Das Glück der Erde von Ba-chan ================================================================================ Kapitel 5: Alte Wunden ---------------------- Das Training im rotburger Vereinsgelände war im vollen Gange. Heute stand ein Probespiel an, wo die Mannschaft sich in zwei Teams aufteilte und gegeneinander antrat. Sechs Spieler gegen sechs Spieler. Und wieder einmal fand ein Duell zweier Topspieler statt, deren Zusammenspiel bereits in Zeiten der Grünwälder bekannt war. Karl – Heinz Schneider, auch als „neuer deutscher Fußballkaiser“ bekannt gegen Genzo Wakabayashi, der in Japan als „Towartgenie“ galt. »Schnapp ihn dir, Levin!«, rief Genzo dem Mittelfeldspieler zu. Das ließ sich der Schwede nicht zwei Mal sagen und flitzte wie ein Wiesel Richtung Schneider. Schnell lieferten sie sich ein spannendes Duell um den Ball, doch ganz der Captain der Rotburger konnte Karl Levin mühelos ausspielen und jagte Richtung Tor. Dann schoss er. Bevor der Ball sich dem Tor näherte, kam Minba, einer der Verteidiger gesprungen, und erwischte den Ball. Das runde Leder klatschte gegen seine Brust und schon war er unter den Stollen des Fußballers geklemmt. »Sho! Knall das Ding rein!«, rief der nigerianische Spieler ihm zu und gab einen genialen Pass weit in der gegnerischen Hälfte. »Auf dich ist echt Verlass, Minba«, freute sich Genzo und grinste breit. Seine Antwort kam schnell. Minba hob lässig seinen Daumen, Sho rauschte mit dem Ball Richtung Tor. Er wich gekonnt den beiden Verteidigern aus und schoss. Ein machtvoller Kick seitens des Chinesen, doch Drener war aufmerksam und sprintete los. Er krallte sich das Leder und landete galant nahe des Tores. »Seit wann bist du so schnell geworden, Drener?«, witzelte Sho und konnte das selbstbewusste Lachen des Keepers nicht überhören. Die Trainer indes sahen auf ihre Uhr. Die letzten Minuten waren noch zu spielen. Das fiel einigen Spielern auf und besonders Genzo und Karl sahen aufmerksam auf dem Spielfeldrand. Vielsagende Blicke wurden zwischen Keeper und Stürmer ausgetauscht und die umstehenden Spieler wussten sofort. »Drener!« »Hier kommt er, Chef!« Ein kraftvoller Pass flog über das halbe Feld Richtung Schneider, der den Ball mit seiner breiten Brust auffing und direkt in Genzos grüne Augen starrte. »Lasst ihn durch!«, rief Genzo und behielt den Blickkontakt seines Mannschaftskapitäns bei. Gesagt getan. Jeder Spieler in Genzos Team ließ den Fußballkaiser auf den Keeper zustürmen. Das war zu einem Ritual geworden. Die beiden Topspieler bestanden bei jedem Probespiel darauf immer gegeneinander anzutreten, was ihre Trainer wohlwollend zuließen. Es war unter den Rotburgern bekannt, dass die beiden Fußballer gerne spannende Duelle bestritten und sich untereinander zu übertreffen versuchten. Hin und wieder kam es vor, dass kleine Wetten abgeschlossen wurden, welcher von ihnen als Sieger vom Feld ging. Entweder Schneider erzielte ein Abschlusstor oder aber Wakabayashi hielt seine berüchtigten Feuerschüsse. Karl erreichte die Linie des Strafraums und setzte zum Schuss an. »Mal schauen, ob du den hältst, Wakabayashi!« »Du kannst mir so viele Bälle um die Ohren knallen, wie du willst«, erwiderte Genzo mit siegessicherem Grinsen. »Ich werde nie wieder zulassen, dass dir das noch einmal von außerhalb des Strafraums gelingt, hast du kapiert?