Zauberhafte Weihnachten von Coronet ================================================================================ Kapitel 21: Kältezauber [Albus Potter & Scorpius Malfoy] -------------------------------------------------------- Grimmauldplatz, 2021 Albus Potter und Scorpius Malfoy   Das Gras auf der anderen Seite ist immer grüner. Albus würde sich an Weihnachten nur Ruhe von seiner Familie wünschen, Scorpius hat keine Lust mehr auf noch einen winterlichen Karibikurlaub alleine mit seinem Vater. Gibt es vielleicht einen Mittelweg, der alle zufriedenstellt?   ***   Die Fenster des Schlafsaals waren bitterkalt, wie das Eis, das den schwarzen See von oben bedeckte. So tief unter der Wasseroberfläche war das Wasser zwar nicht gefroren, doch selbst den üblichen Grindelohs schien es zu kalt zu sein, denn schon seit Tagen hatte sich keiner mehr blicken lassen. Sonst trieben die Geschöpfe gerne an den langen Bogenfenstern vorbei und schnitten Grimassen, mit denen sie die Slytherinschüler verhöhnten. An seinem ersten Schultag hatte Albus sich fürchterlich davor erschrocken, sehr zur Belustigung der anderen Jungen im Schlafsaal. Alle, bis auf einer hatten sie gelacht. Scorpius Malfoy dagegen hatte von Anfang an zu ihm gehalten. Es war ironisch, wie ausgerechnet sie beide Freunde geworden waren. Die frühere Feindschaft ihrer Väter mochte erkaltet sein, aber wirklich begeistert waren sie auch nach Jahren nicht, dass ihre Söhne so ein inniges Verhältnis pflegten. Albus drückte seine Stirn fester gegen das eisige Fensterglas. Es half ihm beim Nachdenken, kühlte die tosenden Gedanken ab. Denn davon hatte er im Moment viele; zu viele. Je näher Weihnachten rückte, desto mehr widersprüchliche Gefühle bahnten sich ihren Weg an die Oberfläche. Die meiste Zeit des Jahres gelang es ihm gut, die komplizierte Beziehung zu seinen Eltern und Geschwistern zu vergessen. Zumindest im Slytherin-Gemeinschaftsraum hatte er seine Ruhe vor allen lästigen Mitgliedern seiner erweiterten Familie. Und James war immerhin in seinem letzten Jahr und hatte andere Dinge zu tun, als ihm das Leben schwerzumachen. Aber an Weihnachten, wenn sie alle zusammenkamen, da fühlte Albus sich nach wie vor einfach ... fehl am Platz. So als würde er nie ganz dazugehören. Für immer der Außenseiter, der eine, der irgendwie in Slytherin gelandet war. Derjenige, der ausgerechnet mit Scorpius Malfoy befreundet war. Und wenn sein Vater wüsste, wie er wirklich über seinen besten Freund dachte ... Nicht, dass das je rauskommen würde, so viel hatte er sich geschworen. Wenn ihm eine Wahl geblieben wäre, dann hätte Albus seine Gefühle gerne vergessen. Ein Vergesslichkeitstrank für all die verwirrenden Dinge, die er fühlte, dafür hätte er einiges gegeben. Einfach wieder mit Scorpius lachend auf seinem Bett sitzen, einen Haufen Süßigkeiten zwischen sich und über Merlin und die Welt sprechen, ohne diese verborgenen Gedanken, das wäre schön. Stattdessen versuchte er, allzu viel Kontakt mit seinem besten Freund zu vermeiden. Zog sich in den Schlafsaal zurück, wenn er nicht hier war, unternahm lange Spaziergänge auf den Ländereien, versteckte sich in der Bibliothek oder wanderte ziellos durch die Gänge. So ordentlich wie in letzter Zeit, waren seine Hausarbeiten schon lange nicht mehr gewesen. Seine Eltern