Steil nach oben von Pragoma ================================================================================ Kapitel 1: Ausgerechnet Bali ---------------------------- Inmitten Kosire, einem der zehn Stadtteile Prags steht das gehobene Anwesen, in dem ich seit fast 21 Jahren mit meinen Eltern lebe und doch über mein eigenes Reich verfüge. Fast schon ländlich schmiegt sich der fünfte Stadtteil in die Großstadt ein und in nur wenigen Minuten ist man mit der Straßenbahn im Zentrum. Perfekt für mich, ich kann ausschlafen und mit dem Rad rüber nach Barrandov fahren, wo sich die berühmten Filmstudios befinden. Als Kind konnte ich davon nur träumen. Heute fahre ich täglich an ihnen vorbei und in wenigen Wochen habe ich ein Shooting am Filmset. Zuvor aber steht Bali auf dem Plan und ist genau das Gegenteil. Tropisch, wunderschön und ziemlich weit weg. Besonders für meine Mutter, die das Thema schon wieder anschneidet. „Bali? Wieso denn Bali?" Entgeistert sieht meine Mutter mich an, dann wieder in ihre Zeitung und schließlich zu meinem Vater, der leise seufzt. „Was sagt denn Dominik dazu?", will er wissen. „Nichts, weil er mit seinen Kollegen nach Kapstadt fliegt", antworte ich ruhig, ehe ich zur Kaffeemaschine gehe und mir einen Kaffee nehme. „Und mit wem fliegst du? Sicher doch nicht alleine, oder?" „Nein, Jiri fliegt mit, ebenso unsere Fotografen Lukas und Marty und noch zwei andere Jungs, die ich aber nicht kenne." Typisch meine Mutter, die sich noch immer sorgt und das, obwohl ich mittlerweile 20 Jahre alt bin und mein eigenes Leben lebe. Obendrauf gehe ich arbeiten, stehe oft vor der Kamera und ein Shooting jagt das nächste. Mein Aussehen ist gefragt, dazu meine Art und erst recht mein Blick, der die Kunden allesamt anzieht und mich auf zig nennenswerte Cover katapultiert hat. Ich bin also gut im Geschäft und doch gibt es Leute, die das mit ganz anderen Augen sehen. Sebastian und Kai. Meine besten Freunde und doch scheinen sie immer wieder ein Problem damit zu haben, wenn ich mit anderen Jungs vor der Linse stehe und das in Badehosen. Sie sehen einfach die Gefahr und den schmalen Grat zu gewissen Filmen. Zwar habe ich beiden immer wieder gesagt, dass Pornos für mich nicht infrage kommen, aber Einsicht zeigen sie nur wenig. Mein Freund Dominik sieht das zum Glück eher locker. Er ist selber Model, war vor wenigen Monaten noch Pornodarsteller und damit habe ich genauso wenig ein Problem, wie er mit meinen Hosen. Wir sind ein eingespieltes Team, wenn auch darunter hin und wieder die Beziehung leidet und man sich nicht ganz so oft sieht, wie man es sich vielleicht anfangs gewünscht hat. „Ich passe schon auf. Außerdem bin ich gegen alles geimpft und ich hatte nicht vor, mich im Busch zu verirren", murre ich daher ironisch in meine Tasse, erhebe mich dann aber doch von meinem Platz und gehe raus in den Garten. „Mates." Meine Mutter folgt mir, legt ihre Hand auf meine Schulter und lächelt schwach. „Ich mache mir doch nur Sorgen. Du bist zwar bereits erwachsen, aber du wirst immer mein Kind bleiben. Egal, wie alt du bist." „Das weiß ich auch", nuschele ich vor mich hin, seufze leise und lasse es zu, dass meine Mutter mich in eine Umarmung zieht, mich sanft an sich drückte. „Wann fliegt ihr denn?" „Schon morgen Nachmittag", erkläre ich, werde losgelassen und ernst angesehen. „Hast du schon gepackt?" Hatte ich bereits gestern schon und nickte daher stumm. „Was ist mit Dominik? Seht ihr euch nochmal?" Mit einem Kopfschütteln verneine ich die Frage und ebenso, ob ich mich bereits von Kai und Sebastian verabschiedet habe. „Mum bitte, ich bin nur sechs Wochen weg und nicht die nächsten Jahre." Himmel, nein, sie stellt sich aber auch an. „Schön, aber von Ben wirst du dich noch verabschieden können. Er kommt heute Abend und dann kannst du ihm von deinem Job endlich mal erzählen." Der Ton klingt nicht nur streng, er spiegelt einen Vorwurf wider und letztendlich ist es das auch. Ben weiß weder von meinem Freund, noch von Bali und ebenso wenig, wie ich mein Geld verdiene. Er ist zu beschäftigt mit seinem Studium und die wenige Zeit, die er hat, verbringt er dann lieber mit James, den ich mittlerweile via Skype, einmal gesehen habe. Scheint ganz nett zu sein, hat ein freches Grinsen auf den Lippen und scheinbar den Schalk im Nacken sitzen. Ergänzen sich genauso wie Sebastian und Kai und die beiden sind noch schlimmer, als mein Bruder es je sein könnte. Alleine ihr Gerede, ich will nicht mal darüber nachdenken und so manches Mal schüttelt es mich und ich werfe mit Bierdeckeln. Anders ist denen nicht mehr zu helfen und ich bin froh, dass Dominik da anders tickt. Hin und wieder jedoch zu meinem Leidwesen. „Ich rede mit ihm, sofern er alleine kommt." „Tut mir leid, aber er bringt James mit und ihr solltet das endlich einmal klären, wie Brüder das so machen." Meine Mutter scheint ziemlich genervt zu sein, sie sieht mich mahnend an und noch ehe ich