Schnee bedeckt das Kriegsgerät von _Delacroix_ (Türchen Nr. 7 des Fanfiction-Adventskalenders 2021) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der würzige Geruch nach Bier mischte sich mit der Süße von Wein und hüllte ihn ein, kaum das er einen Fuß in den Schankraum gesetzt hatte. Ein paar Männer saßen an den Tischen und warfen ihm mehr oder minder neugierige Blicke zu. Lorenzo zog es vor, sie zu ignorieren. Er wusste, in seinen gelben Roben fiel er auf wie eine Fackel in der Dunkelheit. Die meisten Männer hier arbeiteten irgendwo im Luftschiffsektor und bekamen Magier wie ihn nur selten zu Gesicht. «Erklärt mir noch mal, warum wir hier sind», forderte sein Begleiter und erinnerte ihn spontan daran, dass auch er eher nicht zu den üblichen Gästen dieses Hauses zählte. Seine schwarzbraune Priesterrobe raschelte, als er näher an ihn herantrat und obwohl er die Hände verschränkt hielt, wurde Lorenzo den Eindruck nicht los, dass Sr. Rubio ihn damit an die Spielregeln zu erinnern versuchte. Lorenzo erlaubte sich einen Seufzer. «Wir hatten diesen Punkt doch bereits besprochen, Señor. Um Euren Auftrag zu erfüllen, braucht es mehr als einen bescheidenen Elementarmagier wie mich.» «Das habe ich durchaus vernommen», entgegnete Sr. Rubio mit leiser Stimme, «Ich verstehe nur nicht, warum wir ausgerechnet hier nach einem suchen müssen. Kennt Ihr keinen Anderen?» Lorenzo senkte seinen Blick. Natürlich kannte er noch andere. Da war sein guter Freund Xemin, der Guavarre schon vor Monaten verlassen hatte. Ziel: Ungewiss. Der alte Eustacio, bei dem sie damit rechnen mussten, dass er versuchen würde, sie für eines seiner Experimente zu missbrauchen und natürlich ... «Ihr werdet mit seiner Arbeit mehr als zufrieden sein», entgegnete er diplomatisch, während er weiter in den Schankraum schritt. Er ignorierte die Männer zu seiner Linken, die sich ohnehin bereits wieder ihrem Kartenspiel zu gewandt hatten, und steuerte zielsicher die hinterste Ecke des Raumes an, wo der Schein der Fackeln nicht ganz hinreichte, sodass ein ganzer Tisch im unangenehmen Halbdunkel verschwand.   «Guten Abend, Cerebrito», grüßte er, bevor er sich auf die harte Holzbank fallen ließ, «Wir haben uns ein Weilchen nicht gesehen.» Der Angesprochene ließ seinen Weinkelch sinken, richtete seinen Blick stur auf den Priester und beobachtete stumm, wie auch er sich auf die harte Bank setzte. «Ich denke nicht, dass ich euch an meinen Tisch eingeladen habe», entgegnete er schließlich. Der Priester warf dem Kelch einen missbilligenden Blick zu. «Möge Karis Euch auf Eurem Weg begleiten», entschied er sich für den freundlichsten Weg den Einwurf zu ignorieren, erreichte damit aber nur, dass der Angesprochene seine karminroten Augen wieder auf Lorenzo richtete. «Was willst du?», fragte er, die Stimme deutlich schroffer, als er es von ihm gewohnt war. Lorenzo schluckte. So langsam bekam er den Eindruck, dass er sein Glück vielleicht doch besser mit dem alten Eustacio hätte versuchen sollen. «Gero», versuchte er ihn zu beschwichtigen, doch sein Gegenüber schnaubte abwertend, was ihn dazu brachte, sich eilig zu verbessern. «Geronimo», versuchte er es noch einmal, «Das hier ist Señor Rubio vom Tempel der Karis und er ist mein aktueller Klient.» «Ist mir egal.» Lorenzo seufzte. Mit der Antwort hätte er zugegebenermaßen rechnen können. «Er hat mir einen größeren Auftrag angeboten», erzählte er trotzdem weiter, «Allerdings ...» «Brauchst du für die Umsetzung einen Schwarzmagier.» Lorenzo blickte sein Gegenüber überrascht an. Waren seine Ausführungen so offensichtlich gewesen? «Dann wirst du uns helfen?», fragte er hoffnungsvoll, doch Geronimo schnaubte ein weiteres Mal, während er nach seinem Weinkelch griff. «Du kannst mich mal am Arsch lecken», entgegnete er und nahm einen tiefen Schluck. Sr. Rubio wurde sichtlich blass. So einen Umgangston war er nicht gewohnt und Lorenzo, wenn er ehrlich sein sollte, auch nicht. Es war offensichtlich, Geronimo wollte ihm nicht helfen. Scheinbar wollte er nicht einmal mehr mit ihm reden. Die Frage war nur ... Warum?   War ein Jahr ohne eine Nachricht vielleicht doch zu lang gewesen? Hätte er vor seinem Abstecher nach Angoulès noch einmal nach Guavarre zurückkehren müssen? Hätte er ihm vielleicht so einen komischen Hut mitbringen sollen, wie ihn die Leute in Angoulès so gerne trugen? Beziehungen brauchten gelegentlich ein wenig Pflege, das wusste er und vielleicht hatte er es sich in diesem einen Fall ein wenig zu leicht gemacht. Immerhin, Geronimo war der Lehrling seines Freundes, und wenn er geschrieben hatte, hatte er seine Briefe natürlich vor allem an Xemin gerichtet. Vielleicht fühlte Cerebrito sich deshalb ein klein wenig übergangen. Vor allem weil Xemin die Stadt scheinbar schon vor Längerem verlassen hatte. Und das offensichtlich ohne ihn mitzunehmen. Lorenzo verschränkte