Herz über Kopf von Centranthusalba ================================================================================ Kapitel 6: Gewonnen… -------------------- Als der Schlusspfiff ertönt, reißt die Menge jubelnd die Arme in die Höhe. Um Elsa und Sarah brodelt es ohrenbetäubend. Sofort springt Sarah ebenfalls auf und deutet mit amateurhafter Gebärdensprache Richtung Ausgang. Geschriehene Worte würden im Lärm eh untergehen. Elsa nickt und wirft noch einmal einen Blick auf das Spielfeld, wo Mario gerade sein Tor verlässt und mit den anderen zum Spielfeldrand läuft. In den Katakomben des Nagai-Stadions von Osaka ist der Lärm der Menge nur noch als dumpfes Dröhnen hörbar. Elsa spürt, wie ihr Herz aufgeregt hüpft. Dieses riesige Stadion, tausende Menschen, feierten den Sieg ihrer Mannschaft. In den Zeiten, als sie mit Gregor noch ein Zimmer teilte, hatte sie sich oft seine Fantasien von vollbesetzten Fußballstadien, die ihn allein anfeuerten, anhören müssen. Und jetzt hatte diese chaotische Schülermannschaft von damals diesen Traum wahr gemacht: Das größte Fußballstadion von Osaka ist bis auf den letzten Platz besetzt und gerade völlig aus dem Häuschen. Zielsicher steuern die Freundinnen die Bank am Spielfeldrand an. Alles liegt sich jubelnd in den Armen. Mittendrin steht Viktor im schwarzen Trainerdress und klatscht mit jedem ankommenden Spieler ab. Er und Mario wechseln sich bei den Spielen ab. Heute hatte Mario den Torwart gemacht und Elsa war zurecht stolz auf ihn. Er hatte einige tolle Paraden vorgeführt und mehr als einen heißen Ball des Gegners entschärft. „Glückwunsch! Ganz tolles Spiel!“ Sarah geht mit offenen Armen auf die Mannschaft zu und umarmt wahllos jeden, der in den Siegestaumel einfällt. Als Viktor die Mädchen kommen sieht, wendet er sich lachend zu ihnen um. Elsa spürt augenblicklich den Ruck, der durch ihren Körper geht und das inzwischen bekannte Zusammenziehen in ihrem Innern. Rasch wendet sie den Blick ab. Sie war nur durcheinander, bestätigt sie sich erneut in Gedanken, irgendwann geht das vorbei. Hoffentlich bald. Bis dahin musste sie nur standhaft bleiben. Während Sarah ihm um den Hals fällt, geht Elsa mit gesenktem Kopf an ihnen vorbei zu ihrem eigenen Freund. Mario wischt sich gerade mit einem Handtuch den Schweiß vom Gesicht und strahlt als er sie sieht. „Hast du den letzten Ball gesehen? Der war sowas von knapp. Ich dachte, ich kriege ihn nicht.“ Sein Adrenalinlevel ist offensichtlich immer noch viel zu hoch. Elsa nimmt ihn lachend in den Arm. „Du warst toll.“ Gott-sei-Dank ist er noch aufgeregt genug, um nicht zu bemerken, mit wieviel Mühe sie sich diese drei Worte abringt. Eine gute Stunde später sitzen alle im Versammlungsraum des Vereins um den großen Tisch herum und feiern weiter ihren Sieg. Einige Flaschen Bier sind bereits geleert worden. „3:1 gegen Nagoya Power“, schwärmt Eric, „das wird unseren Ruf noch mal ordentlich festigen.“ „Was haben wir die als Schüler immer angefeuert!“ Jeremy und Charlie stoßen zum x-ten Mal an. „Und jetzt haben wir sie geschlagen!“ „Hey Mario, komm doch mal rüber.“ Von der anderen Seite des Tisches winkt Gregor seinem ehemaligen Käpt’n zu. Mario erhebt sich von seinem Platz neben Elsa und wird sogleich von Gregor und zwei weiteren Spielern in tiefgreifende, fußballerische Diskussionen gezogen. Elsa grinst und nimmt einen Schluck von ihrer Cola. Diese Jungs. Irgendwie wurden sie nie erwachsen. Dann wird auf den freigewordenen Platz neben ihr eine Flasche Bier abgestellt und der Stuhl quietschend zurückgezogen. Elsas Nackenhaare stellen sich auf. Sie weiß auch ohne hinzusehen, wer sich gleich neben sie setzen wird. Ohne zu fragen, lässt sich Viktor auf Marios Platz fallen. Elsa hält die Luft an und wartet, dass etwas passiert. Aber es passiert nichts. Viktor beachtet sie gar nicht, sondern dreht sich zu seinem linken Tischnachbarn um und fällt in das dortige Gespräch ein. Elsa schluckt und sieht krampfhaft geradeaus zu Sarah, die ihr an dem breiten Tisch gegenüber sitzt und abwechselnd zu ihrer Linken mit Eric anstößt und zu ihrer Rechten Kevin wiederholt zu seinen tollen Torvorlagen beglückwünschen muss. Sie ringt sich ein unschuldiges Lächeln ab und prostet ihr mit ihrer Cola zu. Nur um gleich darauf vor Schreck fast in die Luft zu springen: Unter dem Tisch stößt Viktor an Elsas Knie. Das war an sich nichts verwunderliches, Viktor zappelte beim Reden unaufhörlich herum. Was Elsa den Atem stocken lässt ist, dass er sein Bein nicht von ihrem zurückzieht, wie es sich gehört hätte, sondern hartnäckig in der Position verharrt und die ungeheuerliche