Ter´nak Band 1: Wind von Drachenlords ================================================================================ Kapitel 18: Die Hauptstadt -------------------------- Am nächsten Morgen wachte ich auf. Das Erste, was mir auffiel war, mir war warm, aber so richtig warm. Ich sah mich blinzelnd um und riss die Augen auf. Wie immer lag Lucky auf meiner Brust, links daneben ruhte Rogues schwarzer Wuschelkopf. Das Seltsame war nur, dass sich da noch eine weitere Person an mich schmiegte. Rechts von mir lag Aaron, den silbrig grauen Haarschopf auf meine Schulter gebettet, mit einem Arm um meine Tailie gelegt. »Was zum?«, fragte ich in den Raum hinein. Mein Ausruf weckte die Bande. Während Lucky und Rogue ungläubig zu Aaron starrten, hob dieser den Kopf und brummte: »Guten Morgen.« Komplett neben der Spur beobachtete ich ihn dabei, wie er aus dem Bett stieg und sich streckte, nackt wohlgemerkt. Leider konnte ich es mir nicht verkneifen, die schöne Aussicht zu genießen. Energisch schüttelte ich den Kopf und fuhr Aaron an: »Was machst du hier?« »Schlafen, natürlich«, meinte er. Dann warf er mir einen Blick zu, als ob das klar gewesen wäre. »Das meine ich nicht«, begann ich zu toben. Schnell sprang Lucky von meiner Brust. Sie positionierte sich zwischen mir und Aaron und knurrte ihn an. »Was hast du in unserem Bett zu suchen?« Aaron runzelte die Stirn. Sich keiner Schuld bewusst, zuckte er mit den Schultern und erklärte: »Wir sind doch eine Gruppe, da schläft man eben zusammen.« Ratlos wandte ich mich an Rogue. »Ticken alle Wolfsmenschen so?« »Keine Ahnung, ist wohl auch so’n Rudelding«, antwortete er mir zögerlich. »Wenn wir schon mal bei dem Thema sind«, begann Aaron, während er vor unseren Augen anfing, Kniebeugen zu machen. »Wir brauchen ein größeres Zelt. In das kleine Ding, das ihr in der Nacht im Wald hattet, passe ich nicht mit rein.« Sprachlos glotzten wir ihn an, selbst Lucky vergaß, weiter zu knurren. Ich fragte mich, ob es einen Sinn machen würde, weiter mit ihm über dieses Thema zu reden. Vorsichtig fragte ich: »Aaron, willst du von nun an immer bei uns schlafen?« Voller Inbrunst nickte er mir zu, während er in aller Seelenruhe zu Liegestützen überging. Aus einem mir unerfindlichen Grund stellte sich Lucky so vor mich, dass mir die aufreizende Aussicht versperrt wurde. Unsere Augen trafen sich. Tadelnd starrte sie mich nieder. Ich seufzte und wandte mich ab. »Hey, Aaron würde es dir etwas ausmachen, dir etwas anzuziehen?« »Ich finde es so besser. Kleidung schränkt mich in meiner Bewegungsfreiheit immer so ein.« Neben mir stöhnte Rogue auf. Sarkastisch sagte er: »Da haben wir uns aber einen Prachtkerl in die Gruppe geholt.« Vom Boden her erklang: »Danke. Wenn du fleißig an dir arbeitest, dann kann aus dir auch mal ein echter Mann werden.« Ich verbarg das Gesicht mit den Händen. Womit hatte ich das nur verdient? Fest nahm ich mir vor, Aaron nochmal auf das Thema gemeinsam schlafen anzusprechen. Jedoch hatte ich keine Hoffnung, dass es etwas bringen würde. Damit würden wir uns wohl alle abfinden müssen. Allen voran Lucky und Rogue. Ich hatte nichts gegen seine Gesellschaft in meinem Bett. Wenn Aaron doch nur schwul oder wenigstens bi wäre, seufz … * Ausreichend gestärkt, wanderten wir nach dem Frühstück zum Kontor. Direkt hinter dem Eingang trafen wir auf Garret, der gerade dabei war, das Beladen seines Wagens zu beaufsichtigen. »Guten Morgen«, sagte ich zu ihm. »Nicht so langsam, Bewegung! In einer Stunde will ich abreisebereit sein. Zeit ist Geld.