Steil nach oben von Pragoma ================================================================================ Kapitel 3: Frust ---------------- Scheiße. Verdammte Scheiße. Innerlich fluche ich laut, äußerlich aber laufen mir einfach nur die Tränen und es reißt mir den Boden buchstäblich unter den Füßen weg. So rasant, dass ich glaube zu fallen, mich setzen muss und dem Drang zu widerstehen, irgendwas zerschlagen zu wollen. Hilflos und völlig überfordert sitze ich an der Kante meines Bettes, blicke starr den Boden unter mir an und knete nervös meine Hände. Alles scheiße und so solle ich morgen nach Bali fliegen und einen guten Job machen? Mit der Laune und dem Fass an Gefühlen, die kontinuierlich auf mich niederprasseln? Im Leben nicht, ich werde derart verkacken oder aber irgendeiner meiner Kollegen ungespitzt in den Boden stampfen, sollte ein falsches Wort fallen. Nie und nimmer kann ich das verantworten und ich bin kein Mensch, der so einfach andere angreift oder seine Laune an diesen auslässt. Heißt Arschbacken zusammenkneifen und reden. Scheinbar hat mein Bruder den gleichen Gedanken, steht bereits in meiner Zimmertür und räuspert sich dezent. "Geht es wieder?" Stumm schüttele ich den Kopf, weiche Bens Blicken aus und doch mache ich ihm Platz, damit er sich neben mich setzen kann. "Solche Ausbrüche kenne ich gar nicht von dir", fängt er an und legt seinen Arm um mich. "Läuft es nicht so, wie du es dir erhofft hast?" Wieder schüttel ich den Kopf und beiße mir dabei auf die Unterlippe. "Mates? Hey?" Fast zucke ich zusammen, dann aber bricht alle aus mir heraus und ohne, dass ich dagegen ankämpfen kann, laufen mir erneut die Tränen. Mit irgendwem muss ich reden, mich anvertrauen und Kai weiß davon genauso wenig, wie Sebastian oder sonst irgendjemand. Mich frisst das langsam auf, es ist der Grund, dass ich immer mehr und mehr ausbreche und mich nicht sofort wieder unter Kontrolle habe. Ben hat sogar Verständnis und ich habe nicht das Gefühl, dass er es witzig oder als kindisch empfindet, nur weil Dominik mich auf Abstand hält und offenbar nicht mit mir schlafen will. "Du solltest ihn darauf ansprechen. Nur so könnt ihr das Problem in den Griff kriegen und vielleicht empfindet er das auch anders, als du." "Ben, es ist fast ein halbes Jahr. Sebastian und Kai ..." Noch bevor ich weitersprechen kann, fällt mir mein Bruder ins Wort und seufzt. "Du kennst Kai besser als ich und du weißt, dass er anders tickt. Sebastian sicher auch und die beiden sind auch aktiver, was das betrifft." Schmollend sitze ich da, aber scheinbar hat er recht, zumindest was Kai angeht. Ich habe genug von seinen sexuellen Ausschweifungen mitbekommen und war selber einmal Teil dieser gewesen. "Ich kann aber doch nicht einfach jetzt anrufen und ihm an den Kopf knallen, dass ich seinetwegen frustriert bin", maule ich kindlich, bocke und verschränke unterstreichend die Arme vor der Brust. Nun lacht Ben doch, aber er tut es nur, weil es falsch und nicht nach einem Problem klingt. "Wenn es dir peinlich ist, dann schreib es ihm. Musst es ihm ja nicht direkt um die Ohren knallen." Schreiben ist eine gute Idee, es klingt nach einem soliden Plan, den ich gefahrlos umsetzen kann und das so, dass man mir meine Unsicherheit nicht auch noch anmerkt. Schlimm genug, dass ich darüber nicht offen reden kann, mich mehr als schlecht fühlte, weil ich lieber mit meinem Bruder darüber spreche, als mit meinem Freund, den es genauso betraf. "Das wird schon." Aufmunternd klopft mir Ben auf die Schulter und lächelt. "Na komm, Mum wartet mit dem Essen." "Da ist noch was", murmele ich, da ich meine Reise fast schon vergessen habe, zu erwähnen. "Ich fliege morgen für einige Wochen beruflich nach Bali." "Bali? Bor du Glückspilz", stöhnt mein Bruder theatralisch auf. "Du bist nicht sauer, dass ich dir das alles verschwiegen habe?" Ben schüttelt den Kopf, zieht mich zu sich und drückt mich fest an sich. "Du bist mein kleiner Bruder und ich kann dir nicht böse sein." Leise muss ich lachen und blicke ihn frech von unten heran an. "Meinem Dackelblick kann eben keiner widerstehen. Der zahlt sich aus." Nun muss auch mein Bruder lachen. "Na komm, Mums berüchtigte Paella wartet." Himmel, die habe ich gar nicht mehr auf dem Schirm und sie ist die Beste, die man in Prag finden kann. "Wer zuerst unten ist." Frech zwicke ich Ben in die Seite, renne