Zauberhafte Weihnachten von Coronet ================================================================================ Kapitel 10: Winterstille [Neville Longbottom/Luna Lovegood] ----------------------------------------------------------- Hogwarts, 1997 Neville Longbottom und Luna Lovegood   Die Todesser regieren Hogwarts. Für ein besinnliches Weihnachtsfest bleibt den Schülern aus Dumbledores Armee wenig Zeit, aber Neville und Luna finden einen ruhigen Moment.   ***   Auf den Ländereien von Hogwarts türmte sich der Schnee zu fluffigen Bergen und sogar der schwarze See war von einer dicken Schicht aus Eis bedeckt. Die Winterwunderlandschaft wirkte perfekt, von den langen Eiszapfen an den Zinnen der Türme bis hin zu dem klaren Blau des Himmels über dem glitzernden Weiß. Doch anstelle einer fröhlichen Schülermenge war Neville der Einzige, der Spuren im frischen Schnee hinterließ. Niemand wagte eine Schneeballschlacht oder lief Schlittschuh, obwohl die Welt geradezu danach schrie. Das fehlende Gelächter der Schülerschaft ließ die Kälte nur umso deutlicher wirken. Früher hätte Neville sich über den unberührten Schnee gefreut, aber nun beschäftigte ihn Dringlicheres. Der Widerstand, die Todesser, der Krieg. Nicht einmal ein Besuch in den Gewächshäusern konnte ihn allzu lange davon ablenken, selbst wenn er sich wünschte, dass es anders wäre. Aber er kam nur her, um einige Zutaten für Zaubertränke abzuzweigen, die Dumbledores Armee so dringend nötig hatte. Heiltränke, für diejenigen, die unter der Folter der Carrows zu leiden hatten, gehörten inzwischen bei jedem von ihnen zu den Rezepten, die sie selbst mit verbundenen Augen anrühren konnten. Eine Leistung, die Neville nie für denkbar gehalten hatte, nicht nach Jahren der Schikane durch Professor Snape. Wenn dieses Schuljahr ihn eines gelehrt hatte, dann, dass sich alles ändern konnte, alles möglich war – und er nie die Hoffnung aufgeben durfte. Wenigstens der Anblick seiner geliebten Pflanzen und Kräuter verschaffte ihm einen Moment der Zufriedenheit und spendete Trost. Zumindest hier trieben sich keine Todesser um. Hier konnte er sich noch einreden, dass die Welt in Ordnung war, wenn sie doch längst schief in den Angeln hing. Liebevoll strich er über die Blätter eines zitternden Ginsterbusches, ehe er eine kleine Schere aus seinem Umhang zog und sich ans Werk machte. Die Taschen prall gefüllt, verließ er schließlich wieder das Gewächshaus. Er war später mit Ginny im Raum der Wünsche verabredet, wo sie sich in der Ecke ein behelfsmäßiges Zaubertranklabor eingerichtet hatten. Das war auch gut so, denn seit geraumer Zeit beschäftigte sich der Unterricht auf Drängen der Carrows hin ausschließlich mit Giften – und Professor Slughorn hatte eindeutig zu viel Angst, um dagegen Widerstand zu leisten. Allerdings war Neville draußen auf den Ländereien nicht länger alleine. Nervös ging er hinter einer großen Regentonne in Deckung, als er die dunkle Gestalt vor dem Schnee erspähte, die sich rasch den Gewächshäusern näherte. Schon befürchtete er, dass sein Diebstahl auffallen würde – erst dann fiel ihm auf, dass die Person sich offenbar hüpfend fortbewegte und auf den zweiten Blick wurde ihm klar, dass es sich nur um Luna handeln konnte. Sie war die Einzige, die angesichts dieser Lage noch ein verträumtes Lächeln im Gesicht trug oder hin und wieder versonnen kleine Melodien summte. Woher sie die Energie dafür nahm, war ihm schleierhaft. Wenn er nicht gerade in die DA eingespannt war, versteckte er sich am liebsten in seinem Himmelbett und versuchte zu ignorieren, dass in dem Schlafsaal nur noch zwei Betten besetzt waren. »Oh, hallo Neville«, grüßte Luna schon von Weitem, als sei es das Normalste auf der Welt, dass er gerade hinter der Regentonne kauerte. »Hast du etwas verloren?