Der Untergang der Isekai von stardustrose ================================================================================ Kapitel 8: Wolkenwandern ------------------------ „Na toll“ murmelte ich und besah mir die Felswand vor mir. Ich war mir sicher noch auf dem Pfad zu sein, aber egal wo ich hinsah, überall ragten Felswände in die Höhe. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, sollte ich mich beeilen, um noch vor Einbruch der Nacht einen halbwegs sicheren Unterschlupf zu finden. Noch einmal atmete ich tief durch und setzte meinen Weg fort. Durch die Unebenheiten in der Mauer war es eigentlich kein großes Problem zu klettern, doch da ich den ganzen Tag unterwegs war, brannte jeder Muskel meines Körpers während meines Aufstiegs. Nach einigen Minuten begannen meine Beine zu zittern. In den Händen hatte ich kaum noch Kraft und musste mehrmals Pausen einlegen. Plötzlich streifte etwas meinen Rücken und ich stöhnte vor Schmerz auf, klammerte mich fester an die Felswand, um nicht zu fallen. Es war, als hätte mir jemand mit voller Kraft einen Ast gegen den Rücken gedonnert. Irritiert sah ich mich um und entdeckte in einiger Entfernung ein schwarz gefiedertes Ungeheuer mit einem Breitschwert in seinen Klauen. Hatte es mich etwa mit dem Schwert erwischt? Noch einmal dankte ich Haou still für die Rüstung, doch das Monster flog eine Kehrtwende und kam noch einmal auf mich zu. Verdammt! Ich sah nach unten. Den größten Teil hatte ich geschafft. Um abzuspringen und mich zu verteidigen war ich bereits zu hoch. Ich sammelte meine verbliebene Kraft und kletterte weiter. Als das Monster fast bei mir war, presste ich mich so gut es ging an die Mauer und hielt meinen Arm schützend über meinen Kopf. Ein stechender Schmerz an der gleichen Stelle ließ mich aufschreien. Auch wenn die Rüstung mich vor dem gröbsten schützte, der Schmerz war heftig. Das Zittern in meinen Beinen wurde schlimmer. Reiß dich zusammen! Nur noch ein Stück! Ein neuer Schmerz ließ mich zusammenzucken. Ich verlor den Halt meines rechten Beines und rutschte ab. Reflexartig griff ich nach einer Kante. Konnte mich grade noch abfangen. Von oben regnete es kleinere Gesteinsbrocken. Das Vieh hatte mit seinem letzten Schlag die Felswand erwischt. Es half nichts, ich war zu langsam. Mit aller Kraft klammerte ich mich an den kühlen Stein und schützte meinen Kopf vor erneuten Treffern. Irgendwann wird das Monster hoffentlich genug haben, bis dahin musste ich ausharren und hoffen, dass meine Kraft reichen würde. Zwei Mal traf es noch meinen Arm, mit dem ich mich schützte, dann war es still. Der eisige Wind wurde stärker. Vorsichtig löste ich meine starre Körperhaltung und sah mich um. Der wolkenverhangene Himmel wurde dunkler, der Wind stärker, doch von dem Monster war keine Spur mehr zu sehen. Doch um aufzuatmen war es noch zu früh. Ich musste schnell nach oben und mir einen Unterschlupf suchen, ehe der Sturm anfangen würde. Ich bewegte den Arm, mit dem ich eben noch meinen Kopf schützte, und stöhnte schmerzerfüllt auf. Um ihn weniger zu belasten hielt ich mich mit ihm nur auf Brusthöhe ab, damit ich nicht fiel. Mit dem anderen kletterte ich weiter. Endlich hatte ich die obere Kante erreicht und hievte mich schwerfällig nach oben. Schwer atmend drehte ich mich auf den Rücken. Ich hatte es geschafft. Meine Arme und Beine zitterten, mein gesamter