in den Flur und in Richtung Treppe. "Na warte", knurrt er gespielt, folgt mir und fast zeitgleich kommen wir im Esszimmer an, setzen uns an unseren Platz und sehen uns schelmisch grinsend von der Seite an. Blödsinn unter Brüdern tut gut, es lenkt ab und mir hat es gefehlt, einfach mal wieder so unbefangen zu sein. Ben muss öfter zu Besuch kommen, Zeit mit mir verbringen und ganz großer Bruder sein. Ein Geschwistertag. Nur er und ich. Mein Problem, was mir erneut durch den Kopf geht und mich fast anschreit. Schreib es ihm, wenn du es ihm nicht sagen kannst. Die Worte klingeln in meinen Ohren, auch nach dem Essen noch und immer wieder blicke ich verstohlen auf mein Handy. Unbemerkt bleibt das nicht, meine Mutter sieht mich skeptisch an und auch mein Vater macht den Anschein, als würde er wissen wollen, warum ich mich so seltsam benehme. „Aufgeregt?", fragt er daher und ein Lächeln umspielt dabei seine Lippen. „Schon, ist schließlich das erste Mal, dass ich ohne euch fliege", erwidere ich, sehe dabei jedoch schon wieder auf mein Handy, nehme es schließlich in die Hand und öffne WhatsApp. „Das wird schon, Schätzchen. Fliegen bist du gewohnt und sechs Wochen ist gar nicht so lange, wie du denkst", lenkt nun auch meine Mutter ein, worauf ich jedoch nur nicke und bereits den Chat mit Dominik geöffnet habe. Online ist er nicht, zuletzt heute Morgen und da hatten wir kurz hin und her geschrieben. Vermutlich sitzt er noch im Flieger oder er leidet unter dem sogenannten Jetlag und schläft bereits. „Weißt du nicht, was du schreiben sollst?" „Nicht wirklich", murmele ich Ben zu und erwische mich selber dabei, den Chat immer wieder auf und wieder zuzumachen. Für mich ist das schwer, ich habe keine Ahnung, wie ich mein Problem schildern soll und die Angst vor seiner Reaktion frisst mich innerlich beinahe auf. „Denk nicht dran, schreib einfach, was dich stört und warte ab, was er dazu sagt", rät mir mein Bruder und zwinkert mir aufmunternd zu. Leichter gesagt als getan und am Tisch sitzen mir eindeutig dann doch zu viele Leute und das verunsichert mich nur noch mehr. „Kann ich nach oben gehen, Mum? Oder wenigstens rüber ins Wohnzimmer?" „Hast du Geheimnisse?", fragt mein Vater direkt nach und ich fühle mich ertappt wie ein kleines Kind, das Blödsinn gemacht hat. „Nicht direkt, jedenfalls nichts Schlimmes", nuschele ich dennoch, stehe bereits von meinem Platz auf und räume meinen Teller in die Spülmaschine. „Ist nur so ne Sache zwischen Dominik und mir." „Was denn für eine Sache?", will nun auch meine Mutter wissen und ein gewisses Misstrauen liegt in ihrem Blick, der bohrend auf mir liegt und mich festnagelt. „Mum bitte, das ist nicht wichtig." Bevor sie weiter fragen kann, mogel ich mich rüber ins Wohnzimmer, setze mich auf die Couch und lege den Kopf in den Nacken. Minutenlang starre ich einfach an die Decke, überlege hin und her und zuckte heftig in mich zusammen, als Ben plötzlich neben mir sitzt und einen Zettel reicht. Wortlos nehme ich ihn an, lese mir die Worte durch und runzelt empört die Stirn. „Das kann ich so doch nicht schreiben." „Mach es kurz und schmerzlos. Alles andere bringt euch beide nicht weiter", rät Ben, legt den Arm um mich und drückt mich aufmunternd, ehe er mir sachte durch die Haare wuschelt. „Wehe er ist dann sauer", maule ich, nehm dabei mein Handy und schreib Dominik tatsächlich das, was auf dem Zettel stand. Nichts anderes steht da, dass ich frustriert und endlich vögeln will. Hoffentlich ist das kein Fehler, die Nachricht ist geschrieben und wenn ich sie jetzt löschen würde, würde man das dennoch sehen und bestimmt nach dem Grund fragen. Ich sitze in der Zwickmühle und fühle mich noch schlechter als vor wenigen Stunden. Mein Herz hämmert wie ein Presslufthammer gegen meinen Brustkorb, mein Körper fängt das Zittern an und mir ist, als würde mir jemand die Hände um den Hals legen und die Luft abdrücken. Minuten verstreichen, nichts geschieht. Immer wieder sehe ich angespannt auf mein Handy und das so lange bis tatsächlich zwei Haken erscheinen und Helmut online ist. Schwer schlucke ich den Kloß in meinem Hals runter, lehne mich an meinen Bruder und ignorierte James, der sich uns gegenüber gesetzt und Tee auf den Tisch gestellt hat. „Baldrian wäre vielleicht besser gewesen, hm?" „Ne, ein Schnaps wär mir echt lieber", erwidere ich dem Freund meines Bruders, der