Burning Flames in a Storm von MiniTiger ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Es gibt Augenblicke in unserem Leben, in denen Zeit und Raum tiefer werden und das Gefühl des Daseins sich unendlich ausdehnt.   (Charles-Pierre Baudelaire)     Prolog      Hamburg 1890     Die dichten Nebelschwaden, die sich um die Stadt Hamburg gelegt hatten, wurden von dem warmen Licht der aufgehenden Wintersonne allmählich durchbrochen. Levi zog an seiner Zigarette und ließ seinen Blick über die Elbe schweifen. Die zarten Sonnenstrahlen glitzerten und tanzten auf der Wasseroberfläche, während unzählige kreischende Möwen über ihn hinwegflogen. Mit ausdrucksloser Miene blieb sein Stahlgrau an der Silhouette eines mächtigen Dampfers hängen, welcher sich wie ein gewaltiges Monster über das Wasser durch den Nebel hindurch schob und auf den Hafen zusteuerte. Die Wellen rauschten, sein Atem stockte unwillkürlich. Dieses Bild trug etwas Vertrautes in sich. Etwas, wonach er sich manchmal sehnte, wenn er mit seinen Gedanken alleine war. Seltsamerweise erinnerte es ihn an Duisburg.   In seiner Kindheit war er oft in den frühen Morgenstunden mit seiner Mutter Kuchel am Duisburger Hafen gewesen. Voller Neugier hatte er die riesigen Frachtschiffe auf dem Wasser beobachtet. Es waren wenige Stunden der Unbeschwertheit, die er an manchen Tagen gemeinsam mit seiner Mutter erleben durfte. Inzwischen kam ihm diese Erinnerung wie ein anderes Leben vor. Ein Leben, welches er längst hinter sich gelassen hatte… Ungeplant wurde das Gängeviertel in Hamburg sein zu Hause. Er war weit weg von Duisburg. Und weit weg von ihr. Auf einmal überfiel eine Gänsehaut seinen Körper. Ein Schmerz durchzuckte sein Inneres und fraß sich wie Gift durch seine Eingeweide. Das Gefühl, in ein dunkles Loch zu stürzen, welches er gekonnt verdrängte, sobald es ihn zu erdrücken versuchte, flammte in ihm auf. Der Schmerz wandelte sich in ein pochendes Gefühl. Es tat so weh, dass er einen Moment nicht atmen konnte. Am liebsten hätte er seine Fäuste geballt und irgendetwas zerschlagen. Verärgert darüber, dass er es zugelassen hatte, an sie zu denken, schnippte er den Zigarettenstummel aus der Hand und wendete seinen Blick von dem Dampfer ab. Der kalte Wind jaulte ihm durch das Haar, begleitet von einem leichten Nieselregen. Auf den roten Dächern Hamburgs schimmerten vereinzelte Reste von Schnee. Es dauerte nicht mehr lange, bis er gänzlich weggeschmolzen sein würde.   Mürrisch trottete er an der Kaimauer entlang. Der Boden glich einer Schlammwüste. Fette, tote Ratten lagen verstreut neben und in den Rinnsalen. Es herrschte bereits seit der Morgendämmerung rege Betriebsamkeit. Arbeiter waren mit schweren Säcken vollbepackt und verluden diese auf die Karren. Lastkähne schoben sich dicht aneinander vorbei. Ohrenbetäubendes Klopfen und Hämmern dröhnte aus den umliegenden Werfthallen. Der faulige Gestank, der von den Fleeten emporstieg, füllte die kalte Luft. Hamburg das Tor zur Welt, wie es ihm Furlan einst erklärt hatte. Für Levi war es ein weiteres Rattenloch, in dem er gezwungenermaßen hauste. Wer unten geboren war, der blieb unten, wie er traurigerweise feststellen musste. Mehrere viel zu dürre, schmutzige Kinder rannten an ihm vorbei. Ihre Kleidungen waren zerlumpt und dem frostigen Winter nicht angepasst. Sie hatten rote Näschen, bleiche Gesichter und krümmten sich vor Husten. Ein weiteres alltägliches Bild.   