Ein letztes Geheimnis von Sharry ================================================================================ Kapitel 46: Kapitel 46 - Entscheidung ------------------------------------- Kapitel 46 – Entscheidung   -Zorro- Abwesend schloss er die Balkontüre hinter sich, sah einen Moment in die Dunkelheit der Nacht, die nur vom Licht aus seinem Zimmer erleuchtet schien, dann zog er die Vorhänge zu und wandte sich ab. Es war seltsam, durch Gemächer wie diese hier in seinem wahren Körper zu laufen, drei Schwerter an seiner Seite aber Josei weit fort. Nun, ohne Mihawk Senior und Mihawk Junior, wirkte der mit Prunk und Nimbus vollgestopfte Raum unangenehm leer und laut. Zorro war niemand, der die Stille als unangenehm empfand, aber gerade wünschte er sich, dass jemand sie füllen würde. Während er im Bad war, versuchte er sich an Brooks Geigenspiel zu erinnern, aber so wirklich wollte es ihm nicht gelingen; Musik hatte ihm noch nie sonderlich gelegen, aber er mochte, wenn Brook spielte. Selbst die Lieder, die jeder Pirat oder jeder aus dem East Blue kennen musste, fielen ihm nicht ein, während die Stille in seinen Ohren dröhnte. Er sollte schlafen gehen, entschied er, während er sich das Gesicht wusch. Die letzten Tage waren nervenaufreibend genug gewesen und Dulacre hatte Recht. Er sollte sich bis Wa No Kuni gut erholen, wer wusste schon, was ihn dort erwarten würde. Hoffentlich geht es den anderen gut. Sein Spiegelbild begegnete ihm und selbst Zorro wusste nicht, was es wohl dachte. Wasser tropfte von Haarspitzen hinab, lief über Stirn und Nasenrücken als auch die Schläfe hinunter zum Wangenknochen. Er machte sich keine großen Sorgen um Ruffy. Dieser Idiot würde den verdammten Kartoffelschäler schon zurückholen und hoffentlich würde Nami dem einen Einlauf verpassen, wie er es mehr als verdient hatte. Aber er machte sich Sorgen um all die anderen auf Wa No Kuni, wünschte sich beinahe, er könnte sie so einfach kontaktieren wie Dulacre, dessen kleine, weiße Teleschnecke sich an Zorros Oberschenkel schmiegte, gut verborgen in seiner Hosentasche. Aufstöhnend schüttelte er den Kopf und schrubbte sich das Gesicht trocken. Er sollte schlafen gehen und sich nicht mit solchen Gedanken belasten. Die Dinge waren, wie sie waren, lamentieren brachte da auch nichts. Er schnappte seine Sachen, schloss die Eingangstüre ab und begab sich dann zum ausladenden Bett in einem angrenzenden Zimmer, welches nicht minder vollgestopft war als der Aufenthaltsraum, und zog dort ebenfalls sämtliche Vorhänge zu. Sorgsam lehnte er seine Schwerter gegen den Nachttisch, während er die Tasche auf irgendeinen Stuhl fallen ließ, bevor er mühselig seine Stiefel auszog. Er war wirklich müde. Für einen Moment betrachtete er seine Hände. Er hatte es… geschafft… er hatte es wirklich geschafft. Langsam realisierte er, was in den vergangenen Stunden passiert war, und eine ungeahnte Last schien von seinen Schultern zu fallen. Endlich war es vorbei. Eizen war besiegt, der Putsch verhindert. Seine Freunde wussten die Wahrheit und Zorro musste sich nicht mehr verstellen. Erleichterung durchflutete ihn. Endlich war das Thema G6 mit allem, was danach gekommen war - Lady Loreen, Eizen, Uranos - abgeschlossen, vorbei, Geschichte. Jetzt konnte Zorro endlich einfach nur noch er selbst sein. Der unbedeutende Junge aus dem East Blue mit einem großen Traum und zerstörten Ruf, der das Glück gehabt hatte, dass Ruffy ihm begegnet war. Leise lachte er auf. Endlich waren es wieder seine Entscheidungen, er brauchte sich nicht mehr verbiegen, anpassen, Geheimnisse vor seinen Freunden verbergen. Er konnte einfach nur er selbst sein, einfach nur Zorro. Lorenor Zorro, künftiger bester Schwertkämpfer der Welt, Crewmitglied des zukünftigen Königs der Piraten. Dann ließ er sich einfach zurückfallen und schloss sein Auge. Er war wirklich müde, zu müde, um nochmal aufzustehen und im Nebenraum