die Finger ineinander, eine Geste, die die meisten Menschen in seiner Nähe beruhigte, immerhin hatte noch niemand mit verschränkten Fingern einen Feuerball herauf beschworen. Zumindest niemand, von dem er wusste. «In Ordnung, Cerebrito. Ich habe verstanden», lenkte er ein. «Du bist mir böse und das wahrscheinlich sogar zurecht. Aber in dieser Angelegenheit geht es nicht um mich, sondern um Señor Rubio und um seine Gemeinde. Vielleicht hörst du dir seine Geschichte wenigstens mal an.» «Kein Interesse», widersprach Geronimo hartnäckig. Der Priester räusperte sich leise. Wahrscheinlich würde er gleich vorschlagen einen anderen Schwarzmagier zu suchen, und Lorenzo konnte es ihm nicht verübeln. Die Kneipe, das Verhalten. Das alles musste Sr. Rubio an seinem Urteilsvermögen gründlich zweifeln lassen.   «Wir haben Gold gesammelt, um Euch zu entlohnen», erklärte er stattdessen. Geronimo hob langsam den Blick. «Wie viel Gold?», wollte er wissen. Der Priester griff in seine Roben und zog zwei prall gefüllte Lederbeutel hervor. «Die Gemeinde hat gespendet was sie konnte. Wenn Ihr uns helft, gehört es Euch.» Einen Augenblick lang ruhte sein Blick auf den Beuteln, dann verschränkte Geronimo die Arme vor der Brust. «Wo ist der Haken?», fragte er weiter. Lorenzo erlaubte sich ein Lächeln. «Señor Rubio leitet eine kleine Gemeinde an der nördlichen Küste. Seine Schäfchen sind in erster Linie Fischer und Bauern. Sie haben nicht viel Gold und sie arbeiten hart dafür, aber in letzter Zeit sind nicht alle Menschen, die morgens zur Arbeit aufgebrochen sind, abends auch zurückgekehrt. Señor Rubio vermutet, dass das mit der unmittelbaren Nähe zu Vais Oltad zusammenhängt. Du weißt, in den letzten Jahren gab es immer wieder Versuche von Untoten, die Nekropole zu verlassen. Beim letzten Zwischenfall dieser Art sind viele Soldaten in den Dünen gestorben.» «Und jetzt glaubt ihr, dass einer von ihnen untot ist?» Der Priester nickte. «Es würde zu den Vorkommnissen passen. Deshalb habe ich mich an Señor Castellano gewandt. Er ist immerhin bekannt dafür, Übergriffe zu beenden.» Lorenzo nickte ebenfalls. «Aber wie du weißt, bevorzuge ich wilde Tiere und Monster. Untote sind nicht mein Gebiet und darum brauche ich deine Hilfe.» «Du willst, dass ich bestimme, ob ein Schwarzmagier dahinter steckt.» Lorenzo nickte noch einmal. «Und ich will, dass du mir dabei hilfst, ihn in seine Schranken zu verweisen.» Geronimo zog die Augenbrauen hoch. «Kannst du das nicht allein?», fragte er. Lorenzo erlaubte sich ein Lächeln. «Ich könnte es versuchen», stimmte er ihm zu. «Selbst mächtige Schwarzmagier sind nicht immun gegen eine entsprechend große Flammenwand. Aber sie sind stark, klug und keine einfachen Gegner und wenn du mir hilfst, steigen unsere Chancen beträchtlich an.» Geronimo legte den Kopf schief. «Tun sie das?» «Oh ja Cerebrito, das tun sie.» Kapitel 2: ----------- Lorenzo beobachtete, wie kleine Flammen in seiner Handfläche züngelten, sich nach den herabfallenden Schneeflocken streckten und schließlich wieder zurückschreckten, als sie bemerkten, dass gefrorenes Wasser kein gutes Futter für sie war. Sanft erhöhte er die Menge an Magie und sah zu, wie die Flammen in seiner Hand weiter auflebten. Eine wohlige Wärme ging von ihnen aus und seine halb gefrorenen Finger wussten es ihm zu danken. Wortlos lenkte er sein Pferd etwas näher an die Anderen heran. Der Priester hatte sich tief in seine Roben gekuschelt und seine schwarzbraune Kapuze fast bis zur Nasenspitze herabgezogen, um sich so vor Schnee und Wind zu schützen. Geronimo dagegen klebten die schwarzen Haare im Gesicht. Sie waren nass, voller Schnee und er zitterte trotz des dicken Reiseumhangs. Lorenzo hielt ihm seine Flamme entgegen. «Nimm du sie», bat er wohl wissend, dass sein Freund zwar kein Feuer beschwören, wohl aber genug Magie in es hineinweben konnte, um es so am Leben zu erhalten. «Sie wird dich etwas wärmen.» «Der letzte Magier, der mir einen Feuerball anvertraut hat, hat deswegen keine Haare mehr», murmelte Geronimo leise, während er ihm die Hand entgegenstreckte, um ihm die Flamme abzunehmen.   Langsam ließ Lorenzo seine Magie versiegen und sah der Flamme dabei zu, wie sie eifrig auf die neue, effektivere Quelle übersprang. Einen Augenblick lang flammte sie unkontrolliert zwischen Geronimos Fingern auf, dann schien er eine Magiemenge gefunden zu haben, die sie dazu animierte, wieder auf eine handlichere Größe zu schrumpfen. Geronimo atmete auf. «Feuermagie ist ziemlich schwierig», murmelte er. Lorenzo schenkte ihm ein dünnes Lächeln. «Feuer reagiert oft sehr empfindlich auf das, was man ihm bietet.» «Willst du sagen, ich bin zu unbeherrscht?» «Eher zu ungeübt. Du weißt, ich könnte es dir zeigen.» Einen Moment lang blickte sein Gegenüber in die Flamme. «Hast du keine Angst, dass ich dich niederbrenne?» Er lachte. «Doch, natürlich, aber du hättest mir vorhin auch einen Zombie auf den Hals hetzen können und du hast es nicht getan.» «Weil selbst in eher mäßigen Gasthäusern keine Toten auf dem Boden herumliegen», entgegnete Geronimo trocken. «Ich hätte höchstens einen Tentakel beschwören können, der dir die Tür zeigt.» «Dann freue ich mich einfach, dass du das nicht getan hast.» «Warum? Hast du Angst vor ihnen?» Bei jedem anderen hätte Lorenzo auf so eine Frage hin gelacht, doch Geronimo guckte ihn so ernst an, dass er einfach glauben musste, dass er wirklich an einer Antwort interessiert war.   