lachend aufsteht, in die Küche rübergeht und kaum später wirklich mit einer Flasche Alkohol wiederkommt. „Hab leider nur ne Flasche Wein, aber ich denke, der tut es in deinem Fall auch." „Hmm bestimmt und morgen hab ich nen dicken Kopf", murre ich, nehm aber dennoch ein Glas Wein an und stelle es vorerst auf dem Tisch neben dem Tee ab. Keine Antwort von Dominik, dennoch ist er noch online und bei genauerem Hinsehen stelle ich fest, dass er am Tippen ist. Jetzt bin ich wirklich nervös, greife zum Wein und lege vorerst mein Handy weg. Ich werde schon mitkriegen, wenn eine Antwort eintrifft und wenn ich ehrlich bin, will ich die lieber nicht wissen. Bestimmt übertreibe ich und bekomme das gleich an den Kopf geknallt oder schlimmer noch, ich soll mich nicht so anstellen und es sein lassen. Pfff von wegen sein lassen oder nicht anstellen. Für mich ist das belastend und das seit Wochen schon. So sehr, dass ich immer wieder ausbreche und keiner richtig weiß, was los ist. Vor einigen Tagen erst habe ich Jiri ziemlich böse angefahren, warum weiß ich selber nicht mehr, aber man sah deutlich, dass er von meinem Verhalten nicht sonderlich begeistert war. Zwar habe ich mich entschuldigt, aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, ich habe ihn schlimmer an den Kopf gestoßen, als mir lieb ist. Er wirkt jedenfalls so auf mich und seither agiert er auf mich irgendwie seltsam distanziert, was sicher ganz förderlich für Bali war. Mit Sicherheit nicht. Urlaub des Grauens, beziehungsweise Arbeit unter Hochspannung. Ja doch, das beschreibt es ganz gut, ich sehe mich schon vor einem Elektrozaun und Bum ... ab durch den Busch an den nächsten Baum oder die nächste Hauswand. Weiter kann ich meine Gedanken nicht ausführen, mein Handy vibriert, reißt mich aus den Gedanken und löst extreme Bauchschmerzen in mir aus. So, als würde mir jemand einen fetten Knoten in den Magen verpassen, der sich nur schwer wieder lösen lässt. Okay, Augen zu und durch, doch bevor ich zu meinem Handy greife, leere ich zuvor in einem Zug mein Weinglas. Alkohol hilft bekanntlich gegen alles, auch gegen meine Hummeln im Arsch, die scheinbar laut zu summen beginnen und den Knoten in meinem Bauch nur noch verschlimmern. „Willst du nicht wissen, was er schreibt?" Nein, will ich nicht und dann doch und nein und ... Immer so weiter und dann passierte es, mein Handy klingelt, Dominik ruft an und versetzt mich endgültig in Panik. Scheiße und jetzt? Klopfenden Herzens nehm ich das Gespräch an, bekomme jedoch nur ein piepsiges „Hallo" heraus und muss mich erstmal räuspern, da ich das Gefühl habe, der Frosch in meinem Hals würde immer größer werden. „Gehts?", will mein Freund am anderen Ende der Leitung wissen und mir ist, als klinge er besorgt darüber, dass ich mich wie der erste Mensch anstelle. „Geht schon", krächze ich in mein Handy, huste nochmals kräftig und ein letztes Räuspern befreit meine Hehle endgültig von dem unliebsamen Gast. „Sicher?" „Ja, hatte nur einen Frosch im Hals", erkläre ich meinem Freund, lehne mich zurück und doch beiße ich mir auf die Unterlippe und schiele unverfroren auf die Flasche Wein. Die lacht mich an oder lacht sie mich bereits aus? Mir egal, ich greife nach der Flasche, fülle mein Glas auf und ignoriere das Kopfschütteln meines Bruders. „Ich nehme an, du rufst wegen meiner Nachricht an." „Schon, aber können wir das bitte morgen klären? Ich bin echt alle von dem Flug." Äh ... ja ... sicher doch, schießt es mir durch den Kopf, blicke skeptisch mein Handy an und ehe ich darauf antworten kann, ist das Gespräch beendet. Ernsthaft, echt jetzt? „Das ist doch jetzt wohl nicht sein fucking ernst?", grummele ich wütend und schmeiß mein Handy achtlos auf den hölzernen Tisch vor mir. „Lief nicht so gut, hm?" James sieht mich mitfühlend an, während mein Bruder den Wein in Sicherheit bringt und stattdessen eine Flasche Wasser holt. „Ich hatte nicht vor, mich zu betrinken", beschwere ich mich lauthals, bocke noch eine ganze Weile und lehne mich dann doch an meinen Bruder an. „Redet einfach morgen in Ruhe, die Nachricht war immerhin nicht ganz ohne." „Hmmm ..." Müde kuschele ich mich dichter an Ben, ignoriert James, schließe die Augen und schlafe irgendwann ein. Kommentare sind wie immer gerne gesehen und erwünscht, wenn dir das Kapitel gefallen hat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)