Warsong von Ceydrael ================================================================================ Kapitel 17: Nötige Gespräche ---------------------------- »Law... deine Schwester ist aufgewacht«, unterrichtete Marco den jungen Mann, der es sich in der Sitzecke des Aufenthaltsraumes bequem gemacht hatte. Der wirkte für eine Sekunde komplett aus dem Konzept gebracht, als wäre er mit den Gedanken vollkommen woanders gewesen und gerade, als Marco meinte, seine Worte womöglich wiederholen zu müssen, stand Law ruckartig auf. Stift und Buch fielen auf den flachen Beistelltisch, dann eilte er auch schon an Marco vorbei, der ihm zuvorkommend die Tür aufhielt. Im Krankenzimmer bemühte sich Makino ein wenig hilflos darum, ihre panische, eben erwachte Patientin zu beruhigen. Marco selbst war ziemlich überrascht gewesen, als Lamy während ihrer Sitzung unerwartet die Augen aufgeschlagen und ihn wie einen Geist angestarrt hatte. Sie sprach zwar gut auf die Behandlung an, doch so schnell hatte er nicht mit ihrem Erwachen gerechnet. Lamy saß jetzt wie ein in die Ecke gedrängtes Kaninchen in ihrem Bett, die Knie angezogen und die Arme darum geschlungen, als wollte sie sich noch immer vor den Schatten des Phobiokineten schützen. Mit großen, dunklen Augen fixierte sie die ihr völlig unbekannten Menschen, beobachtete jede Bewegung, als würde sie jederzeit mit einem Angriff rechnen. Das braune Haar hing ihr wirr ins Gesicht und ihre Nasenflügel blähten sich nervös. Die hübschen Sommersprossen hoben sich deutlich von ihrer fahlen Haut ab. Marco konnte ihre Magie spüren, die hektisch im Raum umher schoss und sich in Makinos und seinem Verstand festzusetzen versuchte. Er machte der jungen Frau keinen Vorwurf daraus, immerhin war sie an einem fremden Ort erwacht und ihre letzten Erinnerungen mussten sicherlich wie ein lebendig gewordener Alptraum anmuten. Kein Wunder, dass sie Angst hatte. Doch durch Marcos mentalen Schild konnte ihre Kraft nicht dringen, die wie eine lockende, blumige Frühlingsbrise um seinen Geist strich. Auch Makinos Verstand schirmte er instinktiv ab. Lamy mochte keine bösen Absichten haben, vermutlich wollte sie sich nur schützen, indem sie nach Erklärungen suchte. Jedoch sollte man einen begabten Telepathen niemals ungehindert in seinen Kopf lassen. »Lamy, ich bin es, Law.« Law trat an das Bett seiner Schwester und sprach sie leise und vorsichtig an, setzte sich zu ihr auf die Matratze und griff nach ihren verkrampften Händen. Sie zuckte leicht zusammen, Erkennen flackerte in ihren Augen, die sich zögerlich auf ihren Bruder fixierten. Dann ging ein Ruck durch ihren Körper und ihr Blick klärte sich, als würde sie aus der Tiefe des Ozeanes auftauchen. »Law…?!«, hauchte sie verwirrt und gleichzeitig hoffnungsvoll. In einer unendlich zärtlichen Geste strich Law ihr die Haarsträhnen aus dem Gesicht und seine Miene wurde nachgiebig, seine Stimme weicher und sanfter. Die Zuneigung darin bescherte Marco einen sicherlich unangemessenen, doch angenehmen Schauder. »Ich bin hier, Lamy. Alles ist gut. Du bist in Sicherheit.« Er zog seine Schwester in seine Arme und bettete das Kinn auf ihrem Scheitel. Lamy klammerte sich an ihren Bruder, krallte die Finger in den Stoff des dünnen Pullovers auf seinem Rücken und schluchzte leise an seiner Brust. Der Schrecken des Erlebten schien erst jetzt von ihr abzufallen. Während Law ihr beruhigend über den Rücken streichelte, fanden seine Augen über ihren Schopf hinweg Marcos Blick und ließen ihn kurz hinter die Maske aus Kälte und Gleichgültigkeit sehen, die Law meist wie ein Schutzschild trug. Zurück blieb nur ein junger Mann, der sich um seine Schwester gesorgt hatte und der jetzt grenzenlos erleichtert und dankbar war, sie wieder im Arm halten zu dürfen. Das Licht in den grauen Iriden war strahlend und Marco wurde bewusst, dass er wahrscheinlich so einiges dafür getan hätte, um diesen Blick wieder bei Law zu sehen, um ihn… glücklich zu sehen. Marco wandte sich ab, um den beiden einen Moment Privatsphäre zu gönnen. Makino gesellte sich zu ihm, Lamys Patientenakte an die Brust gedrückt. »Ich komme später nochmal wieder, um sie auf eventuelle körperliche Folgeschäden zu untersuchen«, sagte sie mit umsichtig gesenkter Stimme, der Blick halb über die Schulter zu den Geschwistern gewandt. Ein warmes Lächeln umspielte ihren Mund. »Ihre mentale Verfassung wirst du wohl am besten einschätzen können.« Sie tätschelte Marco leicht den Arm, dann verschwand sie leise durch die Tür. Marco ging zum Tisch hinüber, wo Wasser bereitstand und schenkte zuvorkommend etwas aus der Karaffe in ein Glas, bevor er sich einen Stuhl heranzog und sich geräuschlos neben dem Bett niederließ. Er fühlte sich augenblicklich wie ein Eindringling in diesem intimen Moment zwischen den Geschwistern und hätte Lamy gern noch ein wenig mehr Erholung gegönnt. Doch er musste auch einsehen, dass sie dringend Informationen benötigten, bevor die Dinge mit dem Zirkel nur noch mehr aus dem Ruder liefen. Nach ein paar Minuten hatte Lamy sich so weit beruhigt, dass sie sich von ihrem Bruder löste, der ihr liebevoll die Tränenspuren von den sommersprossigen Wangen wischte. »Wie geht es dir?«, fragte er sie sanft. Marco hatte es selten erlebt, dass er einen solch weichen Tonfall anschlug. Man spürte, dass seine Schwester unheimlich kostbar für ihn war. »Nicht gerade berauschend«, kam ihre verhaltene Antwort nach einer Weile. Ihre Stimme war dünn und kratzig. »Mein Schädel tut weh. Es fühlt sich an, als hätte ich einen mordsmäßigen Kater, weil ich zehn Tage durchgefeiert habe…«, sie fuhr sich mit der Zunge über die Zähne und rümpfte angewidert die Nase. »Und dem Geschmack in meinem Mund nach könnte das sogar durchaus stimmen.« Ihr Blick glitt jetzt zu Marco, als würde sie ihn das erste Mal wirklich bewusst wahrnehmen. Zurückhaltend musterte sie ihn, während er ihr das in weiser Voraussicht gefüllte Glas Wasser reichte. Sie nahm es entgegen und trank gierig ein paar Schlucke. Inzwischen hatten ihre Wangen wieder ein wenig Farbe angenommen und der erste Schock ihres Erwachens schien verebbt. »Lamy, das ist Marco«, stellte Law den Konzerner vor. »Freut mich, dich kennenzulernen, Lamy.« Marco schenkte ihr ein freundliches Lächeln, das sie zaghaft erwiderte. Sie schien ihn nicht zu erkennen oder seinem Namen eine besondere Bedeutung beizumessen. Wenn man Law und Lamy so nebeneinander sah, würde man wahrscheinlich nie darauf schließen, dass sie Geschwister waren, denn sie waren wie zwei Seiten einer Münze - wo alles an Law wie ein harter Winter war, scharf, gefährlich und kühl, wirkte Lamy wie ein milder Frühlingswind, freundlich und sanft. Allein ihr aufgeweckter Blick war in dieser Situation ähnlich abschätzend wie der ihres Bruders, jedoch längst nicht so argwöhnisch. »Was zum Teufel ist mit mir passiert, Law? Wo sind wir hier?«, fragte sie ihren Bruder angespannt, mit einem erneuten, vorsichtigen Seitenblick auf Marco, als befürchtete sie, der könnte sich im nächsten Augenblick in einen weiteren Feind verwandeln. »Du lagst ein paar Tage in einem mentalen Koma«, erklärte Law seiner Schwester jetzt ruhig. »Du wurdest von einem Phobiokineten angegriffen. Dein Geist war… sehr stark beschädigt.« Eine geschönte, harmlose Umschreibung für ihren in Fetzen gerissenen Verstand. »Kannst du dich denn an nichts mehr erinnern?« Lamy erstarrte und in ihren Augen flackerte ein blasses Abbild des Schreckens, den sie erlitten hatte. Sie schluckte. »Ich... ich erinnere mich nur undeutlich, alles ist so verschwommen und bruchstückhaft, aber wenn das wahr ist... verflucht, wie konnte ich das überleben?«, fragte sie schockiert. Als MentalMAG wusste sie sicherlich um die Macht, aber auch die Folgen und Schäden eines solchen Angriffes. Normalerweise blieb von dem Verstand nach so einer Attacke nicht viel mehr als Ödland übrig. Law wies auf Marco. »Marco hat dich geheilt. Wir befinden uns in seinem Zuhause, im Newgate-Tower.« Lamy ließ das Glas sinken und ihre Augen weiteten sich ungläubig, als sie Marco nun doch genauer in Augenschein nahm. Der konnte ihre Magie spüren und sah Laws Lippen zucken - vermutlich tauschten sie sich auf gedanklicher Ebene aus, was keine unübliche Art der Kommunikation bei Telepathen war. Er hätte es vermutlich nicht anders gehalten, wenn er sein Gegenüber noch nicht einzuschätzen wüsste. »Ja, der Newgate-Tower in Ikebukuro. Ich glaube nicht, dass es noch einen anderen hier in Tokio gibt«, sagte Law mit einer gewissen Nachdrücklichkeit in der Stimme, als wollte er seine Schwester darauf hinweisen, Marco nicht einfach aus dem Gespräch auszuschließen. Dabei war der sich sicher, dass die beiden sich häufig so miteinander verständigten. Lamy blinzelte ihren Bruder verwundert an, als wäre sie von seiner Reaktion überrascht, dann wandte sie sich jedoch etwas verlegen an Marco: »Entschuldigung, das passiert manchmal einfach aus einem Reflex heraus...«, sie stockte und ihr Gesicht spiegelte jetzt eine ungläubige Begeisterung, als sie seinen Namen und den Ort schlussendlich in Verbindung zu bringen schien. »Oh mein Gott, du bist Marco Phoenix?! Und du bist ein Mentokinet!