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Zauberhafte Weihnachten

von

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Wunderschnee [Madame Puddifoot]


 

Hogsmeade, 1965

Madame Puddifoot

 

Unzählige Beziehungen haben in ihrer Teestube begonnen und geendet. Madame Puddifoot hat viele Geschichten über die Liebe zu erzählen – und manchmal sogar ihre eigene.

 

***

 

Madame Puddifoot erkannte auf den ersten Blick, welche Gefühle sich hinter den Besuchenden in ihrem Café verbargen. Das war zum einen die jahrelange Geschäftserfahrung, die sie für kleine Gesten sensibilisiert hatte. Immerhin betrieb sie diesen Hort der Romantik in dem Dorf Hogsmeade nun schon seit einigen Jahren. Zum anderen war es die unselige Gabe, Emotionen lesen zu können, wie Legilimens Gedanken lasen. Ein paar flüchtige Eindrücke reichten, damit die Dinge einfach offen vor ihren Augen lagen, während die Betroffenen selber noch gar nicht wussten, welcher Art ihre Gefühle waren.

Da gab es jene, die kaum ihre Hände – oder Lippen – voneinander lassen konnten, die sich die süßesten Versprechungen zuflüsterten, wenn sie dachten, dass es keiner mitbekam, und deren Empfindungen füreinander doch nur eine flüchtig schmelzende Schneeflocke waren. Andere hingegen schoben reichlich Gründe für einen Besuch in ihrem Café vor. Der gute Honigkuchen, das hörte Madame Puddifoot öfter. Aber dann bedachten sie einander mit sehnsüchtigen Blicken, die viel tiefer gingen als zuckersüße Nichtigkeiten.

Nicht alle trauten sich, zu ihren Gefühlen zu stehen, egal ob bewusst oder unbewusst. Manche kamen her, um eine Lüge zu leben, und andere brachen genau hier aus der Lüge aus. Nicht selten schmerzte Madame Puddifoot das Wissen um die komplizierten Empfindungen ihrer Kunden, erinnerte es doch viel zu sehr an ihre eigene Geschichte. Sie wünschte sich, dass sie allesamt ihr Glück finden würden, obschon sie wusste, dass nicht jedes Schicksal ein fröhliches war.

Doch in einer Sache, da konnte sie nachhelfen: Wer immer in das Café kam, sollte einen sicheren Rückzugsort finden. Natürlich konnte auch Madame Puddifoot nicht verhindern, dass die Besuchenden ihres Cafés einander sahen, aber die reichhaltige Deko sorgte oft genug dafür, dass die Aufmerksamkeit von den innig umschlungenen Pärchen abgelenkt wurde. Zwischen berüschten Sitzecken und allerhand Flitterkram fiel es oftmals gar nicht auf, dass zwei Spieler gegnerischer Quidditchmannschaften einander tief in die Augen sahen oder eine Lehrerin eine Flucht aus dem geregelten Schulalltag unternahm.

Madame Puddifoot hielt sich stets im Hintergrund. Ihre Gäste kannten sie als rundliche kleine Dame mit krausen Locken und fröhlichem Lächeln, die mit ihrem Zauberstab geschwind Teetassen und Silberbesteck durch die Luft dirigierte. Manche attestierten ihr hinter vorgehaltener Hand einen schlechten Geschmack, nur um dann doch wiederzukommen. Dennoch hatten sie alle einen Platz in ihrem Herzen. Auch jene, die in ihrem Laden nicht glücklich wurden.

Für die Festtage gab Madame Puddifoot sich besondere Mühe. Fingerdick türmte sich Galanthias Wunderschnee – der ewige Traumwinter seit 1874, jetzt mit verbessertem Minzduft! – auf den Girlanden aus Tannenzweigen und Misteln. Dazu schwebten reichlich bunte Christbaumkugeln mit kleinen Lichtern unterhalb der Decke, zwischen denen ein verzauberter Weihnachtsmann auf seinem Rentierschlitten umherflog, einen Wirbel aus Eiskristallen hinter sich herziehend. Je mehr, desto besser, befand die Caféinhaberin.

