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Schatten der Vergangenheit

von

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Lucy, einfach Lucy

Einen Geist ohne Gesicht, so nennen sie mich.

Wesen ohne Gnade, fern ab von Mitgefühl.

Erbarmungslos, kalt und weit entfernt davon, die schönen Dinge aufzuzeigen.

Ich nenne mich Vergangenheit, Zeit, die längst verstrichen ist und nur dann wiederkehrt, wenn ich es will.

Nenn mich ruhig Lucy, denn das ist mein Name, unter dem ich dich mitnehme, dir zeige, dass nicht alles Leben rosig ist.

Begleite mich, lausche meiner Stimme und den vielen Geschichten, die ich zu erzählen habe.

Sie alle sind passiert, haben sich so zugetragen und führen vor Augen, wie wertvoll Leben und ein Mensch ist.

Verurteile nicht und erhebe deinen Finger gegen Menschen, deren steinigen Weg du nicht kennst.

Richte sie nicht, wenn du selbst ein Leben frei von Kummer und Sorgen hast.

Nicht jeder ist mit Liebe gesegnet und nicht jedem fällt alles in den Schoss.

Ich kenne all ihre Geschichten, ihren harten Weg und so manches Leid, welches sie ertragen mussten.

Viele gaben auf und einige kämpfen weiter.

Sie sind Helden und über jene berichte ich.

Folge mir, lerne sie und ihre Geschichten kennen.

Betrachte den Geist der Vergangenheit und lerne Dankbarkeit dem eigenen Leben gegenüber.

Mami

Zu früh, zu jung schieden Melanie und Carola aus dem Leben. Eine Tragödie, die eine ganze Familie auseinanderriss.
 


 


 

Ein Oneshot, der keine erfundene Geschichte, sondern erschreckende Wahrheit war und immer noch ist. Monika Weimar sagt älteren Lesern sicher noch etwas? Ein Monster von einer Frau, die ihre beiden wehrlosen Töchter einfach ermordet hat!
 

Carola und Melanie könnten heute noch leben, wären in meinem Alter, wäre da nicht dieses Monster, dass angeblich aus Liebe gehandelt hat. Gelebt haben sie im hessischen Philippsthal, unweit von Heringen, wo ich als Kind aufgewachsen bin und beide kannte. Damals war es mir weniger bewusst, was passiert war. Heute nimmt es mich sehr viel mehr mit, da auch ich ein Elternteil bin.
 

Trotzdem merkte ich, dass jemand fehlte, dass Kinder nicht mehr zum Spielen kamen, einfach aus dem Leben gerissen wurden, nur damit sich ein anderer Mensch ein neues und angeblich besseres Leben aufbauen konnte. Warum hat man die beiden nicht bei ihrem Vater gelassen? Wieso hat man Carola und Melanie erstickt und sie dann wie ein Stück Müll weggeworfen?
 

Man hat beide Mädchen unweit von ihrem Elternhaus gefunden. Carola bei Herfa und Melanie in der Nähe von Bengendorf. Ebenfalls Ortschaften, die direkt an meiner lagen. Kali und Salz sagt vielleicht auch euch etwas, ein Salzbergwerk, was direkt in der Kleinstadt Heringen liegt und wo ich zur Schule ging. Die Ortschaften liegen alles sehr dicht zusammen, einige gehören sogar zu Heringen dazu und bilden heute Stadtteile. Von allen Richtungen thront der Kaliberg, liebevoll Monte Kali genannt. Blicke ich heute auf diesen Salzberg, denke ich oft an Melanie und Carola, daran, wie sehr sie gelitten und gekämpft haben mussten.
 


 

⚜⚜⚜⚜
 

"Neue Erkenntnisse im Fall Monika Weimar".
 

So hieß es in den Nachrichten, die an diesem regnerischen Tag über den Bildschirm flackerten.
 

Die kleine Lucy sollte eigentlich längst Zähne putzen, sich umziehen und ins Bett gehen. Doch ihre Mutter war eingeschlafen, lag auf dem Sofa und das kleine Mädchen wagte es nicht, sie zu wecken. Ihr Geschwisterchen würde schon bald zur Welt kommen und da kam es öfter vor, dass sie schlief, sich schonte und ausruhte. Lucy blieb daher sitzen, sah gespannt auf den runden Bauch in der Hoffnung, das Baby würde wieder diese lustigen Beulen verursachen. An diesem Abend blieben sie jedoch aus und Lucy wandte enttäuscht den Blick ab.
 

Sie griff nach der Fernbedienung und wollte den Fernseher ausmachen. Auf dem Bildschirm erschienen die Bilder zweier Mädchen, die Lucy nur zu gut kannte. Melanie und Carola Weimar. Zwei Schwestern, mit denen sie oft gespielt hatte und die eines Tages nicht mehr wieder kamen. Lucy erinnerte sich. Die beiden hatten rötliche Haare, Melanie trug gerne stolz Schleifen im Haar und Carola besetzte am längsten die Schaukel. Sie sprang immer erst im hohen Bogen von ihr runter, wenn ihre Mutter sie rief.
 

"Mami", so riefen sie immer, wenn sie hoch ins Haus und zum Essen kommen sollten. Praktisch, wenn man direkt neben dem Spielplatz wohnte, welchen Lucy schon lange nicht mehr besucht hatte. Das letzte Mal war sie vor zwei Jahren dort, dann hatte es genießen, der Spielplatz wird abgerissen. Lucy blinzelte einige Male, dann tauchte das Bild von Monika Weimar auf.
 

Die Mutter der beiden Mädchen, die oft direkt nach der Arbeit zum Sandkasten steuerte und Melanie liebevoll auf den Kopf küsste. Danach half sie Carola auf der Schaukel, lachte mit ihr, kitzelte sie und auch für Lucy gab es immer nette Worte und oft einen Butterkeks.
 

Warum war sie im Fernsehen und warum sah der Spielplatz so seltsam mit diesem komischen Band aus? Lucy verstand nicht, was dort gesagt wurde, dann aber tauchten Personen auf, die sie nicht kannte, die vor einem riesigen Haus standen und Schilder hochhielten. Auf einem dieser Plakate stand deutlich das Wort "Mörder", während auf einem anderen "Monster" geschrieben stand. Die Menschen waren sauer, einige weinten, andere schrien die Mutter ihrer beiden Freundinnen an. Immer wieder tauchte das Wort "Kindsmörderin" auf und verängstigte Lucy. Rasch machte sie das Gerät aus, drehte sich langsam um und sah in das Gesicht ihrer Mutter, die sie streng ansah.
 

"Hab ich nicht gesagt, du sollst ins Bad gehen?"
 

Lucy nickte wie erstarrt mit dem Kopf, rutschte von ihrer Mutter weg und legte mit einem Mal die Hände schützend über sich. "Tu mir bitte nicht weh, Mam ...a." Sie stand unter Schock, ahnte, dass Melanie und Carola sehr wehgetan wurde und das von ihrer eigenen Mutter, die sie immer "Mami" nannten.
 