Körper schmerzte. Mein Herz hämmerte mit unnachgiebiger Härte gegen meinen Brustkorb, es rauschte schon in meinen Ohren. Der eisige Wind wurde stärker, aber ich konnte mich partout nicht bewegen, um mich in Sicherheit zu bringen. Wie gern würde ich jetzt einfach einschlafen. Nur kurz. Ich spürte die kleinen Eiskristalle, die sich auf meine kalte Haut legten. Meine Lider wurden schwerer. Die dunkle Wolkendecke über mir verschwamm zunehmend zu einer grauen Masse. Plötzlich sah ich einen weißen Schweif. Es sah aus wie… eine Sternschnuppe. Aber das war unmöglich. Der Himmel war wolkenverhangen. Bildete ich mir das nur ein? Ich schloss meine Augen. Mein Herz beruhigte sich. Den kalten Wind spürte ich nicht mehr, sehnte mich nur nach Ruhe. „Du wirst das schaffen. Du hast mich bis heute nie enttäuscht.“ Haou? Ich öffnete die Augen. Das wenige Licht, dass sich seinen Weg durch die schwere Wolkendecke bahnte, blendete mich. Die Kälte fraß sich zunehmend durch meinen gesamten Körper. Ich muss aufstehen. Ich muss mich in Sicherheit bringen. Oder ich werde hier sterben. Mit meiner letzten Kraft drehte ich mich zur Seite um aufzustehen. Mein Körper war mit einer dünnen Schneeschicht überzogen, die durch meine Bewegungen auf den Boden landete. Ich stand auf, ein stechender Schmerz in meinem Arm. Ich hielt ihn fest, setzte einen Fuß vor den anderen und sah mich suchend um. Konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Irgendwo muss ich mich doch vor dem Sturm schützen können. Ich stolperte zur nächsten Felswand und stützte mich daran ab. Der Wind zehrte an meinen Kräften, ich hatte Mühe aufrecht zu stehen. Ich war so weit gekommen, ich konnte doch nicht kurz vor meinem Ziel scheitern und hier sterben. Ich tastete mich an der Felswand entlang und ging weiter. Mehr als einen Schritt weit konnte ich nicht sehen, meine Umgebung wurde durch den Sturm zunehmend schwarz. So konnte ich nur darauf vertrauen eine geschützte Stelle in den Wänden zu finden und nicht in einen Abgrund zu fallen. Ich bog an der Felswand entlang ab, der Wind wurde weniger stark. Anscheinend wurde er durch den Stein abgehalten. Plötzlich verlor ich den Halt und fiel zur Seite. Zog erschrocken die Luft ein, doch schnell hatte ich wieder kalten Boden unter meinen Händen. Der Wind hatte aufgehört, aber ich konnte ihn noch hören. Wieder rappelte ich mich auf und spürte im nächsten Moment einen dumpfen Schmerz an meinem Hinterkopf. Gekrümmt stand ich da und rieb mir die schmerzende Stelle. Tastete nach oben. Über mir war festes Gestein. Einen Schritt ging ich nach hinten und wurde von einer weiteren Steinwand gestoppt. Ich musste in einer kleinen Höhle gelandet sein. Erleichtert atmete ich auf, lehnte mich an die Wand und glitt nach unten. Zumindest war ich vorerst in Sicherheit, auch wenn ich nichts sehen konnte. Aber wenn ich in dieser Kälte einschlafen sollte, war es das für mich. Die Rüstung konnte mich nicht ewig warm halten und in meinem Gesicht spürte ich vor Kälte kaum noch etwas. Am Boden sitzend wanderte meine Hand zu meiner Gürteltasche. Ich löste sie von der Rüstung und legte sie in meinen Schoß, dann zog ich meine Handschuhe aus. Für alle Fälle hatte ich mir einige Zutaten für Tränke in kleinen Phiolen eingepackt, unter anderem auch für den Ignis Parva Zauber, der eine kleine Flamme für einige Zeit ohne Brennstoffe