Ein letztes Geheimnis von Sharry ================================================================================ Kapitel 11: Kapitel 11 - Alkohol -------------------------------- Kapitel 11 – Alkohol   -Zorro- Gähnend schritt er den dunklen Flur irgendeines Hotels entlang. Er war müde, die vergangene Nacht hatte er kaum geschlafen. Worte und Erinnerungen seiner verstorbenen Mutter hatten ihn in seinen Träumen verfolgt, verwebt mit unheilvollen Aussagen von Freunden und Feinden der letzten Jahre. Er vermutete, dass die Diskussionen des vergangenen Tages Schuld an der unruhigen Nacht waren, aber er wunderte sich, warum ausgerechnet seine Mutter ihn beschäftigen sollte, schließlich dachte er so gut wie nie an sie. Auf der anderen Seite machte er sich nicht wirklich Gedanken darum. Träume waren nicht mehr als Träume und es überraschte ihn nicht, dass er schlecht schlief, wenn er an die letzten Tage dachte; viel war passiert. Es war nur nervig, wie müde er gerade war, und dass selbst jetzt noch die Stimme seiner Mutter in seinem Kopf widerhallte und ihn penetrant an vergangene Zeiten erinnerte. Aber auch darüber wollte er heute nicht nachdenken, nicht über seine Mutter, nicht über den Koch und erst recht nicht über Eizen und die Geheimnisse, die dieser sich zu Nutzen machen wollte. Nein, heute wollte Zorro diesen ganzen Mist für ein paar Stunden außen vorlassen und noch einmal die friedliche Ruhe von Kuraigana genießen. Er klopfte die vereinbarte Folge an der letzten Türe im Flur und wartete einen Atemzug, ehe er sie öffnete. Vor ihm bot sich ein fast schon zu vertrautes Bild. Der Samurai saß in einem ausladenden Sessel, der wirklich ein bisschen zu sehr nach dessen Lieblingssessel auf Kuraigana aussah, und nippte an einem Weinglas. Als Zorro eintrat, stahl sich ein gemeines Grinsen auf die harten Züge seines Lehrmeisters und seine Augen blitzten gefährlich auf. „Lorenor“, grüßte dieser ihn und seine Stimme erinnerte Zorro sofort an Gespräche im Kaminzimmer zurück. „Willkommen.“ Zorro nickte nur und schloss die Türe hinter sich. Etwas war seltsam und er war sich sicher, dass die Atmosphäre im Raum nichts mit seiner beschissenen Nacht zu tun hatte. „Du bist überaus pünktlich; ich hatte nicht damit gerechnet, dass du deinen Weg so schnell finden würdest“, urteilte der andere milde. „Was?“ „Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass du einen miserablen Orientierungssinn hast, und erst recht werde ich es nicht verheimlichen, nur damit du so tun kannst, als ob du es nicht wüsstest.“ Einen Moment starrten sie einander an. Zorro würde dem anderen gewiss nicht auf die Nase binden, dass er eigentlich nur versucht hatte, den Koch abzuschütteln, und dann plötzlich vor dem von Dulacre beschriebenen Hintereingang gestanden und die Chance ergriffen hatte. Das brauchte der andere nun wirklich nicht zu wissen. „Ich bin hier und ich bin pünktlich. Sonst noch irgendwelche Beschwerden?“ Nun lachte der andere leise auf: „Oh, nicht doch. Um ehrlich zu sein, bin ich äußerst erfreut, dass du diesem Treffen zugestimmt hast. Ich hätte nicht erwartet, dass wir einander so schnell wiedersehen würden.“ „Wie war dein Auftrag?“, entgegnete Zorro nur, während er abschloss, um sicherzugehen, dass niemand aus Versehen hereinplatzte. Etwas war auf jeden Fall seltsam, was genau konnte er nicht sagen, aber er kannte den anderen gut genug, um zu erkennen, dass dieser etwas vorhatte. „Wie zu erwarten“, seufzte Dulacre und zuckte mit den Schultern, ehe er sich aufrichtete und zu einem kleinen Sekretär hinüberging, der verschiedensten Alkohol darbot, „langweilig und absolut unter meiner Würde. Aber darüber möchte ich jetzt nicht weiter nachdenken, nun da du endlich da bist. Sake?“ Der Ältere hielt ihm Glas und Flasche hin. „Es ist noch nicht mal Mittag.“ „Also kein Sake?“ „Tze.“ „Ist das ein Ja?“ Es war wie immer, Zorro konnte das Grinsen nicht verhindern, während das Wesentliche ihrer Kommunikation nicht in Worten stattfand. Er war sich sicher, dass der andere etwas verbarg, aber wenn er ehrlich war, war es ihm gerade egal. Vielleicht wollte Dulacre auch nur nicht, dass ihr Aufeinandertreffen sich komisch anfühlte, vielleicht war er tatsächlich einfach nervös, vielleicht war es gerade zwischen ihnen sogar einfach seltsam. Schließlich hatten sie sich das letzte Mal gegenübergestanden, als Zorro den Älteren davon abgehalten hatte, dessen Gefühle für Zorro zu gestehen. Natürlich wussten sie beide davon, aber sie beide hatten entschieden, dass dies nicht ihre Beziehung beeinflussen würde. Mit einem Schulterzucken ließ Zorro sich auf dem Sessel am Schachbrett nieder, während der andere ihm eingoss. Er konnte nicht verhindern, dass er sich freute; dieser Moment hier war genau wie früher, war so vertraut, dass Zorro beinahe vergaß, dass dies hier nicht das Kaminzimmer war, sondern irgendein Hotel in der Neuen Welt. „Etwas beschäftigt dich?