Das Glück der Erde von Ba-chan ================================================================================ Kapitel 4: Friedensangebot -------------------------- Aufmerksam sah er sich die leeren Pferdeboxen an, an denen er vorbeilief und war angenehm überrascht, dass der „Pferdegestank“ gar nicht schlimm war, wie immer behauptet. Viel mehr roch es nach normalem Heu und hatte schon befürchtet die Nase rümpfen zu müssen, als er mit Timur den Stalldurchgang Richtung Halle nutzten. Große Fenster am Dach ließen genügend Sonnenlicht hinein und am Abend taten die vielen Lampen an den Wänden ihr Übriges. Die beiden Männer grüßten die Mitarbeiter, die die Ställe ausmisteten oder die Ausrüstung reinigten. »Da habt ihr keine Kosten und Mühen gescheut, um es hier für die Tiere so angenehm, wie möglich zu machen« »War auch nicht billig«, witzelte er. »Aber, wenn ich sehe, wie gut es den Pferden geht, ist jeder Cent definitiv wert. Und unser Team ist auch das Beste, was uns passieren konnte. Richtig tolle Leute hier, für deren Mitarbeit wir ihnen unendlich dankbar sind. Ohne sie läuft hier einfach nix.« Die Halle war direkt vor ihnen zu sehen. Man konnte bereits den leisen Klang von Musik hören, der nach außen drang und traten ein. Sie sahen die Hindernisse, die kreuz und quer am Platz aufgestellt waren und das metallene Schimmern des Hengstes blitzte kurzzeitig in ihren Augen, als er gerade über eine Triplebarre sprang und leichtfüßig auf den weichen Boden landete. Genzo beobachtete das Training genau. Dilas trabte elegant zum nächsten Hindernis und nahm umgehend Anlauf. Erneut sprang es auf Elenas' stummen Befehl hin über eine weitere Triplebarre hinweg. »Das sieht so leicht aus« »Ist es aber definitiv nicht«, merkte Timur an und verfolgte mit prüfendem Blick das Training, während sie die Musik, die aus den Boxen kam, kaum beachteten. »Beim Springen setzt Können, Geduld, Ruhe, Konzentration und absolutes Vertrauen auf beiden Seiten voraus. Es kann dabei so vieles schief gehen, wenn Reiter und Pferd nicht perfekt aufeinander abgestimmt sind. Ist der Reiter verunsichert, überträgt sich das auch auf das Pferd. Gleichzeitig muss der Reiter auch dem Pferd die Angst vor einem Hindernis nehmen, sobald er merkt, dass es nervös ist. Man darf es nicht zwingen zu springen. Manche Reiter haben diesen Fehler teuer bezahlen müssen. Bestenfalls haben sie auf Turniere Strafpunkte kassiert, weil eine Stange sich von der Halterung gelöst und runter gefallen ist. Leider ist es auch vorgekommen, dass sich Pferde und auch Reiter bei solchen Sprüngen verletzt haben. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Meist, weil sie sich überschätzt und sich bei ihren Sprüngen verkalkuliert haben« »Verstehe.« Das letzte Hindernis, eine Doppelbarre, wurde überwunden und im lockeren Trab ritt Elena am Rand der Halle entlang. Sie entschleunigte die Geschwindigkeit, als sie die Männer entdeckte und ließ die Zügel los, sodass Dilas von selbst auf sie zuging. »Timur«, grüßte sie ihn und begann ihren Reithelm abzunehmen. »Und der kleine Balljunge« »Ponyhalterin«, grüßte Genzo zurück und sah den vorbeifliegenden Helm, den der Reiter mühelos mit beiden Händen fing. Schnaubend blieb Dilas direkt neben den Keeper stehen und streckte ihm neugierig seinen Kopf entgegen. »Muss ich fragen, warum ihr hier seid?« »Er ist so begeistert vom Reiten, dass er mit dem Gedanken spielt es mal auszuprobieren«, scherzte Timur und bekam prompt vom Keeper und Reiterin einen irritierenden Blick zugeworfen. »Nein er ist eigentlich hier, um mit dir zu reden« »Das glaube ich schon eher, als das dieser Spinner hier Interesse hat auf ein Pferd zu steigen.