das Licht auszumachen. Aber mit geschlossenen Augen war der vereinzelte Lichtstrahl, welcher durch die angelehnte Tür fiel, nicht viel mehr als ein sanftes Glimmen, nicht genug, um seinen Schlaf zu stören. Er war wirklich müde. Ich werde dich finden und dir erneut helfen, deine Fesseln abzulegen. Nein, er wollte jetzt nur schlafen, wollte nicht über irgendwelche Dinge nachdenken, einfach den Moment genießen, einfach nur… Was denkst du, was für Abenteuer auf diese Welt warten? Leise grummelte er auf und legte einen Arm über seine Augen, versuchte, die Stimmen mit dem sanften Glimmen aus seinem Kopf zu verdrängen. Glaubst du, sie werden Spaß haben? Er wollte diese Stimmen nicht hören, diese Worte. Zorro wollte sich nicht an das erinnern, was er gesehen und gehört hatte. Er wollte nur schlafen, einfach nur schlafen, als der unbedeutsame windige Pirat, der er war. Der dreiste Bengel aus dem East Blue mit einem großen Traum. Und ich werde dir erneut folgen, mein Freund. Er riss sein Auge auf. Sein ganzer Körper zitterte. Du bist noch nicht tot, Wanderer. Noch nicht. Du weißt nicht zufällig, was ein Wanderer ist? Wanderer sind sehr, sehr alte Geschöpfe. Je älter die Seele, desto stärker deren Macht. Es heißt, dass Wanderer die Last der Welt auf ihren Schultern tragen, und daher nennt man sie auch Wächter der Welt. Ich habe entschieden, dich zu behüten, auch wenn es mein Leben kosten mag. Es erklärt, warum du Ruffy folgst. Dann sterbe ich lieber als Wächter, als weiterzuleben als Wanderer. Du bist ein Wanderer ohne Gedächtnis. Egal wie viel Zeit vergeht, ich werde dich finden. Es scheint wirklich Schicksal zu sein, nicht wahr? Knurrend knallte Zorro seinen Kopf in die Kissen. Er wollte all das nicht hören, all das nicht sehen. All diese Theatralik, all diese ach so großen und ach so aufgeplusterten Worte! All das hatte nichts mit ihm zu tun. Er war nur irgendein Bengel aus dem East Blue, den Ruffy per Zufall… Ich bin Ruffy! Ich bind dich los und dafür machst du bei mir mit, ja? Ich bin hier, mein Käpt’n! Ich werde dich finden und dir erneut helfen, deine Fesseln abzulegen. Ich werde nach dir rufen, mein König. Langsam setzte er sich auf, rieb sich durchs Gesicht, durch die Haare, hatte das Gefühl, den Verstand zu verlieren, wie damals, als Dulacre sich das erste Mal gewaltsam Zugang zu Zorros Geist verschafft hatte. „Ruffy“, flüsterte er in die Stille des Raumes wie ein Mantra. „Ruffy!“ Hey, du da! Kannst du mal herkommen und mich losbinden? Keine Ahnung, ob ich dich will. Du hast einen schlechten Ruf. Ruffy wird der nächste König der Piraten! Das gefällt mir sehr gut! Der beste Schwertkämpfer der Welt und der Piratenkönig… das sieht aus wie ein Spitzenteam! Nein! Er würde sich nicht einschüchtern lassen! Das waren Ruffys und seine Entscheidungen gewesen! Was auch immer er da unten bei Ornos gesehen hatte, das hatte nichts mit ihnen zu tun! Die Welt wird sehr laut werden, wenn du und ich gehen. Ich freue mich auf ein Leben voller Abenteuer. Ich suche Männer, die wie ich Pirat werden wollen. Wenn du stirbst, mach ich dich platt! Sein Kopf schien zu explodieren. Die Stimmen verschwommen miteinander, übertönten einander, ließen ihn beinahe zweifeln, wer was gesagt hatte. Er wollte all das nicht hören, all dieser Mist, in den Robin oder Dulacre viel zu viel hineininterpretieren würden. Das waren nur Zufälle, das hatte nichts mit Zorro zu tun! Nur Zufälle, alles nur Zufälle, nichts als Zufälle. Es scheint wirklich Schicksal zu sein, nicht wahr? Du wirst ja kaum aus einer Laune heraus mit ihm mitgegangen sein. Manchmal möchte ich gerne glauben, dass es Schicksal war. Aber natürlich ist mir bewusst, dass du nicht an das Schicksal glaubst, weil es bedeuten würde, dass der Weg, den du gehst, nicht auf deinen eigenen Entscheidungen beruhen würde. Ich habe entschieden, ins Leben zurückzukehren, ganz gleich der Konsequenzen, mir sogar der Konsequenzen wohl bewusst. Wenn das damals du warst, warum hast du nichts gesagt? Ich hatte keine Wahl. Ich musste zurück. Ich hätte doch nicht irgendeiner Wildfremden Zorros Schwerter mitgegeben. Ich wäre als Spielzeug zurückgekommen, wenn ich so Ruffy hätte beschützen können. Ich werde nach dir suchen, deine Stimme soll mir Orientierung sein. „Aufhören, ich will das nicht hören.