Bazar Noir von MizunaStardust ================================================================================ Kapitel 3: Nachtleben --------------------- 3. Nachtleben „Gab es nie einen Moment in den letzten Monaten, in denen du Kaiba zurückhaben wolltest?“, fragte Umko, als er anderthalb Wochen nach dem Videodreh neben Yami her über einen großen belebten Platz in Kairo lief. Sie hatten jeder ein Getränk in der Hand und flanierten ausgelassen durch die zahlreichen Reihen voller Stände. „Ehrlichgesagt: Doch, es gab so einige“, gestand Yami etwas beschämt, „aber am nächsten Tag habe ich meistens wieder klargesehen. Es wäre nicht gutgegangen, wenn ich in mein altes Leben zurückgegangen wäre. Ich bin noch nicht soweit, mich wieder auf Seto einzulassen. Und ich denke, Seto weiß das insgeheim auch. Aber wir haben uns immerhin ausgesprochen und ich hab meinen Groll und meine verletzten Gefühle abhaken können.“ „Und jetzt?“, fragte Umko neugierig und versuchte dabei einen Blick auf Yamis tiefgründige Augen zu erhaschen. „Jetzt – mache ich mir darüber einfach mal keine Gedanken. Ich nehme die Dinge gerade, wie sie kommen.“ Umko nickte lächelnd. Er bewunderte Yami für seinen Lebenswandel. Früher war der hübsche, zierliche junge Mann ihm selbst sehr ähnlich gewesen: Planvoll, strukturiert, pflichtbewusst. Alles Dinge, die sein Ex-Mann Limono nicht von sich behaupten konnte. Umko wollte es so sehr, wollte sich ebenfalls verändern, lockerer werden. Er dachte an einen Moment vor einigen Wochen zurück. Er war mitten in einem öden zweiten Date gewesen. Nach dem Restaurant wollte seine Verabredung unbedingt einen Abstecher ins BlackRainbow machen, ausgerechnet in den Club, der Limono gehörte – nun sogar auf dem Papier. Insgeheim hatte ihn bereits der Verdacht beschlichen, dass Yuichi, sein Date, ihn ebenso langweilig fand, wie er diesen fand. Als sie den Vorplatz überquerten, konnte Umko bereits von weitem den Mann ausmachen, dem er heute Abend nicht hatte begegnen wollen. Seine wie immer makellose, elfengleiche Erscheinung schlenderte über den Hof, bekleidet mit einem roten Mantel, der mit seinem Haar kontrastierte, sofern man keine Rotgtrünschwäche hatte. Begleitet wurde er von seinem unverschämt attraktiven besten Freund Siegfried. Die letzte Hoffnung, dass sie ihn vielleicht gar nicht entdecken würden, erstarb, als Sigis Blick direkt auf seinen traf, und dieser Limono mit einem Fingerdeut sofort über seine Anwesenheit informierte. „Hey Umko“, die beiden kamen zu ihnen herüber. „Oh … hi. Ich hab euch gar nicht wahrgenommen“, log Umko. Limonos Blick inspizierte Yuichi unverhohlen von oben bis unten. Etwas, das er sich leisten konnte, ohne unverschämt zu wirken. „Schön, dich hier zu sehen – und deine Begleitung natürlich. Ich hoffe, ihr habt eine gute Zeit hier“, sagte er, ganz der charmante Gastgeber. „Oh, danke. Umko, willst du uns nicht vorstellen?“, kritisierte Yuichi unbedarft. „Entschuldige. Natürlich. Yuichi, das sind Limono und Sigi. Das ist Yuichi Hino.“ „Ohhh“, eine Erkenntnis schien Yuichi zu treffen, „Das ist Limono? Dein Ex-Mann Limono?“ „Richtig.“ Spätestens jetzt bereute Umko es, so viel geplaudert zu haben. „Wow!“, platzte es aus Yuichi heraus. „Freut mich! Witzig, dass ihr euch heute beide mit Dates trefft, oder? Das flasht mich gerade echt. Limono, Sigi, ihr seid beide so attraktiv, wenn ich das sagen darf! Umko, sind sie nicht ein tolles Paar? Wie die Hauptbesetzungen in einem Hollywoodfilm! Dagegen wirken wir echt glanzlos. Oder was meinst du?