"Lucy?" Vorsichtig näherte sich die junge Mutter ihrer verängstigten Tochter. "Hab keine Angst vor mir, ich bin deine Mama, deine Mami, wie du immer sagst."
 

Lucy zitterte am ganzen Körper, sie weinte und hob schließlich den Kopf. "Du bist meine Mama. Mami hat ihren beiden Mädchen sehr wehgetan und der Spielplatz ist nicht abgerissen." Wieder weinte Lucy, wurde in die Arme ihrer Mutter gezogen und liebevoll über den Kopf gestreichelt.
 

"Ich hätte es dir gerne zur passenden Zeit gesagt, was mit Melanie und ihrer Schwester passiert ist, aber du hast es nun selbst erfahren. Nicht jede Mutter ist lieb, einige spielen dir nur die fürsorgliche Mutter vor und Monika ist einen Schritt zu weit gegangen", erklärte sie ihrer Tochter, die sich langsam beruhigte und vorsichtig über den Bauch, in dem ihre kleine Schwester war, streichelte.
 

"Ich sage nie wieder Mami und ich passe auf meine Schwester auf. Niemand darf ihr wehtun. Niemand darf mir wehtun, auch du nicht, Mama." Lucy sah ihre Mutter an. "Versprichst du mir, dass du uns niemals tot machst?"
 

Für einen Moment wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht der Mutter, dann aber nahm sie ihre Tochter in den Arm und drückte sie vorsichtig an sich. "Ich verspreche es. Niemals sollen dir und deinen Schwestern ein Leid zugefügt werden. Weder durch mich, noch durch jemand anderen."
 

Lucy lächelte zufrieden. "Warten Melanie und Carola auf mich im Himmel? Sie sind doch im Himmel, oder?"
 

"Ja, und von dort passen sie auf alle kleinen Mädchen auf, dass niemals wieder eine Mami oder jemand anderes, sie aus dem Leben reißt."
 

🧸🧸🧸
 

Die Rede ist hier von dem Kinderschutzengel, der leider, leider viel zu oft wegsieht und nicht eingreift. Viele denken, ein Mord passiert immer nur in Großstädten, in Orten, die man kennt und nicht da, wo sich Fuchs und Hase noch gute Nacht sagen. So ist es nicht, jedes Kind kann irgendwo Opfer von Gewalt werden. Die traurigen Bilanzen zeigen uns das auch heute noch auf und ich möchte euch bitten, wachsam zu sein. Klärt Kinder auf, wie sie sich Fremden zu verhalten haben. Abstand halten, nichts annehmen und laut schreien, wenn ihnen unwohl ist.
 

Erklärt ihnen, von Autos fernzubleiben. Kinder werden viel zu schnell in Autos gezogen, wenn sie zu dicht an diesen stehen und versuchen den Weg zu erklären. Noch wichtiger ist, sie sollen niemals zu Fremden ins Auto steigen! Vertraut keinem, den ihr nicht kennt, der aber die Geschichte mit der Mutter im Krankenhaus erzählt. Nicht umsonst sind Kindergärten heute abgesichert und für Fremde unzugänglich. Ein Fortschritt, wenn auch nur ein kleiner. Macht also unbedingt ein Passwort mit eurem Kind aus, damit Fremde es schwer haben, ihre Lügen glaubhaft zu verkaufen. Sagt immer Bescheid, wenn andere euer Kind aus der Schule abholt und wer die Person ist. Bringt euren Kindern unbedingt bei, Fremde nicht mit "Du" anzusprechen. Kinder duzen gerne und es sorgt für Aufsehen, wenn sie plötzlich jemanden siezen, der sie hinter sich her zerrt! Bleibt also immer wachsam, guckt und hört genauer hin, wenn ihr Kinder seht und euch etwas komisch vorkommt.
 

Damit schließe ich meinen zweiten Oneshot und gönne Lucy eine kleine Pause, bevor sie sich erneut mit ihrem Leben befassen und vieles erleiden muss. Wir treffen dann aber schon auf eine etwas ältere Lucy, die dann fast schon 13 Jahr alt ist.

Karma

Zwei Menschen, eine Klasse. Jungs gegen Mädchen. Alles ganz normal, wäre da nicht das böse Karma. Leise und gnadenlos schlägt es zu, breitet sich sogar in den Medien aus und gibt einigen zu bedenken.
 

Eigentlich wollte ich keine Oneshots mehr schreiben, aber mein Kopf wühlt derzeit enorm in der Vergangenheit herum und da gibt es einige ernste Themen, die ich gerne schreiben will. So auch dieses. Es zeigt, wie rücksichtslos das Karma sein kann, wie schnell ein Leben am seidenen Faden hängt, wie hässlich dabei Gedanken werden.
 

Tatsächlich ist dieser Unfall passiert, war in den Medien und wurde damals im TV nachgestellt und ausgestrahlt. Es hieß damals Notruf und war mit Hans Meiser. Wo genau der Unfall jetzt war, weiß ich nicht. Immerhin war ich nicht dabei, aber der Junge ging in meine Klasse und ich hab selber genug gelitten. Ein bisschen anders, aber ich habe gelitten. Er mehr als ich und doch gehe ich nicht auf ihn oder seine Sicht ein, denn es geht um Karma, warum man es nicht unterschätzen sollte. Man erntet, was man sät. Auch, wenn manches Karma sehr hässlich wird.
 

Seid ein wenig netter zu euren Mitmenschen und wenn ihr jemanden nicht leiden könnt, mobbt und ärgert ihn nicht. Karma richtet es leider viel zu oft und unvorhergesehen. Aktuell sitze ich daran, leicht fällt es mir aber nicht darüber zu schreiben, denn es hat sehr vieles bei mir und auch bei ihm gemacht.
 


 

⚜⚜⚜⚜
 

Seit der ersten Klasse ging das so. Jeden Tag Spott, Beleidigungen und sich lustig machen. Ein schwerer Gang für das mittlerweile fast dreizehnjährige Mädchen. Tägliche Bauchschmerzen begleiteten sie auf ihrem Weg zur Schule. Oft sogar Kopfschmerzen, die kaum auszuhalten waren. Tränen wurden vergossen, innerlich geschrien und doch war niemand da, der ihr half oder sie unterstützte. Alleine und auf sich gestellt, betrat das blonde Mädchen das Schulgebäude, sah sich unsicher um und setzte sich auf eine der freien Heizungen in der Eingangshalle.
 

Sichtlich angespannt sah sie immer wieder auf die Uhr, ignorierte die hereinströmenden Schüler, die ihr ohnehin keine Aufmerksamkeit schenkten. Das war schon immer so, jeder ging an ihr vorbei, einige kicherten, andere rümpften die Nase und tuschelten. Viele der Worte schnappte Lucy dabei auf und immer bohrten diese sich wie ein Messer in ihren Bauch. Traurig blickte sie daher aus den bis zum Boden gehenden Fenstern und wartete auf ihre einzige Freundin.
 