“ Sein Kopf tat weh. Er hockte auf dem Bett, hielt seinen dröhnenden Kopf, hörte all diese längst vergangenen Worte, all diese Gespräche. Warum redeten sie alle von Schicksal? Es waren Entscheidungen gewesen, Ruffys und seine Entscheidungen! Ihrer aller Entscheidungen! Das hatte nichts mit irgendwelchen toten Menschen zu tun, nichts mit einer vergessenen Vergangenheit aus grauer Vorzeit, nichts mit irgendeinem verfluchten Schicksal! Aber es war seine Entscheidung gewesen! Jede Einzelne! Ruffy zu folgen! Ihn zu beschützen! Ihm beizustehen! Seinen Befehlen zu gehorchen! Das waren seine Entscheidungen gewesen! Zittrig rang er nach Luft. Es war seine Entscheidung gewesen, im Kampf gegen Homura nicht seine wahren Kräfte einzusetzen, deshalb hatten sie verloren. Einen Plan zu entwickeln, ohne den Koch einzuweihen, deshalb misstraute dieser ihm. Es war… es war seine Entscheidung gewesen, all diese Menschen sterben zu lassen. Es war seine Entscheidung gewesen, nicht mit dem Koch zu fliehen, deshalb… deshalb war er selbst verbrannt! Seine Finger gruben sich ins Haar, in die Kopfhaut. Er hatte nicht sterben wollen! Er hatte nicht sterben wollen! Aber es war seine Entscheidung gewesen, es war seine Entscheidung gewesen! Es musste seine Entscheidung gewesen sein! Er hatte diesen Weg gewählt, denn nur dann… denn, wenn es nicht seine Entscheidung gewesen wäre, wer hatte dann entschieden, dass er all das hatte durchmachen müssen? „Nein, es waren meine… ich habe so entschieden…“ Er hatte entschieden zurückzubleiben, zu sterben. Alles aufzugeben, was ihn ausmachte, seine Crew, seinen Traum, seine Ehre… seinen Körper. Also könnte jeder zurückkommen, der bereit ist, einen Preis zu zahlen? Nein. Die meisten nicht, nicht so wie ich und die anderen. Wir sind die, die zurückgekommen sind. Diejenigen, die noch nicht loslassen wollten. Könntest du diese Entscheidung wieder treffen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob ich noch einmal vor die Wahl gestellt werde. Aber wer hatte entschieden, dass er die Wahl haben würde? Wer hatte entschieden, dass er als Lady Loreen wiedergeboren werden würde? Wer hatte…? Wenn es nicht seine Entscheidung war…, wenn es nie seine Entscheidungen gewesen waren, warum… warum…? „Warum bin ich dann überhaupt hier?“ Heiße Tropfen liefen seine Unterarme hinab. „Warum bin ausgerechnet ich hier, nachdem ich so viele Menschen getötet habe?“ Hilflos sah er die dunkle Zimmerdecke an, seine Hände kraftlos auf den Knien. Warum er? Von all den Menschen, die gestorben waren, warum ausgerechnet er? Warum war ausgerechnet er am Leben? Warum hatte ausgerechnet er die Wahl bekommen? Wer hatte entschieden, dass er leben sollte? Dass er nicht hatte sterben dürfen? Wenn all das nicht seine Entscheidungen gewesen waren, dann war seine reine Existenz in diesem Moment nicht mehr als… Betrug. Als hätte jemand ein zerborstenes Schwert geklebt und zurück in die Scheide gesteckt, in der Hoffnung, dass es niemandem auffallen würde. Wenn irgendein übermächtiges Wesen hier die Entscheidungen fällte, dann… dann… „… dann hätte ich nie überleben sollen.“ Der Tod macht mir keine Angst, aber ich bin stolz darauf, dir Folge zu leisten, mein König. Egal wie viel Zeit vergeht, ich werde dich finden. Dann war es nie um ihn gegangen, nie um Ruffy, nie um die Crew, seine Freunde, noch nicht mal um seinen Traum. Dann war all das geschehen, dann hatten sie all das durchmachen müssen, dann hatte er all das tun müssen, nicht seinetwegen, nicht ihretwegen, sondern nur… nur weil irgendwer es so entschieden hatte. Weil er nicht mehr war als… „… ein Bauernopfer.