aufrechterhält. Für den brauchte ich nur drei Zutaten. Eine Messerspitze Feuersalz, zwei Schneebeeren und je nachdem wie lange das Feuer aufrechterhalten werden soll, gemahlene Drachenbaumrinde. Dummerweise musste ich ihn wegen der Dunkelheit jetzt blind mischen. Die Schneebeeren waren durch Tasten nicht schwer auszumachen, die Drachenbaumrinde hatte einen leichten Schwefelgeruch und war somit auch leicht zu finden, aber das Feuersalz war geruchlos, genauso wie das pulverisierte Moos. Letzteres war in Reinform jedoch hoch toxisch, ich hatte es immer nur an der grün-schwarzen Farbe erkannt. In Verbindung mit Drachenbaumrinde setzte es einen Giftnebel frei, der jeden in einem Umkreis von vier Metern lähmte. Darauf ankommen lassen konnte ich es also nicht, ich musste herausfinden in welcher Phiole welche Zutat steckte. Nur wie? Komm schon, streng dich an! Es ist beides geruchlos, an der Farbe kann ich es im Moment nicht erkennen, erschmecken kann ich es auch nicht und beides fühlt sich absolut gleich an. Der letzte Sinn wäre hören, aber das ist lächerlich. Moment… Was hatte Meister Damian damals erzählt? Wenn man Feuersalz extremer Kälte aussetzt, dann… Ich kroch zum Eingang der Höhle und griff mir etwas von dem Schnee. Schnell zog ich die Luft ein. Weil ich keine Handschuhe anhatte, brannte es wie 1000 kleine Nadelstiche auf meiner Haut. Ich legte es auf den Boden und griff mir die beiden Phiolen. Die erste öffnete ich und gab etwas von dem Pulver auf den Schnee, dann hielt ich mein Ohr so nah wie möglich darüber. Bis auf das Heulen des Windes im Hintergrund war nichts zu hören. Ich griff mir die zweite und wiederholte das Ganze. Bitte. Bitte lass es klappen. Ein leises Zischen war zu hören. Ich atmete hörbar aus. Das musste das Feuersalz sein, das mit dem Eis reagiert hatte. Bis auf die drei Zutaten verstaute ich alles wieder in meiner Tasche und fand eine kleine Schale darin. Ich zerdrückte die Beeren in der Schale und gab die gemahlene Rinde dazu. Ich hatte etwa zwölf Gramm dabei, ein Gramm reicht für etwa eine halbe Stunde. Sechs Stunden sollten reichen um mich hier drin warm zu halten. Ich vermengte alles und gab zum Schluss das Feuersalz dazu. Jetzt hieß es einige Sekunden warten, bis sich die Drachenbaumrinde durch das Feuersalz erhitzte. Einen Moment später kniff ich die Augen ob der plötzlichen Helligkeit zusammen und musste mehrmals blinzeln. Die Hände hielt ich ans Feuer und seufzte erleichtert. Ich hatte es geschafft. Jetzt musste ich nur den Sturm abwarten. Hoffentlich dauert er nicht bis morgen an. Ich sah mich um. Die Höhle war recht klein, zu zweit wäre der Platz sicher ausgefüllt. Langsam wurde es wärmer und ich entspannte mich etwas. Der stechende Schmerz in meinem Rücken und meinem Arm meldete sich wieder, aber ich versuchte ihn zu ignorieren. Etwas dagegen unternehmen konnte ich ohnehin nicht. Meine Lider wurden schwer. Plötzlich hörte ich ein Kreischen und schreckte hoch. Mein Herzschlag erhöhte sich schlagartig. Nicht jetzt. Nicht schonwieder! Ich habe keine Kraft mehr… Eine kleine Kreatur stolperte in die Höhle. Sein kompletter Körper war von schwarzen Federn überzogen, am Kopf waren sie grün und wurden zu beiden Seiten länger. Irritiert rappelte sich der kleine Geis auf. Mit großen, roten Augen sah er mich an. Er wirkte nicht angriffslustig, eher… ängstlich. „Schon gut“ sagte ich leise und versuchte mich wieder zu entspannen. „Ich tu dir nichts. Du kannst heute Nacht gern hier bleiben.