“ Dulacre stellte ihm ein Glas hin und schenkte sich selbst Wein nach. „Wie kommst du darauf?“ Zorro hob den Sake an und konnte bereits am Geruch erkennen, dass dies eine Qualität war, die er sich nie selbst leisten können oder wollen würde. Vielleicht irrte er sich und der andere hatte doch etwas zu verbergen, vielleicht interpretierte er aber auch nur zu viel in Dinge hinein, vielleicht war er aber auch einfach nur müde. Tief seufzend unterdrückte er ein Gähnen und nahm einen Schluck. Die Geheimniskrämerei mit seiner Crew ließ ihn wohl Geheimnisse und Täuschung überall sehen. Es war der Sake, den Zorro am liebsten von all denen gehabt hatte, die der Ältere ihm während der letzten zwei Jahre zum Probieren angeboten hatte. Es war der Sake, von dem Dulacre nur eine einzige Flasche in seinem Weinkeller gehabt hatte; er musste ihn nachgekauft haben. „Genau deshalb“, meinte der andere nur und sah ihn wissend an, ehe er sich wieder auf seinen Sessel warf, „ich habe dich selten so schwer seufzen gehört.“ Natürlich hatte Dulacre ihn sofort durchschaut, vermutlich schon beim Telefonat am vergangenen Abend, aber Zorro war noch nicht mal wütend darüber. Er hatte es fast erwartet, vielleicht sogar ein bisschen darauf gehofft, aber das würde er natürlich nie zugeben. „Von wegen“, grinste er böse und ignorierte unnötige Gefühlsduselei, „natürlich muss ich seufzen. Wir sind im Begriff Schach zu spielen.“ „Wohl wahr.“ Dann beugte der andere sich vor und griff die Seite des Spielbretts. „Wo wir schon dabei sind, wie lange hast du Zeit zu bleiben? Ich wäre untröstlich, wenn du wegen mir deine Crew warten lassen würdest.“ „Ja, sicher.“ Zorro lachte und wollte nach einer Schachfigur greifen. „Heute Abend, wir haben also den ganzen Tag… Hey.“ Ohne Vorwarnung drehte Dulacre das Spielbrett, sodass nun die schwarzen Figuren vor Zorro standen und nicht, wie bisher immer, die weißen. Als Zorro den anderen ansah, wusste er, dass sein seltsames Magengefühl richtig gewesen war. „Wir beide dachten, dass unser nächstes Zusammentreffen erst in einigen Monaten sein würde, nicht wahr? Ich sage nicht, dass mich unser verfrühtes Treffen unglücklich stimmt, aber ich weiß, dass du dir mehr erhofft hast; ich hatte mir mehr erhofft.“ Die Falkenaugen sahen ihn klar an, sanft lächelte der Ältere entgegen seinem scharfen Blick. „Ich kann dir heute nicht den Kampf bieten, den du dir ersehnst, den ich mir ersehne. Ohne Jiroushins Einschreiten würde ich dich mit Sicherheit töten und das werde ich nicht riskieren. Aber dies ist mein Zeichen, dass ich dich als ernsthaften Gegner anerkenne. Ich ziehe die Samthandschuhe aus.“ Zorro hatte das Gefühl, dass Dulacre etwas Anderes meinte, als er sagte, aber er verstand nicht was, also nickte er nur, atmete aus und neigte dann leicht den Kopf. „Nun gut, dann leg los, zeig mir, wie man’s richtig macht.“ „Mit Vergnügen“, lachte sein Lehrmeister und machte seinen ersten Zug. Die nächsten Minuten verstrichen in einvernehmlicher Stille, nur unterbrochen von dem Klacken der Spielsteine, dem Klingen von Gläsern und nachdenklichen, wortlosen Lauten. „So geht das nicht“, stellte der andere dann äußerst missmutig fest und sah auf. „Lorenor, ich weiß, dir geht vermutlich gerade viel durch den Kopf – und davon hat mit Sicherheit das meiste nichts mit diesem Schachspiel zu tun – aber du bist selten so schweigsam wie heute, erst recht, wenn du mir doch so viel zu erzählen hast. Was ist denn los?“ Überrascht sah Zorro auf, Dulacre klang fast, wie ein unzufriedener Bengel und Zorro hatte keine Ahnung, was der andere meinte. Er war doch von Natur aus ein eher schweigsamer Zeitgenosse, fand das ganze Gerede oft nervig und unnötig und jetzt kam Dulacre daher und sagte ihm, dass es unüblich für ihn war, eben nicht drauf los zu plappern? „Sieh mich nicht so an, Lorenor.“ Dulacre konzentrierte sich wieder aufs Schachfeld. „Natürlich ist mir bewusst, dass du auch dem geeinten Schweigen etwas abgewinnen kannst, und wenn du dafür hergekommen bist, habe ich nichts dagegen einzuwenden. Aber normalerweise kannst du kaum erwarten, mir von deinen Erlebnissen zu erzählen, wenn du mehrere Tage unterwegs warst, und dabei ging es meist um ermüdende Tätigkeiten in Eizens Dienst, und nicht um die Wiedervereinigung mit deinen Freunden, auf die du zwei Jahre lang hintrainiert hast. Selbst, als du mich noch schlaftrunken von der Fischmenscheninsel aus anriefst, warst du gesprächiger als jetzt, deutlich gesprächiger.