“ Er griff nach Umkos Arm, um seine Worte zu unterstreichen. „Ja, ganz reizend“, knurrte Umko zähneknirschend. Limono und Sigi tauschten einen vielsagenden und amüsierten Blick. „Vielen Dank. Das hören wir öfter“, sagte Limono nicht minder charmant. Er machte sich nicht die Mühe, irgendwas aufzuklären, sondern schwebte wenige Augenblicke später neben Sigi davon. Umko wollte das alles nicht mehr. Er wollte nicht mehr derjenige sein, dessen Leben stillstand. Aber er konnte auch nicht so einfach aus seiner Haut. „Yami, zeig mir, wie du es machst“, bat er seinen Freund unvermittelt. Dieser blickte ihn überrascht an. „Was meinst du?“ „Ich meine – wie man ein neues Leben anfängt. Was erlebt. Sich fallenlässt.“ „Ach das“, Yami lächelte, dann schien er zu überlegen. „Naja, lass uns doch einfach gleich damit anfangen.“ Umko wollte das so sehr. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass Yami der interessanteste Mann war, der ihm in den letzten Jahren, in denen er wieder mit dem Dating begonnen hatte, jemals begegnet war. Um sie herum kroch nun die Dämmerung über den Horizont und die Straßen leerten sich. Es war noch schwül, doch am Himmel stand bereits ein geheimnisvoller Mond. Yami haderte indes mit sich. Er wollte Umko seinen Wunsch gern erfüllen. Die Luft prickelte und es roch nach Abenteuer und Geheimnis. Er hatte da etwas für sie im Sinn, doch er wusste nicht, wie weit er gehen konnte und sollte. Das letzte Mal, als er jemandem von seiner Identität als Pharao Atemu erzählt hatte, war alles gründlich aus dem Ruder gelaufen. In seiner Euphorie, neue Bindungen einzugehen, hatte er seinen Nachbarn Sigi, mit dem er sich ein paar Mal verabredet hatte, in einem schwachen Moment in seine Biografie eingeweiht. Hinterher hatten sowohl Sigi als auch er selbst nicht gewusst, wie sie jetzt mit dieser neuen Situation umgehen sollten. Als er Bakura gebeichtet hatte, vielleicht einen großen Fehler begangen zu haben, hatte er sich von diesem eine gehörige Moralpredigt anhören müssen. „Wie kommst du eigentlich dazu, irgendwelchen wildfremden Aufreißern sowas zu erzählen!“, hatte er ungehalten gekeift, „du musst vorsichtiger sein, mit wem du dich einlässt.“ „Sigi ist kein Wildfremder! Und außerdem: Wie soll ich jemals wieder einen Partner finden, wenn ich ihm nichts von mir erzählen kann!? Wie stellst du dir das vor?! Soll ich mir eine Kindheit ausdenken? Du hast gut Reden. Du hast ja Ryou, der ohnehin von allem weiß!“ Darauf hatte Bakura nichts mehr erwidert. Doch etwas Seltsames war passiert, nachdem sie dieses Gespräch geführt hatten. Als Yami zum nächsten Mal auf Sigi traf, hatte er feststellen müssen, dass dieser alles, was er ihm offenbart hatte, vergessen hatte. Er hatte Bakura im Verdacht, der sicher irgendeinen Zauber gefunden hatte, um den Schaden zu begrenzen. Aber gefragt hatte er ihn nie danach. Und dennoch war er jetzt erneut in Versuchung, Bakuras Warnungen zu missachten und seine Vorsicht über Bord zu werfen. Er biss sich auf die Unterlippe. Um sie herum wurden nun überall Lampions entzündet. „Komm mit“, sagte er schließlich und nahm Umko entschlossen an der Hand. Er zog ihn weg vom Gedränge durch viele dunkle Gässchen, zielstrebig und wortlos. Umko sah sich skeptisch um. „Yami, wo bringst du mich hin?