« Garret wandte sich mir zu. »Guten Morgen Jungs.« Vernachlässigt bellte Lucky, die auf meiner Schulter lag, hell auf. »Und Madame«, fügte er rasch hinzu. »Gibt es einen besonderen Grund für euer Erscheinen?« »Ja«, sagte ich und sah mich in dem großen Raum um. »Wir suchen jemanden, der mir die Wölfe abkauft und mir sagen kann, wie viel ein Flug zur Hauptstadt kostet.« Irritiert runzelte Garret die Stirn, dann breitete sich ein Lächeln in seinem Gesicht aus. Er hob den Kopf und rief: »Hey Sonja, komm mal her, ich habe einen Kunden für dich.« Aufgebrezelt, in einem grünen Seidenkleid, rauschte Sonja auf uns zu. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du mich nicht einfach so rufen sollst. Ich leite dieses Kontor.« Garret grinste und schlang einen Arm um sie. »Ach jetzt, hab dich mal nicht so. Alle hier wissen, dass du der Boss bist. Schau doch mal, wer hier ist. Adrian möchte mit dir reden.« Augenblicklich sah sie zu mir. Mit einem aufgesetzten Lächeln fragte Sonja: »Wie darf ich dem großen Retter des Waldes behilflich sein?« Schnell riss ich mich zusammen und sagte: »Ich wollte fragen, wieviel ein Flug nach Lusira kostet.« »Dreihundert Drachmen pro Person.« »Uff«, entwich es mir, »und wie lange dauert die Reise zu Fuß?« Sonja runzelte die Stirn. »In etwa zwanzig Tage, würde ich schätzen.« So lange? Ne, darauf konnte ich gut und gerne verzichten. »Mit Pferden wären es in etwa sechs Tage. Am schnellsten geht es natürlich mit dem Gleiter, der benötigt gerade mal zwei Stunden für die Strecke. « Nachdenklich sah ich Rogue an: »Was meinst du?« »Ich bin fürs Fliegen«, grinste er mich an. »Aaron?« »Ich auch.« Ich wandte mich wieder an Sonja. Das würde unsere Kasse zwar sehr in Mitleidenschaft ziehen, aber es ging wohl nicht anders. Wobei …, ich schielte zu Rogue hinüber. Als hätte Sonja meine Gedanken gelesen, sagte sie zuckersüß: »Der Preis ist nicht verhandelbar.« Geschlagen ließ ich den Kopf hängen. »Gut, dann bitte drei Tickets.« »Ich brauche keines«, meinte Aaron auf einmal. Ich sah zu ihm und hob eine Augenbraue. »Warum nicht?« »Ich habe noch einen Auftrag in Lusira.« Erwartungsvoll starrte ich ihn an. Aber es kam nichts mehr. Innerlich ermahnte ich mich zur Ruhe. »Soll das heißen, wenn ein Abenteurer einen Auftrag hat, dann fliegt dieser gratis?« Aaron sah mir in die Augen und nickte. »Ja, solange der Flug direkt zum Ziel des Auftrags führt schon.« »Warum sagst du das nicht gleich?« »Du hast nicht gefragt. Außerdem kümmerst du dich um die Reisekosten. Das geht mich also nichts mehr an.« Ich hätte auf der Stelle in Tränen ausbrechen können. Wie konnte dieser Wolfsmensch nur so einfältig sein. Fast hätte ich unsere hart verdiente Kohle zum Fenster rausgeworfen. Strafend warf ich Rogue einen Blick zu. Schnell hob dieser abwehrend die Hände. »Das wusste ich nicht. Ich bin ebenso lange Abenteurer wie du, hast du das schon vergessen?« Meine Augen suchten ihr nächstes Opfer, jedoch zuckte Garret nicht einmal mit den Wimpern. »Sorry, mein Junge«, lachte er. »Aber Familie geht vor Freundschaft.« »Familie?