Paket zum Glück von Kyoto_Shirakawa (Was aus einer Schreibübung so werden kann :D) ================================================================================ Kapitel 1: Das Paket -------------------- Kapitel I. Das Paket „Hm… mh… mhhh…“ Vertieft in den Text auf dem Bildschirm, summte ich zum lieblichen Gesang, der aus meinen Kopfhörern drang. Seit Stunden tippte ich meine Gedanken, während ich diesem einen Song lauschte, welcher mich wie der Kuss einer Muse beflügelte. Ich befand mich im absoluten Schreib-Flow- seit Wochen das erste Mal wieder- und ich genoss es in vollen Zügen. Das Lied mit dem bittersüßen Text ließ mich in andere Sphären steigen, weg vom Hier und Jetzt, hinein in eine Welt, in der nach jedem Schicksalsschlag etwas Gutes auf einen wartete. Nur noch wenige Seiten bis zum Happy End, das konnte ich heute noch schaffen. Doch der schrille Ton meiner Haustürklingel ließ den Zauber des Augenblicks zerbersten, riss mich zurück auf den harten Boden der Realität. Genervt seufzend legte ich die Kopfhörer weg und verließ meinen kleinen Schreibverschlag, grummelte dabei vor mich hin. „Und dabei war ich gerade so schön im Flow.“ Meine Laune besserte ich auch nicht, als ich die Tür öffnete und ein Paketbote vor mir stand. „Ja?“ Da ich seit Ewigkeit nichts mehr bestellt hatte, wusste ich, dass es für meine Nachbarn sein musste. Die Jeffersons bestellten häufig und war so gut wie nie Zuhause. „Wilms…“, nuschelte der Bote in schlechtem Deutsch, was so halbwegs nach meinem Nachnamen klang. „Äh… ja, ich bin Williams.“ Da nickte mir der kleinere Dunkelhaarige und hielt mir ein Päckchen hin. Zu meiner Verwunderung forderte er keine Unterschrift, ging einfach davon zu seinem Transit. Dort prangte auf weißem Untergrund ein mir nur wage bekanntes Frimenlogo. Es handelte sich auf jeden Fall um keines der Standartpaketdienste. Kaum fuhr der Wagen los, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf das Paket. Es war nicht allzu riesig und die rechteckige Form gab keinerlei Hinweis auf den möglichen Hinweis. Das Etikett war handschriftlich ausgefüllt worden und kaum zu entziffern. Nur die Anfangsbuchstaben des Empfängers waren erkennbar. Ein M und ein W. Die Straße und die Hausnummer passten mit viel Fantasie zu meiner Adresse. „Na was solls“, seufzte ich und zog die Haustür zu, trug ich das Päckchen zum Esstisch. Dort besah ich es mir genauer, bevor ich ein Messer aus der Küche nahm und das Klebeband durchschnitt. Der Inhalt würde mir offenbaren, ob ich vergessen hatte, dass ich etwas bestellt hatte, oder ob es fälschlicherweise an mich geliefert wurde. Bei zweiterem würde ich dann wohl in die Stadt fahren und es bei der Versandfirma abgeben müssen. „Na schön.“ Mit angehaltenem Atem hob ich den Deckel an, die Neugier hatte mich ergriffen. Welches Geheimnis verbarg sich in dem Paket? „Oh okay…“ Die alte Stoffschachtel, die zum Vorschein kam, warf mehr Fragen auf, als dass sie Licht in die Angelegenheit brachte. Immerhin war nun eindeutig, dass die Lieferung nicht für mich war. Doch wer war ich, dass ich der Versuchung hätte widerstehen können? Das Adrenalin flutete meine Venen, in meiner Fantasie formten sich tausend Möglichkeiten, was es sein könnte. Waren es Liebesbriefe? Oder vielleicht eine alte Handtasche? Ein Tagebuch? Doch als sich die Geheimnisvollen Gegenstände in eine Pistole, ein blutiges Messer und sogar in eine Paketbombe verwandelten, wurde