protestieren kann, ist sie auch schon wieder nach drinnen verschwunden. Schöne Scheiße und das kurz bevor ich nach Bali fliege und neben dem Job endlich mal ausspannen kann. Die Schuld trage ich jedoch selber, ich hätte mich melden und mit Ben reden müssen. Von James hat er mir gleich erzählt und ich habe es nicht mal geschafft reinen Tisch zu machen. Ich bin nicht nur dumm, ich bin obendrauf auch noch feige. Ben wird mir nicht den Kopf abreißen, nur weil ich meinen Freund im Chat kennengelernt habe, er einen fragwürdigen Beruf und diesen erst vor kurzem an den Nagel gehängt hatte. Vermutlich wird er ähnlich wie Kai reagieren, wobei ich mir da nicht ganz so sicher bin. Von meinem Outing weiß er genauso wenig, ebenso, dass ich mich zu Jungs mehr hingezogen fühle als zu Mädchen. Von denen weiß er einiges und Ben weiß sogar, dass ich immer noch nicht zum letzten Schritt gegangen bin. Er fand es damals völlig okay, hat sich darüber nie lustig gemacht oder Anzeichen, dass ich ein Spätzünder bin. Ich weiß echt nicht, warum ich mich so anstelle, Schiss vor meinem eigenen Bruder habe? So schlimm ist er nicht. Er war immer für mich da, selbst als James neu in sein Leben trat. Ich bin es, der sich kaum meldet, sich zu viele Gedanken macht und am Ende Angst hat, er könnte sich distanzieren. Warum? Ben ist genau wie ich, steht auf Jungs, ist verliebt und glücklich mit James. Nichts Unnatürliches, nur mit dem Unterschied, dass James in einer Anwaltskanzlei arbeitet und mein Freund die Hüllen fallen lässt. Kapitel 2: Von Bruder zu Bruder ------------------------------- Mir kommt es vor, als würde ich im Regen stehen oder schlimmer noch, ich stehe an einer Klippe und meine Mutter hat mir zuvor dafür den Anstoß gegeben. Viel Zeit um irgendwie Herr der Lage zu werden habe ich nicht mal mehr, mein Bruder ist bereits auf dem Weg und das zusammen mit seinem Lover, den ich nicht richtig kenne. Einmal sehen zählt schließlich nicht unbedingt dazu, dass man jemanden kennt, schon gar nicht, wenn man sich nur über eine Kamera gesehen und unterhalten hat. Mist, ich bin am Arsch, aber sowas von. Manchmal habe ich wirklich die Reaktion von einem Amboss. Vermutlich aber ist noch schlimmer, dass mich irgendwo da draußen das Karma auslacht und laut schreit: "Ich hab dich gefickt!" Mehr oder weniger hat es das wohl und dafür könnte ich mich ohrfeigen. Allein dafür, dass ich die Sache mit meinem Bruder so lange aufgeschoben habe. Immerhin hat er irgendwie das Privileg mehr über mein Leben zu wissen, ebenso was in mir vorgeht und was derzeit alles so ansteht. Früher war es nicht anders gewesen und ich frage mich, wann ich aufgehört habe, Ben alles zu erzählen. Vermutlich als er ausgezogen ist, kaum noch Zeit hatte und ich mich mehr oder weniger an Kai gehalten habe. Sebastian gab es damals nicht mehr, ebenso den Kontakt zu ihm, der ebenso abgebrochen war und das, obwohl man Instagram und Co hat. Ich bin nicht nur ein Scheiß Freund, ich bin auch ein beschissener Bruder. Danke, liebes Karma, für diese Erkenntnis. Und danke dafür, dass ich hier stehe und das Gefühl habe, ich stünde neben mir. „Hier steckst du also." Bens Stimme, die mich nicht nur zusammenzucken lässt, sondern auch aus meinen Gedanken reißt. „Hey …" Mehr kommt erstmal nicht von meiner Seite, eher drehe ich mich um und blicke ihn ein paar Minuten lang einfach nur an. Noch immer ist er größer als ich, dennoch hat er die gleichen braunen, sanften Augen, wie Mum und ich sie haben. „Wie geht es dir?", fragte er dann aber doch, kommt langsam näher auf mich zu und noch ehe ich antworten kann, zieht er mich in eine brüderliche Umarmung. Es tut sogar gut und wie damals als kleines Kind, kuschel’ ich mich unbewusst an die Brust meines Bruders, der vertraut über meinen Rücken streichelt und mir einen Kuss auf den Haarschopf drückt. „Hast dich so gar nicht verändert." „Ich bleibe gerne ein Zwerg, der kommt besser durch verborgene Schlupfwinkel", witzel’ ich darauf hin, muss leise lachen und löse mich dann von Ben. Er mustert mich von oben bis unten. „Etwas ist aber doch anders." Er macht einen Schritt auf mich zu, streckt die Hand aus und erst da ahne ich, was er meinen könnte. Der Knutschfleck an meinem Hals. „Ähm, der ist nicht von Kai, der ist …" „Ach, hast du endlich einen Partner?" Ben grinst breit bei seiner Frage und doch komme ich nicht umhin, zu nicken und blöd vor mich hin zu grinsen. „Wow, wer ist es?" „Es ist ein Er und heißt Dominik", erwidere ich meinem Bruder auf die Gefahr hin, dass er über den Namen genauso wie Mum anfangs lachen würde. Ben lacht zu meinem Erstaunen nicht. „Seit wann geht das so und wie habt ihr euch kennengelernt?" Mist, jetzt kam die halbe Wahrheit auf einen Schlag heraus und das schneller als gewollt. „Ist nicht so einfach zu erklären und war anfangs auch ein ziemliches Chaos", merke ich vorerst an, greif in meine Hosentasche, angel aus dieser meine Zigaretten heraus und