Hatte er Angst vor Tentakeln?   Einen Moment lang versuchte er, sich einen solchen vorzustellen, doch das Bild vor seinem inneren Auge war nicht sehr präzise und so schüttelte Lorenzo die Vorstellung schnell wieder ab. «Ich denke, das kommt auf den Tentakel an», entgegnete er schließlich. «An manch einem hängt potenziell ein gefährliches Monster dran. Was ist mit dir? Was bereitet dir Sorgen?»   «Das Wetter.» Lorenzo blinzelte überrascht. Er hatte nicht mit einer so schnellen Antwort gerechnet. Auch wenn er zugeben musste, dass ein Blick in den Himmel nicht sehr erbaulich war. Graue Wolken so weit das Auge reichte und Schnee über Schnee. «Hätte ich gewusst, dass du mich direkt in einen Schneesturm führst, wäre ich bei meinem Wein geblieben.» Lorenzo blickte auf seine Hände hinab. Ohne die wärmende Flamme hatten sie bereits wieder zu zittern begonnen. Er würde noch einen Feuerzauber sprechen müssen, wenn sie nicht bald ihr Ziel erreichten. «Hier draußen ist das Wetter immer schlecht», brummte Sr. Rubio auf seiner anderen Seite. «Der Wind kommt von der See. Er ist kalt und feucht und an manchen Tagen bringt er Schnee mit sich. Aber keine Sorge, es ist nicht mehr weit.» Er drückte dem Pferd die Stiefel in die Seite und ritt in einem etwas schnelleren Tempo voran, während Geronimo ihm skeptisch nachsah. «Ich hoffe, er hat recht», murmelte er, kaum, das er sicher war, dass der Priester außer Hörweite angekommen war. «Ich weiß, man behauptet zuweilen etwas anderes, aber wenn ich auf dem Weg zum Schlachtfeld erfriere, brauchst du einen neuen Schwarzmagier.» «Was? Dann läufst du nicht einfach weiter?», scherzte Lorenzo halbherzig. Insgeheim musste er seinem Freund aber zustimmen. Er konnte potenziell etwas länger durchhalten als die Anderen, was in erster Linie daran lag, dass er sich in heiße Flammen hüllen konnte, doch wenn er seine ganze Magie verbrauchte, um nicht zu erfrieren, würde er auf dem Schlachtfeld unnütz sein. Mindestens so unnütz wie ein steif-gefrorener Geronimo.   «Soll ich dir noch eine Flamme beschwören?», fragte er, aber Geronimo schüttelte den Kopf. «Ich glaube, du brauchst das Feuer dringender als ich», entgegnete er, «Deine Lippen werden langsam blau.» Lorenzo grinste. «Wenn ich noch blauer werde, gebe ich sicher einen guten Frostzombie ab», versuchte er das Ganze ein bisschen herunterzuspielen, doch sein Gegenüber lachte nicht. «Erstens sind Frostzombies unhandlich, weil sie zu tauen beginnen, sobald das Wetter besser wird», begann er zu dozieren, «und zweitens willst du kein Zombie sein. Zombies sind dumm und sie stinken. Entsprechend würde ich dir davon abraten, hier draußen zu erfrieren.» «Aye Aye, Sir», entgegnete Lorenzo knapp. Er würde sich bemühen. Immerhin war er auch nicht scharf darauf, für den Rest seines dann eher untoten Lebens, einem Schwarzmagier hinterher zu wanken. Selbst wenn dieser Geronimo hieß und eigentlich ganz nett war.   Dieser deutete mit der Flamme in der Hand in die Ferne. «Ist das, was ich denke, dass es ist?» Lorenzo folgte der Bewegung mit den Augen. Im ersten Moment sah er einfach nur Schnee, doch als er länger hinsah, begann er Umrisse zu erkennen. Etwas großes Hölzernes stand vor ihnen auf einem Hügel und Sr. Rubio hatte sich davor aufgebaut. Er winkte. Je näher sie dem Objekt kamen, desto klarer wurden die Umrisse. Es handelte sich um ein großes, hölzernes Katapult. Es war ein altes Exemplar. Nichts, was man heutzutage noch benutzte, doch die Seile wirkten gepflegt und das Kriegsgerät erschreckend einsatzbereit. «Was ist das hier?», fragte Lorenzo, mit einem Blick auf einen weißen Haufen, unter dem er die zum Schießen benötigten Steine vermutete.   