« Fassungslos starrte ich zwischen ihm und Sonja hin und her. Ich fand, sie war ein wenig zu jung für den alten Geizkragen. Oder … Verschlagen grinste Garret mich an, während er sie an sich drückte: »Oh, habe ich das gar nicht erwähnt. Sonja ist meine Tochter.« Ich hatte es geahnt. Das erklärte so einiges. Vor allem warum sie so gut über uns Bescheid wusste. Beherzt entwand sich Sonja dem Zugriff ihres Vaters. »Lass das, du alter Zausel.« Sie warf mir einen strengen Blick zu. »Ich nehme an, damit sind die Tickets vom Tisch. Gibt es sonst noch etwas? Ich muss zurück an die Arbeit.« Schnell warf Garret ein: »Adrian wollte noch ein paar exquisite Felle verkaufen.« Das konnte er vergessen. Nach dieser Show vertraute ich hier keinem mehr. Ich war beleidigt ob dieser Finte, versuchte aber dennoch, Haltung zu bewahren. So ruhig ich konnte, erwiderte ich: »Ich habe mich dazu entschieden, die Wölfe in der Stadt zu verkaufen und mir den Zwischenhändler zu sparen.« Abermals lachte Garret auf. »So langsam lernst du, wie der Hase läuft. Vielleicht wird doch noch ein Geschäftsmann aus dir.« Sonja schüttelte den Kopf und stampfte klackernd mit ihren hochhackigen Schuhen davon. Eines musste ich ihr lassen, dieser Abgang hatte etwas. So wie ihr Kleid sie dabei umwehte, konnte man annehmen, dass sie mit Windmagie nachgeholfen oder sehr viel Übung im Davonstürmen hatte. Damit war dann wohl alles gesagt. Während Garret sich weiterhin grinsend um seinen Karren kümmerte, machten wir uns aus dem Staub. * Etwa zwei Stunden später bestiegen wir den Gleiter. Im Gepäck einen neuen Auftrag. Irgendwas von wegen Riesenratten in der Kanalisation töten. Aaron meinte, das wäre eine Kleinigkeit. Da der Auftrag für eine Person des Goldranges war, stimmte das wohl auch. Zu dritt sollten wir damit keine Probleme bekommen. »Du sag mal, Aaron. Was ist denn dein Auftrag, den du noch hast?« »Riesenkakerlaken töten.« Ich musste dringend lernen, meine Fragen anders zu formulieren. Also begannen wir ein lustiges Frage-Antwort-Spielchen. Ich begann mit: »In der Kanalisation?« »Ja.« Ich runzelte die Stirn. »Zwei Aufträge für denselben Ort?« »Ja.« »Warum?« »Es stinkt dort.« »Weiter.« »Die Menschen mögen das nicht.« Schlaumeier. Wer wollt schon freiwillig im Abwassersystem rumrennen. »Gibt es viele unerledigte Aufträge für die Kanalisation?« »Ja.« Entnervt riss ich die Hände in die Luft. Ich gab es auf. Auf diesem Weg würde es ewig dauern, dem Kerl Informationen zu entlocken. Die Schiffsglocke erklang und der Mann am Ruder verkündete: »Abflug in einer Minute.« Wir standen ganz vorn auf dem Oberdeck, direkt an der Reling. Wie schon von unten zu sehen war, glich der Gleiter einem Schiff, nur ohne Mast und Segel. Das Oberdeck war für Passagiere und Crew reserviert, das Unterdeck für den Warentransport. Irgendwo dort unten musste auch der Antrieb dieses Himmelsschiffes sein. Zu gerne hätte ich mir diesen genauer angesehen. Aber leider war der Zutritt für Unbefugte nicht gestattet. Tröstend war allerdings die Aussicht von hier oben. Hinter uns das weite Meer, mit seinen schäumenden, weißen Wellenkronen. Unter uns der Handelsposten Meerblick und vor uns eine ewig weite Graslandschaft, nur von wenigen Bäumen, Sträuchern und vereinzelten Wegen durchbrochen. Ich schaute der Besatzung zu, wie sie die Seile losmachten. Dabei fiel mir auf, dass, bis auf meine zwei Begleiter, keine Tiermenschen an Bord waren. Die Mannschaft bestand rein aus muskelbepackten Männern. Dann erklang abermals die Schiffsglocke. »Festhalten, wir starten jetzt. Nächster Halt: Lusira.