zündete mir eine an. Ben grinst, setzt sich auf die weiße Holzbank seitlich unserer Terrasse und deutet mir an, dass ich mich neben ihn setzen soll. Ich tue es, ohne nachzudenken, stecke mir allerdings eines der grauen Kissen hinter den Rücken und blicke starr geradeaus, während ich weiterhin rauche und mir Gedanken mache, wie ich das mit meinem Job und meinem Freund erklären soll. „Es war eine App, eine Dating-App und bevor du jetzt meckerst, kann ich dir sagen, dass Kai dabei war und Dominik kein Typ ist, der nur die schnelle Nummer sucht." „Hab ich auch nicht angenommen oder in irgendeiner Form angedeutet." Sachte wird mir durch die Haare gewuschelt und das Klicken eines Feuerzeuges verrät mir, dass auch Ben immer noch raucht. „Wie ist er so, was arbeitet er?" Immer mehr Fragen tauchten auf, aber es war gut, denn die Frage nach seinem Job wäre damit auch vom Tisch. „Dominik ist toll. Er ist groß, ist gut gebaut, hat Sinn für Humor und er ist Model so wie ich auch." „Model?", wiederholt mein Bruder und allein an seiner Stimmlage kann ich deutlich erkennen, dass er überrascht, aber auch besorgt klingt. „Ja, Model. Aktmodell, aber das tut er allein und nicht mit mir", erwidere ich sachlich, stelle mich auf die Moralpredigt schlechthin ein und doch bleibt sie aus. „Du bist kein Kind mehr, du musst wissen, was du tust. Und wenn du das mit dir und deinem Freund arrangieren kannst, dann ist das deine, beziehungsweise eure Sache." Ben hat recht, ich bin kein Kind mehr, zwanzig Jahre alt und in wenigen Tagen habe ich mein erstes großes Shooting und das auf Bali. „Danke, Ben", murmel ich und tue etwas, was ich lange nicht getan habe, lehne mich an ihn an und es ist, als wären wir plötzlich wieder Kinder. Ben ergeht es da nicht anders, er drückt mich sachte an sich und doch weiß ich genau, wie er tickt, es ausnutzt und mich gnadenlos durchkitzelt. „Darf man mitmachen?" James steht plötzlich vor uns, grinst jedoch und noch bevor wir beide irgendwas sagen können, setzt er sich frech zwischen uns. „Das ist also dein kleiner Bruder." „Und du bist James", stelle ich ernüchternd fest, reiche ihm die Hand und mir fällt auf, dass er scheinbar genauso groß wie ich ist. Hurra noch ein Zwerg im Land der Riesen. Und noch jemand, dem es egal ist, der auf Leitern verzichtet und den Reiz an größeren Männern gefunden hat. „Genau der bin ich. Kannst mich aber auch Jam nennen!", schlägt der blonde Kerl mit den haselnussbraunen Augen neben mir vor. „Ich denke, ich bleibe bei James. Klingt besser, finde ich." Ein Grinsen legt sich auf meine Lippen, welches noch breiter wird, da mein Handy vibriert und eine Nachricht von Dominik eintrifft. Mit Bild und das am Flughafen. Daneben seine Freunde und Kollegen. „Ist er das?", will Ben wissen und deutet auf das Bild auf meinem Handy. „Ja, der Große mit den braunen Augen." „Der da?" James deutete genau auf meinen Freund und wieder nicke ich. James sieht sofort besorgt zu meinem Bruder, dann wieder zu mir. „Du weißt schon, was der Kerl beruflich macht?" „Ja, das weiß ich und ja, ich weiß, was er mal gearbeitet hat", seufze ich und es klingt genervter, als es gemeint ist. „Er dreht keine Pornos mehr, macht er schon seit sechs Monaten nicht mehr und hat auch keinerlei Interesse daran, nochmals die Fronten zu wechseln." „Wenn du meinst. Ich hätte da keine ruhige Minute, aber es ist auch deine Sache und du musst das mit dir selber vereinbaren." Wie mein Bruder, nur jünger und kleiner. Kein Wunder, dass sie so gut harmonieren und das nahezu perfekte Paar abgeben. „Mates ist alt genug und er ist nicht auf den Kopf gefallen. Er wird das schon schaffen und ob er das nun gemeinsam mit Dominik schafft, ist deren Ding und nicht unseres", mischt sich Ben ein. Dennoch ist sein Blick ernst, seine Haltung gleicht der eines Gladiators und ich weiß genau, was er andeuten will. Bricht er dir das Herz, brech ich ihm die Knochen. Ich würde auch so denken, wäre ich der Ältere von uns. Ben ist mir trotz allem wichtig und ich verstehe immer noch nicht, wie ich so dumm sein und den Kontakt so knapp halten konnte. Meine Sorgen und Ängste sind jedenfalls völlig unbegründet und ich hab den besten Bruder der Welt. Ben ist und war ein toller Bruder, dazu meiner und für nichts auf der Welt würde ich ihn eintauschen wollen. "Wir sollten öfter reden und wenn es nur für ein paar Minuten am Tag ist", lenkt ich daher leise ein, ehe ich aufsehe, meine Mutter an der Veranda-Tür erblicke, wie sie uns mit einer liebevollen Geste nach drinnen winkt. "Jeden Tag? Hmm", brummt es neben mir nachdenklich. "Ja, jeden Tag. Ich will nicht wieder wie ein kleiner, beschissener Bruder dastehen", beschwere ich mich unterschwellig und trotte schon zurück zum Haus. "Du bist kein beschissener Bruder. Wie kommst du darauf?", will er wissen, holt mich locker ein und hält mich davon ab, hereingehen zu wollen. Hin und wieder schon und da kann Ben sicher nicht widersprechen. Auch