Sr. Rubio stieg vom Pferd, führte es an das Katapult heran und band schließlich die Zügel daran fest. «Das hier ist der Anfang des Schlachtfeldes», erklärte er. «Ab hier gehen wir zu Fuß.» «Ich dachte, die letzte Schlacht sei noch gar nicht so lange her?», fragte Lorenzo weiter, während er vom Pferd stieg. Er würde die Körperwärme des Tieres vermissen, doch sein Auftraggeber hatte recht. Wenn sie jetzt in die heiße Phase kamen, war es besser, nicht auf dem Pferderücken sitzen zu bleiben. Die meisten Pferde mochten keine Untoten, sie mochten keine Feuermagie und eigentlich mochten sie auch keinen Schnee oder Schlachtfelder. Und wer wusste schon, was noch alles unter der weißen Decke lauerte? Hinter ihm plumpste Geronimo nicht sehr elegant in den Schnee. «Es mag komisch klingen, aber wenn eine Horde Zombies auf dich zu wankt, willst du lieber ein solches Katapult auf deiner Seite haben, als eine Handvoll Männer mit Pistolen. Wahrscheinlich haben sie es deshalb hier stehen lassen. Als Warnung für jeden Toten, der glaubt, er könne Guavarre von Norden aus erreichen.» Er schüttelte den Kopf. «Eigentlich ist das eine ziemlich dumme Idee. Psychologische Kriegsführung funktioniert bei Toten nicht. Immerhin sind sie tot, sie haben keine Psyche mehr.» Kapitel 3: ----------- Sr. Rubio führte sie über Pfade, die nur er zu kennen schien, immer weiter hinein in die Dünen. Gelegentlich konnte Lorenzo Stacheldraht erkennen, der mahnend aus dem Schnee ragte und ihn so daran erinnerte, wo er sich genau befand. Geronimo stapfte hinter ihm her. Er wusste nicht, wie sein Freund es geschafft hatte, die Flamme vor dem Verlöschen zu retten, doch nach wie vor züngelte sie fröhlich zwischen seinen Fingerspitzen hervor. «Ich glaube, nach dem Ausflug brauch ich neue Stiefel», jammerte er gerade und Lorenzo musste sich eingestehen, dass sich auch seine Schuhe schon seit Längerem verdächtig klamm anfühlten. «Ich kann sie später trocknen», entgegnete er, als er ein leises Kratzen vernahm. Neugierig blickte er nach rechts, wo sich der Schnee überraschend zur Seite schob. Eine grün-gräulich verfärbte Hand durchbrach die Schneedecke und entlockte Geronimo ein begeistertes «Aww!»   Der Priester wirbelte auf dem Absatz herum und ließ seinen Kampfstab auf das Körperteil herab sausen. Es knallte. Schnee spritzte, doch als Sr. Rubio seinen Stab wieder anhob, schob sich ein ganzer Arm aus dem Schnee. Eine Schulter folgte, dann ein seltsam verdrehter Kopf. Eilig zog der Priester seinen Stab zurück. Lorenzo konzentrierte sich auf seine Magie. Seine Fingerspitzen begannen zu kribbeln. Alles in ihm schrie nach einem Feuerball. Da legte sich eine Hand auf seine Schulter. «Ganz ruhig», riet Geronimo, «Es ist nur ein Zombie. Er ist zu langsam, um uns zu verletzen. Es wird nur gefährlich, wenn es mehrere werden und sie uns in die Enge treiben.» Sr. Rubio räusperte sich. «Ich würde es trotzdem vorziehen, würde er sich nicht gerade neben mir aus dem Schnee buddeln.» Geronimo zuckte mit den Schultern. «Nun, wenn Ihr darauf besteht», murmelte er. Das Gewicht auf seiner Schulter verschwand und Lorenzo verstand. Das Kribbeln zwischen seinen Fingern wurde stärker, während er sich auf den Zauber konzentrierte. Eine bekannte Wärme schoss durch ihn hindurch. Er zielte grob, dann wurde es hell und ein Feuerball fraß sich durch Zombie und Schnee. Lorenzo ignorierte den Geruch nach brennendem Fleisch, doch Sr. Rubio verzog angewidert das Gesicht. «Möge seine Seele Frieden finden», flüsterte er. Geronimo trat an ihm vorbei. «Mögen dieses Ende ein neuer Anfang sein», zitierte er einen bekannten Segen Thades’, während er an der verkohlten Leiche vorbei schritt. Lorenzo folgte ihm wortlos. Er hatte keinen Segen für das arme Schwein übrig, aber er hoffte, dass dieses Ende eher in seinem Sinn gewesen wäre als ein ewiges Dasein als Zombie.   «Hast du einen magischen Einfluss bemerkt?», fragte er Geronimo, kaum das der Geruch nach verbranntem Fleisch nicht mehr in seiner Nase brannte. Dieser schüttelte den Kopf. «Ich habe gespürt, wie du den Feuerball vorbereitet hast», entgegnete er, «aber das ist auch kein Wunder. Dieser Zombie wurde nicht neu geschaffen, er war bereits unter dem Schnee.» «Also hast du keinen Anhaltspunkt, ob wir es wirklich mit einem Schwarzmagier zu tun haben?» Geronimo sah ihn lange an, doch zu einer Antwort kam er nicht. Der Stacheldraht vor ihnen wackelte verdächtig. Sr. Rubio machte einen Schritt zurück und umklammerte seinen Stab, als die Silhouetten mehrerer Soldaten erschienen. Jemand hatte ihnen die Helme abgenommen. Ein paar der Uniformen waren mehr oder minder zerfetzt. Mit leeren Augen torkelten sie auf sie zu. «Halt mal», forderte Geronimo und reichte ihm seine Flamme zurück. Lorenzo gehorchte, auch, weil er spürte, dass es um ihn herum noch kälter wurde. Ein pechschwarzer Energiestrahl zischte an ihm vorbei. Ein Zombie stöhnte, während er zu verfallen begann. Die Luft um ihn herum prickelte, als Geronimo noch mehr Magie aus ihr herauszog. Halb erwartete Lorenzo einen weiteren Energiestrahl, doch stattdessen geschah einfach nichts. Die Zombies schlurften erneut auf sie zu. Sr. Rubio trat einen weiteren Schritt zurück, dann hob Geronimo den Blick. «Halt!», befahl er, die Stimme magisch verzerrt, «Ich befehle euch, kehrt in euer Grab zurück!» Die Zombies hielten inne. Einen Augenblick lang schien es, als würden sie sich dem Zauber unterwerfen wollen, dann setzten sie sich