würden sich freuen, dass seine Noten endlich besser waren. Immerhin ging es stramm auf die ZAGs zu. In Verteidigung gegen die dunklen Künste hatte er immer noch seine liebe Mühe und Zaubertränke war gelinde gesagt eine Katastrophe, wenn Scorpius ihm nicht öfters unter die Arme greifen würde. Der schien eine ordentliche Portion Begabung von seinem Vater geerbt zu haben. Und wieder einmal waren seine Gedanken Albus davon gelaufen und hatten einen Haken zu Scorpius geschlagen. Er seufzte und presste seine Stirn noch fester gegen das verzauberte Fenster. Aber in dem grünlichen Seewasser dahinter trieb leider nicht die Antwort auf alle seine Sorgen. Ein Teil von ihm wollte die Ferien am liebsten in Hogwarts verbringen, weit ab von seiner Familie und deren lästigen Feiern mit unzähligen Personen. Zusammen mit Scorpius. Ein anderer Teil von ihm wusste, dass er nur Ärger haben würde, wenn er seinen Eltern absagen würde. Sie verstanden einfach nicht, warum ihm all dieser Trubel, die lauten Gespräche und ja, auch Streits, nicht behagten. Außerdem würde Scorpius ohnehin wie jedes Jahr mit seinem Vater in ihr Ferienhaus im Ausland reisen – dorthin wo die Sonne schien und meilenweit kein Schnee lag. Albus hatte nie nachgefragt, warum ausgerechnet die Familie Malfoy so eine eigenartige Weihnachtstradition pflegte, aber er wusste, dass es Scorpius nicht allzu viel ausmachte. Dort hatte er seine Bücher, die er so liebte und seine Ruhe, schließlich waren es nur er und sein Vater, die zwei Wochen lang am Strand faulenzten. Etwas, worum Albus ihn in jedem Fall beneidete. Er würde zu gerne im Austausch auch einmal solche Weihnachtsferien erleben, obwohl er den Sommer nicht wirklich mochte. Einfach ein paar Tage, an denen sich niemand über verschwundene Plätzchen, den Baumschmuck oder das Weihnachtskonzert von Celestina Warbeck stritt. Ein Fest, bei dem keiner ihn fragte, was er denn nach Hogwarts machen wolle oder ob er schon eine Freundin habe. Sie meinten es gut – nahm er an –, nur änderte das nichts daran, dass er lieber fortwollte. Albus kuschelte sich tiefer in den dicken Slytherinpullover, dessen Grün er anfangs so gehasst hatte, brandmarkte es ihn doch als Außenseiter unter roten Löwen. Allerdings war die Zuteilung nach Slytherin auch der Beginn einer besonderen Freundschaft gewesen, also war es schon in Ordnung. »Al?« Scorpius stand mit einem Mal in der Tür zum Schlafsaal, seine Hände verlegen in die Hosentaschen geschoben. Ertappt rutschte Albus vom Fensterbrett herab, auch wenn er nur ungern die beruhigende Kälte hinter sich ließ. »Alles in Ordnung?« Fragend legte sein Freund den Kopf schief. »Wie lange sitzt du hier schon? Ich habe dich überall gesucht.« Rasch nickte Albus. »Alles prima, Scorp. Ich hab nur ... nachgedacht. Entschuldige.« »Mh, schon gut.« Scorpius lief hinüber zu seinem Bett und ließ sich seufzend darauf fallen. »Lass mich raten, es geht mal wieder um Weihnachten.« Ausweichend zuckte Albus mit den Schultern. »Du weißt, wie es ist.« »Jedes Jahr wünscht du dir, woanders zu sein. Ja, ich weiß.