« Elena ging von Dilas runter und kam auf den Fußballer zu. »Du kamst nicht zum Vereinsgelände, also habe ich Timur gefragt, ob er mich mitnimmt. Wir beide haben uns gedacht, dass du dich hier im Gestüt aufhältst und wollte die Chance für ein Gespräch nutzen.« Sie schloss die Augen. »Ich habe das dumpfe Gefühl, dass ich dabei keine allzu große Wahl habe« »Lenchen, sei brav« »Halt die Klappe, Tim.« Sie nahm die Zügel und ging an den Beiden vorbei. »Elena, es tut mir wirklich leid, was ich gestern gesagt habe, ehrlich«, sah er sie an. »Ich möchte mich nicht mit dir streiten und ich habe auch eingesehen, dass ich mich nicht gerade wie ein Gentleman verhalten habe. Lass uns einfach noch einmal von Neuem beginnen. Was hältst du davon?« Sie sah ihn eingehend an, doch überzeugt war sie noch immer nicht. Sie schnaubte nur und ließ die Männer eiskalt in der Halle stehen. »Elena...«, seufzte Timur, als das hohle Klappern des Pferdes nicht mehr in der Halle erklang und sah etwas enttäuscht zu Genzo. Zu seiner Überraschung ließ er sich von dieser vergebenen Mühe nicht entmutigen und sah ein Glitzern von Entschlossenheit in seinen Augen aufblitzen, der alles andere als ans Aufgeben dachte. Da ging er schon los und holte die junge Reiterin ganz schnell ein. »Du machst es mir echt nicht leicht, weißt du das?« »Was willst du denn von mir hören?«, fauchte sie ihn überraschend an. »Dass ich deine Entschuldigung annehme? Fein! Ich nehme sie an!« »Du nimmst das Ganze hier nicht ernst« »Oh, da irrst du dich aber gewaltig, mein lieber Freund. Ich nehme das Ganze hier verdammt ernst und von meiner Seite aus haben wir uns nichts mehr zu sagen. Ich habe keine Zeit mich noch länger mit dir zu befassen, denn ich würde mein Gaul gerne von seiner Ausrüstung befreien und es auf die Koppel bringen... und dann muss ich mich auch noch für heute fertig machen.« Daher wehte also der Wind. In diesem Streit ging es nicht um sie, sondern um Dilas. Es war immer nur um ihn gegangen. Timur hatte, was ihre Beziehung zu diesem Hengst anging, definitiv nicht übertrieben. Wenn ich das eher gewusst hätte..., war Genzos Gedanke, ging schnurstracks an ihnen vorbei und blieb stehen. Elena hatte die Zügel etwas fester in der Hand, als Dilas kurz aufschreckte und seine Nüstern aufblähte. »Oh Gott so langsam gehst du mir echt auf die –« Sie schwieg augenblicklich, als sie sah, wie Genzo sich tief vor ihr verbeugte. Sie wollte etwas sagen, doch der Keeper ließ das nicht zu. »Ich, Genzo Wakabayashi, bitte aufrichtig um eure Entschuldigung. Mein Verhalten gestern war unüberlegt und taktlos. Du hattest recht. Es war dumm und leichtsinnig von mir gewesen, wegen einer Kappe auf die Koppel zu gehen. Ich wollte weder dich noch Dilas beleidigen und hoffe inständig, dass du mir verzeihst. Und sollte das auch nicht reichen, werde ich einen anderen Weg finden, um es wieder gut zu machen.« Da war die Reiterin aber platt. Sie hatte gehört, dass Japaner viel Wert auf Respekt und Anstand legten und ein verdammt großes Ehrgefühl besaßen. Bei Genzo schien das nicht anders zu sein und wenn er sich auf diese Weise entschuldigte, dann meinte er das verdammt ernst. Sie konnte es ihm ansehen, dass jedes einzelne Wort von ihm aufrichtig und ehrlich war, da konnte sie kaum noch böse auf ihn sein. »Stell dich wieder hin, Genzo.« Er gehorchte und sah ihr tief in die Augen. Sein Blick war ernst und auf eine Vergebung hoffend. »Du machst es mir echt nicht leicht weiter sauer auf dich zu sein«, seufzte sie resigniert. »Besonders dann, wenn du solch schwere Geschütze auffährst.« Das nahm er als Kompliment und musste unweigerlich schmunzeln. »Also... alles wieder gut?