“ Und sie alle wussten es. Sie alle wussten es und nahmen es so an. Sie alle wussten es und fanden es sogar gut. Sie wussten es und waren glücklich darüber, dass jemand anderes die Strippen zog. Sie alle wussten, dass es nie seine Entscheidung gewesen war.  Das ist ja so aufregend. Dann war es wirklich Schicksal. Manchmal möchte ich gerne glauben, dass es Schicksal war. Sie wissen von Ihrem Schicksal, nicht wahr? „Aufhören…“ Nein, er wollte das nicht wahrhaben! Würde nicht akzeptieren, dass Ruffy ihn damals mitgenommen hatte, weil es ihnen so vorherbestimmt gewesen war. Wollte nicht einsehen, dass alles, was bisher geschehen war, Arlong, Crocodile, Enel, Enis Lobby, Bär… Es war so viel geschehen, sie hatten so viele Orte gesehen, waren so vielen Menschen begegnet, hatten so viele Kämpfe geführt, so viele Entscheidungen getroffen, und nichts davon sollten ihre gewesen sein? Es sollte ihnen vorherbestimmt gewesen sein, dass Ruffy Zorros Leben retten würde, nur damit er sich später für ihn opfern konnte? Dass Nami jahrelang von Fischmenschen als Sklavin gehalten wurde, nur damit sie sich begegnen würden? Dass die Flying Lamb ihr Ende finden musste, nur damit Franky Lysop verprügeln würde? Dass Robin ihre Heimat verlieren musste, nur damit… wenn nichts davon Entscheidungen gewesen waren, wenn ihnen alles davon vorherbestimmt worden war, sie nie eine Wahl gehabt hatten, worauf baute diese Crew dann eigentlich auf? Wenn es nie Ruffys Entscheidung gewesen war, ihn mitzunehmen, warum hatte er ihn dann damals mitgenommen? Aber nicht nur, was Ruffy betraf, was ihn betraf, die Crew, seinen Traum, plötzlich war sein ganzes Leben… „Aufhören…“ Sie wissen, dass das Schicksal der Mihawks mit dem der Lorenor eng verbunden ist? Du wirst unser Schicksal für alle Zeiten besiegeln! Die Taten Ihrer beider Ahnen haben die Wege Ihrer Zukunft bestimmt. Deine Entscheidung wird auf ewig mein Schicksal binden. Ganz gleich, was ich tue, Ihre Existenz hat das grausame Schicksal meines Sohnes besiegelt. Wir sehen uns im nächsten Leben, mein kleiner Wildfang. „Aufhören!“ Er erschrak beinahe über seine eigene Stimme, konnte sich nicht erinnern, wann er sich wieder nach vorne gekrümmt hatte, wieder den Kopf gepackt hatte, die Augen geschlossen hatte. Nun betrachtete er seine schmalen Hände in den Schatten, die der einsame Lichtstrahl durch die angelehnte Tür warf, fasste nach einzelnen Strähnen langen Haars, die auf seine Knie fielen. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er sich verwandelt hatte, wusste nicht, wann es passiert war, konnte sich nicht erinnern. Warum hatte er sich verwandelt? Es konnte unmöglich schon Zeit dafür sein, er hatte seinen Körper noch nicht mal einen halben Tag angenommen. Er hatte dieses unangenehme Ziepen noch überhaupt nicht gespürt. Immer noch zitterte er am ganzen Körper, schaffte es nicht, seinen Atem zu beruhigen. Er versuchte, sich zurückzuverwandeln, doch es klappte nicht, sein Herz schlug immer schneller, aber er konnte sich nicht… er konnte sich nicht… er konnte nicht… Es war dieser Körper, dieser Körper, der ihm aufgezwungen worden war, weshalb Dulacre ihn mitgenommen hatte, weshalb Eizen ihn erkannt hatte, weshalb seine Freunde ihn nicht erkannt hatten, weshalb er ihnen nicht die Wahrheit gesagt hatte. Es war dieser Körper, dieser verhasste Körper. Dieser Körper, der nie hätte existieren sollen. Wäre er nie in diesem Körper zu sich gekommen, dann hätte er all das nie erfahren, hätte nie erfahren, was der Name Lorenor bedeutete, was ein Wanderer war, was ein Wächter war. Hätte nie erfahren, was Eizen ihm gesagt hatte, was Rayleigh ihm gesagt hatte. Hätte nie erfahren, was Ornos ihm gezeigt hatte. Hätte nie erfahren, was Mihawk Gat ihm gesagt hatte. Er wäre Ruffy weitergefolgt, hätte darauf vertraut, dass es seine Entscheidungen