Schnee bedeckt das Kriegsgerät von _Delacroix_ (Türchen Nr. 7 des Fanfiction-Adventskalenders 2021) ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Lorenzo hatte das Gefühl, er hatte etwas falsch gemacht, denn seit er Xemin erwähnt hatte, hielt Geronimo einen ungesund großen Abstand zu ihm und Sr. Rubio. Meist reichte der Abstand gerade noch, um zu sehen, hinter welcher Düne er als Nächstes verschwand oder wo er stehen blieb, um einen weiteren Zombie zu verzaubern. Sr. Rubio sagte nichts dazu, aber seine Blicke waren eindeutig. Scheinbar war ihm genauso bewusst wie Lorenzo, dass er etwas Falsches gesagt hatte. Dabei hatte es eigentlich ein Lob werden sollen. Er hatte sagen wollen, dass Xemin diese Technik gut beherrschte und sein Lieblingslehrling gewiss gelernt hatte, sie wirkungsvoll zu nutzen. Tja, das hatte er wohl gründlich falsch angefangen und wahrscheinlich mussten sie eher früher als später darüber reden. Die Frage war nur: Wie fing er das am besten an, ohne noch mehr Fettnäpfchen zu erwischen?   Nachdenklich betrachtete er die kleine Flamme, die er zwischen seinen Fingern hatte entstehen lassen. Vielleicht war es klug, mit der einen Sache zu beginnen, die er tatsächlich konnte. Auch wenn er sich fast sicher war, dass er das alles nicht mit einem kleinen Feuer wieder in den Griff bekam. Er brauchte etwas anderes. Etwas Besseres. Aber im Augenblick war das Flämmchen besser als nichts und vielleicht konnte er Gero so dazu bewegen, wenigstens wieder auf sie zu warten. Es war nicht gut, dass er alleine so weit vor lief. Am Ende übersah er einen Zombie, oder der fremde Magier bemerkte ihn und dann ... Das wollte er sich lieber nicht vorstellen.   Lorenzo beschleunigte seinen Schritt. «Cerebrito!», rief er nach vorne und beeilte sich aufzuschließen, bevor der Angesprochene auf die Idee kam, einfach so zu tun, als hätte er ihn nicht gehört. «Deine Flamme», erklärte er, als er auf seiner Höhe angekommen war. «Du wolltest doch eine Neue.» Geronimo sah ihn skeptisch an, wägte offensichtlich ab, ob er es sich leisten konnte ‹Nein› zu sagen und kam dann zu dem Ergebnis, dass mindestens eine Schneeschicht zu viel auf ihm lag, um jetzt wählerisch zu sein. Er seufzte ergeben und streckte die Hand in seine Richtung aus. «Danke», murmelte er, doch es klang nicht wirklich ernst gemeint. Lorenzo ließ die Flamme dennoch auf seine Hand überspringen. «Du weißt, ich mache das gerne», erklärte er, «Und was ich da vorhin gesagt habe, tut mir leid. Ich wollte nicht, dass du denkst, du wärst meine zweite Wahl für diese Mission gewesen.» Geronimo seufzte. «Xemin hätte diesen Zauber gebrochen», beharrte er. «Xemin hat etwa zehn Jahre mehr Erfahrung als du. Es ist kein Wunder, dass du nicht jeden Zauber so hinbekommst, wie er es tut und das musst du auch nicht. Xemin ist Xemin und du bist du. Und wenn ich mit einem Schwarzmagier über ein verschneites Schlachtfeld stapfen muss, bin ich froh, wenn du es bist.» «Igitt», erklang es wie aus der Pistole geschossen und einen Augenblick lang war Lorenzo ein klein wenig verärgert. Da gab er sich solche Mühe, die Sache irgendwie zu kitten und alles was Geronimo dazu einfiel, war ... Lorenzo blickte Geronimo an, doch der blickte genauso verdattert zurück. «Wenn ihr da jetzt fertig seid ...», erklang es von hinten. Lorenzo wirbelte herum und blickte direkt in ein paar violette Augen. Der Elf vor ihm