«, wollte er vorsichtshalber wissen. Elena machte ein Gesicht, als sagte sie ihm, dass sie gerade innerlich darum kämpfte, ob sie ihn verzeihen sollte oder nicht. »Vielleicht ein ganz kleines bisschen noch« »Oh nein, da muss ich mich aber noch viel mehr anstrengen, damit du gar nicht mehr böse auf mich bist« »Kann schon sein«, streckte sie ihm lächelnd die Zunge raus und ging an ihm vorbei. »Vermutlich werde ich aber für immer auf dich sauer sein, selbst, wenn wir uns blendend verstehen sollten.« Ein schnelles Augenzwinkern an den stattlichen Keeper gerichtet, dann war sie mit Dilas in den Ställen verschwunden. Eine ganze Weile sah er ihr nach und konnte das breite Lächeln auf seinem Gesicht einfach nicht loswerden – und das wollte er auch nicht. »Hiermit ist es amtlich, Gen«, kam Timur grinsend auf ihn zu und legte beherzt einen Arm um seine Schulter. »Sie hat dich von heute an gern.« »Man ich bin so neidisch!« Eine Gruppe aus drei jungen Frauen hatte sich in ein Café in der Stadtmitte verabredet. Das Wetter war sonnig und einzig weiße Wolken zogen im strahlend blauem Himmel gemütlich ihre Bahnen. »Du bist eng mit den Rotburgern connected. Machst du mich vielleicht mit einigen von ihnen bekannt?«, lachte eine sommersprossige Brünette und zog demonstrativ ihre Sonnenbrille runter, um Elena mit ihren blauen Augen genauer anzusehen. »Was denn? Hast du da wen im Visier, Kimmy?«, kam es von einer anderen Dame, die gegenüber der Brünetten saß. Sie war langgestreckt und ihr glattes Haar hing ihr wie ein schwarzer Vorhang über ihren Rücken. »Du etwa nicht, Mina?«, wollte sie wissen und starrte zu ihrer Freundin. Kamina, wie sie eigentlich hieß, sah auf den ersten Blick wie eine Frau, die einem gewissen gehobenen Stand angehörte. Sie gab sich fein, förmlich und ganz und gar elitär, welches durch ihre maßgeschneiderten Kostüme in hellen, wenn auch bedeckten Farben, untermauert wurde. Jeder, der sie nicht kannte, hätte sie ohne Zögern für eine arrogante und geradezu hochnäsige Dame gehalten, die naserümpfend durch die Welt spazierte. Sie machte kein Geheimnis um ihren Stand und sie versteckte ihren Wohlstand nicht. Dass jedoch hinter der oberflächlichen Aufmache eine ehrliche, warmherzige und vor allem bodenständige Haut steckte, wussten nur die wenigsten, die bereit waren sie näher kennen zu lernen. Kimmy war das komplette Gegenteil von Mina. Sie war direkt, flippig und recht einfach aus der Fassung zu bringen. Ihre fröhliche Art sah man ihr schon aus kilometerweite Entfernung an und verstand es schon immer den Charakter eines Menschen zu durchschauen. Daher war Kim die erste, die Elenas Exfreund auf Anhieb nicht mochte. Sie scheute sich nicht einmal davor zurück ihm das direkt ins Gesicht zu sagen, obwohl sie damit die Freundschaft zu Lenchen aufs Spiel setzte. Ein schlechtes Gewissen hatte sie dabei immer gehabt, doch diese verflog augenblicklich, als sie hörte, dass Elena sich von Jens getrennt hatte. »Ob ich jemanden von diesen Jungs im Visier habe, fragst du mich?« Mina spitzte die Lippen und grübelte nach. »Nein, da fällt mir gerade keiner ein, tut mir leid, Liebes« »Lüge~«, grinste Kimmy frech. »Ich kann mich erinnern, dass eine gewisse Dame es auf einen gewissen Chinesen abgesehen hat« »Shunko Sho?«, mischte sich Elena ins Gespräch ein. »Ich weiß nicht. Er macht auf mich den Eindruck, als würde er jedem Mädchen, was er halbwegs interessant findet, schöne Augen machen wollen. Was soll unsere Kamina mit so einem Kerl anfangen?« »Meine Reden«, stimmte sie der Reiterin zu und nippte an ihrer Kaffeetasse. »Aber mal was anderes, stimmt das jetzt wirklich, dass Timur sich mit dem Keeper angefreundet hat?« »Scheint wohl so zu sein«, zuckte Elena mit den Schultern. »Zumindest haben sie eifrig gechattet und jetzt lungert er bei uns im Gestüt herum« »Eigentlich sehr seltsam das Ganze«, setzte Mina an und bekam fragende Blicke ihrer Freundinnen zu sehen. »Die Rotburger hatten sich doch bis jetzt auch nie für das Reiten interessiert. Warum jetzt auf einmal?