« Law kniff die Augen fast schon gequält zusammen und massierte sich die Schläfe. Wenn Marco wetten müsste, hätte er darauf gesetzt, dass Lamy ihn gerade mental mit ihrem Übermut und einem Sturzbach an Gedanken bombardierte. Marco schmunzelte und neigte den Kopf bestätigend. »Das stimmt.« »Deshalb also komme ich einfach nicht in deinen Kopf«, platzte sie lebhaft heraus. »Diese undurchdringliche Mauer um deinen Verstand, so etwas habe ich noch nie gespürt. Ich hielt Mentokineten bisher eher für einen Mythos!« »Lamy«, zischte Law einer Warnung gleich. Ihm schien ihre unverblümte Art reichlich unangenehm zu sein und vor allem die Unhöflichkeit, ungefragt in Marcos Geist eindringen zu wollen. Sie stellte das leere Glas beiseite. »Was denn?«, zuckte sie arglos mit den Schultern, sich offenbar keiner Schuld bewusst. Marco musste lachen, auch wenn er ihre andauernde, versuchte Infiltration gar nicht bemerkt hatte. Wenn er nicht von Natur aus gegen derlei Angriffe immun gewesen wäre, hätte er wohl beunruhigt sein müssen. Sie war ziemlich geschickt mit ihren Kräften und damit für einen Unterweltboss sicherlich Gold wert. »Nun, wie du siehst, sind wir zwar selten, aber keinesfalls besonders mythisch. Meine Hochachtung, wenn es dir tatsächlich gelungen wäre, meine mentalen Barrieren zu überwinden. Als Mentokinet komme ich leider nie in den Genuss einer geistigen Unterhaltung«, meinte er mit einem Zwinkern. »Ist das manchmal nicht schrecklich… frustrierend?«, fragte Lamy neugierig. Für sie als Telepathin musste es beinahe unbegreiflich sein, Gedanken nicht auf diesem Wege teilen zu können. So geschützt Marco dadurch auch war, manchmal verwehrte ihm seine Begabung natürlich auch so einige Möglichkeiten. »Ich kenne es nicht anders«, meinte Marco mit einem kleinen Lächeln. »Daher kann ich auch nichts vermissen.« »Hm, ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, ohne meine Fähigkeiten zu sein«, Lamy stupste mit dem Zeigefinger gegen Laws Oberarm, »häufig ist die Telepathie der einzige Weg, um überhaupt mal ein Wort aus meinem grummeligen Bruder herauszubekommen…« Laws Kopf ruckte herum und er starrte seine Schwester recht fassungslos an, schenkte ihr einen vernichtenden Blick. Seine Augenbrauen kräuselten sich finster und Marco war sich fast sicher, dass er ihr über ihre mentale Verbindung eine Rüge schickte. Sie reagierte auf seine zurechtweisende Miene nur mit einem unschuldigen Grinsen. Die beiden wirkten wirklich so gegensätzlich wie Tag und Nacht - wo Law stets zurückhaltend war, hatte Lamy offenbar wirklich überhaupt keine Berührungsängste. »Ach wirklich?« Marcos Lächeln vertiefte sich und er sah Law an, während er sagte: »So schrecklich wortkarg ist er mir bisher gar nicht vorgekommen.« Lamy wirkte recht verwundert. »Da musst du wohl jemand ganz anderen kennengelernt haben«, bemerkte sie mit kritisch gehobener Braue und einem forschenden Seitenblick auf ihren Bruder. »Wir sollten vielleicht lieber zum ursprünglichen Thema zurückkehren, immerhin ist Lamy nicht grundlos hier«, erinnerte Law mit schneidender Stimme. Sein Gesicht glich wieder einer unergründlich ausdruckslosen Maske. Es war zu erahnen, dass es ihm nicht behagte, als Gesprächsthema fungieren zu müssen. Marco lehnte sich ein wenig nach vorn und stützte die Unterarme auf die Knie. »Dein Bruder hat recht. Lamy, ich muss dir leider ein paar Fragen zu diesem Vorfall bei Yamamoto Ashitaka stellen.« Er verabscheute sich, dass er die junge Frau noch einmal mit dem Geschehen konfrontieren musste und sie damit zwang, das Ganze erneut zu durchleben, doch ihm blieb keine Wahl. Ein unbestimmtes Gefühl sagte Marco, dass ihnen die Zeit davonlief. »Ich muss wissen, was dort genau passiert ist.« Lamy kniff die Augen angestrengt zusammen und griff sich dann mit schmerzverzerrter Miene an den Kopf. »Immer, wenn ich mich zu erinnern versuche, dröhnt mein Schädel...«, klagte sie mit entschuldigendem Blick. Marco vermutete eine Schutzreaktion ihres Verstands, um sie vor weiterem Schaden zu bewahren. »Ich könnte mir das ansehen«, bot er an. »Du bist schneller wieder zu Bewusstsein gekommen, als ich erwartet hätte. Wahrscheinlich sind ein paar Verbindungen noch nicht vollständig geheilt. Das lässt sich aber schnell beheben«, erklärte er den Geschwistern. Lamy sah Law an und als dieser bestätigend nickte, stimmte sie ebenfalls zu. Es war mehr als ersichtlich, dass sie große Stücke auf die Meinung ihres Bruders hielt und dass der ihm inzwischen so vorbehaltlos zu vertrauen schien, freute Marco ungemein. Ein wenig aufgeregt und neugierig zugleich beobachtete Lamy, wie er jetzt aufstand und ihr Gesicht mit seinen großen Händen federleicht umfasste. »Keine Sorge, du wirst kaum etwas spüren«, versicherte er ihr mit sanfter Stimme. Es war tatsächlich nur geringer Aufwand und ein paar Minuten nötig, um die letzten, fasrigen Verbindungen in Lamys Geist zu finden und zu reparieren. Nachdem die gröbsten Schäden beseitigt waren, würde sich ihr Verstand in den nächsten Tagen selbst heilen und gänzlich regenerieren können. Mit etwas Glück würde tatsächlich kaum ein Hinweis auf die verheerenden Wunden bleiben, die der Phobiokinet geschlagen hatte. Marco zog seine Hände zurück. Dabei verrutschte der Ärmel seines Hemdes und enthüllte das schimmernde Siegel auf seinem Handgelenk. Lamy entdeckte das Zeichen und blickte erst die silbrigen Linien und dann ihn erschrocken an. »Du gehörst zum Senat!?« Die tiefe Wut einer lang schwärenden Wunde trat in ihre Augen, ihre Haltung wurde angespannt und sie wechselte erneut einen schnellen Blick mit ihrem Bruder. »Stehe ich unter Verdacht? Verdächtigt man mich, dass ich irgendetwas mit den Vorfällen auf dieser Party zu tun habe?« Unbewusst verbarg sie das Zeichen des Kartellkönigs auf ihrem eigenen Handgelenk. »Warum bin ich wirklich hier?« In diesem Augenblick glich sie ihrem Bruder so sehr, dass es beinahe unheimlich war - dieselbe eisige Abneigung in den Augen; der gleiche grimmige, unerbittliche Zug um die Lippen. Marco konnte ihr die Vorsicht und das Misstrauen noch nicht einmal wirklich übelnehmen, immerhin musste sie glauben, dass man sie womöglich aufgrund ihrer Verbindung zu Joker festsetzen wollte. Allerdings schien dieser fast manische Vorbehalt gegen den Senat keinesfalls auf bloßen Vorurteilen zu gründen. Irgendetwas musste in der Vergangenheit passiert sein, dass Lamy wie auch Law so wenig Vertrauen in diese Institution hatten. Marco setzte sich wieder und faltete die Hände gemächlich auf dem Knie, nachdem er die Beine überschlagen hatte. Durch Law hatte er inzwischen reichlich Erfahrung mit dieser offenen Feindseligkeit und ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. »Du bist vorrangig für deine Genesung hier, Lamy. Aber natürlich auch, weil du eine Zeugin bist und der Senat wissen will, was genau bei Yamamoto Ashitaka vorgefallen ist. Denn es gab weitere Morde dieser Art. Nicht mehr und nicht weniger, das habe ich bereits deinem Bruder versichert.« Sein Blick glitt flüchtig zu Law und hielt dessen scharfen Augen stand. »Ihr beide seid freie Bürger und könnt gehen, wohin ihr wollt. Ihr seid keine Gefangenen«, wiederholte er sein Versprechen unbeirrt. Lamy wirkte noch nicht recht überzeugt und zudem reichlich überfordert mit diesen Informationen, doch Law bekräftigte Marcos Worte überraschend. »Du kannst ihm glauben, Lamy, er sagt die Wahrheit. Der Senat will nur diese Mordfälle aufklären, sie sind nicht interessiert an uns oder unseren... Verbindungen«, beruhigte er seine Schwester. »Erzähl ihm, was du noch weißt. Es wird auch uns zu Gute kommen, die Drahtzieher hinter diesen Mordfällen zu finden.« Sicherlich dachte Law ebenso an die Ereignisse der letzten Nacht - die lauernde Gefahr, in der sie alle schwebten. Der Zirkel schien wie ein Damoklesschwert, das bedrohlich über ihrer aller Köpfe hing und wenn man Weevils wirren Aussagen glauben schenken konnte, dann würde es verheerend werden, wenn die Klinge herabfuhr... Wieder studierte Lamy das Gesicht ihres Bruders sehr eindringlich, dann ließ sie sich in die Kissen zurücksinken und stieß die Luft in einem langen Atemzug aus. »Okay, na schön...« Ihre schlanken Finger zupften an der Bettdecke, während sie sich die Lippen befeuchtete. »Ich bin an diesem Abend mit einem, ähm, Freund auf diese Geburtstagsfeier gegangen, weil… uhm«, ein unschlüssiger Seitenblick traf Marco, bevor sie vage fortfuhr, »… weil ich hoffte, mich mit jemandem treffen und unterhalten zu können. Ich stand nicht auf der Gästeliste, aber mein, äh, Freund hat mich als seine Begleitung vorgestellt.« Marco war durchaus bewusst, dass hier wesentlich mehr dahinter steckte und dieser ominöse Freund sicherlich kein Freund im klassischen Sinne sein mochte, aber Lamy Beweggründe taten im Moment wenig zur Sache. Allerdings fiel ihm Laws eisenharte Miene auf. Der junge Mann hatte seine Gesichtszüge beneidenswert gut unter Kontrolle, doch seine grauen Augen verrieten ihn durch das nur mühsam unterdrückte Feuer darin. Irgendetwas an Lamys Erzählung schien ihn aufzuwühlen, auch wenn er dazu vorerst schwieg. Lamy fuhr zögerlich fort: »Die Feier lief eigentlich ganz normal. Bis gegen Mitternacht plötzlich diese Leute auftauchten...« Sie erschauderte sichtlich und Law griff instinktiv nach ihrer Hand, um sie zu bestärken, was ihr ein dankbares Lächeln entlockte. »Ich hielt das anfänglich für eine Überraschung, für irgendeine dramatische Aufführung, die man für den Geburtstag geplant hatte. Nicht selten vertreiben sich die UpperClass-Snobs die Zeit mit irgendwelchen komischen Riten oder Orgien.