Als die Dunkelheit das Licht verschlang von Seelendieb (Buch I: Hohepriester Chaths) ================================================================================ Kapitel 3: Kapitel III ---------------------- Chaths stöhnte leise, als er wach wurde. Langsam setzte er sich auf und griff sich an den Kopf. Als seine Hände den Verband berührten, der ihm um die Augen lag, stockte er. „Wie ich sehe, bist du wach“, erklang Ausars warme Stimme und der Hohepriester näherte sich dem Schlaflager. „Wie fühlst du dich, Chaths?“, wollte er wissen, doch Chaths zuckte beinahe hilflos mit den Schultern. „Wie geht es Amsu?“, fragte er besorgt dagegen. Ausar setzte sich zu Chaths und atmete tief durch. „Es geht ihm gut. Er hat genauso wenig wie du schwere Verletzungen davon getragen. Die Knochen sind alle heil“, erklärte er ruhig. „Wie kann das sein? Ich hab doch gesehen, wie er auf den Boden aufgeschlagen ist und die ganzen Felsen der Schale...“, raunte Chaths besorgt. Der Hohepriester schwieg eine Weile. „Die Götter sahen in euren Handeln dasselbe wie ich: Jugendliche Unbekümmertheit. Ihr wolltet niemanden schaden oder verhöhnen. Deshalb haben sie euch geschützt.“ Chaths dachte über die Worte nach und nickte dann verstehend. Langsam legte er seine Hände auf seine Beine ab und schien in Gedanken versunken. Er ließ die Ereignisse Revue passieren. „Was bedeutet Demut?“, fragte er dann schließlich und wirkte sehr müde. Ausar schluckte leicht. „Es gibt viele Bedeutungen, doch in einem Punkt sind sie alle gleich. Demut ist die Fähigkeit sich zu unterwerfen und jemanden anderen als höherwertig anzuerkennen, ohne dabei sich und seinen Überzeugungen zu verraten.“ Chaths legte den Kopf schief und runzelte die Stirn. „Was meinte der Pharao damit, dass ich Demut den Göttern gegenüber lernen soll?“, fragte er nach, weil er es nicht so recht verstand. „Ich nehme an, er meint damit, dass du die Götter als solche akzeptierst, sie nicht mehr verhöhnst oder verleugnest und ihnen Respekt entgegenbringst. Und dass du lernst, dein Haupt zu beugen.“ Chaths schluckte, als er diese Worte hörte. Tränen liefen stumm über sein Gesicht und nickte dann. „Verstehe. Ich werde nie wieder sehen können, richtig?“ Der Hohepriester atmete tief durch und ließ seinen Blick schweifen. „Erzähl mir, was passiert ist, Chaths“, bat er schließlich. Chaths schwieg lange und Ausar dachte schon, dass er keine Antwort mehr bekommen würde, als der Jüngling tief durch atmete. „Ich habe mich gefragt, ob die Ma'at sich bewegt. Und da haben wir beschlossen, dass wir es herausfinden wollen. Wir sind hoch geklettert. Und da hat sich Amsu gefragt, ob wir etwas in den Schalen finden würden. Er kletterte als erstes hinunter und da bebte die Ma'at schon. Ich hab ihn gebeten, dass er wieder zurückkommen soll, doch er sprang auf die Schale und zeigte mir, dass sie stabil ist, in dem er immer wieder auf und ab sprang. Und dann brach er durch. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte ihn retten und bin dann auch an der Kette hinuntergeklettert, obwohl ich wusste, dass sie mein Gewicht nicht auch noch halten würde. Es tut mir leid, aber ich wollte ihn retten. Ich wollte ihn nur helfen... Da riss die Kette und wir fielen in die Tiefe. Plötzlich stand der Pharao vor mir und wollte wissen, wessen Idee das war. Ich habe es ihm gesagt und warum. Da fragte er mich, ob mir nichts heilig wäre. Ich wusste nicht, was er meinte, habe gesagt, dass wir doch nichts gemacht haben. Wir sind doch nur auf Steinen geklettert.