Antje war so anders als sie, hatte rötliche Haare, trug eine feste Zahnspange und hatte deutlich mehr auf den Rippen. Lucy hingegen war für ihr Alter zu groß, zu dünn und die dicke Brille auf der Nase erschwerte es ihr noch mehr. Da kamen oft Worte wie Brillenschlange, Spargeltarzan, Bohnenstange und ganz neu war das Wörtchen „BMW". Lucy schluckte, es brannte sich in ihren Kopf, ein Brett mit Warze zu sein. Keine Brust zu haben war scheinbar Grund genug, andere zu hänseln, sie aufzuziehen, fertigzumachen und das täglich.
 

Schnell unterdrückte sie die aufkommenden Tränen, setzte ihr falsches Lächeln auf, spielte den glücklichen Teenager, als ihre Freundin endlich zur Tür herankam. Keiner sollte und durfte merken, wie es ihr ging, niemand durfte in ihre Seele blicken, die nicht nur gezeichnet, sondern auch gebrochen war. Ihre Schnittwunden versteckte sie deswegen unter viel zu langen Pullis, den Rest, den sie sich und ihrem Körper antat, sah keiner. Dafür war es viel zu geschickt und nur schwer ersichtlich.
 

„Wie war dein Wochenende?", wollte Antje wissen, zog sie in eine kurze Umarmung, die der einzige Lichtblick an diesem Tag war.
 

„Geht so", erwiderte Lucy, während sich ihr gesamter Körper anspannte und sie nur noch einen Gedanken hatte.
 

Flucht!
 

Sie wollte weg, sich in Luft auflösen, ihren Peinigern entkommen. Verstecken war schon lange keine Option mehr, sie fanden sie, erniedrigten, schlugen zu, beleidigten und bedrängten sie. Eine Gruppe von fünf Jungen, die eine Klasse unter ihr waren und seit gut einem Jahr das Leben zur Hölle machten. Lucy verstand nicht, warum. Nie hatte sie ihnen etwas getan. Sie kannte sie flüchtig, nur Namen und sonst war nichts bekannt. Dennoch hatten sie irgendwann angefangen sie zu ärgern, herumschubsen und zu verfolgen.
 

„Alles okay? Du wirkst auf einmal so komisch?", merkte Antje an, folgte den Blicken ihrer Freundin und rollte mit den Augen. „Ach komm, lass die doch. Das sind kleine, dumme Jungs."
 

Lucy wollte widersprechen, alles erzählen, was sie belastete und doch schwieg sie wie so oft. „Lass uns in die Klasse gehen. Ich muss nach kurz über meine Matheaufgaben sehen", sagte sie stattdessen, nahm ihre Schultasche und ging schon vor. Vorbei am Schulkiosk, den langen, schmalen Gang entlang, direkt auf die Tür des Klassenzimmers zu, wo schon einige Mitschüler standen und sich lautstark unterhielten.
 

Kaum erblickten sie Lucy, schwiegen sie, gaben ihr das Gefühl nicht dazuzugehören oder fehl am Platz zu sein. Mittlerweile war sie es gewohnt, dass niemand sie grüßte, aber noch nie hatten sie aufgehört zu sprechen, wenn sie dazustieß. Irgendwas stimmte hier nicht.
 

„Hab ich was getan?", murmelte sie leise, aber laut genug, um gehört zu werden.
 

Gelächter brach aus, einer ihrer Mitschüler, der einen ganzen Kopf kleiner war, trat auf sie zu und strafte sie mit verachtenden Blicken. „Liest du keine Zeitung, du dumme Kuh?"
 

Lucy schüttelte erschrocken den Kopf und verneinte.
 

„Dachte ich mir. Nicht nur hässlich, sondern auch zu dumm, zum Lesen", spottete er weiter, lachte mit den anderen Jungs und wurde dann aber mit einem Schlag so ernst, dass es Lucy eiskalt den Rücken herunterlief. „Es hat einen Unfall gegeben. Einer deiner, unserer Mitschüler wurde fast von einem Gerüst erschlagen!"
 

Entsetzt riss Lucy ihre blauen Augen auf, wagte es nicht zu fragen, wer es war und überflog stattdessen ihre anderen Mitschüler. Alle waren da, sogar der Außenseiter Johannes, der abseits stand und in seinem Rucksack kramte. Sie suchte weiter, erkannte zwei Jungs, die im gleichen Dorf wie sie wohnten, einer sich sogar mal bester Freund nannte und sie nicht mehr für voll nahm.
 

Gerade, als ihr klar wurde, wer fehlte, den Unfall hatte, stieß der Klassenlehrer dazu, schloss die Tür auf und bat seine Schüler rein. Lucy folgte der Aufforderung, mogelte sich an einigen Jungs vorbei, die sie schubsen oder sogar boxten. Still ertrug sie die Schikane, setzte sich an ihren Platz und suchte ihr Geschichtsbuch. Heute würden sie endlich das Mittelalter aufgreifen, ein Thema, wofür sich Lucy schon länger interessierte und als spannend empfand.
 

„Seid ihr bitte kurz still und hört mir zu?", bat der glatzköpfige Lehrer vorn an seinem Pult, nachdem sich alle gesetzt hatten und trotzdem private Gespräche fortgeführt waren.
 

Alle Augen waren kaum später auf ihm gerichtet und auch Lucy merkte, wie Herr Schwarz zu schlucken begann und nach den richtigen Worten suchte. „Einige von euch haben sicher schon von dem Unfall gehört, der sich zugetragen hat. Bedauerlicherweise handelt es sich dabei um euren Mitschüler Sascha, der die nächsten Wochen im Krankenhaus verbringen muss." Eine kurze Pause entstand, die Brille wurde von der Nase genommen. „Stellt euch bitte darauf ein, dass er nicht wiederkommen könnte."
 

Augenblicklich war es still, kaum einer traute sich zu atmen. Schluckend saßen einige Schüler auf ihren Plätzen, während Lucy innerlich zu grinsen begann. Da lag der Junge, der sie am meisten anging, im Krankenhaus, im künstlichen Koma und kämpfte um sein Leben. Gerechtigkeit, vielleicht auch Schicksal. Oder besser noch, Rache für all das, was er ihr angetan hatte. Eine höhere Macht, die sich Karma nannte und über ihn richtete. Das innerliche Grinsen wandelte sich um in ein leises Lachen, was lauter wurde und schließlich aus ihr herausbrach.
 

Fassungslos sah nicht nur ihr Lehrer sie an, sondern die gesamte Klasse.
 

„Was ist so lustig, Lucy?", versuchte er zu fragen, doch einer der Jungs war schneller.
 

„Die blöde Kuh freut sich doch, wenn Sascha stirbt!"
 

Lucy sagte darauf nichts, stand einfach auf und verließ das Klassenzimmer. Keiner folgte ihr, hielt sie auf oder versuchte, mit ihr zu reden. Die Tür zum Klassenzimmer blieb zu.
 

Draußen auf dem Gang flossen Tränen. Nicht, weil ihr Mitschüler mit dem Leben rang. Sie weinte vor Glück, die nächsten Wochen ein Stück mehr Ruhe zu haben. Einem ihrer Angreifer entkommen zu können. Takt und ehrenlos, könnte man meinen. Sowas kam jedoch von Menschen, die ein ganz anderes Leben führten, die nicht gemobbt wurden und durch die Hölle gingen. Von Personen, die nicht daran dachten, sich freiwillig das Leben zu nehmen, weil sie es nicht mehr ertrugen.
 