« Suchend kramte Scorpius in seiner Nachttischschublade und zog schließlich eine angebrochene Tüte Pfefferminzkröten hervor. Eine davon warf er ungefragt zu Albus hinüber, der sie aus der Luft pflückte. Süßigkeiten waren schon seit ihrer ersten Begegnung im Hogwartsexpress ein wichtiger Bestandteil ihrer Freundschaft, eine stumme Art der Kommunikation. Meist bedeuteten sie Aufmunterung. »Warum kommst du dieses Jahr nicht uns besuchen? Dad würde es bestimmt nichts ausmachen, immerhin ... ist das mit Mum jetzt eine Weile her. Vielleicht nur ein paar Tage, um deine Familie zufriedenzustellen?« »Ich glaube nicht, dass es ihnen gefallen würde, egal für wie lange es wäre«, seufzte Albus. »Weihnachten ist ein Fest der Familie«, zitierte er seine Mutter aus einem wütenden Brief, den sie ihm vor zwei Jahren geschrieben hatte, »deshalb verbringt man es daheim. Und ich fürchte, sie vertrauen deinem Vater immer noch nicht wirklich.« Er verdrehte die Augen und ließ sich auf sein Bett gegenüber von Scorpius fallen. Der warf ihm die nächste Pfefferminzkröte zu. »Aber du schreibst mir wenigstens oder? Zur Not komme ich vorbei und rette dich.« Scorpius zwinkerte ihm zu. »Wie war diese Geschichte von deinem Vater und dem fliegenden Auto noch?« Albus spürte, wie seine Mundwinkel ungewollt zuckten. »Ganz so schlimm ist es zuhause dann auch nicht. Ich ...« ... würde Weihnachten nur lieber alleine mit dir verbringen, vollendete er seinen Satz stumm. »Ich finde es nur zu laut daheim. Zu chaotisch. Zu viele Leute.« Scorpius lehnte sich gegen das Kopfende seines Bettes und warf eine Pfefferminzkröte hoch, sodass sie ihm direkt in den Mund flog. »Kann ich verstehen. Obwohl ich mir manchmal auch wünschen würde, dass es nicht immer bloß mein Vater und ich sind. Es ist einfach so ... still.« Ein kleines Funkeln trat in seine Augen. »Vielleicht sollten wir einfach die Plätze tauschen! Du feierst Weihnachten in der Karibik, ich ertrage deine Familie. Brauchen nur ein bisschen Vielsafttrank.« Jetzt musste Albus grinsen. »Das würdest du nicht lange aushalten. Nicht wenn James wieder seine Quidditchgeschichten auspackt.« »Na und du wärst beim ersten Sonnenbrand sicher auch gerne wieder zuhause.« Sie grinsten einander an. »Eigentlich wäre es nett, wenn es nur wir beide wären«, sagte Scorpius unvermittelt. Beinahe hätte Albus sich an seiner Pfefferminzkröte verschluckt. Hustend klopfte er sich auf die Brust. Immerhin konnte er die Röte in seinen Wangen so auf die widerspenstige Schokolade schieben. »Was?«, rang er schließlich hervor. »Na ja – ich meine ja nur«, Scorpius wedelte mit der freien Hand unbestimmt durch die Luft, »wenn wir zwei Wochen nur zum Faulenzen und Süßigkeiten essen hätten, das wäre doch super. Keine nervigen Familienfeiern oder elende Hitze in der Karibik.« Albus hatte immer noch das Gefühl, dass seine Wangen in Flammen standen. »Oh ja, das stimmt schon«, murmelte er ausweichend. Unter keinen Umständen konnte er Scorpius gestehen, dass er das sehr schön finden würde. Und wahrscheinlich schmerzhaft, weil er selber nicht wusste, wie er mit dem umgehen sollte, was er plötzlich über seinen besten Freund dachte. Diese neue, selbsterzwungene Distanz zwischen ihnen fühlte sich so kalt an wie das eisige Fenster des Schlafsaals. Dennoch würde Albus es niemals riskieren, dass er Scorpius verlor. Lieber lief er weite Umwege durch die Korridore, um jedem Mistelzweig auszuweichen, bevor eines der Gewächse ihn noch auf dumme Gedanken brachte, oder suchte Gründe, warum er nicht länger neben ihm auf dem Bett lümmeln und Pfefferkobolde essen konnte. »Hey, ein wenig mehr Begeisterung hätte ich schon erwartet«, sagte Scorpius und musterte ihn eindringlich. »War je eh nur eine Wunschvorstellung. Du fährst wie jedes Jahr zu deiner Familie und ich in die Karibik, weil wir beide es hassen, unsere Eltern unglücklich zu machen.