« Und der Ball jagte quer über den Strafraum. Für einen Moment blieb der Keeper stehen. Dann, als er erkannte, in welche Richtung der wuchtige Schuss flog, sprang er los. Er streckte seine Arme aus, doch er berührte den Ball nur mit seinen Fingern. Dennoch gelang es ihm die Flugbahn umzulenken, sodass dieser am Torpfosten abprallte und den Kasten verließ. Dieser Sieg galt eindeutig dem Japaner, was Karl mit müdem Lächeln anerkannte. Und da kam auch schon der Schlusspfiff. Das bedeutete Feierabend für die Rotburger und die ersten machten sich bereits auf dem Weg in die Duschräume. »Ihr beide könnt es aber auch nicht lassen, wie?« Rudi kam auf sie zu, mit einem wohligen Grinsen im gealterten Gesicht. »Es macht Spaß und hilft uns besser zu werden, Vater«, erwiderte Karl nüchtern darauf und nahm dankend das Handtuch, welches ihm der Mann überreichte. »Und gerade, da wir in einigen Tagen gegen die Bremer antreten, möchte ich umso härter trainieren, damit ich es ihnen nicht leicht mache« »So lobe ich es mir, mein Junge«, klopfte Rudi beherzt auf die Schulter seines Sohnes. »Und ich bin auch mit deinen Fortschritten mehr als zufrieden, Genzo. Seit du hier bei uns angefangen hast, hast du dich wahrlich gemacht. Ich bin froh, dass du dich dazu entschieden hast bei uns zu spielen. Mir ist nicht entgangen, dass auch andere große europäische Vereine Interesse hatten dich zu verpflichten« »Es gab viele gute Angebote, das stimmt«, sagte Genzo und warf sich das Handtuch um die Schulter. »Aber ich habe mich in Deutschland so gut eingelebt, dass ich hier nicht weg wollte« »Na das höre ich doch gern!«, meinte Rudi daraufhin. »Dennoch... es ist schade, dass es mit Grünwald nicht länger geklappt hat. Immerhin hat deine Fußballkarriere auf internationalen Boden dort angefangen« »Ich bin dem Verein trotz der Umstände sehr dankbar für alles, was sie für mich getan haben.« Genzo stellte sich dann direkt vor Rudi und verbeugte sich respektvoll vor ihm. »Und ich möchte mich auch bei Ihnen bedanken für die Chance, die Sie mir gegeben haben für Rotburg zu spielen« »Ach nicht doch, mein Junge. Es war für mich eine positive Überraschung gewesen einen so außergewöhnlichen Torwart kennen lernen zu dürfen. Und noch dazu ein Japaner. Ich weiß ja, dass der Fußball in deinem Land noch in den Kinderschuhen steckt, aber ich habe gesehen, dass es auch dort talentierte Spieler gibt, deren Potential gefördert werden muss« »Es freut mich sehr das zu hören« »So und nun ab mit euch unter die Dusche und geht Heim. Morgen früh geht es weiter mit dem Training, verstanden?« »Ja, Trainer!« »So, Jungs. Treffen wir uns alle nachher in unserer Stammkneipe?«, fragte Kalle in die Runde. Der heiße Dampf entwich aus den offenen Fenstern, während die Männer weiter damit beschäftigt waren den angesammelten Schweiß und Dreck aus ihren Körpern zu waschen. »Normalerweise würde ich sagen „auf jeden Fall!“, aber dieses Mal nicht. Ihr wisst ja, meine Freundin hat heute Geburtstag und wenn ich ihr stecke, dass ich eher mit euch als mit ihr feiern gegangen bin, dann ist die Hölle los« »Wo er recht hat?«, meinte Levin lächelnd dazu. »Dann müssen wir uns einen neuen Keeper suchen, der seinen Platz einnimmt.