rümpfte seine Nase. «Ihr könntet auch einfach zwei Meter zur Seite treten», schlug er vor. «Wozu?» mischte sich jetzt auch Geronimo in die Unterhaltung ein. Der Elf schnalzte mit der Zunge. «Weil ich an diesen Schneehaufen will.» Geronimo warf Lorenzo einen skeptischen Blick zu. «Verstehst du, was er damit sagen will?», fragte er. Lorenzo schüttelte den Kopf. «Das er an den Schneehaufen will?», echote er und kam sich dabei ein ganz klein wenig dämlich vor. Der Elf schien das ähnlich zu sehen, denn er seufzte unzufrieden. «Menschen», murrte er, in einem Ton, der Lorenzo schlagartig an seinen alten Lehrer für Elementarmagie denken ließ. Lorenzo musterte ihn ein weiteres Mal. Er sah ziemlich mitgenommen aus. Sein weißblondes Haar wirkte schmutzig, die Ringe unter seinen Augen waren tief und er wirkte, als hätte er schon länger nicht mehr gut gegessen. Gerne hätte er einen weiteren Blick mit Geronimo getauscht, doch Lorenzo wusste, Elfen waren gut mit Körpersprache. Wenn er jetzt versuchte, ein Gespräch mit Blicken zu führen, würde es ganz sicher keines unter vier Augen sein. Oder vielleicht doch nur das sein Gesprächspartner nicht der wäre, mit dem er eigentlich reden wollte. Lorenzo räusperte sich umständlich. «Verzeihung, Herr Elf», versuchte er zu retten, was noch zu retten war, «Aber würdet Ihr mir erklären, warum es ausgerechnet dieser Schneehaufen sein muss? Hier gibt es doch jede Menge davon.» Der Elf seufzte noch einmal. «Menschen», wiederholte er in dem gleichen herablassenden Ton wie zuvor, doch dann wurde sein Ausdruck etwas weicher. «Hör zu Guapo, ich will nicht den Schneehaufen. Ich will die Leichen, die darunter liegen. Und wenn du mit deinem Freund alleine sein willst, kannst du das auch ein Stück in dieser Richtung tun. Da war ich nämlich schon.»   Lorenzo starrte den Elfen an. Er sollte bitte was? Neben ihm machte Geronimo einen Schritt nach vorne. «Ihr seid es», stellte er überraschend ungerührt fest, «Ihr seid der Schwarzmagier.» Der Elf schürzte seine Lippen. «Ich weiß wer ich bin», gab er unwirsch zurück, «Das ist mehr als Ihr von Euch sagen könnt. Und jetzt entschuldigt, ich habe zu arbeiten.» Er wollte um sie herummarschieren, doch Geronimo hauchte ein leises «Warum?» Einen Moment lang hing es zwischen ihnen, dann stieß der Elf einen dritten Seufzer aus. «Warum was?» fragte er zurück. «Warum ich hier bin? Warum ich die Toten erwecke? Oder warum ich immer noch fruchtlose Gespräche mit Euch führe?» «Alles», entgegnete Geronimo und brachte den Elf so sichtlich aus dem Takt. Er hatte ein weiteres Mal provozieren wollen, doch dieses Mal war er scheinbar abgeprallt. Lorenzo setzte sein bestes Lächeln auf. «Wenn ich es mir recht überlege, würde mich das auch interessieren», stimmte er eilig zu. «Und mich ebenso.» Sr. Rubio baute sich hinter dem Elfen auf.   Dieser blickte sich überrascht um, musterte den Priester und seufzte noch einmal: «Sagt mal, gibt es hier ein Nest?», schnarrte er. Geronimo nickte. «Es heißt Guavarre und liegt ein paar Kilometer in dieser Richtung», klärte er den Elfen auf. Dieser schnalzte mit der Zunge. «Reizend», murrte er, «wirklich reizend. Aber wenn ihr es unbedingt wissen wollt: Ich suche nach Pablo.» «Wer ist Pablo?», fragte Geronimo weiter. Der Elf senkte seinen Blick. «Er war einer von euch», erzählte er, «Als die Untoten von Vais Oltad aus übersetzten, hat er hier gegen sie