“ Er setzte einen Stein genau zwischen Zorros Strategie. Es war ihm nie aufgefallen, aber ja, Dulacre hatte Recht. Egal, was geschehen war, Zorro hatte ihm fast immer davon erzählt, manchmal um sich Rat zu holen, manchmal auch nur, um etwas Ärger abzulassen oder um den anderen zu informieren, und manchmal auch einfach nur… weil er es gewollt hatte, und natürlich wusste Zorro, dass der Ältere jede Einzelheit seiner vergangenen Kämpfe wissen wollte, schließlich waren sie beide Schwertkämpfer. Selbst auf der Thousand Sunny hatte er sich oft nach dem anderen umgedreht, um ihm etwas zu sagen und das, obwohl der andere noch nicht mal anwesend gewesen war. Sowohl auf dem Fest tief unten am Meeresgrund als auch auf der gefrorenen Insel hatte er mit vielen Menschen gefeiert, aber der eine, mit dem er über die Kämpfe hatte reden wollen, war nicht dagewesen. Warum also hatte er das vergessen? Warum war es ihm überhaupt nicht in den Sinn gekommen, von seinem Tag zu erzählen? „Also, Lorenor, ich bin neugierig, de Flamingo? Big Mom? Und Kaido? Wir haben nur ein paar Stunden und ihr scheint viel erlebt zu haben. Lass mich dir nicht alles aus der Nase ziehen.“ Noch für eine weitere Sekunde grübelte Zorro über seine verworrenen Gedankengänge, dann jedoch beschloss er, diese erstmal zu vergessen. Er war hierhergekommen, um den Frieden Kuraiganas zu genießen, und das würde er auch tun. „Wo soll ich anfangen?“, fragte er und setzte einen Stein. Dulacres Gesicht verriet nichts. „Das überlasse ich dir.“ Also erzählte Zorro, sprach von seiner Ankunft auf dem Sabaody Archipel, seinem Treffen mit Rayleigh – wobei er nicht alles erwähnte, worüber er mit dem dunklen König gesprochen hatte – und seinem Wiedersehen mit den Crewmitgliedern. Er erzählte von ihren Abenteuern in der Tiefsee und dem darauffolgenden Fest, von der Auseinandersetzung mit Big Moms Schergen und ihrem Auftauchen in der Neuen Welt. Dann erzählte er von Punk Hazard und den vergangenen Kämpfen, erzählte sowohl von Law und Caeser als auch von Tashigi und der Schneefrau. Er erzählte von den Konflikten und den Kämpfen, von seiner Crew und ihren Verbündeten, von den Spannungen der Welt und den langweiligen Schlachten. Wie so oft, wenn Zorro erzählte, schwieg der andere, stellte hier und da mal eine interessierte Frage oder bemerkte eine Kleinigkeit, ansonsten konzentrierte er seinen Blick auf das Schachbrett zwischen ihnen, genau wie Zorro. Einzig und allein als Zorro die Allianz mit Law erwähnte, zog der Samurai missbilligend die Augenbrauen hoch. Von den Konflikten innerhalb seiner Crew und mit sich selbst erzählte Zorro nicht. Es war schon nervig genug, dass Eizens Damoklesschwert andauernd über ihm hing, wie eine dunkle Wolke. Es war schon nervig genug, dass der Koch sich andauernd mit ihm anlegte und ihm so unter die Haut ging. Es war schon nervig genug, dass alle seine Freunde ihm das Gleiche rieten, ohne doch auch nur einen Hauch Ahnung von dem zu haben, worüber sie sprachen. Ausgerechnet heute wollte er nicht auch noch eine Auseinandersetzung mit Dulacre provozieren. Heute musste der andere einfach nur sein Freund, sein… Vertrauter sein, jemand, bei dem Zorro nicht auf seine Wortwahl aufpassen musste. Dann begann er über die bevorstehenden Kämpfe zu sprechen und langsam wurde ein Dialog daraus, als der Ältere mit ihm Strategien, Stärken und Schwächen erörterte, während sie weiterhin Steine versetzten. Dieses Spiel war anders als sonst. Ihnen beiden war bewusst, dass sie zwar nicht auf Zeit spielten und dennoch nur einen begrenzten Zeitrahmen zur Verfügung hatten. Sie beide wussten, dass sie ihre Entscheidungen relativ zügig fällen mussten und nicht stundenlang über die möglichen Folgen nachdenken konnten. Aber diese Art zu spielen, gefiel Zorro am meisten. Immer wenn sie ohne Zeitlimit gespielt hatten, hatte er nicht mal den Hauch einer Chance gehabt, dem anderen auch nur nahezukommen, hatte nicht mal davon träumen können, eine Gefahr darstellen zu können, egal wie sehr er sich den Kopf zermartert und wie viele Strategien er sich zusammengelegt - und teils sogar aufgeschrieben - hatte. Auf der anderen Seite waren die Spiele, in denen die Bedenkzeit fürs gesamte Spiel auf wenige Minuten beschränkt gewesen war, für ihn noch schwieriger gewesen, da