Weihnachten war immer Marys liebstes Fest gewesen, noch vor dem Valentinstag. Die Erinnerung an ihr strahlendes Gesicht angesichts des frischgeschmückten Weihnachtsbaumes lebte in dem vollgestopften kleinen Laden fort. Abgesehen davon lenkte der mannigfaltige Kitsch so manche Gäste von den tristen Sorgen des Alltags ab. Unter den funkelnden Eiskristallen des Wunderschnees, die im Gegensatz zu der weißen Pampe auf den Pflasterstraßen des Dorfes immer in perfekter Form blieben, war es schwer, sich nicht vom Weihnachtsrausch mitreißen zu lassen. Dazu das neuste Lied von Celestina Warbeck im Hintergrund und die Atmosphäre war optimal.

 

Heute saßen unter den künstlichen Schneeflocken nur wenige Gäste, was wohl auch dem Schneetreiben draußen zu Schulden war. In einer Ecke versteckten sich zwei von Madame Puddifoots liebsten Besuchenden und schoben mit regelrechten Bergen an Pergamenten vor, zu arbeiten – die Verwandlungslehrerin aus dem Schloss oben mit ihrem Verehrer aus dem Ministerium. Die Caféinhaberin zählte eigentlich nur die Minuten, bis der Mann der Professorin unweigerlich einen Heiratsantrag machen würde – den sie seit Jahren abzulehnen pflegte. Die beiden waren ein kompliziertes Gespann und vielleicht gerade deswegen Stammgäste.

Doch unter einem Klingeln der Türglocke betrat jemand Neues den Laden. Eine schmale junge Frau in einen dicken Wollumhang gehüllt. Ihr Blick wanderte suchend durch das Innere des Cafés und blieb schließlich an Madame Puddifoot hängen. Eine beschämte Röte, die nichts mit der Wärme hier drinnen zu tun hatte, kroch in ihre Wangen. Offenbar war die Person ihres Herzens noch nicht hier, wie Madame Puddifoot aus ihrer Verlegenheit las.

Die Inhaberin setzte ihr bestes großmütterliches Lächeln auf und geleitete das nervöse Mädchen – sie durfte kaum volljährig sein – zu einem der kleinen spitzenbedeckten Tischchen. Es war kein Zufall, dass der Laden fast nur Sitzecken für zwei hatte. Die meisten Gäste bevorzugten die Zweisamkeit. Und hin und wieder bestätigten Ausnahmen die Regel.

»Tee? Kaffee?«, fragte sie beschwingt, in der Hoffnung, dass das junge Ding ein wenig auftauen würde.

»O-oh ... einen Kräutertee, bitte.«

Die neue Besucherin gewann eine Gesichtsfarbe, die mit den pinken Tapeten konkurrieren konnte. Haltsuchend klammerte sie sich an die ebenso pinke Serviette, während Madame Puddifoot ihr das gewünschte Getränk servierte.

»Keine Sorge«, sagte die Inhaberin sanftmütig zu ihr, »früher oder später tauchen sie alle auf. Den guten Honigkuchen schlägt schließlich niemand aus.«

Natürlich wusste jeder, dass man ihr Café nicht allein deswegen besuchte, aber hin und wieder half es, sich unwissend zu stellen, damit die Gäste sich nicht so offenbart fühlten.

Das Mädchen jedoch klammerte sich wie eine Rettungssuchende an die dampfende Teetasse und nahm einen raschen Schluck, obwohl das Getränk noch viel zu heiß sein musste. »Ich hoffe es«, murmelte es ausweichend.

Madame Puddifoot registrierte, wie sich eine wehmütige Färbung in ihre Stimme einschlich. Hoffnung und der Verlust eben dieser kämpften in den drei knappen Worten miteinander. Sie erahnte, dass diese Besucherin ihr Café vielleicht mehr brauchen würde als andere.

»Ich bringe dir schon einmal ein Stück zum Probieren. Geht auf’s Haus.« Zwinkernd verschwand sie hinter ihren Tresen und suchte sich aus ein besonders saftiges Stück aus, das sie dem armen Kind bringen konnte.

Als der Kuchen von Zauberhand getragen vor ihr niedersank, sah das Mädchen kurz auf und ein zaghaftes Lächeln streifte dessen Lippen.

Draußen wurde es langsam dunkel. Ganz wie von Madame Puddifoot vorhergesehen, gab es an diesem Abend wieder einen Heiratsantrag, der unter reichlich Verlegenheit, vorgeschobenem Gelächter und vorwitzigen Worten abgelehnt wurde. Außer ihr bekam das wohl niemand mit, aber sie hatte Celestina Warbeck auch mit einem diskreten Schwung des Zauberstabs etwas lauter gestellt.

