New World von -Kiara ================================================================================ Kapitel 6: Gran Tesoro ---------------------- Kiara betrachtete ihre Reflektion im prachtvollen mit Gold eingerahmten Spiegel. Das rote Kleid lag eng an und betonte alle richtigen Stellen, ehe es asymmetrisch in einen mehrlagigen Rock ausfecherte. Unsicher zupfte sie den Saum zurecht. Für gewöhnlich zeigte sie nicht so viel Haut, selbst wenn es nur ihre Arme und Beine waren. Die dunklen Seidenstrümpfe waren nicht sonderlich tröstlich, und gaben ihr auch kein Stück das Gefühl, dass sie irgendetwas tatsächlich bedeckten. Es war ungewohnt, der Schnitt dieser Kleidung, das Gefühl des Stoffes so eng an sich und wie es an ihr aussah. Aber je länger ihr Blick auf ihrem Spiegelbild verweilte, desto mehr musste sie sich zugestehen, dass ihr das Ergebnis gefiel. Wie süß und schick es sie wirken ließ. Zwar stand sie noch etwas wackelig auf den hohen Schuhen – es war mehr das Plateau, als der Absatz, der sie ins Wanken brachte – aber mit etwas Übung sollte Laufen kein Problem darstellen. Der Gedanke daran, dass die Schuhe sie ein paar Zentimeter größer machte, gefiel ihr. Mit den Fingern kämmte Kiara durch ihre brünetten Haarspitzen. Sie waren kunstvoll geflochten und mit einer ebenso roten Blume geschmückt worden. Kiara sah sich um und erhaschte einen Blick der Frau, welche sie eingekleidet und frisiert hatte. Mit einem breiten, aber höflichen, Lächeln gestikulierte sie beide Daumen nach oben. Kiara nickte schüchtern zurück. Die Dame verstand ihren Job, so viel war sicher. „Ja, wunderbar! Ganz reizend!“, kommentierte Baccarat, welche ihren Kopf neugierig durch die Türe des Ladens streckte. „Schick siehst du aus! Na dann komm mal heraus, die Herrschaften sind auch schon fertig.“ Enthusiastisch flog die schwere Tür aus massivem Gold auf und offenbarte eine Gruppe an Männern draußen auf dem Asphalt, die Kiara kaum wiederzuerkennen vermochte. Es handelte sich dabei ganz gewiss um ihre Crew, ohne Frage! Doch noch nie hatte sie ihre Kameraden in Anzügen gesehen. Jeder von ihnen war ihn edlen weißen Zwirn gehüllt, ganz individuell, mit ihren ganz persönlichen Farbakzenten. Beckman trug ein blaues Hemd, dessen Kragen lässig offen hing und unter einer Weste verschwand, Yasopp stellte ein ähnliches Ensemble zur Schau, statt der Weste jedoch eine Krawatte um den Hals geworfen, wodurch der dunkle lila Stoff seines Hemds noch mehr zu leuchten schien, Lou hatte ein grünes Einstecktuch aus seiner Brusttasche florieren, farblich passend zu seiner Fliege und Beanie erstrahlte förmlich in einem Traum aus Magenta. Kiara überflog auch die Outfits der anderen anerkennend, bis ihre Augen den krönenden Abschluss der Besatzung einfingen. Eine weiße, fast cremefarbige, Nadelstreifenweste hielt das weit geöffnete rote Seidenhemd des Kapitäns im Zaum, und gewährte genügend Einblicke auf seine stolz geschwellte Brust, über welcher eine goldene Kette baumelte. Einem Mafiaboss ähnlich, hing ein ebenso roter feiner Schal von seinen Schultern, über welcher ein schwerer langer Mantel lag. Ausnahmsweise besohlte ihn keine abgelatschten Sandalen, sondern festes, flaches Schuhwerk – auch wenn er sich die Freiheit nahm sie recht locker und ohne Socken zu tragen. Verlegen wandte Kiara den Blick ab, bevor sie ihn vor versammelter Mannschaft zu lange anzustarren wagte. Shanks hob mit seinem Daumen die rötlich getönten Brillengläser über seine Augen, um die Piratin weitaus offensichtlicher und wertschätzender zu mustern. „Wow!“, stieß er gedehnt aus. „Sowas hättest du schon viel früher mal tragen können.“ Kiara presste die Lippen zu einem zweifelhaften Lächeln. „Ach. Und zu welchem Anlass?“, fragte sie ungerührt nach. „Tja, Boss, da musst du sie wohl mal öfter schick ausführen“, tönte Yasopp und grinste unverhohlen. Der Kapitän und sie in einem teuren Lokal? Nicht unbedingt eine Umgebung, in der sie sich ungezwungen und wohlfühlen konnten. Da mussten sich beide zugestehen, dass eine Feier mit Lagerfeuer am Strand die bessere Wahl darstellte. „Wir können ja heute mal sehen, wie sich das anfühlt“, meinte Shanks gelassen und bot Kiara seinen Arm an. Halb stolpernd trat sie an ihn heran und hakte sich bei ihm unter. Erstaunt stellte sie fest, dass ihre Rottöne sich haargenau glichen. Das musste doch pure Absicht gewesen sein! Es war nahezu unmöglich den exakt gleichen Rotton über verschiedene Kleidungsstücke zu kombinieren. Aber wenn diese Outfits Spezialanfertigungen waren, woher hatte man ihre Maße gekannt?! Mit Genugtuung betrachtete Shanks seine adrette Begleitung. Rasch neigte er den Kopf zu ihr hinab und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Die perfekte Größe“, kommentierte er mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Kiara errötete bis zu den Ohrspitzen. „Doch nicht vor allen Leuten“, presste sie beschämt zwischen den Zähnen hervor. Baccarat schlug entzückt die Hände zusammen. „Na wenn das mal kein Anblick ist! Und? Seid ihr bereit euch ins Getümmel zu stürzen?