seite zeigte. Mit der Entdeckung wollte sie auch unsere Familie reinwaschen.“ Cami war froh, dass Sebastian den Mund hielt. Einer seiner dummen Sprüche wäre jetzt sicherlich nicht hilfreich gewesen. Ominis fuhr fort: „Irgendwann kehrte sie nicht mehr zurück. Und das ist jetzt schon so lange her, dass sie wohl auch nie mehr zurückkehren wird. Ich kenne Noctua... Sie war mir am nächsten. Sie wollte ihre Mission unbedingt erfüllen. Außerdem hätte sie mich niemals so völlig ahnungslos zurückgelassen.“ Wieder machte er eine Pause und Cami spürte wachsende Sympathie für den Jungen, der da vor ihnen stand und so persönliche Dinge erzählte. Sogar ihr, wo er sie nicht gut kannte und auch nicht unbedingt mochte. Das bewunderte sie sehr. Sie selbst wäre vermutlich nicht in der Lage dazu. „Vielleicht hat meine Familie ihr etwas angetan, aber ich glaube eher, dass sie das Skriptorium gefunden hat und ihr dort etwas zugestoßen ist.“ Sebastian sah seinen Freund einen Augenblick lang an und sagte dann mit ruhiger Stimme: „Vielleicht bringen wir ja auch Licht in dieses Dunkel.“ Ominis erwiderte nichts darauf. Stattdessen berichtete er weiter: „Laut Überlieferung soll dieser Raum nur 'Würdigen' zugänglich sein. Außerdem muss man scharfsinnig vorgehen. Irgendwo hier, an dieser Ecke, soll der Eingang sein. Wir müssen uns umsehen.“ Das klang nicht sehr vielversprechend, aber Sebastian machte sich direkt an die Arbeit und klopfte die steinernen Wände ab. Aber wonach sollten sie jetzt eigentlich suchen? Ohne irgendeine Idee fuhr Cami mit den Fingerspitzen über den kalten Stein, aber alles fühlte sich ganz normal an, so, wie man es erwarten würde. Schweigend versuchten die drei, irgendeinen Hinweis zu finden und nach einer Weile, verließ Cami der Mut. Aber noch wagte sie es nicht, abzubrechen. Sebastian stand ihr gegenüber und drückte sein Ohr an die Wand. Sie strich weiter über den Stein und nach wenigen Schritten, blieb sie abrupt stehen. Ihr linker Zeigefinger fühlte sich... Nass an? Sie betrachtete die Wand, konnte aber nichts erkennen. Und gleichzeitig fühlte es sich so an, als würde sie ihren Finger in ein kühles Rinnsal halten. Sie betastete die Wand mit beiden Händen und es war eindeutig. Auch, wenn sie es nicht sehen konnte, war es hier nass! „Ich glaub', ich hab' was!“ Ihre Stimme klang seltsam laut, obwohl sie eher leise sprach. Sofort kam Sebastian angesprungen und auch Ominis schritt auf sie zu. Cami, die ihre Hände immer noch an die Wand presste, wirkte angestrengt. Sie tastete herum und versuchte, aus dem, was sie hier vielleicht gefunden hatte, schlau zu werden. „Hier ist es nass. Wie bei einem Rohrbruch.“ Ominis und Sebastian wirkten verständnislos, aber sie wusste nicht, wie sie es sonst ausdrücken sollte. „Es scheint... Es fließt hier lang.“ Ihre Finger fuhren eine Bahn auf dem unscheinbaren Stein ab. Zwischendurch stoppte sie immer wieder kurz, konnte es jetzt aber ganz deutlich spüren. Sebastian folgte ihrer Bewegung und nickte. „Du hast recht. Es scheint sich die ganze Wand... Entlangzuschlängeln!“ Wie vom Donner gerührt sah er Cami an. „Man kann dem folgen!“ Eilig taten sie das, gingen einige Meter die Wand entlang, ohne ihre Hände davon zu lösen. Nur Ominis hielt sich zurück. Sebastian hatte Cami überholt, lief weiter und weiter, bis er dann stehen blieb. „Hier hört es auf.“, stellte er ernüchtert fest. „Aber das muss doch was heißen!“ Cami kam bei ihm an und starrte zu ihm hoch. Er hatte Recht. „Hier endet die Schlange...“ Sie zog eine ihrer Hände gerade zurück, da bemerkte sie ein kleines Funkeln. Als sie genauer hinsah, war deutlich ein winziger Smaragd in die Wand eingelassen. Der ist doch eben noch nicht da gewesen? „Schau.“, flüsterte sie und stieß Sebastian an, der augenblicklich grinste. Auch er hatte den Edelstein entdeckt. „Ihr Auge.“, flüsterte er ehrfürchtig. Bevor jemand ihn davon abhalten konnte, drückte er auf den Smaragd und tatsächlich verschwand dieser in der Mauer. Mit einem schabenden Geräusch folgte die Mauer selbst dem kleinen Stein und schob sich dann zur Seite. Das Knirschen schien unnatürlich laut in dem ausgestorbenen Korridor. „Ein Schlangenkopf!“, keuchte Sebastian, als sich ein in Stein gemeißeltes Exemplar nun vor ihnen auftat. Das smaragdgrüne Auge funkelte. Camilla streckte ihre Hand aus, aber Ominis war an ihrer Seite erschienen und hielt sie zurück. „Das wird wohl kaum eine einfache Türklinke sein.“, stellte er abfällig fest und Sebastian flüsterte ihm verschwörerisch zu: „Tu es.“ Cami war irritiert. Erst, als sie Ominis unbehaglichen Ausdruck sah, wurde ihr klar, was Sebi meinte: Parsel! Mit sichtlich unglücklicher Miene zischte Ominis schlangengleich. Sie verstand natürlich kein Wort, aber es klang schauderhaft und bedrohlich. Und dann regte sich wieder etwas. Die Steinschlange samt Sockel glitt nach unten und schien das Portal in die absolute Finsternis zu öffnen. „Unglaublich.“, murmelte Cami und in Sebastians Auge flammte eine düstere Gier auf. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Auch Cami wollte nun unbedingt wissen, was sich hier verbarg. „Dann wollen wir mal los.“, sagte Sebastian munter. Er schien noch etwas hinzufügen zu wollen, ließ es aber bleiben. Aus dem Augenwinkel konnte Cami sehen, wie Ominis nickte. Ohne einen Parselmund wären sie dort drin vermutlich wirklich aufgeschmissen. Sie hoffte, dass Sebi begriff, wie dankbar er seinem besten Freund sein sollte. Wie um sich zu wappnen, warf sie einen letzten Blick in den menschenleeren Korridor hinter sich, dann folgte sie Sebastian in den unbekannten Gang. Kapitel 2: Im Labyrinth ----------------------- Camilla folgte Sebastian auf dem Fuße und Ominis bildete das Schlusslicht. Die Dunkelheit war dicht wie finsterste Nacht, weshalb die drei jeweils die Spitzen ihrer Zauberstäbe aufleuchten ließen. Sie befanden sich auf einer schmalen Treppe, die weit nach unten führte und kein Ende erkennen ließ. Nach nur wenigen Schritten war ein lautes Poltern zu hören. Zeitgleich drehten die drei Fünftklässler sich um und konnten gerade noch sehen, wie die Mauer hinter Ominis, der geheime Eingang zu was auch immer sie hier gerade betraten, und vielleicht auch der einzige Ausgang, sich langsam, aber unbarmherzig schloss. Ominis machte ein paar Schritte rückwärts, streckte die Arme aus und stieß an den Stein. Er schob und klopfte dagegen, aber nichts rührte sich. „Wir sind eingeschlossen.“, hauchte er tonlos, während Sebastian ganz unbekümmert antwortete: „Wahrscheinlich ist der Aufbau wie eine Schleuse. Und erstmal wollen wir ja eh nicht raus, sondern rein.