Brenzlige Brücke von Varlet ================================================================================ Kapitel 1: Brenzlige Brücke --------------------------- Jodie fuhr gerne Zug. Doch in den letzten Jahren musste sie immer mehr auf dieses Verkehrsmittel verzichten. Die Gründe waren vielseitig. Zum einen war sie nahezu auf ihr Auto angewiesen und zum anderen gab es für weitere Entfernungen andere Transportwege. Gerade als FBI Agent musste man auf die Wahl seines fahrbaren Untersatzes viel Wert legen und sich Gedanken machen, in wie weit man im Falle einer Eskalation geschützt war. Oder wie viele andere Menschen man möglicherweise in Gefahr brachte. Das Flugzeug war ihre erste Wahl, wenn es schnell gehen musste, allerdings war man an Board viel einfacher der Gefahr ausgesetzt. Zudem bestand immer die Möglichkeit einer Geiselnahme oder eines Absturzes. Dahingehend war der eigene Wagen schon viel sicherer, da man schnell von A nach B kam, und im Falle von Verfolgungen einen Weg zur Flucht finden konnte. Aber der Wagen barg auch Risiken, Unfälle waren nicht immer vermeidbar und die Anzahl der Insassen war begrenzt. Außerdem gab es eine Geschwindigkeitsbegrenzung. Diese war zwar je nach Zugtyp ebenfalls vorhaben, doch man konnte sich entspannt nach hinten lehnen und abwarten. Allerdings war man im Zug angreifbarer. Züge hielten nur an bestimmten Bahnhöfen und man konnte sowohl am Sitzplatz im Großraum als auch im Abteil angegriffen werden. Außerdem war ein Entkommen schwer, vor allem wenn die einzige Option nur ein Sprung nach draußen war. Doch dafür musste man entweder das Fenster einschlagen oder die Notbremse betätigen. Selbst dann war man noch nicht sicher. Zudem war die Anzahl an Menschen und potentiellen Geiseln viel höher als bei einer Fahrt im Auto oder mit dem Flugzeug. Im Vergleich dazu stand aber, dass man zwar auf der Hut sein musste, sich aber dennoch ausruhen oder arbeiten und sich die Gegend ansehen konnte. Außerdem besuchte man mehrere Städte. In einem geschlossenen Abteil konnte man Unterhaltungen führen und sogar Pläne schmieden. Musste man umsteigen oder hatte fremde Menschen neben sich, konnte man neue Kontakte knüpfen. Jodie war immer aufgeschlossen und sobald sich eine Person neben sie setzte, begann sie auch das Gespräch. Es war eigentlich nie langweilig. Und wenn man mit jemanden unterwegs war, den man kannte, konnte man auch noch Schlafen oder sich an seiner Schulter ausruhen. Jodie blickte zu Shuichi. „Was für ein schönes Wetter für unseren kleinen Ausflug“, entgegnete sie ruhig und sah aus dem Fenster. Dabei war Ausflug die Umschreibung für Auftrag. „Mhmm…wenn du meinst“, murmelte der Agent und beobachtete ihren Zeugen. Sie saßen in einem Abteil und ihr Gegenüber starrte nur auf seinen Computer und tippte die ganze Zeit. Er hatte kaum ein Wort mit ihnen gesprochen und dennoch gehörten sie zusammen. Der Mann weigerte sich allerdings partout mit dem Flugzeug zu seinem Zielort gebracht zu werden und auch die Autofahrt passte ihm nicht, da es beim Fahren zu sehr ruckelte – wie er angab. Daher war ihnen nur noch der Zug geblieben, auch wenn sich Shuichi etwas anderes vorstellen konnte. „Ach Shu“, gab Jodie von sich. „Du musst doch nicht immer so angespannt sein.