“, hakte er vorsichtig nach. „Du wirst sehen“, sagte Yami nur geheimnisvoll. Schließlich waren sie angekommen: An dem Ort, den er bisher nur mit Bakura jemals betreten hatte. Er war über die Jahre und Jahrtausende zu ihrem gemeinsamen geheimen Platz geworden. Sie befanden sich mitten im mystischen und verheißungsvollen Gedränge des Nachtbasars. Einem Ort, wo sich all diejenigen fanden, die anders waren, die zwei Leben führten, die ihre Identitäten am Tag als Geheimnisse hütete und des Nachts hier sie selbst sein wollten. „Willkommen an dem Ort, an dem du alles sein kannst, was du willst“, wisperte Yami. Umko stand der Mund offen. *** „Nachtbasar“ hatten Bakura und Yami es damals, vor 3000 Jahren, getauft, als sie an manchem Abend heimlich aus dem Palast geschlichen und hier ihre Abende und Nächte verbracht hatten. Ein besseres Wort war ihnen für diesen Nicht-Ort nicht eingefallen. Stände und kleine Buden mit bunten Stoffen, Talismanen und allerlei Kuriositäten reihten sich in der engen Gasse aneinander. In ihre Nasen stieg der Geruch von Gewürzen und Seifen und in den schalkhaften Augen der Verkäufer spielte ein verschmitzter Funke. Überall schien ein melodisches Gemurmel zu pulsieren. Farbenfrohe Lampions hingen über den Buden und quer über die Gasse gespannt und am Rande des Weges gab ein Feuerspucker seinen atemberaubenden Tanz mit den Flammen zum Besten. Krüge mit würzigen Getränken krachten aneinander und fröhliches, raues Gelächter erfüllte die Luft. Alles hier schien mehr zu sein. Dieser kleine Fleck unter dem dämmernden Abendhimmel war – genau wie die Personen, die ihn mit Leben füllten – immer. Zeit schien hier keinen Platz zu haben. Und das Beste daran war: Alle hier waren wie Yami und Bakura. Die beiden waren hier keine Fremdkörper, sondern fügten sich nahtlos in das Bild ein, und niemand wunderte sich über ihre Anwesenheit. Sie gehörten hierher, waren ein Teil von diesem Ort, und alle Anwesenden bestätigten ihnen das beinahe in jeder Minute ihres Aufenthalts, wenn die Marktschreier sie mit einem konspirativen Wispern näher zu sich lockten, wenn die anderen Kunden ihnen ein wissendes Lächeln schenkten oder ihnen kaum merklich anerkennend zunickten. Jeder, der diesen Ort aufsuchen konnte, besaß etwas, das auch Yami und Bakura eigen war: In ihr Leben war Magie hauchdünn eingewoben wie Goldfäden in ein prachtvolles Gewand. ~*~ Die dröhnenden Bässe im Black Rainbow übertönten all die leise gesprochenen Worte aus dem Krankenhaus. Dominos LGBTQ-Szeneclub hatte erst vor Kurzem den Besitzer gewechselt. Limono hatte die urige Kellerdisko von seinem ehemaligen Chef übernommen, nachdem er jahrelang dort hinter der Bar gearbeitet hatte. Den ganzen Abend lang hatte er bereits seine Runden gedreht, mit gezielt platzierten Gesten dafür gesorgt, dass sich neue Gäste im Club wohlfühlten und wiederkommen würden, und mit Stammgästen geflirtet, die sich erhofften, mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Zeit zum Nachdenken blieb dazwischen nicht und das kam Limono gerade recht. Er bestellte seinen siebten Shot an der Bar und ließ sich scheinbar ausgelassen neben Sigi auf einem Barhocker nieder. „Denkst du nicht, es reicht so langsam?“, fragte sein Freund kritisch. Limono winkte angeekelt ab. „Was bist du? Mein Bodyguard? Das ist mein Club und hier kann ich machen, was ich will, klar?“ „Schon klar“, sagte Sigi und zog eine Augenbraue hoch, „ich finde nur – und werd nicht gleich wieder kratzbürstig – du solltest lieber darüber reden, was das heute mit dir gemacht hat, als deine Gedanken mit Alkohol und bedeutungslosen Flirts runterzuspülen.“ „Oh Gooott“, sagte Limono langgezogen und warf den Kopf in den Nacken, „seit wann sind wir so erwachsen geworden?“ „Alles klar, versteh schon“, Sigi erhob sich, „aber wenn du doch mal reden willst, weißt du ja, wo du mich findest. Das war ein schwerer Gang für dich heute, ich weiß das.