Zauberhafte Weihnachten von Coronet ================================================================================ Kapitel 1: Aurorenwinter [Frank & Alice Longbottom] --------------------------------------------------- London, 1977 Frank Longbottom und Alice Fortescue   Kurz vor Weihnachten ist selbst das Aurorenleben ruhig, wie Frank und Alice auf einer besonders ereignislosen Mission feststellen. Einander finden sie jedoch alles andere als langweilig ...   ***   Der Übergang vom Tag zur Nacht war kaum merklich. Zwischen den dicken Schneeflocken, die seit dem frühen Morgen aus dem Himmel fielen, war es gar nicht erst richtig hell geworden. Irgendwo hinter einer stahlgrauen Wolkendecke mochte sich die Sonne verborgen haben, doch nun senkte sich die Nacht bereits wieder über London und mit einem Flackern entzündeten sich die ersten Straßenlaternen, um der Dunkelheit die Stirn zu bieten. Die wenigen Muggel, die dem Schneetreiben trotzten, liefen mit gesenkten Häuptern, unter Schirmen verborgen, in völliger Ignoranz der Umgebung ihrem Ziel entgegen. Sie alle hatten die Köpfe voll mit eigenen Sorgen, sodass keiner einen Blick für die zwei jungen Leute übrig hatte, die schon seit Stunden an einer Bushaltestelle warteten und doch nie in einen Bus stiegen. Einerseits konnte Frank Longbottom es kaum erwarten, dass sich der Abend – und damit sein letzter Arbeitstag vor dem wohlverdienten Urlaub – dem Ende neigte. Nur noch wenige Stunden, dann würde er für das Weihnachtsfest nach Hause zurückkehren. Den Krieg, der seit Monaten sein ganzes Leben bestimmte, einmal vergessen. Wenn es denn überhaupt so etwas wie Vergessen gab. Andererseits wünschte er, dass sich diese letzten Stunden noch länger ziehen würden. Alles nur wegen Alice. Zum hundertsten Mal an diesem Tag studierte diese die ausgehängten Abfahrtszeiten der Busse, während sie von den Hacken auf die Zehenspitzen vor und zurück wippte, ihre schmalen Arme eng um sich gewickelt. Und zum hundertsten Mal an diesem Tag fand sich Frank in die Betrachtung ihres runden Gesichts unter den kurzen Haaren, in denen sich der Schnee fing, verloren. Die Observation der beiden angehenden Auroren war ebenso langweilig wie langwierig und gerade deshalb konnte Frank sich keine bessere Begleitung als Alice vorstellen. Selbst wenn er stundenlang Krötenhirne pökeln müsste, mit ihr an der Seite würde sogar das erträglich sein. Irgendwann zwischen ihrem letzten Schuljahr und heute war sie zu einer Person geworden, deren Anwesenheit ihm ganz natürlich erschien, beruhigend und vertraut. Trotzdem konnte er nicht von der Hand weisen, dass sich die klirrende Kälte langsam in seinen Körper fraß und trotz aller wärmender Zauber fühlten seine Zehen sich eigenartig taub an. Das nächste Paar warmer Socken, dass seine Mutter ihm strickte, würde er nicht länger ganz unten in der Unterwäscheschublade verstecken. Alice schien es ähnlich zu ergehen, denn kaum war sie mit ihrem Studium der Linienpläne fertig, begann sie erneut, von links nach rechts zu laufen, und ließ ihre Arme weite Kreise beschreiben. Zwischendurch warf sie immer wieder einen Blick auf die andere Straßenseite, zu dem Ziel ihrer vorweihnachtlichen Observation. Die Fenster des schmalen Reihenhauses waren hell erleuchtet und die zarten weißen Spitzengardinen nützten kaum, um die Silhouetten seiner Anwohner zu verbergen. Der Parlamentssekretär, den sie beide beobachteten, war seit Stunden daheim und saß in einem breiten Sessel am Kamin, ein gewaltiges Buch in der Hand, völlig ahnungslos, was die Zauberbanne über seinem Haus oder die jungen Auroren an der Bushaltestelle anging. Alles war, wie es sein sollte. Selbst die Todesser schienen am Vorabend von Weihnachten wenig Lust zu haben, ihren schrecklichen Machenschaften nachzugehen. Was Frank und Alice selbstverständlich nicht von ihrer Aufgabe entband, ganz gleich wie eintönig sie war. Wie zur Bestätigung seiner Gedanken seufzte Alice laut auf und lehnte sich wieder neben ihm gegen das Plastik des Wartehäuschens. »Du hast nicht zufällig ein paar zischende Zauberdrops dabei?