waren, Ruffys Entscheidungen waren, hätte nicht hinterfragt, hätte nicht gezweifelt, hätte nie gezweifelt. Irgendwann wäre er Dulacre wieder begegnet, hätte gegen ihn gekämpft, hätte ihn besiegt, vielleicht sein Leben verschont, hätte nicht gezögert, hätte nicht gehadert. Er hätte nie mit diesem beklemmenden Gefühl seinen Freunden gegenübergestanden, dort nicht hinzugehören, ihnen nicht die Wahrheit sagen zu können. Er hätte nie diese Angst erlebt, nie seinen eigenen Entscheidungen so sehr misstraut, seine eigenen Taten so sehr angezweifelt. Er hätte all das nie erfahren sollen! Es war ein Fehler! Er hätte nie die Wahrheit… nein, er hätte nie zurück ins Leben kommen sollen. Dieser Körper war ein Fehler. Dass er diese Wahrheit wusste, war ein Fehler. Dass er… am Leben war, war ein Fehler. Sein Blick fiel auf die Schwerter neben dem Bett, so ungewöhnlich ruhig, viel zu ruhig. Er konnte sie über sein wild schlagendes Herz, seinen zitternden Atem nicht hören. Wieso konnte er seine eigenen Schwerter nicht hören? Wieso konnte er sich nicht verwandeln? Wieso konnte er nicht…? Er konnte nicht… Was kannst du nicht? Lässt du dich etwa so leicht brechen? Überrascht sah er auf. Niemand war da, natürlich war niemand da. Ruffy war gerade irgendwo in Big Moms Gewässern, um den verdammten Koch zu retten, die anderen waren irgendwo auf Wa No Kuni, um Momonosuke und Kinemon zu helfen, und Dulacre war gerade auf dem Rückweg nach Kuraigana, um die fünf Inseln vor einem Angriff der Marine zu bewahren. Dann sah er, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Es war ein Spiegel, direkt hinter der Tür, in dem sich die Schatten bewegten. Zorro wollte sein Spiegelbild nicht sehen, dieses Spiegelbild nicht sehen. Aber zum ersten Mal schien nicht Lady Loreen zurückzuschauen. Das schwache Licht des Nebenraums brach sich in seinen Augen, aber ansonsten wirkten die Gesichtsstrukturen in den Schatten unstet, als wäre seine Verwandlung nicht ganz abgeschlossen. Zum ersten Mal, zum allerersten Mal konnte Zorro die Ähnlichkeit zu seiner Mutter sehen. Ihr Schatten im schwachen Schein erinnerte ihn an irgendetwas, aber er wusste nicht was. Wer hatte denn ahnen können, dass Lorenor Zakuro tatsächlich ein Kind hatte? Wohl eine Vergiftung. Was für eine Schande, hätte man sie früher gefunden, hätte man sie vermutlich retten können. Nach Eizens Befehl erfolgte der Zugriff, doch ich war zu spät; sie hatte entschieden, sich Eizen zu entziehen. Wer weiß, welche anderen Geheimnisse die Königin Alciels mit ins Grab genommen hat. Der Tempel, das flackernde Licht des Feuers, seine Mutter, die mit ihren Händen den Schatten eines Drachen an den Tempelwänden zum Leben erweckte. Sie erzählte ihm die Sage Hakuryuus, sie erzählte ihm, wie der Drache das Volk Alciels aus seinen Schuppen formte und von Ornos Baumkrone über sie wachte. Er erinnerte sich nicht mehr genau an ihre Worte, aber an ihr Gesicht in den Schatten der Säulen und daran, wie der Schatten des Drachen sich von diesem umgestülpten Becher erhoben und davongeflogen war, um seine wahre Bestimmung zu verfolgen, was auch immer diese gewesen war. Zorro erinnerte sich, dass er die Geschichte nie gemocht hatte, weil der Drache verschwunden war, irgendwohin, um seiner wahren Bestimmung zu folgen, was auch immer diese gewesen war. Jedes Mal, wenn seine Mutter die Geschichte Hakuryuus erzählt hatte, hatte er sie gefragt, ob der Drache denn nicht irgendwann zurückkommen würde. Das war eine der wenigen Erinnerungen daran, wie seine Mutter ihn in den Arm genommen und ihm mit dieser sanften Stimme erzählt hatte, dass er nicht traurig sein sollte. Denn Hakuryuu mochte vielleicht fortgeflogen sein, aber er hatte sein Volk nie verlassen, denn sie waren aus seinen Schuppen geformt worden und ihr Blut floss durch seine Adern. Zorro hatte diese Worte nie verstanden und sie hatten ihn nie beruhigt, aber jedes Mal hatte