Lucy und Sascha waren Kinder, beide wussten nicht, was ihr Verhalten anrichten konnte. Während Sascha mit bleibendem Schaden überlebte, zurück an die Schule kam, hörte ihre persönliche Hölle lange noch nicht auf. Es dauerte Jahre, bis sich beide ausgesprochen und vertragen hatten. Einander vergeben, für beide jedoch niemals vergessen.
 

******
 

Und damit schließe ich diese Geschichte, die nie eine Geschichte war, sondern die Wahrheit. Einzig Lucy ist ein Name, der erfunden ist, da ich meinen nicht einbringen wollte. Ihr merkt vielleicht, was Mobbing aus einem Menschen machen kann, wie hässlich sie denken, wie sehr sie leiden. Heute stehe ich darüber, weiß, was alles schieflief und was Sascha und ich noch alles ertragen mussten. Das Karma ist gnadenlos, es schlug nicht nur einmal in meiner Klasse zu, sondern ein weiteres Mal und das mit tödlichen Folgen. Ob ich darüber jedoch schreiben kann, weiß ich nicht, weil ich dabei, beziehungsweise vor Ort war. Ich kann nur jeden warnen, vorsichtig zu sein, andere Menschen respektvoll zu behandeln und kein Mittäter von Mobbing zu sein. Weder im realen Leben, noch im Internet. Mobbing macht euch seelisch kaputt und nicht jedes Opfer ist stark genug, um zu leben. Viele nehmen sich das Leben, darunter auch Kinder und die Täter bleiben meist straffrei, weil sie selbst noch Kinder sind. Sowas muss aufhören!

Hilfeschrei

Mit vierzehn Jahren ist man frei von Sorgen und doch gibt es dieses Mädchen, das anders ist. Keiner ist da und hört ihr zu. Jeder schaut weg oder belächelt ihren Kummer. Denke nicht, dass man in diesem Alter unbeschwert ist, ein Teenager, der irgendwo noch ein Kind ist.
 

Nicht alle sind gleich und sie erst recht nicht. Seit Kindergartentagen ausgestoßen, von anderen Kindern gemieden und verspottet. Das alles nur, weil sie nicht hübsch und reich ist. Nicht mal ein Dorf, sondern ein Stadtkind ist und auch das sorgt für Unmut unter ihren Mitschülern. Hinzu kommt, dass sie schmal gebaut ist, eine Brille trägt und ihre Haare weißblond sind. Blasse Haut und schmale Lippen. Blaue, traurige Augen, selten ein Lächeln im Gesicht.
 

Kein Kinderlachen, keine unbeschwerte Kindheit. Kummer, der hinter einer Fassade versteckt wird und auszubrechen droht. Die Not sieht man nicht, keine ihrer Verletzungen, die sie sich aus Verzweiflung selbst zufügt. Kein Schrei, kein Wort. Nur traurige Augen, die in den Spiegel und neidvoll auf glückliche Teenager blicken.
 

Sie ist anders, eine Bohnenstange, ein Spargeltarzan und BMW. Ungeliebt, weil man sie nicht richtig kennt. Niemand ist da, jeder spielt ihr etwas vor, verrät, belügt und betrügt. Ihre Seele schreit, ihre Lippen formen nach Hilfe rufende Worte. Nichts passiert. Es ist die tückische Ruhe vor dem Sturm, der mehr noch ein Orkan ist und sie mit in die Tiefe mitreißen wird.

Rabenschwarzer Tag

Freitag den dreizehnten kennen alle und einige glauben fest daran, dass dieser besondere Tag Unglück bringt. Humbug dachte sich eine Person vor etlichen Jahren und lachte leise über abergläubige Menschen. Unwissend, dass das Karma gnadenlos sein konnte und sie doppelt und dreifach strafen würde. Vielleicht sollte man ab und zu vorsichtiger sein, sich zurücknehmen und daran denken, dass es eventuell höhere Mächte gibt, die man erzürnt und die Quittung erhält. Daran dachte sie aber nicht und lebte diesen Freitag wie jeden anderen auch. Nichts deutete darauf hin, dass heute ein tragisches Unglück passierte und ihr Leben veränderte.
 

Liebevoll fütterte sie ihren kleinen Bruder, wickelte ihn, spielte mit seinen kleinen Fingern und übergab ihn ihrer gemeinsamen Mutter. Nach drei Mädchen war das Glück der Familie endlich perfekt und vollkommen. Dieser kleine Junge wurde von allen geliebt und liebevoll umsorgt. Kein Leid sollte ihm widerfahren und doch schlug das Schicksal grausam zu und Gevatter Tod nahm den Säugling in seine Obhut.
 

Auf leisen Sohlen, mitten in der Nacht und nicht vorhersehbar trat er ein, griff nach dem Baby und riss es still aus dem Leben. Zurückblieben trauernde Eltern und Großeltern, Schwestern, die nicht begriffen und Freunde, denen das Herz bei diesem Anblick brach.
 

Plötzlicher Kindertod.
 

Grausig, leise und unerwartet. Schneeweiß mit blauen Lippen.
 

Kalte Finger, die nicht mehr zugriffen.
 

Ein Lachen, was nicht mehr gehört, ein Herzschlag, der auf ewig verstummt und das an einem Freitag den Dreizehnten.

Es ist noch nicht vorbei

Sie war müde, erschöpft von ihrem kurzen Leben. Der Wille weiter leben zu wollen, war lange schon weg. Zu viel Leid hatte sie schon erfahren, hatte es satt und war bereit dem Tod gegenüberzutreten.
 

Das sechzehnjährige Mädchen war sich sicher, niemand würde sie vermissen, keiner würde trauern und um sie weinen. Für viele war sie nur ein Klotz am Bein, ein unbeliebtes Mädchen, das keine Freunde hatte.
 

Ihr Tod war unausweichlich und willkommen. Angst hatte sie nicht, eher davor, weiterleben zu müssen. Jeden verdammten Tag die Hölle zu durchleben. Nein, damit sollte Schluss sein.
 

Keine Träne wollte sie mehr weinen, keinen Schmerz fühlen, keine Angst haben in die Schule zu gehen. Mobbing hatte sie gebrochen. Falsche Freunde hatten sie verraten, betrogen und frech ins Gesicht gelogen.
 

Zu viel für ihre schwache Seele, genug für ihren Körper, der endlich Erlösung finden würde. Zitternd schluckte sie die letzte bittere Pille und überlebte. Ihr Tod war zu früh, ihre Hölle noch nicht zu Ende.

Warum?

Ein gemütlicher Nachmittag sollte alles verändern und erbarmungslos schlug das gefürchtete Karma wieder einmal zu. Dieses Mal mit tödlichem Ausgang.
 