« »Eigentlich eine gute Frage. Lenchen? Erklärung bitte.« Sie musste schmunzeln bei der liebevollen Bitte Kimmys. Sie war schon ganz versessen darauf die Geschichte dahinter zu erfahren. »Nun, ich wollte mit Dilas ausreiten und war deswegen auf dem Weg zur Koppel«, begann sie zu erzählen. »Da habe ich diesen Verrückten durch die Gegend stolpern sehen... und jagte meinen Dilly nach« »Warte, warte«, fuchtelte Mina mit ihrer Hand und fuhr anschließend fort. »Du willst mir jetzt nicht ernsthaft erzählen, dass Genzo einfach in die Koppel eingestiegen ist?« »Ich wünschte ich hätte in dem Moment mein Smartphone gezückt, um euch das Beweisvideo zu zeigen«, lachte sie. »Was hatte er denn da zu Suchen gehabt?« »Dilas hat ihm seine Kappe geklaut und damit herumgespielt. Fand der werte Keeper nicht so lustig... aber dafür ich« Kamina seufzte schwer und konnte die Leichtsinnigkeit des Mannes nicht glauben. Kimmy jedoch musste sich zusammenreißen, um nicht das ganze Café zusammenzuschreien vor Lachen. »Ich hoffe unser wagemutiger Spieler hatte dabei Erfolg«, fügte Kim hinzu. »Nicht wirklich. Ich kam dazwischen und... na ja... wir haben uns „unterhalten“« »So, so«, eckte Mina an. »Er war nicht gerade nett zu Dilas gewesen und ihr wisst, wie ich zu meinem Pferd stehe. Mich kann er beleidigen, wie er will, aber wenn es um Dilly geht –« »Bist du nicht mehr zu bremsen. So kennen wir unsere kleine Reiterin« »Unsere Jungs werden die nächsten Tage wieder so richtig ranklotzen«, wechselte Kimmy plötzlich das Thema. »Rotburg gegen die anderen Vereine Deutschlands. Diese Matches sind immer die spannendsten, wie ich finde« »Ja, da hast du völlig recht«, sagte Kamina ehrlich. Sie sah nicht danach aus, aber Fußball mochte sie schon immer recht gern. Lieblingsvereine hatte sie nie welche, dafür aber Spieler, die sie interessant fand. Und jetzt, da bald Grünwald gegen Rotburg spielte, war es für sie nicht einfach, welcher Mannschaft sie den Sieg mehr gönnte. »Die Allianzarena wird wieder beben, das sag ich euch« »Ist das wahr...«, gähnte Elena und stocherte an ihrem Erdbeerkuchen herum. »Ich seh' schon, selbst der gutaussehende Keeper konnte dich nicht für Fußball begeistern« »Das ist einfach ein dummer Sport, sonst nichts. Ich verstehe echt nicht, wie ihr euch für so etwas begeistern könnt« »Es ist immer wieder aufregend zu sehen, wie die Mannschaften alles geben das Runde ins Eckige zu schießen«, merkte Kimmy euphorisch darauf an. »Außerdem ist es immer wieder schön zu sehen, wie neue Spieler untereinander Freundschaften schließen« »Das ist im Reitsport nicht anders, und?« »Diese Emotionen, die Überhand nimmt. Das ganze Adrenalin, welches durch den Körper schießt. Wie kann dich das nicht begeistern?!« »Das habe ich, wenn ich reite.« Es war zum Mäusemelken. Von den Dreien war Kim die, die sich am meisten für den Fußball begeistern konnte. Trotz Elenas Beweggründe, warum sie diesen Sport nicht mochte, versuchte die aufgeweckte, junge Frau immer wieder ihre Abneigung dagegen abzulegen und dem Fußball eine zweite Chance zu geben. Ein Ziel, welches sie sich fest vornahm und nicht so schnell locker ließ. »Du solltest sie nicht allzu sehr drängen, Kimmchen«, mahnte Mina sie mit sanfter Strenge. »Du weißt doch, was für eine Bedeutung der Fußball für sie hat« »Das ist jetzt schon Monate her und Jens, dieser Volldepp, ist längst Geschichte... und ich kann verstehen, dass –« »Was genau verstehst du denn, Kim?