“ Ominis schien das nicht zu beruhigen und auch Cami fühlte sich nicht ganz wohl dabei, so eingeschlossen zu sein. Trotzdem hatte Sebastian auch nicht ganz Unrecht. Also setzten die Drei ihren Weg fort. Sie folgten der Treppe eine ganze Weile, ohne, dass sich irgendetwas änderte. Zwischendurch hatte Cami das Gefühl, dass ihr Abstieg niemals enden würde. Es gab nur Dunkelheit und Stufen. Irgendwann blieb Sebastian stehen. Cami war allerdings zu sehr in ihre Gedanken vertieft, um das zu bemerken und prallte gegen seinen Rücken. Ominis stoppte direkt hinter ihr und sie konnte seinen flachen Atem hören. Sie hatten eine riesige Kerkeranlage erreicht, zumindest sah es so aus. Camilla schob sich an Sebastian vorbei und sah zahllose steinerne Gänge und Gittertüren. Es war sehr kalt und roch nach abgestandenem Wasser. Irgendwo hörte sie ein leises Tropfen. „Unglaublich.“, murmelte Sebastian beeindruckt. „Wer weiß, wie groß das hier ist - riesig. Wie ein Labyrinth.“ „Wir müssen unfassbar weit unter der Schule sein.“, fügte Cami hinzu. Ominis sagte kein Wort. Die Drei verteilten sich, um sich das Ganze näher anzusehen. Sebastian war der Erste, der an einem Türgriff rüttelte, dann an einem zweiten. „Aber alle Gänge sind versperrt.“, stellte er fest und machte ein unzufriedenes Gesicht. Cami schritt auf eine der Türen zu und schwang ihren Zauberstab. „Alohomora!“, versuchte sie ihr Glück, doch nichts geschah. Ominis schnaubte kurz. „Wäre ja auch zu einfach gewesen.“ Sie probierten verschiedene Zauber und verschiedene Türen, hatten aber keinen Erfolg. Alle Türen blieben verschlossen. „Das kann doch nicht wahr sein!“, polterte Sebastian los, trat gegen eines der Gitter und feuerte 'Bombarda' darauf. Die Explosion, die dann folgte, war ohrenbetäubend. Schutt regnete von der Decke und kleine Gesteinsbröckchen brachen herunter. Eines davon traf Cami hart am Kopf, der Boden schien zu vibrieren und ein schriller Piepton bahnte sich den Weg durch ihren Gehörgang. Alles wurde in Staub gehüllt, sodass man nicht mehr wusste, wo oben und wo unten war. Die blonde Gryffindor versuchte, ihren Kopf mit den Armen zu schützen und gab sich die größte Mühe, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Als Staub und Schutt sich lichteten und das unerträgliche Piepen abflaute, packte Cami Sebastian, der nicht weit neben ihr stand, am Umhang und riss ihn zornig zu sich herum. „Geht's noch?!“, schrie sie ihn an. Sie selbst war ja schon kein besonnener Mensch, aber eine Explosion in diesem Kerker zu verursachen, war einfach himmelschreiend dumm! Alles hätte einstürzen können! Sie waren tief unter der Erde. Außerdem war Sebastian nicht alleine. Wie leicht sie alle jetzt unter Trümmern begraben worden sein könnten. Besorgt drehte das Mädchen sich zu Ominis um. Der lehnte zusammengesunken an einer Wand, hielt sich daran fest und atmete schwer. Voller Wut holte Cami aus und pfefferte Sebi eine an den Hinterkopf. Es war kein harter Schlag, aber wenn er so weitermachte, würde das sicherlich folgen. Vorsichtig näherte sie sich dann Ominis und griff nach seiner Hand. Jemanden, der nichts sah, der sich auf sein Gehör und seinen Zauberstab verlassen musste, konnte man einer solchen Eskapade nicht aussetzen. Da brauchte Sebastian sich nicht wundern, dass sein Freund ihm nicht helfen wollte - eigentlich. Sebastian stand noch einen Moment erstarrt da, wie ein verdammtes Reh im Scheinwerferlicht, ehe er sich zu besinnen schien. Dann eilte er neben seine beiden Freunde. „Ominis, es tut mir so leid. Ist alles okay?“ Der blinde Slytherin ließ Camis Hand los und betastete mit zittrigen Fingern sein Gesicht, seine Schläfen und dann seine Ohren. „Sebastian...", entgegnete er dann atemlos. „Tu das nicht!“ Seine Stimme klang zwar wirklich brüchig, ansonsten schien er aber unbeschadet. Cami war erleichtert und Sebastian begriff jetzt wohl, dass sein Ausraster scheiße gewesen ist. Sie hatten wirklich noch Glück gehabt. „Wir sind hier. Und wir helfen dir. Aber lass die Scheiße!“ Cami hatte sich wieder an Sebastian gewandt und sah ihm eindringlich und unnachgiebig in die braunen Augen. Er musste begreifen, wie ernst es hier war. Es war kein Späßchen in Verteidigung gegen die dunklen Künste und auch kein Troll in Hogsmeade. Wahrscheinlich war das hier viel ernster, als alles, was sie bisher erlebt hatten. Sebi nickte und stieß einen tiefen Seufzer aus. „Es tut mir leid. Ich will euch nicht in Gefahr bringen.“ Bei diesen Worten klang er aufrichtig. Es war ja verständlich, wie mitgenommen er war. Wenn er sich seinem Zorn aber zu sehr hingab, sich davon verschlingen ließ, dann würde auch Anne den Preis zahlen müssen, da war Cami sich sicher. Aussprechen tat sie das jetzt allerdings nicht. Sebastian war nicht dumm. Er musste das im Grunde selber wissen. „Ich möchte am liebsten wieder umkehren.“, meinte Ominis zögerlich. „Aber da wir jetzt wirklich hier sind... Es muss einen Weg hindurch geben. Alles andere wäre sinnlos.“ Dann runzelte er die Stirn. „Oder der Eingang ist wieder offen. Ich gehe nachsehen.“ Damit machte er kehrt und Cami und Sebi hörten seine Schritte auf der Treppe. Ominis machte sich wohl vergebliche Mühe, aber keiner wollte ihn aufhalten. Für einen Moment schauten sie sich einfach nur schweigend an. Gerade waren keine Worte nötig. Obwohl sie einander noch nicht so lange kannten, war klar, was der jeweils andere dachte. Sebastian lächelte noch einmal zurückhaltend und ging dann wieder zu einer der verschlossenen Türen zurück. Cami warf noch einen Blick auf die Treppe. Von Ominis war nichts zu sehen, was bei der Menge der Stufen kaum verwunderlich war. Kurz kam ihr der schreckliche Gedanke, dass sie sich in ihr eigenes Grab gebracht hatten. Doch dieser erschreckenden Eingebung wollte sie sich jetzt nicht hingeben. Sie trat zu Sebastian und hob langsam ihren Blick. Plötzlich stieß sie ein überraschtes Keuchen aus und kniete sich vor die verschlossene Tür. Fast schon ungläubig griff sie nach dem schmutzig-silbernen Schloss und strich darüber. „Sebastian, siehst du das?“ Ihre Stimme klang aufgeregt. Sebastian beugte sich über sie und musterte das Schloss genau. Durch Schatten und Patina getarnt, war ein kleines Schlangensymbol zu erkennen, das in das Metall eingraviert war. Cami fuhr abermals darüber und rieb vorsichtig den Schmutz ab. „Ich kann da was verschieben, warte mal.“ Etwas fahrig drückte sie ein kleines Rädchen unterhalb der Schlange nach hinten und drehte es dann nach rechts. „Daneben ist auch noch ein zwei- Au!