doch wieder in Bewegung. Sr. Rubio trat weiter zurück. «Soll das so aussehen?», fragte er, die Verunsicherung deutlich hörbar in seiner Stimme. Lorenzo dachte an Xemin. Er hatte ihn häufig sein Lieblingsskelett herumkommandieren sehen, doch dieses hatte immer aufs Wort gehorcht. Neben ihm zog Geronimo noch mehr Magie zusammen. «Ich sagte Halt!», wiederholte er noch einmal. Einer der Zombies schwankte, doch die Anderen schlurften unbeirrt weiter. «Verdammt!», fluchte er leise, dann änderte er seine Taktik. Ein weiterer Energiestrahl schoss an Lorenzo vorbei, krachte in einen der Zombies und brachte ihn augenblicklich zum faulen. «Der Schwarzmagier ist stark», erklärte Geronimo, bevor er zur nächsten Formel ansetzte. Erneut floss die Magie, dann brach ein schwarzer Tentakel aus der Schneedecke hervor, griff nach dem nächstbesten Zombie und zerrte ihn mit sich. Lorenzo wusste nicht wohin, aber er wollte es auch gar nicht wissen. Seine Hand griff in die Tasche seines Umhangs, fand, was sie suchte und schleuderte es in hohem Bogen den verbliebenen Untoten entgegen. Es klirrte, als das dünne Glas brach und der Alkohol sich über den Körpern verteilte. Die Flamme traf nur Sekundenbruchteile später und fraß sich begierig durch das untote Fleisch.   Als er sich abwandte, sah er Geronimo unglücklich gucken. «So hatte ich das mit dem ‹Halt mal› nicht gemeint», beklagte er sich.  «Ich mach dir eine Neue», versprach Lorenzo eilig. Sr. Rubio sah sie fragend an. «Mag mir jemand erklären, was das gerade war?», erkundigte er sich. Geronimo atmete tief durch. «Eigentlich war das ziemlich offensichtlich», erklärte er. «Wenn ein Schwarzmagier einen Untergebenen erschafft, gibt er ihm im Laufe des Prozesses eine Handvoll Befehle ein. So etwas wie: ‹Vernichte meine Feinde. Das sind die Leute in der blauen Uniform.› Das verhindert, dass sie los schlurfen und einfach nur versuchen irgendwen zu fressen. Die meisten Untoten sind ohne diese Befehle ziemlich stupide. Trifft so ein Zombie auf einen anderen Schwarzmagier kann dieser ihm seine eigenen Befehle eingeben und der Untote wird gehorchen. Wenn diese Befehle aber im Widerspruch zu den ersten Befehlen stehen, wird sich der durchsetzen, dessen Magie stärker ist. Das habe ich gerade versucht.» «Und Ihr wart nicht erfolgreich dabei.» Geronimo presste die Lippen zu einem festen Strich zusammen. «Nein», gestand er, «Das war ich nicht. Nun ist Untotenkontrolle nicht gerade meine Paradedisziplin - » «Aber Xemin ist ziemlich gut darin», fiel Lorenzo ihm ins Wort. Geronimos Miene verdunkelte sich weiter. «Du schuldest mir eine neue Flamme», schnappte er, dann stapfte er an dem Priester vorbei und verschwand zwischen den Dünen. Kapitel 4: ----------- Lorenzo hatte das Gefühl, er hatte etwas falsch gemacht, denn seit er Xemin erwähnt hatte, hielt Geronimo einen ungesund großen Abstand zu ihm und Sr. Rubio. Meist reichte der Abstand gerade noch, um zu sehen, hinter welcher Düne er als Nächstes verschwand oder wo er stehen blieb, um einen weiteren Zombie zu verzaubern. Sr. Rubio sagte nichts dazu, aber seine Blicke waren eindeutig. Scheinbar war ihm genauso bewusst wie Lorenzo, dass er etwas Falsches gesagt hatte. Dabei hatte es eigentlich ein Lob werden sollen. Er hatte sagen wollen, dass Xemin diese Technik gut beherrschte und sein Lieblingslehrling gewiss gelernt hatte, sie wirkungsvoll zu nutzen. Tja, das hatte er wohl gründlich falsch angefangen und wahrscheinlich mussten sie eher früher als später darüber reden. Die Frage war nur: Wie fing er das am besten an, ohne noch mehr Fettnäpfchen zu erwischen?   Nachdenklich betrachtete er die kleine Flamme, die er zwischen seinen Fingern hatte entstehen lassen. Vielleicht war es klug, mit der einen Sache zu beginnen, die er tatsächlich konnte. Auch wenn er sich fast sicher war, dass er das alles nicht mit einem kleinen Feuer wieder in den Griff bekam. Er brauchte etwas anderes. Etwas Besseres. Aber im Augenblick war das Flämmchen besser als nichts und vielleicht konnte er Gero so dazu bewegen, wenigstens wieder auf sie zu warten. Es war nicht gut, dass er alleine so weit vor lief. Am Ende übersah er einen Zombie, oder der fremde Magier bemerkte ihn und dann ... Das wollte er sich lieber nicht vorstellen.   