“ Sie ging hinüber zum glänzenden Vehikel und öffnete den Laderaum an der Rückseite. Hervor zog sie einen Aktenkoffer und klappte ihn mit einer ausladenden Geste auf, damit alle Anwesenden die sorgfältig im Inneren aufgereihten kreisrunden Chips bestaunen konnten. „Hier habe ich noch ein Willkommensgeschenk! Ein Startkapital von dreihundert Millionen Berry, als Geschenk des Hauses! Fangt etwas damit an und viel Glück!“ Skeptisch führte Kiara den kühlen Löffel zu ihren Lippen und aß die unbekannte, beige Substanz. Im ersten Moment erinnerte es sie daran, wie sie zum ersten Mal Schnee probiert hatte, und sie verzog das Gesicht. Doch dann bemerkte sie, dass es viel weicher und cremiger war – und, im Gegensatz zu dem, was sie erwartet hatte, tatsächlich einen Geschmack hatte! Und was für ein Geschmack. Eine himmlische, kalte Süße breitete sich in ihrem Mund aus. Kiara hob die Hand vor den Mund und stöhnte hingebungsvoll in den höchsten Tönen auf. Es zerging ihr kalt auf der Zunge, das süße Karamell mit der leichten salzigen Note. Begeistert nahm sie den nächsten Löffel, dieses Mal mit etwas von der brauen Schokosoße und dem warmen Kuchenteig. Dieses Mal fiepte sie noch lauter und warf den Kopf in den Nacken. Ihre Füße zappelten verzückt auf und ab. Das erntete ihr einige vielsagende Blicke, doch hatte sie keine Muße daran auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Viel lieber wollte sie das Zusammenspiel aus warm und kalt, der verschiedenen Texturen und all die Süße in ihrem Mund vollkommen genießen. „Lecker?“, hakte Shanks besonnen nach, ein breites Grinsen auf den Lippen und konnte sich an der Freude und Ekstase in Kiaras Gesicht gar nicht sattsehen. Glückselig schluckte sie den Happen herunter, nachdem sie ihn so gut sie konnte ausgekostet hatte, und atmete mit einem hellen Seufzen aus. „Oh mein Gott!“, quietschte sie, die Laute gedämpft von ihrer zur Faust geballten Hand, welche sie erneut gegen ihre Lippen presste. „Wie kann etwas so gut schmecken?!“ Gelassen lehnte sich Shanks nach vorne und stützte den Kopf auf seiner Hand ab. Vor ihm stand lediglich ein großer Krug randvoll gefüllt mit Bier, da er seit seiner Jugend kein großes Bedürfnis mehr nach Desserts hatte. Doch sein Getränk war bislang unangetastet geblieben, das Spektakel an Emotionen vor seinen Augen zu einnehmend, um etwas davon zu verpassen. Die Speisen im Capital Grille waren allesamt hervorragend und beide hatten sich die Bäuche ordentlich mit Muschelsuppe, Hummer, Steak und Fischfilet vollgeschlagen. Trotzdem empfahl Shanks seiner Begleitung wärmstens, noch einen Nachtisch zu bestellen. Bei seinem Besuch der karibischen Inseln, wurde Shanks bewusst, wie altmodisch die Menschen dort lebten. Er verstand nicht viel von Technik, doch selbst sein Schiff besaß fließendes Wasser, eine Therme und Elektrizität für die Küche. Diese Grundausstattung fanden sich nicht einmal in den großen Villen der Gouverneure wieder. Nahrung musste daher immer frisch zubereitet oder durch spezielle Verarbeitung oder Einlagerungstechniken vor dem Verderben geschützt werden. Echte Kälte kannte man dort gar nicht, keine Eiszapfen, keinen Schnee und vor allem keinen Luxus wie Eiscreme. Große blaue Augen funkelten die kunstvolle Schale, in welcher sich Brownie, Keksteig, Karamelleiscreme, Sahne und Schokoladensoße zu einem Berg anhäuften begierig an. Sie tauchte den Löffel erneut in die weiche Masse und schaufelte eine köstliche Mischung heraus. Dann machte sich Verzweiflung in ihrem Gesicht breit. Sie seufzte angespannt. „Das schaffe ich niemals.“ Immerhin war die Portion beinahe halb so groß wie ihr Kopf. „Möchtest du, dass ich dir helfe?“, bot Shanks verständnisvoll an. „Am liebsten würde ich es alleine vertilgen.“ Ihre Augen konnte sich endlich vom Anblick des Süßkrambergs losreißen. Sie hob den Kopf und sah ihn nüchtern an. „Aber ja. Bitte.“ Ein gutherziges Lachen entwich seinen Lippen. Dann beugte er sich zu ihr über den Tisch und öffnete demonstrativ den Mund. Perplex blinzelte Kiara ihn an, der Löffel unschlüssig in ihrer Hand verharrend. „Dein Ernst?“ Shanks zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Wir könnten auch um mehr Besteck bitten, aber…“ Er ließ den Satz unbeendet. Belustigt schüttelte Kiara den Kopf und steckte sich den Löffel in ihren eigenen Mund. Doch noch ehe sich Shanks, seine Enttäuschung überspielend, wieder zurücklehnen konnte, führte sie den nächsten gehäuften Bissen in seine Richtung. Er strahlte regelrecht, als er sich von ihr füttern ließ. Auch Kiara lächelte, wenn auch weitaus verlegener, und winkte einen Kellner an ihren Tisch heran, um nach einem weiteren Löffel zu fragen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)