gekämpft und er -» «Oh», murmelte Sr. Rubio, «Das tut mir leid.» Der Elf schüttelte sanft den Kopf. «Das muss es nicht», entgegnete er. «Ich habe neun Monate lang nach ihm gesucht, aber jetzt ist nicht mehr viel übrig. Noch ein paar Schneehaufen hier und da, dann werde ich ihn schon finden.» Sr. Rubio legte den Kopf schief. «Und dann?», fragte er. Der Elf öffnete den Mund, doch Geronimo war schneller. «Das ist doch offensichtlich», entgegnete er, «Er will ihn wieder auferstehen lassen.» Sr. Rubio starrte sie ungläubig an. «A-Als Zombie?» Der Elf nickte. «Natürlich als Zombie», entgegnete er. » Ich kann ihn ja schlecht wiederbeleben.» Lorenzo verschränkte die Arme vor der Brust. «Und an den anderen Soldaten habt Ihr das schon mal geübt?», fragte er dazwischen. «Natürlich nicht», entgegnete der Elf. «Es ist schon ein bisschen komplizierter. Seht Ihr. Je länger die Schlacht her ist, desto schwerer wird es, all die Toten noch voneinander zu unterscheiden. Sie sind gefühlt alle in Uniform, mit kurzen schwarzen oder braunen Haaren und sie verwesen und Pablo ... Na ja, Pablo eben auch.» «Also weckst du sie alle auf, in der Hoffnung den Richtigen zu erwischen?», brachte Lorenzo die Sache auf den Punkt. Sr. Rubio guckte ihn an, als hätte er einen bösen Witz gemacht, doch der Elf nickte langsam. «Es sind wirklich viele Leichen», verteidigte er sich. Neben ihm legte Geronimo den Kopf schief. «Ist es dir wirklich so wichtig, diesen Pablo wiederzusehen?» «Er hat es mir versprochen», gab der Elf kleinlaut zurück und sah in Lorenzos Augen auf einmal ziemlich elend aus.   «Ihr wisst, dass Eure Zombies die Menschen aus der Gegend angreifen?», fragte Sr. Rubio. «Bauern, Fischer, einfache Leute auf dem Weg in die Stadt ...», zählte er auf. Der Elf hielt seinen Blick gesenkt. «Es tut mir leid», murmelte er. «Das wollte ich nicht. Ich will einfach nur Pablo wiedersehen.»   Einen Moment lang schwiegen sie alle. Dicke Flocken fielen auf sie herab und jeder schien ein Stück weit seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Vermutlich hatten sie alle ihren eigenen Pablo. Jemanden, den sie viel zu gerne wiedersehen würden und sei es nur, um sich ein letztes Mal von ihm zu verabschieden. Schließlich knirschte der Schnee neben ihm, und als Lorenzo sich neugierig umsah, sah er, wie sich Geronimo vor den Schneehaufen kniete. Seine Fingerspitzen begannen zu kribbeln und er spürte, wie sein Freund anfing, Magie zusammenzuziehen. Auch die anderen Beiden schienen es bemerkt zu haben. Der Elf hatte den Kopf schief gelegt und beobachtete Geronimo mit Argusaugen, während Sr. Rubio ihm einen fragenden Blick zuwarf. Drei Atemzüge lang geschah einfach nichts, dann atmete Geronimo hörbar aus. «Die Soldatin, die hier liegt, heißt Arcelia Navarro, und sie möchte, dass wir Clarabella Paredes ausrichten, dass sie nicht zu traurig sein soll.» Sr. Rubio beförderte Papier und Feder hervor und begann eilig zu schreiben.