«, fragte sie hoffnungsvoll. Bedauernd schüttelte er den Kopf. »Und wenn, dann wären sie schon längst Geschichte.« »Verdammt, bei Merlins karierter, schlabbriger, löchriger Unterwäsche, das darf doch nicht wahr sein«, stöhnte Alice leidvoll auf und fing schon wieder an, auf und ab zu laufen. »Das war doch volle Absicht, dass man uns ausgerechnet diese öde Aufgabe gegeben hat. Da hab ich endlich mal gedacht, dass wir etwas Sinnvolles machen dürfen und jetzt hängen wir den ganzen Tag an einer Bushaltestelle fest!« Frank konnte angesichts ihrer Ungeduld nur grinsen. »Mad-Eye würde sagen, dass wir einen wichtigen Beitrag zum größeren Ganzen leisten«, stellte er nüchtern fest. Wie erwartet hielt Alice kurz inne, ehe sie ihm einen vorwurfsvollen Seitenblick zuwarf. »Ja, ganz großartig, wir stehen uns die Beine in den Bauch, während Mr. Muggelsekretär da drüben in seinem Sessel über Krieg und Frieden einschläft. Ich will eine Aurorin sein, nicht eine verdammte Eisstatue.« Sie fuhr sich entnervt durch das kurze Haar, in dem sich einige Schneeflocken niedergelassen hatten, und seufzte erneut. »Sorry – es ist nur ... ich komme mir so verdammt nutzlos vor.« Dieses Gefühl war Frank nicht unbekannt, aber anders als Alice genoss er die ruhigen Momente insgeheim. Sie wäre vermutlich Feuer und Flamme, wenn in der Straße plötzlich ein Todesser auftauchen würde und würde keine Sekunde zögern, sich in ein Duell zu stürzen. Frank hingegen hatte schon eine ganze Flasche Feuerwhiskey und reichlich Bestärkung seiner Schulfreunde gebraucht, bis er sich überhaupt für den Aufnahmetest als Auror beworben hatte. Am Ende waren es allerdings Alice‘ aufmunternde Worte, die den Ausschlag gegeben hatten, dass er nun wirklich hier stand. »Lass es uns zusammen wagen«, hatte sie gesagt. Auch jetzt, zwei Jahre später und mitten in der Aurorenausbildung, war sein Mut dennoch bestenfalls wankelmütig im Vergleich zu dem von Alice. Nicht, dass er es je bereut hätte, gegen die Todesser zu kämpfen. Aber der Wert ruhiger Momente war ihm deutlicher als je zuvor. »Lob den Abend nicht vor der letzten Eule. Vielleicht bekommen wir ja noch Besuch«, erwiderte er nun sanftmütig. »Auch wenn ich es nicht hoffe. Meine Mutter macht mich einen Kopf kürzer, wenn ich ausgerechnet an Weihnachten im St. Mungo lande.« Das entlockte Alice ein Grinsen. »Hey, du vergisst, dass ich auch noch da bin. Wer sagt, dass ich dir nicht den Hintern retten würde?« Franks Herz unternahm bei dieser Aussage einen gänzlich unpassenden Satz und er sah schnell von Alice wieder zu ihrem Observationsobjekt hinüber. Natürlich saß ihre Zielperson nach wie vor am Kamin und wenn ihn nicht alles täuschte, war der Mann inzwischen eingeschlafen. »Andererseits«, fuhr Alice ungerührt fort und deutete auf den Zauberstab, dessen Ende aus der Hosentasche seiner Jeans lugte, »Wenn ich das so sehe, könnte dein Hintern bald ganz andere Probleme haben, wenn man Mad-Eye glaubt.« Fragend zog Frank eine Augenbraue hoch. »Glaub mir«, lachte Alice, »nachher hält Mad-Eye dir einen Vortrag über den Verlust von Gesäßteilen. Ich habe erst vor ein paar Tagen gehört, wie er Thomson deswegen zusammengefaltet hat.