« Die Jungs verloren sich im lautstarken Gelächter. Drener. Der zweite Torwart der Rotburger. Bevor Genzo zu ihnen kam, war er der Stammkeeper der Mannschaft gewesen, bis er den Platz für den Japaner räumen musste. Damals war es Genzo mulmig zumute und fühlte sich umgehend an seine Anfänge in Grünwald erinnert. Hans, einst der Stammtorwart des Vereins, fühlte sich um seine Position verdrängt und war ganz und gar nicht begeistert die Rolle des Ersatztorwarts zu übernehmen. Die beiden Jungs hatten ab da ein angespanntes Verhältnis, welches schlimmer wurde, als Genzo eine Sonderbehandlung von Karl bekam, da dieser ihn neben dem eigentlichen Training, noch zusätzlich forderte und förderte. Genzo zog daraufhin den Groll einiger Mannschaftskameraden auf sich und es dauerte nicht lange, bis es zu einem Handgemenge kam. Hans und drei weitere Spieler gingen auf Wakabayashi los, verprügelten ihn, doch er ließ sich nicht unterkriegen. Gleich am darauffolgenden Tag hatte er sich bei Hans und seinen Freunden revanchiert und ihm seine eigene Medizin schlucken lassen. Die große Standpauke der Trainer und des Vorstands ließ nicht lange auf sich warten. Sie gingen ab den Tag nicht wieder aufeinander los, aber Freunde waren sie seitdem nie geworden und redeten nur über das Nötigste miteinander. Sonst gingen sie sich immer aus dem Weg. Nicht so wie Drener. Ihm schien das Ganze absolut nichts auszumachen, dass er etwas zurücksteckte und Genzo den Vortritt überließ. Vermutlich lag es daran, dass das „Torwartgenie“ sich bereits einen Namen in der Fußballwelt machte und er großen Respekt vor seinem Teamkollegen und dessen Talent hatte. Genzo war mehr als froh darüber, dass er mit Drener keine Probleme hatte und er sich tatsächlich prima mit ihm verstand. »Bestell Laura von uns viele Glückwünsche«, sagte Genzo und stellte die Dusche ab. »Mach ich«, winkte Drener und verschwand in die Umkleide, um sich anzuziehen. Die Anderen zogen nach. Einzig Genzo und Karl waren die letzten, die noch in der Gemeinschaftsdusche standen und der Keeper den ersten Schritt Richtung Umkleide machte. Ein seltsamer Schauer fuhr durch den Körper des Fußballkaisers, als er die große Rückennarbe seines Freundes sah. »Kalle, alles klar bei dir?«, wunderte sich Genzo, wo sein Kumpel abgeblieben ist und sah über seine breite Schulter hinweg nach hinten. »Du bist auf einmal so blass« »... Es ist nichts, Gen«, schüttelte er leicht den Kopf, tupfte sich sporadisch das Wasser vom Körper ab und wickelte sein Handtuch um die Hüfte. »Karl...« »Es geht mir gut«, klopfte er ihm beruhigend auf die Schulter, doch der eindeutige Blick auf die Narbe war selbst für den Keeper nicht zu übersehen gewesen. »Machst du dir noch immer Gedanken darüber?« Schweigen. Gezo seufze leise. »Hör auf damit. Wie oft muss ich dir noch sagen, dass das ein Unfall gewesen ist und du dir nicht die –« »Es war meine Schuld!«, unterbrach Schneider ihn abrupt und ging ein paar Schritte zurück. »Verdammtes Match. Wie konnte ich nur so versessen darauf gewesen sein diesen Ball annehmen zu wollen, obwohl du ihn locker gehalten hast? Du hast meinetwegen diese furchtbare Narbe bekommen und allein durch mein Leichtsinn hätte ich beinahe einen guten Freund verloren!