“ Dann ließ er Limono stehen und begrüßte eine Gruppe bekannter junger Männer, die soeben hereinströmte. Gegen Mitternacht beschloss Sigi, dem Clubbesuch ein vorzeitiges Ende zu setzen. Ihm war nicht nach lauter Musik und Getümmel. Als er das BlackRainbow verließ, sah er eine kleine Gestalt mit grünem Haar alleine draußen stehen, eine Bierflasche in der Hand und den Blick weit entfernt. Langsam trat er an seinen Freund heran. „Komm mit, ich bring dich nach Hause“, sagte er. Er legte seine linke Hand um Limonos Schulter und dieser schlang seinen rechten Arm um Sigis Taille. So traten sie stumm ihren Weg an. „Kommst du noch auf nen Absacker mit rein?“, wollte Limono wissen, als er die Wohnungstür aufschloss. Sigi schien kurz zu zögern, dann sagte er: „Ach, was solls. Okay.“ Wenige Minuten später reichte Limono ihm ein Glas Whiskey und ließ sich mit seinem eigenen Getränk neben ihm auf dem Sofa nieder. Er atmete hörbar aus. „Ist lange her, dass wir so zusammengesessen haben“, stellte er etwas nostalgisch fest. „Das kannst du laut sagen“, bestätige Sigi. „Danke“, sagte der Kleinere der beiden sachlich. „Für was?“, fragte Sigi, während er sein Glas schwenkte, offenbar fasziniert von der braunen Flüssigkeit darin. „Du weißt schon. Für heute. Denk ja nicht, ich hab’s nicht gemerkt.“ Sigi nickte. „Limono, du musst über Dinge sprechen. Wenn du’s mit sonst niemandem tust, dann wenigstens mit mir.“ Limonos große, violette Augen glommen im Schein einer Kerze, die auf dem Sofatisch brannte. Jetzt lächelte er verschmitzt und sein Mund stand leicht offen. „Ich hab eine bessere Idee“, flüsterte er. Sigi vergaß, sich zu wehren, als Limono sich langsam zu ihm herüberlehnte, seine Hand in Sigis Nacken legte und ihn in einen Kuss zog. Erst als bereits einige Sekunden verstrichen waren, schaffte er es, Limonos Hände einzufangen und vor dessen Brust zusammenzuführen. „Limono, das sollten wir nicht …“, sagte er leise. Limono verdrehte genervt die Augen. „Dann erzähl mal, warum nicht“, forderte er ihn herausfordernd auf. „Weil du getrunken hast und der Tag heute viel für dich war. Ich will nicht, dass du was tust, was du später bereust. Und ich will deine Situation nicht ausnutzen.“ Sein jüngerer Freund schüttelte lachend den Kopf. „Du Idiot“, sagte er, „warum kannst du nicht einfach wie alle Typen sein und dir nehmen, was man dir anbietet? Warum musst du gerade heute so scheiß-rücksichtsvoll sein?“ Sigi grinste. „Seien wir ehrlich: Wenn ich wie alle Typen wär, würdest du mir das Angebot gar nicht erst machen.“ Limono grinste zurück. Dann legte er eine Hand an Sigis Hinterkopf, vergrub seine Finger in dessen Haar und küsste ihn erneut, stürmischer, gieriger. „Ich brauche jetzt genau das“, wisperte er lasziv in Sigis Ohr. Dieses Mal widersprach dieser nicht. ~*~ Yami schien nun noch gelöster als zuvor. Er war größer, eindrucksvoller, als Umko ihn je erlebt hatte. Erhaben und herrschaftlich schwebte er durch das bunte, exotische Gedränge und leitete ihn zielstrebig durch die Gassen, an Ständen vorbei und in die ein oder andere zwielichtige Schenke. Dennoch fühlte sich Umko mit Yami sicher, behaglich, fast ausgelassen. Yami schien hier noch mehr von seiner betörenden Aura zu entfalten und Umko genoss es, darin einzutauchen. Dieses wohlige Gefühl wurde immer stärker, je länger sie sich auf dem Nachtbasar aufhielten. Das hier war genau das, was er zuvor vermisst hatte. „Woher kennst du diesen Ort?“, fragte er ehrfürchtig. „Bakura und ich kommen oft her. Wir haben diesen Geheimtipp entdeckt“, entgegnete Yami vage. Dass dies bereits vor 3000 Jahren geschehen war, verschwieg er geflissentlich. Als Umko glaubte, sein Hirn könne von all den Eindrücken nichts mehr aufnehmen, ließen sie sich endlich auf einer Bank vor einer kleinen Spelunke nieder. Yami reichte ihm ein prickelndes, feuriges, dunkles Getränk. „Hi Atemu“, grüßten zwei Männer in Yamis Alter diesen und blieben stehen. „Hi, schön, euch zu treffen. Alles klar bei euch?