“ Ihr entfuhr ein kleiner Schrei und sie sprang nach hinten. Sebastian verzog kurz das Gesicht, als sie gegen seine Knie prallte und versuchte zu verstehen, was geschehen war. Dann sah er Camis blutigen Finger, als sie ihm ihre Hand hinhielt und sie sich dann selber besah. Es war nicht nur Blut. Ein kleines Rinnsal schwarzer Flüssigkeit mischte sich damit und Panik kroch in Camillas Körper hoch. „Was...“ Sie schaute sich das Schloss noch einmal genauer an, wollte wissen, was da gerade passiert war, konnte aber nichts erkennen. Plötzlich schrie sie wieder auf, dieses Mal lauter, warf den Kopf nach hinten und war wie betäubt von dem stechenden Schmerz, der sie wie ein Blitz durchfuhr und ihre Knochen zu zerquetschen drohte. In der nächsten Sekunde war es vorbei. Sebastian kniete vor Cami, umfasste ihr Handgelenk und ihre Schulter. Schwer atmend starrte sie ihn an. „Wieso passiert mir das und du kannst hier den ganzen Laden in die Luft jagen und alles ist gut?“ Sie grinste, konnte die Wahrheit aber nicht ganz aus ihrer Stimme verbannen - wollte sie auch gar nicht. Sebastian ließ aber keinen seiner dummen Sprüche los, sondern musterte wieder ihre kleine Verletzung, drehte ihre Hand und sah dann in ihr Gesicht. In seinen Augen lag echte Sorge. „Was ist passiert?“ Ominis' Stimme drang zu ihnen. Er stand im Treppenaufgang und sein blinder Blick starrte in die Richtung, in der Cami und Sebastian hockten. „Ich... Die Tür...“, begann Cami, ohne recht zu wissen, was eigentlich gerade geschehen war. Sebastian fuhr fort: „Die Tür dort hat ein seltsames Schloss, eine Art Mechanismus. Der ist aber nicht ohne. Cami hat sich... Verletzt. Und vielleicht... Da ist noch irgendein schwarzer Sabsch. Vielleicht ein Gift oder so. Eben...“ „Eben war es kurz ganz schmerzhaft.“, grätschte Cami ihm dazwischen. Was hatte er überhaupt sagen wollen? Sie verstand es ja selber kaum. „Wahrscheinlich eine Art Schutz. Aber irgendwie müssen wir diese Türen öffnen können.“ Ominis trat näher an sie heran. Die Nachfrage, ob der Durchgang oben offen war, war definitiv überflüssig. „Vielleicht kann uns Parsel wieder weiterhelfen?“, mutmaßte Sebi und man könnte förmlich sehen, wie Ominis in sich zusammenschrumpfte. Allerdings widersprach er nicht, sondern stellte sich mit einem guten Meter Abstand vor die Tür, die eben noch Cami verletzt hatte. Dann gab er wieder die unheimlichen zischenden Laute von sich. Das Echo der kalten Wände ließ einem Schauer über den Rücken laufen. Doch ansonsten geschah nichts. Sebastian seufzte genervt. Er hatte sich neben Ominis gestellt und das silberne Schloss genau beobachtet. Cami saß noch immer auf dem Boden. Sie hatte ein Stück ihres Umhangs um ihren Finger gewickelt, um damit die Blutung zu stoppen. Das schwarze Zeug machte ihr immer noch Sorgen. Dieser Schmerz eben war überwältigend gewesen, aber jetzt fühlte sie sich wieder normal, vielleicht ein wenig ausgelaugt, doch das schob sie kurzerhand auf den Schock von gerade. Sie sah zu ihren Begleitern auf. Das Schloss hatte sich nicht gerührt. Keines der kleinen Rädchen ruckte, kein Symbol leuchtete auf. Die Symbole! Cami rappelte sich auf und tippte Sebastian auf die Schulter. „Sebi... Die Symbole. Wenn wir die richtig einstellen, dann lässt sich die Tür bestimmt öffnen.“ Der Slytherin strahlte sie an. „Du bist genial! Warum ist mir das nicht aufgefallen? Okay, Moment, wir sehen uns kurz um und schauen, ob wir Hinweise finden.“ Ominis zog eine Augenbraue hoch und tat eine Schritt nach hinten. „Das überlasse ich gerne euch.“ Sebastian wand sich wieder an Cami: „Die Lösung muss hier irgendwo sein. In die Wand geritzt oder sonstwie verborgen, was weiß ich.“ Wieder tasteten sie die Wände ab. Es musste doch eine Art Logik geben, nach der sie sich richten konnten. Aber welche? Genervt kickte Cami ein Steinchen aus dem Weg. Musste Salazar Slytherin so den Rätselmeister mimen? Hoffentlich lohnten sich ihre ganzen Mühen und sie fanden hier nicht noch ihren Tod. Plötzlich meldete sich Sebastian zu Wort. Er war so laut, dass sowohl Camilla, als auch Ominis zusammenzuckten. „Das seh' ich ja jetzt erst. Diese Schlange hier.“ Sebi kniete sich wieder vor die abgesperrte Tür und nun war es Cami, die hinter ihn trat, um zu sehen, was er meinte. Aber was war ihm aufgefallen? Was sollte sie sehen? Er drehte den Kopf und sah sie begeistert an. Als er dann bemerkte, dass sie noch immer keine Ahnung hatte, deutete er nach unten, kniff die Augen zusammen und triumphierte dann. Cami begriff einfach nicht, was er meinte, kniete sich dann neben ihn und erkannte endlich, was er entdeckt hatte; was die Lösung sein musste! Sebastian strich mit seinen Händen über den schmutzigen Boden und legte drei kleine Symbole frei. Eines der Symbole erkannte Camilla vom giftigen Türschloss wieder. Sie hob ihren Blick. „Das ist die Reihenfolge.“, hauchte sie und Sebi nickte. „Aber wie...?“ Sie starrte ihn an und er antwortete sofort: „Die Schlange... Sie schaut nach unten. Zu den Symbolen!“ Das machte natürlich Sinn! Sebastian richtete sich auf und besah sich unsicher die kleinen Rädchen, als würde ihn etwas zurückhalten. „Und jetzt hast du Schiss, oder was?“, fragte Cami ihn und schob sich dann selber vor das Schloss, um die Rädchen in die richtige Reihenfolge zu bringen. Vermutlich war das sowieso besser. Wenn sie falsch lagen, war es sicher sinnvoll, wenn nicht direkt zwei von ihnen vergiftet werden würden. „Pass bloß auf. Wir müssen immer mit Hinterlistigkeit rechnen.“, meldete Ominis sich wieder zu Wort und machte Cami damit noch ein wenig nervöser. Sie schaute sich die vermeintliche Lösung noch ein letztes Mal an und griff dann ohne weiteres Zögern nach dem ersten Rädchen. Rasch klickte sie es ein und drehte es in einem Zug auf das erste Symbol am Boden, ein kleines, schnörkeliges Dreieck. Dieses Mal stach sie nichts. Alles bliebt unbewegt. Rasch verfuhr sie auf die gleiche Weise mit den beiden anderen Rädchen und fühlte unfassbare Erleichterung, als es leise klickte. Sie stieß mit ihren Fingern gegen die Tür und sie schwang nach hinten auf. Sofort schritt Sebastian ungeduldig hindurch. Auch Ominis trat heran. „Unglaublich.“, flüsterte er. Der nächste Gang führte nicht sehr weit und endete an zwei Türen. Und in dem Moment, in dem Ominis wieder etwas sagte, durchfuhr Cami der gleiche Gedanke. „Es gibt nicht nur die eine Tür.“ Alle Drei sahen sich an. „Nein, es sind mehrere.“, meinte Sebi. "Hier sind es zwei. Im ersten Raum gab es drei.“ Die Stille, die nun herrschte, war unheimlich, wie die Ruhe vor dem Sturm. Keiner hatte einen Plan, welchen Weg sie nehmen mussten. Sie waren völlig ahnungslos. Wie viele Türen und Abzweigungen gab es noch? Hatten sie vielleicht bereits den falschen Weg eingeschlagen? Die Gittertür hinter ihnen schwang quietschend ins Schloss. Als Cami hinsah, entdeckte sie, dass auch diese Seite der Tür ein Rätselschloss hatte. Rasch löste sie es und erntete dafür einen skeptischen Blick von Sebastian. „Wieso willst du zurück?