⁕⁕⁕⁕
 

Lucy ist zurück, dieses Mal schon fast erwachsen und wieder darf sie sich mit dem Karma herumschlagen. Wer Lucy und ihre Geschichten noch nicht kennt, der sollte unbedingt mal „Mami“ und „Karma“ lesen, denn da lernt ihr sie richtig kennen. Wobei Lucy nicht erfunden, sondern real ist und ebenso ihre Erzählungen.
 

Zwar ist diese real passierte Geschichte schon Jahre her, wieder ernst und warnend, dennoch will ich sie nach reichlicher Überlegung niederschreiben. Leben und Tod liegen nun mal dicht beieinander und das Alter ist oftmals egal.
 

Lasst also bitte die Finger vom Auto, wenn ihr keinen Führerschein habt und wenn, dann achtet auf Geschwindigkeit. Überschätzt euch nicht und wenn man in einer Ortschaft 50 km/h fahren darf, dann tut das bitte! Wenn ihr unter Zeitdruck steht, fahrt eher los, steht früher auf und gefährdet nicht euch und eure Mitmenschen!
 

⁕⁕⁕⁕
 

Lachend saßen zwei Mädchen in der Küche, aßen Plätzchen, tranken Kaffee und unterhielten sich über Jungs. Ein ganz normaler Tag, nichts Außergewöhnliches. Draußen war es trotz, dass das Haus zur Straße stand ruhig, das Wetter war sonnig und der Blick durch das Küchenfenster erlaubte es direkt zum Nachbarn herüberzusehen. Für ein Dorf nichts Ungewöhnliches. Man kannte sich und viele bereits seit Jahren.
 

Lucy und Julia hingegen kannten sich erst wenige Wochen, waren zusammen in einer Klasse und hatten sich zuvor nur selten gesehen. Das sollte sich ändern, beide verstanden sich und hatten ähnliche Interessen. Geschwätzig tranken die beiden ihren Kaffee und nach einiger Zeit sah Julia ihre Klassenkameradin eingehend an.
 

„Was läuft eigentlich zwischen dir und Friedrich?“, wollte sie wissen, nahm sich einen Keks vom Teller und biss ab.
 

„Gar nichts? Wir sind Freunde seit Jahren und man könnte sagen, beste Freunde“, erwiderte Lucy sachlich. Sicher sah es für Außenstehende manchmal anders aus, doch verband sie nur die Liebe zu einem besonderen Land, dazu die Sprache, die Lucy jedoch weder sprechen noch schreiben konnte. Friedrich hatte es versucht, doch neben Englisch lernen war ihr eine zweite Sprache einfach zu hoch.
 

„Das sieht aber ganz anders aus“, plapperte Julia direkt weiter und beobachtete Lucy ganz genau.
 

Lucy seufzte. „Ich weiß, aber er ist mit ...“ Lucy machte eine Pause und biss sich auf die Unterlippe. Konnte sie Julia die Wahrheit sagen, konnte diese danach so schweigen, wie Lucy es seit einigen Wochen tat?
 

„Kannst du etwas für dich behalten?“, wollte sie wissen und sah das braunhaarige Mädchen vor sich eingehend an.
 

„Sicher ...“, setzte Julia an, zuckte jedoch genau wie Lucy unter einem ohrenbetäubenden Knall zusammen. Beide Mädchen sahen sich erschrocken an, brauchten einen Moment, um sich von dem Schrecken zu erholen. Erst dann sahen sie aus dem Fenster, erblickten das Auto, das sich genau vor ihren Augen um einen Baum gewickelt hatte.
 

„Scheiße, ruf die Feuerwehr, einen Krankenwagen und den Notarzt“, rief Lucy als erste, stand auf und eilte hastig raus auf die Straße, wo sich bereits entsetzte Dorfbewohner versammelt hatten.
 

Lucy kannte keinen, sie war zu Besuch bei ihrer Freundin und doch erkannte sie plötzlich eine Person, die aus einem Auto stieg und direkt auf die Unfallstelle zueilte. Lucy stockte der Atem. Es war ... Nein, das konnte nicht sein. Hastig drehte sie sich um, starrte das zerbeulte Auto an und erkannte dessen Nummernschild.
 

Bitte nicht, schoss es ihr durch den Kopf, während bereits die Feuerwehr eintraf, dahinter der Rettungswagen und Polizei. Sofort wurde die Unfallstelle gesichert, Schaulustige gebeten sich zu entfernen und auch Lucy sollte gehen, wäre da nicht der Einsatzleiter der Feuerwehr. „Lucy? Kannst du uns helfen?“
 

Stumm nickte sie, folgte zitternd dem älteren Mann zum Unfallwagen und stockte. Nicht die Mutter lag im Wagen, sondern Friedrich selber. Lucys bester Freund, mit offener Schädeldecke und allen Befürchtungen tot. Lucy brach weinend zusammen, musste vom Einsatzleiter gestützt werden, der sie vorsichtig zurück zu ihrer Freundin brachte.
 

Weinend klammerte sie sich an Julia, die bisher keine Ahnung hatte. „Was ist denn los? Kennst du die Person im Wagen?“
 

Lucy schluckte, sie konnte nicht antworten, doch das musste sie auch gar nicht. Friedrichs Vater stand am Straßenrand, weinte genauso bitterlich und rief immer wieder die Worte: „Nicht mein Sohn!“

Liebe oder Verrat?

Liebe, ein Wort, was Lucy nicht kannte. Nicht von Männern, die nur mit ihr spielten, ihr etwas vormachten und am Ende verrieten.
 

⁕⁕⁕⁕
 

Verleugnung
 

Das war ein Schlag ins Gesicht. Mit der Faust mitten rein und das vor ihren beiden alten Klassenkameraden, die das scheinbar auch noch amüsant fanden und zu kichern begannen. Peinlich, erniedrigend und eine Demütigung auf höchster Ebene. Lucy war entsetzt und starrte den deutlich älteren Mann hinter der Theke an. Er schien es ernst zu meinen, nahm seine Arbeit wieder auf und mied jedes weitere Gespräch.
 

Sie war den Tränen nahe, konnte nicht nachvollziehen, dass er sie vor ihren Freundinnen leugnete und behauptete, sie seien einfach nur Freunde.War es ihm so peinlich, zuzugeben, dass er eine deutlich jüngere Freundin hatte? Was waren bitte 14 Jahre Altersunterschied? Sie war mit ihren fast 18 Jahren alt genug. Sogar ihre Eltern wussten davon und akzeptierten diese Beziehung.
 

Umgekehrt sah es leider vollkommen anders aus. Seine Eltern könnten quasi ihre Großeltern sein, hatten von Anfang an Lucy Abneigung entgegengebracht und mittlerweile wusste sie ganz genau warum. Vor wenigen Tagen hatte sie ein sehr dunkles Geheimnis über den Vater ihres Freundes erfahren. Es lag Jahre zurück, wurde von der Stasi gedeckt und nie nachverfolgt. Der Vater ihres Freundes war ein Sexualstraftäter, hatte ein fünfzehnjähriges Mädchen vergewaltigt und tat so, als wäre er die Unschuld vom Lande. Sie konnte jedoch darüber hinwegsehen, trotz dieser Abneigung und dem Hass, den sie jedes Mal zu spüren bekam, wenn sie am Haus ihres Freundes vorbeiging. Jens, so hieß ihr Freund, würde ihr nicht glauben, ebenso sein älterer Bruder Stephan, mit dem sie einfach nicht warm wurde.
 