“ Chaths stockte und schluckte schwer. Er begann zu zittern, als er die Fußtritte wieder zu spüren schien. „Er hat mich zu Boden geworfen und mit Fußtritten in irgendeinen Raum getrieben. Dann packte er mich und zog die Klinge über meine Augen. Er sagte, dass ich erst wieder sehen werde, wenn ich Demut gegenüber den Göttern lerne oder so. Ausar, was habe ich falsch gemacht? Ist er böse auf mich, weil ich die Kette zum reißen gebracht habe und Amsu dadurch in die Tiefe flog?“, wollte Chaths zum Schluss leise, beinahe verzweifelt wissen und Ausar wusste nicht, was er dazu sagen sollte. „Ich weiß es nicht, Chaths. Ich kann es dir leider nicht sagen, wofür er dich bestraft hat. Er hat zu mir auch nur gesagt, dass du erst wieder sehen wirst, wenn du Demut gegenüber den Göttern gelernt hast. Solche Strafen darf er aber nicht erteilen. Sie werden nur von den Göttern persönlich verhängt.“ Chaths schluckte. „Also werde ich nie wieder sehen?“, fragte er mit erstickter Stimme. „Es tut mir leid, Chaths. Vermutlich wirst du nie wieder sehen, denn die Strafe kam nicht von den Göttern - es sei denn, sie erbarmen sich deiner.“ Chaths lachte bitter auf. „Wir wissen beide, dass dies niemals der Fall sein wird. Warum sollten sie sich auch meiner erbarmen? Ich bin doch nur ein Straßenköter...“ Ausar nahm den Jüngling fest in seine Arme. „Versuch ihnen zu vertrauen. Bitte, Chaths. Es gibt so viele Götter. Es muss doch einen geben, den du vertrauen kannst“, raunte er leise und Chaths lehnte sich Trost suchend an den Älteren. „Wer will sich denn mit mir abgeben?“, schluchzte er leise. Sanft streichelte Ausar den Heranwachsenden durchs Haar. „Pass auf, Kleiner. Ich bring dir jetzt Essen und trinken. Dann legst du dich wieder hin und schläfst. Wenn du wieder fit bist, wirst du weiter deine Aufgaben lösen und du machst dir Gedanken.“ Chaths nickte leicht und kuschelte sich noch enger an den Hohepriester. „Wie soll ich das machen?“ Ausar lächelte leicht. „Höre auf dein Herz. Der Gott, den dein Herz dir zuflüstert, bittest du um Hilfe.“ Chaths schwieg eine Weile. Er beruhigte sich langsam und atmete tief durch. „Anubis...“, murmelte er dann. Ausar hob verwirrt eine Augenbraue. Warum ausgerechnet Anubis? „Dann kannst du ihn ja direkt fragen. Wir haben hier einen Anubis stehen“, schmunzelte er jedoch und Chaths nickte. Da löste sich der Hohepriester von dem Jüngeren und erhob sich. „Ruh dich aus. Ich bring dir essen und trinken“, sagte er und verließ den Raum. Chaths verließ zögernd und tastend sein Zimmer. Er war soweit wieder fit und sollte erst einmal den Dreck wegräumen, den er und Amsu hinterlassen hatten. Er wusste zwar noch nicht, wie er das schaffen sollte, aber so hatte er etwas zu tun. Er redete kaum noch und duckte sich immer weg. Er versuchte unsichtbar zu werden und hatte angst etwas falsch zu machen. Da auch Ausar ihm nicht wirklich erklären konnte, für was er bestraft wurde, war er nun komplett verunsichert und scheu. Langsam tastete er sich durch die Räume und die Tempel und trat schließlich auf den Platz des Totengerichts raus. Tief atmete