“, fragte er und sie schüttelte den Kopf. „Wir sollten die Tür offen halten, damit wir wissen, wo wir hergekommen sind.“ Anscheinend reichte ihm das als Erklärung, denn er schritt ohne weitere Nachfragen zu den beiden neuen Türen. Etwas missbilligend senkte Ominis den Kopf zu Cami herab. „Warum hast du sie überhaupt wieder geschlossen?“, wunderte er sich. „Habe ich nicht.“, erwiderte sie verdutzt. „Ich dachte, sie hätte noch Schwung oder so?“ Mit einem unguten Gefühl sah sie auf. Dann öffnete sie die Tür weit und stellte dieses Mal sicher, dass sie ganz still stand. Doch als Cami den Griff losgelassen hatte, fiel sie wieder zurück. Das war gar nicht gut! Ein genervter Sebastian tauchte hinter ihnen auf. „Lasst doch die dämliche Tür. Die nächste ist schon offen.“ Cami und Ominis zischten ihn gleichzeitig an. Besonders die Gryffindor war arg genervt. Sie musste hier anscheinend wirklich die Besonnene mimen, etwas, das so gar nicht ihrem Wesen entsprach. „Willst du in spätestens drei Türen komplett verirrt sein?“, motzte Ominis. Er und Cami versuchten jetzt, die Tür mit einem Zauber zu sichern, aber all ihre Versuche scheiterten. Sebastian, der unruhig mit den Füßen scharrte, war auch keine Hilfe. „Ich vermute, dass Salazar Slytherin das so geplant hat. Ein Labyrinth. Keine Orientierung.“ Kapitel 3: Schlangen -------------------- „Ja toll, wir müssen jetzt trotzdem was tun!“, fauchte Cami und sah zu Ominis, der sich offenbar bemühte, die Ruhe zu bewahren. „Vielleicht können wir die Tür markieren. Mit einem Zeichen oder so.“ Er versuchte direkt sein Glück, aber wie zu erwarten, gelang auch dies nicht. Sebastian hatte schon wieder so eine ungeduldige, überhebliche Miene aufgesetzt. Ominis, der immer noch die Tür betrachtete, schien das zu spüren. „Sebastian... Das hier ist ein Problem. Ohne Orientierung sind wir geliefert. Das wäre unser Ende.“ Sebastian zuckte nur die Schultern, fast, als wäre er belustigt, und Cami musste den Drang bekämpfen, ihm wirklich eine zu scheuern. „Zurück können wir nicht. Wir versuchen, uns die Türen zu merken und stürzen uns halt rein.“, presste sie murmelnd hervor und Sebi grinste nun vollends. „Das ist mein Mädel!“ Sie quittierte es nur mit einem „Klappe.“ Dann öffneten die Fünftklässler Tür für Tür und gerieten immer tiefer ins Labyrinth. Sie hatten ja auch keine andere Wahl. Ominis Miene wurde mit jedem Moment zerknirschter, während Sebastian immer noch wirkte, als wären sie hier auf einem lustigen Abenteuer. Mittlerweile mussten sie schon Stunden unterwegs sein. Zeitgefühl hatte keiner mehr. Und die ganze Zeit sprach niemand ein Wort. Die einzigen Geräusche waren ihre Schritte und das Scharren der Türen. Gerade hatten sie ein weiteres Schloss geöffnet, als Sebastian durch die Tür stürmte und sich dann erbost herumdrehte. „Soll das hier für immer so weitergehen? Wir müssen doch mal irgendwas erreichen!“ „Ich weiß nicht, Sebastian! Ich kann mir schon vorstellen, dass wir hier für alle Ewigkeiten rumirren, ohne was zu finden. Dieser Ort scheint mir genau dafür gemacht zu sein!“, schoss Cami zurück. Sie war hungrig, erschöpft und geriet immer weiter an den Rand der Verzweiflung. Das hörte man auch ihrer Stimme deutlich an. Doch bevor sie mit Sebi in einen echten Streit geraten konnte, fuhr Ominis ihnen dazwischen. „Ruhe! Ich höre was!“ Die beiden anderen lauschten angespannt. Dann vernahmen sie ein heiseres Zischen. Cami sah zu Ominis, der konzentriert zuhörte, die Stirn runzelte und dann auch etwas auf Parsel sagte. Sebastian sah seinen besten Freund erwartungsvoll an. „Was war das?“ Unsicher hob Ominis seinen gesenkten Blick. „Ob wir würdig seien. Dann sei es leichter...“, entgegnete er mit kratziger Stimme, als hätte er eine ungute Vorahnung. Und diese schien sich im nächsten Moment zu bewahrheiten. Ein lautes Poltern ertönte und ehe einer der drei reagieren konnte, schwabbte eine undurchdringliche Dunkelheit über sie. Mit der Dunkelheit kam auch die Stille. Kein einziger Laut war mehr zu hören. Cami fühlte sich wie betäubt. Ihre Füße schienen nicht mehr auf festem Boden zu stehen und blind griff sie nach vorne, dorthin, wo eben noch Sebastian gestanden hatte. Sie wollte Halt finden, doch griff nur ins Leere. Sie wollte schreien, nach ihren Begleitern rufen, aber aus ihrer Kehle kam kein Laut. Raum und Zeit schienen nicht mehr zu existieren. War das der Tod? Fühlte sich so sterben an? Cami hatte es sich immer anders vorgestellt. Ihr Leben zog nicht an ihr vorbei. Da waren keine Bilder, kein Frieden, nur diese unendliche Leere. Sollte sie nicht Frieden spüren, wenn sie starb? Plötzlich war da wieder ein Gefühl. Camis Füße berührten etwas Festes, Hartes. Das undurchdringliche Schwarz lichtete sich langsam und sie sah, das kalte, graue Gewölbe, in dem sie stand - aber nicht lange. Ihre Beine gaben nach und ihre Muskeln schienen noch nicht wieder zu funktionieren. Der harte Stein schmerzte, als sie auf den Knien landete und auch ihre Hände taten weh, als sie ihren Sturz abfederten. Der Boden war eiskalt. Je weiter sie kamen, desto kälter wurde es. Hier konnte sie sogar schon ihren Atem sehen. Fröstelnd stand sie auf. „Sebastian? Ominis?“, fragte sie laut, hörte aber nur das Echo ihrer eigenen Stimme. Gerade, als sie noch einmal rufen wollte, vernahm sie ein seltsames Geräusch hinter sich. Es klang... Glitschig? Erschrocken wirbelte sie herum und blickte augenblicklich in ein schimmerndes, bösartiges Auge. Eine große, schwarze Schlange stürzte mit weit geöffnetem Maul auf sie zu. Die spitzen Zähne des Biests streiften Camis Wange, als sie in der letzten Sekunde zur Seite sprang. „Expulso!“, schrie die Gryffindor und schwang ihren Zauberstab. Die große Schlange wurde mit einem widerlichen Platschen an die Wand geschleudert. Doch sie blieb nicht liegen. Stattdessen bäumte das Reptil seinen dunklen Körper abermals auf, bereit zu einem erneuten Angriff und Cami schleuderte einen weiteren Fluch in ihre Richtung: „Bombarda!