die Züge des Älteren für ihn oft keinen Sinn ergeben hatten und er keine Zeit gehabt hatte, darüber tiefer nachzudenken. So wie sie gerade spielten, hatte Zorro am ehesten eine Chance und er fragte sich, ob Dulacre dies bewusst gewählt hatte, aber er entschied sich auf das Spiel und ihre Unterhaltung zu konzentrieren und nicht auf irgendwelche sinnlosen Vermutungen. Nun, da sie sich über künftige Kämpfe und mögliche Gegner unterhielten, war ihr Gespräch deutlich lebendiger als zuvor und die Schwere, die Zorro am bisherigen Morgen begleitet hatte, löste sich langsam von seinen Schultern, die Müdigkeit verflog. Irgendwann schwappten sie von hypothetischen Schlachten zu den Theorien der Schwerter und Begeisterung schlich sich in ihre Stimmen. Dulacre erzählte ganz aufgeregt von dem Buch, welches Zorro ihm übersetzt hatte – als hätte er es nicht selbst gelesen – und gemeinsam ereiferten sie sich über die damaligen Methoden, die selbst heute zum Teil noch genauso oder nur leicht variiert angewandt wurden. Sie sprachen über große Schwertkämpfer und bedeutende Schwerter, tranken ihren Alkohol in ungezügelten Mengen, lachten, scherzten und tadelten einander, forderten einander heraus und neckten einander, so wie sie es sonst auch immer gemacht hatten. Beiläufig erwähnte der Ältere die alten Sagen Alciels aus dem ersten Buch, welches Zorro ihm übersetzt hatte, sprach von der Weisen Pari, dem Baum Ornos und dem ersten wahren Schwertkämpfer Hakuryuu, während er Zorros Turm stahl, und plötzlich musste Zorro an Eizen denken, an Eizen, Alciel und seine Mutter… und an Sanji. Die Menschen heutzutage sind furchtbar scheinheilig, bieten ihre Hilfe an, ohne überhaupt helfen zu können. Sie haben dafür sogar einen Begriff. Ren, kennst du die Redewendung „einen Bärendienst erweisen“? Wer hatte denn ahnen können, dass Lorenor Zakuro tatsächlich ein Kind hatte und dass dieses Kind mir ausgerechnet fünfzehn Jahre später zum bestmöglichen Zeitpunkt über den Weg laufen würde? Wenn du jemandem deine Hilfe anbietest, stelle sicher, dass du auch die Konsequenzen tragen kannst. Nichts ist unhöflicher, als einem Hilfebedürftigen Hoffnungen zu machen, die man nicht erfüllen kann. Alles, was ich weiß, ist, dass du mir eine Aufgabe aufgezwungen hast, an der selbst du gescheitert bist. Du warst nicht da, als wir in den Hinterhalt der Marine geraten sind, du warst nicht da, als wir dich gebraucht hätten. Nein, es ist keine Schwäche, Hilfe anzunehmen. Aber sei dir bewusst, welche Folgen dies für dich und für die anderen hat. Setze Menschen, die dir helfen, keiner zusätzlichen Gefahr aus, sorge dafür, dass du die Konsequenzen deiner Taten trägst und nicht jemand anderes. Ich stand vor dem Scherbenhaufen unserer Crew. Ich war da und habe Ruffy sagen müssen, dass du gestorben bist! Ich habe die weinende Nami im Arm gehalten! Ich… ich bin nachts aus der Koje geklettert, weil Chopper gewimmert hat und sich nicht getraut hat, in eine andere Koje zu klettern als deine! Natürlich braucht jeder manchmal Hilfe, aber die Menschen heutzutage achten nicht mehr darauf, was ihre Hilfsbereitschaft sie kosten könnte. Wenn du sie also für ihre Hilfe wertschätzen willst, achte darauf, dass sie nach Möglichkeit nicht den Preis zu zahlen haben. Die fünf Weisen dachten ja, dass das Geschlecht schon seit Jahrhunderten ausgerottet sei, und ich selbst war da, um das Ableben der letzten Lorenor zu bezeugen, und nichts in dieser verwahrlosten Hütte deutete darauf hin, dass ein Kind dort leben würde, selbst die Dorfbewohner haben geschwiegen. Du hast noch nicht mal den Anstand gehabt uns, selbst die Wahrheit zu sagen. Du warst nicht da, als wir in den Hinterhalt der Marine geraten sind, du warst nicht da, als wir dich gebraucht hätten. Sei gütig, sei barmherzig, aber sei dir bewusst, dass jede Tat auch Folgen haben kann, die du nicht voraussehen konntest. Also stelle sicher, dass du nichts tust, was du eines Tages bereuen könntest, nur so kannst du die Konsequenzen deiner Entscheidungen ein Leben lang tragen. Sie sehen, jetzt habe ich alle Spielfiguren in Position und in ein paar Wochen, werden wir beide zusammen die Weltregierung stürzen. Mit Ihrem Blut und Ihrem Gesicht, und mit meiner Macht und meinem Wissen. Bereue nicht, Ren, ein Lorenor bereut nie die eigenen Entscheidungen. Ich war nie zu stolz dafür, mich von dir retten zu lassen. Aber wärest du bereit, dich von mir retten zu lassen? Wir beide wissen, dass du mir nie wirklich vertraut hast… noch nicht mal Ruffy. „Lorenor!