sie die Geschichte dann gleich beendet und an diese Worte konnte er sich noch ganz genau erinnern. Du brauchst keine Angst haben. Solange Hakuryuu lebt, solange wird kein Einziger unseres Volkes allein sein, solange wird Ornos leben und solange wird Alciel nicht fallen und eines Tages, da bin ich mir ganz sicher, eines Tages wird Hakuryuu zurückkehren, Ornos blühen und Alciel aus den Ruinen wiederauferstehen. Und wann immer er als Kind Angst gehabt hatte, da hatte er gehofft, dass Hakuryuu endlich kommen würde. Aber das war er nicht und Zorro war alleine gewesen, irgendwann war er ganz alleine gewesen. Plötzlich erinnerte er sich an ihre letzten Worte. Worte, die er beinahe vergessen hatte, die er fast sein ganzes Leben vergessen hatte, weil er alleine gewesen war und weil er irgendwann nicht mehr alleine gewesen war. Was auch immer sie unserer Tochter an jenem Tag sagte, wird die Welt wohl nie wissen. Aber meine Tochter war von jenem Tag eine andere, sie übernahm ihre Pflichten gewissenhaft. Sei heute Abend pünktlich, Ren, ich möchte beizeiten essen. Und benimm dich, sei den Arbeitern keine Last. Langsam erhob er sich, ignorierte, wie die Hose zu Boden glitt, stolperte beinahe über sie und die Stiefel, fühlte kaum, wie lose Verbände hinabhingen, spürte kaum die Schmerzen aus einem Kampf, den dieser Körper nie geführt hatte. Durch den frühen und unerwarteten Tod meiner Frau hat mein Sohn sein wahres Erbe nie angetreten. Und vergiss nicht, Ren, auch mein Blut fließt durch deine Adern, und so wie der Drache Hakuryuu, so werde auch ich dich nie verlassen, selbst wenn ich nicht mehr da sein sollte. „Du wusstest es, oder?“, fragte er sein Spiegelbild, welches natürlich nicht antwortete. „Du wusstest es die ganze Zeit.“ Langsam hob er eine Faust, der viel zu große Ärmel rutschte in seine Armbeuge. „Warum hast du mir nichts gesagt?“ Er schlug gegen den Spiegel, spürte die Zornestränen. „Du wusstest doch, dass du sterben würdest. Warum hast du mir dann nichts gesagt?!“ Wenn das alles war, weswegen er am Leben war, weswegen er wieder und immer noch am Leben war, als Spielball für irgendwen oder irgendwas, weil irgendwer anders die Entscheidung gefällt hatte, warum hatte sie ihm das nicht gesagt? Warum all die Stunden über die Geschichten und Werte Alciels? Warum all die Reden über Moral und Disziplin, über Ehre und Entscheidungen, wenn davon doch nichts seins war? Wie sollte er stolz auf seine Entscheidungen sein, wenn sie ihm vorgegeben waren? Bereue nicht, Ren, ein Lorenor bereut nie. Was sollte er nicht bereuen? Dass sein Leben nichts weiter als ein kosmischer Scherz war? Dass seine eigenen Pläne, Wünsche und Entscheidungen unwichtig fürs große Ganze waren? Was wäre passiert, wenn Dulacre ihn am vergangenen Tag getötet hätte? Hätte dieser Seelenwächter ihn einfach wieder zurück ins Leben geschickt? Vielleicht ohne seine Erinnerungen, weil Zorro zu viel wusste? Einfach weil sie es konnten? Einfach weil es unterhaltsam war? Sollte er all das nicht bereuen? Sollte er nicht bereuen, dass er von Anfang an nicht Herr seiner eigenen Entscheidungen gewesen war? Sollte er nicht bereuen, dass er irgendwann für Ruffy sterben würde, von Dulacre getötet werden würde, ganz gleich, was er wollte, was sein Kapitän wollte, was Dulacre wollte? „Bereust du es, für mich gestorben zu sein?“, fragte er den Spiegel. „Oder ist es das, was wir Lorenor nun mal so machen? Für andere sterben?