“ Die Steinmauer wurde explosionsartig zerrissen, die Schlange zerfetzt. Schwer atmend starrte die Blondine auf das tote Tier und bemerkte dann aus dem Augenwinkel eine neue Bewegung. Zwei weitere große Schlangen nahten von rechts heran und auch aus dem Gang zu ihrer Linken konnte sie ein bedrohliches Zischen hören. Ohne zu Zögern feuerte sie Flüche auf die Kriechtiere und einen weiteren Explosionszauber an die Decke, um sich dann umzudrehen und zu rennen, während der Gang hinter ihr in sich zusammenstürzte. Camilla rannte und passierte viele Abzweigungen. Hier und da krochen immer wieder neue Schlangen auf sie zu. Die Biester schienen sich immer weiter zu vermehren und Cami hatte das Gefühl, die Reptilien nicht mehr lange mit ihrer Magie aufhalten zu können. Sie beschleunigte ihren Sprint noch weiter, obwohl ihre Lunge schon schmerzhaft brannte. Das Atmen wurde immer schwerer, besonders durch die eiskalte Luft. Direkt vor ihr glitt auf einmal eine Schlange herab, die um einiges größer war, als die bisherigen. Ihr Körper war bestimmt doppelt so dick wie der von Cami und die Länge erinnerte an ein ausgewachsenes Fabelwesen. Diese Schlange war ein echtes Ungetüm und langsam beschlich das junge Mädchen das Gefühl, dass es hier kein Entkommen geben würde. Trotzdem keuchte sie „Diffindo!“ und zielte auf das Monster vor sich. Blut spritzte und Cami nahm all ihre Kräfte zusammen, um noch schneller weiter zurennen. Abermals ließ sie den Gang hinter sich explodieren, als sie jäh gestoppt wurde. Ein Aufprall und es riss ihr den Boden unter den Füßen weg. Die Gryffindor wirbelte durch die Luft, überschlug sich und blieb auf dem Steinboden liegen. Noch hatte sie nicht das Bewusstsein verloren, auch wenn schwarze Punkte vor ihren Augen tanzten. Aber sie konnte hier nicht liegen bleiben. Ihr Kopf dröhnte und in ihren Ohren rauschte es. Unsicher stand sie auf. Alles schmerzte, doch dafür war jetzt keine Zeit. Wieder krochen aggressive Schlangen auf sie zu. Ihr Arm war schrecklich schwer, als sie ihren Zauberstab hob, wieder Flüche auf die zischelnden Biester feuerte und weiter stolperte. Eine Schlange erwischte sie am Arm und versenkte ihre spitzen Zähne in Camis Haut. Die schüttelte das Tier ab und trat es dann von sich. Dann wirkte sie wieder einen gewaltigen Explosionszauber. Sie wollte alles hinter sich in Schutt und Asche sehen. Mittlerweile taumelte sie eher rückwärts, als zu laufen oder zu gehen, da stieß ihre Schulter auf Widerstand und ließ sie heftig ins Wanken geraten. Cami drehte sich um, da schlang sich ein Arm um ihre Taille und bewahrte sie davor, wieder zu Boden zu fallen. Als sie aufsah, erkannte sie Sebastian, wusste aber nicht, ob er real war. Sie lächelte kurz, bevor sich ihre Augen nach hinten rollten. „Cami!“ Eine vertraute Stimme holte sie zurück. Sebastians Gesicht schwebte vor Camilla. Er sah lädiert aus und aus einem Schnitt über seinem Auge rann ein wenig Blut. Seine Miene nahm einen erleichterten Ausdruck an. „Scheiße Rochefort, ich dachte schon, du wirst ohnmächtig.“ „Wo ist Ominis?“, fragte Cami sofort und sah nun in ein ratloses Gesicht. „Er ist nicht hier. Aber dich habe ich ja auch jetzt erst gefunden. Was ist dir passiert?“ Besorgt musterte er sie und sie spürte, was für starke Schmerzen sie hatte. Ihr Becken pochte und das rechte Bein konnte sie kaum bewegen. Überall war Blut, ihr Arm brannte und in ihrem Kopf hämmerte es. Sie keuchte angestrengt und unterdrückte den Impuls, laut aufzuschreien, während sie sich aufsetzte. „Schlangen. Viele. Große.“ Sebi nickte. „Bei mir auch. Dich hat es aber wohl schlimmer erwischt.“ Er strich ihr Haar zurück und besah sich dann ihren Arm und ihren Unterkörper. Vorsichtig betastete er ihr Knie und sie stieß ihn blitzschnell von sich, sodass er auf den Hintern fiel und sie erstaunt ansah. Sie hatte aber nicht anders gekonnt. Der Schmerz, der sie durchzuckte, war zu heftig gewesen und es dauerte einen Moment, ehe es wieder auszuhalten war. Sprechen konnte sie noch nicht wieder. Jeder Atemzug fühlte sich an, wie ein Kampf. Trotzdem fasste sie ein kleines bisschen Hoffnung. Sebastian war wieder da, er hatte sie gefunden. Der Slytherin näherte sich Cami wieder und sie versuchte sich mit aller Kraft auf seine vertrauten Augen zu konzentrieren. Das dunkle Braun wirkte in dem schummrigen Licht fast schwarz. Sebi legte seinen erleuchteten Zauberstab zur Seite und als das Licht über sein Gesicht huschte, erkannte Cami einen grünen Schimmer in den Iriden, die durch die Helligkeit kurz einen Haselnuss-Ton angenommen hatten. Was er sagte, nahm das Mädchen nur am Rande wahr. „Ich bin nicht der allerbeste Heiler, aber ich versuche, dich wieder ein bisschen hinzukriegen. Bist du bereit?“ Mit einer kleinen Verzögerung nickte sie und presste die Lippen zusammen, während Sebastian seinen Zauberstab erneut hob, langsam bewegte und dabei leise murmelte. Zuerst spürte sie eine Linderung an den Beinen; in das rechte kehrte auch das Gefühl zurück. Als Sebi fertig war und sie abwartend ansah, fühlte sie sich schon besser. Zwar war ihr bewusst, dass sie in den Krankenflügel gehörte, aber so wie es jetzt war, konnte sie auf jeden Fall weitergehen. Noch etwas zittrig stand sie auf. Sebastian stützte sie dabei, ließ aber ihren Arm nicht los, als sie wieder auf den Beinen war. „Du wurdest gebissen.“, stellte er fest. Sie nickte und besah sich ihren Unterarm. Die Wunden des Bisses waren deutlich zu sehen und an den Rändern waren sie schwarz. Mit besorgter Miene ließ Sebastian Cami los. „Schlangengift...“, flüsterte er dann. „War das vorhin bei den Türen auch Schlangengift?“ Er machte einen Schritt auf sie zu und nahm dann unvermittelt ihr Gesicht in beide Hände. „Du siehst auch sehr grau aus...“ Sein Gesicht kam ihrem immer näher und als ihre Nasenspitzen sich fast berührten, zuckte Cami zurück, die Augen weit aufgerissen. „W-was soll d-das werden?“, fragte sie ihn irritiert, beinahe hysterisch. „Ich schau' mir deine Pupillen an. Warte mal...“ Seine Stimme klang im Gegensatz zu ihrer ganz ruhig. Er griff in die Tasche seines Umhangs und Cami wand sich von ihm ab, ein unbekanntes flaues Gefühl in der Magengegend. Das gerade... Irgendwie ist es seltsam gewesen. Doch Sebastian hielt ihr ein kleines Fläschchen hin und sie sah wieder auf. „Hier. Ist zwar nur ein Rest Aufpäppeltrank und Gegengift wäre mir eigentlich lieber, aber damit wirst du dich ein wenig besser fühlen.“ Dankbar lächelte sie ihm zu, hielt dann aber inne. „Vielleicht sollten wir den lieber aufsparen. Wer weiß, was noch passiert oder wie es Ominis geht. Es war eine dumme Idee, hier einfach so reinzulaufen.“ Resigniert zog sie ihre Hand zurück, welche dann aber von Sebastian gepackt wurde, der die Flasche bestimmt hineindrückte. „Ich meine das ernst.“, motzte das Mädchen. „Du hast mich doch fürs Erste geflickt.“ Sebastian aber ließ sich nicht beirren. „In Ordnung. Ich möchte trotzdem, dass du ihn hast, falls wir wieder getrennt werden.“ „Woher dieser Edelmut? Vielleicht brauchst du ihn ja später auch noch?