Das Flugduell von _Delacroix_ ================================================================================ Eine dicke, rote Katze funkelte ihn finster an, als er sich an ihr vorbei durch das Haupttor schlängelte. Schwaches Mondlicht fiel in den Innenhof. Eine dünne Schicht aus Raureif hatte sich auf das Gras gelegt und knirschte unheilvoll, als er über die Schwelle trat. Die Fenster zum Hof lagen vollständig im Dunkeln, doch Blaise zog es vor, trotzdem im Schatten zu bleiben. Er wollte nicht riskieren, vielleicht doch entdeckt zu werden. Irgendwo rief eine Eule, aber das war nicht weiter verwunderlich. Hogwarts war voll von Postvögeln in allen Größen und Farben und mit jedem Schuljahr wurden es mehr. Trotzdem fasste er den Griff seines Besens fester, bevor er im Schatten des Springbrunnens verschwand. «Na endlich», schnarrte es neben der Statue des Adlers, die hoheitsvoll den Hof überwachte. «Wo habt ihr zwei solange gesteckt?» Blaise hob langsam die Augenbrauen. «Du hast mich doch um halb eins hierher bestellt.» Draco rutschte mit einer eleganten Bewegung vom Brunnenrand herab und positionierte sich so, dass der Adler seinen Schatten schluckte. «Da bin ich noch davon ausgegangen, dass du Gentleman genug bist, um zehn Minuten früher hier zu sein», ätzte er. «Wo hast du Theodore gelassen?» Blaise schnalzte mit der Zunge. «Im Bett», entgegnete er. «Im Gegensatz zu mir war er nämlich intelligent genug, gar nicht erst loszuziehen. Also, was willst du, Draco?» Dieser verschränkte langsam die Arme vor der Brust. «Wärst du pünktlich gewesen, hätte ich dir das noch erklären können», murrte er, bevor er mit dem Kopf in Richtung Haupttor nickte. Und tatsächlich schob sich das dunkle Metall gerade ein weiteres Mal zur Seite, um zwei Schatten in den Hof zu lassen.   «Ich denke immer noch, dass das eine blöde Idee ist», flüsterte eine männliche Stimme, erntete für diese sehr richtige Einschätzung aber nur ein energisches «Shht!», von seiner Begleitung. Blaises Mitleid hielt sich in Grenzen. Immerhin schien der Neuankömmling besser informiert zu sein, als er. Er riskierte einen vorwurfsvollen Blick in Dracos Richtung, war aber Slytherin genug, die Sache für den Moment auf sich beruhen zu lassen. Stattdessen konzentrierte er sich auf die beiden Neuankömmlinge. Der erste Schatten entpuppte sich als klein, rothaarige und überraschend gut aussehend. Ginny Weasley trug ihre dickste Winteruniform. Rote Wollhandschuhe zierten ihre schlanken Finger, die sich an den Griff ihres Sauberwisch 11 klammerten. «Malfoy», grollte sie. Blaise musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Draco grinste. «Weasley», entgegnete er. Ihr Begleiter war größer als sie, aber nicht unbedingt breiter. Das verlieh ihm das Aussehen eines Jungen, der im letzten Jahr einen gewaltigen Wachstumsschub durchgemacht, nicht aber die Zeit gefunden hatte, das Ganze auch körperlich zu verarbeiten. Er hatte sich eine Kapuze über den Kopf gezogen, doch seine schwarzen, krausen Haare guckten dennoch darunter hervor. Im Arm hielt er einen hellbraunen Comet 260, der Blaise vage bekannt vorkam. »Ich sehe, du hast einen neuen Sidekick gefunden», schnarrte es hinter ihm. «Hast du Angst, dass Longbottom dir unterwegs vom Besen fällt?» Das Mädchen presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. «Das hier ist eine Sache zwischen uns beiden», presste es hervor, «Da hat Neville herzlich wenig mit zu tun. Außerdem hast du doch auch einen Adjutanten mitgebracht.» Sie musterte ihn prüfend, doch Blaise hatte nicht vor den Köder zu schlucken. Warum auch? Vielleicht hatte Draco ihn ja wirklich als Adjutanten geladen. Er konnte es nicht ausschließen. Immerhin hatte man ihn im Vorfeld nicht darüber aufgeklärt und hätte man es getan, er hätte sich genau wie Theodore einfach in sein Bett gelegt und den ganzen Unsinn verschlafen. Mit illegalen Duellen wollte er nichts zu tun haben und das hatte er Draco auch schon oft genug gesagt.   