« Sie sah Marco an und räusperte sich verlegen, als sie sich bewusst wurde, dass sie ihn damit vielleicht indirekt beleidigt hatte. »Ähm... also, sie waren zu sechst und alle trugen diese seltsamen weißen, Porzellanmasken wie auf einem skurrilen Maskenball, daher konnte ich ihre Gesichter nicht wirklich erkennen...« Law tauschte einen stillen Blick mit Marco. Auch die beiden MAGs, die letzte Nacht den Tower angegriffen hatten, hatten diese Art Masken getragen. In Marco keimte immer mehr der Verdacht auf, dass sie es mit einer Art fanatischer Sekte zu tun hatten und niemand konnte im Moment einschätzen, wie weit deren Wurzeln in der Gesellschaft bereits reichten. »Mir wurde dann schnell klar, dass etwas nicht stimmte, denn einer dieser Männer war irgendwie nicht normal, er war…«, Lamy runzelte die Stirn, suchte nach Worten und klammerte sich sichtlich an die Hand ihres Bruders, »anders, älter als alle anderen, obwohl er nicht so aussah. Ich weiß nicht, wie ich es sonst beschreiben könnte. Von ihm ging eine Aura aus, die furchtbar dunkel und bösartig war, wie ein lebendig gewordener Albtraum…« In ihren Augen schwamm nackte Furcht - ein Nachhall der Schrecken, die sie erlitten hatte. Marco konnte ihr Unbehagen nachempfinden und daran, wie Law die Lippen zu einer schmalen, blutleeren Linie zusammenpresste, ahnte er, dass es dem jungen Mann ganz ähnlich gehen musste. Sie hatten den Phobiokineten selbst gespürt und dessen uralte, boshafte Aura. Eigenartig, dass der Senat bisher keine Hinweise auf derartige MAGs gefunden hatte - gerade Rang A MAGs blieben selten lang unentdeckt. »Alle wurden unruhig und ich ahnte, dass der Abend nicht gut ausgehen würde. Ich wollte mich unbemerkt absetzen, aber sie hatten die Ausgänge bereits blockiert und ließen niemanden gehen. Sie haben Yamamoto und seine Frau bedrängt und wollten unbedingt etwas von ihnen haben, einen Gegenstand und den Aufenthaltsort einer Frau…-« »Einer Frau?«, hakte Marco hellhörig nach. Lamy nickte. »Nico Robin. Ihr Name fiel häufiger, sie waren ganz versessen auf sie und es schien wichtig, sie zu finden. Doch Yamamoto hat sich geweigert ihnen zu sagen, wo sie ist und das hat diesen Typen nicht gefallen…« Marco zog die Stirn nachdenklich in Falten und strich sich mit den Fingern über die stoppelige Kieferlinie. Dieser Name tauchte im Zusammenhang mit der ganzen Geschichte das erste Mal auf und war möglicherweise endlich ein Hinweis und eine handfeste Spur, der man folgen konnte. Ihm standen zwar nicht Spiders Ressourcen zur Verfügung, doch er schickte Sabo trotzdem eine interne Nachricht und bat ihn, den Namen durch ein paar Datenbanken laufen zu lassen. »Wie ging es weiter?«, animierte er Lamy sanft zum Weitererzählen. Lamy schluckte vernehmlich und ihre Finger verkrampften sich in Laws Griff. Heiser fuhr sie fort: »Dann... begannen die Schreie. Dieser unheimliche Kerl entfesselte seine Magie ungebremst unter den Gästen. Es war... es war so ein schreckliches Gedränge, alle wollten plötzlich in Todesangst fliehen, fielen und trampelten übereinander, sie verletzten sich in dem Chaos gegenseitig… ich… ich konnte seiner Attacke anfänglich einigermaßen standhalten und wollte ebenfalls weg, aber irgendjemand hielt mich fest und eine andere Frau schlug mir in ihrer Panik ins Gesicht. Ich stürzte zu Boden und versuchte irgendwo Schutz zu finden. Ich dachte wirklich, ich sterbe und ich hatte solche Angst…« Sie holte zitternd Luft und starrte angespannt ins Leere. Ihre Unterlippe bebte. Law strich ihr mit dem Daumen beruhigend über den Handrücken und Marco gab ihr Zeit, um sich zu sammeln. Als sie wieder sprach, war ihre Stimme noch immer rau und fassungslos. »Er hat innerhalb von Sekunden aus diesen Menschen angsterfüllte Tiere gemacht, die von ihren Urängsten zerfressen wurden. Überall diese Panik, dieses Leid… es war furchtbar…« Marco wollte sich nicht einmal vorstellen, was die junge Frau in diesen Momenten wohl durchlitten hatte. Allein unter Fremden, den eigenen Ängsten hilflos ausgeliefert. Sie war unheimlich stark, doch das war ihr Bruder ebenso und selbst Law hatte die Magie des Phobiokineten in der letzten Nacht eiskalt erwischt. Law schien ähnliche Gedanken zu haben, denn er musterte Lamy mitfühlend und besorgt, auch wenn in seinen Augen ebenfalls ein Anflug von Zorn brannte. Zorn auf diesen MAG, vielleicht sogar auf sich selbst, weil er seine Schwester nicht beschützt hatte. Aber vielleicht auch auf denjenigen, der Lamy erst in diese Situation gebracht hatte, denn es war sicherlich kein purer Zufall, dass sie an diesem Abend bei Yamamoto aufgetaucht war. »Ich hatte wirklich schon mit meinem Leben abgeschlossen, da riss mich plötzlich jemand auf die Füße und zerrte mich weg aus diesem Chaos…« Lamy blinzelte, als wäre sie jetzt noch verwundert darüber. »Es war die Ehefrau von Yamamoto. Sie war auch ein MentalMAG wie ich, deshalb konnte sie ebenfalls länger widerstehen. Sie führte mich unbemerkt in ein abgelegenes Badezimmer und sagte mir, dass ich dortbleiben und mich verstecken sollte. Sie... sie wusste, dass sie sterben würde, ich habe es ihr angesehen, doch sie hatte keine Angst«, wisperte Lamy den Tränen nahe. »Sie war mutig und unglaublich entschlossen. Sie drückte mir ein kleines Metallstück in die Hand und sagte mir, dass ich Nico Robin suchen solle, dass dies ein Bruchstück eines Siegels wäre und dass diese Leute es unter keinen Umständen in die Finger bekommen dürften, sonst würde es Krieg geben.« Sie hielt kurz inne und kaute unsicher auf ihrer Unterlippe, als wüsste sie nicht, ob sie wirklich weitersprechen sollte. »Und bevor sie ging... zeigte sie mir eine Vision von unserer Welt und was diese Leute mit dem vollständigen Siegel anstellen würden...« Marcos Worte waren atemlos und gepresst. »Und was hast du gesehen?«, fragte er, obwohl er die Antwort irgendwie bereits ahnte. Sie saß wie ein giftiges Insekt in seinem Nacken, hatte sich dort festgebissen und ließ sich nicht abschütteln. Lamys Augen waren groß und dunkel, ihre Stimme zitterte. »Die gesamte Erde brannte in den Feuern des Krieges…« Die Worte legten sich wie schwerer Dunst über den Raum und schienen die Luft dünn zu machen. Law versteifte sich und auch Marco richtete sich auf. Unbehagen ballte sich in seinem Magen zusammen. Lamy zog die zarten Schultern hoch, ihr unsicherer Blick flackerte zwischen ihrem Bruder und Marco umher. »Es war am Ende nur ein kurzes Bild, kaum mehr als eine bloße Ahnung. Jeder weiß, dass Visionen ständig im Wandel sind und niemals unabänderlich… vielleicht hat es nichts zu bedeuten…« »Mach dir keinen Kopf deswegen, Lamy. Womöglich war es eine Metapher oder diese Vision war ein Trugbild«, versuchte Law seine Schwester zu beschwichtigen und den unheilvollen Worten die Schwere zu nehmen. Doch die Anspannung in seiner schlanken Gestalt wich nicht gänzlich. Düstere Schatten lagen unter seinen Augen und sein Blick suchte den von Marco, schien ihn stumm zu bitten, seine Schwester nicht weiter in die Sache hineinzuziehen. »Viel mehr weiß ich nicht mehr«, fuhr Lamy dann leise fort. »Ich habe mich dort versteckt und die ganze Zeit gebetet, dass sie mich nicht doch auch holen kommen, während ich die Schreie der anderen Leute gehört habe. Irgendwann bin ich ohnmächtig geworden, als mich eine besonders heftige Woge der Magie dieses Phobiokineten traf…« »Wahrscheinlich haben sie Lamys Fehlen nicht bemerkt, weil sie nicht auf der Gästeliste stand«, schlussfolgerte Law. Marco nickte nachdenklich. »Das wusste Yamamotos Frau offensichtlich ebenfalls, deswegen hat sie Lamy ausgewählt. Nach ihr haben sie nicht gesucht, es fiel nicht auf, dass sie nicht unter den toten Gästen war«, stimmte Marco zu. Zumindest dieses Rätsel war gelöst. »Wie geht es jetzt weiter?« Law sah ihn abwartend an. Marco holte tief Luft und rieb sich über die steile Falte zwischen seinen Brauen. Mühsam sortierte er seine Gedanken. »Es scheint im Augenblick oberste Priorität, diese Nico Robin zu finden. Der Zirkel sucht sie und wenn Yamamoto ihren Aufenthaltsort selbst unter Folter nicht preisgegeben hat, wollte er sie vermutlich schützen. Also kann sie dem Zirkel entweder schaden oder sie brauchen sie, um ihre Pläne zu verwirklichen.« »Oder beides«, überlegte Law laut. »Der Senat sollte auf jeden Fall davon erfahren. Ich werde Shanks unterrichten.« Marco erhob sich und sah Lamy an. »Ich danke dir für deine Informationen. Wie ich bereits sagte, sehe ich keine Veranlassung, euch hier festzuhalten. Aber in Anbetracht deines Gesundheitszustandes würde ich dir raten, noch ein paar Tage unter Beobachtung im Tower zu bleiben. Ich würde gern sicher gehen, dass keine geistigen oder körperlichen Folgeschäden deines mentalen Komas auftreten.« Sein Blick huschte zu Law. »Wenn ihr wollt, würde ich mich freuen, euch weiterhin als Gäste in meinem Haus willkommen heißen zu dürfen.