« Trotzdem klang dieses Mal etwas Wehmut in seinen Worten mit, von dem Albus hoffte, dass er ihn sich nicht eingebildet hatte.   Wenige Tage vor Weihnachten lief der Hogwartsexpress schließlich pünktlich in Kings Cross ein – mit Albus und Scorpius an Bord. Während der Fahrt hatten sie nicht ein Wort über die kommenden zwei Wochen gewechselt. Stattdessen hatten sie sich mit zahlreichen Bertie Botts Bohnen, Schokokesseln und Lakritzzauberstäben die Zeit vertrieben. Am Bahnsteig warteten bereits Albus‘ Eltern und Scorpius‘ Vater, wie immer in gebührendem Abstand zueinander. Albus seufzte und wünschte sich einmal mehr, dass er an Bord des Zuges bleiben könnte, bis dieser zurück nach Hogwarts fahren würde. Aber trotzdem stand er auf, schlang sich den grün-silbernen Schal um die Schultern und lächelte seinem besten Freund matt zu. »Also dann ... bis im neuen Jahr.« Scorpius sagte einen Moment lang gar nichts, sondern nestelte nur an der Verpackung von den Bohnen in allen Geschmacksrichtungen herum. Dann lehnte er sich vor und drückte Albus fest an sich. »Wir sehen uns bald, Al.« Sie hatten einander ohne Frage schon oft umarmt, doch nie zuvor hatte Albus‘ Herz in seiner Brust dabei so heftig geschlagen, als wolle es ausbrechen. Auch hatte er nie bemerkt, wie gut Scorpius roch, nach frischem Pergament, Pfefferminze und warmer Wolle. Gerne hätte er den Moment länger genossen – nicht bloß, weil das die Zeit verlängern würde, bis er seiner Familie gegenübertreten musste. Aber natürlich zog Scorpius sich wieder zurück, griff nach seinem Koffer und verließ vor ihm den Zug. Albus atmete tief durch, schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln, und trat ebenfalls hinaus auf den Bahnsteig. Er sah Scorpius noch hinterher, der zusammen mit seinem Vater durch die Absperrung ging, dann war er endgültig alleine.   Der Weihnachtsbaum im Hause Potter war mal wieder krumm und äußerst einseitig mit Schmuck behängt. Im Vergleich zu den prächtigen Bäumen in Hogwarts sah es aus, als hätte ein Kleinkind die Dekoration der heimischen Tanne übernommen. Der Eindruck wurde noch verstärkt davon, dass ein Haufen selbstgebastelten Weihnachtsschmuckes an den Ästen hing. Peinlich berührt musterte Albus die schiefen Sterne und kleinen goldbemalten Nussschalenanhänger mit Flügeln, die wohl Schnätze darstellen sollten. Jedes Jahr hatten sie im Kindergarten etwas für den Baum basteln müssen und genauso stümperhaft muteten seine Basteleien an. Zumindest sahen James‘ Versuche von damals auch nicht besser aus. In der Küche war mal wieder eine Auseinandersetzung über das Weihnachtsessen entbrannt, also hatte er sich in das leere Wohnzimmer zurückgezogen. In Momenten wie diesen vermisste er wirklich die Ruhe in seinem Schlafsaal und das eisige Wasser vor den Fenstern. An der Tür läutete es, doch von unten in der Küche regte sich niemand. Stattdessen hörte Albus seine Mutter nur noch lauter fluchen. Wenig begeistert trabte er aus dem Salon, den seine Eltern