es mir mulmig. Was, wenn ich mit dem Öffnen mein Leben aushauchte? Tot, einfach so. „Du bist echt paranoid“, schalt ich mich und griff nach dem beigen Deckel. Dass mein Herz einen unangenehmen Satz machte, ignorierte ich geflissentlich. Meine Finger waren feucht, als sie den Stoff hielten und langsam anhoben. Natürlich passierte nichts, keine Explosion, kein Feuer und auch kein schrill lachender Clown, der aus der Box sprang. Wie ich auf Letzteres gekommen war, kann ich mir bis heute nicht erklären. Statt etwas Gefährlichem schaute ich auf ein Paar Herrenschuhe hinab. „Äh… okay…“ Schwarzes, weich aussehendes Leder mit dunkelroten Akzenten- diese Schuhe sahen sehr teuer aus und ich fand sie wunderschön. Sie strahlten eine Eleganz aus, ich konnte nicht anders, nahm einen heraus und sah ihn mir genauer an. Ich war kein Modeexperte, doch selbst ich erkannte, dass sie handgefertigt waren. Die Nähte waren mit höchster Präzision gearbeitet, ich roch das erdige Leder und betrachtete fasziniert die schwarz schimmernde Oberfläche. Die Sohle war glatt und kühl unter meinen Fingern. Zu gerne wäre ich in die Schuhe geschlüpft. Sie waren nicht unbedingt mein Stil, und doch gefielen sie mir viel zu gut. Leider waren sie mir zu groß, das sah ich sofort. So legte ich seufzend den Schuh wieder in die Schachtel, verschloss diese und auch das Paket. Die Schuhe waren definitiv an die falsche Adresse geliefert worden. Auf der einen Seite war es schade, auf der anderen beflügelte das augenblicklich meine Fantasie. Welcher Mann trug solche Schuhe? Vor mir manifestierte sich das Bild eines Gentlemans im Anzug. Himmelblaue Augen lächelten mich freundlich an, während er sich eine blonde Strähne aus den Augen wischte. Vielleicht war er ein Kind aus gutem Hause oder sogar ein Adliger. Auf jeden Fall gehörte er zu der Sorte Mann, der seiner Liebe die Welt zu Füßen legte. Ich seufzte tief, ließ beim Gang ins Schlafzimmer die Schultern hängen. Jetzt dachte ich mir schon Männer aus, die weiter über meiner Liga spielten und mich nicht einmal mit dem Arsch ansehen würden. Also ob in der Realität nicht schon genug von denen rumlaufen würden. Schnell entledigte ich mich meiner Jogginghose und des alten, verwaschenen T-Shirts, um in straßentaugliche Sachen zu schlüpfen. In Jeans, Shirt und Flipflops suchte ich meine Tasche. „Man, wo hab ich die nur wieder hingelegt?“ Meine Suche endete auf der Couch, wo sich hinter einem Kissen die graue Umhängetasche versteckt hatte. Wo auch sonst. Während ich zur Tür ging, googelte ich nach der Paketfirma. Sie war irgendwo in der Innenstadt, nicht weit vom Shoppingcenter, wenn ich mich recht erinnerte. In dem Moment, als ich die Türklinke ergriff, stoppte ich, stöhnte laut und genervt auf. „Echt jetzt!“ Auf dem Absatz kehrt machend, steuerte ich den Tisch an, krallte mir den Karton. Ich war manchmal wirklich ein Depp. In Gedanken über mich fluchend öffnete ich die Haustür. „Huch!“ Erschrocken fuhr ich zusammen. Auf meiner Fußmatte stand ein fremder Mann, eine Hand zum Anklopfen erhoben. Er überragte mich mit mehr als einem Kopf, war schlank und seine eher strengen Gesichtszüge wiesen ein mildes Lächeln auf. Noch bevor ich nach Luft schnappen und ihn fragen konnte, was er wollte, verfing sich mein Blick in seinen Augen. Die Welt stand still, eingefroren in einem Moment. Die Stahlgrauen Iriden wirkten wie ein kühler Oktoberhimmel, schickten Gänsehaut meinen Nacken hinunter. Gleichzeitig stob ein sonnengewärmter Wind bunte Blätter durch meinen Bauch. Ich erbebte, überrumpelt von solchen Gefühlen, konnte nur reglos dastehen und in das Sturmgrau starren. „Hallo.