Lorenzo beschleunigte seinen Schritt. «Cerebrito!», rief er nach vorne und beeilte sich aufzuschließen, bevor der Angesprochene auf die Idee kam, einfach so zu tun, als hätte er ihn nicht gehört. «Deine Flamme», erklärte er, als er auf seiner Höhe angekommen war. «Du wolltest doch eine Neue.» Geronimo sah ihn skeptisch an, wägte offensichtlich ab, ob er es sich leisten konnte ‹Nein› zu sagen und kam dann zu dem Ergebnis, dass mindestens eine Schneeschicht zu viel auf ihm lag, um jetzt wählerisch zu sein. Er seufzte ergeben und streckte die Hand in seine Richtung aus. «Danke», murmelte er, doch es klang nicht wirklich ernst gemeint. Lorenzo ließ die Flamme dennoch auf seine Hand überspringen. «Du weißt, ich mache das gerne», erklärte er, «Und was ich da vorhin gesagt habe, tut mir leid. Ich wollte nicht, dass du denkst, du wärst meine zweite Wahl für diese Mission gewesen.» Geronimo seufzte. «Xemin hätte diesen Zauber gebrochen», beharrte er. «Xemin hat etwa zehn Jahre mehr Erfahrung als du. Es ist kein Wunder, dass du nicht jeden Zauber so hinbekommst, wie er es tut und das musst du auch nicht. Xemin ist Xemin und du bist du. Und wenn ich mit einem Schwarzmagier über ein verschneites Schlachtfeld stapfen muss, bin ich froh, wenn du es bist.» «Igitt», erklang es wie aus der Pistole geschossen und einen Augenblick lang war Lorenzo ein klein wenig verärgert. Da gab er sich solche Mühe, die Sache irgendwie zu kitten und alles was Geronimo dazu einfiel, war ... Lorenzo blickte Geronimo an, doch der blickte genauso verdattert zurück. «Wenn ihr da jetzt fertig seid ...», erklang es von hinten. Lorenzo wirbelte herum und blickte direkt in ein paar violette Augen. Der Elf vor ihm rümpfte seine Nase. «Ihr könntet auch einfach zwei Meter zur Seite treten», schlug er vor. «Wozu?» mischte sich jetzt auch Geronimo in die Unterhaltung ein. Der Elf schnalzte mit der Zunge. «Weil ich an diesen Schneehaufen will.» Geronimo warf Lorenzo einen skeptischen Blick zu. «Verstehst du, was er damit sagen will?», fragte er. Lorenzo schüttelte den Kopf. «Das er an den Schneehaufen will?», echote er und kam sich dabei ein ganz klein wenig dämlich vor. Der Elf schien das ähnlich zu sehen, denn er seufzte unzufrieden. «Menschen», murrte er, in einem Ton, der Lorenzo schlagartig an seinen alten Lehrer für Elementarmagie denken ließ. Lorenzo musterte ihn ein weiteres Mal. Er sah ziemlich mitgenommen aus. Sein weißblondes Haar wirkte schmutzig, die Ringe unter seinen Augen waren tief und er wirkte, als hätte er schon länger nicht mehr gut gegessen. Gerne hätte er einen weiteren Blick mit Geronimo getauscht, doch Lorenzo wusste, Elfen waren gut mit Körpersprache. Wenn er jetzt versuchte, ein Gespräch mit Blicken zu führen, würde es ganz sicher keines unter vier Augen sein. Oder vielleicht doch nur das sein Gesprächspartner nicht der wäre, mit dem er eigentlich reden wollte. Lorenzo räusperte sich umständlich. «Verzeihung, Herr Elf», versuchte er zu retten, was noch zu retten war, «Aber würdet Ihr mir erklären, warum es ausgerechnet dieser Schneehaufen sein muss? Hier gibt es doch jede Menge davon.» Der Elf seufzte noch einmal. «Menschen», wiederholte er in dem gleichen herablassenden Ton wie zuvor, doch dann wurde sein Ausdruck etwas weicher. «Hör zu Guapo, ich will nicht den Schneehaufen. Ich will die Leichen, die darunter liegen. Und wenn du mit deinem Freund alleine sein willst, kannst du das auch ein Stück in dieser Richtung tun. Da war ich nämlich schon.»   Lorenzo starrte den Elfen an. Er sollte bitte was? Neben ihm machte Geronimo einen Schritt nach vorne. «Ihr seid es», stellte er überraschend ungerührt fest, «Ihr seid der Schwarzmagier.» Der Elf schürzte seine Lippen. «Ich weiß wer ich bin», gab er unwirsch zurück, «Das ist mehr als Ihr von Euch sagen könnt. Und jetzt entschuldigt, ich habe zu arbeiten.» Er wollte um sie herummarschieren, doch Geronimo hauchte ein leises «Warum?» Einen Moment lang hing es zwischen ihnen, dann stieß der Elf einen dritten Seufzer aus. «Warum was?» fragte er zurück. «Warum ich hier bin? Warum ich die Toten erwecke? Oder warum ich immer noch fruchtlose Gespräche mit Euch führe?» «Alles», entgegnete Geronimo und brachte den Elf so sichtlich aus dem Takt. Er hatte ein weiteres Mal provozieren wollen, doch dieses Mal war er scheinbar abgeprallt. Lorenzo setzte sein bestes Lächeln auf. «Wenn ich es mir recht überlege, würde mich das auch interessieren», stimmte er eilig zu. «Und mich ebenso.» Sr. Rubio baute sich hinter dem Elfen auf.   Dieser blickte sich überrascht um, musterte den Priester und seufzte noch einmal: «Sagt mal, gibt es hier ein Nest?», schnarrte er. Geronimo nickte. «Es heißt Guavarre und liegt ein paar Kilometer in dieser Richtung», klärte er den Elfen auf. Dieser schnalzte mit der Zunge. «Reizend», murrte er, «wirklich reizend. Aber wenn ihr es unbedingt wissen wollt: Ich suche nach Pablo.» «Wer ist Pablo?», fragte Geronimo weiter. Der Elf senkte seinen Blick. «Er war einer von euch», erzählte er, «Als die Untoten von Vais Oltad aus übersetzten, hat er hier gegen sie gekämpft und er -» «Oh», murmelte Sr. Rubio, «Das tut mir leid.» Der Elf schüttelte sanft den Kopf. «Das muss es nicht», entgegnete er. «Ich habe neun Monate lang nach ihm gesucht, aber jetzt ist nicht mehr viel übrig. Noch ein paar Schneehaufen hier und da, dann werde ich ihn schon finden.» Sr. Rubio legte den Kopf schief. «Und dann?», fragte er. Der Elf