Wohnzimmer getauft hatten, hinab in die Eingangshalle, um zu sehen, welcher Besuch mal wieder viel zu früh auf der Matte stand. Er rechnete mit seinen Großeltern. Gerade seine Oma überließ nichts dem Zufall und mischte sich äußerst gerne in das Drama um das Festessen ein. Doch anstatt seiner mit Geschenken beladenen Großeltern oder sonstigen Verwandten wartete Draco Malfoy vor der Eingangstür, in seinem besten Festtagsumhang. Irritiert starrte Albus den Vater seines Freundes an, ehe ihm klar wurde, dass Scorpius selber hinter ihm stand. »Ähm ...«, stammelte Albus überrumpelt. »Hallo?« Zumindest sah Scorpius‘ Vater ebenso eigenartig überrascht aus, als könne er nicht glauben, dass er wirklich hier stand. Sein Sohn drängelte sich mit einem Grinsen an ihm vorbei. »Ich habe doch gesagt, dass wir zu früh dran sind«, erklärte er, bevor er Albus anstrahlte. »Na ja, egal. Frohe Weihnachten, Al!« Überrumpelt ließ Albus sich von Scorpius umarmen, auch wenn ihm das vor den Augen von Draco Malfoy noch unangenehmer vorkam als ohnehin schon. Wenigstens war weit und breit nichts von James zu sehen, der ihn mit seinem tomatenroten Gesicht aufziehen konnte. »W-was machst du hier, Scorp? Und oh, ähm ... bitte, kommen Sie doch herein, Mr. Malfoy.« »Überraschungsbesuch!«, verkündete sein bester Freund fröhlich. »Also für dich, deine Eltern wissen Bescheid, dass wir vorbeikommen.« Scorpius hatte sich bereits an Albus vorbeigedrückt und musterte interessiert die Eingangshalle hinter dem langen Flur. Mittlerweile erinnerte wenig an die düstere Vergangenheit des Hauses. Statt Hauselfenköpfen und Porträts von Black-Urahnen zierten Familienaufnahmen den Treppenaufgang. Die dunklen Tapeten und tiefgrünen Vorhänge waren warmen Rottönen gewichen – für Albus eine stete Erinnerung daran, dass er der einzige Slytherin in der sprichwörtlichen Höhle des Löwen war. Der Gedanke kam offenbar auch Draco Malfoy, der das rote Chaos mit hochgezogenen Augenbrauen musterte. Er folgte seinem Sohn, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und schien sich hier ebenso fehl am Platz zu fühlen, wie Albus bisweilen. Der sah immer noch verdattert seinen besten Freund an, von dem er sich doch erst im Zug für die nächsten zwei Wochen verabschiedet hatte. Wie lange hatte er den Besuch hier schon geplant? Und überhaupt, was hieß das – seine Eltern wussten Bescheid? »Scorp ... was geht hier vor sich?« Scorpius, der neugierig das riesige Bild aller Mitglieder der gesamten Weasley-Potter-Granger Familie in Augenschein genommen hat, dreht sich mit einem kleinen Lächeln zu ihm um. »Unser Karibikurlaub ist gecancelt. Zu viele Stürme zu dieser Jahreszeit, weißt du? Und wenn du Weihnachten nicht zu uns kommen kannst, dann ... kommen wir eben zu dir.« »Zwei mehr oder weniger fallen schließlich auch nicht auf, hat deine reizende Mutter gesagt, wenn ich mich recht erinnere«, erklärte Draco Malfoy ausdruckslos. »Das hat sie gesagt?« Albus überlegte, ob jemand seinen Eltern einen Imperius-Fluch aufgehext hatte. Immerhin war sein Vater insbesondere während der ersten drei Schuljahre nicht müde geworden, von den zahlreichen Verfehlungen seines einstigen Schulfeindes zu berichten und ihm zu erklären, warum er sich besser von Scorpius fernhalten sollte. »Ja, gleich nachdem sie uns angedroht hat, dass sie uns den Flederwichtfluch auf den Leib hetzt, wenn wir uns nicht benehmen oder frech werden.