« Als Senatsmitglied hätte es sicherlich in Marcos Macht gestanden, die beiden noch länger festzuhalten und ein selbstsüchtiger Teil von ihm verfolgte diese Überlegung sogar kurz, weil er befürchtete, dass Law genauso schnell aus seinem Leben verschwinden könnte, wie er gekommen war. Doch er verwarf diesen schändlichen Gedanken sofort, denn Vertrauen gründete sich nicht auf Zwang und eine Freundschaft schon gar nicht. »Ich lasse euch dann allein, aber Makino wird sicherlich noch einmal für eine Untersuchung zurückkehren. Sie ist Ärztin und hat sich die letzten Tage um dich gekümmert«, erklärte er Lamy. »Und du hast sicherlich Hunger. Ich werde veranlassen, dass man dir ein leichtes Abendessen zubereitet.« Er lächelte die junge Frau wohlwollend an. Lamys Wangen bekamen ein wenig Röte und sie legte sich eine Hand peinlich berührt auf den Magen, der gerade in diesem Augenblick ein vernehmliches Grummeln von sich gab, als würde er sich nach langem Schlaf seiner Funktion wieder erinnern. »Tja... das klingt offensichtlich hervorragend«, lachte sie verlegen. »Wenn du sonst etwas benötigst, dann sag einfach Haruta Bescheid.« »Haruta?« »Es freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Trafalgar.« Die Projektion der KI erschien lautlos neben dem Krankenbett und Lamy zuckte erschrocken zusammen, bevor sie das Hologramm mit offenem Mund anstarrte. »Rufen Sie einfach nach mir, wenn Sie etwas brauchen«, erläuterte der junge Mann mit einem freundlichen Gesichtsausdruck. »Meine Güte, eine unabhängige KI, das ist ja total abgefahren!«, war Lamys begeistertes Resümee. Law rollte nur knapp mit den Augen, doch ein winziges Lächeln kräuselte seine Mundwinkel. Er wirkte erleichtert, dass seine Schwester trotz allem ihren Frohsinn nicht verloren hatte. Bevor Marco gehen konnte, hielt Lamy ihn zurück, mit einem Blick voll ernsthafter Entschlossenheit, der sehr an ihren Bruder erinnerte. »Ich glaube, ich muss dir danken, Marco. Du hast mir ein Leben mit Schnabeltasse und Bettpfanne erspart. Danke, dass du mich geheilt hast«, sagte sie fest. »Ich weiß gar nicht, wie wir… wie ich dir das je vergelten könnte. Ich stehe in deiner Schuld und wenn ich irgendetwas…-« Marco hob abwiegelnd eine Hand. Es schmeichelte ihm, aber er wollte nicht, dass sich Lamy ihm gegenüber verpflichtet fühlte. »Du stehst nicht in meiner Schuld. Ich habe es gern getan. Wenn ich helfen kann, dann sollte ich meine Kräfte auch nutzen, um Gutes zu tun.« Doch Lamy blieb bestimmt. »Viele in deiner Position hätten Menschen wie uns niemals geholfen, selbst wenn sie es könnten, oder zumindest Profit für sich daraus geschlagen«, bemerkte sie mit einer Härte, die Marco traurig stimmte. Es war schrecklich, dass so junge Menschen mit so viel Argwohn und Vorurteilen behaftet waren und das sicherlich aus bereits erlebten Erfahrungen heraus. »Na dann kann ich mir scheinbar ja etwas darauf einbilden, die Ausnahme der Regel zu sein, hm?«, meinte er leichthin mit einem charmanten Zwinkern, was der jungen Frau eine zarte Röte in die Wangen trieb. Sie war ehrlich bezaubernd und wirklich hübsch und vielleicht wäre Marco ihrem Zauber unter anderen Umständen erlegen, doch sein Interesse war viel zu sehr von ihrem Bruder gefesselt, der ihn aus grauen Augen aufmerksam musterte. Law übte eine unwiderstehlichen Anziehung auf ihn aus, wie das Feuer, bei dem die Gefahr immer mitschwang, sich am Ende zu verbrennen. »Außerdem hat dein Bruder mir bereits mehr als einmal geholfen, in der Hinsicht sind wir wohl mehr als quitt«, meinte er mit einem leichten Lächeln zu Law, der ein Stück weit fast verlegen wirkte, seinem Blick aber nicht auswich. »Die Zusammenarbeit mit ihm ist durchaus produktiv und sehr angenehm.« Während Lamy gänzlich verwundert wirkte, huschten die unterschiedlichsten Emotionen durch Laws Augen, doch keine schien er so recht zulassen zu wollen. Lamy holte Luft, um etwas zu sagen, doch Law kam ihr zuvor und fragte Marco mit dunkler Stimme: »Hättest du später noch etwas Zeit für mich? Ich muss unbedingt mit dir reden.« »Natürlich, komm dann einfach vorbei. Du weißt ja, wo du mich finden kannst.« Marco wäre nicht mal im Traum eingefallen, Law zurückzuweisen. Er würde sich Zeit für ihn nehmen. Aber vorher musste er dringend noch ein paar Telefonate führen. Nachdem Marco den Raum verlassen hatte, starrte Lamy noch eine Weile nachdenklich auf die Tür, bevor sie die Lippen schürzte und Law mit einem ergründenden Blick fixierte. Ihre Fingerspitzen tippten auf der Bettdecke. »Okay... also nicht, dass Marco Phoenix nicht ziemlich heiß und unheimlich charmant wäre, aber warum genau arbeiten wir jetzt nochmal für den Senat?« Law verschränkte die Arme und erwiderte den bohrenden Blick seiner Schwester ungerührt, dabei wusste er nur zu gut, dass es sie irgendwann unweigerlich auf die Palme bringen würde, wenn sie ihm alles aus der Nase ziehen musste. Aber er musste jetzt vorsichtig sein, was er ihr berichtete und was nicht - so erleichtert er auch war, dass sie tatsächlich gänzlich die Alte schien. »Wir tun gar nichts. Und ich helfe Marco. Nicht dem Senat. Zumindest temporär.« „Weiß Marco... von Doffy? Weiß er, zu wem wir gehören“, wechselte Lamy vorausschauend auf die gedankliche Ebene, da sie ahnte, dass die KI sicherlich jedes Wort mithören würde. Laws Kiefer verkrampfte sich und er musste arg an sich halten, um Lamy nicht deutlich daran zu erinnern, dass er niemandem gehörte außer sich selbst. „Sicherlich ahnt er es, er ist nicht dumm, aber ich habe es ihm nicht erzählt.“ Zumindest bisher nicht, aber wenn Law an seinem Plan festhalten wollte, wäre Marco bald ausreichend im Bilde. „Ist er ein Ziel? Arbeitest du deshalb mit ihm zusammen?“, fragte Lamy für Laws Geschmack ein wenig zu eifrig. Ihn ärgerte es, dass sie so völlig selbstverständlich davon ausging, dass nur Doflamingo der Grund für seine Kooperation sein konnte. Als ob nur Joker zu bestimmen hatte, wen er in sein Leben ließ und wen nicht. „Nein“, antwortete er schneidend. „Er ist kein Ziel. Niemand hier ist ein Ziel. Wir sind nicht für Joker hier und wir werden hier auch nicht für ihn spionieren“, stellte er nachdrücklich klar. Lamy sah ihn irritiert an. »Also machst du das... völlig freiwillig?« Natürlich musste sie skeptisch sein, denn Law arbeitete normalerweise nie mit irgendjemandem zusammen. Sie kannte ihn als einen kategorischen Einzelgänger und er war in diesem Moment selbst verblüfft darüber, wie wenig ihm diese vorübergehende Partnerschaft mit Marco eigentlich ausmachte. Law stand ruckartig vom Bett auf und goss sich jetzt selbst ein Glas Wasser ein, um seine Hände zu beschäftigen. »Ich mache es, weil Marco Hilfe brauchte. Außerdem hat er dich geheilt«, erklärte er kurz angebunden. Das war nur ein Teil der Wahrheit, das wusste er selbst. Er genoss die Nähe des Konzerners, da er sich in seiner Gegenwart seit langem einmal wieder... lebendig fühlte. Lamy sah ihn so skeptisch an, als befürchtete sie ernsthaft, er würde sich gleich eine Maske vom Gesicht reißen und enthüllen, dass er ihren Bruder nur gespielt hatte. »Ich versteh's nicht, Law, warst du nicht derjenige, der mich immer vor Männern wie Marco Phoenix gewarnt hat? Wie oft hast du mir das eingetrichtert - traue niemals einem Konzerner und schon gar keinem vom Senat?! Das waren doch deine Worte! Und jetzt entscheidest du, dass das alles hinfällig ist?!«, warf sie ihm ratlos vor. Law schnaubte und nahm einen Schluck Wasser. Erst dann wandte er sich seiner Schwester wieder gänzlich zu. »Na schön, Lamy, was willst du hören? Dass ich mich vielleicht geirrt habe? Okay, das habe ich, denn möglicherweise sind nicht alle von ihnen völlige Arschlöcher«, gab er zähneknirschend zu. Erst jetzt fiel ihm auf, wie engstirnig er all die Jahre über gewesen war, wie verbittert und unfair. Lamy sah ihn so entgeistert an, als hätte er gerade The Fall geleugnet. »Du und dich geirrt?! Oh man, ich glaub, ich muss doch tot sein...«, murmelte sie spöttisch und ließ sich in die Kissen zurückfallen. Theatralisch legte sie sich den Handrücken über die Augen. »Mein Bruder entdeckt seine soziale Seite.« Law knurrte unwillig. »Du tust ja gerade so, als wäre das außergewöhnlich...« Lamy zog die Hand zurück und blinzelte ihn vorwurfsvoll an. »Bitte Law, ich weiß nicht, ob es dir je aufgefallen ist, aber du bist nicht gerade ein Menschenfreund. Du unterhältst dich nicht mal freiwillig mit irgendjemanden länger als fünf Minuten und schon gar nicht tust du irgendwelchen Leuten selbstlose Gefallen.« Sie zerrte ihr Plüschtier unter der Decke hervor und hielt ihm die grimmige Katze wie eine Anklage entgegen. »Das bist du normalerweise: muffelig, mürrisch und wortkarg. Also verzeih mir, wenn ich ein bisschen verwirrt bin und sag mir«, ihr Zeigefinger wies auf die Tür, durch die Marco eben erst verschwunden war, »was hat sich geändert? Was ist bei ihm anders? Warum vertraust du ihm?« Law presste den Mund zu einer dünnen Linie zusammen. Lamy hatte schon immer die Eigenschaft besessen, ihn viel zu schnell viel zu gründlich zu durchschauen und dazu eine nervtötende Beharrlichkeit. Sie würde nicht Ruhe geben, bis sie erfahren hatte, was sie wissen wollte. »Weil er mehr als einmal für mich da war, als ich Hilfe brauchte und nichts dafür verlangt hat. Er... hat mir das Leben gerettet.