« »Hey Luna.« Verlegen erhob er sich aus seinem Versteck. »Ich hab nur ... ich hatte Angst, dass es vielleicht einer von den Carrows ist, bevor ich dich erkannt hab.« Verständnisvoll neigte sie den Kopf. »Ah, ja. Nun, das nächste Mal würde ich raten, dass du dich vielleicht lieber etwas besser versteckst. Dein roter Pullover«, sie deutete auf das warme Oberteil mit dem aufgestickten Gryffindorlöwen, »ist ziemlich auffällig hier draußen.« Neville wusste genau, dass sein Kopf gerade genauso rot wie der scharlachfarbene Pullover wurde. »Haha, ja, ich werd‘ dran denken«, stammelte er verlegen. »Aber was machst du so früh hier draußen?« »Oh, ich bin auf dem Weg in den Wald.« »Wald? Doch nicht ... der verbotene Wald?« »Oh, doch. Haben wir noch einen anderen Wald?« Luna sah ehrlich verwundert aus. »Ah, nein, natürlich nicht. W-was willst du denn im Wald?« Strahlend öffnete sie ihre senfgelbe Umhängetasche und zog doch glatt ein reichlich blutiges Steak hervor, das sie offenbar aus der Küche entwendet hatte. »Na, die Thestrale füttern. Jetzt im Winter freuen sie sich über etwas Aufmerksamkeit, hat Professor Hagrid gesagt.« Ein Kloß bildete sich in Nevilles Hals. Die unheimlichen skelettartigen Pferdewesen waren ihm von Tag eins an nicht geheuer erschienen. Immerhin sah er sie nicht erst seit Kurzem, wie manche Klassenkameraden. Ein schwacher Trost. »Willst du mitkommen?«, fragte Luna da auch schon. »Och ...« Er mochte Luna, zweifellos, doch ihm waren weder Wald noch Thestrale lieb. Warum konnte sie ihn nicht fragen, ob sie in der großen Halle eine Runde Zauberschnippschnapp spielen wollten? Lunas himmelblaue Augen musterten ihn wie ein besonders exotisches Tierwesen. »Du magst sie nicht sonderlich, was?« Er hob verlegen die Schultern. »Ich meine ... sie sind ein Symbol des Todes oder nicht?« »Hm, nein, das glaube ich nicht. Es hat sie nur schlecht getroffen, wie den Grimm. Aber das haben sie sich ja nicht ausgesucht.« Unverblümt direkt, wie immer. Das war etwas, wofür Neville Luna bewunderte. Er selber fand sich viel zu oft beim Stammeln wieder, anstatt endlich auszusprechen, was er dachte. Die DA hatte in der Hinsicht schon ordentlich geholfen, aber alte Gewohnheiten starben nur langsam. »Nein, vermutlich nicht. Aber die Erinnerung an den Tod gefällt mir trotzdem nicht.« »Glaubst du denn, dass der Tod das Ende aller Dinge ist?« Ehrlich neugierig legte Luna den Kopf schief und musterte ihn, als hätte sie gerade nach seiner liebsten Jahreszeit gefragt oder was er zum Frühstück gegessen hatte. Verblüfft öffnete Neville den Mund, aber außer einer kleinen Atemwolke brachte er nichts hervor. Der Tod musste doch das Ende von allem sein. Was sollte darauf schon folgen? »N-nicht?«, fragte er schließlich unsicher. »Oh, ich weiß es nicht«, sagte Luna leichthin, »doch ich kann mir vorstellen, dass das erst der Anfang einer Reise ist. Natürlich ist es eine traurige Angelegenheit, aber ich glaube, dass sie alle irgendwo weiter existieren, wie meine Ma. In dem Fall finde ich die Erinnerung an den Tod gar nicht so verkehrt.