« Es gab einen unerwartet starken Ruck, der mich ins Straucheln brachte. Gerade noch rechtzeitig schaffte ich es, mich an der Reling festzuklammern. Im nächsten Moment schossen wir auch schon durch den Himmel. Der Fahrtwind schlug uns allen ins Gesicht. Während Aaron unbeeindruckt und, ohne sich festzuhalten, den Kopf in den Wind streckte, duckte sich Rogue auf den Boden, um nicht davongeweht zu werden. Mit aller Kraft hielt ich mich an der Reling fest. Zu sehen, wie die Landschaft immer schneller an uns vorbeizog, wollte ich keinesfalls verpassen. Wenn nur dieser Wind nicht wäre. Ich blinzelte. Für was, wenn nicht dafür, war ich ein Magier? Während ich meine Magie mobilisierte, stellte ich mir einen schützenden Kokon vor, der mich umgeben sollte. Schlagartig verschwand der Wind, was mich aus dem Gleichgewicht brachte. Fast wäre ich kopfüber vom Schiff gefallen, wenn Aaron mich nicht reflexartig festgehalten hätte. Mein Gesicht brannte vor Scham. »Danke, dir.« »Was?«, schrie er mir entgegen. Natürlich. Meine Magie schützte nur mich. Ob ich das Schild ausdehnen könnte? Einen Versuch war’s wert. Ich konzentrierte mich und stellte mir vor, dass auch meine Freunde mit in diesen schützenden Kokon eingehüllt wurden. Einen Moment später blinzelte mich Aaron irritiert an. »Wo ist denn der Wind auf einmal hin? Sehr seltsam.« Rogue hob den Kopf und seufzte laut auf. »Das ist schon viel besser.« Ungehalten verpasste ich beiden eine Kopfnuss. »Das heißt: Dankeschön.« Während sich die beiden den Kopf rieben, warf ich einen Blick über die Landschaft. Von hier oben sah alles so winzig aus, fast als wäre die Welt ein Puppenhaus. Insgeheim fragte ich mich, ob ich mithilfe meiner Magie fliegen könnte. So schnell, wie der Gedanke gekommen war, verschwand er wieder. So ein Unsinn. Das wäre doch unmöglich. Mit rasantem Tempo schoss der Gleiter durch die Luft, wobei seine Flügel sich sanft im Wind auf- und abbewegten. Auch wenn es nicht viel zu sehen gab, fesselte mich die Aussicht von hier oben. Ich konnte mich gar nicht sattsehen. Lediglich Lucky gefiel die Reise nicht so sehr. Zitternd hatte sie sich, um meinen rechten Fuß zusammengerollt. Ich bot ihr an, Rückzug einzusetzen, aber das lehnte sie vehement ab. Kopfschüttelnd hob ich wieder den Blick. Wer nicht hören will, der muss fühlen. * Nach gut eineinhalb Stunden kam langsam Lusira in Sicht. Als Erstes sah ich den Windturm, der wie eine spitze Nadel in den Himmel ragte. Schon bei meinem Sturz aus dem Himmel hatte ich kurz dieses Bauwerk bewundern können, nun jedoch war Zeit, genauer hinzusehen. Er bestand aus einem grünlichen Kristall, der sich spiralförmig in die Luft schraubte wie ein Wirbelwind. Obwohl die Sonnenstrahlen von seiner glatten Oberfläche reflektiert wurden, schien er von innen heraus zu leuchten. Drumherum ragten kleine dunkle Umrisse aus dem Boden, die sich wenige Minuten später als eine gewaltige Stadtmauer aus grün bemaltem Stein und etlichen Gebäuden entpuppten. Offenbar hatten die Einwohner von Lusira versucht, ihre Architektur an den Windturm anzupassen. Nahezu alle Gebäude besaßen spitze, spiralförmige Dächer in unterschiedlichen Grünfarben. Nur vereinzelt sah ich Häuser, die ein Flachdach oder ein Satteldach vorzuweisen