Ihre jüngste Besucherin indes saß immer noch alleine an ihrem Tisch. Die Schlucke, die sie aus der Teetasse nahm, wurden zusehends kleiner und die Aura der Sorge um sie herum wuchs mit jedem davon weiter an. Madame Puddifoot ahnte, dass sich hier vielleicht ein weniger glückliches Schicksal verbarg.

Da sie gerade kaum zu tun hatte, nahm sie sich die Teekanne und trat erneut an den Tisch des Mädchens heran. »Noch etwas Tee, meine Liebe?«

Fast schon erschrocken weiteten sich die Augen ihrer Besucherin. »Oh, nein, danke ... ich – ich warte nur noch kurz ...«

Ihre Verlegenheit war so umfassend, dass Madame Puddifoot selber sich fühlte, als würde sich ein Fesselzauber um ihr Herz legen. Sie war starke Gefühle gewöhnt – man könnte ihr wohl vorwerfen, dass sie geradezu ihre Nähe suchte mit diesem Café voller Liebesgeschichten –, aber die Intensität dessen, was sie ausstrahlte, war besonders.

»Es wartet sich besser mit etwas heißem Tee«, lächelte Madame Puddifoot ihr zu.

»Ah, ich ... habe nicht so viele Sickel dabei.«

»Dann lass das mal meine Sorge sein. Geld ist nicht alles. Wenn du möchtest, geht das auch auf’s Haus.«

Die Tasse in den Händen der jungen Frau klapperte gegen die Untertasse, als sie beschämt in die klägliche Pfütze Tee starrte. »Das kann ich unmöglich annehmen.«

»Nun, ich will es dir nicht aufdrängen, aber falls du es dir anders überlegst – ich stelle die Kanne hier hin.«

Mit diesen Worten entließ Madame Puddifoot ihre Besucherin aus ihrer Verlegenheit und kehrte wieder hinter den Tresen zurück. Jede Person, die ihr Café besuchte, war anders, sehnte sich nach unterschiedlichen Dingen. Dank ihrer Gabe und jahrelanger Erfahrung gelang es Madame Puddifoot zumeist, ihren Gästen den Raum zu geben, den sie sich wünschten.

Noch war ihr allerdings nicht klar, ob die einsame junge Dame aufmunternde Worte brauchte oder doch eher Abgeschiedenheit. Ihr selber sehnte es danach, der Armen gut zuzureden, aber sie hatte auch gelernt, dass sie sich nicht aufdrängen durfte. Eine Lektion, die Mary sie gelehrt hatte.

Der Abend schritt immer weiter voran und einer nach dem anderen verließen die übrigen Gäste das gemütliche Café. Selbst die Lehrerin und der Ministeriumsbeamte packten langsam ihre Pergamente zusammen. Offiziell würde Madame Puddifoots bald schließen. Doch an einem Tisch saß nach wie vor eine einsame junge Frau, die ihren Tee in viel zu kleinen Schlucken trank. Madame Puddifoot war das Herz schwer, als sie erneut zu ihr trat.

»Oh, ich sollte gehen, nicht wahr?« Sie grub in den Tiefen ihres Umhangs nach dem Geldbeutel.

Beschwichtigend legte Madame Puddifoot ihr eine Hand auf die Schulter. »Alles in Ordnung, meine Liebe. Macht es dir etwas aus, wenn ich mich zu dir setze? Wenn man nicht alleine ist, wartete es sich noch besser.«

Überrascht sah das Mädchen auf. »Glauben Sie denn, dass sie noch kommt?«

»Glaubst du es?«

»Ich weiß es nicht.« Sie schniefte leise. »Ich hoffe es.«

Sanft lächelnd setzte Madame Puddifoot sich neben ihr in den Sessel. »Dann wollen wir diese Hoffnung noch nicht aufgeben.«

»Sie würde kommen, das weiß ich«, murmelte ihr Gegenüber zögerlich. »Aber wenn ... wenn sie aufgehalten wird ...«

Die Worte versetzten Madame Puddifoot einen feinen Nadelstich ins Herz. Das war eine Angst, die sie viel zu gut verstand. Als Mary noch gelebt hatte, war das ein Gedanke, der sie selber oft genug verfolgt hatte. Ihre Eltern hatten diese Beziehung nie gutgeheißen.