Das Gängeviertel war schlimmer als alles, was er in seinem bisherigen Leben gesehen hatte. Manche Gassen waren so dunkel und schmal, dass er kaum hindurchpasste. Es war ein finsteres Labyrinth ohne Anfang und Ende. Das Elend und die Not waren groß, aber niemanden interessierte es. In diesem verdammten Elend saß er fest, denn er konnte nie wieder zurück nach Duisburg. Nie wieder, das klang hart und endgültig. Und das war es auch. Sein Magen zog sich schmerzlich wie ein Knoten zusammen, als er an seine kleine Halbschwester dachte. Würde er sie je wieder sehen? Er schnaubte bitter. Vielleicht würde sie ihn irgendwann suchen. Aber würde sie ihm verzeihen, dass er sie im Stich gelassen hatte? Er hasste sich abgrundtief. So sehr, dass er manchmal in den dunkelsten Stunden mit dem Gedanken spielte, sein jämmerliches Dasein ein Ende zu bereiten. Sie sollte ihn hassen. Es war besser, dass seine kleine Schwester nichts mehr von ihm wissen wollte. Etwas anderes hatte er nicht verdient…   Betrübt steckte er seine eisigen Hände in seine Hosentaschen, während ihm der Wind ins Gesicht peitschte. In Gedanken versunken drängte er sich zwischen den Menschenmassen hindurch, die gerade von Bord gegangen waren. Hufengeklapper der vorbeiziehenden Droschken vermischten sich mit Kindergeschrei. Vornehme Damen in hochwertigen bunten Kleidern flanierten gemeinsam mit ihren Gatten an ihm vorbei, während auf der anderen Seite verhärmte Mägde riesige Wäschesäcke auf ihren Rücken schleppten. Levi sah auf den ersten Blick, dass sie krank waren, die Augen leer und glasig. Wahrscheinlich sah er nicht anders aus.   Plötzlich gefror jeder Zentimeter seines Körpers, als er eine sanfte Stimme hinter seinem Rücken vernahm, die ihm derart vertraut schien, dass er das Gefühl bekam, sein hämmerndes Herz würde in tausend Teile zerspringen. »Wären Sie so nett, sich um…«, drangen die Worte der Frau in sein Gehör, bevor sie mitten im Satz mit zittriger Stimme unterbrach. Sie musste mit einem der Schiffsleute gesprochen haben. Er war sich nicht sicher, ob er sich in der Wirklichkeit befand oder träumte. Die Luft blieb stehen. Alles verschwamm um ihn herum. Seine Brust verengte sich. Diese Stimme …das konnte nicht sein …er musste träumen. Er sollte weiter gehen, dem drängenden Impuls, sich umzudrehen, widerstehen. Es war unmöglich. Sie war in Duisburg. Seine Kehle war mit einem Schlag staubtrocken.   Er war unfähig, sich nur einen Millimeter zu bewegen und doch waren seine Sinne geschärft. Er hörte das Klackern ihrer Schuhe. Das Rascheln ihres Kleides. Sie näherte sich ihm. Ihre Schritte klangen anders als sonst. Vorsichtig und ängstlich. Sein Puls raste und sackte einen Atemzug später zusammen. Das Klackern verstummte abrupt. Sie musste dicht hinter ihm sein. Er spürte ihren warmen Körper. Ein vertrauter Duft umhüllte ihn. Es roch nach Pfirsich und Vanille …und nach ihr. Für einen kurzen Moment schloss er seine Lider und sog den Geruch tief ein.   Es ist nur ein Traum, dachte er. Schließlich träumte er jede Nacht von ihr.   Gleich würde er aufwachen. Allein. Ohne sie - wie die letzten zwei Jahre zuvor auch…                 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)