jetzt nicht und schon gar nicht, im Beisein seines Freundes, der seit fast drei Jahren an seiner Seite ist und einiges mitbekommen hat. "Der Kontakt war die letzten Jahre mies und das lag nicht daran, dass du keine Zeit oder nur wenig Zeit hattest. Ich hätte mich von selber melden müssen." Ben nickt verstehend. "Starten wir einfach neu. Wir haben alle Zeit der Welt und ich hätte auch mehr auf dich eingehen müssen." Ja schon, aber sein Studium, dazu die Arbeit und … was arbeitet er eigentlich? Schon peinlich, dass ich ausgerechnet das nicht weiß. Wobei es auch egal ist, immerhin ist Ben fünf Jahre älter und wird schon wissen, was er tut. Dennoch wurmt es mich. So sehr, dass ich wütend die Fäuste balle und mir heftig auf die Unterlippe beiß. "Ich weiß nichts mehr über dich. Gar nichts", knurre ich sauer vor mich hin, gemischt mit einem Gefühl von Enttäuschung und Verzweiflung. Ben seufzt und zieht mich zu sich. "Hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Wir waren beide nicht wirklich füreinander da." Ein Zustand, der schmerzt, mir die Tränen in die Augen treibt und mich heftig schlucken lässt. Ich fühle mich hilflos und ich wünsche mir, Kai oder Sebastian wären hier. Es ist nicht so und ich will auch nicht zu meinen Eltern und schon gar nicht will ich Schwäche zeigen vor James und meinem Bruder. "Ich muss noch was einpacken", entschuldige ich mich, reiß mich einfach los und stürme nach oben in mein Zimmer. Kapitel 3: Frust ---------------- Scheiße. Verdammte Scheiße. Innerlich fluche ich laut, äußerlich aber laufen mir einfach nur die Tränen und es reißt mir den Boden buchstäblich unter den Füßen weg. So rasant, dass ich glaube zu fallen, mich setzen muss und dem Drang zu widerstehen, irgendwas zerschlagen zu wollen. Hilflos und völlig überfordert sitze ich an der Kante meines Bettes, blicke starr den Boden unter mir an und knete nervös meine Hände. Alles scheiße und so solle ich morgen nach Bali fliegen und einen guten Job machen? Mit der Laune und dem Fass an Gefühlen, die kontinuierlich auf mich niederprasseln? Im Leben nicht, ich werde derart verkacken oder aber irgendeiner meiner Kollegen ungespitzt in den Boden stampfen, sollte ein falsches Wort fallen. Nie und nimmer kann ich das verantworten und ich bin kein Mensch, der so einfach andere angreift oder seine Laune an diesen auslässt. Heißt Arschbacken zusammenkneifen und reden. Scheinbar hat mein Bruder den gleichen Gedanken, steht bereits in meiner Zimmertür und räuspert sich dezent. "Geht es wieder?" Stumm schüttele ich den Kopf, weiche Bens Blicken aus und doch mache ich ihm Platz, damit er sich neben mich setzen kann. "Solche Ausbrüche kenne ich gar nicht von dir", fängt er an und legt seinen Arm um mich. "Läuft es nicht so, wie du es dir erhofft hast?" Wieder schüttel ich den Kopf und beiße mir dabei auf die Unterlippe. "Mates? Hey?" Fast zucke ich zusammen, dann aber bricht alle aus mir heraus und ohne, dass ich dagegen ankämpfen kann, laufen mir erneut die Tränen. Mit irgendwem muss ich reden, mich anvertrauen und Kai weiß davon genauso wenig, wie Sebastian oder sonst irgendjemand. Mich frisst das langsam auf, es ist der Grund, dass ich immer mehr und mehr ausbreche und mich nicht sofort wieder unter Kontrolle habe. Ben hat sogar Verständnis und ich habe nicht das Gefühl, dass er es witzig oder als kindisch empfindet, nur weil Dominik mich auf Abstand hält und offenbar nicht mit mir schlafen will. "Du solltest ihn darauf ansprechen. Nur so könnt ihr das Problem in den Griff kriegen und vielleicht empfindet er das auch anders, als du." "Ben, es ist fast ein halbes Jahr. Sebastian und Kai ..." Noch bevor ich weitersprechen kann, fällt mir mein Bruder ins Wort und seufzt. "Du kennst Kai besser als ich und du weißt, dass er anders tickt. Sebastian sicher auch und die beiden sind auch aktiver, was das betrifft." Schmollend sitze ich da, aber scheinbar hat er recht, zumindest was Kai angeht. Ich habe genug von seinen sexuellen Ausschweifungen mitbekommen und war selber einmal Teil dieser gewesen. "Ich kann aber doch nicht einfach jetzt anrufen und ihm an den Kopf knallen, dass ich seinetwegen frustriert bin", maule ich kindlich, bocke und verschränke unterstreichend die Arme vor der Brust. Nun lacht Ben doch, aber er tut es nur, weil es falsch und nicht nach einem Problem klingt. "Wenn es dir peinlich ist, dann schreib es ihm. Musst es ihm ja nicht direkt um die Ohren knallen." Schreiben ist eine gute Idee, es klingt nach einem soliden Plan, den ich gefahrlos umsetzen kann und das so, dass man mir meine Unsicherheit nicht auch noch anmerkt. Schlimm genug, dass ich darüber nicht offen reden kann, mich mehr als schlecht fühlte, weil ich lieber mit meinem Bruder darüber spreche, als mit meinem Freund, den es genauso betraf. "Das wird schon." Aufmunternd klopft mir Ben auf die Schulter und lächelt. "Na komm, Mum wartet mit dem Essen." "Da ist noch