er die Luft ein und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht. Schließlich erreichte er den Geröllhaufen. Vorsichtig tastend griff er einen größeren Stein und schaffte ihn zur Seite. Nach und nach bekam er Übung darin und seine Griffe und Schritte wurden sicherer. Die ganze Zeit ließ er sich Ausars Worte durch den Kopf gehen und er kam zum Schluss, dass er keinen Gott um Hilfe bitten würde, da es für ihn offensichtlich war, dass der Pharao ihn nicht mehr in der Nähe von Amsu haben wollte. Emotional fühlte er sich leer. Während er so in Gedanken versunken war, ließ er seine Finger behutsam über den Boden gleiten. Er stieß gegen etwas Weiches. Leicht runzelte er die Stirn und legte leicht den Kopf schief, während er dieses weiche Etwas langsam abtastete. Da wurde er angezüngelt und er spürte die hauchfeine Berührung einer Schlangenzunge. „Oh... sei gegrüßt“, raunte er leise und tastete nun behutsam den Körper ab, aber er schien unverletzt. „Du kannst schlecht hier liegen bleiben. Ich muss das Geröll aufräumen und da kann ich dich aus versehen verletzen“, erklärte er leise, während er die Schlange einfach auf die Arme nahm und sie vorsichtig zu dem Geröll trug, das er zur Seite geräumt hatte. „Hier hast du auch Sonne und bist nicht in Gefahr, verletzt zu werden“, sagte Chaths behutsam, als er die Schlange wieder ablegte. Dann wandte er sich um und ging seiner Arbeit nach. Ausar war besorgt. Chaths hatte sich seit dem Vorfall komplett in sich zurückgezogen und schien seinen Lebenswille verloren zu haben. Noch immer war der Hohepriester sauer auf den Pharao. Chaths versuchte alles richtig zu machen. Er gab keine Widerworte und fragte auch nicht mehr. Es schien, als ob er seine Stimme verloren hat. Leise seufzend trat er auf den Gerichtsplatz, eine Trinkschale für den Jungen tragend. Da stockte er plötzlich, als er sah wie Chaths Finger sich etwas dunklem näherten. Ausar verengte seine Augen misstrauisch und zog dann scharf die Luft ein. Chaths tastete da gerade eine Uräusschlange ab. Keine Frage, die Kobra war wunderschön und erstrahlte im seltenen Schwarz, aber dennoch. Das Gift war tödlich! Nun musste sich der Hohepriester festhalten, als er sah, wie Chaths die Schlange behutsam auf die Hände hob und sie vorsichtig wegtrug. Da die Kobra die ganze Zeit entspannt blieb und nur neugierig züngelte, sah sie in Chaths wohl keine Gefahr. Und dies wiederum ließ Ausar nur noch nachdenklicher werden. Der Junge schien nicht nur in sich zu ruhen, sondern war ohne jegliche Arglist. Chaths ging respektvoll und äußerst behutsam mit dem Lebewesen um, was tatsächlich nicht selbstverständlich war. Der Hohepriester fragte sich, was Hanbal denn eigentlich genau verlangte, denn Chaths brachte Demut und Respekt jedem Lebewesen entgegen. Still stellte er die Trinkschale ab und zog sich wieder zurück. Er musste das Orakel befragen! Chaths horchte auf. Irgendwas hatte ihn geweckt und so setzte er sich langsam auf. Gespannt lauschte er und da war es wieder! Jemand rief nach ihm. Leise und flehend. Chaths runzelte die Stirn. Er erhob sich und schlich sich vorsichtig durch die Räume, den Rufen folgend und stockte, als er auf den Platz des Totengerichts trat. „Amsu? Was machst du denn hier?“, fragte er leise. Amsu, der zwischen Anubis Beinen verharrte, atmete erleichtert auf. „Chaths. Wie geht es dir?