Immerhin verstand sie sich mit Jumbo, der sowas wie ein bester Freund geworden war und in der schweren Zeit für sie da war. Besonders, als die Beerdigung von Friedrich war, wich er seither nicht mehr von ihrer Seite, wenn sie sich sahen. Auch an diesem Abend stand er mit einem Mal neben ihr, hatte sogar einen Becher Bier, den er ihr reichte und lächelte.
 

„Kopf hoch, er ist ein Arsch“, rief er ihr so laut zu, dass es zwei weitere Bekannte hören konnten und laut lachten.
 

„Tja Lucy, da haste dir echt den falschen Typen geangelt“, rief einer mit Brille, ehe er sich wieder den Getränken widmete und Bestellungen annahm.
 

Den falschen Mann? Lucy blinzelte verwirrt mit den Augen, sah dann zu Jumbo, der lässig sein Bierglas zum Mund führte und trank. Meinte der Typ hinter dem Tresen wirklich Jumbo? Nichts gegen ihn, aber auf Männer mit Bauch stand sie nicht. Da war bloß Freundschaft, mehr nicht und sie kannte ihn bereits seit sei fast neun Jahre alt war. Damals, bei der Öffnung der Grenze zur DDR, hatte man sich kennengelernt und sofort verstanden. Der Altersunterschied war nie ein Problem, ihre Eltern vertrauten ihm, ihr und nie war etwas vorgefallen. Wie auch, oftmals saßen sie alle gemeinsam im Garten, grillten und hatten einfach Spaß. Bei aller Liebe, aber Jan war wirklich nicht der richtige Mann für sie.
 

„Das meint der hoffentlich nicht ernst“, wandte sich Lucy schließlich an Jumbo, der neugierig durch das Kirmeszelt guckte und sie schließlich anstupste. „Ich glaube, der Kerl da vorn guckt dich die ganze Zeit an.“
 

„Wo?“ Lucy folgte Jans Blick und sah einen durchaus attraktiven Mann, der allerdings zu gut aussah und sicher nicht sie ansah. „Jumbo, hast du den angeguckt? Das ist Adonis und ich bin Medusa. Der guckt sicher nicht mich an.“ Unterstreichend schob sie ihre Brille richtig auf die Nase, leerte ihr Bier und doch sah sie immer wieder mal rüber.
 

Tatsächlich sah Adonis in ihre Richtung und um sicherzugehen, drehte sich Lucy um und sah hinter sich. Allerdings stand da niemand, nur ein Kasten Bier und für den interessierte er sich sicher nicht. Er musste sie angucken und ihre Vermutung bestärkte sich noch zusätzlich, als er ohne Umweg auf sie zuschritt.

Liebe oder Verrat? Part 2

Nie wieder Alkohol, war das Erste, was Lucy am nächsten Morgen dachte, als sie total verkatert aufwachte. Was war gestern überhaupt noch alles passiert? Lucy hatte keine Ahnung, richtete sich langsam auf und fasste sich stöhnend an den Kopf. Ihr fehlten einige Details, es war ihr, als hätte sie einen Blackout.
 

„Wie spät ist es?“, nuschelte plötzlich jemand neben ihr und riss sie aus den Gedanken.
 

„Kurz vor neun“, erwiderte sie, dann aber merkte sie, dass die Stimme nicht die ihres Freundes war. Sofort sah sie unter ihre Bettdecke, stellte erschrocken fest, dass nicht nur sie, sondern auch er nackt waren. Wie Schuppen fiel es ihr von den Augen, was sie die Nacht getan, dass sie ihren eigenen Freund betrogen und hintergangen hatte. Lucy wurde schlecht, das Gewissen plagte sie wie eine Horde aggressiver Ameisen, in deren Nest sie sich gesetzt hatte.
 

„Scheiße, scheiße, scheiße“, entfuhr es ihr mehrmals und ihr wurde mit einem Male so schlecht, dass sie wie von der Tarantel gestochen aus dem Bett sprang und rüber ins angrenzende Badezimmer. Verfolgen war der Kater, die Kopfschmerzen weggeblasen und nur der Inhalt ihres Magens entleerte sich unaufhaltsam. Röchelnd hing sie über der roséfarbenen Kloschüssel, würgte immer wieder, bis sie alles aus sich draußen hatte und langsam aufrichten konnte.
 

Ein Blick in den Spiegel reichte. Sie sah scheiße aus, fühlte sich schuldig, benutzt und dreckig. Lucy stöhnte auf, drehte das Wasser auf Kalt und ließ es einige Sekunden über ihre Handgelenke laufen. Wie sollte sie Jens je wieder unter die Augen treten, ohne sich schlecht zu fühlen? Lucy war ratlos und ängstlich zugleich. Lügen war noch nie ihr Ding, sie musste es sagen, ihr Gewissen erleichtern. Auch, wenn sie Gefahr lief, ihn zu verlieren.
 

Lucy drehte den Hahn zu, trocknete ihre Hände und lief zurück in ihr Zimmer, wo noch immer dieser Typ in ihrem Bett lag und sie anstarrte. „Ich sollte wohl besser gehen, oder?“
 

Auf die Frage nickte Lucy nur, hielt ihn nicht davon ab sich anzuziehen und aus ihrem Leben genauso schnell zu verschwinden, wie er aufgetaucht war. Sie wandte sogar den Blick ab, zeigte deutlich die kalte Schulter und erst, als er sie nochmals ansprach, zuckte sie kaum merklich zusammen.
 

„Tut mir leid für dich. Ehrlich“, murmelte er, dann hörte sie noch die Tür und er war verschwunden.
 

Verwirrt blickte sie diese an, verstand nicht, warum er diese Worte gesagt hatte und wie genau sie zu verstehen waren. Vielleicht war sie auch zu naiv, hatte sich diese eingebildet und am Ende hatte er nichts gesagt. Besser wäre es gewesen. Ihr Kopf arbeitete schon genug, legte sich bereits einen Plan für heute Abend zurecht. Auswandern war auch eine Möglichkeit, aber wo sollte sie mit 17 Jahren schon hin? Weglaufen war obendrauf feige, nicht mehr ihre Art und lieber stellte sie sich dieser schwierigen Aufgabe.
 


 

Mit Bauchschmerzen betrat Lucy an diesem Abend das Festzelt, sah sich nach ihrem Freund um, den sie schließlich hinter der Theke entdeckte. Tief atmete sie durch, wagte den Schritt und trat hinter diese.
 

„Können wir reden?“
 

„Was?“, brüllte er sie fast schon an und da merkte auch Lucy, dass sie viel zu leise gefragt hatte. „Ob wir kurz reden können?“, wollte sie nun lauter wissen und hoffte, er hätte wenigstens fünf Minuten für sie Zeit.
 