was", murmele ich, da ich meine Reise fast schon vergessen habe, zu erwähnen. "Ich fliege morgen für einige Wochen beruflich nach Bali." "Bali? Bor du Glückspilz", stöhnt mein Bruder theatralisch auf. "Du bist nicht sauer, dass ich dir das alles verschwiegen habe?" Ben schüttelt den Kopf, zieht mich zu sich und drückt mich fest an sich. "Du bist mein kleiner Bruder und ich kann dir nicht böse sein." Leise muss ich lachen und blicke ihn frech von unten heran an. "Meinem Dackelblick kann eben keiner widerstehen. Der zahlt sich aus." Nun muss auch mein Bruder lachen. "Na komm, Mums berüchtigte Paella wartet." Himmel, die habe ich gar nicht mehr auf dem Schirm und sie ist die Beste, die man in Prag finden kann. "Wer zuerst unten ist." Frech zwicke ich Ben in die Seite, renne in den Flur und in Richtung Treppe. "Na warte", knurrt er gespielt, folgt mir und fast zeitgleich kommen wir im Esszimmer an, setzen uns an unseren Platz und sehen uns schelmisch grinsend von der Seite an. Blödsinn unter Brüdern tut gut, es lenkt ab und mir hat es gefehlt, einfach mal wieder so unbefangen zu sein. Ben muss öfter zu Besuch kommen, Zeit mit mir verbringen und ganz großer Bruder sein. Ein Geschwistertag. Nur er und ich. Mein Problem, was mir erneut durch den Kopf geht und mich fast anschreit. Schreib es ihm, wenn du es ihm nicht sagen kannst. Die Worte klingeln in meinen Ohren, auch nach dem Essen noch und immer wieder blicke ich verstohlen auf mein Handy. Unbemerkt bleibt das nicht, meine Mutter sieht mich skeptisch an und auch mein Vater macht den Anschein, als würde er wissen wollen, warum ich mich so seltsam benehme. „Aufgeregt?", fragt er daher und ein Lächeln umspielt dabei seine Lippen. „Schon, ist schließlich das erste Mal, dass ich ohne euch fliege", erwidere ich, sehe dabei jedoch schon wieder auf mein Handy, nehme es schließlich in die Hand und öffne WhatsApp. „Das wird schon, Schätzchen. Fliegen bist du gewohnt und sechs Wochen ist gar nicht so lange, wie du denkst", lenkt nun auch meine Mutter ein, worauf ich jedoch nur nicke und bereits den Chat mit Dominik geöffnet habe. Online ist er nicht, zuletzt heute Morgen und da hatten wir kurz hin und her geschrieben. Vermutlich sitzt er noch im Flieger oder er leidet unter dem sogenannten Jetlag und schläft bereits. „Weißt du nicht, was du schreiben sollst?" „Nicht wirklich", murmele ich Ben zu und erwische mich selber dabei, den Chat immer wieder auf und wieder zuzumachen. Für mich ist das schwer, ich habe keine Ahnung, wie ich mein Problem schildern soll und die Angst vor seiner Reaktion frisst mich innerlich beinahe auf. „Denk nicht dran, schreib einfach, was dich stört und warte ab, was er dazu sagt", rät mir mein Bruder und zwinkert mir aufmunternd zu. Leichter gesagt als getan und am Tisch sitzen mir eindeutig dann doch zu viele Leute und das verunsichert mich nur noch mehr. „Kann ich nach oben gehen, Mum? Oder wenigstens rüber ins Wohnzimmer?" „Hast du Geheimnisse?", fragt mein Vater direkt nach und ich fühle mich ertappt wie ein kleines Kind, das Blödsinn gemacht hat. „Nicht direkt, jedenfalls nichts Schlimmes", nuschele ich dennoch, stehe bereits von meinem Platz auf und räume meinen Teller in die Spülmaschine. „Ist nur so ne Sache zwischen Dominik und mir." „Was denn für eine Sache?", will nun auch meine Mutter wissen und ein gewisses Misstrauen liegt in ihrem Blick, der bohrend auf mir liegt und mich festnagelt. „Mum bitte, das ist nicht wichtig." Bevor sie weiter fragen kann, mogel ich mich rüber ins Wohnzimmer, setze mich auf die Couch und lege den Kopf in den Nacken. Minutenlang starre ich einfach an die Decke, überlege hin und her und zuckte heftig in mich zusammen, als Ben plötzlich neben mir sitzt und einen Zettel reicht. Wortlos nehme ich ihn an, lese mir die Worte durch und runzelt empört die Stirn. „Das kann ich so doch nicht schreiben." „Mach es kurz und schmerzlos. Alles andere bringt euch beide nicht weiter", rät Ben, legt den Arm um mich und drückt mich aufmunternd, ehe er mir sachte durch die Haare wuschelt. „Wehe er ist dann sauer", maule ich, nehm dabei mein Handy und schreib Dominik tatsächlich das, was auf dem Zettel stand. Nichts anderes steht da, dass ich frustriert und endlich vögeln will. Hoffentlich ist das kein Fehler, die Nachricht ist geschrieben und wenn ich sie jetzt löschen würde, würde man das dennoch sehen und bestimmt nach dem Grund fragen. Ich sitze in der Zwickmühle und fühle mich noch schlechter als vor wenigen Stunden. Mein Herz hämmert wie ein Presslufthammer gegen meinen Brustkorb, mein Körper fängt das Zittern an und mir ist, als würde mir jemand die Hände um den Hals legen und die Luft abdrücken. Minuten verstreichen, nichts geschieht. Immer wieder sehe ich angespannt auf mein Handy und das so lange bis tatsächlich zwei Haken erscheinen und Helmut online ist. Schwer schlucke ich den Kloß in meinem Hals runter, lehne mich an meinen Bruder und