Wir, am Strand von KiraNear ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Während ich noch darüber nachdachte, wen Dean mit dem „alten Freund“ gemeint haben könnte, saß Andy immer noch stark verkrampft neben mir auf der Rückbank. Die Brüder dagegen tauschten vielsagende Blicke aus, als würden sie in Gedanken miteinander reden. Was verständlich war. Ich war jemand von draußen, jemand, der nicht Teil ihrer Jägerwelt war und somit keine Ahnung haben sollte, was gerade los war. Hin und wieder sah Sam auch zu mir, unsicher, wie er mir die Situation nun am besten erklären könnte; wieder tat er mir leid. Am liebsten würde ich ihm sagen, dass er ruhig offen sein kann, aber das kann ich nicht. Denn dann müsste ich ihnen erklären, warum ich so viel über sie weiß, obwohl wir uns erst am Vortag getroffen hatten und das würden sie mir nie glauben. Oder nie wirklich verarbeiten. Wie auch immer, irgendwie hoffe ich, dass wir in eine Situation kommen würden, in der sie mir die Wahrheit sagen mussten, damit es endlich eine offene Kommunikation zwischen uns geben könnte. Bis dahin würde ich meine Rolle weiterspielen und sehen, was die Zukunft bringt. „Hey, keine Angst, wir fahren einfach zu einem anderen Ort“, sagte Sam, nachdem er sich nun zum gefühlt hundertsten Mal in meine Richtung umgedreht hatte. Vermutlich dachte er, ich würde vielleicht in Panik ausbrechen oder in Tränen, oder paranoid herumfragen, was eigentlich los sei. Aber ich fühlte nichts davon, ich vertraute den Jungs, weil ich wusste, dass ich das konnte und so blieb ich ruhig. Was ihn wohl auch ein wenig irritierte. „Alles ok? Du kannst es ruhig sagen, wenn du Angst hast. Ich meine, klar, ich wollte dich gerade in die Klinik begleiten, aber wir haben dann entschieden, dass es doch besser ist, wenn wir die nicht nehmen.“ „Ja, der Arzt, den wir da gesehen habe, der alte Freund“, mischte sich Dean ein und kassierte dafür wieder einen strengen Blick seines jüngeren Bruders. „Den kennen wir, der hat mal in einer anderen Klinik gearbeitet, in der ich mal Patient war. Ziemlicher Scharlatan, muss ich dir sagen. Der sollte mir nur eine Spritze verpassen, aber der hat mich fast aufgespießt mit dem Teil. Wochenlang hatte ich einen blauen Fleck! Hat auch echt wehgetan, wie der mit der Nadel am Knochen rumgeschabt hat, so quiek, quiek …“, erzählte er seine Lüge, als er von seinem Bruder gestoppt wurde. „Ich denke, Kira kann sich nun ein sehr gutes Bild von der Lage machen“, sagte er und sah mich nun mit einer Miene an, als wollte er mich beruhigen. Und ich musste zugeben, Deans Beschreibungen haben meine Angst vor Spritzen getriggert. Zwar wusste ich, dass das alles nur eine Lüge war, dass Dean übertrieb, damit es einen realistischen Grund für ihr Verhalten gibt, dennoch gefiel mir das Kopfkino nicht, das mir die Beschreibungen verpasst hatten. Sofort legte ich meine rechte Hand an die Stelle, an welche ich oft geimpft werde und sah Sam an, nun nicht mehr ganz so ruhig. Dies schien er bemerkt zu haben, denn er sagte: „Keine Angst, wir werden nicht zusehen, dass du in die Hände dieses unfähigen Mediziners kommst.“ Was mich doch ein wenig beruhigte. Ich wusste, dass das, was Dean sagte, für einen Code stand, aber wenn die Jungs auf mich aufpassen würden, dann würde ich in Sicherheit sein. Und Andy sowieso. Ich wollte Sam einfach glauben, ich musste es. Für mein Seelenheil.   Sam räusperte sich, überlegte ein paar Momente und drehte sich dann wieder zu seinem Bruder um. „Gut, wohin fahren wir dann am besten? Kennst du noch einen guten Ort, am besten weiter weg, falls der Arzt … wieder seine Arbeitsstelle wechseln sollte?