Logbuch von -Kiara ================================================================================ Kapitel 2: Eignungsprüfung -------------------------- Die Planken des Schiffes knarrten unter Kiaras Stiefeln, als sie sich unter erwartungsvollen Blicken zur Mitte des Decks begab. Die Piraten waren aufgestanden und hatten eine großzügige Fläche freigeräumt, welche für geübte Schwertkämpfer zur Demonstration ihrer Fähigkeiten ausreichen sollte. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in Kiaras Magengrube aus, während sie den schweren, kunstvoll verzierten Griff des Rapiers fester in der Hand packte und sich mit der Länge und dem Gewicht der ungewohnten Waffe bekannt machte. Da sie ihr Entermesser beim Schiffbruch verloren hatte, wurde ihr freundlicherweise diese neue Klinge gestellt. Offensichtlich zog es Nachteile mit sich, ein fremdes Schwert zu schwingen. Doch Kiara war entschlossen, ihr absolut Bestes zu geben. „Du kannst deine Entscheidung immer noch zurückziehen“, bot der Kapitän an. Von dem Fass, auf dem er saß, hatte er den perfekten Überblick über die Kampfzone. Leger schlug er ein Bein über das andere. Kiara schüttelte deutlich mit dem Kopf. Es entbehrte sich jeder Logik, aber es war so, als bedeutete ihr eine kleine Stimme der Vernunft, dass Anheuern die einzige richtige Wahl darstellte. Warum sollte sie sich jemandem anschließen wollen, der ihr offen mit dem nassen Kältetod drohte, sollte sie sich zu schwach oder ungeschickt anstellen? Warum setzte sie ihr Leben aufs Spiel, wenn sie unbeschadet auf der nächsten Insel abgesetzt werden könnte? Es ergab keinen Sinn. Aber dieses Gefühl der Erleichterung und Geborgenheit, welches sie erfüllt hatte, und die warme Ausstrahlung ihrer Lebensretter, das alles weckte in ihr unabdingbares Vertrauen. Und daran wollte sie sich mit allen Mitteln festhalten. Der Rothaarige nahm ihre Antwort zur Kenntnis und bedeutete einem kräftig gebauten Kerl mit Glatze, schwarz umrandeten Augen und Narbe im Gesicht hervorzutreten. Er sollte ihr Gegner sein. „Bereit?“, grollte der Typ, welcher ungefähr dreimal so groß war wie sie, nachdem er sich aufgebäumt hatte. Kiara begab sich in ihre antrainierte Einstiegshaltung. Von professioneller Fechtkunst waren ihre Fähigkeiten jedoch weit entfernt, auch wenn sie viel Geld für ihre persönliche Schulung gezahlt hatte. Trotzdem war sie sich sehr sicher einen dahergelaufenen Piraten ohne Probleme in seine Schranken weisen zu können. „Bereit.“ Der Pirat schwang sein Schwert mit furchteinflößender Bestimmung. Intuitiv hob Kiara ihre Klinge um den Angriff zu parieren. Dabei schmetterten die Schneiden mit einer solchen Wucht aneinander, dass es Kiara beinahe das Schwert aus der Hand schlug. Mit Entsetzen wurde ihr klar, dass nicht nur ein Gang über die Planke, sondern auch abgetrennte Körperteile drohten, wenn sie sich nicht mit vollem Einsatz in den Kampf reinhängte. Der Stil war ihr völlig fremd und die Hiebe folgten so schnell aufeinander, dass sie kaum Gelegenheit hatte, sich auf die Bewegungsabfolge ihres Gegners zu konzentrieren. Kiara wich dem Schwert öfter mit vollem Körpereinsatz aus, als mit dem eigenen Säbel zu kontern. Mehr als einmal verfehlte die Klinge nur um Haaresbreite ihr Ziel, während die junge Möchtegern-Piratin überfordert zurückwich und versuchte Abstand aufzubauen. „Komm schon, ich kenne Affen, die haben mehr drauf als du!“, keuchte sie, nachdem sie seinem nächsten Angriff aus dem Weg gerollt war. Zittrige Finger umklammerten den, von Schweiß rutschig gewordenen Schwertgriff, fester. Überhaupt konnte sie den Degen kaum noch stabil mit nur einer Hand halten. Sie spuckte große Töne, dafür, dass sie noch keinen einzigen Schritt aus ihrer Verteidigung herausgetan hatte. Aber sie konnte nichts dafür, die Worte sprudelten ihr einfach aus dem Mund. In ihrer Brust spürte Kiara ihr Herz rasen und sie fürchtete, ihre Beine könnten jeden Augenblick unter ihrer eigenen Last zusammenbrechen, weil sie die Konsistenz von Pudding angenommen hatten. Ihr Gegner stutzte kurz über den wagemutigen Ausspruch, ehe er sein Schwert dermaßen kraftvoll in einem Bogen vor sich schwang, dass eine Druckwelle Kiara von den Füßen riss und sie rücklings zu Boden schleuderte. Vollgepumpt mit Adrenalin verspürte sie keinen Schmerz nach dem harten Aufprall auf dem Deck. Perplex