ignorierte James, der sich uns gegenüber gesetzt und Tee auf den Tisch gestellt hat. „Baldrian wäre vielleicht besser gewesen, hm?" „Ne, ein Schnaps wär mir echt lieber", erwidere ich dem Freund meines Bruders, der lachend aufsteht, in die Küche rübergeht und kaum später wirklich mit einer Flasche Alkohol wiederkommt. „Hab leider nur ne Flasche Wein, aber ich denke, der tut es in deinem Fall auch." „Hmm bestimmt und morgen hab ich nen dicken Kopf", murre ich, nehm aber dennoch ein Glas Wein an und stelle es vorerst auf dem Tisch neben dem Tee ab. Keine Antwort von Dominik, dennoch ist er noch online und bei genauerem Hinsehen stelle ich fest, dass er am Tippen ist. Jetzt bin ich wirklich nervös, greife zum Wein und lege vorerst mein Handy weg. Ich werde schon mitkriegen, wenn eine Antwort eintrifft und wenn ich ehrlich bin, will ich die lieber nicht wissen. Bestimmt übertreibe ich und bekomme das gleich an den Kopf geknallt oder schlimmer noch, ich soll mich nicht so anstellen und es sein lassen. Pfff von wegen sein lassen oder nicht anstellen. Für mich ist das belastend und das seit Wochen schon. So sehr, dass ich immer wieder ausbreche und keiner richtig weiß, was los ist. Vor einigen Tagen erst habe ich Jiri ziemlich böse angefahren, warum weiß ich selber nicht mehr, aber man sah deutlich, dass er von meinem Verhalten nicht sonderlich begeistert war. Zwar habe ich mich entschuldigt, aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, ich habe ihn schlimmer an den Kopf gestoßen, als mir lieb ist. Er wirkt jedenfalls so auf mich und seither agiert er auf mich irgendwie seltsam distanziert, was sicher ganz förderlich für Bali war. Mit Sicherheit nicht. Urlaub des Grauens, beziehungsweise Arbeit unter Hochspannung. Ja doch, das beschreibt es ganz gut, ich sehe mich schon vor einem Elektrozaun und Bum ... ab durch den Busch an den nächsten Baum oder die nächste Hauswand. Weiter kann ich meine Gedanken nicht ausführen, mein Handy vibriert, reißt mich aus den Gedanken und löst extreme Bauchschmerzen in mir aus. So, als würde mir jemand einen fetten Knoten in den Magen verpassen, der sich nur schwer wieder lösen lässt. Okay, Augen zu und durch, doch bevor ich zu meinem Handy greife, leere ich zuvor in einem Zug mein Weinglas. Alkohol hilft bekanntlich gegen alles, auch gegen meine Hummeln im Arsch, die scheinbar laut zu summen beginnen und den Knoten in meinem Bauch nur noch verschlimmern. „Willst du nicht wissen, was er schreibt?" Nein, will ich nicht und dann doch und nein und ... Immer so weiter und dann passierte es, mein Handy klingelt, Dominik ruft an und versetzt mich endgültig in Panik. Scheiße und jetzt? Klopfenden Herzens nehm ich das Gespräch an, bekomme jedoch nur ein piepsiges „Hallo" heraus und muss mich erstmal räuspern, da ich das Gefühl habe, der Frosch in meinem Hals würde immer größer werden. „Gehts?", will mein Freund am anderen Ende der Leitung wissen und mir ist, als klinge er besorgt darüber, dass ich mich wie der erste Mensch anstelle. „Geht schon", krächze ich in mein Handy, huste nochmals kräftig und ein letztes Räuspern befreit meine Hehle endgültig von dem unliebsamen Gast. „Sicher?" „Ja, hatte nur einen Frosch im Hals", erkläre ich meinem Freund, lehne mich zurück und doch beiße ich mir auf die Unterlippe und schiele unverfroren auf die Flasche Wein. Die lacht mich an oder lacht sie mich bereits aus? Mir egal, ich greife nach der Flasche, fülle mein Glas auf und ignoriere das Kopfschütteln meines Bruders. „Ich nehme an, du rufst wegen meiner Nachricht an." „Schon, aber können wir das bitte morgen klären? Ich bin echt alle von dem Flug." Äh ... ja ... sicher doch, schießt es mir durch den Kopf, blicke skeptisch mein Handy an und ehe ich darauf antworten kann, ist das Gespräch beendet. Ernsthaft, echt jetzt? „Das ist doch jetzt wohl nicht sein fucking ernst?", grummele ich wütend und schmeiß mein Handy achtlos auf den hölzernen Tisch vor mir. „Lief nicht so gut, hm?" James sieht mich mitfühlend an, während mein Bruder den Wein in Sicherheit bringt und stattdessen eine Flasche Wasser holt. „Ich hatte nicht vor, mich zu betrinken", beschwere ich mich lauthals, bocke noch eine ganze Weile und lehne mich dann doch an meinen Bruder an. „Redet einfach morgen in Ruhe, die Nachricht war immerhin nicht ganz ohne." „Hmmm ..." Müde kuschele ich mich dichter an Ben, ignoriert James, schließe die Augen und schlafe irgendwann ein. Kommentare sind wie immer gerne gesehen und erwünscht, wenn dir das Kapitel gefallen hat. Kapitel 4: Noch kurz einen Kaffee --------------------------------- Kein Stück schlauer lasse ich mich am nächsten Tag von Ben und seinem Freund James zum Flughafen fahren. Noch immer frage ich mich, ob Dominik wirklich müde ist oder er mir und dem Gespräch einfach ausweichen will. Mein Bruder hat zwar versucht, mich noch zu beruhigen, ebenso sein Freund, aber diese Ungewissheit frisst mich buchstäblich