Dieser nutzte den Moment, um sich vernehmlich zu räuspern. «Blaise ist aus dem einfachen Grund hier, dass ich nicht will, dass du und dein Sidekick mir bei erstbester Gelegenheit in den Rücken hext», behauptete er. «Außerdem brauche ich einen Zeugen für meinen Sieg.» Das Mädchen rollte mit den Augen. «Und ich nicht, oder was?», erwiderte es brüsk. Draco zuckte mit den Schultern. «Ich bin mir sicher, Blaise ist ehrlich genug, um auch deinen Sieg zu bezeugen», behauptete er. Doch die Blicke der beiden Gryffindors waren eindeutig. Sie glaubten ihm kein Wort. Eilig hob Blaise die Hand, um Weasley davon abzuhalten, das auszusprechen, was sie vermutlich gerade dachte. «Lass es gut sein, Draco», forderte er, «Auf einen mehr oder weniger kommt es nicht an.»   Für einen Augenblick wurde es still hinter ihm und Blaise ahnte, dass es daher kam, dass Draco überlegte, wie er ihn vom Gegenteil überzeugen konnte. Doch schließlich stieß er gut hörbar die Luft aus. «Fein», entgegnete er in einem Tonfall, der deutlich verriet, dass eigentlich gerade überhaupt nichts fein war, «Bringen wir’s einfach hinter uns.» Weasley nickte eilig. «Das ist die beste Idee, die ich je von dir gehört habe», stimmte sie zu. Und auch ihr Begleiter wirkte erleichtert. «In Ordnung», erklärte er, «Gehen wir es an.» Blaise zwang sich zu einem Nicken. «Ich wäre dafür, dass wir zunächst noch einmal die Regeln besprechen», schlug er vor.  «Du verbringst eindeutig zu viel Zeit mit Theodore», murrte es hinter ihm und vielleicht hatte Draco in diesem einen Punkt sogar mal recht. Die Ereignisse des letzten Jahres hatten ihn umsichtiger werden lassen. Umsichtiger und vielleicht auch ... Eilig vertrieb er die düsteren Gedanken. «Lieber bespreche ich die Regeln jetzt, als das ich mich hinterher darüber streite», konterte er. «Das sagst du nur, weil Professor McGonagall dich noch nie nachts auf den Gängen erwischt hat», schnappte Draco zurück. «Und wir wollen, dass es auch so bleibt», platzte Weasley dazwischen. «Also, Kurzfassung: Wir steigen auf die Besen und fliegen Richtung Norden. Die Erste, die die Küste erreicht, ist die Königin im Fliegen.» «Oder in meinem Fall der König», korrigierte Draco. «Zaubern ist verboten», erklärte Weasleys Begleiter, «Bei dem Wettbewerb kommt es nur auf Besenbeherrschung an.» «Wir fliegen hin, feiern, fliegen wieder zurück und sind pünktlich zum Frühstück wieder in der Großen Halle», übernahm Weasley erneut das Wort, «Und dann könnt ihr mir die Füße küssen.» Draco schnaubte abschätzig. «Du meinst wohl, du kannst mir die Füße küssen», verbesserte er. «Blaise wird bis fünf zählen, dann heben wir ab.» «Ritchie kann auch bis fünf zählen», hielt Weasley dagegen. Blaise wagte einen Blick zu dem anderen Jungen. Er war sich fast sicher gewesen, dass er ihn von irgendwo kannte, aber jetzt wusste er auch, von wo. Ritchie Coote war einer von Gryffindors Treibern und sie hatten sogar schon gegeneinander gespielt. «Ich bin mir sicher, dass er das kann», entgegnete er an Dracos Stelle. «Aber wenn es euch lieber ist, können wir auch gemeinsam zählen.» Weasley zuckte mit den Schultern. «Meinetwegen», stimmte sie zu. Ritchie nickte und Draco gab ein Geräusch von sich, das Blaise mit gutem Willen als zustimmendes Knurren interpretieren konnte.   Prima, dann brachten sie es wohl am besten einfach hinter sich.     «Eins», zählte Ritchie und alle Beteiligten festigten den Griff um ihre Besen. Weasley lehnte sich nach vorne, wie es die meisten guten Flieger taten, wenn sie vor hatten, einen schnellen Start hinzulegen. «Zwei», entgegnete Blaise und ließ den Blick zu Draco gleiten. Das dunkle Holz seines Nimbus 2001 glänzte verheißungsvoll im schwachen Mondlicht. Der Besen war zwar nicht mehr der Neueste, aber immer noch ein deutlich besseres Modell als Weasleys Sauberwisch. Wenn das Mädchen glaubte, trotzdem eine Chance bei einem Langstreckenflug zu haben, musste es sehr von seinen Fähigkeiten überzeugt sein. «Drei», hörte er Ritchie weiter zählen und konzentrierte sich nun auf das Holz unter seinen eigenen Fingern. Sein Maestro war ein guter Besen. Ein italienisches Modell, schnell, aber nicht unbedingt für Langstrecken gemacht. Trotzdem würde es besser sein, wenn er sich beeilte und zeitnah am Ziel ankam. Immerhin sollte er den Sieg bezeugen und das konnte er nicht, wenn er abgeschlagen zurücklag. «Vier», zählte er weiter, während er den Blick zu Ritchie gleiten ließ. Dessen Comet zuckte bereits erwartungsvoll und hätte er ihn nicht zurückgehalten, er hätte sicherlich einen Frühstart hingelegt.   «Fünf!» erklang endlich das langersehnte Startsignal. Dracos Nimbus schoss nach oben und einen Moment lang schien es, als wollte er ihnen allen davonfliegen. Neben ihm stieß Weasley einen unterdrückten Fluch aus, während sie ihren Sauberwisch nach oben zog. Blaises Besen benötigte eine kleine Korrektur, dann zischte auch er in die kalte Nachtluft hinauf. Eisige Luft empfing ihn wie einen alten Freund und plötzlich wurde Blaise siedend heiß bewusst, warum Weasley die Wollhandschuhe angezogen hatte. Sie mochten grob und kratzig sein, aber ihre Finger würden es ihr danken. Seine dagegen wurden gerade steif. Unter ihm glitten die baumlosen Highlands dahin. Kalt, weiß und unwirklich erinnerten sie ihn daran, was ihm drohte, wenn er die Kontrolle über seinen Besen verlor. Die Nacht war unangenehm dunkel. Der Mond hatte fast schon seine volle Größe eingebüßt und schwebte als blasse, fahle Sichel am Horizont. Einzig die Sterne leuchteten ihnen den Weg.   Vor ihm riss Draco seinen Nimbus nach links, um einem dicken, grauen Uhu auszuweichen und verlor damit wertvolle Zentimeter. Weasleys Sauberwisch war ihm jetzt so nah, dass ihre Fingerspitzen die Borsten des Nimbus hätten streifen können. Doch sie vermied es, ihren Besen noch weiter anzutreiben. Scheinbar hatte sie vor, das Rennen in Dracos Windschatten zu bestreiten. Hinter sich hörte er das typische Pfeifen des Comet. Es war ein unangenehmes, hohes Geräusch, das alle Besen dieser Manufaktur von sich gaben, wenn sie unter voller Auslastung flogen. Blaise schüttelte den Kopf. Würde sein Besen solche Geräusche machen, er würde umgehend einen Neuen kaufen. Doch der Maestro stieß lediglich ein leises Schnurren aus, bevor er die Geschwindigkeit weiter anzog. Langsam aber sicher näherte er sich Weasley an und schloss schließlich auf der rechten Seite zu ihr auf. Das Mädchen warf ihm einen skeptischen Blick zu, doch er ignorierte es. Wäre er Gregory, er würde wohl einen Takle riskieren, aber er war nicht Greg und es fehlte ihm sowohl an Können als auch an Gewicht, um das Manöver zufriedenstellend auszuführen. Außerdem ... Was hätte er schon davon? Draco hatte diesen Krieg entfacht. Sollte er ihn gefälligst auch beenden.   Einen Moment lang konzentrierte Blaise sich einfach nur auf den Flugwind in seinem Gesicht und auf die Landschaft, die unter ihnen vorbei zog. Irgendwo blökte ein Schaf, möglicherweise aufgeschreckt von dem ungewohnten Anblick ihrer Besen. Für einen Augenblick rechnete Blaise mit einem dummen Kommentar von vorne. Irgendetwas über blökende Weiber, das Weasley erneut auf die Barrikaden treiben würde, doch zu seiner Überraschung blieb es still. Vielleicht hatte Draco das Blöken nicht wahrgenommen, vielleicht wartete er auch auf eine bessere Gelegenheit, oder - «Ente!», erklang es von vorne. Und dann ging plötzlich alles ganz schnell.   «Hä?», kam es von Weasley, während Draco bereits in den Sturzflug ging. «Shit!», verbesserte das Mädchen sich und riss den Besen nach oben, während Blaise seinerseits plötzlich Auge in Auge mit einem Erpel war. Die Ente zischte, er schluckte, dann warf er sich nach rechts. Himmel und Erde wechselten den Platz. Einmal, zweimal, dreimal, bis die Bewegung schließlich langsamer wurde und ihn sein Magen siedend heiß daran erinnerte, warum er normalerweise keine Rollen flog. Hinter ihm klatschte es unheilverkündend und das Pfeifen des Comet verschwand hinter ärgerlichem Geschnatter. Etwas sauste über ihn hinweg oder vielleicht auch unter ihm hindurch. Er war sich nicht ganz sicher, dann hörte er Draco ächzen und als er das nächste Mal nach unten - Oder war es oben? - blickte, sah er Draco, der nach Kräften an Cootes Comet 260 zerrte. Sein Nimbus schlingerte heftig, während er die beiden Besen langsam in Richtung Erdboden sinken ließ. Es zischte, als Weasleys Sauberwisch an ihm vorbeischoss, um zu den beiden aufzuschließen. Einen Moment lang verstärkte sich das Schlingern noch, dann schaffte Weasley es irgendwie, Cootes andere Seite zu stabilisieren und sie landeten reichlich unsanft auf einer verschneiten Wiese. Langsam ließ sich Blaise zu den dreien herabgleiten. Die Welt drehte sich immer noch ein bisschen um ihn herum. Entsprechend war er glücklich, als er wieder festen Boden unter seinen Füßen spürte. Ein Stück weiter redete Weasley auf ihren Kumpel ein. «Hat dich die Ente erwischt?», hörte Blaise sie fragen. «Ich glaube nicht, dass er in der Lage ist, dir eine vernünftige Antwort zu geben», entgegnete Draco und insgeheim stimmte Blaise ihm zu. Hätte ihn ein wütender Erpel zum Absturz gebracht, er würde vermutlich auch etwas Zeit für sich brauchen. Er sah, wie Coote ein paar Mal tief durchatmete. «Das war wirklich eine rücksichtslose Ente», scherzte er schließlich. «Du solltest sie verklagen», gab Draco zurück, während Weasley ungläubig den Kopf schüttelte. «Ich hab nur etwas Braungrünes gesehen», berichtete sie, «Kurz dachte ich, Malfoy hätte einen Klatscher mitgebracht.» «Seit wann ist unser Klatscher grün?», fragte Draco prompt zurück, während Coote betont langsam den Kopf schüttelte. «Ernsthaft, da stürzt man fast zu Tode, und ihr seid schon wieder nur am Streiten. Könnt ihr nicht einmal für fünf Minuten die Luft anhalten?», fragte er. «Wenn sie fünf Minuten die Luft anhalten, sind sie tot», mischte Blaise sich in die Unterhaltung ein und erntete dafür einen bitterbösen Blick des Gryffindors. «Tu bloß nicht so, als würde dich das nicht auch aufregen», konterte der. Blaise zuckte mit den Schultern. «Tue ich nicht», gab er zurück. «Ich verlange nur nicht, dass sie deshalb gleich Selbstmord begehen.» Coote holte tief Luft und wollte offensichtlich etwas antworten, doch die Worte blieben ihm förmlich im Halse stecken. «G-Grün», stotterte er schließlich und zeigte etwas unbeholfen in Blaise’ Richtung. Dieser runzelte die Stirn. Wenn der andere jetzt erst merkte, dass er ein Slytherin war, hatte er entweder eine ganz schön lange Leitung oder er war schlicht und ergreifend farbenblind. Skeptisch verschränkte er die Arme vor der Brust. «Und weiter?», fragte er, schon halb davon überzeugt, dass gleich die nächste Unverschämtheit folgen würde. «Hinter dir», erklärte Weasley und legte ihrem Kumpel vorsichtig die Hand auf die Schulter. Blaise öffnete den Mund, wollte schon halb erwidern, dass er auf so einen Blödsinn nicht hereinfiel, dann sah er Dracos Blick und schloss ihn tonlos wieder. Betont langsam drehte er sich um und erstarrte. Hellgrüne Lichter tanzten über den Himmel und leuchteten mit den Sternen um die Wette. Damit hatte er nicht gerechnet. Mit großen Augen verfolgte er die Spur der neongrünen ‹Lichterkette› einmal quer über das Himmelszelt. Er wusste nicht, wo sie so plötzlich hergekommen war, er wusste nur eines:   Während seiner ganzen Schulzeit in Hogwarts, war es noch nie so still gewesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)