“ „Vielleicht...“, entgegnete er nachdenklich, fiel dann aber wieder in seinen üblichen, etwas überheblichen, Tonfall zurück. „Aber ich bin schließlich der beste Duellant der Schule, das wird schon gehen.“ Kurz fühlte sich alles wieder so normal an. Als wäre es ein ganz normaler Tag. „Entschuldige bitte? Du meinst wohl 'zweitbester'.“, feixte Cami. „Da sprechen wir nochmal drüber, Rochefort.“ Sebastian war nun der erste, der die Bewegungen in den Schatten wahrnahm. „Noch mehr Schlangen.“, warnte er und als eingespieltes Team stellten die beiden Fünftklässler sich Rücken an Rücken und zückten ihre Zauberstäbe. „Das sind verdammt viele.“, murrte Sebi und auch Cami fiel auf, dass es in allen Winkeln kreuchte und fleuchte. Entschlossen holte sie aus und brüllte: „Incendio!“ Auch Sebastian begann den Kampf und die beiden gaben ihr Bestes, die Zahl der angreifenden Schlangen zu dezimieren. Fluch um Fluch schoss durch die eiskalten Mauern. Lichtblitze zuckten durch die Luft. „Es nimmt kein Ende.“, knurrte Sebastian und Cami teilte dieses Gefühl. Für jede Schlange, die sie zur Strecke brachten, kamen zwei neue aus irgendeiner Ecke. Vielleicht machte ihre Taktik von vorhin ja mehr Sinn, überlegte Cami dann. Was für schwerwiegende Verletzung sie davon getragen hatte, hatte sie einfach ausgeblendet. Sie lehnte sich ein Stückchen nach hinten, näher zu Sebi, während sie weiter Flüche abfeuerte. „Wir rennen gleich. Da den Gang runter.“, sprach sie in sein Ohr und deutete mit der freien Hand in eine grobe Richtung. „Eins." Ihre Stimme klang so energisch, wie es der Tritt war, den sie einer dicken Schlange gab, die ihr viel zu nahe gekommen war. „Zwei.“ Ihr Blick glitt kurz an die steinerne Decke. „Drei!“ Dann ließ die Gryffindor die Decke explodieren. Das Krachen war ohrenbetäubend und als Cami herumwirbelte, hatte Sebastian schon ihr Handgelenk umschlossen und zog sie ein Stück mit sich. Sie bemerkte die Schneise aus blutigen Schlangen, die Sebi geschaffen hatte. Dann ließ er sie los und die beiden rannten, als wäre der Teufel höchstselbst hinter ihnen her, während das Gewölbe hinter ihnen weiter in sich zusammenstürzte. Staub und Gestein flogen umher, unmenschliche Schreie waren zu hören und die beiden Hogwartsschüler befanden sich mittendrin. Es war ungewiss, ob sie es hier raus schaffen würden. Vielleicht besiegelten jetzt ja doch herabfallende Trümmer ihr Schicksal. Cami fiel zurück. Sebastian war einfach schneller und sie konnte sein Tempo nicht mehr halten. Zwar kratzte sie all ihren Lebenswillen zusammen, dennoch befand Sebi sich nun gut drei Meter vor ihr. Angst ergriff Besitz von ihr. Und die Angst wurde zu blanker Panik, die mit jedem Zentimeter stieg, die ihr Freund sich von ihr entfernte. Ohne es wirklich beabsichtigt zu haben, schrie Cami seinen Namen: „Sebastian!!!“ Das schrille Kreischen brachte ihn dazu, nach hinten zu sehen und als er die Distanz zu der Gryffindor erkannte, weiteten sich seine Augen. Das konnte man sogar in der Düsternis erkennen. Ein großes Stück Mauerwerk krachte hinter Cami zu Boden. Es war wie der Nagel zu ihrem Sarg, denn in diesem Moment wurde ihr klar, dass sie es nicht schaffen würde. Sie war zu langsam. „Lauf!“, brüllte sie Sebi zu und blieb selber dann stehen. Er konnte weiter rennen, er würde das schaffen. Er musste es schaffen. Ihre letzte Chance war ihre Magie. Den Zauberstab, den sie immer noch in der Hand hielt, schwang sie nach oben. Das war ihre letzte Möglichkeit, am Leben zu bleiben. Zwar war ungewiss, ob sie sich retten könnte, aber kampflos würde sie sich nicht aufgeben. Wenn, dann starb sie als stolze Gryffindor! Mit aller Entschlossenheit, die noch in ihr war, machte sie ihren vielleicht letzten Zauberspruch: „Protego Maxima!“ Kapitel 4: Kalte Mauern ----------------------- Langsam und vorsichtig öffnete Cami die Augen. Sie wusste, sobald sie das tat, konnte sie es nicht mehr rückgängig machen. Aber noch bestand die Möglichkeit, zu hoffen. Was auch immer sie jetzt sehen würde, sie war gewappnet. Das Schlimmste konnte nur der Tod sein und darauf war sie vorbereitet. Doch sie fühlte sich nicht tot. Eigentlich fühlte sie sich normal. Kein Geröll war auf sie herabgestürzt. Es bedeckte den ganzen Boden, aufgetürmt zu unordentlichen Bergen, doch sie war verschont geblieben. War es ihr tatsächlich gelungen, den todbringenden Einsturz abzuwehren? Sie sah Sebastian. Er stand dicht vor ihr, einen Arm nach oben ausgestreckt. Wie sie selbst hatte er einen Schildzauber gewirkt. Oder vielmehr hatte er ihren eigenen verstärkt. Zu zweit standen sie unter einer hell schimmernden Kuppel, die die herabfallenden Steine abwehrte. Camilla konnte es kaum glauben. Sie war nicht gestorben. Und Sebastian war hier bei ihr. Nur für sie war er umgekehrt und hatte sein Leben riskiert. Sie hob den Blick und sah dem Slytherin in die Augen. So etwas hätte sie niemals von ihm erwarten können – oder wollen! Warum hatte er das nur getan? Wie hätte sie sich jemals verzeihen sollen, wenn ihm etwas zugestoßen wäre? Eine Weile standen die beiden noch da, hielten ihren Schutzzauber aufrecht, bis das letzte Steinchen zu Boden gerieselt war und alles verstummte. Noch ein Moment verging, dann ließ Cami ihren Arm sinken. Sie hielt inne und gab Sebastian einen kräftigen Stoß gegen die Brust. „Bist du völlig durchgeknallt? Warum hast du das getan? Sebastian, das hätte dich umbringen können!“ Ihre Stimme hallte laut und hysterisch von den Wänden wider und aus ihrem Gesicht sprach blanke Wut. Sebi dagegen stolperte zurück und sah seine Freundin fassungslos an. „Du solltest laufen und dich nicht sinnlos in Gefahr bringen! Was hast du dir nur gedacht?“ Sie wetterte weiter, bis Sebastian sie unterbrach: „Wie bitte? Hast du von mir erwartet, dass ich mich einfach aus dem Staub mache?“ „J-“, setzte sie zu einer prompten Antwort an, brach aber ab, als sie bemerkte, wie seine Miene sich auf einen Schlag verdunkelte. Gerade war Cami noch so unfassbar wütend gewesen, hätte dem Slytherin am liebsten eine reingehauen und weiter geschrien, aber jetzt verfiel sie in einen etwas ruhigeren Tonfall: „Wir hätten beide umkommen können. Wärst du weitergelaufen, wäre auf jeden Fall einer in Sicherheit gewesen. Wir...“ Doch die nächsten Worte wollten ihr nicht über die Lippen kommen, obwohl sie die Wahrheit waren. Sebastian und sie kannten einander noch nicht lange. Sie mochten zwar schnell gute Freunde geworden sein, aber es gab so vieles, was sie noch gar nicht voneinander wussten. Außerdem waren sie noch so jung, beinahe noch Kinder. Da waren Freundschaften manchmal flüchtig. Und Sebi hatte jemanden, der auf ihn wartete, der ihn brauchte. Da konnte er doch nicht so leichthin sein Leben riskieren. Nur für Anne war er überhaupt erst in diese Hölle gegangen. „Halt den Mund!