«Ich werde mich darum kümmern, dass Señora Paredes diese Nachricht erhält», versprach er. Geronimo nickte, dann begann er erneut seinen Zauber zu weben. «Stefano Nieves hat einen Beutel mit Silberstücken im Garten seiner Schwester vergraben. Neben dem hohlen Baum. Er möchte, dass sie ihn bekommt», diktierte er. Sr. Rubio schrieb schneller. «Ich werde es der Dame berichten», versprach er ein weiteres Mal. Geronimos Hand zitterte, trotzdem legte er sie in den Schnee. «Ich denke, ein paar kann ich noch befragen», murmelte er. «Sicher nicht alle, aber vielleicht genug, damit wir Pablo finden.» Der Elf riss begeistert die Augen auf. «Wirklich?», fragte er. «Ich kann dir die vielversprechendsten Stellen zeigen und vielleicht den einen oder anderen Schädel holen.» «Und ich schreibe alle Nachrichten der Gefallenen auf», erklärte Sr. Rubio. «Dann kann ich sie den Freunden und Verwandten überbringen.» Geronimo nickte noch einmal. «Einverstanden», murmelte er. Lorenzo, seinerseits machte ein paar schnelle Schritte auf ihn zu. «Gero», murmelte er, «Deine Hilfsbereitschaft in allen Ehren, aber du kannst unmöglich alleine all die Gefallenen befragen.» «Das weiß ich», entgegnete er, «Aber er -» Er blickte zu dem Elf. «Ailen», warf dieser ein. «Ailen», verbesserte Geronimo, «möchte seinen Freund wiedersehen und so haben wir wenigstens eine Chance, ihn zu finden.» «Und wenn ihr ihn findet?», fragte Lorenzo weiter, «Was macht ihr dann?» Ailen sah ihn lange an. «Ich werde ihn wiedererwecken», erklärte er. Lorenzo atmete tief durch. «Aber ich dachte, Zombies wären dumm?», fragte er weiter. «Ziemlich dumm», antwortete Geronimo an Ailens Stelle, «Sie sind halt letztlich nur ... Oh.» «Oh?», fragte der Elf. Geronimo schluckte schwer. «Zombies sind letztlich nur faulende Leichen», erklärte er, «Sie haben kein funktionierendes Gehirn. Sie tun nur, was man ihnen sagt. Selbst wenn wir ihn finden, Pablo würde nicht mehr Pablo sein.» «Aber er wäre wieder da», beharrte Ailen leise. Sr. Rubio legte ihm die Hand auf die Schulter. «Ich glaube, was die Beiden fragen wollen, ist: Bist du dir sicher, dass du einen Freund willst, der dir nie widerspricht? Der keine eigene Meinung hat und nur an Gehirne denkt? Bist du sicher, dass du jeden Tag in sein Gesicht sehen und dich an das erinnern willst, was du hier verloren hast? Was so viele hier verloren haben? Oder wäre es vielleicht besser, du würdest ihn so in Erinnerung behalten, wie er wirklich war? Als Mensch mit Stärken und Schwächen, der dich um deiner selbst Willen mochte und nicht nur dein ähm ...» «Fleisch», brachte Geronimo den Satz zu Ende und fing sich dafür einen bitterbösen Blick des Priesters ein. Lorenzo schenkte ihm trotzdem ein Lächeln. «Vielleicht wäre es nett, das zu tun, was Pablo gewollt hätte», schlug er vor. Er kannte Pablo nicht, aber irgendwie war er sich fast sicher, dass er nicht gewollt hätte, dass sein Freund eine Armee aus Untoten beschwor, nur weil er ihn vermisste. Kaum jemand wollte so etwas ...   Ailen seufzte schwer. «Wahrscheinlich habt ihr recht», gestand er. «Pablo war ein guter Kerl. Ich- Ich denke, er hätte gewollt, dass all seine Kameraden ihren Lieben etwas sagen können.» Geronimo schüttelte den Kopf. «Das würde Monate dauern», erinnerte er ihn. Ailen nickte. «Das denke ich auch», stimmte er ihm zu. «Aber ich habe es nicht eilig. Und vielleicht kannst du mir diesen Zauber zeigen. Dann kann ich sie fragen. Jeden Einzelnen von ihnen und dann ... dann ...» «Dann führe ich das Protokoll dabei.» Der Elf starrte den Priester an und dieser blickte sanft zurück. «Ich habe meiner Gemeinde gegenüber eine gewisse Verantwortung», erklärte er. «Wenn du diesen armen Seelen helfen willst, dann helfe ich dir.» Der Blick der beiden glitt zu Geronimo. «Hilfst du uns dabei?» Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)