« Das belastete Schneider heute noch und er wusste nicht, ob er sich das jemals verzeihen könnte, was er tat. Das Spiel war spannend. Japan spielte in der Meisterschaft gegen Deutschland. Der Ball flog Richtung Tor, Genzo jedoch konnte ihn halten. Schneider kam ihm gefährlich nahe und beide reagierten zu spät. Die Stollen des Fußballkaisers rissen das Trikot am Rücken auf; eine tiefe Wunde brachte der Stürmer ihm bei. Blut floss in Strömen und es hörte nicht auf. Panik hatte sich im Stadion breit gemacht. Genzos Kameraden eilten auf ihn zu und drückten die Wunde mit ihren Trikots zu, in der Hoffnung, dass ihr alter Freund nicht vor ihren Augen verblutete. Und es war knapp. Genzo überlebte nur um Haaresbreite. Karl war an dem Tag wie ausgewechselt. Er war nicht mehr der gefasste, starke Spieler, den die Welt kannte. Er zog sich zurück, war in sich gekehrt, wagte es sogar nicht dem Keeper unter die Augen zu treten. Diese Schuldgefühle belasteten ihn heute noch und egal, wie oft Genzo ihn vergab, er selbst konnte sich nicht vergeben. »Es hat mich sehr viel Nerven gekostet, um dich davon zu überzeugen, dass ich dir nicht böse bin oder dich hasse. Du bist, trotz des Unfalls, noch immer mein Freund und daran wird sich auch nichts ändern. Bitte höre auf dir weiter darüber Gedanken zu machen. Ich bin nicht gestorben, ich stehe vor dir und das auch noch halbnackt und frisch geduscht und mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Außerdem habe ich mich längst an die Narbe gewöhnt. Schaut gar nicht mal so übel aus, wie ich finde und ich mag sie mittlerweile« »Genzo« »Jetzt mach dich doch mal locker. Vergessen wir die ganze Sache einfach und sehen nach vorn. So schnell wirst du mich ohnehin nicht los, nur damit du es weißt.« Dann ging der Keeper davon und verschwand in die Umkleide. Eine Weile stand Karl wortlos da, beobachtete den Gang, den Genzo nahm. Er hatte recht mit dem, was er sagte. Dennoch war das alles andere als leicht mit sich damit im Reinen zu sein. Er hoffte es. Er hoffte es inständig, dass er seinen Freund nicht mehr ohne dieses dumpfe Gefühl gegenübertritt, wie es seit dem Spiel der Fall war. Über diese Zeit hatte er die Fassade des typischen Karl – Heinz Schneider, den alle Welt kannte, aufrechterhalten. Doch einzig Genzo wusste, dass hinter der Fassade noch immer der von Schuld geplagte Mann steckte, von dem sich der Fußballkaiser einfach nicht lösen konnte. Er hasste es. Er hasste diesen Tag, als es passierte. Er hasste seine dumme Entscheidung den Ball annehmen zu wollen, als Genzo ihn locker fangen konnte. Er hasste den bemitleidenswerten Anblick, den er anderen bereitete. Er hasste es seinem Freund so etwas furchtbares angetan zu haben. Er hasste sich selbst, weil er derjenige war, der ihn beinahe tötete. Und er hasste es, dass er nicht die selbe Größe besaß wie er und einfach nicht loslassen konnte. Genzo, dachte er und verharrte noch immer an Ort und Stelle Er spürte, wie sich langsam ein Kloß in seinem Hals bildete und seine Atmung schwerer wurde. Wieso hasst du mich nicht? Du hast jedes Recht dazu mich zu verabscheuen, also tu es, verdammt nochmal! In der früh war Elena schon längst auf den Beinen und joggte wie jeden Morgen ihre Runde, ehe sie mit ihrer eigentlichen Arbeit begann. Mit schwarzem Sportanzug und aschblondem Pferdezopf lief sie den Feldweg nahe des Gestüts entlang. Die kalte Morgenluft ließ ihre hellen Wangen erröten und ihre Lungen auffrischen. Letzte Nacht hatte es einen leichten Schauer gegeben und die durchnässte Straße konkurrierte mit dem Morgentau. Überzeugt davon, dass keine Menschenseele in ihrer Nähe war, bemerkte sie plötzlich einen langgezogenen Schatten neben sich, der rasant an Größe zunahm. Kurz sah sie nach hinten und schon begann das Augenrollen. »Das darf doch nicht wahr sein...