“, fuhr Sebastian sie dann plötzlich an und wirkte so zornig, wie noch nie. „Denkst du, ich könnte dich einfach zurücklassen? Cami, du bist...“ Er stockte. „Du bist wichtig für mich. Ich weiß, wir kennen uns noch nicht jahrelang, aber vom ersten Moment an wusste ich, dass du ein besonderer Mensch bist. Ich weiß nicht warum, aber du... Du warst immer für mich da. Egal, was ich wollte, du hast mich noch nie hängen lassen. Du bist sogar mit mir hier, obwohl du das gar nicht wolltest. Anne, Ominis und du... Keinen von euch würde ich zurücklassen. Niemals!“ Diese Worte hatten gesessen. Es fühlte sich fast so an, als hätte jemand Cami einen heftigen Schlag in den Magen versetzt. Das Gefühl war so real, dass sie sich sogar ein wenig gekrümmt hatte. Es war nicht so, dass sie das ganz anders sah, als er. Sie hatte eher noch nie so bewusst darüber nachgedacht. Zu viele andere Dingen spukten ihr immerzu durch den Kopf. Und ihre Bindung zu Sebi fühlte sich so natürlich an. Nicht direkt einfach, aber auch nicht kompliziert. Und wie Sebastian darüber dachte, es so aussprach, überraschte sie jetzt doch. Er war ihr nie wie der Typ vorgekommen, der viel über seine Empfindungen sprach oder auch nur darüber nachdachte. Sebi war immer eher jemand gewesen, der lieber Taten als Worte sprechen ließ. Aber genau das hatte er ja auch eben getan. Er hatte ihr geholfen, statt sein eigenes Leben zu retten. Ihre Gedanken überschlugen sich und sie hatte Schwierigkeiten, sie zu ordnen und zu sortieren. Irgendwie wollte sie ihm immer noch eine verpassen, ihm aber gleichzeitig um den Hals fallen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie nie richtige Freunde gehabt. Doch das war jetzt wohl anders. Nichtsdestotrotz kam es ihr falsch vor, mit Anne und Ominis im gleichen Atemzug genannt zu werden. Aber es war die Wahrheit, oder? Wie sie es auch drehte und wendete. Diese Erkenntnis dämmerte der Gryffindor jetzt deutlich. Freundschaft wurde nicht von der Anzahl der Jahre definiert. „Sebastian, ich...“, fing sie an, doch er wand sich ab. Ihr Ärger war zwar verpufft, seiner aber nicht. Cami hatte ihn schon erstaunlich oft wirklich wütend erlebt, aber das hier... So hatte sie ihn noch nie gesehen. Sie war sich nicht sicher, was sie sagen sollte – oder ob sie überhaupt was sagen sollte. Trotzdem konnte sie auch nicht einfach den Mund halten: „Ich wollte dich nicht verletzen. Wir sind beide im Arsch. Und wir haben Ominis noch nicht gefunden. Lass uns bitte nicht streiten.“ Dazu hatte sie jetzt wirklich nicht mehr die Kraft, das hörte man auch ihrer erschöpften Stimme deutlich an. Es nützte nichts, sie mussten sich nun einfach zusammenreißen. Immerhin kamen keine Schlangen mehr nach, die sie angriffen. Alles um sie herum lag in völliger Stille. Es war unheimlich, fast, wie auf einem verlassenen Friedhof. Bei den vielen toten Schlangen, war diese Bezeichnung gar nicht mal unzutreffend. Sebastian starrte noch einen Augenblick wütend vor sich hin. Cami sagte aber nichts weiter. Sie hatte eingelenkt, stand aber immer noch zu ihrer Meinung. Dass er zurückgekommen war, war einfach nicht richtig. Sie musterte den Slytherin aufmerksam und abwartend. Dann kickte er ein Steinchen fort und stieß einen tiefen Seufzer aus. Sein Gesicht entspannte sich ein wenig, ganz glücklich sah er aber noch immer nicht aus. Trotzdem war es sehr erleichternd für Cami, als er brummend zustimmte. „Okay. Du hast wohl Recht. Aber was jetzt? Was sollen wir tun?“ Keiner der beiden hatte auch nur die geringste Ahnung. Sie wurden gerade nicht mehr attackiert, aber viel besser war ihre Situation noch immer nicht. Cami sah sich kopfschüttelnd um. „Wir müssen hier raus. Hast du irgendeine Ahnung, wo wir sein könnten?“ Sebastian hatte sich ihr wieder genähert. „Nein, gar nicht. Wir könnten überall sein. Ich bin mir nicht mal sicher, dass wir noch in Hogwarts sind. Und warum ist Ominis nicht hier?“ Diese Frage hatte Cami sich auch schon gestellt. Das machte ihr ziemlich große Sorgen. War Ominis etwas passiert? Hatte ihn eine der Schlangen erwischt? Lag er womöglich irgendwo tot in einem Gang? Einsam und kalt... Sie wollte gar nicht daran denken und schüttelte sich kurz. „Wir suchen ihn. Er muss hier irgendwo sein, so wie wir beide. Lass uns einfach jeden Gang ablaufen, okay?“ Er nickte, doch das war leichter gesagt, als getan. Zig Gänge lagen nun schon hinter ihnen und es gab noch keine Spur von Ominis. Die Zerstörung, die sie verursacht haben, hatte weite Kreise gezogen, was die Suche nicht gerade leichter machte. Manche Passagen waren geradezu blockiert und sie mussten mehr als einmal über Geröll und Felsbrocken klettern. Immer wieder riefen sie nach ihrem Freund, aber nie erhielten sie eine Antwort. Nur das Echo ihrer eigenen Stimmen hallte von den Wänden wider. Jeder Schritt wurde zur Qual, doch Cami zwang sich, immer weiter zu gehen. Hätten sie Ominis nicht schon längst finden müssen? Sie waren seit Ewigkeiten unterwegs und alles sah gleich aus. Das Labyrinth mit den Gittertüren war nichts dagegen gewesen. Fast schon sehnte die Gryffindor sich danach zurück. Noch nie in ihrem Leben hatte Cami solche Schmerzen gehabt. Jeder einzelne Knochen tat weh, jeder Muskel brannte, genauso, wie die Schürfwunden, die sie bislang davon getragen hatte. Es war soviel, dass sie sich gar nicht mehr großartig über das Schlangengift in ihrem Körper sorgte. Es war nur noch ein Tropfen auf dem heißen Stein. Dann stolperte sie plötzlich über ihre eigenen Füße und stützte sich an der Wand ab. Sebastian drehte sich verwundert zu ihr herum. „Alles klar?“, fragte er mit gerunzelter Stirn und sie wollte wirklich nicken, schaffte es aber nicht. „Nein... Sebastian... Ich kann nicht mehr. Ich weiß, dass wir weiter müssen, aber ich brauche eine Pause.“ Sofort lenkte sie ein. An diesem Punkt wollte sie nicht aufgeben, nur wieder ein wenig zu Kräften kommen. „Nur kurz. Ich muss nur einen Moment sitzen und mich kurz erholen.“ Sie hasste es. Wie konnte sie jetzt an eine Pause denken? Aber sie hatte das sichere Gefühl, keinen Schritt mehr tun zu können. Erschöpft sank sie an der kalten Wand zu Boden und schloss kurz die Augen. Wenn sie sich nur genug konzentrierte, dann würde es bestimmt gleich wieder besser sein. Sie spürte etwas Warmes an ihrer Seite. Vielleicht kam ihr das auch nur so vor. In diesem Zustand waren Halluzinationen nicht auszuschließen. Ihre Augen hielt sie weiterhin geschlossen. Doch spürte sie dann ganz deutlich, wie sich ein Arm um ihre Schultern legte. „Ja.