“ Überrascht sah er auf, hatte ganz vergessen, wo er war, als plötzlich Erinnerungen über ihn hereingestürzt waren. Von der anderen Seite des Schachbretts her sah Dulacre ihn mit großen Augen an, hatte über den Tisch nach Zorros Arm gegriffen, während Zorro immer noch seinen Läufer hielt. Nun ließ der andere ihn los und sank zurück in seinen Sessel. „Was ist denn los? Du bist ja ganz abwesend.“ Er wusste nicht, was er sagen sollte, seine Hände zitterten; klackernd stieß der Läufer gegen den König und stieß ihn um. Es schien, als hätte er sich geirrt. Er konnte wohl doch nicht einfach die Vergangenheit ausblenden. Tief holte Zorro Luft und setzte dann die Spielfigur ab. Solche Dinge war er nicht gewohnt, war es nicht gewohnt, dass die Vergangenheit ihn an der Gegenwart zweifeln ließ, denn er bereute seine Entscheidungen nicht, nie, und das tat er selbst jetzt nicht. Warum also hatte er das Gefühl, dass er es sollte? „Lorenor, was stimmt denn nicht?“ Wieder sah er den anderen an, der ihn immer noch ernst betrachtete, ungewöhnlich ernst, selbst für dessen Verhältnisse. Als Eizen Zorro vor weniger als zwei Wochen die Wahrheit seiner Intrigen erzählt und ihm dabei das Bild seiner toten Mutter gezeigt hatte, da hatte es ihn aufgewühlt, ihn an vergangene Zeiten erinnern lassen. Aber nachdem er Eizen hinter sich gelassen hatte, hatte er auch solche Gedanken hinter sich gelassen. Warum also musste er jetzt an längst vergangene Gespräche mit seiner Mutter denken, Gespräche, die er schon fast vergessen hatte? Die letzten Tage hatte er an sie nicht einen Gedanken verschwendet, kaum einen an Eizen. Aber ausgerechnet heute, da er wieder in einem Raum mit Dulacre war, dem einen Menschen, den Zorro vielleicht solche Dinge erzählen würde, kamen diese Träume, kamen diese überwältigenden Erinnerungen. Er glaubte weder an Zufall noch an Schicksal, glaubte weder an Bestimmung noch an Vorsehung. Er glaubte nicht daran, dass es einen besonderen Grund gab, warum er ausgerechnet jetzt von solchen Dingen heimgesucht wurde, aber Zorro wusste, dass ihm gerade der einzige Mensch auf der Welt gegenübersaß, der ihm helfen konnte. „Lorenor? Jetzt sag etwas!“ Langsam kam er zu einer Entscheidung. Er wollte das alles so nicht mehr, wollte sich nicht mit seiner eigenen Crew streiten, ihren Zweifeln und ihrer Angst, aber auch ihrem Urteil und ihrer Wut ausgesetzt sein. Er wollte sich wieder wohl unter seinen Freunden fühlen, aber er wusste nicht wie, wusste nicht wie er die Brücken, die er eingerissenen hatte, wiederaufbauen sollte, ohne seine Freunde in Gefahr zu bringen, ohne seine bisherigen Entscheidungen zu leugnen. „Dulacre“, murmelte er dann und sah den Älteren an, stellte sich gegen seine eigene Entscheidung, „was bedeutet es zu vertrauen?“ Er würde seinen Konflikt mit dem Koch nicht lösen können, würde seine Meinungsverschiedenheit mit Robin nicht klären können, nicht, solange er nicht verstand, was sie ihm überhaupt vorwarfen. Der Samurai neigte den Kopf und sah ihn hochkonzentriert für eine lange Minute an, dann seufzte er, trank den Rest seines Glases in einem Zug leer und erhob sich, um ihnen beiden nachzuschenken. Sein Blick sagte Zorro, dass der andere viel mehr erfasste, als er ihm preisgegeben hatte. „Du hättest dir für diese Frage niemanden Ungeeigneteren aussuchen können als mich“, urteile Dulacre sanft und stellte Zorros Glas vor ihm ab, ehe er sich wieder hinsetzte und einen erneuten Schluck nahm. „Wie du weißt, bin ich ein Mensch, der aufgrund rationaler Entscheidungen und strategischem Denken handelt – meistens zumindest – und natürlich stütze ich meine Überlegungen auf mein Wissen.“ Erneut nahm Dulacre einen Schluck und sah ihn immer noch so direkt an, als wollte er versuchen, Zorros Gedanken zu lesen, um herauszufinden, was ihn erschüttert hatte. Aber natürlich gelang ihm das nicht, die Mauer um Zorros Gedanken war von Natur aus massiv. „Aber Vertrauen setzt da ein, wo Wissen an seine Grenzen kommt, zumindest meiner bescheidenen Meinung nach.“ Der andere nahm Zorros Läufer und stellte ihn genau auf das Feld, welches er selbst auch gewählt hätte. „Menschen treffen ihre Entscheidungen aufgrund ihres Wissens, ihrer Intuition – ihres Bauchgefühls, wenn man so will – und aufgrund ihres Vertrauens, ihrer Hoffnungen. Je mehr man weiß, desto weniger braucht man Intuition, Hoffnung oder Vertrauen, weil man in der Lage ist, einzuschätzen, was passiert, aufgrund eigener Erfahrung und Deduktion. Sobald Wissen und Handlungsmöglichkeit jedoch begrenzt sind, bleibt einem nichts Anderes übrig, als zu hoffen, oder aber man vertraut.