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Ganz tief drin

von

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Irgendwie

„Na, Manuel, wie kommst du zurecht?“

 

Ich sah auf und damit direkt in Frau Schmidts Gesicht. Vor mir lag ein leeres Blatt. Darauf hätten eigentlich irgendwelche Berechnungen stehen sollen. Wie viel Fußleiste bestellt werden musste, wenn in einem Raum die Tür so und so breit war, und ähnlich sinnvoller Kram. Statt jedoch brav zu rechnen, hatte ich mit der Spitze meines Zirkels Löcher in das Blatt gepikt. Frau Schmidts Augenbrauen wanderten nach oben.

 

„Soll ich jetzt böse sein, weil du das Instrument missbrauchst, oder froh, weil du nicht versucht hast, dir damit ein Tattoo zu stechen?“

 

Ich blinzelte Frau Schmidt an. Sie lachte.
 

„Nun guck nicht so entsetzt. Ist ja nicht so, dass das die neueste Idee aller Zeiten wäre. Also dann rück mal raus mit der Sprache. Wo hakt es denn?“

 

„Nirgends“, murmelte ich und sah wieder hinab auf mein Arbeitsblatt. „Ich hab einfach nur keinen Bock gehabt.“
 

Was nur zur Hälfte stimmte. Natürlich hatte ich keinen Bock auf den Scheiß. Der Grund, warum ich nichts gemacht hatte, saß aber im Raum nebenan. Leif. Und natürlich das Gespräch, das heute Nachmittag anstand. Er hatte anscheinend echt Schiss davor. So sehr, dass ich kurz davor gewesen war, ihm zu sagen, dass ich mit Dr. Leiterer gesprochen hatte. Aber dann hatte ich es doch gelassen. Warum, wusste ich selbst nicht genau. Vielleicht weil ich auch Angst hatte. Davor, wie er reagieren würde. Immerhin hatte ich mich eingemischt, ohne ihn zu fragen. Was, wenn ich damit wirklich etwas losgetreten hatte? Wenn Leif recht hatte mit seinen Befürchtungen? Was dann?

 

„Tja, wenn du keinen Bock hast, dann machst du es eben ohne“, verkündete mir Frau Schmidt, die natürlich von all dem nichts ahnte. „Ich weiß wirklich nicht, was heute mit dir los ist. Du bist doch sonst so gut dabei.“

 

„Ist bestimmt, weil er heute ein Date mit mir hat.“
 

Jason grinste an seinem Tisch schräg vor mir von einem Ohr zum anderen. Was für ein Pimp!
 

„Ach wirklich?“ Frau Schmidt schien nicht beeindruckt. „Dann würde ich euch raten, euch schleunigst an die Aufgaben zu machen, denn morgen will ich die Zettel abgearbeitet auf meinem Schreibtisch haben. Wäre doch schade, wenn euer Date nur aus gemeinsamem Hausaufgabenmachen bestände.“
 

Damit gönnte sie uns beiden noch einen prüfenden Blick und rauschte dann von dannen, um einen der anderen Schüler beim Arbeiten zu stören. Immer noch grinsend wandte sich Jason mir zu.
 

„Godzilla hat echt Glück, dass Frau Schmidt nicht in dem Film mitspielt. Ich sag’s dir. Die hätte sie alle plattgemacht.“

 

Entgegen meiner derzeitigen Laune, musste ich doch ein bisschen lachen. Vermutlich hatte Jason da gar nicht mal so unrecht. Frau Schmidt war schon ziemlich speziell. Nur machte das mein Problem nicht kleiner.

 

„Dann eben Mathe“, murmelte ich und machte mich daran, nun endlich auszurechnen, wie viele Pakete der gute Mann aus der Aufgabe für seine Küche brauchte. Ich kam auf 134. Das konnte unmöglich stimmen.
 

„Was für ein Käse!“, knurrte ich und fing an, die ganzen Zahlen wieder durchzustreichen. Zum Glück rettete mich in dem Moment die Klingel vor weiteren Rechenkunststücken. Mit einem Seufzen packte ich meinen Kram zusammen. Der Gedanke, gleich wieder auf Leif zu treffen, ließ mich fast wünschen, dass ich mich noch ein bisschen länger mit Fliesen und Fußleisten hätte beschäftigen können. Obwohl das wirklich öde war. Praktischerweise wich mir Jason nicht von der Seite.
 