« Sie streckte die Brust heraus, stemmte die Hände in die Hüften, wie der ältere Auror es zu tun pflegte, und ließ ihre Stimme ein paar Oktaven tiefer wandern. »Ein Zauberer von Verstand trägt seinen Zauberstab niemals in der Hosentasche wie einen beliebigen Dauerlutscher. Stellen Sie sich nur die Scham vor, wenn ein Todesser Sie überwältigt und wir Ihren Leichnam finden, mit dem Zauberstab noch in der Hosentasche! Das kann nur übertroffen werden von der Scham, sich die eigene Pobacke weggesprengt zu haben und damit ins St. Mungo gehen zu müssen.« Frank spürte förmlich, wie sich sein Hintern erwärmte, und musste dem Drang widerstehen, den Zauberstab in seinen Ärmel zu schieben. Ungeachtet dessen ließ Alice‘ Imitation ihres strengen Lehrmeisters seine Mundwinkel zucken. »Kennst du jemanden, der tatsächlich mal unwiederbringlich seine Pobacke verloren hat?« Alice‘ Augen funkelten ihn amüsiert an, als sie grinsend den Kopf schüttelte. »Hinter vorgehaltener Hand flüstert man sich zu, dass Mad-Eye sich die Geschichte nur ausgedacht hat, um Aurorenanwärter zu schockieren. Aber ich dachte, es wäre nur fair, dich zu warnen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Dein Longbottom ist schon in Ordnung, so wie er ist, da wäre es doch schade, falls was passiert.« Jetzt wurde Frank definitiv zartrosa um die Nase. So etwas konnte nur Alice sagen und dabei nicht einmal mit der Wimper zucken. »Dann ... danke für die Warnung, schätze ich.« »Klar.« Alice kramte inzwischen unbekümmert in ihren Manteltaschen und förderte schließlich eine ramponierte Tüte von Pfefferminzkröten zutage, die sie ihm strahlend unter die Nase hielt. »Na wer sagt’s denn, ich wusste doch, dass irgendwo noch was zum Naschen sein muss!«, jubilierte sie. Das war noch so eine Sache an Alice, die Frank gefiel. Wo immer sie hinging, was immer auch passierte – er konnte sich darauf verlassen, dass in ihren Taschen ein paar Leckereien zu finden waren. Die Vorliebe für Süßigkeiten musste wohl daher rühren, dass ihre Familie die Eisdiele in der Winkelgasse führte. Genüsslich ließ er sich eine der kleinen Pralinen in Krötenform auf der Zunge zergehen. »Was hast du eigentlich so an deinen freien Tagen vor, Alice?« »Och ... ich glaube, ich werde mir die Füße mal ordentlich am Kamin aufwärmen«, schmunzelte sie. »Ein bisschen Zeit mit meiner Familie verbringen, vielleicht ein neues Eisrezept kreieren. Weißt du, mein Vater hat letztes Jahr versucht, Feuerwhiskey-Eis herzustellen, aber das ist noch nicht ganz serienreif. Der Anti-Schmelzzauber war etwas zu stark. Und du?« »Nichts Besonderes. Meine Mutter hat bestimmt wieder einige ihrer Freundinnen zum Weihnachtsessen eingeladen. Tja, ich denke, ich werde hoffen, dass alles ruhig bleibt und ein gutes Buch lesen, solche Sachen.« Im gleichen Atemzug hätte er sich schon ohrfeigen mögen. Noch ein bisschen langweiliger konnte seine Aussage wohl kaum sein! Als ob Alice ihn je interessant finden würde, wenn er sowas erzählte? Hätte er nicht sagen können, dass er irgendwas Riskantes und Verrücktes vorhatte, vielleicht auf einem Besen nach Drachen jagen oder so? Aber andererseits wusste sie ja schon aus der Schulzeit, dass er nicht einmal zwei Meter über dem Boden fliegen konnte, ohne, dass ihm schlecht wurde. »Das klingt schön«, riss Alice ihn aus seinen Gedanken. »Hast du irgendwelche Leseempfehlungen? Vielleicht lesen wir ja das gleiche, dann haben wir was zum Austauschen, wenn wir nächstes Jahr wieder auf einer langweiligen Mission festhängen. Dann könnte ich mich noch mehr darauf freuen.« Überrascht sah er hoch zu ihr. »Meinst du das ernst?« »Warum sollte ich Witze machen?« »Ich ... ähm.« Betreten rieb er sich den Nacken. »Ich dachte nur, na ja, dass du das ziemlich langweilig finden würdest. Du hast dich ja früher schon immer beschwert, wenn wir für die Hausaufgaben zu viel lesen mussten.