« Es war offensichtlich, dass Draco Malfoy diese Vorstellung für reichlich lächerlich hielt. Scorpius hingegen zuckte nur mit den Schultern. »Ich habe nicht vor, irgendwas anzustellen.« Er senkte seine Stimme, bis nur noch Albus ihn hörte. »Für meinen Vater übernehme ich keine Verantwortung. Ihm gefällt Weihnachten hierzulande nicht sonderlich.«   Obwohl das Haus der Potters in diesem Jahr so voll wie nie zuvor war, wünschte Albus sich zum ersten Mal nicht fort an einen anderen Ort. Scorpius an seiner Seite war wie eine Quelle der Ruhe. Wann immer die Tischgespräche wieder hitziger wurden, warf er einen Blick zu seinem besten Freund und dieser schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Vielleicht half es auch, dass ihre Väter über den Tisch eigenartig distanzierte Blicke tauschten und sich größtmöglich bemühten, höflich zueinander zu sein, dass ausgerechnet die schlimmsten Eskalationen ausblieben. Dabei hätte Albus eigentlich erwartet, dass gerade diese Konstellation für zusätzlichen Zündstoff sorgen würde. Vielleicht lag es auch an der Drohung seiner Mutter, Draco Malfoy ordentlich zu verhexen, dass dieser recht schweigsam blieb. Letzten Endes kümmerte es Albus nicht, er war einfach nur dankbar, dass Scorpius neben ihm saß anstatt in der Karibik. Voller Tapferkeit ertrugen sie die reichlichen Traditionen der Familie – sogar das Weihnachtskonzert von Celestina Warbeck, auf das Albus‘ Großmutter jedes Jahr bestand. Nicht einmal beschwerte Scorpius sich über den hässlichen Weihnachtsbaum, die schiefen Lieder oder die vielen Menschen, die allesamt durcheinanderredeten, lachten und zankten. Er hörte selbst James‘ Geschichten vom Quidditchfeld zu, auch wenn er ein kleines Augenrollen mit Albus tauschte. Trotzdem war Albus froh, als der förmlichste Teil der Feier sich dem Ende neigte und langsam so etwas wie echte Gemütlichkeit Einzug hielt. Nur Draco Malfoy saß nach wie vor stocksteif in einem Sessel. Zumindest unterhielt er sich mit Albus‘ Mutter darüber, wie Weihnachten in der Karibik war. Obwohl Ginny Potter ihm die Worte eher aus der Nase ziehen musste. Aber immerhin, sie machten Fortschritte. Für gewöhnlich war jetzt der Zeitpunkt erreicht, an dem Albus sich von der Feier davonstehlen würde, um endlich seine Ruhe zu haben. Er warf Scorpius einen Blick zu. »Kommst du mit?« Sein bester Freund lächelte breit. »Zu gerne.« Albus freute sich, dass er Scorpius seinen liebsten Ort im ganzen Haus am Grimmauldplatz zeigen konnte. Davon wusste außer ihm niemand hier, deshalb schien es nur verdient, dass sein Freund der Erste war, den er einweihte. Scorpius folgte ihm hinauf in die enge Dachkammer voller Gerümpel, ohne Fragen zu stellen. Auch wenn Albus ihm genau ansah, dass er etwas verwirrt war, warum sie nicht in sein Zimmer, sondern auf den Dachboden mit Spinnweben und ausrangierten Möbeln gingen. Aber natürlich war das hier nicht das Endziel. Vor einigen Jahren, als Albus einen Ort der Stille in dem Haus gesucht hatte, an dem ihn nicht sofort jemand finden würde, war er hier hoch geflohen. Der Staub hatte ihm in der Nase gekitzelt und fast wäre er wieder gegangen, da war er über die klapprige Leiter gestolpert, die zu einer winzigen