“ Das kleine Wesen beäugte mich skeptisch und verkroch sich in die gegenüberliegende Ecke der Höhle, recht nah am Eingang. Ich schmunzelte. Anscheinend hatte er Angst vor mir. Sorgen brauchte ich mir seinetwegen also keine zu machen. Mein Magen zog sich zusammen und knurrte laut. Wieder sah ich in meine kleine Gürteltasche. Der wenige Proviant, den ich dabei hatte, reichte nur für einen Tag. Ein Stück Trockenfleisch hatte ich noch. Aber um dieses Problem sollte ich mich morgen kümmern. Ich nahm das harte, zähe Fleisch an mich und brach ein Stück davon ab. Vielleicht sollte ich es mir besser einteilen. Im Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr. Zaghaft kam die kleine Kreatur näher und sah das Stück Fleisch in meiner Hand an. „Du hast wohl auch Hunger, was?“ fragte ich, ohne mir eine Antwort zu erhoffen. Zu meiner Überraschung nickte der kleine Geist. Ich hielt ihm die Hälfte entgegen und beobachtete amüsiert, wie er langsam zu mir kam. Als er bei mir war, schnappte er sich das Stück mit seiner Klaue und brachte wieder etwas Platz zwischen uns. Ich schnaufte belustigt. Nachdem ich gegessen hatte, versuchte ich mich auf den harten Boden zu legen, ohne, dass mir meine Verletzungen groß Schmerzen bereiteten. Nachdem ich eine halbwegs bequeme Position gefunden hatte, schloss ich meine Augen. Wenigstens ein paar Stunden sollte ich schlafen, auch wenn es in diesem Gebiet riskant war. Aber der Eingang der Höhle war zumindest nicht groß, so war ich vor den meisten Kreaturen hier oben geschützt. Ich döste langsam ein, bis mich etwas in meinem Gesicht berührte. Verwundert öffnete ich die Augen. Der kleine Geist hatte es sich an meinem Kopfende bequem gemacht und breitete einen seiner Flügel über meinen Kopf aus, während er seinen in meine Halsbeuge legte und zufrieden brummte. Wieder musste ich schmunzeln und schloss die Augen. Driftete allmählich in einen traumlosen Schlaf. ~*~ Die Strahlen der aufgehenden Sonne blendeten mich und ich schob meinen Arm schützend in mein Blickfeld. Ich hatte das Gefühl, als könnte ich jeden einzelnen Muskel in meinem Körper spüren. Mein Mund fühlte sich unglaublich trocken an und mein Magen verkrampfte sich. Wenn ich überlege, dass ich diese verdammte Felswand wieder runterklettern musste, wollte ich lieber noch einen Moment liegen bleiben. Aber der harte Boden auf dem ich lag, war kalt und unbequem. Es hilft nichts, ich muss weiter. Ich seufzte ergeben und setzte mich auf. Sah mich einen Augenblick irritiert um. Der Schutzgeist von gestern war verschwunden. Wahrscheinlich hatte er schnell das Weite gesucht, als der Sturm endlich vorbei war. Ich sollte es ihm gleichtun und schnappte meine Sachen um die Höhle zu verlassen. Die warmen Sonnenstrahlen ließen den liegen gebliebenen Schnee funkeln wie tausende Diamanten. Die Wolken waren inzwischen so nah, dass man das Gefühl hatte sie greifen zu können. Ich streckte mich um die Verspannungen in meinem Körper loszuwerden und zog scharf die Luft ein. Meine Verletzungen hatte ich komplett vergessen, doch jetzt meldeten sie sich mit einem stechenden Schmerz zurück. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass es etwas besser wurde. Ich füllte etwas Schnee in meine Feldflasche und hoffte, er würde bald schmelzen. Wo war eigentlich der Pfad? Gestern konnte ich durch den ganzen Schnee kaum etwas erkennen, aber zumindest wusste ich noch, aus welcher Richtung ich kam. Als ich mich auf den Weg machen wollte, hörte ich wieder das helle Kreischen von gestern Abend. Ich sah den Abhang hinunter, aus der ich das Geräusch vermutete, und stolperte einen Schritt zurück, als der kleine Schutzgeist um Haaresbreite gen Himmel an mir vorbeischnellte. Er zog einen Bogen und flog in meine Richtung. Als er vor mir landete, sah ich, dass er etwas in seinen Klauen hielt und zu mir schob. Meine Schale. Stimmt, ich hatte gestern das Feuer darin entflammt und war eingeschlafen. Aber viel mehr überraschte mich, dass sie mit Hochlandbeeren gefüllt war. Gestern war ich zwar an einigen Sträuchern vorbeigelaufen, aber die waren im unteren Teil des Nebelberges. Der Schutzgeist schob die Schale weiter in meine Richtung und flatterte aufgeregt mit den Flügeln. „Sind die für mich?“ versuchte ich sein Verhalten zu deuten. Der kleine nickte eifrig. „Danke“ sagte ich und musste lächeln. War er wirklich den ganzen Weg zurückgeflogen um mir die Beeren zu bringen? Als ich die Schale an mich genommen hatte, hob der Geist ab, zog mit seinen Klauen spielerisch an meinen Haaren, und flog der Felswand entlang wieder nach unten. Ich sah ihm nach, bis seine Gestalt immer kleiner wurde und in den umstehenden Felsen verschwand. Es kam mir gleich komisch vor, dass seine Aura so viel schwächer war als die der anderen Geister auf die ich hier oben getroffen war. Wahrscheinlich hatte er in dem Sturm die Orientierung verloren und suchte deshalb Schutz in der kleinen Höhle. Etwas gestärkt setzte ich meinen Weg fort und fand schon bald den Pfad wieder. Je weiter ich ihm folgte, umso feuchter wurde die Luft. Bald schon bildeten sich kleine Wasserperlen auf meinem Körper, sammelten sich dort und flossen in dünnen Rinnsalen auf den Boden. Einige Meter weit konnte ich sehen, bevor die Umgebung von weißen Schleiern verschluckt wurde. Um mich herum herrschte eine geisterhafte Stille. Ich lief mitten durch die Wolken. Es war wirklich ein faszinierender Anblick. Fast schon hatte ich vergessen wo ich war. Ich musste wachsamer sein. Um im Ernstfall besser reagieren zu können, zog ich das Schwert, das ich von Mai bekommen hatte und hielt es fest in meiner Hand. Zum Glück hatte das Vieh von gestern meinen Schwertarm verschont, sonst hätte ich jetzt wirklich ein Problem. Doch entgegen meiner Befürchtung wurde ich nicht angegriffen. Da ich den Stand der Sonne nicht mehr ausmachen konnte, hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren. Wie weit es wohl noch bis zur Spitze ist? Wie angewurzelt blieb ich stehen. Mein Körper wurde von einer unsagbaren Kälte durchzogen. Ich zitterte. Irgendwo in den Wolken um mich herum hörte ich ein leises Heulen. Eine vertraute Stimme flüsterte meinen Namen. Was geht hier vor? Ich… Ich muss weiter. Wie ferngesteuert setzte ich einen Fuß vor den anderen. Der Pfad. Ich musste auf dem Pfad bleiben. „Yusei“ hörte ich wieder die vertraute Stimme. „Kehr um“ sagte sie immer wieder. Woher kenne ich diese Stimme? Alles in mir wollte stehen bleiben und wieder umkehren, doch ich zwang mich weiterzulaufen. Ich musste weiter. Ich musste mein Ziel erreichen. „Yusei.