öffnete den Mund, doch Geronimo war schneller. «Das ist doch offensichtlich», entgegnete er, «Er will ihn wieder auferstehen lassen.» Sr. Rubio starrte sie ungläubig an. «A-Als Zombie?» Der Elf nickte. «Natürlich als Zombie», entgegnete er. » Ich kann ihn ja schlecht wiederbeleben.» Lorenzo verschränkte die Arme vor der Brust. «Und an den anderen Soldaten habt Ihr das schon mal geübt?», fragte er dazwischen. «Natürlich nicht», entgegnete der Elf. «Es ist schon ein bisschen komplizierter. Seht Ihr. Je länger die Schlacht her ist, desto schwerer wird es, all die Toten noch voneinander zu unterscheiden. Sie sind gefühlt alle in Uniform, mit kurzen schwarzen oder braunen Haaren und sie verwesen und Pablo ... Na ja, Pablo eben auch.» «Also weckst du sie alle auf, in der Hoffnung den Richtigen zu erwischen?», brachte Lorenzo die Sache auf den Punkt. Sr. Rubio guckte ihn an, als hätte er einen bösen Witz gemacht, doch der Elf nickte langsam. «Es sind wirklich viele Leichen», verteidigte er sich. Neben ihm legte Geronimo den Kopf schief. «Ist es dir wirklich so wichtig, diesen Pablo wiederzusehen?» «Er hat es mir versprochen», gab der Elf kleinlaut zurück und sah in Lorenzos Augen auf einmal ziemlich elend aus.   «Ihr wisst, dass Eure Zombies die Menschen aus der Gegend angreifen?», fragte Sr. Rubio. «Bauern, Fischer, einfache Leute auf dem Weg in die Stadt ...», zählte er auf. Der Elf hielt seinen Blick gesenkt. «Es tut mir leid», murmelte er. «Das wollte ich nicht. Ich will einfach nur Pablo wiedersehen.»   Einen Moment lang schwiegen sie alle. Dicke Flocken fielen auf sie herab und jeder schien ein Stück weit seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Vermutlich hatten sie alle ihren eigenen Pablo. Jemanden, den sie viel zu gerne wiedersehen würden und sei es nur, um sich ein letztes Mal von ihm zu verabschieden. Schließlich knirschte der Schnee neben ihm, und als Lorenzo sich neugierig umsah, sah er, wie sich Geronimo vor den Schneehaufen kniete. Seine Fingerspitzen begannen zu kribbeln und er spürte, wie sein Freund anfing, Magie zusammenzuziehen. Auch die anderen Beiden schienen es bemerkt zu haben. Der Elf hatte den Kopf schief gelegt und beobachtete Geronimo mit Argusaugen, während Sr. Rubio ihm einen fragenden Blick zuwarf. Drei Atemzüge lang geschah einfach nichts, dann atmete Geronimo hörbar aus. «Die Soldatin, die hier liegt, heißt Arcelia Navarro, und sie möchte, dass wir Clarabella Paredes ausrichten, dass sie nicht zu traurig sein soll.» Sr. Rubio beförderte Papier und Feder hervor und begann eilig zu schreiben.«Ich werde mich darum kümmern, dass Señora Paredes diese Nachricht erhält», versprach er. Geronimo nickte, dann begann er erneut seinen Zauber zu weben. «Stefano Nieves hat einen Beutel mit Silberstücken im Garten seiner Schwester vergraben. Neben dem hohlen Baum. Er möchte, dass sie ihn bekommt», diktierte er. Sr. Rubio schrieb schneller. «Ich werde es der Dame berichten», versprach er ein weiteres Mal. Geronimos Hand zitterte, trotzdem legte er sie in den Schnee. «Ich denke, ein paar kann ich noch befragen», murmelte er. «Sicher nicht alle, aber vielleicht genug, damit wir Pablo finden.» Der Elf riss begeistert die Augen auf. «Wirklich?», fragte er. «Ich kann dir die vielversprechendsten Stellen zeigen und vielleicht den einen oder anderen Schädel holen.» «Und ich schreibe alle Nachrichten der Gefallenen auf», erklärte Sr. Rubio. «Dann kann ich sie den Freunden und Verwandten überbringen.» Geronimo nickte noch einmal. «Einverstanden», murmelte er. Lorenzo, seinerseits machte ein paar schnelle Schritte auf ihn zu. «Gero», murmelte er, «Deine Hilfsbereitschaft in allen Ehren, aber du kannst unmöglich alleine all die Gefallenen befragen.» «Das weiß ich», entgegnete er, «Aber er -» Er blickte zu dem Elf. «Ailen», warf dieser ein. «Ailen», verbesserte Geronimo, «möchte seinen Freund wiedersehen und so haben wir wenigstens eine Chance, ihn zu finden.» «Und wenn ihr ihn findet?», fragte Lorenzo weiter, «Was macht ihr dann?» Ailen sah ihn lange an. «Ich werde ihn wiedererwecken», erklärte er. Lorenzo atmete tief durch. «Aber ich dachte, Zombies wären dumm?», fragte er weiter. «Ziemlich dumm», antwortete Geronimo an Ailens Stelle, «Sie sind halt letztlich nur ... Oh.» «Oh?», fragte der Elf. Geronimo schluckte schwer. «Zombies sind letztlich nur faulende Leichen», erklärte er, «Sie haben kein funktionierendes Gehirn. Sie tun nur, was man ihnen sagt. Selbst wenn wir ihn finden, Pablo würde nicht mehr Pablo sein.» «Aber er wäre wieder da», beharrte Ailen leise. Sr. Rubio legte ihm die Hand auf die Schulter. «Ich glaube, was die Beiden fragen wollen, ist: Bist du dir sicher, dass du einen Freund willst, der dir nie widerspricht? Der keine eigene Meinung hat und nur an Gehirne denkt? Bist du sicher, dass du jeden Tag in sein Gesicht sehen