“ Dulacre setzte einen Bauer direkt neben Zorros Läufer, ohne ihn anzusehen. Wieder einmal überraschte Zorro, wie ernst der andere seine kindische Frage nahm, offensichtlich bemüht, sie so gut er konnte zu beantworten, als wüsste er genau, wie wichtig es Zorro war. Egal, was passierte, Dulacre nahm ihn immer ernst und hörte ihm zu, machte sich nie über Zorros Unwissenheit und Einfältigkeit lustig, zumindest nicht in Momenten, in denen es Zorro etwas ausmachen könnte. „Vertrauen ist sowohl Gedanke als auch Gefühl, deshalb ist es so schwer zu begreifen und so schwer zu fassen und so, wie jede andere Emotion auch, ist das Vertrauen unglaublich facettenreich. Man kann in die eigenen Fähigkeiten Vertrauen haben, den eigenen Körper, andere Menschen, Naturphänomene, das Schicksal, Gott oder die Zeit, das treue Haustier, so ziemlich alles, was du dir vorstellen kannst.“ Mit einer Handbewegung forderte der Samurai ihn auf, weiterzuspielen, und Zorro folgte der Einladung. „Gerade in Beziehungen ist Vertrauen wichtig, sowohl auf politischer, beruflicher als auch auf privater Ebene, zwischen Vertragsparteien, Kollegen und Freunden, denn ansonsten würde immer Misstrauen und Zweifel einhergehen, sobald das eigene Wissen an seine Grenzen kommt.“ Zorro fragte sich, ob es das war, was gerade in seiner Crew passierte, was gerade zwischen Sanji und ihm passierte. Der Koch hatte sein Vertrauen in ihn verloren, weil er nicht wusste, was geschehen war, und da Zorro ihn bewusst im Dunkeln ließ, blieb ihm vielleicht nichts Anderes als Misstrauen und Zweifel. „Jedoch verkennen die meisten Menschen etwas ganz Entscheidendes: Vertrauen ist nicht absolut, Lorenor.“ Er sah auf, als Dulacre ihn beim Namen nannte und mahnend den Zeigefinger hob. „Meiner Erfahrung nach ist Vertrauen nie allumfassend, ganz gleich wie gut du eine Person kennst, ganz gleich wie wenig du an dieser Person zweifelst, es ist unmöglich, einem anderen zu einhundert Prozent zu vertrauen.“ „Was?“, warf Zorro verwirrt ein. „Wovon redest du denn da? Natürlich ist das möglich. Ich vertraue Ru…“ „Lass mich bitte aussprechen“, unterbrach der andere ihn kühl, „schließlich warst du derjenige, der die Frage gestellt hat. Also hör dir meine Antwort an.“ Entschuldigend hob Zorro kurz beide Hände, ehe er einen Schluck seines Sakes nahm. Der Samurai tat es ihm gleich und sprach dann weiter: „Lass es mich dir an einem Beispiel erklären. Würde ich Kanan mein Leben anvertrauen? Natürlich. Dein Leben? Auch das. Würde ich ihr vertrauen, dass ich tun und lassen kann, was ich will und sie mich am Ende immer noch wie den Bengel von damals behandelt?“ Sein halbes Grinsen war Antwort genug. „Aber würde ich ihr vertrauen, dass sie nicht an der Tür lauscht, während wir beide ein Gespräch führen? Oh, nein. Vertraue ich ihr, dass sie dir nicht jede peinliche Anekdote aus meiner Kindheit erzählt, sobald sie dazu die Gelegenheit hat? Auf keinen Fall. Vertrauen ist vielschichtig und komplex. Zu sagen, man würde jemandem vollumfänglich vertrauen, in jeder Situation, jeder Kleinigkeit, ist als würde man sagen, ein Wald sei einfach nur grün. Auf den ersten Blick mag es zutreffend sein, aber es ist eine ungenaue, vereinfachte und im Detail somit schlichtweg falsche Aussage. Verstehst du meine Ansicht?“ Zorro zog zweifelnd die Augenbrauen hoch und setzt seinen Turm nach vorne. „Du willst mir also sagen, dass Vertrauen immer unvollkommen ist, ganz gleich was man tut, und dass man niemandem je vollkommen vertrauen kann?“ „Nichts ist vollkommen, Lorenor, es gibt keine Skala von eins bis zehn, auf der wir Emotionen messen und sagen können, welche vollkommen ist und welche nicht, weder bei Vertrauen noch bei Schmerz, Glück oder Leid. Selbst unser Wissen ist nicht vollkommen, besteht aus komplexen Verbindungen von Erlerntem und Erfahrungen. Es ist nicht die Vollkommenheit, die Gefühle wertvoll macht, sonst wäre dieses Schachspiel hier gerade sinnlos. Sonst wäre jede Kleinigkeit, die zwar eine Emotion in uns hervorruft, aber eben nicht einen starken, überwältigen Gefühlsausbruch, wertlos. Es kommt nicht darauf an, dass wir ein Gefühl in Perfektion erleben, sondern dass wir es überhaupt erleben. So zumindest würde Jiroushin dir diesbezüglich antworten und er ist auf diesem Gebiet deutlich bewanderter, als ich es je sein möchte.“ Dulacre nahm einen Springer und schlug Zorros Läufer. Seufzend rieb Zorro sich durchs Gesicht, weniger wegen des Spielverlaufs – sie beiden wussten, dass der andere ihn vermutlich jederzeit schlagen konnte, wenn er nur wollte – sondern weil er versuchte, zu begreifen, was dies für ihn und seine Freunde bedeutete. „Das heißt, selbst du vertraust niemandem zu hundert Prozent?