“ Vielleicht war sie nie für ihn gestorben, sondern nur für diesen anderen, diesen Wächter. Aber wieso? Wenn es doch sein Schicksal war, wenn er doch so oder so nie eine Wahl gehabt hatte, als diese Pflicht, die irgendwer ihm aufgelegt hatte, zu erfüllen, warum hatte sie ihn dann kein bisschen darauf vorbereitet? Sie hatte ihm so viel erzählt, so viel über die Sagen Alciels, ihm so viel beigebracht, ihn in so vielem gelehrt, als er noch ganz klein gewesen war, als er noch so vieles nicht verstanden hatte. Warum hatte sie ihm nicht auch davon erzählt? Warum hatte sie ihm nicht gesagt, dass Ornos mehr als nur eine Sagengestalt war? Warum hatte sie ihm nicht von den Wächtern und den Wanderern erzählt? Warum hatte sie ihm nicht gesagt, dass sein ganzes, verdammtes Schicksal ihm bereits vorbestimmt war? Dulacres Mutter hatte es getan, bei dessen Schwester, als sie alt genug gewesen war. Vermutlich hätte sie es auch Dulacre erzählt, wenn sie gewusst hätte, dass sie seinen sechzehnten Geburtstag nie erleben würde. Aber seine Mutter hatte es gewusst, sie hatte gewusst, dass sie an jenem Tag sterben würde. Jeden Morgen hatte sie ihn mit den gleichen Worten verabschiedet, nur an jenem Tag hatte sie Hakuryuu erwähnt und als er nach Hause gekommen war, da war sie nicht mehr da gewesen, ihr Körper hatte zwar dort gelegen, aber sie hatte ihn alleingelassen. „Warum hast du mir nicht die Wahrheit gesagt?“ Welch trauriges Ende es für eine Frau wie sie gewesen war. Die Menschen heutzutage sind furchtbar scheinheilig. Ganz gleich, was ich getan habe, das Schicksal kann nicht aufgehalten werden. Die Menschen heutzutage achten nicht mehr darauf, was ihre Hilfsbereitschaft sie kosten könnte. Die Taten Ihrer beider Ahnen haben die Wege Ihrer Zukunft bestimmt. Sorge dafür, dass du die Konsequenzen deiner Taten trägst und nicht jemand anderes. Ihre Existenz hat das grausame Schicksal meines Sohnes besiegelt. Sei gütig, sei barmherzig, aber sei dir bewusst, dass jede Tat auch Folgen haben kann, die du nicht voraussehen konntest. Das Schicksal der Mihawks ist ein grausames Leben. Stelle sicher, dass du nichts tust, was du eines Tages bereuen könntest, nur so kannst du die Konsequenzen deiner Entscheidungen ein Leben lang tragen. Denn sie waren doch diejenigen, die unser ganzes Schicksal bestimmt hatten, aufgrund derer meine sanfte Tochter und mein eitler Sohn hatten Schwertkämpfer werden müssen. Bereue nicht, Ren. Aber selbst mein Sohn konnte sich dem Schicksal der Mihawks anscheinend nicht entziehen. Ein Lorenor bereut nie die eigenen Entscheidungen. Seine Beine gaben nach und langsam rutschte er am Spiegel entlang zu Boden. Konnte es sein…? Konnte es sein, dass er seine Mutter all die Zeit falsch verstanden hatte? Nur der schwache Geist glaubt, dass einem die Entscheidungen durch das Schicksal vorweggenommen werden. Dabei sind es doch unsere Entscheidungen, mit denen wir unser eigenes Schicksal bestimmen. Wir stehen hier heute nicht, weil es das Schicksal so wollte, sondern weil Sie, ich und alle anderen in der Vergangenheit Entscheidungen getroffen haben, die uns hierhin gebracht haben. Er sah den Schatten im Spiegel an, als wäre es eine Tür in die Vergangenheit. Doch seine Mutter hatte nie so hilflos am Boden gehockt, ihn nie mit Tränen in den Augen angesehen. Nein, sie war immer schon zu stolz gewesen für Schwäche und Zweifel jeglicher Art. Sie hatte nie geklagt, sich nie beschwert, hatte ihre Entscheidungen gefällt und damit gelebt. Sie hatte gelebt, wie sie es gewollt hatte und sie… Sie ist so gestorben, wie sie es wollte, so wie sie es für richtig hielt. Sie ist aus freiem Willen gestorben, um mich zu beschützen. Wie hatte er auch nur für eine Sekunde glauben können, dass seine Mutter ihre Entscheidungen irgendeinem Schicksal untergeordnet hatte? Und plötzlich musste er an einen Streit denken, an einen Streit, der lange zurücklag und den er nicht verstanden hatte, aber jetzt verstand er. Lorenor, ich denke in diesen Papieren könnten Hinweise auf deine Vergangenheit, dein Vorfahren, dein Erbe… Du willst all diesen Schwachsinn über meine Vergangenheit wissen, du willst nach irgendetwas Bedeutungsvollem in meiner bedeutungslosen Geschichte suchen und es stört dich, dass mir das alles egal ist. Vielleicht hast du ein Erbe, welches du antreten musst. Aber mir geht dieser Kram am Arsch vorbei. Ich werde dich nicht