“, rief er leise. Chaths näherte sich dem Prinzen langsam. „Bis auf, dass ich dank dem Pharao nichts mehr sehe, geht es mir gut. Was machst du hier?“ Amsu biss sich auf die Lippen. „Chaths, ich muss weg. Papa will, dass ich die Weihe des Thronfolgers erhalte.“ Verwirrt legte Chaths den Kopf etwas schief. „Ja und wo ist das Problem? Du bist doch der rechtmäßige Thronerbe und es war doch so oder so geplant oder habe ich etwas verpasst?“ Amsu zögerte und ließ seinen Blick hektisch gleiten. Ihm war klar, dass jeder Moment, den er zu lange hier verbrachte, dafür sorgen konnte, dass sein Vater ihn erwischte. Allerdings wollte er nicht ohne Chaths gehen und der verlangte nun einmal eine Erklärung. „Ja, ich bin Erbe und Thronfolger, aber Papa will, dass ich die Weihe in drei Tagen bekomme und nicht wie vereinbart zur Sonnenwende. Ich bekomme das Zeichen meines Gottes eintätowiert und in einer Zeremonie werde ich dem Volk als Erbe von meinem Vater vorgestellt. Derjenige, der mir das Zeichen meines Gottes tätowiert, wird dann bis zu meinem Tod an meiner Seite als mein Freund, Kamerad und Berater stehen. Und mein Vater will, dass es jemand anderes macht als du. Und ich will, dass du es machst. Er will, dass ich das Zeichen des Ra bekomme, aber ich fühle mich Ra nicht verbunden.“ Chaths Mundwinkel zuckten minimal. „Ich geh Vorräte holen“, meinte er trocken und betrat wieder den Tempel. Er ging dabei an Ausar vorbei, der sich im Schatten verborgen hielt und alles gehört hatte. Der Hohepriester war gespannt, wie sich das alles entwickeln würde. Und vor allem konnte er sich vorstellen, was auf ihn zukam. Er rechnete nach Amsus Worten mit dem Pharao bei Sonnenaufgang. Tatsächlich war Hohepriester Ausar soeben mit dem Morgengebet fertig, als er in der Ferne eine Staubwolke sich nähern sah. „Oha, kleiner Amsu. Dein Vater will es wissen“, murmelte er amüsiert und ging ein Frühstück vorbereiten. Es dauerte auch nicht lange, als er energische Schritte in den Hallen des Tempels hörte. „Hohepriester Ausar!“, donnerte Hanbals Stimme durch die Anlage und Ausar atmete tief durch. „Was ist dein Begehr, Pharao?“, trat er also mit kühlem Blick vor dem Neuankömmling. „Amsu soll die Weihe erhalten und ist weggelaufen. Führe mich zu ihm!“ Ausar musste sich ein leises Lachen verkneifen. „Warum denkst du, dass er hier ist?“ Hanbal erdolchte Ausar mit seinen Blicken. „Weil du vielleicht einen Köter beherbergst, den er toll findet?“ Nun verengte Ausar seine Augen. „Ich dulde nicht, dass du über Chaths so redest! Warum habe ich nichts von der Weihe erfahren? Chaths muss darauf vorbereitet werden.“ Der Pharao hob herrisch eine Hand. „Hohepriester Ausar, Chaths wird weder die Weihe durchführen noch der Begleiter von Amsu werden. Amsu benötigt einen reifen Berater und Beschützer und keinen dahergelaufenen Köter, der ihn nur in Gefahr bringt!“ Tief atmete Ausar ein und nickte. „Verstehe. Amsu wirst du hier aber nicht finden. Er ist nicht da. Ich hab ihn auch das letzte Mal gesehen, als du mit ihm abgereist bist.“ Gefährlich verengte der Pharao seine Augen. „Ich glaube dir nicht! Soll ich alles durchsuchen lassen?!“ Ausar neigte nur leicht sein Haupt. „Ich stehe dir nicht im Weg!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)