« Er berichtete seiner Schwester im Schnelldurchlauf und recht emotionslos von den Ereignissen der letzten Tage - von dem Scornbau, Kulehas Auftrag, dem nächtlichen Angriff auf den Tower und Stussys Ermordung. Er erzählte ihr auch, dass Marco ihm mit seinen Kopfschmerzen geholfen hatte, auch wenn er die Ursache dafür und den Bannzauber in seinem Kopf erst einmal außen vor ließ. Ebenso verschwieg er alle persönlichen Details rund um Marcos Vergangenheit und Privatleben. Nachdem er geendet hatte, starrte Lamy ihn eine ganze Weile ziemlich sprachlos an. Dann jedoch hoben sich ihre Mundwinkel zu einem wissenden Grinsen. »Du meine Güte... oh mein Gott«, sie schlug sich atemlos die Hand vor den Mund und quietschte entzückt. »Du magst ihn! Ich fasse es ja nicht!« Law fühlte sich, als hätte man einen Eiswasserkübel über ihm ausgekippt. Die direkte Art seiner Schwester war für ihn manchmal wahrlich schwer zu verdauen. Seine Augen huschten durch den Raum und entgegen jeglicher Logik hoffte er, dass die KI dieses Gespräch nicht gehört hatte. »Das ist Unsinn«, sagte er lahm, obwohl er wusste, dass Lamy recht hatte. Aber wenn er es zugegeben hätte, hätte sie nicht mehr aufgehört, ihn damit zu nerven. »Ich bin ihm einfach dankbar für seine Hilfe und dafür, dass er kein Kotzbrocken ist.« »Hm, schon klar...« Das amüsierte Schmunzeln auf Lamys Lippen blieb wie festgewachsen. Sie schien sich ihrer Intuition ziemlich sicher. Law seufzte und setzte sich wieder zu ihr auf die Kante des Bettes. Es war definitiv Zeit, das Thema zu wechseln und ein paar Dinge anzusprechen. »Ich will, dass du erst einmal hier bleibst, Lamy, und dich unauffällig verhältst. Keine Nachrichten, kein Lebenszeichen, an niemanden, auch nicht an Joker.« Lamy zog die Brauen unwillig zusammen. »Was? Aber warum denn? Doffy ist doch sicher...-« »Was? Besorgt?!« Law schnaubte spöttisch. »Vergiss Doflamingo mal für einen Augenblick, der kommt schon allein klar.« Ihm schlug es schwer auf den Magen, wie sehr Lamy seinen größten Feind doch anhimmelte. Joker hatte sie aus einem heruntergekommenen Waisenhaus gerettet und wieder mit ihrem totgeglaubten Bruder zusammengeführt, für sie war er ein strahlender Ritter in Rüstung - der Unterweltboss mit dem Herzen aus Gold. Sie sah nicht, was er wirklich war, erkannte nicht das Monster in Menschengestalt. Law fuhr sich mit der Hand durch die Haare und schlug einen eindringlichen Tonfall an: »Diese Organisation hinter den Morden ist vermutlich auch immer noch hinter dir her. Sie wissen, dass du dieses Massaker überlebt hast und vielleicht versuchen sie noch einen Anschlag. Daher ist es besser, du hältst dich erst einmal bedeckt, bis der Senat diese Sache geklärt hat. Tu mir den Gefallen und höre wenigstens dieses eine Mal auf mich.« Er zog eine Augenbraue bezeichnend hoch. »Immerhin haben wir ja gesehen, in was für Schwierigkeiten du dich bringst, wenn du es nicht tust...« Lamy schob die Unterlippe vor und verschränkte die Arme abwehrend vor der Brust. »Es ist wohl kaum fair, mir das jetzt vorzuhalten«, murmelte sie trotzig. Nein, das war es sicher nicht, aber Law sträubten sich die Nackenhaare bei der Vorstellung, mit welcher Art schmierigem und zwielichtigem „Freund“ Lamy wohl auf dieser Party von Yamamoto gewesen war. Das Pflaster, auf dem sie sich regelmäßig bewegten, war am Ende nicht weniger als ein Haifischbecken und seiner Ansicht nach hatte seine Schwester darin überhaupt nichts verloren. Doch Doflamingo sah dies häufig anders und Lamy unterschätzte die Gefahr - vielleicht auch, weil Law stets alles dafür tat, sie davon fern zu halten und sie die Schatten und Abgründe ihrer Welt nicht sehen zu lassen. Sie war geschickt, wenn es darum ging, Männer um den Finger zu wickeln - ein Grund, warum Joker sie so gern einsetzte, um für wohlhabende, einflussreiche Konzerner oder Kartellmitglieder die unterhaltsame, hübsche Begleitung zu spielen. »Nein, aber wenn du auf mich gehört hättest, wärst du jetzt vielleicht gar nicht erst in dieser Lage. Wie oft habe ich dir gesagt, dass du keine unbedachten Aktionen starten sollst, wenn ich nicht da bin?! Wie oft habe ich dir...-« Law unterbrach sich selbst und biss sich auf die Zunge. Was geschehen war, war geschehen - Vorhaltungen würden daran auch nichts ändern. Er stieß die Luft hart aus und griff nach Lamys Hand. »Bitte, hör nur dieses eine Mal auf mich und tu das, was ich dir sage. Du musst mir jetzt vertrauen«, beschwor er sie. »Okay, ich bleibe hier, wenn du das unbedingt willst«, stimmte sie widerwillig zu. Dann sah sie sich ratlos um. »Aber was soll ich hier die ganze Zeit machen? Ich kann doch nicht den lieben langen Tag im Bett rumliegen...« »Ich kann dir deine Violine vorbeibringen, dann kannst du ja zur Abwechslung mal jemandem anders damit auf die Nerven gehen«, erwiderte er trocken. Lamy warf ihr Plüschtier nach ihm, doch er fing es knapp vor seinem Gesicht auf. »Ruh dich aus. Genieße die Zeit für dich. Du wirst schon etwas finden, womit du dir die Zeit vertreiben kannst.« Law wollte sich gerade erheben, da griff Lamy nach seinem Arm und hielt ihn zurück. »Law, warte...« Ihr Gesicht war ungewöhnlich ernst. »Du solltest noch etwas wissen.« Sie kaute verunsichert auf ihrer Unterlippe, bevor sie zögerlich mit der Sprache herausrückte. »Yamamotos Ehefrau hat noch etwas gesagt, etwas, was ich Marco nicht erzählt habe...« Law verzog das Gesicht missbilligend. »Warum nicht? Es könnte wichtig...-« »Weil es unsere Familie betrifft und damit niemanden sonst etwas angeht!«, fiel Lamy ihm energisch ins Wort. Unsicherheit flackerte durch ihre Augen, gepaart mit einem alten Schmerz, der nie wirklich heilen konnte. Normalerweise sprachen sie kaum über die Vergangenheit und was damals passiert war. »Und weil es irgendwie keinen Sinn ergibt.« Law verengte die Augen wachsam. Anspannung ließ ihn sich gerade aufsetzen. »Was hat sie gesagt?« „Sie sagte, meine Familie hätte… altes Blut. Ich solle Nico Robin finden, weil sie unsere Hilfe brauchen könnte...“ Lamy sah Law verwirrt an. „Was kann sie damit gemeint haben, Law? Hast du Vater oder Mutter jemals so etwas sagen hören?“ Laws Gesicht blieb regungslos, auch wenn er in Gedanken jeden verblassenden, längst vergangenen Moment seiner Erinnerung in Verbindung mit ihren Eltern durchwühlte. Da war so viel Trauer und Wut, aber auch Liebe, so viele Emotionen, die Law tief in sich begraben hatte und die er nicht wagte aufzuwecken. „Nein, nicht das ich mich erinnern würde“, antwortete er. Aber dort war ein Kribbeln, ein Aufblitzen am Rande seiner Wahrnehmung, als wäre da eine Information, die er vergessen hatte, doch er konnte den Gedanken nicht fassen, der sich ihm immer wieder wie ein Nebelfetzen entzog. Das Wissen um den Bannzauber in seinem Kopf bekam einen bitteren Beigeschmack. Er musste unbedingt herausfinden, was es damit auf sich hatte. »Vergiss' es einfach, vermutlich war es nur Gerede«, riet er seiner Schwester, auch wenn er da selbst nicht gänzlich glauben konnte. Und Lamy schien ebenso wenig überzeugt, ließ die Sache aber tatsächlich erst einmal auf sich beruhen. Law verließ das Zimmer, als Makino hereinkam und sammelte sich kurz, bevor er an Marcos Tür klopfte. Er konnte den Konzerner dahinter gedämpft reden hören, hoffentlich würde er nicht gerade unpassend kommen, doch Marco öffnete und trat mit einem kleinen Lächeln beiseite, um Law einzulassen. Er telefonierte nebenbei, denn die Kybernetik seiner schmalen Brillengläser flimmerte bläulich und gab seinen ohnehin blauen Augen eine satte Tiefe. »Es tut mir wirklich ausgesprochen leid, dass ich der Präsentation nicht persönlich beiwohnen kann, Mister Sato. Doch eine dringende, private Angelegenheit verlangt meine ganze Aufmerksamkeit.« Der Konzerner zeigte Law per Handzeichen, dass er noch fünf Minuten bräuchte, während er sich auf der Kante des Schreibtisches niederließ, der das einzige Möbelstück war, das sich von Laws eigener Zimmereinrichtung unterschied. »Nein, meinem Vater geht es gut, keine Sorge. Er lässt beste Grüße ausrichten.« Marco warf Law einen entschuldigenden Blick zu und deutete auf die kleine Sitzecke, als Zeichen, dass er bereits Platz nehmen könnte, während er offenbar mit einem ziemlich hartnäckigen Geschäftspartner telefonierte. »Natürlich werde ich meine Assistentin anweisen, so bald wie möglich einen Ersatztermin zu vereinbaren, wenn Sie meine persönliche Einschätzung wünschen.« Der Tisch war mit einer kleinen, aber reichen Auswahl an Speisen beladen, dazu frischer Kaffee und Tee. Es war für zwei Personen eingedeckt und Law fragte sich unweigerlich, ob Marco wohl noch Besuch erwartete. Der Konzerner beendete das Gespräch mit einem erleichterten Seufzen. »Entschuldige, ich musste noch ein paar Dinge klären, das hat länger gedauert als gedacht«, erklärte Marco, während seine Brillengläser mit einem leisen Surren zurückglitten und er sich auf den Stuhl Law gegenüber fallen ließ. »Aber jetzt bin ich ganz und gar für dich da«, meinte er lächelnd und wies einladend auf die Speisen auf dem Tisch. »Bedien dich ruhig, wenn du magst.« Also keine Verabredung, bemerkte Law beruhigt. Er hatte zwar keinen sonderlich großen Hunger, goss sich aber eine Tasse des frisch aufgebrühten Tees ein. Der herbe Duft des Macha stieg ihm wohlig in die Nase und beruhigte seine plötzlich flatternden Nerven ein wenig. »Konntest du schon mit Shanks reden? Wird er herkommen?