“ Seine Stimme zog mich sanft zurück in das Jetzt und Hier. Wieder auf der Erde angekommen, straffte ich die Schultern und lächelte ihn an. „Hi…“ „Hi, ich bin Matteo. Ich bin gerade gegenüber eingezogen.“ Eine lange schwarze Strähne fiel ihm über die Schulter, als er den Arm erhob und auf das moderne Backsteinhaus auf der anderen Straßenseite zeigte. Sogleich fielen mir die großen Hände auf, wieder kribbelte es in meinem Magen. Ich wünschte mir sie zu berühren, sie zu halten, zu streicheln. „Ich ähm… kann es sein, dass du ein Paket bekommen hast, dass… nunja… nicht für dich ist?“ Man hätte laut von zehn runterzählen können, bis ich meine Gedanken sortiert hatte und mich in der Verfassung fühlte zu sprechen. „Ich ähm… ja…also…“, stotterte ich, wobei mir der Karton aus der Hand fiel. „Wah!“ Im letzten Moment fing ich mich und hielt dem Schwarzhaarigen die Schachtel hin. „Ja, hier… aber äh…“ Mein Gestammel war mehr als unangenehm, doch auch mehrfaches Räuspern besserte es nicht. Meine Kehle schien trockener als die eines Verdurstenden in der Wüste. „Der Name las sich so schlecht… äh… da habe ich reingeschaut, ob ich… einen Namen finde.“ Matteo nahm das Paket, bei dem Versuch das Etikett zu lesen, kniff er die Augen etwas zusammen. Ohne sein Lächeln sah er aus wie ein Lehrer oder Beamter, recht streng. „Oje, das kann man ja wirklich kaum lesen. Und dann auch noch die falsche Hausnummer. Kein Wunder, dass es bei dir angekommen ist. Aber kein Problem. Auf jeden Fall danke… äh…“ „Ma… Marek. Marek Williams.“ Mein neuer Nachbar lachte auf, was meine Knie weich werden ließ. „Wie witzig, dann haben wir die gleichen Initialen. Ich heiße nämlich Matteo Wilhelm.“ In diesem Moment leerte sich in meinem Kopf ein Wunschbrunnen und endlos viele Groschen fielen. Das erklärte unter anderem auch, weshalb der Bote meinen Namen so komisch ausgesprochen hatte. „Jetzt wird mir einiges klar“, kicherte ich. Zufälle gibt’s. „Aber bitte entschuldige noch mal, dass ich es geöffnet habe.“ Kopfschüttelnd klemmte Matteo sich das Paket unter den Arm. „Kein Ding. Ist ja nicht Peinliches drin.“ „Ganz im Gegenteil.“ Die Schuhe waren ein Traum, und dabei befasste ich mich eher weniger mit Klamotten und Styles. „Du, äh du bist also in das Haus der Schmitts gezogen?“ Obwohl meine Zunge nicht der Meinung war, dass es eine gute Idee war weiterzureden, wollte ich das Gespräch noch nicht beenden. Der hochgewachsene Mann mit diesen wunderschönen Augen löste Etwas in mir aus, das ich vor Ewigkeiten bereits aufgegeben hatte. Mein Herz klopfe nicht hektisch, aber fest in meiner Brust, warme Röte stieg mir stetig ins Gesicht. Ich konnte nur hoffen, dass er nicht gleich den Krankenwagen rief, ich sah bestimmt aus, als würde ich jeden Moment umfallen. „Ja, wobei ich immer noch dran bin. Kam vorgestern mit den ersten Sachen hier an.“ „Verstehe…“ Die Schmitts waren eine nette Familie mit Kind gewesen. Ich hatte sie sehr gemocht. Vor allem hatten sie hier im Viertel die besten Grillparties geschmissen, doch wegen eines Jobangebots, waren sie vor zwei Monaten weggezogen. „Ich muss jetzt aber auch wieder rüber. Im Haus ist noch einiges zu tun. Hat mich gefreut Marek. Und auf gute Nachbarschaft.