« »Hallo, Ponyhalterin!«, winkte ein gut gelaunter Keeper ihr zu und war auch neben sie geschritten. »Ich hoffe du hast gut geschlafen? Hab dich hier noch nie gesehen« »Die Strecke laufe ich hin und wieder«, meinte sie lasch. »Du probierst wohl gerne einige Wege zum Laufen aus, oder?« »Kann man so sagen, ja«, erwiderte er kurz darauf. »Jetzt habe ich einen Grund mehr diese Strecke zu nehmen« Ich ahne, was jetzt gleich kommt, dachte sie und gab sich große Mühe ihre Mundwinkel unten zu lassen. »Um dich weiter mit meiner Anwesenheit zu beehren.« Elena lachte so laut, dass sie beinahe über ihre eigenen Füße gestolpert wäre. Kurz stützte sie sich auf einem kleinen Holzpfahl ab und hielt sich mit der anderen Hand die Seite. Sie konnte ihm nicht antworten. Ihr Lachen ließ es nicht zu. »Ach komm, als würde es dich nicht freuen mich zu sehen«, grinste Genzo und stemmte selbstbewusst seine Hände auf die Hüfte. »Und sag mir nicht, dass dir unsere Gespräche nicht gefallen haben, die wir führen. Ganz zu schweigen von den ganzen Witzen und Blödeleien mit den Jungs, als sie „rein zufällig“ in den Talk rein schlitterten, sobald du drin warst« »Wieso nochmal habe ich deine Servereinladung angenommen?« Elena hätte sich in den Hintern beißen können, musste aber dennoch grinsen, als sie an die anregenden Gespräche im beliebten Onlinedienst Discord denken musste. Die Rotburger hatten ihren eigenen Server, den sie vorrangig privat hielten und andere Fußballkollegen aus aller Welt einluden, doch nicht selten kam es vor, dass auch Freunde und Bekannte der Spieler als Gäste im Server kamen und sich dort, neben dem Fußball, auch über andere Themen austauschten und neue Freundschaften knüpften. Elena war beeindruckt, dass ihr „Rotburger Eck“, wie die Mannschaft den Server taufte, eine beachtliche Mitgliederzahl auf mehrere hundert belief. Für einen privaten Server eine ordentliche Leistung und die ganzen bekannten Fußballer erst, die sich dort tummelten. Sogar einige japanische Spieler waren drin gewesen, mit denen sich Genzo sehr oft unterhielt. Alte Freunde aus Kindertagen und zusätzlich Teamkollegen, wie er sagte. Das war ihr erst vorgestern aufgefallen, als sie sein Icon, eine schicke Vektorgrafik einer roten Kappe, wo darauf ein schwarzes „W“ zu sehen war, mit sieben weiteren Spielern im Talk drin war. Einige von ihnen hatten ihre richtigen Namen benutzt und sie wusste bereits, um welche Jungs es sich dabei handelte. »Ihr seid solche Quatschköpfe«, kicherte sie, als sie an die Rotburger dachte. »Na ja. Jungs sind nun mal Jungs, wie man so schön sagt« »Ja«, stimmte sie ihm nahtlos zu. »Besonders dann, wenn zu später Stunde noch „ganz besondere Themen“ aufkommen, die nicht ganz jugendfrei sind, wenn du verstehst« »Ehrlich, das ist nicht meine Schuld, wenn das manchmal so ausartet. So einer bin ich echt nicht!