“ Die Stimme war ganz nah. Plötzlich trat eine Person aus dem Schleier der Wolken. Ich blieb stehen, konnte mich nicht mehr rühren. Die Kleidung des Mannes war sonderbar. Er war ganz in weiß gehüllt, trug dazu einen langen Mantel. Er… sah mir ähnlich. Seine hellen, blauen Augen schienen mich zu durchbohren. Ich… Ich kenne ihn. „Papa?“ Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, sie wirkte unnatürlich. Als würde sie nicht mir gehören. Ein sanftes Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Hallo, mein Junge.“ Ich schüttelte ungläubig den Kopf, setzte einen Schritt zurück. Das kann nicht sein. Das ist unmöglich! „Du bist tot“ sagte ich mit bebende Stimme. Der dicke Kloß in meinem Hals ließ mich schlucken, doch das erstickende Gefühl verschwand nicht. Sein sanftes Lächeln wurde traurig. Er nickte. „Wie kann das sein?“ hauchte ich. „Geister können sich hier oben, am Mittelpunkt der Welten, ihren liebsten offenbaren“ beantwortete er meine Frage. „Ich war immer an deiner Seite, mein Junge. Und das werde ich auch immer sein.“ Er breitete seine Arme aus und sah mich abwartend an, doch ich rührte mich nicht. Irgendetwas war seltsam. Die Wolken zogen sich zusammen, verschluckten die Gestalt meines Vaters. „Komm schon her, mein Junge“ säuselte er aus dem dicken Schleier der Wolken heraus, doch noch immer konnte ich mich nicht bewegen. Als wolle mich irgendetwas davon abhalten. „Kehr um“ flüsterte die Stimme meines Vaters, als wäre sie weit weg. Was geht hier vor? Langsam setzte ich einen Fuß zurück, dann noch einen. Der Schleier lichtete sich und gab die Gestalt meines Vaters wieder Preis. Seine Haltung war die gleiche, doch sein wahnsinniges Grinsen ließ sein Gesicht einer verzerrten Fratze gleichen. Mein Puls erhöhte sich schlagartig, ich stand da wie erstarrt. „Komm her, mein Junge.“ Ich machte auf dem Absatz kehrt und rannte. Mein Körper reagierte wie von selbst. Was auch immer das war, ganz bestimmt nicht mein Vater. Ich hatte auch keine Lust herauszufinden was sich hinter seiner Maske verbarg. „Yusei!“ rief die Stimme hinter mir wütend. Meine Beine trugen mich automatisch, ich hatte keine Ahnung wohin ich rannte. Hauptsache weg. Durch die dicken Wolken hatte ich meine Orientierung verloren. Plötzlich verzogen sie sich an einer Stelle und ich sah einen Spalt zwischen zwei Felsen. Ohne darüber nachzudenken lief ich darauf zu und quetschte mich durch den engen Eingang. Seitwärts lief ich weiter, folgte dem schmalen Weg zwischen den kühlen Steinen. Ein ohrenbetäubender Knall ließ mich zusammenzucken. Hinter mir klang es, als würden mehrere große Klingen über den Stein kratzen. Das Geräusch ging mir durch Mark und Bein. Der Gang wurde breiter, ich rannte weiter so schnell mich meine Beine tragen konnten. Vor einer Gabelung blieb ich stehen. Ein weiterer Knall hinter mir, die Stimme meines Vaters schrie meinen Namen. Hektisch sah ich die Gänge entlang. Welchen Weg soll ich gehen? Ein warmer Windhauch umspielte meinen Körper, wirbelte den Staub im rechten Gang auf. Instinktiv rannte ich nach rechts. Bis auf meine Schritte, die in dem schmalen Gang von den Felswänden hallten, war nichts mehr zu hören. Ich hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache. Die Steinwand zu meiner Rechten endete und ich rannte auf eine weitläufige Lichtung. Ich blieb stehen und sah mich um. Die Wand zu meiner Linken führte weiter, doch ihr Ende verlief sich im dichten Nebel der Wolken. Auf der Lichtung sah ich nichts als kargen Boden und einige Felsbrocken. Langsam kroch der dicke Wolkenteppich rechts von mir in meine Richtung. Ich drehte meinen Körper zu ihr. „Warum läufst du davon?