“, hörte sie Sebastians schlichte Antwort und spürte Erleichterung. Es lag kein Vorwurf in seiner Stimme, auch keine Ungeduld. Vermutlich ging es ihm ganz ähnlich, wie ihr. Sie hatten Hunger und Durst und waren von lähmender Müdigkeit eingenommen. „Wir kommen nur kurz wieder zu Kräften. Dann finden wir Ominis und einen Weg hier raus.“ Sebastians Stimme hatte eine beruhigende Wirkung auf Cami und murmelte zustimmend. Das kam ihr wie ein guter Plan vor. Sie sank in sich zusammen und drückte sich unwillkürlich näher an ihren Freund. „Es ist so kalt.“ Sie konnte spüren, wie er nickte. „Wir dürfen nicht einschlafen. Dann... Könnten wir erfrieren.“ Diese Weisheit hatte sie bereits als Kind gelernt und auch, wenn sie lange nicht mehr daran gedacht hatte, musste sie ein wenig lächeln, weil sie es in so vielen Jahren nie vergessen hat. Als Cami die Augen wieder aufschlug, hob sie den Kopf und blickte geradewegs Sebastian an. Dann bemerkte sie, dass sie an ihn geklammert war und zuckte zurück, aber er hielt sie fest. „Hab ich – sind wir eingeschlafen?“, fragte sie besorgt und fühlte sich auf einmal hellwach. Doch es war so kalt, dass sie sich kaum bewegen konnte. Dunstiger Nebel lag in der Luft und verdichtete sich mit jedem Atemzug, den sie taten. Die Kälte schien wie spitze Nadeln in ihre Haut zu stechen und ihre Hände und Füße fühlten sich an, als würden sie nicht mehr zu ihrem Körper gehören. Klappernd schlugen ihre Zähne aufeinander, als Sebi erwiderte: „Du hast nur kurz geschlafen.“ Sein Atem ging genauso rasch, wie ihr eigener. Auch ihm schien diese elende Kälte zuzusetzen. Noch immer waren sie eng aneinander geschmiegt. Der Slytherin hatte seinen Umhang wie eine Decke über sie beide gelegt, wenn es auch nur wenig nützte. Ihre Körperwärme, zumindest die Reste davon, waren jetzt das Einzige, was sie noch hatten. „In-Incendio.“, murmelte Cami und hatte ihren Zauberstab ein wenig erhoben, doch es geschah nichts. Mitleidig sah Sebastian zu ihr herunter. „Funktioniert nicht. Die Idee hatte ich auch schon. Es ist wie mit diesen Türen. Das, was uns helfen würde, klappt nicht. Vielleicht eine Blockade, was weiß ich.“ Das klang logisch, so furchterregend diese Erkenntnis auch war. Salazar Slytherin hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Mittlerweile konnte Cami gut verstehen, warum Ominis überzeugt war, seine Tante Noctua sei hier umgekommen. Ominis! Wieder wand sie sich an Sebastian: „Wir müssen weiter, müssen Ominis finden.“ Er nickte und die beiden Schüler standen bibbernd auf. Obwohl es sich irgendwie merkwürdig anfühlte, konnte Cami sich nicht von ihrem Freund lösen. Sein Körper war wie eine Heizung, obwohl auch er schon merklich kühler geworden war. „Wir bleiben dicht zusammen.“, sagte er leise. „Wie die Pinguine.“, fügte Cami hinzu und beide mussten unwillkürlich grinsen. Das war ein schönes Gefühl und es kam ihr so vor, als hätten sie das ewig nicht mehr getan. Wie lange waren sie jetzt schon hier? Erst einen Tag? Oder mehr? Wurde im Schloss vielleicht schon nach ihnen gesucht? Camilla hatte keine Ahnung! Sebastians Arm lag noch immer um ihre Schulter und ihr eigener war um seine Taille geschlungen. Sie waren sich noch nie so nah gewesen. Eigentlich müsste es sich seltsam anfühlen, aber hier war alles anders. In dieser Welt, war er das Einzige, auf das sie sich verlassen konnte. Sie hatten ihre Grenzen erreicht. Es war ihr nie so klar gewesen und vielleicht machte ihre aktuelle Lage das Gefühl auch stärker, als es eigentlich war. Aber sie hatte Sebastian in ihr Herz geschlossen. Er war an ihrer Seite und solange das so war, gab es noch Hoffnung. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung. Seltsam... „Schau mal. Da ist ein... Ist da ein Licht?“, holte Sebis Stimme sie wieder ins Hier und Jetzt zurück und sie sah auf. Er hatte Recht! Am Ende des Ganges leuchtete etwas. Es war nicht grell, eher wie ein kleines Glitzern, aber es hob sich deutlich von der dämmrigen Dunkelheit ab. Ein Licht am Ende des Tunnels? Oder fantasierten sie nur? Alles fühlte sich so irreal an, aber das helle Schimmern zog sie an, als wären sie Motten. Camis Atem beschleunigte sich vor Aufregung, genauso wie ihr Schritt. Sebastians Arm nahm sie von sich. Sofort wurde ihr wieder kälter, dann aber überwog die Euphorie und sie verfiel in einen Lauf. Sebastian tat es ihr gleich. „Wir wissen nicht, was das ist, rennen aber einfach drauf zu?“ „Ja.“, antwortete Cami. Sie fühlte sich wie beflügelt. „Es kann doch kaum schlechter werden!“ Das Licht war kein Ausgang, zumindest nicht wirklich. Sie erreichten einen schmalen Durchgang, ein unsauberes Loch in der Wand, aber es war groß genug, um hindurchzuklettern. Cami ging voran und fand sich in einer großen, feuchten Höhle wieder: Einer Tropfsteinhöhle. An manchen Stellen bahnten sich Lichtstrahlen einen Weg hinein und funkelten in Pfützen und winzigen Seen. Es hatte fast etwas Magisches an sich; nicht auf die schwarzmagische Slytherinart, sondern eher, als würden sich hier gerne kleine Feen tummeln. Ein Aus- oder Durchgang war aber nicht zu sehen. „Ominis?“, rief Camilla in das Gewölbe hinein, konnte den blinden Jungen aber nicht entdecken. Hinter ihr tauchte Sebastian auf und sah sich beeindruckt um. „Hier ist es immerhin ein wenig wärmer.“ Das fiel Cami jetzt erst auf. Man konnte zwar noch nicht von wohligen Temperaturen sprechen, aber es war nicht mehr ganz so eisig. „Ominis scheint nicht hier zu sein.“, stellte er ernüchtert fest und sah sich noch einmal genau um. „Vielleicht sollten wir doch besser noch einmal zurück?“ Cami schüttelte energisch den Kopf, obwohl ihr der Gedanke auch schon gekommen war. Vielleicht hatten sie ja etwas übersehen? Vielleicht war Ominis aber auch hier irgendwo. Es war nicht mal auszuschließen, dass er sich völlig woanders befand. Doch als sich hinter ihnen der Durchgang zurück in die grauen Gänge geräuschvoll schloss, hatten sie fürs Erste ihre Antwort und ein unheilvolles Déjà-Vu-Gefühl in der Magengegend. Cami fing Sebis Blick auf. „Was hat das jetzt zu bedeuten?“, flüsterte sie, sah sich aufmerksam um und wappnete sich schon vor der nächsten Gefahr. Doch es war nur das Tropfen von Wasser auf Stein zu hören. Sonst schien alles normal zu sein. Oder nicht? Bildete sie sich das ein oder wurde es immer lauter? Erst ein Prasseln und dann klang es, wie ein kraftvoller Wasserfall. Sebastians Augen weiteten sich, als ihm klar wurde, was hier passierte. „Scheiße, läuft es hier mit Wasser voll?! Unser einziger Ausgang ist zu!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)