„Aber nur kurz“, erwiderte er, stellte das saubere Glas weg, nahm sich stattdessen zwei Flaschen Bier und sah Lucy auffordern an. „Hinter dem Zelt?“
 

Lucy nickte, folgte ihm nach draußen und unterdrückte die aufkommende Übelkeit. Ebenso versuchte sie ihren zitternden Körper zu kontrollieren, was ihr nicht gelingen wollte. Erst recht nicht, als er ihr eine der Flaschen reichte und ihre gesamte Hand zu zittern begann.
 

„Tut mir leid“, entschuldigte sie sich hastig, nahm rasch einen Schluck, als wollte sie das Gewissen wegspülen, in Alkohol ertränken. Auf den ersten Schluck folgte auch gleich der zweite und rasch war die Flasche zur Hälfte geleert.
 

„Alles okay?“, wollte ihr Freund wissen, der bisher nicht einen Schluck genommen hatte.
 

Lucy schüttelte den Kopf, ihr kamen die Tränen, die Bilder der verhängnisvollen Nacht vor Augen. Immer wieder versuchte sie zum Reden anzusetzen, schluckte und räusperte sich. Ihr fiel es sichtlich schwer, zu gestehen und ihre Sünde zu beichten. Es waren nur vier Worte, die ihr alles abverlangen, die im Hals steckten und blockierten.
 

„Lucy, ich muss gleich wieder rein.“ Jens seufzte, zog sie in seine Arme und strich über ihren Rücken. Der richtige Moment. Lucy fühlte es.
 

„Ich hab dich betrogen“, platzte es wie eine Bombe aus ihr heraus, ehe sie sich löste und es nicht wagte, ihn anzusehen. Zum einen versteckte sie ihre Tränen und zum anderen das schlechte Gewissen, was wie ein Parasit an ihr nagte, sie fast zerfraß.
 

Minuten schienen zu verstreichen, die ihr endlos vorkamen. War Jens noch da oder war er gegangen? Sie traute sich nicht, hinzusehen, wollte es nicht. Doch er war da, nahm sie von hinten in den Arm und murmelte ihr etwas zu, womit sie im Leben nicht gerechnet hätte.
 

„Ich hab es bereits geahnt.“
 

Zwei Jahre war das nun schon her. Zwei Jahre, in denen Lucy und Jens getrennt waren, wieder zusammenfanden und am Ende hatte sie die bittere Wahrheit erfahren. Jens hatte es nicht geahnt, er wusste es, hatte sie verwettet für einen Kasten Bier und sie war so dumm und war darauf hereingefallen. Für Lucy ergab inzwischen auch der seltsame Satz ihres Seitensprungs Sinn. Er hatte mitgespielt und am Ende tat es ihm wirklich leid um sie. Lucy war von Anfang an das Opfer, ihr wurde bewusst übel zugespielt und ausgerechnet der Mensch, den sie liebte, hatte sie selber noch sehr viel schlimmer hintergangen.

Missbraucht

Ein Volksfest und eine Chefin, die darauf bestand, teilzunehmen, um Spaß zu haben. Aus Spaß wurde schnell ernst und veränderte das Leben des jungen Mädchens für immer.
 

Jeden Tag erfahren Frauen, Männer und Kinder Gewalt.
 

Körperliche, seelische und sexuelle Übergriffe prägen sie für ihr ganzes Leben.
 

Viele reden darüber und genauso viele schweigen aus Angst.
 

⁕⁕⁕⁕
 

In der Luft Gerüche von süßer Zuckerwatte, leckerer Bratwurst und weiter hinten frische Klöße mit herrlich, brauner Soße. Ein einfaches und sehr beliebtes Gericht bei Kindern, aber auch Erwachsene drängten sich an mir vorbei, um an diese Leckerei zu kommen. Wie jedes Jahr, wenn Bergkirchweih war und Erlangens Bürger zu tausenden in die Bierkeller strömten. Mittlerweile ein teurer Spaß, den sich viele nicht nehmen ließen. Mit fast sechzehn Euro für ein Maß Bier, entschied ich mich lieber dazu, Wasser zu trinken.
 

Nicht, weil ich geizig war, mehr aus dem Grund heraus, dass später noch einige turbulente Fahrten auf verschiedenen Karussells geplant waren. Ganz oben auf meiner Liste stand der freie Fall und dann, wenn ich diesen überleben würde, der Breakdancer.
 

„Danach fahren wir aber noch mit dem Autoscooter, oder?“ Fragend stupste mich meine beste Freundin an, deutete bereits auf das Fahrgeschäft und hatte dieses Glänzen in den Augen.
 

„Du kriegst dein Gerangel, wenn ich meinen Breakdancer hatte.“ Fies grinste ich, aber ich liebte diese Art von Karussell. Je schneller und wilder, umso besser.
 

Meine Freundin sah das anders, verdrehte genervt die Augen und sah alles andere als begeistert aus. „Freier Fall, okay, aber nicht dieses Monster. Ich kotze nur wieder und dann ist der Berg gelaufen.“
 

Leise seufzend gab ich nach. Es hatte keinen Zweck, mit ihr zu diskutieren und ich wollte uns beiden diesen besonderen Tag nicht verderben. „Gut, Biene, du hast gewonnen, ich fahre alleine.“
 

„Geht doch“, lächelte sie mir zu, hakte sich bei mir unter und gemeinsam schlängelten wir uns durch die Menschenmassen zum Freien Fall. Wie zu erwarten, standen enorm viele an, darunter hauptsächlich Teenager, die eindrucksvoll nach oben starrten. Die Höhe war schon beeindruckend und man fiel ganze 100 Meter in die Tiefe, nachdem man zuvor hochgezogen wurde. Einige Male und genau das war es, was ich jetzt brauchte. Frei fallen, ohne aufzuschlagen. Nervenkitzel und Adrenalin pur.
 

„Das wird der Wahnsinn, ich sag’s dir“, brüllte ich Sabine beinahe schon an, da die Musik so laut war, dass man kaum sein eigenes Wort verstand. Typisch für einen Rummel und doch liebte ich genau dieses Feeling, wollte es am liebsten immer spüren. Zu lange hatte ich verzichtet, mich von meiner Vergangenheit leiten und einschüchtern lassen. Ich wollte frei sein, mein Leben so leben, wie ich es wollte und alles andere hinter mir lassen.
 

„Wir sind dran.“ Meine Freundin stieß mich sanft an, drängte mich dann schon nach vorne zu den Sitzen und setzte sich direkt auf den neben meinem. „Was ist? Schiss?“, neckte sie mich.
 

„Ach was.“ Gelassen setzte ich mich auf den Platz neben sie, nahm aber dennoch ihre Hand und grinste sie herausfordernd an. „Mal sehen, wer von uns beiden lauter schreien kann.“
 

Meine Freundin nahm die Herausforderung an und ich sah genau, dass sie bereits sicher war, diese für sich zu gewinnen. So gerne ich sie hatte, aber ich war lauter. Sehr viel lauter und der Sieg gehörte mir. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck spürte ich, wie wir langsam nach oben gezogen wurden. Höher und höher. Die Menschen unter uns wurden klein wie Ameisen. Die Spannung stieg, ich konnte es kaum mehr erwarten, zu fallen, den Kick zu genießen.
 