hatten. Je näher wir dem Zentrum, in dem der Windturm stand, kamen, desto imposanter wurden die Gebäude. Am eindrucksvollsten waren drei riesige Gebäude in unmittelbare Nähe zum Windturm. Das Erste war eine Art Palast. Dieses Bauwerk hatte die zweithöchsten Türme, wobei die spiralförmigen Spitzen nicht aus Ziegeln, sondern aus grünem Kristall zu bestehen schienen. Umgeben von einem großen, fein säuberlich angelegten Palastgarten, konnte dies nur der Sitz des Königs sein oder der Königin. Abermals musste ich einsehen, wie lückenhaft mein Wissen doch war. Das zweite Gebäude war eine große Kathedrale, anders konnte ich dieses gotisch anmutende Bauwerk nicht klassifizieren. Das gesamte Gebäude bestand aus weißem Stein, der kunstvoll zu etlichen Säulen, Türmen und anderen Verzierungen ausgearbeitet worden war. Im Gegensatz zu allen anderen Bauwerken, besaß die Kathedrale weiße Spitzen. Auf dem Hauptturm prangte ein gewaltiger, stahlendweißer Kristall, umgeben von vier kleineren Kristallen. Je einer in der Farbe Gelb, Grün, Rot und Blau. Dieser Turm überragte alle anderen Bauwerke bei Weitem. Ein goldenes Band zog sich um seine Mitte und ließ ihn dadurch noch majestätischer aussehen. Mein Blick wanderte zum dritten Gebäude. Gegenüber den anderen beiden war es eher schlicht gehalten. Ein großes viereckiges Gebäude mit hohen grünen Spiraltürmen. Dieses fünfstöckige Bauwerk wurde von einer Reihe kleinerer Häuser im selben Stil umgeben. Das Ganze kam mir vor, wie eine Art Unigelände. Das große Wappen über dem Haupteingang zeigte eine Miniaturversion des Windturms in grün, auf schwarzen Hintergrund. Bestimmt war das die Akademie der Magier. Der Gleiter bog leicht nach rechts ein und steuerte einen hohen Holzturm an, der etwas abseits der Stadtmitte aufgebaut worden war. Selbst dieser hatte ein grünes Spiraldach vorzuweisen. Staunend warf ich einen Blick nach unten. Auf den Straßen schlenderten unzählige Leute umher. Es gab Plätze mit Marktständen, aber auch Geschäfte, die ihre Waren direkt vor der Tür ausstellten. Das musste der Handelsbezirk sein. Ich konnte es kaum erwarten, den Gleiter zu verlassen und mir die Waren anzusehen. Ich war ehrlich gespannt darauf, was ich alles zu sehen bekommen würde. Sanft dockte das Flugschiff am Turm an. Während die Besatzung bereits dabei war, die Waren auszuladen, begaben wir uns auf den Weg in die Stadt. Kurze Zeit später bestaunte ich die Geschäfte nahe des Kontors. Es gab von allem etwas. Diverse Schwerter, Äxte, Hellebarden, Bögen, Armbrüste, ja sogar einfache Schusswaffen. Jedes Geschäft hatte sich offenbar auf eine bestimmte Warenart spezialisiert. Weit über ein mit rotem Samt ausgelegten Podest gebeugt, begutachtete ich ein mit Gold und Juwelen gespicktes Bastardschwert - ein Eineinhalbhänder. Mein Blick fiel auf das Preisschild: 500.000 Drachmen. Ich schüttelte den Kopf und ging weiter. Bisher wusste ich noch recht wenig über Waffen, aber dieses Schwert war bestimmt nicht für den Kampf, sondern allein zum Protzen gefertigt. Demnach für uns absolut uninteressant, da für mich der Nutzen im Vordergrund stand. Außerdem hatten wir bei Weitem nicht genügend Kohle für so einen Unsinn. Ein Stand weiter rechts sah ich eine glänzende, silbrige Plattenrüstung mit goldenen Ornamenten. Wie in meinem alten Leben, sollten die ausgestellten Waren die Leute zum Staunen