«, erklärte er sich. »Du hast bei den zweideutigen Fußballfloskeln mitgelacht und auch noch selbst welche hinzugefügt, also jetzt tu mal hier nicht einen auf braver Chorknabe, du Perversling« »Du bist aber auch nicht gerade besser, Madame« »Keine Ahnung, was du meinst.« »Aber sicher doch«, grinste er frech und bekam prompt einen kleinen Schlag auf den Arm spendiert. »Wie war das noch mit „Es rauscht von hinten rein...“?« Da lachten sie wieder und setzten gemeinsam ihre Joggingrunde fort. So sehr der Keeper die Idee anregend fand mit Elena jeden Morgen zu laufen, fragen wollte er sie dennoch. Noch mehr freute er sich, als die Reiterin ohne Zögern zustimmte öfters gemeinsam einige Runden zu drehen. Neben ein paar banalen Gesprächen war Genzo nach einer Weile unerwartet still. Er sah merklich oft seinen Schatten vor sich an und atmete aus, als wolle er etwas sagen. »Stimmt etwas nicht?« Elena bemerkte, wie der Keeper nach dieser Frage langsamer wurde und schließlich stehen blieb. Seine grünen Augen dabei weiter auf den Boden gerichtet. »Genzo?« »Bitte entschuldige. Ich bin gedanklich gerade... ganz woanders« »Es ist etwas vorgefallen, oder?«, kam sie auf ihn zu. »Möchtest du darüber sprechen?« »Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wie ich anfangen soll« »Vielleicht sollten wir uns erst einmal setzen?«, deutete Elena mit einem Kopfnicken auf eine Bank, die unter ein paar Bäumen stand. Er nickte und beide setzten sich. »Ich weiß, wir kennen uns eigentlich seit knapp einer Woche, aber das bedeutet nicht, dass ich kein offenes Ohr für deine Probleme habe. Egal, was es auch ist, du kannst mir ruhig sagen, was dich beschäftigt« Er nahm es zur Kenntnis und dankte ihr im Stillen dafür. »Es geht um die WM letztes Jahr.« Kurz murmelte sie nachdenklich, ehe es ihr wieder einfiel. »Oh richtig. Da hast du im Finale mit deinem japanischen Team gegen Deutschland gespielt, oder?« »Ja. Und du hast sicher den Unfall mitbekommen, der im Spiel stattfand.« »Wie könnte man so etwas nur vergessen?« Der Unfall schockierte die ganze Welt. Während des Finalspiels verletzte Karl – Heinz Japans Topkeeper schwer, sodass das Spiel kurzzeitig unterbrochen war. So schnell der Krankenwagen fuhr wurde Genzo in die Notaufnahme gebracht. Sogar eine Bluttransfusion war notwendig gewesen, um sein Leben zu retten. Über kaum ein anderes Thema wurde in den Sportnachrichten gesprochen wie um die Gesundheit des beliebten Torhüters. Nahezu jeder, ob Fußballfan oder keiner, bangte um sein Leben. Jeder wollte, dass er überlebte. Jeder hoffte, dass er überlebte. »Ich habe die WM kaum verfolgt, aber selbst das hat mir angst gemacht und hab alle Nachrichten darüber verfolgt und dir alle Daumen gedrückt, dass du es schaffst« »Karl nimmt das heute noch ziemlich mit«, kam er zum Punkt und knetete unruhig seine Finger. »Und er hatte es in dieser Zeit schon schwer genug gehabt« »Ja, ich erinnere mich. Er wurde deswegen von vielen angefeindet. So furchtbar« »Unser ganzes Team stand hinter ihm. Der Fußballverband, andere Mannschaften und sogar meine Leute haben ihn in Schutz genommen. Sie alle wussten, dass das ein Unfall gewesen ist und ihm keine Schuld trifft. Karl ist ein Typ, dem solche Nachrichten nicht nahegehen. Ihm ist eigentlich egal, was Wildfremde von ihm halten. Aber als die Hassnachrichten sich rasant verbreiteten und drohten zu eskalieren, fühlte er sich an damals zurückversetzt, als es Ärger mit dem Grünwald – Verein gab, und das hat ihm richtig zu Schaffen gemacht, sodass er sich für eine Weile vom Fußball distanzierte. Das Spiel, welches wir in ein paar Tagen gegen unseren ersten Vereinsgegner Werder Bremen bestreiten, sollte sein Comeback sein« »Du meinst also er war seit der WM in keinem offiziellen Spiel mehr zu sehen?