auf und nagt an meinen Nerven. Mürrisch blicke ich daher auch aus dem Fenster, lasse Häuser, Bäume und andere Autos an mir vorbeiziehen. Mein Handy lasse ich unbeachtet in meiner Hosentasche, habe sogar den Ton ausgeschaltet, um nicht dauernd zu gucken, ob er sich gemeldet hat. Ich hab nicht mal die leiseste Ahnung, welche Uhrzeit in Kapstadt ist oder wie viele Stunden zwischen und liegen? Jetzt nicht und auch nicht, wenn ich auf Bali bin. Interessiert mich ehrlich gesagt auch nicht. Es ist mein Job, das, womit ich mein Geld verdiene. Alles andere soll mich nicht kümmern oder ablenken. Leicht gedacht. Ich kenne mich, weiß, dass ich den Kopf oft in den Wolken habe und nicht abschalten kann. Das weiß auch Ben, der mich anstupsen und meine Aufmerksamkeit will. "Was ist?", frage ich knapp, sehe ihn aber nicht an. Deutlich höre ich sein Seufzen und ganz sicher verdreht er dabei wieder seine Augen. Ich kenne ihn. Ben reagiert immer so, wenn ihm jemand ausweicht. "Kopf hoch. Bali wartet und ganz ehrlich, ich bin neidisch und wäre mehr als glücklich, wenn ich fliegen könnte." "Ben, ich mache meinen Job, keinen Urlaub. Ich werde also nicht viel sehen", erwidere ich noch immer aus dem Fenster blickend. "Das weiß ich doch. Trotzdem kannst du dich doch ein bisschen freuen, mal ein anderes Land bereisen zu können." Er lässt nicht locker, versucht es positiv zu sehen und mich damit anzustecken. Leider erfolglos und zum Scheitern verurteilt. Mein Kopf hängt einfach zu sehr bei meinem Freund, daran, dass er mich gestern einfach abgewürgt hat, statt direkt zu reden. Ich frage mich noch immer, warum. Leise muss ich seufzen, blicke Ben endlich an, nachdem ich mich zu ihm drehe. "Meine Freude hält sich in Grenzen, aber vielleicht ändert es sich noch. Wer weiß." Und wenn nicht, dann ziehe ich einige Wochen eine Schnute und geh damit den anderen gehörig auf den Keks. Wundervolle Aussichten. Der Erste, der mich treten wird, ist Jiri oder doch Marty? Keine Ahnung, aber einer der beiden wird es sein, wenn ich nicht bald ein anderes Gesicht mache, oder meine Laune besser wird. Ein bisschen Zeit bleibt mir noch, der Flughafen liegt noch vor uns und parken müssen wir obendrauf, da Ben darauf besteht, mich zu begleiten. Wundert mich, dass er nicht schnell noch einen Flug gebucht hat und ganz mitkommt. Aber so ist mein Bruder. Immer darauf bedacht, dass es mir gutgeht, oder auch ja nichts passiert. Nicht ganz so schlimm wie Mum, aber nahe dran. Ein Schmunzeln legt sich unweigerlich auf meine Lippen. Das Erste an diesem Tag, vielleicht auch nicht das Letzte. "Wie Mum, nur nicht ganz so schlimm", rutscht es mir unverblümt heraus. Ben entweicht darauf ein Lachen. "Nun ja, dafür kommst du optisch sehr nach ihr und hast vieles vom Vater. Gleicht sich doch aus." Recht hat er. Meine Augen sind genauso braun, wie die unserer Mutter, ebenso habe ich ihre vollen Lippen geerbt und leider auch das leicht lockige, dunkle Haar. Manchmal nervt es so extrem, dass ich den Naturlocken mit dem Glätteisen zu Leibe rücke und Stunden im Badezimmer verbringe. Aussehen ist mir wichtig, noch wichtiger als Kleidung, die bei mir schon vieles ausmacht. Ben merkt scheinbar, dass ich wieder in Gedanken bin, verpasst mir ein Picken in die Seite. "Hey, wir sind da." Kaum merkbar zucke ich zusammen, blinzel und öffne die Autotür. Ben tut es mir nach, wartet, bis sein Freund den Kofferraum aufmacht und ich mein Gepäck an mich nehmen kann. Gut, dass ich zwei dieser Rollkoffer besitze, mein Rucksack als Handgepäck dient und mich nicht aussehen lässt, wie einer dieser Esel, die zu viele Lasten auf sich tragen. "Soll ich dir etwas abnehmen?", will mein Bruder dennoch wissen, was ich aber mit einem Kopfschütteln verneine. "Gut, wie du willst, aber beschwer dich hinterher nicht", merkt er weiterhin an. Ich und mich beschweren? Habe ich nie. Schon immer trag' ich meine Sachen selber, muss es später ohne Hilfe schaffen und Backsteine befinden sich keine in meinem Koffer. Außer, Ben hat sich einen Scherz erlaubt, was ich jedoch nicht glaube. James ist dafür mehr bekannt. Ben sagt das immer, dass sein Freund ein regelrechter Scherzkeks ist und gerne Streiche spielt. Mich hat er bis heute ausgelassen und ich hoffe, da kommt nicht noch etwas nach. Eilig nehme ich mein Gepäck an mich, stelle zu meiner Erleichterung fest, dass sich am Gewicht nichts verändert hat und James mir nicht übel zugespielt hat. Er schließt stattdessen den Kofferraum und anschließend den Wagen ab. "Ist noch Zeit für einen Kaffee?", will James wissen, ehe er lässig seine Hände mit dem Autoschlüssel in den Hosentaschen verschwinden lässt. Mein Blick gleitet automatisch durch die Runde, auf der Suche nach einer Uhr. Ben ist aber schneller, schaut auf sein Handy und nickt. "Wir haben noch gut eine halbe Stunde, bevor mein Bruder einchecken muss." "Klasse." Freudig reibt sich James wie ein kleines Kind die Hände, erinnert