und dich an das erinnern willst, was du hier verloren hast? Was so viele hier verloren haben? Oder wäre es vielleicht besser, du würdest ihn so in Erinnerung behalten, wie er wirklich war? Als Mensch mit Stärken und Schwächen, der dich um deiner selbst Willen mochte und nicht nur dein ähm ...» «Fleisch», brachte Geronimo den Satz zu Ende und fing sich dafür einen bitterbösen Blick des Priesters ein. Lorenzo schenkte ihm trotzdem ein Lächeln. «Vielleicht wäre es nett, das zu tun, was Pablo gewollt hätte», schlug er vor. Er kannte Pablo nicht, aber irgendwie war er sich fast sicher, dass er nicht gewollt hätte, dass sein Freund eine Armee aus Untoten beschwor, nur weil er ihn vermisste. Kaum jemand wollte so etwas ...   Ailen seufzte schwer. «Wahrscheinlich habt ihr recht», gestand er. «Pablo war ein guter Kerl. Ich- Ich denke, er hätte gewollt, dass all seine Kameraden ihren Lieben etwas sagen können.» Geronimo schüttelte den Kopf. «Das würde Monate dauern», erinnerte er ihn. Ailen nickte. «Das denke ich auch», stimmte er ihm zu. «Aber ich habe es nicht eilig. Und vielleicht kannst du mir diesen Zauber zeigen. Dann kann ich sie fragen. Jeden Einzelnen von ihnen und dann ... dann ...» «Dann führe ich das Protokoll dabei.» Der Elf starrte den Priester an und dieser blickte sanft zurück. «Ich habe meiner Gemeinde gegenüber eine gewisse Verantwortung», erklärte er. «Wenn du diesen armen Seelen helfen willst, dann helfe ich dir.» Der Blick der beiden glitt zu Geronimo. «Hilfst du uns dabei?» Kapitel 5: ----------- Die Pferde trotteten langsam den schneebedeckten Weg hinunter. «Denkst du die beiden werden Pablo finden?», fragte Lorenzo, eine kleine Flamme in der Hand. Geronimo zuckte mit den Schultern. «Ich habe keine Ahnung», entgegnete er. «Es ist wirklich eine große Fläche und es ist schwer mit jemandem zu sprechen, dessen Körper stark beschädigt ist. Besonders, wenn der Kopf betroffen ist.» «Warum eigentlich?», fragte Lorenzo neugierig. «Ich meine, es ist ja nicht so, als bräuchte der Tote seine Stimmbänder oder seine Zunge um mit dir zu reden.» Geronimo winkte ab. «Manche Dinge muss man nicht verstehen», erklärte er. «Vielleicht ist es die Gewohnheit, vielleicht hat die Antwort auch einfach noch niemand gefunden. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es ausnehmend schwierig ist, mit einem gespaltenen Schädel ein anständiges Gespräch zu führen. Und glaub mir, ich habe es versucht.» Lorenzo hob abwehrend die freie Hand. «Schon gut, schon gut. Ich glaube dir. Wenn ich heute eines gelernt habe, dann dass du der Experte für Leichen und Zombies bist.» «Nur für Leichen und Zombies?», fragte Geronimo spitz. Lorenzo grinste. «Nun, vielleicht auch für einige andere Dinge. Fakt ist, ohne dich wäre die Sache sicher nicht so gut ausgegangen.» «Dabei warst du es, der mich daran erinnert hat, dass ein Zombie letztlich nur ein Zombie ist. Ich war wirklich schon drauf und dran, selber den einen oder anderen zu erwecken, einfach nur um Ailen ein bisschen zu helfen.» «Ich bin froh, dass du es nicht getan hast», gestand Lorenzo. «Und ich bin froh, dass er es ebenfalls eingesehen hat.» Geronimo nickte langsam. «Im Nachhinein betrachtet, bin ich das auch», stimmte er ihm zu. «Wer weiß schon, wen meine Zombies alles aufgefressen hätten.» Lorenzo lachte. «Ich glaube, das will ich gar nicht wissen», stimmte er ihm zu. «Und jetzt? Was machst du mit deinem Lohn?» Geronimo schwieg einen Augenblick und kurz glaubte Lorenzo, er wollte es ihm vielleicht einfach nicht verraten, doch dann hörte er ein leises «Ich werde zurück ins Gasthaus gehen und ich denke, ich bestelle mir einen ganzen Krug voll heißem Wein.» Bei dem Gedanken an heißen Wein lief Lorenzo das Wasser im Mund zusammen. Die Idee gefiel ihm. Sie gefiel ihm sogar ausnehmend gut. Aber eigentlich ... «Hast du nicht Lust mich zu begleiten?», fragte er vorsichtig. «Ich bin noch ein paar Tage in der Stadt und ich bin mir sicher, meine Eltern werden sich nicht daran stören, wenn ich einen Freund mitbringe. Jedenfalls wenn es dich nicht stört, dass ihr Lieblingsthema Kurzwaren sind.» «Kurzwaren?», entgegnete Geronimo. Lorenzo nickte. «Knöpfe, Nadeln, Schnallen ...», begann er aufzuzählen. Doch sein Freund winkte eilig ab. «Ich weiß, was Kurzwaren sind», erklärte er ihm. «Bist du dir denn sicher, dass ich sie nicht stören werde? Die meisten Leute stören sich in irgendeiner Form an mir.» «Ich bin nicht wie die meisten Leute und meine Eltern sind es auch nicht. Immerhin haben sie es meine ganze Kindheit über mit mir ausgehalten, da werden sie auch ein paar Tage mit uns beiden überstehen.» Geronimo schenkte ihm einen langen Blick. «Bist du dir sicher?», fragte er noch einmal nach. Lorenzo nickte. Er war sich selten bei etwas so sicher gewesen.   Hosted by Animexx e.V. 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