besiegen, weil ich irgendein Nachfahre einer ach so tollen untergegangenen Zivilisation bin, sondern weil ich jeden Tag an meine Grenzen gehe und unablässig daraufhin trainiere! Ich werde deinen Titel nicht an mich nehmen, weil irgendein Blut adliger Ahnen durch meine Adern fließt, sondern weil ich es kann und weil ich es will. Wie sollen wir denn jetzt je die Wahrheit hinter deiner Fähigkeit herausfinden? Ich akzeptiere nicht, dass alle Opfer und Anstrengungen der vergangenen zwanzig Jahre weniger Wert sein sollen als das Blut irgendwelcher toter Menschen. Was fällt dir ein, du dummes Kind?! Das waren die Antworten! Endlich hättest du herausfinden können, was dein Name bedeutet, wer deine Vorfahren waren, warum du diese Sprache kannst, vielleicht sogar, warum du von den Toten auferstanden bist. Du bist derjenige von uns, der Namen und Titeln mehr zuspricht als Worten und Taten und weil ich deinen Titel will, bist du besessen davon in meiner Vergangenheit irgendetwas zu finden, dass das rechtfertigt. Mach dich nicht lächerlich, ich weiß, wer ich bin, von wem ich abstamme, wessen Blut durch meine Adern fließt. Ich trage den Namen meiner Familie, die Titel meiner eigenen Taten und das Erbe meiner Ahnen. Ich weiß genau, wer ich bin, Dulacre, und anders als du definiere ich mich nicht über irgendwelche Namen und Titel, sondern nur über meine Taten, nur darüber, ob ich meinen eigenen Ansprüchen genüge, ob ich meinem Spiegelbild stolz entgegentreten kann. Jetzt verstand er. Seine Mutter hatte ihm alles beigebracht, was er wissen musste, und noch mehr. Sie war vielleicht gestorben, aber sie hatte ihn nie wirklich alleine gelassen. In all seinen Worten, all seinen Gedanken, all seinen Taten, sie war da, aber er hatte es nicht gesehen. Ich weiß genau, wer ich bin. Ein Lorenor bereut nie die eigenen Entscheidungen. „Ich bin Lorenor Zorro“, flüsterte er dem dunklen Zimmer zu. Dann schüttelte er den Kopf, holte tief Luft und straffte seine Schultern. „Ich bin Lorenor Zorro“, sprach er klar aus, „der zukünftige beste Schwertkämpfer der Welt!“ Mühsam kämpfte er sich auf die Beine, behindert von seinen nervigen Klamotten und den noch nervigeren Verbänden. „Ich stehe jetzt hier aufgrund meiner Entscheidungen, und ich bereue nichts davon!“ Dann sah er sein Spiegelbild an, doch weder Lady Loreen noch seine Mutter sahen zurück, sondern er selbst, einfach nur er selbst. Er konnte sich gar nicht erinnern, wann er sich verwandelt haben sollte. Es war noch nie unabsichtlich geschehen, die Verwandlung in seine wahre Gestalt musste er immer regelrecht erzwingen. Sein Körper tat nicht weh – wenn man von den Blessuren des Kampfes absah – dieses unangenehme Gefühl der Erschöpfung fehlte. Im Gegenteil, er fühlte sich… gut. Er war müde, so müde, wie zuvor, aber endlich – endlich – entspannten sich seine Nackenmuskeln und es schien, als würde er zum ersten Mal seit Ewigkeiten richtig atmen können. Jetzt verstand er, was er verlernt hatte. Nicht, sich von anderen beschützen zu lassen, nicht, anderen zu vertrauen. Nein, im Kampf gegen Homura hatte er seine Entscheidung angezweifelt, beim Ausbruch hatte er seine Entscheidung angezweifelt, als er unter dem Turm vergraben worden war, hatte er seine Entscheidung angezweifelt. Das hatte er verlernt, das Vertrauen in seine Entscheidungen, in sich selbst. Bereue nicht, Ren. „Ich bereue nicht“, erklärte er und wusste, dass es stimmte, dass es dieses Mal endlich stimmte. Ja, seine Entscheidungen hatten viel Leid herbeigeführt, für unzählige unschuldige Menschen und ihre Familien, und auch für seine Freunde und auch für ihn, aber nur dank seiner Entscheidungen hatten seine Freunde überlebt, hatte er Dulacre als mehr als nur einen Rivalen kennengelernt. All seine Entscheidungen hatten zu diesem Moment hier geführt. „Ich bereue nichts.“ … böllebölle… böllebölle   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)