« Kichernd rollte Alice mit den Augen. »Ja, weil die dicken Schinken über irgendwelche Verwandlungsgesetze echt langweilig sind. Aber du bist nicht langweilig, Frank und ich bezweifle, dass du was Langweiliges empfehlen würdest.« Es war, als hätte er sein Weihnachtsgeschenk einen Tag zu früh erhalten. Alice fand ihn nicht langweilig! Er konnte sich zwar nicht erklären, weshalb, aber das war nebensächlich. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. »Es wäre mir eine Freude«, gestand er. »Wunderbar, dann ist es also beschlossen!« Mit einem Strahlen sah Alice auf ihre Armbanduhr. »Perfekt pünktlich zum Feierabend!« Sie warf einen letzten Blick über die Straße, doch alles blieb ruhig im Schein der Straßenlampen. Ihr Observationsziel schlief immer noch und mit einem Ploppen tauchte am Ende der Häuserreihe ihre Ablösung auf. Zeit, zu gehen, wie Frank mit Wehmut feststellte. Obwohl er längst durchgefroren war, wünschte er sich jetzt erneut, dass der Tag nicht vorbeiging. Gemeinsam liefen sie einige Schritte um die nächste Ecke, wo sie im Schutz der Dunkelheit disapparieren konnten. Doch anstatt ihm noch ein paar Worte zum Abschied entgegenzurufen und dann ins Nichts zu verschwinden, wie sonst, hielt Alice inne. »Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir noch ein paar langweilige Missionen zusammen bestreiten müssen, nächstes Jahr«, sagte sie unvermittelt. »Schon komisch, immerhin kennen wir uns schon so lange, aber ich habe das Gefühl, dich noch einmal komplett neu kennenzulernen.« Die nächste Straßenlaterne war einige Schritte weit entfernt und der Lichtkegel auf dem glitzernden Schnee reichte nicht bis zu ihnen vor, sodass Frank nicht sicher war, ob Alice sah, wie er rot anlief. Verlegen schluckte er. Jetzt war es an der Zeit für den Mut, den er als Gryffindor so reichlich haben müsste. »Das würde ich auch schön finden.« Gut, seine Worte waren mehr zu einem Murmeln geraten, aber es war ein Anfang! »Sehr sogar«, setzte er mutiger hinzu. Selbst im Dunkel konnte er ausmachen, wie Alice lächelte. Auf einmal war ihm klar, dass sie ihm ziemlich nahe stand. So nahe, dass er ihren zarten Pfefferminzatem wahrnahm und die winzigen Tropfen schmelzenden Schnees in ihren dunklen Wimpern bemerkte. Mut, hallte es durch seinen Kopf, sei mutig! Doch es kostete ihn mehr Überwindung, seine Hand zaghaft nach Alice auszustrecken, als einem – oder dutzenden – Todessern entgegenzutreten. Generell war es viel einfacher, Flüche durch die Gegend zu schießen, anstatt den ersten Schritt zu machen. Hierbei gab es deutlich mehr zu verlieren, unzählige Wege, wie alles schiefgehen konnte. Eine Hand an ihrer Wange hielt Frank inne und fragte sich, ob das überhaupt war, was sie wollte. Was, wenn er sie ganz falsch verstanden hatte? Alice jedoch kannte keinen dieser Zweifel. Ihre kalte Hand fand den Weg in seinen Nacken und während er noch zwischen Mut und Vorsicht rang, zog sie ihn näher an sich. »Hast du was dagegen, wenn ich dich küsse?«, flüsterte sie mit einem kleinen Grinsen, das ihn aus seiner Starre auftauen ließ. Überwältigt schüttelte er den Kopf und bevor er seine Sprache wiederfand, legten sich ihre Lippen auf seine. Kühl und frisch, wie der fallende Schnee um sie herum. Aber die Kälte war vergessen; schmolz unter dem Kuss dahin wie Eis in der Sonne. Frank war sich in diesem Augenblick sicher, dass er es mit allem aufnehmen konnte, für sie – wegen ihr. Wenn sein Mut nicht reichte, teilte sie den ihren mit ihm und machte ihn stärker, als sie alleine waren. »Fröhliche Weihnachten, Alice.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)