“ hörte ich die Stimme meines Vaters. Mein Körper zitterte. Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete ich, wie der Kopf meines Vaters aus dem Nebel tauchte. Er schien zu schweben. Was geht hier vor sich?! Ich taumelte einige Schritte nach hinten, bis mir der kühle Stein in meinem Rücken den Weg versperrte. Der Kopf schob sich aus dem Nebel, ihm folgte ein riesiger, blau-grüner Körper. Es war grotesk. Auf seiner Brust war eine runde, knöcherne Platte, sein Körper war nach unten spitz zulaufend. An seinen breiten Schultern waren ebenfalls knöcherne Platten. Seine riesigen Arme waren mit langen, scharfen Krallen besetzt und auf dem Rücken hatte das Monster zwei gigantische Flügelplatten. Sein gesamter Körper war überzogen mit mal dickeren, mal dünneren, silber-grauen Adern. Lautlos schwebte die Kreatur auf mich zu. Mein Herz raste, mein Atem beschleunigte sich. Seine gewaltige Aura jagte einen kalten Schauer durch meinen Körper. Keine Chance. Gegen dieses Monster konnte ich nicht bestehen. Es war viel zu stark. „Komm zu mir, mein Junge“ säuselte die Stimme. Mein Körper war wie gelähmt, das Zittern wurde stärker, während die Kreatur immer weiter auf mich zu schwebte. Ein helles Brüllen riss mich aus meiner Starre, der Kopf meines Vaters sah gen Himmel. „Was ist das?“ murmelte er. Das war meine Chance! Ich nutzte die Ablenkung und rannte an der Felswand entlang in den dichten Nebel. „Bleib stehen!“ schrie das Monster mit der Stimme meines Vaters, aber ich dachte nicht daran stehenzubleiben. Immer weiter rannte ich über den unebenen Boden, versuchte die Schreie hinter meinem Rücken auszublenden. Plötzlich schoben sich die gigantischen Krallen des Monsters zu beiden Seiten in mein Blickfeld, ich spürte einen warmen Atem im Nacken. Mein Körper wurde von einer Gänsehaut überzogen, kalter Schweiß bildete sich auf meiner Stirn, doch ich rannte weiter. „Hiergeblieben“ brummte das Monster. Seine Klauen öffneten sich, bereit zuzupacken. Nein. Ich bin so weit gekommen, ich kann hier nicht sterben! In einer fließenden Bewegung sprang ich auf, drehte mich im Sprung zu ihm, rammte die dünne Klinge zwischen seine Augen, zog das Schwert wieder heraus und landete auf dem Boden. Ohne zurückzublicken rannte ich weiter. Ein wütendes Brüllen. Nach wenigen Metern schoben sich wieder Klauen in mein Blickfeld. Hat ihm das Schwert so wenig ausgemacht? Ich kniff die Augen zusammen und rannte. Mein Weg wurde steiler. Meine Beine brannten. Ein donnernder Knall. Ein qualvoller Schrei. Ich riss die Augen auf, die Klauen waren verschwunden. Was auch immer das war, das Monster wurde wohl aufgehalten. Schnell versuchte ich den Abstand zwischen mir und der Bestie zu vergrößern. Die Wolkendecke wurde heller. Ob ich bald an der Spitze bin? Meine Lunge brannte wie Feuer, meine Beine konnten mich kaum noch tragen, doch ich musste die Spitze erreichen! Ich wollte hier nicht sterben. Ich kniff die Augen zusammen. Die plötzlichen Strahlen der Sonne blendeten mich. Ich stolperte und landete auf dem harten Boden, stöhnte gequält auf. Mit aller Kraft versuchte ich mich aufzurappeln, doch meine Beine versagten