»Wenn sie aufgehalten wird, dann sollten wir wohl noch etwas länger warten.«

»Meinen – meinen Sie das ernst?«

»Selbstverständlich. Weißt du, Liebes, meine Freundin hat mich früher auch oft warten lassen. Aber am Ende ist sie immer aufgetaucht. Manchmal eine Stunde zu spät, manchmal einen Tag. Was zählt, ist, dass sie immer den Weg zu mir gefunden hat. Also habe ich immer auf sie gewartet.«

Die Besucherin beschrieb mit ihrem Finger Kreise auf dem Rand der Teetasse. »Vielleicht wird sie aber nie auftauchen. Vielleicht ist dieses Mal alles anders.«

»Aber sie will zu dir zurückkehren, nicht wahr?«

Das Mädchen nickte. »Nur wenn ... ihre Familie sie jetzt einfach zwingt, diesen Reinblüter zu heiraten ... dann spielt das wohl keine Rolle mehr.«

Madame Puddifoot sah hinauf zu dem fliegenden Weihnachtsschlitten, der immer noch seine Spur aus Wunderschnee über ihnen verstreute. Das war Marys liebste Weihnachtsdekoration gewesen, erinnerte sie sich wehmütig.

»Solange sie zu dir zurückkehren will, wird es eine Rolle spielen.«

»Was macht sie da so sicher?«

Ein leichtes Lächeln umspielte Madame Puddifoots Züge und sie schenkte sich eine eigene Tasse Tee ein. »Ich weiß es, weil ich es selber erlebt habe.«

Sie erzählte nicht oft die Geschichte, wie sie sich in der Schulzeit in Mary verliebt hatte – und Mary in sie. Inzwischen tat es nicht mehr weh, an ihre verstorbene Frau zu denken, aber sie behielt die Erinnerung an das Mädchen, das Kitsch über alles geliebt hatte, doch gerne für sich. Hin und wieder verlangte das Leben jedoch von jeder Regel eine Ausnahme. So wie jetzt.

Ähnlich wie ihre Besucherin hatten auch sie und Mary immer um ihre Liebe kämpfen müssen. Gegen die Eltern, die sich längst einen Verlobten ausgesucht hatten, der ihren Erwartungen gerecht wurde, gegen die Gesellschaft, die nicht bereit für ihre Liebe war. Umso mehr erfüllte sie der Gedanke daran mit Hoffnung, dass sie immer gewonnen hatten. Dass sie ihren Frieden in den kleinen vier pinken Wänden des Cafés gefunden hatten.

Während Madame Puddifoot erzählte, brach endgültig die Nacht herein, doch es war noch Zeit, zu warten. Endlich taute auch die junge Frau langsam auf und traute sich, davon zu erzählen, wie sie sich in ihre Freundin verliebt hatte. Sie berichtete von verstohlenen Treffen bei Nacht im Eulenturm oder im Schutz der Bäume. Und von der Kluft zwischen Reinblütern und Muggelgeborenen, die ihren Gefühlen füreinander entgegenstand. Die dafür sorgte, dass ihre Liebste einen anderen heiraten sollte, um die Familie zufriedenzustellen.

Kein Wunderschnee dieser Welt konnte über den Schmerz dieser Erfahrungen hinwegtäuschen, aber zumindest wusste das Mädchen nun, dass sie nicht alleine war.

Der neue Tag brach gerade an, da öffnete sich unerwartet mit einem Klingeln die Tür. Madame Puddifoot brauchte keine hellseherischen Fähigkeiten, um an dem strahlenden Gesicht ihres Gastes zu erkennen, dass die späte Nacht noch ein Happy End brachte. Als die beiden jungen Frauen einander überglücklich in die Arme fielen, wärmte es auch ihr Herz wie ein Abend am heißen Kaminfeuer.

Mit einem Lächeln sah sie ihnen hinterher, sobald sie auf die verschneite Straße hinaustraten, die Reste des Honigkuchens bei sich, und mit einem leisen Knall in ein neues Leben hinein disapparierten. Sie dankte Mary ein weiteres Mal, dass sie sich für dieses Café entschieden hatte.



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