„Wenn das mit dem Kino gut läuft, können wir ja nächste Woche nochmal zusammen los. Dann kann ich dir mal Miriam zeigen. Du weißt schon. Die Kleine, von der ich dir erzählt habe.“

 

„Jaja“, gab ich abwesend zurück. Ich hatte Leif auf dem Gang stehen sehen. Er wartete auf mich.
 

„Vielleicht will er ja auch mit.“

 

„Mhm“, machte ich und begriff erst dann, wovon Jason sprach. Auf meinen verständnislosen Blick hin zuckte er mit den Achseln.
 

„Na ja, du und Leif hängt doch eh dauernd zusammen ab. Da können wir doch mal was zusammen machen. Hey, vielleicht will er ja mit ins Kino.“

 

Bevor ich Jason aufhalten konnte, brüllte er über den Flur.

 

„Ey, Leif! Willst du heute Nachmittag mitkommen?“

 

Leif schien im ersten Moment nicht zu wissen, wie er reagieren sollte. Er starrte Jason einfach nur an. Die anderen, die an ihm vorbeigingen, brachten irgendeinen dummen Spruch, der ihn aus seiner Starre riss. Er gönnte ihnen ein „Haltet die Klappe“ und wandte sich dann wieder an Jason.
 

„Tut mir leid, ich hab heute Nachmittag schon was vor. Ansonsten gerne.“

 

Ich sah, dass er sich bemühte. Das war auch etwas, das neu war. Er strengte sich richtig an. Beim Essen und auch sonst. Jason schien von all dem nichts zu bemerken.

 

„Ach kacke. Dann vielleicht nächste Woche? Ich will unbedingt auch noch den neuen X-Men sehen. Und nächsten Monat kommt Spider-Man raus. Ihr mögt doch Comicverfilmungen, oder?“

 

„Klar“, versuchte ich, Jason abzuwimmeln. Die Wahrheit war, dass ich keine Ahnung hatte, was Leif gerne guckte. Oder ob er überhaupt gerne ins Kino ging. Ich wusste so wenig von ihm.
 

„Klasse, dann schlage ich das bei der nächsten Sitzung gleich mal vor. Oder ich frage Thomas gleich. Hey, Thomas!“

 

Jason lief vor und umringte Thomas, der am Ausgang auf uns wartete, mit Fragen. Das gab mir Zeit, mich Leif zuzuwenden.
 

„Alles klar?“, fragte ich, obwohl ich wusste, dass es das nicht war. Bevor Leif jedoch antworten konnte, wurden seine Augen plötzlich groß. Sein Blick glitt an mir vorbei und als ich ihm folgte, sah ich einen großen, grauen Mercedes auf den Parkplatz einbiegen. Er hielt mitten auf der freien Fläche, der Fahrer stieg aus, eilte nach hinten und öffnete die Wagentür. Ein Paar bestöckelschuhte Beine schoben sich auf den Sand. Die Dinger hatten nicht nur mörderische Absätze, sie waren auch noch goldfarben! Vermutlich um zu dem schwarzgoldenen Kleid zu passen, dass die Frau am Ende der Beine trug. Blond gesträhnte Haare fielen ihr makellos zurechtgelegt bis auf die Schultern und die millimeterdünn gezupften Augenbrauen wurden ebenso wie der Rest des Gesichts von nicht allzu dezentem Makeup betont. Vervollständigt wurde das Ganze mit zwei riesigen goldenen Ohrringen und einer langen, goldenen Kette, die ihr tief ins Dekolletee hing. Als die Frau uns entdeckte, verzerrten sich ihre grellrot geschminkten Lippen zu einem Lächeln.
 

„Ah, Leif, mein Junge. Wie schön, dich zu sehen.“
 

Erst in diesem Moment fiel mir auf, wie ähnlich Leif ihr sah. Die Nasenform, die vorstehenden Wangenknochen, ja sogar die Figur schien er von ihr geerbt zu haben. Den Mund hatte er jedoch eindeutig von seinem Vater, der jetzt auf der anderen Seite des Wagens ausstieg. Er sah aus wie der Chef, den man nicht haben wollte. Über dem Hosenbund seines vermutlich teuren, grauen Anzugs spannte sich ein unübersehbarer Bauch. Missbilligend blickte er in die Gegend.
 

„Sie können hier warten“, sagte er zu dem Fahrer, von dem mir erst jetzt auffiel, dass er eigentlich zu viel war. Die hatten sich doch tatsächlich hierher chauffieren lassen. Echt unglaublich.