„Bereit?“, hörte ich meine Freundin fragen, die genauso hippelig tat. Ich konnte nur noch nicken, dann fielen wir auch schon und ich hörte sie schreien. Laut, kräftig, voller Lebensfreude. Meiner blieb aus. Ich konnte nicht, war zu aufgedreht, genoss dieses irre Kribbeln in meinem Bauch, welches dem Gefühl einer Achterbahnfahrt glich. Biene hatte gewonnen, den Sieg erlangt und ich gönnte es ihr von Herzen. Fest drückte ich ihre Hand, schenkte ihr ein Lächeln, als sie erneut schrie. Es beruhigte mich, zeigte mir, wie stark meine Freundin war. Dafür liebte ich sie, wie ich nie einen anderen Menschen geliebt hatte und vermutlich nie tun würde.
 

Meine Vergangenheit hatte mich geprägt, verändert und nicht jedem Menschen konnte ich trauen. Sabine hingegen schon. Sie war immer da, hatte mir in den schwersten Stunden zur Seite gestanden und mir immer wieder Mut gemacht, mein Leben nicht aufzugeben.
 

„Süße, du bist toll, so wahnsinnig toll. Und du hast gewonnen.“ Ein ehrliches Lächeln legte sich auf meine Lippen, während wir bereits unten angekommen, die Sicherheitsbügel vorschoben und aufstanden.
 

„Du hast mich gewinnen lassen“, beschwerte sie sich erst, dann aber zog sie mich in eine Umarmung, seufzte tief. „Lass uns zum Autoscooter gehen, okay?“
 

„Hey, ich wollte Breakdancer.“ Beide lachten wir herzhaft, ehe wir unseren Weg fortsetzten, den mauligen Menschen hinter uns Platz machten.
 

Wir mussten uns einigen. Jeder für sich fahren oder auf den jeweils anderen warten? Beides klang fair, doch dann hatte Sabine einen ganz anderen Vorschlag. „Lass uns erst gebrannte Mandeln holen, ja? Du weißt, ich liebe diese Dinger.“
 

Ihrem bettelnden Blick konnte ich schlecht widerstehen. „Also schön, holen wir deine Plombenzieher und entscheiden dann.“

Missbraucht / 2

Ich mache bewusst die Kapitel kürzer, weil ich es so für mich einfach schreiben kann und euch so noch etwas schonen kann. Allerdings geht es im nächsten Kapitel in die Tiefe der Kurzgeschichte und ich setze Triggerwarnungen, damit ihr als Leser das Kapitel überspringen könnt. Es wird demnach auch etwas länger dauern, da ich nicht nur in die Tiefe gehe, sondern in die Tat selber und das aber nur durch die Sicht des Opfers.
 

⁕⁕⁕⁕⁕
 

Menschenmengen drängten sich an uns vorbei, immer wieder mussten Sabine und ich ausweichen, um endlich zu ihren gebrannten Mandeln zu kommen. Von Weitem drang dieser süßliche Geruch zu mir, setzte sich erst in meiner Nase fest und schließlich in meinem Gehirn, veränderte alles mit einem Hammerschlag. Die Welt um mich herum drehte sich, meine Sicht verschwamm und mir war, als würde ich jedem Moment kotzen.
 

„Hey Mädchen, kann ich dir helfen?“ Jemand sprach mich an, fasste mir an die Schulter und panisch schlug ich diese Hand weg.
 

„Fass mich nicht an!“, schrie ich so laut, dass Sabine sich umdrehte und einige anderen Passanten auch. Schnell trat sie auf mich zu. „Alles okay mit dir? Du wirkst ein wenig blass.“
 

Hektisch schüttelte ich den Kopf, konnte nicht antworten, da mein Hals wie zugeschnürt war. Panik überkam mich, ließ mich wie ein wildes Pferd handeln, was man in die Enge trieb. Weg, einfach nur weg, war mein Gedanke.
 

„Ich kriege keine Luft mehr.“ Ängstlich sah ich mich immer wieder um, sah zurück zu meiner Freundin, die sofort verstand und mich aus der Menge führte. „Ganz ruhig, ich bringe dich heim“, rief sie so laut, dass ich zusammenzuckte und ruckartig stehenblieb.
 

Wieder drehte sich alles um mich herum, die Stimmen wurden leiser, nur um im nächsten Moment wieder lauter zu werden. Eine Stimme stach besonders hervor, wirkte aggressiv, bedrohlich und mir war, als würde sie mich weit zurückwerfen. Jahre zogen an mir wie ein Film vorbei und ich befand mich genau da, wo alles begonnen hatte.
 

Auf dem Rummel, einem anderen und deutlich jünger. Automatisch drehte ich meinen Kopf und blickte entsetzt in das Gesicht meiner alten Chefin. Ihr markanter Bob war unverkennbar und ebenso das falsche Lächeln, was sie immer aufsetzte, wenn Kunden kamen, die nicht nach ihren Vorstellungen waren. Ein Biest war sie, der Wolf im Schafspelz und falsch obendrauf. Sie trug eine Teilschuld an dem, was mir passiert war. Sie und ihr toller Plan von einem Team, was privat genauso gut funktionieren musste, wie auf der Arbeit. Widerspruch duldete sie nicht und Ausreden schon gar nicht.
 

Ich hatte nicht mal Ausreden parat, musste dem folgen, was sie sagte und hatte obendrauf Angst, den Ausbildungsplatz nicht zu bekommen. Heute würde ich anders handeln, auf dieses verlockende Angebot verzichten und mich anderweitig umsehen. Damals war ich jung und naiv und das wurde mir zum Verhängnis. Diese Frau hat mein Leben genauso zerstört, wie dieses Monster, von einem Menschen. Sie und ihre schneidenden Worte, es wäre besser für mich, wenn ich mitkomme und lerne, dass ein Team zusammenhält. Egal, was kommen würde.
 

Von Zusammenhalt merkte ich nichts. Nicht ein Wort hatte sie gesagt, mich von oben herab angesehen und erwartet, ich habe zu funktionieren. Entweder war diese Frau ein Eisklotz, oder sie wollte es nicht sehen, was mir dank ihrer dreisten Art widerfuhr. Und nun stand sie wieder neben mir, hakte sich frech bei mir ein und tat so, als wäre ihre perfekte Welt in Ordnung. Sie führte mich gemeinsam mit unserer Kollegin und ihrem Mann in mein Verderben, über den Rummelplatz, der viel zu eng war. Schon jetzt merkte ich, wie ich kaum noch Luft bekam, immer wieder mit Menschen aneckte und mich dafür entschuldigte. Einige schenkten mir ein verständnisvolles Lächeln, andere böse Blicke und dann gab es jene, die mich direkt angingen.
 

Vermutlich stieß ich zuvor schon mit dem Monster zusammen, machte auf mich aufmerksam, ohne es zu ahnen. Irgendwo lauerte er bereits auf ein Opfer und mich sollte es treffen.



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