« »Nein«, antwortete Genzo ausdruckslos. »Er brauchte Ruhe, um das Ganze zu verarbeiten. Der Verein hat ihn daraufhin auf unbestimmte Zeit freigestellt, trainiert hat er aber dennoch wie verrückt mit uns und das tat ihm wirklich gut. Du weißt ja, wie das ist. Wir Fußballer brauchen unseren Sport und unser Kalle hatte es mehr als dringend nötig gehabt« »Ohne euren kleinen Freund seid ihr nur ein halber Mensch«, lächelte sie und Genzo erkannte die Ehrlichkeit hinter den Worten. »Und... wie geht es ihm jetzt?«, fragte sie vorsichtig. »Er macht sich noch immer Vorwürfe«, seufzte der Keeper müde vom Thema. »Neulich in der Gemeinschaftsdusche hat er wieder meine Narbe gesehen und anscheinend kam das wieder hoch. Ich hab ihm aber immer wieder gesagt, dass ich ihn dafür niemals hassen werde, weil das ein Unfall war. Ich hoffe nur, dass er das eines Tages doch überwinden wird. Sorgen mache ich mir dahingehend immer mal wieder« »Er ist doch dein Freund. Ich würde mich wundern, wenn du dir keine Gedanken um sein Wohlergehen machst« »Ja, das stimmt« »Ist er deswegen in Therapie? Ich mein, das ist kein simpler Zusammenstoß zwischen zwei Fußballern gewesen. Das war schon etwas Größeres, was durchaus traumatisch ist« »Ja, ist er tatsächlich«, antwortete Genzo erleichtert. »Es bessert sich, aber manchmal gibt es diese kleinen Rückfälle wie neulich, nur sind sie zum Glück viel weniger und nicht mehr so extrem geworden wie zu Beginn« »Das ist wirklich gut zu hören, wirklich. Ich hoffe sehr, dass Kalle das komplett überwinden und damit abschließen kann. Das ist etwas, was ihr euch auch als Freunde und Kollegen für ihn wünscht. Dass er wieder der wird, den ihr kennt« »Ja.« Stille hatte sich zwischen ihnen gelegt, während sie wortlos auf der Bank saßen und ins Nichts starrten. »Danke für's Zuhören, Elena«, kam es rundheraus vom Keeper. »Nicht der Rede wert«, erwiderte sie. »Das Gespräch bleibt unter uns, falls du fragen solltest« »Ja, das... ist wirklich für den Moment besser so, finde ich« »Dann weiß ich Bescheid«, sagte sie und stand wieder auf. »Und vergiss nicht, ich habe immer ein offenes Ohr für gewisse Balljungen, die mir ihr Herz ausschütten wollen.« Genzo lachte leise und erhob sich ebenfalls von seinem Platz. »Das freut mich aber ungemein, Ponyhalterin.« Es tat gut mit ihr darüber gesprochen zu haben. Genau genommen wusste er nicht, warum er mit ihr darüber redete. Lange kannten sie sich nicht, wie sie selbst anmerkte und dennoch fühlte es sich richtig an sich ihr anzuvertrauen. Ihm ging es besser und beide hofften, dass es auch Karl eines Tages so erging. Wie hieß es doch gleich? Alte Wunden sollte man nicht aufreißen, sondern alles tun, damit sie verheilen. Und genau das war es, was der junge Fußballkaiser brauchte: Heilung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)