« Dem anderen Konzerner wäre es zuzutrauen, dass er darauf bestand, Lamy selbst noch einmal zu befragen und das wollte er seiner Schwester eigentlich ersparen. »Nein, Shanks wird vorerst in Osaka bleiben«, verneinte Marco. »Er hat einen eigenen Vermisstenfall in seiner Firma. Eine langjährige Mitarbeiterin und Projektleiterin eines neuartigen Zellregenerationsverfahrens ist spurlos verschwunden und er befürchtet, dass dies ebenfalls mit dem Zirkel zusammenhängen könnte.« Er schenkte sich selbst eine Tasse Kaffee ein. »Ich habe vorhin kurz mit ihm, Rayleigh und Sakazuki telefoniert.« Law war immer noch erstaunt, wie selbstverständlich Marco all diese Informationen inzwischen mit ihm teilte. Sein Vertrauen in ihn musste wirklich groß sein, wenn er sich nicht einmal Gedanken darüber machte, all diese prekären Senatsangelegenheiten mit einem Fremden zu besprechen... Nein, mit einem Freund, berichtigte er sich in Gedanken selbst. »Was sagt der Senat zu Lamys Informationen?« Marcos Miene wurde ernster und er rührte gedankenschwer ein wenig Zucker in seinen Kaffee, bevor er den Löffel beiseite legte. »Sie wollen in den Senatsarchiven nach den Erwähnungen eines Siegels suchen lassen, auf das die Beschreibung passen könnte. Möglicherweise wurde irgendwann während der Magiekriege der Prototyp einer Waffe oder gewisse Ressourcen unter Verschluss genommen, auf die es der Zirkel jetzt abgesehen haben könnte.« »Und die Ankündigung eines Krieges? Wie will der Senat darauf reagieren?« Law griff nach dem Stück einer kunstvoll aufgeschnittenen sattpinken Frucht. Das saftige Fleisch zerfloss förmlich auf seiner Zunge und schmeckte ausgezeichnet. Normalerweise war Obst in der Magametropole so teuer und schwer zu beschaffen, dass man selten in den Genuss frischer Früchte kam. Marco nahm einen Schluck aus seiner Tasse, dann schnalzte er missmutig mit der Zunge. »Ich würde schätzen, vorerst gar nicht. Sakazuki meinte, dass es bis auf die Unruhen in der inneren Mongolei und ein paar Bürgeraufstände und Machtstreitigkeiten im ostasiatischen Raum gerade keinen nennenswerten Brennpunkt gäbe, der auf einen großflächig eskalierenden Waffenkonflikt hindeuten würde. Die Anzeichen für globale, kriegerische Aktivitäten werden im Moment als gering eingestuft«, erläuterte Marco nüchtern. »Sie sehen aufgrund der vagen Aussage einer toten Frau im Augenblick keinen akuten Handlungsbedarf.« Der Konzerner wirkte merklich unzufrieden. »Das ist alles?«, zischte Law ungläubig. »Sie stufen es als gering ein und das war's dann?« Sein Blick verfinsterte sich. »Sie sehen doch, was dieser Zirkel anrichtet. Meine Schwester wurde fast getötet! Will der Senat einfach untätig bleiben und all diese Morde unter den Teppich kehren? Sie können die Gefahr doch nicht einfach ignorieren.« Law war sich darüber bewusst, dass ein hohes Maß an persönlichem Groll gegen den Senat aus seinen Worten sprach - er hatte es bereits einmal erlebt, dass ein Massaker einfach vertuscht und die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen wurden waren... »Sie werden es im Auge behalten, aber laut Sakazukis Aussage können sie nicht jedes Mal eine Großoffensive lostreten, sobald irgendein fanatischer Haufen mit einer neuen Weltordnung droht. Dergleichen passiert tagtäglich in den sozialen Medien oder irgendwelchen Untergrundbars. Sie wollen abwarten, wie sich die Lage weiter entwickelt. Ich würde mir auch mehr wünschen, doch mein Stimmrecht in dieser Angelegenheit ist scheinbar recht gering«, gab Marco zerknirscht zu. Er sah Law jetzt fast entschuldigend an. Sofort tat Law seine bissige Wortwahl leid. Natürlich hielt er nicht viel vom Senat, allerdings war Marco ebenfalls ein Mitglied und zumindest diesem traute er mehr Weitsicht und Gerechtigkeitssinn als den meisten anderen Regierungsbeamten zu. »Tut mir leid, ich wollte nicht unfair erscheinen. Du hast sicher getan, was du konntest«, räumte Law ein. Marco hob eine Schulter leicht an. »Nun, davon scheinen nicht alle überzeugt. Sakazuki hat den Vorschlag geäußert, mich jetzt von dem Fall abzuziehen, nachdem deine Schwester erwacht ist.« Er stellte seine Tasse ein wenig zu heftig ab, der einzige Hinweis auf seinen inneren Frust, wo sein Gesicht beinahe ungerührt blieb. Seine blauen Augen funkelten. »Was? Aber wieso?« Law war fassungslos und plötzlich merklich unruhig. Er wollte nicht, dass seine Schwester womöglich in die Obhut eines anderen Senatsmitgliedes kam. Oder das ihre Zusammenarbeit so schnell endete. »Du hast doch nichts falsch gemacht.« Seiner Ansicht nach war Marco Phoenix eine wahre Bereicherung für den verstaubten, korrupten Verein und äußerst engagiert, was man gewiss nicht von allen Senatsmitgliedern behaupten konnte. Marco zuckte mit den Achseln. Sein helles Hemd spannte sich um seine Oberarme. »Seine Begründung? Mich aus der Schusslinie bringen. Als könnte ich nicht selbst auf mich aufpassen. Eigentlich sollte ich mich nur um die Heilung deiner Schwester kümmern und gar nicht so weit in den Fall eingreifen. Offensichtlich hat Shanks hier recht eigenmächtig gehandelt und seine Befugnisse überschritten, indem er mir so viel Verantwortung abgetreten hat. In Sakazukis Augen soll ich mich wohl lieber in eine Bibliothek hocken und Bücher wälzen, dafür wäre ein MentalMAG wie ich wohl besser geeignet…«, stieß er grollend aus. Alter Schmerz verdunkelte seine Augen, gepaart mit einer gehörigen Portion Wut - sicherlich dachte er in diesem Augenblick an seinen leiblichen Vater, der sich einst ähnlich geringschätzig über Marco geäußert hatte. »Was sagt Silvers Rayleigh dazu?« Law konnte sich nicht vorstellen, dass der andere Senatssprecher diesen Schwachsinn unterstützen würde. Silvers Rayleigh war ihm wie ein sehr fairer und rationaler Mensch vorgekommen. Marco schnaubte. »Er findet es genauso lächerlich. Er hat mir hinterher den Hinweis gegeben, mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und meine Pläne zu verfolgen.« Law griff wieder nach seiner Teetasse und wärmte sich die Hände daran. »Und was wirst du jetzt tun?«, fragte er vorsichtig und studierte Marcos Gesicht ausführlich. Die hohen Augenbrauen, die markante Nase und die leicht abstehenden Ohren passten sicherlich nicht zu klassischen Schönheitsidealen und Law hatte sich bisher auch kaum Gedanken darüber gemacht, aber er fand Marco irgendwie für einen Mann durchaus... ansprechend. Und wenn der Konzerner lächelte, war er geradezu unverschämt attraktiv. Marcos Mundwinkel hoben sich zu einem recht durchtriebenen Grinsen. »Nun, wie gut, dass Sakazuki mich schlecht kennt, nicht wahr? Stumpfsinnig Befehle befolgen war vermutlich eh nie meine Stärke«, lachte er leise und zwinkerte Law verschwörerisch zu. »Ich werde weiter machen wie geplant.« Law ließ sich zu einem winzigen Schmunzeln hinreißen. Marcos freundliches Wesen, sein klarer Verstand und seine beständige Zuversicht waren wie ein glimmendes Feuer, das Law von innen heraus wärmte. Er wehrte sich nicht mehr gegen das Gefühl von Vertrautheit zwischen ihnen, viel mehr hieß er es willkommen. »Morgen früh werde ich nach Toyohashi aufbrechen«, fuhr Marco fort, während er ein Sandwich auf seinen Teller lud. »Wie ich vorhin bereits sagte, deine Schwester und du können natürlich hierbleiben, Law. Solange ihr wollt, auch wenn ich nicht da bin.« »Danke, das ist sehr großzügig von dir«, raunte Law mit belegter Stimme. Marcos Angebot freute ihn und gleichzeitig machte es den kalten, schweren Stein in seinem Magen nur noch präsenter, der sich schlechtes Gewissen nannte. Er musste Marco endlich reinen Wein einschenken, er hatte verdient, die Wahrheit zu wissen. Marco winkte ab. »Da gibt es nichts zu danken, Law, ich würde einen Freund niemals meines Hauses verweisen«, sagte er völlig unbekümmert. Seine Worte waren eine Einladung, genau wie sein ehrlicher Blick und das warme Lächeln, dass seine Mundwinkel umspielte. »Und mir wäre auch nicht wohl bei dem Gedanken, euch gehen zu lassen, wenn ihr eventuell ebenso eine Zielscheibe auf dem Rücken tragt. Inzwischen wird der Zirkel dein Gesicht genauso gut kennen wie meines.« Er biss von seinem Sandwich ab und kaute bedächtig. »Aber du sagtest vorhin, dass du mit mir reden musst. Womit kann ich dir denn helfen?« Law trank den letzten Schluck von seinem Tee, dann stellte er die Tasse entschlossen ab und holte tief Luft. Seine Stimme klang rau und angespannt, als er zögerlich in Erinnerung rief: »Du hast gesagt, du wärst für mich da, wenn ich dich brauchen würde. Ich müsste es nur sagen. Gilt dieses Angebot noch?« Vorsichtig sah er den Konzerner an und studierte dessen Reaktion. »Natürlich«, bestätigte Marco ohne Zögern. Sein Blick war abwartend und aufmerksam. Er stellte seine Tasse ebenfalls beiseite und schlug die Beine übereinander. »Das war keine hohle Phrase, Law. Ich stehe zu meinem Wort.« Law biss sich auf die Zunge und kratzte mit dem Daumennagel über das aufgedruckte Emblem der Newgate Corp. auf der Tasse. Er war lang nicht mehr so nervös gewesen oder hatte solch eine innere Unsicherheit verspürt. »Ich fürchte, ich muss dich um etwas bitten und ich weiß durchaus, dass mir das eigentlich gar nicht zusteht, bei allem, was du schon für meine Schwester und mich getan hast. Es ist vermessen, noch mehr zu erwarten…-« »Hey«, unterbrach ihn der Konzerner sanft. Marcos große Hand schob sich in Laws Sichtfeld und berührte zaghaft seine Finger, welche die Tasse so krampfhaft umklammert hielten, dass sich die Fingerknöchel spitz durch die Haut bohrten. Ihm war gar nicht aufgefallen, wie angespannt er tatsächlich war und wie viel Furcht er davor hatte, wieder einen Menschen zu verlieren, der ihm nicht gleichgültig war. »Law, rede einfach mit mir, hm?