« Neville sah nachdenklich hinaus auf die verschneiten Ländereien, ohne, dass ihm eine gescheite Erwiderung einfallen würde. Solche Gedanken hatte er bisher ziemlich tief verdrängt. Es imponierte ihm, wie mühelos Luna diese Dinge in Worte packen konnte. Für sie schien das Thema damit beendet, denn sie richtete den Blick gen Himmel und schob das Steak zurück in ihre Umhängetasche. »Ich glaube, bald kommt Schnee«, erklärte sie sanft angesichts der dicken Wolken, die sich über die Berge auf das Schloss zuschoben. »Ich beeile mich lieber, bevor ich nicht mehr zurückkomme.« Jetzt oder nie, sprach Neville sich seinen Gryffindormut zu. »Ich begleite dich.« Ginny würde an einem Samstag ohnehin nicht vor zwölf aus den Federn sein. Es eilte nicht, die Trankzutaten ins Schloss zu bringen. Falls Luna sein Stimmungsumschwung verwunderte, so zeigte sie es nicht. Stattdessen hüpfte sie vermeintlich unbeschwert vor ihm drein und summte wieder eine ihrer kleinen Melodien. Wenn er schon seinen Mut zusammennahm, sie in den verbotenen Wald zu den Thestralen zu begleiten, so redete Neville sich ein, dann konnte er gleich noch mutiger werden. »Welches Lied summst du da?« Luna ließ einen Schritt in ihrem Hüpfen aus, ehe sie ihren Weg in einem veränderten Rhythmus fortsetzte. »Weiß ich nicht. Meine Mutter hat das früher immer gesummt, wenn sie an einem ihrer Experimente gearbeitet hat. Ich hab‘ ihr gerne dabei zugesehen, weißt du?« Neville erinnerte sich, dass der Tod von Lunas Mutter der Grund war, weshalb sie die Thestrale überhaupt sah. Das hatte sie ebenfalls ziemlich unverblümt geäußert, als wäre es nur eine beiläufige Sache, dass sie bereits in so jungen Jahren mit dem Tod konfrontiert worden war. »O-oh«, ertappte er sich beim Stammeln. Aber Luna gab ihm keine Gelegenheit, verlegen irgendetwas von Beileid zu faseln, wie es seine Großmutter von ihm verlangt hätte. Sie zuckte einfach nur mit den Schultern und lächelte träumerisch in Richtung Wald. »Vielleicht sehe ich die Thestrale deshalb so gerne, weil sie mich an meine Ma erinnern. Sie hätten ihr sicher gefallen, denke ich.« Auf diese Art hatte Neville es noch nie betrachtet. Er hatte nie weiter gesehen als bis zu den unheimlichen leeren Augen der Geschöpfe und den ledrigen Schwingen, bis er beschlossen hatte, dass die Thestrale ein schrecklicher Gruß aus der Welt der Toten waren, von denen er sich lieber fernhielt. »Es ist eine schöne Melodie«, erklärte er leise. Er wünschte, dass es irgendetwas gäbe, dass ihn an seine eigene Mutter erinnerte, wenn man von leeren Bonbonpapieren absah. Aber nicht einmal das hatte er, wo seine Eltern doch wie Tote unter den Lebenden waren. »Finde ich auch«, entgegnete Luna bestimmt, ehe sie unerwartet ihre Hand nach ihm ausstreckte. »So fühle ich mich weniger alleine.« Neville ergriff ihre Hand, die trotz der eisigen Kälte erstaunlich warm war. Wenigstens fühlte er sich so ebenfalls weniger alleine. Außerdem konnte er es gebrauchen, denn ihn befiel Beklemmung, sobald die ersten Bäume ihre Zweige nach ihnen reckten. Mit der freien Hand klammerte sich fester an den Riemen seiner Tasche voller Trankzutaten und heftete den Blick unverwandt auf Lunas blonde Mähne, die vor ihm auf und ab hüpfte. Zielstrebig führte die Ravenclaw ihn zu einer kleinen Lichtung, auf der sich der Schnee fast kniehoch türmte und die Äste sämtlicher Bäume von der Schneelast gen Boden gezogen wurden. Obwohl der Wald sonst so