Berührung beibehält. Stromstöße jagen durch Elsas Körper. Um sich nichts anmerken zu lassen, leert sie ihr Glas in einem Zug. Als sie es wieder abstellt, ist Viktors Bein verschwunden. Mit klopfendem Herzen starrt sie auf die Tischplatte. Neben ihr geht das Gespräch weiter, als wäre nichts geschehen. War es doch nur Zufall gewesen? Viktor sah sie ja nicht einmal an, sondern drehte ihr die ganze Zeit den Rücken zu. Sie sollte aufhören, Dinge zu sehen, die nicht da waren. Gerade überlegt sie, ob sie aufstehen und sich ein neues Glas Cola besorgen sollte, als sie erneut zusammenfährt. Die Berührung ist wieder da. Nur diesmal ist es nicht Viktors Bein, das an ihrer Seite entlangfährt, sondern seine Hand. Elsa kann nicht anders, als an sich hinunter zu sehen. Diese Handbewegung ist alles andere als zufällig. Sie ist gewollt. Genauso wie es gewollt ist, dass Elsa diese Bewegung sieht. Sie holt tief Luft und springt von ihrem Platz auf. Sie vollbringt das Kunststück bis nach vorn zum Tresen zu gehen, ohne Viktor auch nur ein einziges Mal anzusehen, verwirft die Idee, sich ein neues Getränk zu holen und flüchtet stattdessen an ihren neuen Lieblingsort: die Toilette. Aber auch dort kann sie sich nicht ewig verstecken. Nachdem sich ihr Puls wieder auf das normale Maß verlangsamt hat und ihre Wangen ihre übliche Farbe zurückgewonnen haben, wagt sie sich wieder auf den Flur hinaus. Nur um innerhalb einer Sekunde sämtliche Bemühungen zur Aufrechterhaltung eines Normalzustandes zunichte zu machen: Im Flur steht Viktor und spielt betont unbeteiligt an seinem Shirt herum, doch es ist allzu offensichtlich, dass er auf jemanden wartet. Und Elsa ahnt auch, auf wen. Sie würde ihm also nicht entkommen. Einige Schritte vor ihm bleibt sie stehen und sieht ihn an. An jenem Abend standen sie sich genauso gegenüber. Und dann hatte er seine Hände um ihr Gesicht gelegt und… Elsa nimmt all ihren Mut zusammen und sieht ihm in die Augen, versucht darin zu lesen. Dachte er ebenfalls an diesen Moment? Was dachte er überhaupt? Warum drehte er sich demonstrativ von ihr weg und berührte sie gleichzeitig auf eine Art, wie Freunde einander nicht berühren sollten? Viktor öffnet den Mund „Elsa, ich…“ Elsa kneift die Lippen zusammen. Was würde jetzt kommen? Einen Moment noch sucht Viktor nach Worten, dann lässt er seufzend die Schultern sinken. „Warum rennst du ständig vor mir weg?“ Elsas Herz krampft sich zusammen. „Tue ich das?“ „Ja. Ständig ergreifst du die Flucht, sobald ich in deine Nähe komme. Ständig seit unserem…“ „Hör auf!“, platzt es plötzlich aus ihr heraus als könnte sie damit verhindern, dass er sie an diesen Moment allzu bildlich erinnert, „Es scheint mir das einzig richtige zu sein, vor dir davon zu laufen. Reicht es dir nicht, was du bereits angerichtet hast?“ Seine Augen werden groß. „Angerichtet?“ Er geht noch einen weiteren Schritt auf sie zu. Er ist so nah, dass Elsa unwillkürlich die Luft anhält. „Was habe ich angerichtet, Elsa?“ Ihr Herz schlägt ihr bis zum Hals. Seine Nähe macht sie wahnsinnig. „Nun das….“, beginnt sie, „dieser… Vorfall neulich. Der hat doch einige … Nachwirkungen…“ Ihre Stimme zittert bei den letzten Worten. Viktor runzelt die Stirn, legt den Kopf leicht schief und mustert ihr Gesicht. „Nachwirkungen?“ Elsa schließt verzweifelt die Augen. Warum verstand er es nicht?! „Du bist der Freund meiner besten Freundin. Ich bin die Freundin von deinem Freund und Teamkameraden.“ In ihrer Verzweiflung überschlägt sich ihre Stimme. Beinahe schreit sie ihn an. „Ich sollte dieses Gefühl nicht haben!“ Erschrocken weicht er einen Schritt von ihr zurück. „Glaubst du etwa, dass dieser…. Vorfall… einfach spurlos an mir vorüber gegangen ist?!“ Er kneift die Augen zusammen und ballt eine Faust. „Warum wohl sehe ich seit dem dein Gesicht, wenn ich Sarah küsse? Kannst du dir vorstellen, dass ich Sarah nur suche, weil ich weiß, dass du in der Nähe bist?! Dass ich mich die ganze Zeit frage, was du wohl gerade denkst und tust?“ Wütend schlägt er mit der geballten Faust neben sich gegen die Wand. „Ja, du hast Recht. Ich habe etwas sehr Dummes angerichtet, Elsa.“ Elsa ist wie erstarrt. Was sagte er da? Hieß das etwa, dass er auch…? Ihre Lippen zittern. „Würdest du das noch einmal anrichten?“, flüstert sie kaum hörbar. Seine Augen weiten sich. Wieder kommt er näher. Er öffnet den Mund, um etwas zu sagen. „Ach hier seid ihr!“, ertönt laut Kevins Stimme durch den Flur und lässt die beiden ruckartig auseinander fahren, „Kommt ihr wieder rein, oder wollt ihr die Nacht hier verbringen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)