mich daran, wie ich damals reagiert habe, wenn es vor dem Abflug in den Urlaub Kakao gab. Unähnlich sind wir uns nicht. Jedenfalls im Verhalten, optisch hingegen mehr als deutlich. James ist blond, ich hingegen habe fast schwarze Haare, dazu leichte Locken und seines ist glatt. Hinzukommt, dass James Augen mehr Bernstein wirken und nicht so dunkel sind, wie die meinen. Unsere Lippen hingegen sind beide recht voll, wirken beinahe wie ein typischer Schmollmund und doch habe ich keine Grübchen in meinem Babygesicht. Nicht mal Barthaare, James dagegen trägt heute drei Tage und wirkt damit deutlich reifer. "Kommst du? Wir wollten doch noch Kaffee trinken!", drängt James mich ungeduldig. "Schlimmer noch als ich, wenn ich unbedingt etwas haben will." Ein Schmunzeln schleicht sich auf meine Lippen. Wieder etwas, was wir beide nicht wirklich gepachtet haben. Geduld, wenn man etwas möchte. "Kann sein", antwortet er mir frech und rennt, bevor er sich liebevoll von Ben eine einfängt, vor. Kopfschüttelnd sehe ich ihm nach. "Und er ist wirklich fünf Jahre älter als ich?", wende ich mich an meinen Bruder. "Ist er." Okay, gerade wirkt James nicht so, aber Blödsinn im Kopf haben, hält scheinbar jung. Sollte ich mir für die Zukunft merken, ewig zwanzig bleib auch ich nicht und irgendwann verwandelt sich mein Babygesicht in ein altes, faltiges, etwas, was keiner mehr sehen will. Abgesehen vielleicht von Dominik? Sicher bin ich mir da nicht, schlendere in Gedanken in das Flughafengebäude und stoße unsanft mit jemandem zusammen. "Sorry", nuschle ich hastig und stelle erleichtert bei genauerem Hinsehen fest, dass es sich um meinen Kollegen Jiri handelt, mit dem ich zusammengestoßen bin. Alles andere wäre peinlich und so schlimm ist er nicht. Er lächelt sogar. "Nichts passiert. Ne Beule wird es schon nicht geben", antwortet er locker, während er meinen Bruder ansieht, der wiederum ihn ansieht. "Oh", kommt es von mir. "Jiri, das ist mein Bruder. Er und sein Freund haben mich hergebracht." "Das erklärt einiges", erwidert Jiri noch immer freundlich, reicht Ben sogar die Hand. "Hab gar nicht gewusst, dass du einen Bruder hast." Das wissen viele nicht. Warum auch? Jiri und ich haben nicht viel miteinander zu tun und es reicht, wenn Dominik das weiß und sehr enge Freunde. Bisher haben wir uns einmal am Strand gesehen und danach zwei oder dreimal kurz in der Agentur. Privat habe ich mit ihm gar nichts zu tun. Ben lockert das Ganze jedoch auf. "Ich bin halt nicht interessant genug, um erwähnt zu werden", scherzt er. "Ach, echt?" Jiri sieht ihn interessiert an und lächelt. "Also ein hübsches Gesicht hast du allemal. Schon mal daran gedacht, auch Model zu werden?" Noch bevor Ben darauf antworten kann, taucht James aus dem Nichts heraus auf, dazu drei Becher Kaffee auf einem Pappteller. "Baggerst du gerade ernsthaft meinen Freund an?" Das muss jetzt sein. Drama am Flughafen und das nur wegen einer bescheuerten Frage. Am liebsten will ich mich davonstehlen, meinen Kaffee alleine trinken oder am besten gleich im Erdboden versinken. Warum muss mir auch immer sowas passieren? Zieh' ich sowas magisch an? Vielleicht werde ich auch von einer höheren Macht bestraft. Möglich ist alles. "Eigentlich hat er mir nur eine Frage gestellt", lenkt Ben glücklicherweise ein. "Hab ich mitbekommen", brummt James und wirkt nicht sonderlich überzeugt. "Aber mal ehrlich, im Arztkittel machst du dich besser, als auf irgendeiner billigen Schmuddel - Zeitung." "Du bist Arzt?", will Jiri wissen und ignoriert James vorerst, der mir endlich meinen Kaffee reicht. Dem Gespräch folgend nehme ich einen Schluck, bete, dass jetzt kein Streit entsteht. Einschätzen kann ich James aber nicht, dafür kenne ich ihn zu wenig und mein Bruder scheint nicht den Anschein zu erwecken, als würde er es genau darauf anlegen, dass es eskaliert. Ben wirkt eher entspannt, beantwortet sogar die Frage und greift schließlich zu seinem Kaffee. Um James zu beruhigen, haucht er ihm sogar einen Kuss auf die Wange, verhakt ihre Finger miteinander und deutet somit an, sie gehören zusammen. Schon süß, aber nicht zwingend notwendig. Jiri hat überhaupt keine Zeit für Beziehungen, ist dauernd unterwegs und mal ehrlich, wer geht näher auf einen Darsteller für Pornos ein? Kaum jemand. Abgesehen von mir, wobei Dominik diesen Job nicht weiter ausführt und das schon seit einem Jahr. Keine Ahnung, wie ich mich verhalten würde, würde er es noch heute tun. Hab mir darüber nie wirklich Gedanken gemacht. Ich habe auch derzeit ganz andere Sorgen. Seufzend leere ich meinen Becher Kaffee, wende mich kurz ab, um diesen zu entsorgen und sehe von Weitem Lukas und Marty auf uns zukommen. Dahinter wirken zwei Jungs, die ich nicht kenne, jedoch sehr vertraut miteinander und bestimmt sind sie die, die uns ebenfalls begleiten. Damit sind wir komplett, die Reise kann losgehen, der Abschied naht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)