bringen. Ich wandte mich ab und schlenderte mit den anderen im Schlepptau die Straße entlang. Mal hier, mal da warf ich einen Blick auf die ausgestellten Waren, hielt aber nicht an. »Ich könnte ein paar neue Dolche gebrauchen«, meinte Rogue, während er an mir vorbeisprang und an einem Geschäft für ebendiese stehenblieb. »Bevor wir etwas kaufen, möchte ich mich umsehen. Ich gehe davon aus, dass hier auf der Hauptstraße alles wesentlich teurer ist, als wenn wir ein kleines Geschäft in einer Seitenstraße besuchen.« Vor allem Nahe des Kontors würde meine Hypothese sicher zutreffen. Dort wo es viel Laufkundschaft gab, waren die Preise entsprechend hoch. Als Vergleich zog ich einen Flughafen oder einen Bahnhof aus meinem alten Leben in Betracht. »Das stimmt«, war Aarons Kommentar zu meiner Überlegung. Ich legte Rogue einen Arm über die Schuler und zog ihn vom Schaufenster weg. »Ich verspreche dir, du wirst neue Waffen bekommen, aber nicht hier und nicht jetzt. Als Nächstes steht ein Besuch in der Windakademie auf der Tagesordnung. Je nachdem was wir dort erfahren, sehen wir weiter.« Innerlich hoffte ich, dass Felix’ Empfehlungsschreiben mir ein kostenloses Zimmer einbringen würde. Dann müsse ich mir darum schon mal keine Gedanken mehr machen. Vor uns öffnete sich die gepflasterte Straße zu einem großen Marktplatz. Hier gab es allerlei Nahrungsmittel. Von Obst und Gemüse über verschiedenes Fleisch, Fisch oder andere Meeresfrüchte, bis hin zu Gewürzen. Ein ganz normaler Markt eben. Neben einem Stand, der Milch und Eier anbot, konnte man fertiges Essen erstehen. Mein Magen rumorte laut auf, als mir der saftige Geruch von gegrilltem Fleisch in die Nase stieg. Auch meine Begleiter warfen dem Stand einen hungrigen Blick zu. Rasch trat ich näher und fragte: »Wie viel kostet ein Fleischspieß?« Der Verkäufer antwortet sofort: »Zehn Drachmen, werter Magier.« Wucher! Im Stillen hatte ich mit doppelten, vielleicht dreifachen Preisen gerechnet. Ein solcher Spieß würde mich in Meerblick eine Drachme kosten, hier das zehnfache. Rein aus logischer Sicht, sollte ich die Finger davon lassen. Ein Blick in die weit aufgerissenen Augen meiner Kameraden genügte mir, um zu wissen, dass nicht nur ich Hunger hatte. Was kein Wunder war, denn wir hatten das Mittagessen ausgelassen. Beim Gedanken an die Notrationen in meinem Seesack siegte mein Magen über meinen Verstand. Leise murrte ich vor mir hin: »Ausnahmsweise.« Dann bestellte ich drei gegrillte und einen rohen Fleischspieß. Um 38 Drachmen ärmer übergab ich meinen hungrigen Mitstreitern je eine Portion. Den seltsamen Blick, den mir der Verkäufer dabei zuwarf, ignorierte ich gekonnt. »Esst, solange es noch warm ist.« Ich nahm einen Bissen und seufzte laut auf. Das zarte Fleisch war einwandfrei gewürzt und ließ nichts zu wünschen übrig. Während ich mir genüsslich diesen Leckerbissen auf der Zunge zergehen ließ, ging ich in die Hocke, um Lucky mit ihrem Anteil an der Beute zu füttern. Ohne Gier nahm sie einen Brocken an, wobei sie mir anschließend die Finger sauber leckte. So ganz hygienisch war das zwar nicht gerade, aber es war Lucky, die durfte das. »Ihr zwei da, stehen bleiben«, brüllte eine Stimme über den Markt. Von unten her hob ich den Blick und sah zwei Männer auf uns zukommen. Anhand ihrer Uniform, dem grünen Umhang und dem Pegasus-Wappen, musste es sich hierbei um Wachsoldaten handeln. Die beiden Soldaten bahnten sich einen Weg auf uns zu. Der Rechte hob eine Hand und zeigte auf Rogue. »Du da, woher hast du das Geld, um dir so etwas zu leisten? Spucks schon aus, du diebische Kanalratte.