Wetten, dass ...? von yamimaru ================================================================================ Kapitel 16: #16 --------------- Kaorus Mund klappte auf, ohne dass ihm ein Wort über die Lippen gekommen wäre. Bitte was? Wie kam Die nur auf so eine unsinnige Vermutung? „Nein!“, rief er lauter aus, als beabsichtigt, und hatte unbewusst eine Hand ausgestreckt, die nun auf dem Unterarm des anderen ruhte. „Ich meine das ehrlich so, wie ich es gesagt habe. Es geht mir nicht darum, dich loszuwerden. Wie kommst du nur auf so etwas?“ Für einen langen Moment sah ihn sein Freund an, ohne etwas zu sagen. Dann erblühte ein so wunderschönes Lächeln auf seinen Lippen, dass Kaorus Herz für mehrere Schläge einfach aussetzte, bevor es in doppeltem Tempo erneut zu schlagen begann.   „Na, wenn das so ist, nehme ich den Sieg sehr gerne an. Gut, dass ich die Haarfarbe gleich mitbestellt habe.“   „Du hast was?“   „Nur nichts dem Zufall überlassen; das hab ich von dir gelernt.“   „Ich habe ein Monster erschaffen“, seufzte Kaoru und verbarg sein Gesicht hinter einer Hand.   „Die Dramaqueen kaufe ich dir nicht ab, also Schluss mit diesem Schauspiel, der Kuchen wird nicht besser, wenn er noch länger herumsteht.“   „Du hast recht. Es gibt keinen besseren Weg, als sich eine Niederlage mit Bergen an Sahne und Erdbeeren zu versüßen.“   „Das ist die richtige Einstellung. Wollen wir einen Weihnachtsfilm anschauen?“   „Du hast schon gewonnen.“   Die lachte. „Ja, aber ich hätte jetzt trotzdem Lust darauf, mir einen Film mit dir anzusehen. Du darfst auch entscheiden, welchen.“   „Solange es keine schnulzige Romanze ist, ist mir gerade alles Recht. Ich bin mit meinem Kuchen ausreichend beschäftigt.“   „Dann bin ich für den Klassiker der Weihnachtszeit schlechthin.“   „Und der wäre?“   „Stirb langsam.“   Kaoru schmunzelte mit geschlossenen Lippen, den Mund voller Kuchen und sein Herz voller Zuneigung für diesen unmöglichen Mann, der ihm in den letzten beiden Tagen so viel gegeben hatte.   „Okay, damit kann ich mehr als leben.“ Ein weiteres, etwas zu großes Stück Kuchen fand den Weg in seinen Mund, während Die die Mediathek auf seinem Fernseher nach besagtem Film durchforstete. Gerade als er ihn gefunden hatte und die ersten dramatischen Klänge des Vorspanns den Raum erfüllten, hörte Kaoru noch ein anderes, leiseres, aber nicht minder vertrautes Geräusch. Die versuchte krampfhaft, sich ein Lachen zu verkneifen.   „Lass es schon raus, bevor du noch platzt, und dann sag mir, was so witzig ist.“   „Du“, prustete sein Freund und deutete mit dem Zeigefinger auf ihn. „Du siehst aus, wie ein schlechter Santa-Cosplayer.“   „Bitte was?“ Kaoru konnte gar nicht so schnell reagieren, wie Die auch schon sein Handy gezückt und ein Foto geschossen hatte. „Schau selbst.“ Blinzelnd sah er auf das Display, welches wenig unerwartet sein Konterfei zeigte. Womit er jedoch nicht gerechnet hatte, war die Sahne, die seinen Bart wie vereinzelte Schneeansammlungen zierte.   „Oh Shit“, gluckste er und fuhr sich über den Mund. „Alles weg?“   „Fast.“ Noch immer grinsend rieb Die mit dem Daumen über seinen Mundwinkel. Kaorus Lippen zuckten, sein Freund erstarrte für einen Herzschlag und ihre Blicke verhakten sich ineinander.   ‚Es ist so einfach‘, flüsterte eine kleine Stimme in seinen Gedanken, während sich Dies Finger in seine Haut zu brennen schien. ‚Lehn dich vor, nur ein kleines Stück, er kommt dir sicher entgegen. Trau dich.‘   Ein unerwartetes Scheppern ließ ihn zusammenfahren und Die gleichermaßen. Kaoru fühlte sich, als hätte ihm jemand einen Eimer eiskalten Wassers über den Kopf gekippt und er brauchte einige Atemzüge, um sein rasendes Herz wieder zu beruhigen. Die hatte sich nach dem Übeltäter gebückt – die Fernbedienung, die von seinem Schoß gerutscht war – und lehnte sich nun entspannt gegen die Polster. Sein Blick war interessiert auf den Fernseher gerichtet, derweilen sich Kaoru wie das sprichwörtliche Reh im Scheinwerferlicht fühlte. Intellektuell verstand er, was gerade geschehen war, nur emotional begriff er überhaupt nichts mehr. Schon zum zweiten Mal am heutigen Tag machte Die es ihm erschreckend leicht, mehr in seine Taten hineinzuinterpretieren. Warum? Was bezweckte er damit? Sein Herz wollte hoffen, sein Verstand es ignorieren und er selbst am liebsten schreien, so schrecklich verwirrt war er.   ~*~   Er hatte den Schluss des Films noch mitbekommen und auch, dass Die den zweiten Teil gestartet hatte. Die Handlung hingegen hatte er bereits nicht mehr verarbeiten können, während ihm unaufhörlich die Augen zugefallen waren.   Jetzt, eine undefinierbare Zeitspanne später, blinzelte er gegen die Rückstände des Schlafes an, die ihn unnachgiebig wieder zurück in ihre einladende Dunkelheit locken wollten. Was hatte ihn geweckt? Der Fernseher konnte es nicht sein, denn er schwieg, obgleich er nicht ausgeschalten war und den Stand-by-Bildschirm seines Streaming-Anbieters zeigte. Kaoru verzog das Gesicht, als er seinen Kopf bewegte – da war er, der Grund für sein Erwachen. Sein Nacken meldete sich mit wütendem Stechen und Ziehen, was kein Wunder war, wenn er seine Schlafposition näher analysierte. Im Sitzen, mit in den Nacken gelegtem Kopf auf dem Sofa einzuschlafen, war nun einmal das perfekte Rezept für Verspannungen aller Art. Hinter vorgehaltener Hand gähnend versuchte er, sich aufzurichten, kam jedoch nicht weit. Ein Gewicht auf seinem Schoß hielt ihn an Ort und Stelle – Dies Kopf, wie er verblüfft feststellen musste.   Sein Freund war tatsächlich auf ihm eingeschlafen. Kaoru hätte gelacht, hätte er nicht befürchten müssen, es würde in Hysterie und zwangsläufig daraus hinauslaufen, dass er Die aufweckte. Wie viel Pech konnte ein einzelner Mann nur haben? Es war so unfair, Kaoru hätte schreien können – schon wieder.   Statt jedoch diesem verständlichen Wunsch nachzukommen, hielt er ganz still und betrachtete das Profil seines Freundes. Die sah so friedlich aus, wie er dalag. Das gelbliche Licht des Fernsehers zauberte warme Kontraste in sein Gesicht, die Wimpern zeichneten sich als dunkle Halbmonde von der sonst hellen Haut ab und die Lippen … Dies Lippen waren leicht geöffnet, sahen unglaublich weich und einladend aus. Das Kribbeln seiner Fingerspitzen war kaum zu ertragen, als er sie gegen die weiche Haut der Schläfe legte, einige, dunkelrote Strähnen beiseiteschob. Die rührte sich nicht, atmete tief und gleichmäßig, gefangen in den Armen des Schlafes. Kaoru wurde mutiger, zeichnete die Konturen des Kiefers nach, erschauerte, als ihn erste, raue Bartstoppeln kitzelten. An den Lippen hielt er inne, zögerte, haderte mit sich, nur um jede Vernunft über Bord zu werfen und die geschwungenen Linien nachzuzeichnen. Er hatte das Gefühl, als würden Funken von seinen Fingerspitzen ausgehend seinen Arm hinaufsteigen, sich zu einem Feuersturm vereinen, der durch seinen Körper jagte, bis er sich als lodernde Glut in seinem Herzen niederließ. Jeder logische Gedanke war ihm abhandengekommen, verdrängt von so vielen widersprüchlichen Emotionen, dass ihm übel wurde. Dies Lippen bewegten sich, strichen über seine Fingerkuppe, zart und flüchtig wie der Flügelschlag eines Schmetterlings.   ‚Es ist so einfach‘, flüsterte es erneut in seinen Gedanken, als würde die Unvernunft ihn höchstpersönlich ins Verderben stürzen wollen. ‚Er würde es nicht einmal merken. Du wartest schon so lange, nimm dir endlich, wonach dir verlangt, er will es doch auch. Immer wieder reizt er dich – mit Worten, mit Taten. Nimm, nimm, nimm!‘   Kaoru legte den Kopf in den Nacken, die Augen starr an die Zimmerdecke gerichtet und die eigenen Lippen fest aufeinandergepresst. Was hatte er verbrochen, um so auf die Probe gestellt zu werden? Er fühlte sich, wie ein Verdurstender in der Wüste, der in der Ferne eine Oase erblickte. Er wusste, dass sie nichts weiter als ein Trugbild war und dennoch sehnte sich jede Zelle in seinem Körper danach, dorthin zu eilen, denn nur dort konnte er seinen brennenden Durst stillen. Er atmete ein, hielt die Luft an, zählte bis zehn und atmete wieder aus. Einmal, zweimal, ein drittes Mal, bis sich der Sturm in seinem Herzen gelegt hatte und das Beben seines Körpers zu einem schwachen Schaudern geworden war.   „Die“, wisperte er, den Blick nun wieder auf seinen Freund gerichtet. Er ballte die Hände zu Fäusten, atmete ein letztes Mal tief durch und sprach erneut: „Die, wach auf.“ Sacht rüttelte er ihn an der Schulter, wollte ihn wecken, ohne ihm einen Schrecken einzujagen.   „Mmh? Was’n?“   „Du bist auf mir eingeschlafen und mir schlafen wiederum die Beine ein.“   „Hu?“ Dunkle Augen blinzelten zu ihm auf, erst noch trüb vom Schlaf, dann langsam immer klarer werdend. „Wo bin ich?“   „Bei mir zu Hause, auf dem Sofa und auf meinem Schoß.“   „Deinem Schoß?“   „Ganz genau.“ Kaoru konnte nicht anders; trotz seiner anhaltenden Verwirrung und dieser Versuchung direkt vor ihm schlich sich ein schiefes Lächeln auf seine Lippen. Die war so herrlich konfus, wenn er gerade aufgewacht war.   „Tut mir leid, ich muss eingeschlafen sein.“ Die fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht, verbarg sich für einen kurzen Moment hinter ihnen.   „Ach nee, und da dachte ich, du benutzt mich einfach gern als Kuscheltier.“   „Das auch.“ Laut gähnend richtete sich sein Freund auf, reckte und streckte sich ausgiebig wie eine Katze. „Bist du schon länger wieder wach?“   „Nö, ich bin auch eben erst aufgewacht, weil ich mir irgendwas im Nacken verlegt habe.“ Von seiner süßen Last befreit – und ja, er verfluchte sein Hirn für diese Analogie – erhob Kaoru sich und rieb über besagte Stelle.   „Soll ich dich massieren?“   Einen wahnwitzigen Augenblick lang war er versucht, zu nicken und Dies Angebot anzunehmen. Doch mittlerweile war seine Vernunft zurückgekehrt und so lehnte er dankbar, aber mit Nachdruck ab. Geschäftig räumte er ihre Teller, Tassen und Gläser auf das Tablett, welches Die früher am Abend neben das Couchtischchen gestellt hatte und trug es in die Küche. Sein Freund war ihm gefolgt, den Teller mit dem restlichen Kuchen in beiden Händen und die Augen noch immer so klein, dass Kaoru sich ernsthaft fragte, ob Die gerade überhaupt etwas sehen konnte.   „Lass mich das machen“, bat er, nahm ihm den Kuchen ab und holte aus dem Unterschrank zu seiner Rechten eine passende Dose. „Mach dir doch schon mal dein Nachtlager fertig, ich räum den Kuchen nur noch in den Kühlschrank.“   „Okay“, nuschelte Die und setzte ein herzhaftes Gähnen hinterher. So verschlafen erinnerte ihn sein Freund an sein früheres Ich. Wie oft hatte er Die so gesehen, als sie noch in einer Wg zusammengewohnt hatten? Kaoru wusste es nicht, aber sicherlich waren es Dutzende Male gewesen. Manchmal wünschte er sich diese Zeit zurück, wollte noch einmal so jung sein wie damals, noch einmal die Chance haben, alles zu verändern. Aber Wünsche waren etwas für Träumer und Kaoru war vieles, aber sicher kein Träumer.   „Brauchst du noch etwas?“, murmelte er einige Minuten später im Türrahmen zum Wohnzimmer lehnend und die schläfrige Gestalt seines Freundes musternd.   Die drückte sich auf einen Ellenbogen hoch, um ihn besser ansehen zu können, und schüttelte den Kopf. „Danke, ich bin versorgt. Schlaf gut, Kaoru.“   „Gute Nacht, Die, schlaf du auch gut.“   Er erlaubte es sich nicht, Die länger zu mustern, sonst hätte er zugeben müssen, wie gern er Ordnung in die vom Schlaf wirren roten Strähnen gebracht hätte oder wie einladend sein Freund aussah, obwohl er auf einem Gästefuton auf dem Boden lag. Er hätte bemerken müssen, wie verführerisch Dies Lippen glänzten und dass sein Schlafshirt viel zu weit und ihm über die Schulter gerutscht war. Nein, er konnte sich sehr gut einreden, dass ihm das alles nicht aufgefallen war. Wie denn auch? Er war selbst müde, da konnte man sich viel einbilden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)