“ „Ich?“ Der andere lachte auf. „Ach, Lorenor, kennst du mich so schlecht? Ich vertraue noch nicht mal zu fünfzig Prozent, vielleicht noch nicht mal zu zehn. Ich handle nicht gerne aufgrund von Emotionen und Vertrauen gehört nun mal auch dazu.“ „Was ist mit Jiroushin?“ Nun sahen sie einander für einen kurzen Moment an, ehe Zorro seinen Blick wieder aufs Spielfeld senkte. „Keiner kennt dich wohl so gut wie er und du hast ihm vertraut, dass er mich nicht an die Marine verraten würde und dass er dich davon abhält, mich umzubringen. Ich dachte, es gäbe keinen Menschen auf dieser Welt, dem du so sehr vertraust, wie Jiroushin.“ Nun seufzte der andere. „Das stimmt wohl auch. Ich vertraue Jiroushin, wobei mein Vertrauen hier natürlich durch viel Wissen und Menschenkenntnis erleichtert wird. Ich kenne seinen Charakter und seine Vergangenheit und kann daraus schlussfolgern, wie er in den meisten Situationen reagieren wird. Aber…“ Dulacre nahm einen tiefen Schluck und leerte erneut sein Glas. „… selbst mit ihm gibt es Momente, in denen ich nicht einschätzen kann, wie er reagieren könnte und nein, in solchen Momenten vertraue ich ihm nur selten.“ Der Samurai ignorierte Zorros Überraschung und stand auf, um sich nachzugießen. „Ich war mir damals äußerst unsicher, wie er reagieren würde, wenn er die Wahrheit hinter dir und Lady Loreen herausfinden würde. Warum sonst glaubst du, hatte ich ihn darum gebeten, mich anzuhören, wenn der Tag kommen würde? Ich habe nicht darauf vertraut, dass er dich verschonen würde und ich habe Recht behalten, er hat dich angegriffen.“ Erneut sahen sie einander ruhig an. „Aber du hast darauf vertraut, dass er dir zuhören würde. Du hast darauf vertraut, dass du ihn aufhalten konntest.“ Nickend setzte sich der Ältere wieder hin. „Ja, das stimmt. Wie gesagt, selbst ich kann vertrauen, aber mein Wissen und meine Erfahrung schützen mich davor, zu glauben, dass ich ihm vollkommen vertrauen kann, aber das macht mein Vertrauen in ihn nicht weniger wertvoll. Im Gegenteil, es beschützt unsere Freundschaft.“ „Wie meinst du das? Du hast eben noch gesagt, dass Vertrauen in Beziehungen wichtig ist, weil sonst Zweifel und Misstrauen besteht, jetzt sagst du aber, dass fehlendes Vertrauen eure Freundschaft beschützt, das ergibt keinen Sinn.“ Kopfschüttelnd setzte er einen Bauer um. „Lorenor, hast du mir überhaupt zugehört?“, seufzte der Ältere. „Ja, habe ich“, entgegnete er missmutig. „Es gibt kein absolutes Vertrauen, aber dennoch ist Vertrauen wichtig für eine Beziehung, aber nicht zu viel, weil… weil… weil was?“ Fragend sah er zu dem anderen auf. Er kam sich wie ein Vollidiot vor, weil er anscheinend etwas so Einfaches wie Vertrauen nicht verstand und es erklärt bekommen musste, als hätte er die letzten zwanzig Jahre nicht wie ein Mensch mit Gefühlen und all dem Kram gelebt. „Ich kapiere, dass es unmöglich ist, jemandem vollumfänglich zu vertrauen, aber wir streben in allem nach Perfektion, warum nicht auch darin? Warum sagst du, dass es gut ist, wenn man sich nicht komplett vertraut?“ Für eine Sekunde sah Dulacre ihn aus scharfen Augen an, dann stand er auf, ergriff die Sakeflasche und reichte sie Zorro. „Lies“, befahl er und deutete mit einem Finger auf den Alkoholgehalt. „Was, aber…?“ „Lies, Lorenor.“ „Der hat 22 Prozent Alkohol. Warum soll ich das lesen? Willst du mir jetzt ein schlechtes Gewissen machen?“ Der Ältere stellte die Flasche wieder weg und setzt sich hin. „Du hast mir einst gesagt, dass du einen hohen Alkoholgehalt in deinen Getränken schätzt, Lorenor, nicht wahr?“ Er nickte. „Das heißt, du bevorzugst den Sake mit 20 Prozent vor dem vierprozentigen Bier, und gegen einen noch stärkeren Rum hättest du erst recht nichts einzuwenden?“ Erneut nickte er, nicht verstehend, wohin dieser alkoholische Ausflug führen sollte. „Würdest du also auch hundertprozentigen Alkohol trinken?“ „Nein, der ist nicht zum Trinken, den benutzt man zum Desinfizieren von Wunden“, widersprach Zorro, stolz darauf, zumindest eine Sache von Choppers Vorträgen behalten zu haben. „Bingo.“ Dulacre bewegte seinen Springer. „Alkohol gibt einem Getränk etwas Besonderes, aber das bedeutet nicht, dass je höher der Alkoholgehalt ist, desto besser ist das Getränk. Es kommt auf eine ausgewogene Mischung an.“ „Also, damit ich das richtig verstehe, das Getränk ist die Beziehung zu einer Person und der Alkohol ist der Anteil, den das Vertrauen darin ausmacht?