«, schnitt Elena ihr das Wort ab und war überraschend ernst. »Dass er sich eher die Zeit für sein Hobby nahm als für mich? Dass das Thema sich rund um diesen Sport drehte, selbst, wenn wir unsere seltenen gemeinsamen Moment miteinander hatten? Dass seine Arbeit oder seine Kumpels so viel wichtiger waren, dass er sich immer abstruse Ausreden erfinden musste mich nicht zu sehen? Dass ich für ihn nur vorzeigbar gewesen bin, weil ich eine Berühmtheit in der Reiterei bin? Dass er mich mit Undank bestraft hat, wenn ich mal keine Zeit für ihn hatte, aber von mir verlangte zurückzustecken, nur, damit er seinen Willen durchsetzt? Fußball hat so einiges kaputt gemacht und vielleicht war Jens auch schon vor unserer Beziehung ein kompletter Arsch gewesen, aber wenn ich diesen Sport sehe, muss ich unweigerlich an ihn denken und das schmerzt noch immer.« Darauf erwiderten ihre Freundinnen nichts mehr. Sie wüssten nicht wie. Die Zeit mit Jens war nicht nur für Elena schwer gewesen. Selbst die Freundschaft der drei Mädchen stand vor einer Zerreißprobe. Streit gab es mehr als genug. Die Liebe und das Vertrauen, welche Elena für ihn aufbrachte, war aufrichtig. Etwas, was dieser Mann niemals verdient hatte und als sie ihren Freundinnen erzählte, was er ihr antat, war Kim die Erste, die sich merklich freute, dass es vorbei war. Dieser furchtbare Mensch hat endlich sein wahres Gesicht gezeigt, hatte sie einst gesagt und Elena stimmte ihr nach einiger Zeit zu. Jetzt war er nicht mehr ihr Problem und sie konnte sich endlich wieder der Reiterei widmen. »Tut mir leid«, kam es kleinlaut von Lenchen. »Ich wollte dich nicht so anfahren« »Ach was ist schon gegessen! Ich kann dich ja verstehen, warum dieser Typ ein rotes Tuch für dich ist. Bah, allein schon, wenn ich an seine blöde Visage denken muss, wird mir ganz anders« »Dann denk nicht mehr an ihn, sondern an das Spiel, welchen die Rotburger in ein paar Tagen liefern werden.« Und schon hatte Kim wieder ihr strahlendes Lächeln aufgesetzt, was ihre Freundinnen mit einem heiteren Lachen kommentierten. »Danke fürs Mitnehmen, Mina.« Die adrette Schwarzhaarige lächelte und winkte ihr zu, ehe sie ihren schnittigen Flitzer in Bewegung setzte und aus dem Gestüt fuhr. Elena wartete vor ihrer Haustür, bis ihre Freundin außer Sichtweite war und steckte ihren Hausschlüssel ins Schloss. Gerade, als sie die Tür öffnete, hörte sie lautes Gelächter hinter sich. Neugierig drehte sich in ihre Richtung und bereute es gleich wieder. »Lenchen ist wieder da!«, rief ihr Bruder lautstark seiner Schwester entgegen und breitete vor Freude seine Arme aus. Genzo schmunzelte etwas, wobei seine Freude über ihr Wiedersehen nicht weniger war. »Der Balljunge ist noch immer hier?«, sah sie ihn mit kecken Grinsen an. »Dein Bruder hat mich eingeladen«, antwortete Genzo, während er mit Timur auf sie zuging. »Also darf ich hier sein und da kannst du leider nichts machen« Sie seufzte demonstrativ und rollte gespielt enttäuscht mit den Augen. »Ich habe aber auch immer ein Pech« »Jetzt bloß nicht streiten, ihr beiden« »Wir streiten uns doch nicht«, beruhigte sie ihren Bruder. »Wir necken nur, das ist was völlig anderes.« Dann war schon die Tür geöffnet und trat ein. Sie schloss sie nicht, sondern stand sperrangelweit für die Jungs offen. Eine stumme Einladung für sie einzutreten. Ohne großartig Zeit zu verlieren ging Timur hinein, Genzo jedoch zögerte und blieb draußen. Der Reiter bemerkte schnell, dass sein Freund vor der Tür stand und legte fragend den Kopf schief. »Worauf wartest du denn? Komm doch rein« »Ist das auch wirklich in Ordnung?« »Jetzt komm schon rein, du Wundertorhüter!