« Entsetzt über diesen Vorwurf, blieb ich, wo ich war. Ich konnte keinen Finger rühren. War es das, was die beiden gemeint hatten? Tiermenschen zu beschuldigen, gestohlen zu haben, nur weil sie sich einen Fleischspieß leisten konnten? In diesem Augenblick fiel mir etwas auf: Um uns herum, sowie auf der Straße, hatte ich bisher nur Menschen gesehen. Demnach hatten die Wachen die einzigen beiden Tiermenschen weit und breit ins Visier gekommen. Ein klassischer Fall von ethnischer Diskiminierung. In meinem Inneren wetteiferten Wut und Empörung miteinander. Ich sah genau, wie Rogue, der vor mir stand, zusammenzuckte und sich kleinmachte. »Das war ein Geschenk von meinem Meister.« Meister? Bisher hatte er mich nie so betitelt. Derart unterwürfig hatte ich den Bengel ebenfalls noch nicht erlebt. Weder eine Beleidigung noch ein dummer Spruch. Rogue hatte Angst, das konnte ich gut an seinem Schweif sehen, der sich um sein rechtes Bein schlängelte. »Du wagte es, mir ins Gesicht zu lügen? Na warte, dir prügel ich Manieren in die weiche Birne.« Genug war genug, mit einem Ruck erhob ich mich und stellte mich vor Rogue den beiden Herren in den Weg. Erzürnt plusterte ich mich auf und sagte: »Fass ihn an und du bekommst es mit mir zu tun.« Irritiert starren die Soldaten mich an. Der Rechte fragte: »Und du bist?« Ein Kollege stieß ihn an und flüsterte: »Pass auf Walter, der is ein Magier.« »Das sehe ich selbst, Bernd«, brummte Walter zurück. Ob die beiden wussten, dass wir jedes Wort hörten? So ganz sauber schienen die mir nicht zu sein. Nur zur Vorsicht wagte ich einen Blick auf ihre Charakterbogen: Beide waren Krieger im Rang Anfänger. Anhand ihrer wenigen Skills entschied ich, dass sie keine Bedrohung darstellten, weder für mich, noch für Rogue oder Aaron. Die beiden waren zwar rüpelhafte Aufschneider, dennoch war es keine gute Idee, wenn ich mich mit ihnen anlegte. Ich musste mir dringend mal die Gesetze zu Gemüte führen. Aber das half mir jetzt gerade wenig. »Schau doch mal, der Katzenbengel hat ein Sklavenhalsband. Mit einem Magier aus gutem Hause sollten wir uns besser nicht anlegen. Das könnte Ärger geben«, flüsterte Bernd. Nachdenklich schnalzte Walter mit der Zunge. »Der ist noch recht jung. Bestimmt erst ein Novize. Würde mich wundern, wenn er auch nur einen Zauber kennt.« Normalerweise würde ich ihr Gerede ignorieren, aber ich konnte mich nicht zügeln. »Ich kann euch hören.« Die beiden zuckten erschrocken zusammen. Meine Güte, wenn solche Flachpfeifen hier ihren Dienst taten, konnte es um das Königreich nicht so gut stehen. Um mich selbst etwas zu zügeln, verschränkte ich die Arme vor der Brust. »Nur zu eurer Information. Ich bin ein Malachitabenteurer. Und Aaron hier, ist sogar im Opalrang.« Sie folgten meinem Kopfnicken. »Was? Der Wolfsmensch soll im Opalrang sein?«, fragte Bernd überrascht. Walter hingegen warf Aaron einen bösen Blick zu, dann starrte er mich hochnäsig an. »Beweis es!« »Walter, Bernd, was soll dieser Tumult hier?«, rief eine strenge, Achtung heischende Stimme. Mit einem Schlag waren die beiden Wachen wie ausgewechselt. Strammstehend salutierten sie vor dem Neuankömmling und riefen im Chor. »Sir, wir erledigen unsere Arbeit, Sir.