« Marco lächelte ihn ermunternd an. »Ich entscheide dann, ob es vermessen ist oder nicht. Also, worum geht es? Raus mit der Sprache.« Der Konzerner zog seine Hand zurück, als wollte er Law nicht zu nahe treten, doch ihn hatte die zurückhaltende Berührung gar nicht gestört. Law straffte sich und hielt Marcos Blick. »Ich glaube, inzwischen wird es dir vermutlich mehr als klar sein, dass Lamy und ich zum Kartell von Donquixote Doflamingo zählen. Wir arbeiten für Joker und sind Teil seiner Familie.« Nun, damit war die Katze also aus dem Sack und Law hätte niemals erwartet, dass er diese brisante Wahrheit gerade einem Konzerner und Senatsmitglied offenbaren würde. Aber Marco schien eigentlich wenig schockiert. Er setzte sich ein wenig aufrechter hin, doch er wirkte gefasst und nicht wirklich überrascht. »Nun, so einige Anzeichen haben bereits darauf hingedeutet, aber ich war mir nie wirklich sicher«, räumte er ein. »Ich bin froh, dass du es mir sagst, aber das ändert jetzt nichts an meiner Meinung über dich, falls du das befürchtet hast, Law.« Natürlich hatte Marco das schon seit einiger Zeit geahnt und trotzdem gehofft, dass er womöglich falsch liegen würde. Es änderte für ihn wirklich nichts an seiner Verbindung und seiner... ja, Zuneigung zu Law, aber sicherlich konnte es einige Dinge wesentlich komplizierter machen. Doch das Law ihm davon erzählte, wertete er als großen Vertrauensbeweis und möglicherweise war der junge Mann mit der ganzen Situation ja auch gar nicht so glücklich. »Wie seid ihr an ihn geraten?« Marco musste das einfach fragen, während er Law Tee nachschenkte. »Unsere Eltern... sind schon lang tot«, Law starrte in seine Tasse, aus der feiner Dampf aufstieg. Seine grauen Augen umwölkten sich, als hätte er mit schmerzhaften Erinnerungen zu kämpfen. »Wir haben keine lebenden Verwandten weiter und wurden nach dem Tod unserer Eltern getrennt. Diese Organisation ist wohl das, was einer Familie für uns inzwischen am nächsten kommt. Joker hat Lamy vor einigen Jahren aus einem Waisenhaus gerettet, seitdem agiert sie ab und an für ihn als Spionin. Zu der Zeit gehörte ich aber bereits schon eine ganze Weile zu ihm. Ich habe mich ihm vor vielen Jahren aus eigenem Antrieb heraus angeschlossen und lange freiwillig für ihn getötet.« Law hob den Blick, als wollte er Marcos Reaktion genauestens beobachten - er wirkte kühl, seine Worte waren fast sachlich, doch Marco erkannte die Unsicherheit dahinter. Law war das Ganze längst nicht so gleichgültig, wie seine recht emotionslose Schilderung wohl Glauben machen sollte. Marco spürte, dass da wesentlich mehr dahinter steckte. »Ich bin sein Schatten, den er ausschickt, wenn er sich gewisser Dinge entledigen will. Ich bin einer seiner Attentäter und lange konnte ich damit gut leben.« Law wusste nicht, was er von Marco erwartet hatte. Vielleicht Abscheu, eine Form von Urteil, möglicherweise Misstrauen oder auch nur Vorsicht, doch nichts davon spiegelte sich auf dem Gesicht des Konzerners. Er sah Law weiterhin aufmerksam an, geduldig, nachdenklich… verständnisvoll. Kein Mitleid, denn Mitleid hätte Law auch schwer ertragen. Ihre Geschichten mochte sich ähnlich sein, doch wo Marco gewissermaßen in sein früheres Leben als gezüchteter Attentäter gezwungen worden war, hatte Law sich bewusst selbst für dieses Leben entschieden. Marco hatte keine Wahl gehabt - er schon und darin lag der gravierende Unterschied, auch wenn er damals noch zu jung gewesen war, um alle Folgen seiner Entscheidung zu begreifen. »Aber inzwischen ist das anders«, mutmaßte Marco ruhig und veränderte seine Haltung ein wenig. Der Stoff seiner dunklen Anzughose raschelte. Er griff nach der Kaffeekanne und schenkte nun sich selbst nach. Unter dem hellen Hemd, dass er trug, bewegten sich die Ausläufer der türkisblauen Schwingen auf seiner Schulter. »Inzwischen ist so einiges anders«, gab Law zu. Marco schien gewillt, ihm weiter zuzuhören, was ihn zaghaft Hoffnung schöpfen ließ. »Kurz bevor Lamy wieder in mein Leben trat, hat Doflamingo etwas getan, was ich ihm niemals vergeben kann. Etwas, was mir die Augen geöffnet hat, was er wirklich ist und immer sein wird - ein Monster in Menschengestalt.« Er blickte in Marcos blaue Augen, die ihm einen sicheren Halt versprachen. »Er hat seinen Bruder getötet. Den Mann, der wie ein Vater für mich war.« Die Worte schwebten schwer im Raum und Laws Kehle fühlte sich zu eng an, als hätte er diese eigentlich viel zu lang zurückgehalten. Zum ersten Mal sprach er diese Wahrheit offen einem anderen gegenüber aus, gestattete sich der Wirklichkeit Fuß zu fassen und sich verwundbar zu machen. Das Entsetzen darüber blieb aus, weil er erkannte, dass er Marco tatsächlich vertraute. Marco blinzelte langsam. Zwischen seinen Brauen bildete sich eine nachdenkliche Falte, als er den Kopf leicht neigte und treffend kombinierte: »Dein Freund, dem das Motorrad gehörte...« Seine Aufmerksamkeit war erstaunlich. Law war davon ausgegangen, dass er diese Detail sicherlich längst vergessen hatte - doch Marco hatte es sich gemerkt. Sein Interesse war zu keiner Zeit gespielt gewesen. Law nickte. »Er war ein verdeckter Ermittler, der die Machenschaften seines Bruders hatte aufhalten wollen. Joker kontrolliert einen Großteil des Schwarzmarktes für Waffen, illegale Sklavenmärkte und natürlich weite Gebiete in Downtown durch den Drogenhandel. Corazon wollte seinen ungesunden Machtzuwachs aufhalten.« Law schluckte. Es tat noch immer weh, seinen Namen auszusprechen. »Er war ein guter Mensch. Er hat mich auf eine Art gerettet, die wohl die wenigsten je verstehen können und Joker hat ihn einfach kaltblütig ermordet, nachdem er herausgefunden hatte, dass ihn sein eigener Bruder hinterging.« Die Wut und die Trauer über diese Ungerechtigkeit waren all die Jahre über nicht weniger geworden. Law biss die Zähne aufeinander, um seine Magie zu besänftigen, die wie ein unruhiger Tiger in seinem Inneren rumorte und seinen Emotionen antwortete. Wieder suchte er Marcos Augen, deren klares Blau wie ein Anker in diesem grenzenlosen Chaos war, das sein Leben im Moment darstellte. Diese unerschütterliche Ruhe, die der Konzerner ausstrahlte, war wie Balsam für Laws aufgeworfene Nerven. »Nach Corazons Tod habe ich angefangen, hinter seinem Rücken gegen Joker zu agieren. Ich will das Werk seines Bruders fortsetzen.« Laws Augen blitzten auf, als er mit eisiger Entschlossenheit erklärte: »Ich werde Doflamingo aufhalten, egal, was es kostet.« Marcos Brauen senkten sich sein Stück, sein Blick war forschend. Zaghaft fragte er: »Weiß deine Schwester von all dem?« Law schüttelte sofort den Kopf. »Nein, Lamy weiß nichts davon und das soll auch so bleiben. Ich will sie damit nicht belasten. Das ist allein meine Sache«, antwortete er gröber als beabsichtigt. Seine ganze Haltung war unnachgiebig. Marco bestürmte eisiges Entsetzen bei dem Gedanken, welch kompromissloses Ziel sich Law gesetzt hatte - einen Kartellkönig stürzen und das gänzlich im Alleingang. Wie viele Jahre trug er diese Bürde nun schon einsam auf seinen Schultern? Wie lange schon versuchte er mit der einen Hand Jokers Imperium zu stürzen und mit der anderen seine Schwester zu beschützen? Marco wollte seiner Bestürzung Ausdruck verleihen, wollte Law sagen, dass dies keinesfalls gesund sein konnte, doch bei dessen stählernem Blick besann er sich eines besseren und schwieg. Er würde Law keine Vorhaltungen machen und er würde sich ihm nicht aufdrängen, auch wenn sein Beschützerinstinkt brüllend erwachte und ihn zum Handeln zwingen wollte. »Weiß Joker, dass du hier bist?«, fragte er stattdessen. »Ja, er weiß, das Lamy und ich hier sind. Das konnte ich nicht verschweigen, denn er hat uns zusammen im Purgatory gesehen«, sagte Law. »Aber ich habe ihm nichts von der Sache mit dem Zirkel erzählt und auch nichts relevantes über dich oder deine Firma«, versicherte er. »Joker glaubt, ich bin hier, um dich auszuspionieren. Er ist natürlich begierig auf deine Firmengeheimnisse und vor allem interessiert an Forschungs- und Projektunterlagen der Newgate Corp., die er dann gewinnbringend umsetzen könnte. Aber ich werde ihm natürlich nichts liefern.« Marco betrachtete ihn ergründend und Law erwiderte seinen Blick unerschrocken. Er mochte viel in seinem Leben schrecklich falsch gemacht haben, doch das hier, diese Sache mit Marco, diese vorsichtige Freundschaft, das wollte er nicht verderben. Er brauchte Marco, wahrscheinlich mehr, als er sich selbst eingestand, aber er würde den Konzerner nicht seiner eigenen Sache opfern. »Wird dich das nicht in Gefahr bringen, wenn du ihm so gar nichts lieferst?«, fragte Marco frei heraus. Seine Finger strichen nachdenklich über die Tischplatte. Law zuckte gleichgültig mit den Schultern. Mit diesem Problem musste er sich später auseinandersetzen. »Möglicherweise. Aber darum werde ich mich kümmern, wenn es soweit ist.