starrte sie zum fremden Himmelszelt hinauf und versuchte zu verarbeiten, was gerade passiert war. „Was zur – “, brachte sie nur stammelnd hervor. „Zu schade, dass diese Affen dir nichts beigebracht haben“, grinste der Glatzkopf zu ihr runter. Allmählich realisierte Kiara, dass sie diesen Kampf unmöglich gewinnen konnte und was dies für Konsequenzen nach sich ziehen würde. Sie konnte ihn nicht entwaffnen und sie konnte nicht flüchten. Ein monotones Pfeifen drang in ihre Ohren und übertönte jegliches Stimmengewirr aus der Crew, den Wind und das Meeresrauschen. Sie wusste, ihr blieb nur der Angriff und die Hoffnung, dass er vor Erschöpfung aufgab bevor sie es tat. Kiara spürte wie sie das Schwert mit beiden Händen fest packte, einen Schrei ausstieß und mit etwas Mühe zurück auf ihre Beine sprang. Mit unermüdlichen Hieben schlug sie mit dem Degen auf ihren Gegner ein und versuchte seine Verteidigung zu durchbrechen. Doch er war zu schnell und zu stark. Zwar konnte sie ihn mithilfe des Überraschungseffektes einige Schritte zurücktreiben, doch er parierte spielend jeden ihrer Schläge. Plötzlich wich er zur Seite aus und ihre Klinge kerbte sich tief in das Holz des Mastes. Aus weiter Ferne konnte Kiara das Grölen der Mannschaft hören, welche sich direkt neben ihr befand. Verzweifelt zog und zerrte sie am Griff, stemmte sogar den Fuß gegen den Mast, doch ihr Schwert steckte unabdingbar fest. „Und jetzt?“, kam es vom Glatzkopf hinter ihr. Kiara wirbelte herum. Es blieb keine Zeit sich eine Taktik auszudenken. Sie war zwar entwaffnet, aber noch lange nicht geschlagen! Mit voller Wucht schmiss sich Kiara gegen den Piraten und rammte ihren Ellbogen in seinen Bauch. Sie hörte ihn ächzen und landete kurz darauf mit ihm auf den Brettern. Sein Schwert klirrte neben ihnen zu Boden. Das war ihre Chance! Wenn sie es schnell genug ergreifen konnte, hätte sie die Oberhand gewonnen! Doch er ahnte ihr Vorhaben und packte sie an den Handgelenken. Mit einem Mal hatte er ihre Positionen getauscht und sie festgepinnt. Kiara wandte und wehrte sich unter ihm, doch konnte sie weder Arme noch Beine befreien. Sie fühlte sich hilflos. Sie wollte schreien. Sie durfte nicht verlieren! „Das reicht, danke“, tönte die Stimme des Kapitäns laut über das Deck hinweg und erstickte selbst ihren Tinnitus. Es war vorbei. Sie hatte ihr Leben aufs Spiel gesetzt und versagt. Ihre Glieder erschlafften und eine schreckliche Leere breitete sich in ihr aus. Wie schnell konnte man eine zweite Chance so dermaßen ruinieren? Der Glatzkopf erhob sich und zog Kiara schwungvoll mit auf die Beine. Dann ließ er sie los, grinste unverhohlen und klopfte ihr kumpelhaft aber kräftig gegen den Rücken, dass es sie beinahe wieder umwarf. Kiara sah ihn verwirrt an. Sollte er sie jetzt nicht festhalten und zur Planke führen oder so etwas in der Art? Der Rothaarige trat heran und besah sich die schwer atmende Möchtegern-Piratin, welche in diesem Moment einem kleinen Häufchen Elend glich. „Das war ja fast so unterhaltsam wie deine Geschichte.“ Sie schluckte, auch wenn ihr Mund sich wie eine Staubwüste anfühlte. Ob sie noch verhandeln konnte? Offenbar brachte sie ihn wenigstens zum Lachen, da wäre es doch eine Verschwendung, wenn er sie- „Leute, heißen wir Kiara mit einem ordentlichen Bankett in unserer Bande willkommen!“, verkündete der Kapitän feierlich und stieß die Faust in die Luft. Einen Augenblick lang starrte Kiara den Rothaarigen nur entgeistert an. Dann fiel ihr auf, dass sie vor lauter Fassungslosigkeit das Atmen vergessen hatte und schnappte eilig nach Luft. „Aber- ich hab‘ doch- hä?“, stieß sie keuchend hervor. „Hast dich jut jeschlagen“, kam es inbrünstig von einem Crewmitglied. „Ick freu mir!“ „Ja, voll reingehangen!“, stimmte ein anderer zu. Ein freundschaftlicher Arm legte sich um Kiaras Schultern. „Ehrlich gesagt hätte ich es beinahe früher abgebrochen. Aber dann hast du mich doch noch überrascht“, gestand der Kapitän. „Mit meiner Kampf-oder-Flucht Panikreaktion?“, quäkte Kiara ungläubig. „Es hat Potential“, meinte der Rothaarige heiter. Dann zwinkerte er zu ihr hinunter. „Und keine Sorge, über die Planke hätten wir dich sowieso erst nach der Landung geschickt.“ Dies war das zweite Mal an diesem Abend, dass sie kraftlos in seinen Arm sank. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)