«, schallte es durch den Flur. Elena war in der Küche und packte dabei ihre Einkäufe aus. Er betrat dann das Haus und schloss leise die Tür. Er war schon seit fast zehn Jahren in Deutschland und noch immer hatte er die Angewohnheit immer die Erlaubnis des Hauseigentümers zu erhalten, um einzutreten. Sofort zog er sich die Schuhe aus und stellte sie neben den anderen hin, ehe er durch den Flur Richtung Wohnzimmer ging, wo ihm bereits eine offene Küche entgegenblickte und Elena etwas in der Küchentheke tat. Die warmen Farben harmonierten wunderbar mit den dunkleren Möbel und ließen das Innere der Villa heimisch wirken. Selbst hier konnte er viele Details der Reiterfamilie ausmachen. Bilder, Wanddekorationen und selbst kleine Pferdestatuen waren ordentlich auf Kommoden und Tische drapiert, um die Herkunft der Familie und ihres Berufes zu unterstreichen. Ein vertrautes Geräusch klirrendem Geschirr lockte die Jungs zur Theke wie eine Motte das Licht. Timur war der erste, der seinen Kopf über die Theke streckte und sich seine braunen Augen weiteten, als er Kuchenstücke auf den Tellern sah. »Bedient euch.« Elena hatte sich im Café zwei wirklich leckere Stücke eines erfrischenden Früchtekuchens gekauft. Sie wusste, dass Timur eine Naschkatze war und alles in sich hineinstopfte, was ordentlich Karies hätte verursachen können. Je süßer desto besser, daher hatte sie sich entschieden für ihn eine etwas „gesündere“ Variante zu nehmen. Es war zwar eine süße Köstlichkeit, aber zumindest war Obst als Belag dabei, wenn auch mit Gelatine ummantelt... und weiteren sündigen Zutaten, die unausgesprochen blieben. »Die Sorte ist echt lecker. Probiert ruhig«, sagte sie und schob den Männern die Kuchenteller vor ihre Nase. »Die sind... wirklich für uns?« Genzo war sichtlich überrascht über die Geste und sah abwechselnd zu Elena und dem Gebäck. »Ich denke mir als eine Art Friedensangebot wäre das sicher nicht verkehrt. Ach ja ich soll dich von den Mädels grüßen lassen, Tim« »Danke, das gebe ich gerne zurück«, schnappte dieser sich sogleich die Gabel und begann auch gleich ein kleines Stück davon zu naschen. »Dankeschön...«, kam es beinahe nuschelnd aus dem Keeper heraus und hörte schon den Wasserkocher hinter Elena laufen. »Tee?« Sie nickten und da hatten sie wenig später zwei Tassen vor sich stehen. »Du... hättest dir keine Umstände machen brauchen« »Glaub ja nicht, dass ich das ab jetzt immer mache, Balljunge«, zwinkerte sie ihm frech grinsend zu. »So Jungs ich verschwinde ins Bad und hoffe, dass ich keinen Mucks von euch hören werde. Ich will mich entspannen und habe das Gefühl mein Stresspegel beginnt wieder anzusteigen« »Oh was reizt dich denn jetzt schon wieder, liebstes Schwesterlein?« »Du atmest und das treibt meinen Puls stetig in die Höhe.« Diese geschwisterliche Sticheleien der Beiden. Das erinnerte ihn an damals, als seine Familie in Japan lebte. Er hatte sich oft mit Shuichi und Eiji, seine beiden älteren Brüder, angelegt, als sie ihn ärgerten. Er liebte sie abgöttisch, aber manchmal hätte er sich gewünscht ihre Köpfe wie einen Fußball ins Tor zu kicken, nur um seine Ruhe vor ihnen zu haben. Als dann jedoch seine Eltern ihre Firma nach London verlegten, nahmen sie die beiden Jungs mit zu sich. Genzo allerdings blieb in Japan, damit er seinen Abschluss machte. Tatsuo Mikami war in dieser Zeit nicht nur sein Trainer und Mentor gewesen. Er hatte sich auch um ihn als Menschen gekümmert und übernahm die komplette Verantwortung für ihn. Für viele wäre das ein einsames Leben ohne Familie gewesen, doch die vielen Besuche in London oder in Japan machten die einsamen Tage wieder wett. »Hast du das gehört, Gen? Ich treibe ihren Puls in die Höhe« »Wie kannst du nur?«, eckte er grinsend an und nippte an seiner Tasse. Er sah noch einmal zum Flur, den Elena nahm, ehe sein Blick wieder auf den Früchtekuchen ruhte. Ein Friedensangebot, dachte er lächelnd. Das nehme ich doch sehr gerne an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)