“ Ich nickte lächelnd, während tausend Gedanken meinen Kopf fluteten. Dieser Traum von einem Mann wohnte nun tatsächlich gegenüber. Und er hatte von sich in der Einzahl gesprochen. Noch bevor ich es verhindern konnte, waren zweifelhafte Hoffnungen erwacht. Der Sturm in meinem Bauch schmerzte beinahe, dröhnte in meinen Ohren. „Bis dann.“ „Bis dann…“ Meine Stimme war ein heiseres Flüstern, zu sehr war ich davon abgelenkt Matteo hinterherzusehen, den breiten Rücken und die schmale Taille prägte ich mir in Millisekunden detailliert ein. Erst als der Schwarzhaarige die Straße überquert hatte, wandte ich mich ab, ging zurück ins Haus. Dort lehnte ich seufzend die Stirn gegen die Haustür. In mir brodelte es, ich hatte das Gefühl zu frieren und gleichzeitig vor Hitze einzugehen. Das Atmen fiel mir scher. „Das gibt es doch nicht…“ Wie oft hatte ich in meinen Büchern über die Liebe auf den ersten Blick geschrieben? Wie oft hatte ich inneres Feuerwerk, imaginäre Orchestra Musik oder Regen aus roten Rosen beschrieben, während ich selbst nicht daran geglaubt hatte. Für mich war dies reine Fantasie gewesen, Kitsch für die Leserschaft, mehr nicht. Doch nun stand ich da, überwältigt vom Chaos in mir, nicht in der Lage, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Es waren zu viele, die laut auf mich einredeten, alle gleichermaßen Aufmerksamkeit wollten. Ich lachte los, laut und freudlos. Jetzt schon von Liebe zu sprechen war dumm und naiv und doch ließ sich mein Ausnahmezustand nicht anders beschreiben. Und davon verstand ich immerhin so einiges. Mein Gedankenkarussell drehte und drehte und drehte sich auch noch, als ich zurück am Pc meine Kopfhörer aufsetzte und mich dem Text auf dem Bildschirm widmete. Meine Finger legten sich auf die Tasten, verharrten dort. Verständlich, denn nicht ein sinnvolles Wort war vorhanden. Nur tausende Gedankenfetzen, die keinen Sinn ergaben. Einer von Ihnen war Matteo, gekleidet in einen feinen Anzug und natürlich steckte er in den schönen Herrenschuhen. Ob er die für einen bestimmten Anlass von seinem Onkel erhalten hatte? Ich selbst gab kaum Geld für Kleidung aus, konnte mir nur zwei oder drei Gelegenheiten vorstellen, bei denen man solche teuren Treter trug. So driftete ich immer tiefer in meine Fantasie ab, sah den Schwarzhaarigen auf Hochzeiten und Galaabenden. Vielleicht war er auch berühmt und wollte mit ihnen auf den Roten Teppich? Nach einer langen Weile fuhr ich den Pc herunter und legte meine Kopfhörer ab. Es brachte nichts. Ich war für heute fertig, auf die eine oder andere Weise. Mit wenigen Schritten war ich im Schlafzimmer, warf einen Blick durch das große Fenster zur Straße hin. Von meiner Wohnung aus hatte ich den perfekten Blick auf das Haus. Was er wohl gerade machte? Mein Umzug lag jetzt über drei Jahre zurück, ich musste überlegen, was ich alles hatte machen müssen, um mir die Einliegerwohnung gemütlich einzurichten. Ich schluckte, als mir bewusstwurde, dass ich fast ein halbes Jahr gebraucht hatte. Und Matteo hatte wesentlich mehr Fläche und Zimmer. Ob er wirklich allein dort einzog? Eigentlich war das Haus doch zu groß für eine Person. Und auch nicht günstig, die Schmitts hatten das vor etwa zehn Jahren designt und allen möglichen modernen, komfortablen Shit einbauen lassen. Wie konnte er sich das leisten? Anscheinend mit einem gut bezahlten Job. „Ob er die Schuhe dafür… Ach verdammt!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)