Dachluke ganz oben im First führte. Vielleicht steckte doch etwas Mut in ihm, denn er war tatsächlich dort hinauf geklettert und tat es auch jetzt wieder. Als Albus die Luke aufstemmte, drängte sich ein Wirbel eisiger Luft in den Dachboden. Doch er hatte nur Augen für die Aussicht dahinter. Die hellen Stadtlichter erstreckten sich unter dem Nachthimmel vor ihm. Vorsichtig robbte er über das schneebedeckte Dach, zwischen dessen Ziegeln kleine Metallbügel Halt boten. Der Anblick der Sterne, die den Londoner Himmel übersäten, war es alle Male wert, kalten Wind und den Nervenkitzel in Kauf zu nehmen. Scorpius allerdings war recht blass um die Nase, als er Albus auf das Dach folgte. Keuchend klammerte er sich am Dachfirst fest und starrte auf die steilabfallende Dachkante wie ein Kaninchen auf einen hungrigen Drachen. »Machst du das öfter?«, fragte er ungläubig, während er sich unbeholfen zu Albus vorarbeitete. Der reichte ihm eine Hand und half seinem Freund, sich neben ihn zu setzen. »Gelegentlich, wenn ich die Chance bekomme«, gestand er. »Ich glaube, diesen Ort kennt nicht einmal mein Vater und der wohnt hier am längsten. Hier hat man wirklich seine Ruhe.« Staunend legte Scorpius den Kopf in den Nacken, um die Sterne über ihnen zu betrachten. »Und eine unglaubliche Aussicht.« Albus, der den Anblick schon oft genug genossen hatte, hatte dagegen nur Augen für seinen besten Freund. Ein Knoten bildete sich in seinem Hals. An Scorpius als seinen besten Freund zu denken fühlte sich zusehends falscher an, wenn er doch wünschte, dass er nach seiner Hand greifen könnte oder seinen Kopf an dessen Schulter lehnen wollte. Den ganzen Abend über hatte er die Gedanken daran erfolgreich verdrängt, vermutlich deshalb, weil so viele Augen sie beobachtet hatten. Doch nun, in der Abgeschiedenheit auf dem Dach, meldeten sich alle verborgenen Gefühle wieder. Nicht einmal die beißende Kälte konnte das warme Glimmen in seiner Brust beruhigen. Er sog den Anblick von Scorpius vor dem Nachthimmel in sich auf. Wie der Wind mit den Strähnen seines blonden Haares spielte, wie sich das ferne Licht in seinen hellen Augen spiegelte und wie zufrieden das kleine Lächeln auf seinen Lippen war. Albus konnte nicht anders, als sich einzugestehen, dass er sich hoffnungslos in ihn verliebt hatte. Gerade deshalb war es nicht er, der den letzten Abstand aus eiskalter Luft zwischen ihnen überwand. Es war Scorpius, der plötzlich seine kühle Hand auf Albus seine legte, den Kopf gegen seine Schulter gelehnt. Albus fühlte sich, als stecke ihm das Herz im Hals, so heftig schlug es. Er versuchte, ruhig zu atmen; sich nichts anmerken zu lassen. Alles in ihm drängte danach, seine Finger mit denen von Scorpius zu verschränken, doch das brachte er nicht fertig. »Du ahnst gar nicht, wie schön es ist, einmal Schnee an Weihnachten zu sehen«, murmelte Scorpius an seiner Seite. »Jahrelang waren wir jedes Weihnachten in der Karibik. Ich meine, das ist ganz nett, aber so ... hat es auch was für sich. Mir gefällt die Kälte.« »Mir auch. Sie ist irgendwie ... beruhigend.« Zustimmend brummte Scorpius. »Hey, ich habe gar kein Weihnachtsgeschenk für dich«, sagte er plötzlich. »Also abgesehen von meinem Überraschungsbesuch-« »Brauchst du doch nicht«, fiel Albus ihm ins Wort. »Außerdem habe ich ja auch keines für dich.