“, wollte er von Dean wissen, doch dieser schüttelte nur den Kopf. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich keine Ahnung hatte, in welchem Bundesstaat wir uns befanden. Somit hatte ich keine Ahnung, welcher Staat denn weit genug weg wäre. „Wo sind wir denn im Moment, ich hab grad nicht aufgepasst?“, fragte ich vorsichtig und Sam drehte sich wieder zu mir um. „In dieser Gegend hier kenne ich mich noch nicht so gut aus, und vielleicht, wenn ich wüsste, wo wir sind, dann könnte ich vielleicht helfen, einen passenden Ort zu finden. Einen, der weit weg ist. Ich meine, wenn ich schon so einen Umstand mache, dann kann ich auch ein bisschen mithelfen. Denke ich.“ Das schien Sam zu beeindrucken, überrascht, aber auch erfreut über meinen Gedankengang, drehte er sich wieder um und sah zur Straße hinaus. Dann schien er kurz zu überlegen, bevor er seine Antwort äußerte: „Wir müssten mittlerweile in Wisconsin sein. Also im Norden.“ Letzteres hatte er noch schnell hinzugefügt, vermutlich hatte er mir angesehen, dass mir das nicht viel zu sagen schien. Obwohl ich recht schnell eine Idee hatte, wollte ich mir das lieber nicht anmerken lassen. Auch war ich mir wegen dem Ortsnamen nicht mehr so sicher. „Habt ihr Jungs zufällig eine Karte im Handschuhfach, dann würde ich mal kurz einen Blick draufwerfen, vielleicht werde ich ja fündig?“, fragte ich vorsichtig und Sam begann in dem Fach vor seinen langen Beinen zu kramen. Er wurde recht schnell fündig und reichte mir die Karte nach hinten. „Hast du was im Hinterkopf?“, fragte er spaßeshalber nach. Zumindest klang es danach. „Ja, sowas in der Art“, sagte ich und begann, die Karte auseinanderzufalten. Versuchte mich zu orientieren, herauszufinden, wo Norden und wo Süden war. Schließlich wurde ich fündig, dennoch traute ich mich nicht zu fragen. Was, wenn sie mich dann wieder im Verdacht hätten? Wenn sie nun denken, ich möchte sie irgendwo hinlocken, in einen Hinterhalt oder eine Falle? Ich meine, sowas in der Richtung habe und hätte ich nie vor, aber das wissen die Jungs doch nicht. Was mache ich denn nun? Einfach die Karte zurückgeben und sagen, ich hätte keine Ahnung? Aber ich hab ja nun doch zugegeben, dass ich eine Idee im Hinterkopf habe … Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe und ich weiß nicht, wie lange ich auf diesen einen Punkt auf der Karte gestarrt hatte. Wie lange ich wieder mit meinem Gedanken-Karussell mitgefahren war. Irgendwann jedenfalls sprach mich Sam wieder an. „Hast du schon was gefunden?“, wollte er völlig unverfänglich von mir wissen und ich blickte hinter meiner Karte hervor. „Ja, ehrlich gesagt schon, aber ich weiß nicht, ob das wirklich so eine gute Idee ist.“ Sam zuckte mit den Schultern. „So lange ich die Idee nicht kenne, kann ich nicht beurteilen, ob sie gut ist oder nicht. Sag sie doch einfach“, meinte er und lächelte mich dabei an. Ich lächelte zaghaft zurück und versuchte dann, so harmlos und normal zu klingen, wie möglich. „Naja, ich habe mir Gedanken gemacht, weil ihr ja meintet, dass ihr so weit wie möglich von dem Arzt weg sein wollt. Also dachte ich mir zum Spaß erstmal: Warum nicht zum anderen Ende des Landes fahren? Deshalb wollte ich wissen, wo wir uns genau befinden, damit ich sagen kann, wo das andere Ende des Landes wäre.“ Ich faltete die Karte so zusammen, dass man nur noch den Umriss von Texas grob erkennen konnte. „Dann ist mir Texas ins Auge gefallen und ich dachte mir: Hey, warum eigentlich nicht? Mein Freund hat mir mal von diesem Ort da unten erzählt, Galveston“, sagte ich und deutete auf den Punkt, der auf der Karte mit dem Ortsnamen markiert worden war. „Er hat mir da mal erzählt, dass er da in der Gegend irgendwo mit seiner Mutter mal Krabben gegessen hat. Und bodenlose Nachos, die wohl auch ziemlich lecker waren … daher dachte ich, dass wir einfach dorthin fahren.