“, fragte Yami. Er schien die beiden gut zu kennen. „Joa, seit einer ganzen Woche haben wir es mal wieder hergeschafft. Wo hast du Bakura gelassen? Seid ihr nicht zusammen angereist? Wir haben einige Neuerwerbe, die ihn sicher interessieren dürfen.“ „Er ist hier“, winkte Yami ab, „aber heute bin ich mit meinem Freund Umko hergekommen.“ Die beiden musterten nun Yamis Begleitung. In ihre tiefschwarzen Augen trat etwas Überhebliches und Hartes. „Atemu, du bringst Externe her? Was denkst du dir dabei? Du spielst mit dem Feuer, bist du dir darüber im Klaren?“, wisperte einer der beiden Männer, der nachtblaues Haar hatte, das ihm lang und seidig über die Schultern fiel. Yami schüttelte den Kopf. „Lass das nur meine Sorge sein“, tat er den Einwand ab. „Du musst es wissen.“ Die beiden zuckten mit den Schultern. „Yami, wieso nennen sie dich Atemu?“, fragte Umko vorsichtig, als die beiden im Gewühl verschwunden waren. „Es wird Zeit“, sagte Yami, ohne zu antworten. Er erhob sich und stumm verließen sie den Nachtbasar. Als die wundersamen Klänge der nächtlichen Musik verstummt waren, standen sie sich in einer engen, leeren Gasse gegenüber. Umko hatte in Yami noch nie so viel gesehen, sich so zu ihm hingezogen gefühlt. Seine großen Augen glommen in der Finsternis und machten den Anschein, als erblickte man in ihnen lediglich die Oberfläche von Yamis tiefgründiger Seele. Er fühlte sich hellwach. „Das war – unglaublich“, gestand er seinem Gegenüber, „mit sowas hätte ich heute im Leben nicht gerechnet.“ „Ich … hoffe, ich konnte dich damit auf andere Gedanken bringen. Ich dachte, ein kleines Abenteuer tut dir gut“, sagte Yami verschmitzt. „Das war genau, was ich gebraucht habe“, sagte Umko leise. Eine Tür hatte sich plötzlich geöffnet und alles stand so glasklar vor seinen Augen. Er lehnte sich leicht zu Yami hinüber und berührte mit einem Zeigefinger dessen Lippen. Dann hauchte er ihm einen Kuss darauf. Er hielt inne, um Yamis Reaktion abzuwarten. Dieser lächelte und lehnte sich in Umkos Berührung. Ihre Gesichter waren sich ganz nah. Schließlich küssten sie sich, lange und neugierig. Sie ließen sich Zeit, den Moment auszukosten. Yami legte seine Hände auf Umkos Brust, spürte, wie sein Brustkorb sich hob und senkte. „Ey, ihr Scheiß-Schwuchteln!“ Die beiden stoben auseinander. In der eben noch ausgestorbenen Gasse stand ihnen nun eine Gruppe etwa Zwanzigjähriger gegenüber. „Shit“, entfuhr es Umko. Er stellte sich näher zu Yami. „Verschwindet, hier gibt’s nichts zu sehen!“, rief dieser ihnen gebieterisch zu. „Das entscheiden immer noch wir. Wenn zwei kranke Homos wie ihr mitten auf der Straße Unzucht treibt, dann können wir wohl schlecht einfach wegsehen!“, grölte einer der jungen Männer. „Genau“, bestätigte ein anderer, „es ist unsere Pflicht, so ein widerliches Verhalten zu bestrafen, wie es sich für ordentliche Bürger gehört!“ In aggressivem Tempo schritt er auf Yami zu und ehe dieser sich versehen konnte, schlug er ihm mit voller Wucht seine Faust ins Gesicht. „Scheiße, Yami!“, fluchte Umko. Er schob sich vor seinen Freund und wollte in einen Gegeneingriff übergehen, aber ein anderer Halbstarker griff sich seine Arme und hielt ihn unter den Achseln fest. Ein dritter packte sich Yami und warf ihn zu Boden, drückte sein Gesicht auf den Asphalt, sodass seine Wange sofort zu bluten begann. Umko wehrte sich mit aller Kraft, dann spürte ebenfalls er einen heftigen Schlag auf seinen Hinterkopf. Seine Sinne schwanden kurz. Im nächsten Moment lag er auf dem Boden. Er fühlte Tritte in seinem Kreuz und seiner Seite. Zwei, drei, vier. Verschwommen nahm er wahr, dass sie auch von Yami noch nicht abgelassen hatten. Er versuchte, Yamis Namen zu rufen, aber nur ein Gurgeln verließ seine Kehle. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, wie sich Todesangst anfühlte. Plötzlich war es vorbei. Die Typen waren abgezogen und sie waren wieder völlig allein. Stöhnend zog Umko sein Handy aus der Tasche und wählte die Notfallnummer. „Yami?“, fragte er in die Dunkelheit. Er erhielt keine Antwort. ~*~ Limono drehte sich verschlafen zu dem warmen Körper hin, der neben ihm lag. Sigi zog ihn enger an sich und legte einen Arm um seine Taille. So lagen sie einfach eine Weile lang nur da, ohne einen Morgengruß. „Was hast du heute Abend vor?“, fragte Limono schließlich müde. „Nichts, wieso?“, murmelte Sigi. „Ich dachte, wir könnten das vielleicht wiederholen.“ Sigi grinste verschmitzt. „Ach, und wieso dachtest du das?“, neckte er seinen fünf Jahre jüngeren Freund. „Hmmm“, Limono machte ein zufriedenes, summendes Geräusch, „weil ich echt ne gute Zeit hatte gestern. Und du weißt doch: Never change a winning team.” Sigi sah ihn stirnrunzelnd an. „Aha“, machte er, „kannst du eigentlich jemals was sagen, was auch nur ansatzweise mit deinen wirklichen Gefühlen zu tun hat? Oder willst du dein Leben lang jede Unsicherheit mit Sprüchen überspielen?“ Langsam setzte er sich auf und schwang die Beine aus dem Bett. Limono konnte förmlich spüren, wie sich die Atmosphäre schlagartig veränderte. Eine abweisende Ausstrahlung ging jetzt von Sigi aus. Bevor dieser sich jedoch erheben konnte, rückte Limono an ihn heran und schlang von hinten seine Arme um dessen Schultern. Dann vergrub er sein Gesicht in Sigis Haar. „Okay, komm schon. Du weißt, ich bin total schlecht in sowas. Was willst du von mir hören? Ich bin froh, dass du gestern hiergeblieben bist. Du … hast mich echt aufgefangen. Und … ich fand es wirklich schön.“ Betörend knabberte er an Sigis Ohrläppchen. Der Ältere schien zu überlegen. Dann seufzte er gequält. „Naja, schätze, mehr kann ich nicht von dir erwarten. Das ging dir ja schon schwer genug über die Lippen“, sagte er versöhnlich. „Dann sehn wir uns nachher?“, hakte Limono hoffnungsvoll nach. „Ja“, stimmte Sigi zu. ~*~ „Verdammt, warum hast du nicht besser auf ihn aufgepasst!“, fauchte Bakura Umko an, als er mit Shadi im Schlepptau ins Krankenzimmer stürmte. Er war stocksauer. Seine Augen funkelten wild. „Ich – es tut mir leid“, sagte Umko ehrlich, „ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ „Dann lass es besser!“, keifte Bakura. Shadi trat an Yamis Bett, streckte eine Hand aus und strich ihm über sein lädiertes Gesicht. Trauer und Sorge lag in den Augen des Ägypters. Man hatte Yami viele Schmerzmittel verabreicht und er schlief jetzt. Es hatte ihn wesentlich schlimmer erwischt als Umko. „Was ist denn eigentlich passiert?“, fragte Shadi an Umko gewandt. „Wir … sind von ein paar homophoben Jugendlichen angegriffen worden.“ Erkenntnis trat auf Bakuras Gesicht. „Verdammt, wieso konntet ihr nicht vorsichtiger sein, was ihr in der Öffentlichkeit treibt?“, knurrte er. „Ich weiß auch nicht“, gestand Umko geknickt, „es war alles so – da war dieser verrückte Ort mit diesen mysteriösen Gestalten – und dann war alles wie verzaubert und die Straße war vollkommen leer. Wir haben niemanden kommen gehört.“ „Verrückte Ort?“, Bakura horchte auf, „du meinst, eine Art … Basar?“ „Ja, genau sowas!“ Bakuras Gesicht verdunkelte sich. Er sah mit einem Mal verletzt aus. Schließlich erhob er sich und schritt zum Fenster. Bis Yami aufwachte, wechselte er kein Wort mehr mit den anderen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)