mir den Dienst. Stattdessen drehte ich mich auf den Rücken und setzte mich auf. Schwer atmend starrte ich in den dichten Nebel. Das weite Meer aus Wolken um mich herum bewegte sich langsam, wurde mal dichter, mal lichtete es sich wieder. Doch da war keine Spur mehr von diesem Monster. Ob es jetzt endlich vorbei ist? Ein warmer Windhauch umspielte meinen Körper und ich schloss für einen Moment meine Augen. „Gut gemacht“ flüsterte die Stimme meines Vaters im Wind. Was? Ich sah mich um. Eine schemenhafte Bewegung im Nebel. Ich verengte meine Augen zu Schlitzen, um ihren Ursprung auszumachen. In einiger Entfernung erkannte ich die menschliche Gestalt meines Vaters. Ein warmes Leuchten umgab ihn. Auf seinen Lippen lag ein sanftes Lächeln. Langsam dämmerte es mir. Das Flüstern im Wind, der warme Windhauch, der mir den Weg wies. Das war er. Das war mein Vater. Er hatte mich gerettet. Auch ich lächelte ihm entgegen. „Danke“ sagte ich leise. Er nickte und löste sich langsam auf. Verschmolz mit dem dichten Wolkennebel. Traurig sah ich noch eine Weile auf die Stelle an der er verschwunden war. Damals starben meine Eltern hier in der Isekai. Ob sein Geist all die Jahre ruhelos durch diese Welt wanderte? Und was ist mit meiner Mutter? Ob er die ganze Zeit über einsam war? Eine Träne lief mir beim Gedanken daran über meine Wange. Wieder hörte ich das helle Brüllen, das mich auf der Lichtung aus meiner Starre geholt hatte, und sah gen Himmel. Doch da war nichts weiter als eine strahlende, blaue Weite. Zögerlich stand ich auf und drehte mich um. Bis zur Spitze des Berges war es nicht mehr weit. Das gab mir neue Kraft und ich zwang meinen Körper noch etwas durchzuhalten. Der Aufstieg war steil, doch ich begegnete auf meinem Weg glücklicherweise keinem neuen Monster, das mich angreifen wollte. Je näher ich der Spitze kam, umso deutlicher konnte ich meinen Herzschlag spüren. Oben angekommen stand ich auf einer verlassenen Ebene und ging zögerlich in die Mitte. Wo ich auch hinsah, ich war umgeben von einem weißen Meer aus Wolken. An einigen Stellen rissen sie auf und legten den Anblick auf die Landschaft darunter frei. Es war wunderschön und so friedlich. Plötzlich hörte ich Schritte und drehte mich hektisch um. Am Rand der Ebene stand ein Magier in einer violetten Rüstung und beobachtete mich aufmerksam. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Seine Aura war unglaublich stark. Langsam kam er auf mich zu. Sollte er mich jetzt angreifen, hätte ich keine Chance mehr. Er war zu stark und blockierte meinen einzigen Fluchtweg. Plötzlich hob er sein Zepter, wirbelte es durch die Luft und setzte zu einem Schlag an. Ich kniff die Augen zusammen und erwartete den Schmerz, doch da war nichts. Zögerlich hob ich meine Lider. Der Magier sah mich abwartend an. Neben ihm hatte sich ein mannshoher, schwarzer Riss mitten in der Luft aufgetan. Mit einer Kopfbewegung deutete er auf ebenjenen Spalt. Will er… wirklich, dass ich da durchgehe? Ich schluckte trocken und sah in die tiefe Schwärze, dann wanderte mein Blick wieder zu dem Magier. In seinen violetten Augen lag eine unendliche Ruhe, die mich langsam beruhigte. Er wollte mir nichts Böses. Da war ich mir sicher. Ich nickte ihm zu. Ein letztes Mal atmete ich tief durch und sprang mit einem Satz in die Dunkelheit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)