“ Für einen kurzen Moment herrschte Stille und ich sah zu Andy hinüber. Zwar war dieser längst nicht mehr so verkrampft, aber er sah immer noch in die weite Ferne, ohne wirklich etwas zu anzusehen. „Außerdem könnte Andy wirklich etwas Abwechslung gebrauchen, um auf andere Gedanken zu kommen. Und wer weiß, vielleicht hilft mir die Meeresluft ja auch, damit es mir wieder besser geht. Dieser Traum war wirklich seltsam, vielleicht weil uns diese seltsame Frau verfolgt hat. Aber wenn wir so weit weg sind und uns ablenken, dann dürfte uns ja nichts Schlimmes passieren. Und ihr könnt in Ruhe das mit Andys Problem klären“, schlug ich vor, weil ich auf einmal wirklich dorthin fahren wollte. Vor allem wegen den bodenlosen Nachos. Sam sah mich an und er wirkte nicht so, als würde er hinter meinen Gedanken irgendwelche schlimmen Absichten vermuten. Doch vor allem Dean schien der Gedanke zu gefallen. „Bodenlose Nachos? Ja, das klingt doch nach einem Plan“, sagte er und schlug begeistert, aber auch vorsichtig aufs Lenkrad. Sam nickte ein wenig. „Ja, ich denke, das ist eine gute Idee, Andy könnte wirklich eine andere Luft vertragen. Und Meeresluft ist ja auch sehr gesund“, sagte er, doch ich hatte keine Ahnung, ob er dabei wirklich an Andy oder viel mehr an mich dachte. Immerhin sieht mich Sam als jemand mit Schizophrenie, nicht, dass er am Ende noch glaubte, eine Stimme hätte mir dazu geraten. Vielleicht konnte ich ihn damit ein wenig davon überzeugen, dass ich ganz klar im Kopf wäre, ohne irgendwelche Stimmen zu hören. „Gut, eine Alternative wüsste ich jetzt auch nicht, das klingt doch ganz gut. Ihr zwei geht dann zum Nachos essen und ich… kläre das mit Andy und dem Geschäft“, sagte er, nahm sich die Karte wieder und studierte sie selbst ein wenig. „Ist zwar eine etwas längere Fahrt, aber uns macht das nichts aus, Dean und ich sind oft lange mit dem Auto unterwegs. Wir werden vermutlich irgendwo übernachten müssen, entweder hier drin oder in einem Motel, das macht euch doch hoffentlich nicht aus?“, fragte er und ich schüttelte mit dem Kopf. Dann sahen wir beide zu Andy, doch der reagierte nicht. Erst nach wenigen Sekunden schüttelte er mit dem Kopf, doch sein Blick blieb weiterhin am Fenster haften. „Gut, dann würde ich sagen, wir fahren sofort los und sind dann in einem oder zwei Tagen unten an der Küste von Galveston“, sagte Sam und faltete seine Karte ein. Mich überkam derweil ein schlechtes Gewissen. „Sorry, dass ich einen Ort vorgeschlagen habe, der so weit weg ist und wo wir so lange hinfahren müssen“, sagte ich, obwohl ich wusste, dass Geldprobleme jetzt kein wirkliches Thema bei den Brüdern war. Sam drehte sich wieder zu mir um und nun schüttelte er mit dem Kopf. „Ach was, mach dir da keine Gedanken, solange es dir und auch Andy am Ende gut geht, ist es die Mühe wert. Außerdem würden mich auch diese Krabben interessieren, von denen du mir erzählst hast“, zwinkerte er mir zu, bevor er sich wieder umdrehte und Dean herumnavigierte. Ich wusste nicht, wie viel mir Sam davon abkaufte und ob er mich nun für weniger schizophren hielt oder nicht. Aber ich hatte das Gefühl, dass ein paar sehr angenehme Stunden, vielleicht sogar Tage auf uns warten würden. „Ja, die würden mich auch interessieren,“ sagte ich, lehnte mich in meinen Sitz zurück und ehe ich es realisierte, war ich tief und fest eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. 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