« Sein Tonfall war nicht abschmetternd, doch sehr bestimmt, denn er wollte nicht, das Marco das Gefühl bekäme, er müsste ihm auch in dieser Angelegenheit beistehen. Marco griff nach seiner Kaffeetasse. Seine Miene war gefasst. »Na schön. Und worum willst du mich nun bitten, Law?« Law erzählte ihm alles - von Punk Hazard, Caesar Crown, seinem ursprünglichen Plan, Mugiwaras Bande und der drängenden Zeit. Er ließ kein Detail aus, bis der Konzerner völlig im Bilde war und wusste, welche Rolle er bei diesem Unterfangen einnehmen sollte. Er besaß diesen hochmodernen Truppentransport-Jet und als Senatsmitglied ausreichend Macht, um in das Sperrgebiet zu gelangen. Marco sah am Ende ziemlich überwältigt aus und ließ sich nach einem schweren Atemzug auf seinem Stuhl zurücksinken. Er schwieg ein paar lange Augenblicke und Laws zaghafte Hoffnung schwand bereits. »Okay, wow...«, stieß Marco dann die angehaltene Luft aus und glitt mit der Hand rastlos durch seine Haare, bevor er die Finger im Nacken liegen ließ. »Das ist keine Kleinigkeit, worum du mich da bittest. Das könnte mich und meine Firma viel kosten«, sagte er ehrlich. Law konnte förmlich sehen, wie er in Gedanken sämtliche Risiken abwog - natürlich, wenn er sich hier als Konzernboss einmischte, bezog er Stellung. Dadurch lief er Gefahr, sich einen Kartellkönig zum Feind zu machen. Law konnte nicht mehr sitzen bleiben. Unruhig stand er auf und lief ein paar Schritte durch das plötzlich viel zu kleine Zimmer. Er hasste sich fast dafür, dass er Marco überhaupt in diese Lage brachte, dass er ihn um so etwas bitten musste, aber ohne ihn würde er völlig von neuem beginnen müssen und er wusste nicht, ob er die Kraft dafür noch hätte nach all den Jahren der Planung. Dieses ganze Unterfangen hatte am Ende nicht nur Doflamingos Imperium zermürbt, sondern auch ihn selbst. »Ich weiß und glaub mir, ich würde es nicht tun, wenn nicht so viel davon abhängen würde, Marco«, versicherte Law.  »Aber Joker muss aufgehalten werden. Er ist inzwischen viel zu mächtig geworden und irgendwann wird ihm die Unterwelt nicht mehr reichen. Seine Ränke erstrecken sich jetzt schon bis in die Regierung Japans. Stell dir vor, wie einflussreich er erst sein wird, wenn er sein Einflussgebiet durch Gildo Tesoro auf China erweitern kann. Wenn Kaido durch ihn sein Machtgebiet vergrößert, werden diese drei Giganten über einen Großteil des ostasiatischen Raumes herrschen. Nicht einmal der Senat könnte ihnen dann noch wirkungsvoll Einhalt gebieten.« Dass seine Worte auf fruchtbaren Boden trafen, zeigte Marcos düsteres Stirnrunzeln. Er als Konzernchef musste auch solche Entwicklungen im Auge behalten und abwägen. Sein Kiefer spannte sich an, während sich sein Kybernetik aktivierte und er offenbar online einige Informationen abrief. »Crown ist ein seit vielen Jahren vom Senat gesuchter Genetik-Wissenschaflter mit Hang zum Extremen«, las Marco vor, während seine Finger gedankenschwer auf der Stuhllehne trommelten. Offenbar hatte er inzwischen Zugriff auf die Datenbanken des Senats. »Er ist als hochgradig gefährlich und skrupellos eingestuft.« »Das stimmt«, bestätigte Law und lehnte sich mit der Hüfte an den Schreibtisch, die Arme vor der Brust verschränkt. »Er eiferte viele Jahre Dr. Vegapunk nach, hat es mit seinen unethischen Experimenten aber irgendwann einfach übertrieben. Als man ihn gefangen nehmen wollte, ist er untergetaucht. Joker hat ihn gefunden und aufgenommen, denn beide profitieren von dieser Partnerschaft - Crown hat den Schutz eines Kartellkönigs und genug Geld, um in Ruhe zu forschen und stellt dafür reichlich Beta für Jokers Schwarzmarkt her. Aber nicht nur das...« Er suchte eindringlich Marcos Blick. »Er forscht auch an weiteren experimentellen Drogen und an genbasierten Massenvernichtungswaffen und vieles davon testet er an verwaisten Straßenkindern, die das Kartell auf Tokios Straßen aufsammelt und zu ihm nach Punk Hazard bringt.« Es war mehr als hinterhältig, dieses Argument in den Ring zu werfen, das wusste Law selbst, denn ein moralischer Mensch wie Marco konnte das nicht einfach ignorieren. Marco strich sich angespannt über eine Braue, dann stand er ebenfalls auf und ging zu seinem Schreibtisch, um etwas auf dem offenen Laptop dort einzugeben. Law verfolgte mit unruhigen Augen, wie sich der Konzerner über den Tisch lehnte und seine Finger über die Tastatur flogen. »Würde der Verlust von Punk Hazard Doflamingo wirklich aus dem Gleichgewicht bringen? Wäre es ein empfindlicher Rückschlag für ihn?«, fragte Marco, ohne aufzusehen. »Ja«, bestätigte Law überzeugt. »Kaido ist im Moment sein Hauptabnehmer, ihm hat er reichlich Beta für seine Anhänger und die ersten experimentellen Giftgas-Waffen versprochen. Kaido baut auf Jokers Unterstützung bei der Erweiterung seines Reiches und dafür hat er ihm eine Menge Geld im voraus gezahlt.« Diese Information zu erlangen, war für Law  unglaublich bedeutsam gewesen, genau wie das Wissen darüber, dass Joker einen Großteil dieses Geldes bereits in eigene Projekte investiert hatte. Marcos Finger auf der Tastatur hielten kurz inne und er sah auf, den Kopf leicht schräg gelegt. Das künstliche Licht des Monitors spiegelte sich in seinen Brillengläsern. »Und ich gehe mal davon aus, dass jemand wie Kaido wohl wenig erfreut wäre, wenn sich so eine Investition als Leerlauf erweist.« »Das ist noch untertrieben«, raunte Law in düsterer Genugtuung. »Doflamingo würde in ernsthafte Bedrängnis geraten. So ein Warlord ist nicht der verständigste Geschäftspartner.« Er beobachtete, wie Marco mit konzentriert zusammengezogenen Brauen weiter an seinem Laptop arbeitete. Angespannt grub er die Fingerspitzen in den Stoff seines Pullovers. Er brauchte eine Antwort, irgendetwas, damit er wusste, mit was er arbeiten konnte. »Marco, du musst das nicht für mich tun, tu es, weil es das Richtige ist, ich...-« Der Konzerner klappte seinen Laptop zu und richtete sich auf. »Okay.« »Okay?« »Ich werde dir helfen, Law.« Obwohl Law ungewöhnliche Erleichterung durchströmte, blieb natürlich das schlechte Gewissen darüber, den Blonden am Ende doch in seine Angelegenheiten hineinzuziehen. »Marco, du musst nicht überstürzt eine Entscheidung treffen...« Der Konzerner kam um den Schreibtisch herum. »Du hast recht, es ist sicherlich das Richtige, Joker Einhalt zu gebieten. Aber allein deshalb werde ich bei diesem verrückten Plan nicht mitmachen.« Er kam näher und blieb unweit vor Law stehen, so nah, dass ihm Marcos angenehmer Geruch in die Nase stieg. So nah, dass Law das Klopfen des Pulses an der Kehle des anderen Mannes sehen konnte. Marcos Augen waren so eindringlich, sodass Law den Blick nicht abwenden konnte. »Sondern wegen dir. Ich werde wegen dir bei diesem Vorhaben mitmachen, Law. Ich werde es tun, weil du mich darum gebeten hast«, sagte er bestimmt. Law versteifte sich und ließ die Verschränkung seiner Arme fallen, um die Hände an die Tischkante zu krallen. Diese offene Unterstützung, diese kompromisslose Bereitschaft, ihm zu helfen, überforderte ihn reichlich. Er war es seit Corazon nicht gewohnt, dass irgendjemand so entschlossen war, für ihn zu kämpfen. »Es gibt wesentlich bessere Gründe, um...-« »Ah, das denke ich nicht«, unterbrach Marco ihn mit einem zurechtweisenden Zungeschnalzen. »Du wirst akzeptieren müssen, dass ich einem Freund helfen will und dass du mir dieses Risiko wert bist. Ansonsten bin ich raus aus der Sache, ganz einfach.« Seine Tonlage war unerbittlich, genau wie sein Blick - der Blick eines Firmenchefs, der es gewohnt sein musste, harte Entscheidungen durchzusetzen. Law musste sich geschlagen geben, obwohl es sich nicht einmal nach einer Niederlage anfühlte. Nicht, wenn Marcos blaue Augen nur ihn ansahen, mit einer Intensität, die beinahe einer Berührung glich. Dieses warme, angenehme Ziehen in seinem Magen ließ seine Mundwinkel zaghaft in die Höhe wandern. »Na schön«, raunte er ergeben. »Danke, Marco.« Dieses eine Wort schien bald zu wenig, um seine tiefe Verbundenheit für den Konzerner auszudrücken. Doch Marco schüttelte den Kopf und lehnte sich neben Law an den Schreibtisch, sodass sich ihre Schultern berührten. Seine Wärme schien sich fast durch den dünnen Stoff von Laws Pullover zu brennen. »Dank mir jetzt noch nicht, sondern erst, wenn wir alles erfolgreich hinter uns gebracht haben. Immerhin kann so einiges schief gehen«, erinnerte er mit einem schrägen Schmunzeln. »Trotzdem bist du bereit mir zu helfen. Das bedeutet mir viel«, gestand Law unerwartet freimütig. Einer plötzlichen Eingebung folgend entschied er dann: »Ich werde dich nach Toyohashi begleiten.« Marco hob verwundert eine Braue. »Law, du musst dich mir gegenüber jetzt nicht verpflichtet fühlen...« »Das tue ich nicht«, erwiderte Law. »Ich möchte dir einfach... als Freund helfen. Möglicherweise kannst du Unterstützung gebrauchen.« Es war die Wahrheit. Am Ende bot er seine Hilfe aus rein selbstlosen Gründen an - Lamy war stabil und auf dem Weg der Besserung und damit war es eigentlich nicht mehr nötig, dass er in der Senatssache noch hilfreich fungierte. Aber er wollte es, aus freien Stücken und nicht, weil er irgendeine Gegenleistung erwartete. Marco lächelte aufrichtig, was Law nur in seinem Beschluss bestärkte. »Nun, dann kann ich wohl nichts dagegen sagen«, meinte er mit einem Zwinkern. »Und freue mich, dass du mich weiter begleiten wirst, Law.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)