“ „So könnte man es nennen. Jeder Mensch hat einen anderen Geschmack und mag verschiedene Getränke mit verschiedenem Alkoholgehalt. Aber wenn jemand hundertprozentigen Alkohol verlangt, dann weil er verletzt wurde, aber er verkennt, dass kein Alkohol der Welt eine Wunde schließen kann, sondern nur Zeit, und wer hundertprozentigen Alkohol verlangt, wird sich verletzten, denn es brennt, wenn man die Wunde damit versorgt.“ „Dieser Vergleich hinkt“, murrte Zorro und setzte seine Dame um, „ja klar, es brennt, aber der Alkohol desinfiziert die Wunde und ist daher sinnvoll.“ „Es war eine Metapher, Lorenor, wohl wahr keine perfekte, aber du verstehst, worauf ich hinauswill.“ Gleichzeitig griffen sie nach ihren Gläsern und nahmen noch einen Schluck. „Aber ich verstehe immer noch nicht, warum unvollständiges Vertrauen gut ist. Wenn du Kanan nicht darin vertraust, dass sie dir nicht hinterherspioniert, ist das doch etwas Schlechtes, oder nicht?“ „Nein, ist es eben nicht. Denn so werde ich mich nicht hintergangen fühlen, wenn ich sie dann doch an der Tür erwische. Es kommt darauf an, was du erwartest, Lorenor. Wenn du in eine Bar kommst und Sake bestellst, wirst du diesen auch bekommen und zufrieden sein, wenn du aber in eine Bar gehst, um Alkohol zum Desinfizieren zu erhalten, wird der Wirt dir maximal hochprozentigen Rum oder Weingeist anbieten können, die zwar viel Alkohol enthalten, aber nicht 100 Prozent und somit wirst du unzufrieden sein.“ Warum musste der andere es ihm immer in so komplizierten Bildern erklären? Dulacre schmunzelte, als hätte er Zorros Gedanken gelesen. „Lass es mich anders ausdrücken. Mir ist bewusst, dass Kanan eine sehr neugierige und fürsorgliche Person ist, also erwarte ich gar nicht, dass sie sich in solchen Situationen anders verhält, und dadurch, dass ich ihr in diesen Situationen nicht mein Vertrauen schenke, kann sie dies auch nicht verletzten. Ich erwarte von ihr nicht, dass sie sich entgegen ihres Charakters verhält, nur weil ich ihr diesbezüglich gerne vertrauen würde.“ Nachdenklich betrachtete Zorro sein leeres Glas. „Du meinst also, dass es in Ordnung wäre, wenn Jiroushin dir mal nicht vertraut, wenn es sich um eine Sache handelt, bei dem du sein unbegründetes Vertrauen sonst verletzten würdest?“ „Ja, so in etwa.“ „Aber woher weiß ich denn im Vorhinein, ob der andere mein Vertrauen verletzten wird oder nicht? Ich dachte, darum geht’s beim Vertrauen, dass man es eben nicht weiß.“ „Das weiß man auch nicht, Lorenor. Es ist ja auch nicht so, als würde man sich aussuchen, in welchen Bereichen man jemand anderem vertraut oder nicht, es ist ja nicht so, als ob man sich die Rosinen raussuchen könnte. Aber es ist wichtig, dass man sich bewusstmacht, dass man niemandem in allen Bereichen vertraut. Denn wenn mir bewusst ist, dass Jiroushin mir in manchen Belangen nicht vertraut – ganz gleich mit welcher Begründung – dann verletzt es mich auch nicht, wenn er eben nicht in Vertrauen auf mich handelt.“ Dulacre schlug einen von Zorros Bauern. „Wenn er mich jedoch in dem Glauben lässt, dass er mir sehr wohl in einer bestimmten Sache vertraut, dann aber doch nicht in diesem Sinne handelt, lässt mich das zumindest verwirrt zurück, weil ich ja dachte, dass er mir vertraut.“ Zorro betrachtete das Spielfeld. „Es ist also nicht das fehlende Vertrauen, was die Beziehung schützt, sondern das Erkennen, dass kein Vertrauen vollkommen ist?“ „Und jetzt hast du es verstanden.“ Für einen Moment sahen sie einander an und der Ältere zeigte dieses gefährliche Grinsen. „Dann erzähl mir mal, Lorenor, was wirst du nun mit diesem Wissen anstellen?“ Überrascht wandte er den Blick ab und setzt eine Figur um, ärgerte sich fast im gleichen Moment, da es ein Fehler war. „Uh“, kommentierte der Samurai es auch zugleich mit einem fiesen Unterton, „das war schlecht.“ „Ich weiß“, murrte er tonlos. „Es ist nichts.“ „Ich werde dich nicht zwingen“, bemerkte Dulacre und bestrafte Zorros Fehler sofort, „aber Vertrauen innerhalb einer Crew ist wichtig und ich vermute, dass du dir nicht um Kanans oder um Jiroushins Vertrauen Sorgen machst, nicht wahr?“ Wie er diese Allwissenheit des anderen hasste. „Jemand in deiner Crew hat sein Vertrauen in dich verloren und das sorgt für Spannungen, habe ich Recht?“ „Nein“, murmelte er und setzte erneut einen Bauern, „also vielleicht auch, ich weiß es nicht, aber darum geht es nicht.“ „Worum dann?“ „Ich weiß nicht, ob ich ihnen vertraue.“ Hosted by Animexx e.V. 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