dunkel erschien, ließ das glitzernde Weiß die Stelle beinahe freundlich wirken. Luna zog das erste blutige Steak aus ihrer Tasche und es dauerte nicht lange, ehe sich ein dunkler Schemen zwischen den dichten Bäumen löste. Schnuppernd schob sich ein Kopf über Nevilles Schulter. Er unterdrückte einen ängstlichen Aufschrei, als sein Blick denen aus leeren Augenhöhlen begegnete. Es änderte nichts, dass er bereits auf dem Rücken eines Thestrals gereist war – ihm lief trotzdem ein kalter Schauer über das Rückgrat. Doch Luna drückte ihm einfach ein Stück Fleisch in die Hände und schon fand Neville sich von Angesicht zu Angesicht mit dem Skelettpferd wieder, das ganz eindeutig hungrig war. Das Tier stupste ihn an der Schulter an und mit den letzten Resten Löwenmut hielt er ihm aus zitternden Händen das Steak hin. Innerhalb weniger Happen verschlang der Thestral sein Futter. Unfreiwillig kicherte Neville leise, als das Geschöpf an seinen leeren Fingern schnupperte. Luna dagegen sprach kein Wort, sondern holte einfach weitere Stücke Fleisch aus ihrer Tasche. Gemeinsam verfütterten sie alles bis auf den letzten Fitzel, bis sie von einer ganzen Traube an Thestralen umringt waren, die sich bereitwillig von ihnen streicheln ließen. Hagrid hatte in seiner Stunde Pflege magischer Geschöpfe nur gut von der Herde gesprochen, aber erst jetzt, zusammen mit Luna, fiel es Neville leichter, zu glauben, dass sie nur Tierwesen waren, die nicht mit dem Tod in Verbindung standen. Die Thestrale machten außer leisem Schnauben keinerlei Geräusche. Selbst der Tritt ihrer Hufe wurde von dem reichlichen Schnee gedämpft. So wohl gefühlt in der Stille hatte Neville sich schon lange nicht mehr. Stille im Schloss bedeutete selten etwas Gutes, seit die Carrows Einzug gehalten hatten. Stille war Angst. Luna lächelte ihm über die Pferdewesen hinweg zu, als hätte sie genau denselben Gedanken. Aber wer wusste schon, was in ihrem Kopf vorging? Vielleicht dachte sie auch gerade an den schrumpfhörnigen Schnarchkackler, das wollte Neville nicht ausschließen. »Nicht so übel, oder?« Er musste ebenfalls lächeln. »Besser als oben im Schloss.« »Nun, das ist leider nicht schwer angesichts der Todesser, würde ich sagen. Vor denen lohnt es sich, Angst zu haben.« Wenn Neville es so betrachtete, war es ironisch, dass er sich ausgerechnet vor den Thestralen gefürchtet hatte. Im Gegensatz zu den Carrows folterten diese schließlich keine Kinder mit dem Cruciatus-Fluch. »Ich habe eine Menge Angst«, gestand er Luna. »Gerade vor den Todessern. Aber ...«, er klopfte auf seine prallgefüllte Tasche voller gemopster Trankzutaten, »das ist eine Angst, der ich mich stellen kann. Ich meine ... wir – die DA – haben ja einen Plan.« Was immer in Luna vorgehen mochte – ihre blauen Augen hefteten sich unverwandt auf ihn, unergründlich wie der schwarze See. Doch das Lächeln auf ihren Lippen verbreiterte sich. »Das hast du sehr schön gesagt, Neville. Unsere Freunde zählen schließlich auf uns, nicht wahr?« Er dachte an seinen leeren Schlafsaal und Seamus, dessen Blick immer wieder zu Deans verlassenem Bett hinüberglitt, wenn er annahm, Neville würde es nicht bemerken. Rasch nickte er. Die DA wurde gebraucht. Er wurde gebraucht. Luna wurde gebraucht. »Hey, ähm ... willst du Ginny und mir heute Nachmittag mit den neuen Tränken helfen?« Nun strahlte Luna endgültig. »Sehr gerne sogar.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)