« Ein Blick genügte mir, um zu wissen, mit diesem dritten Soldaten war nicht zu scherzen. Sein kantiges Kinn, gemischt mit seiner finsteren Miene würde ausreichen, um Milch sauer werden zu lassen. Perfekt poliert, glänzten einige silberne Ornamente auf seiner akkurat sitzenden Lederrüstung mir entgegen. Allein sein Auftritt deutete schon darauf hin, dass dieser Mann kein Anfänger war und ich mich mit ihm besser nicht anlegen sollte. Ein Blick in seinen Charakterbogen enthüllte: Titus war ein Hauptmann der königlichen Armee, im Kriegerrang Experte. Demnach war seine Stärke mindestens vergleichbar mit Aarons. Titus ging an seinen beiden Handlangern vorbei und baute sich vor mir auf. »Dürfte ich Sie bitten, mir Ihre Papiere zu zeigen?« Immerhin war er einigermaßen freundlich. Rasch griff ich in meinem Seesack und zog meinen, sowie Rogues Abenteurerausweis hervor. Er nickte mir zu und wandte sich an Aaron. »Gib mir deinen Ausweis, Tiermensch.« In aller Seelenruhe griff Aaron in seine Hosentasche und übergab Titus das Geforderte. Anders als bei mir, prüfte der Hauptmann diesen Ausweis genau. Er schürzte die Lippen und gab ihn Aaron zurück. Titus’ Augen richteten sich wieder auf mich. »Bitte entschuldigen Sie die Störung, werter Magier. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.« Der Kerl sprach nur mit mir, als ob Aaron und Rogue Luft wären. Bevor ich auch nur ein Wort sagte, ermahnte ich mich selbst, höflich zu bleiben. Ich deutete eine Verbeugung an und erwiderte: »Ich wünsche Ihnen ebenfalls einen schönen Tag.« Nichts wie weg hier, bevor ich noch die Beherrschung verlieren würde. Ruckartig drehte ich mich um und ging einen Schritt. Titus rief mir hinterher: »Achten Sie bitte darauf, Ihren Sklaven gut im Auge zu behalten. Sollte es etwas stehlen, dann werden wir Sie zur Rechenschaft ziehen.« Wie angewurzelt blieb ich stehen und ballte die Fäuste. Genug war genug. In dem Augenblick, da ich umdrehen wollte, um dem Kerl meine Meinung zu geigen, griff Rogue nach meinem rechten Arm und sagte: »Meister, Ihr müsst Euch beeilen, sonst kommt Ihr zu spät zu Eurem Termin.« Wutentbrannt warf ich ihm einen Blick zu. Mit weit aufgerissene Augen starrte Rogue zurück. Kaum merklich schüttelt er den Kopf, während er stumm die Lippen bewegte: »Tu es nicht.« Es kostete mich einige Anstrengung, meine Wut hinunterzuschlucken, aber ich tat es. Wenn Rogue der Meinung war, wir sollten die Sache auf sich beruhen lassen, dann sollte ich ihm vertrauen. Zwischen meinen zusammengepressten Zähnen zischte ich: »Du hast Recht, lass uns gehen.« Gut zwei Querstraßen später stoppte ich abrupt. Mit geschlossenen Augen atmete ich bewusst ein und aus. »Verhalten sich die Wachen immer so?« Zwar hatte ich nicht direkt Rogue angesprochen, jedoch war er es, der antwortete: »Ja.« »Verstehe«, brummte ich vor mich hin. Entschlossen hob ich den Blick. Wie ich es mir bereits auf meine imaginäre Liste geschrieben hatte, war es nun an der Zeit, mehr über diese Welt, ihre Gesetze und Sitten zu erfahren. »Aaron, du kennst dich doch hier aus oder? Führe uns bitte auf direktem Weg zur Magierakademie.« Flüsternd fügte ich hinzu: »Wollen doch mal sehen, welche Türen sich uns öffnen.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)