« »Mh, du zeigst mir diesen Ausblick. Das ist mir Geschenk genug. Vor allem, weil dieser Ort dein Geheimnis ist – war.« Auch jetzt war es erneut Scorpius, der einen Schritt weiter ging, und seine Finger mit denen von Albus verschränkte. Albus dachte an eiskalte Fenster und die grünen Tiefen des Sees; versuchte, sein Herz wieder hinab in die Brust zu zwingen, aber er konnte nicht. Stattdessen durchlief ihn ein nervöses Zittern. Schließlich drückte er Scorpius‘ Hand fest, in der Hoffnung, dass er die Geste nicht missverstehen würde. Doch Scorpius schien mit den Gedanken ohnehin an einem ganz anderen Ort zu sein. Er sah immer noch in den Himmel. Albus konnte nur raten, woran er wohl dachte. »Wenn ich gewusst hätte, dass du kommst, hätte ich mir ein vernünftiges Weihnachtsgeschenk überlegt«, sagte Albus schließlich, dem die Stille nun zu viel wurde. »Jetzt habe ich nur eine halbe Packung Zuckermäuse in meinem Zimmer, das ist ja nix.« Scorpius schüttelte leicht den Kopf. »So ein Quatsch. Es ist schön genug, dass es endlich geklappt hat mit dem gemeinsamen Weihnachtsfest. Ganz ohne fliegende Autos, Vielsafttränke oder gekränkte Familienmitglieder.« Albus schmunzelte leicht. »Ja, wer hätte es gedacht, dass ausgerechnet dieses Weihnachten so friedlich wird, nur weil dein Vater dabei ist?« Jetzt grinste auch Scorpius und löste seinen Blick von den fernen Sternen. »Fehlt eigentlich nur noch eine Sache, um dieses Weihnachten endgültig unvergesslich zu machen.« Er atmete tief ein und aus. »Al ... du bist wirklich mein bester Freund. Aber manchmal da – weiß ich auch nicht, wünsche ich mir ...« Ihrer beider Blicke kreuzten sich. Albus‘ verräterisches Herz schien plötzlich seinen Schlag vergessen zu haben, genauso wie Scorpius die Worte. Für einen Moment sahen sie einander nur an, dann fasste Albus einen Entschluss. Wenn nicht hier, würde er sich nie trauen. Vielleicht war er im Begriff, sein Weihnachten auf den letzten Metern zu ruinieren. Oder es würde wirklich unvergesslich werden. »Scorp ... man, ich hasse Mistelzweige, aber jetzt gerade könnte ich einen gebrauchen. Dann wäre es vielleicht einfacher, zu fragen, ob ich ... ach, Merlin. Zu fragen, ob ich dich küssen darf.« Im schwachen Licht der Stadtlichter sah er, wie sich Scorpius‘ Augen weiteten. Er fürchtete schon, dass seine Worte eindeutig zu weit gegangen waren und ihre Freundschaft nun begruben. Da lächelte Scorpius. »Hey, Al, das wollte ich doch sagen«, grinste er mit einem kleinen Zittern in der Stimme. »Also eigentlich hatte ich immer auf eine Mistel in der Schule gehofft, um ehrlich zu sein. Aber du warst echt gut darin, ihnen auszuweichen. Sehr zu meinem Leidwesen. Na ja ... ähm. Ich sollte aufhören zu reden, vermute ich.« Scorpius biss sich verlegen auf die Lippe, doch Al hätte ihm stundenlang zuhören können. Da hatte er sich immer alleine mit seiner Sorge gewähnt, nur um zu erfahren, dass sein Freund sich mit den gleichen Gedanken getragen hatte. Wobei aus dem besten Freund wohl bald mehr werden würde. Die Augen fest geschlossen, lehnte Al sich zögerlich vor und tat das, von dem er sich nicht einmal getraut hatte, zu träumen. Er küsste Scorpius auf dessen kalte Lippen, die nach Pfefferminze und Winter schmeckten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)