“ „Wie du meinst“, antwortete der Agent. Nachdem er den Blick vom Zeugen abwandte, sah er auf die Akte in seiner Hand. Er hatte sie bereits mehrfach studiert und kannte den Inhalt beinahe Wort für Wort auswendig. Dennoch wollte sich Shuichi beschäftigen und verhindern, dass Jodie in den nächsten Stunden zu Wort kam. Ihrem Zeugen ging es wohl ähnlich. Während seiner Arbeit achtete er gar nicht darauf, was die Agenten machten und bekam auch sonst nichts von der Umgebung mit. „Störts dich?“ „Ein wenig“, kam es von Jodie. Sie war ehrlich und lehnte sich gegen ihren Kollegen. „Du verpasst die schöne Aussicht. Auf dem Rückweg hast du nichts davon, da wir den Nachtzug nehmen.“ „Draußen sind sowieso nur grüner Rasen, Bäume, Wasser oder im seltenen Fall ein paar Häuser. Wegen der Geschwindigkeit bekommst du eh kaum was mit.“ „Oh man“, murmelte Jodie. „Schau doch mal, jetzt fahren wir über eine Brücke.“ Jodie wirkte fröhlich, doch als der Zug stehen blieb, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. „Mhm…“ „Was ist?“, wollte der Agent wissen. „Wir haben angehalten.“ Shuichi verdrehte die Augen. „Das ist nichts Ungewöhnliches. Vielleicht müssen wir auf den Gegenzug warten oder es gibt eine Gleisstörung oder irgendwas liegt auf der Fahrbahn…alles ganz normal. Black hat die Strecke überprüft.“ „Aber…“, murmelte Jodie. „Ja, du hast recht…wir fahren gleich sicher weiter.“ Doch aus den Minuten wurden mehr Minuten und immer mehr. „Shu…?“, wisperte sie leise. Der Agent sah zu ihr. „Was ist?“ „Ist es nicht komisch, dass wir ausgerechnet hier gehalten haben?“ „Was meinst du?“ Er sah aus dem Fenster. Sie standen auf einer Eisenbahnbrücke und um sie herum befand sich nur Wasser. „Die Brücke…“, antwortete sie. „Wir sind auf einer Brücke stehen geblieben. Was wenn…“ „Eisenbahnbrücken müssen bestimmte Anforderungen erfüllen, ehe sie benutzt werden. Sie müssen hohen Gewichten und hohen Geschwindigkeiten standhalten und benötigen eine ermüdungsfeste Konstruktion. Natürlich sind auch die Witterungsbedingungen zu beachten. Und nicht zu vergessen, müssen sie einer regelmäßigen Kontrolle und Instandhaltung unterliegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass auf einer Brücke etwas passiert, ist sehr gering. Die Strecke ist dem Lokführer bekannt, also kann so gut wie nichts passieren.“ „So gut wie nichts…“, wiederholte Jodie. Aber gerade sie sollten es besser wissen. „Selbstverständlich kann es sein, dass jemand versucht die Brücke in die Luft zu jagen, aber so etwas muss sorgfältig geplant werden und wir haben für unseren Freund mehrere Zugverbindungen gebucht, die ihn ans Ziel bringen könnten. Unser Gegner müsste schon genau wissen, welche Verbindung wir nehmen, um uns zu erledigen. Außerdem passiert so was doch nur im Film.“ Akai sah zu der Tür zum Abteil. „Wenn sie an Bord des Zuges wären, hätten sie schon lange gehandelt. Es macht mehr Sinn, wenn sie ihre Tätigkeit kurz vor einem Bahnhof ausführen, damit sie zum Einen schnell entkommen können und wir bis zum nächsten Bahnhof warten müssen…außer wir Sorgen für Aufsehen und nutzen die Notbremse.“ Jodie hörte ihm zu. Sie kannte selbst die Theorie, aber in der Praxis gab es zahlreiche Komponenten, die unberücksichtigt waren. „Aber wenn…“ „Kein wenn und aber“, sagte der Agent. „Wenn wir länger stehen, kommt eine Durchsage.“ Er sah auf die Uhr auf seinem Handy. „Wenn es in einer halben Stunde nicht weitergeht, suche ich den Schaffner. Einverstanden?“ Jodie nickte. „Danke“, murmelte sie leise. „Danke“, kam es erneut von ihr, als sich der Zug wenige Minuten später wieder in Bewegung setzte. „Ich habs dir ja gesagt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)