 

Mit großspurigen Schritten kam Leifs Vater auf uns zu. Thomas, der die Szene vom Rand aus beobachtete, würdigte er keines Blickes.
 

„Da bist du ja, mein Sohn.“

 

Während er Leif die schwere Hand hinhielt, musterte er mich kurz, als hätte er so eben entdeckt, dass da etwas an seinem Schuh klebte. Danach wurde ich fallengelassen und ignoriert.

 

Leif rührte sich nicht.
 

„Was wollt ihr hier?“, fragte er nur mühsam beherrscht. Die Miene seines Vaters wurde noch sauertöpfischer als ohnehin schon.
 

„Wir wurden eingeladen. Herr Leiterer möchte etwas mit uns besprechen.“

 

„Ja, und deshalb sind wir ein bisschen früher gekommen“, schaltete sich Leifs Mutter in süßlichem Plauderton ein. „Dann können wir heute Mittag noch zusammen essen.“

 

„Nein danke, ich verzichte.“
 

Damit wollte Leif sich umdrehen und verschwinden, aber sein Vater hielt ihn an der Schulter fest.
 

„Wie kannst du es wagen, so mit deiner Mutter zu sprechen? Entschuldige dich gefälligst.“
 

„Ganz sicher nicht“, zischte Leif. In dem Moment kam Thomas zu uns herüber. Sein Gesicht war ernst.
 

„Darf ich fragen, was hier vor sich geht?“

 

Leifs Vater drehte sich mit gönnerhafter Miene zu ihm herum.
 

„Wir beabsichtigen, Leif zum Mittagessen auszuführen. Er müsste sich dafür allerdings noch umziehen. Wenn Sie das wohl in die Wege leiten könnten?“

 

Thomas Mundwinkel zuckten.
 

„Tut mir leid, aber das wird nicht möglich sein. Die Jungen haben einen vorgeschriebenen Tagesplan, von dem wir nicht ohne Weiteres abweichen können. Das schließt gemeinsame Mahlzeiten und eine angemessene Zeit für die Erledigung der Hausaufgaben mit ein. Wenn ich recht informiert bin, werden Sie aber heute Nachmittag Gelegenheit bekommen, Leif zu sehen:“

 

Leifs Mutter stieß ein Geräusch aus, das wohl so etwas wie ein abfälliges Lachen darstellen sollte.

 

„Leif ist immerhin unser Sohn. Wenn wir mit ihm Essen gehen wollen, dann werden wir das auch tun.“

 

Ich konnte förmlich sehen, wie die Ader auf Thomas’ Stirn anfing zu pochen. Aber er beherrschte sich.
 

„Es tut mir leid, aber das kann ich in diesem Fall nicht zulassen. Sie müssen solche Dinge vorher mit uns absprechen. Die Jugendlichen brauchen verlässliche Größen in ihrem Leben. Ein geregelter Tagesablauf ist daher extrem wichtig. Wir können nicht auf der einen Seite Verstöße dagegen ahnden und auf der anderen Seite einfach zulassen, wenn es uns in den Sinn kommt. Diese Inkonsistenz würde die Regeln ad absurdum führen und den Erfolg des Programms gefährden.“

 

Leifs Vater schien versucht, dagegen aufzubegehren, aber Thomas’ Argumentation hatte ihm den Wind aus den Segeln genommen. Er knurrte und warf einen wütenden Blick auf Leif.
 

„Na schön. Aber nach diesem Treffen heute Nachmittag werden wir ihn mitnehmen. Richten Sie das Herrn Steiner schon einmal aus. Wir haben unsere Zeit schließlich auch nicht gestohlen.“

 

Damit ließ er uns ohne ein Wort des Abschieds stehen. Seine Frau warf noch einen Blick auf uns und stiefelte dann hinter ihrem Mann her. Kaum, dass die beiden eingestiegen waren, wendete der Fahrer den Mercedes geschickt und die Karosse rollte hoheitsvoll von dannen. Erst, als sie endgültig verschwunden war, hörte ich Leif neben mir aufatmen.
 

„Das war verdammt knapp“, murmelte er und warf einen dankbaren Blick zu Thomas. „Danke, dass du dich eingemischt hast.“

 

„Da nicht für“, gab der zurück. „Ich bin zwar kein großer Freund von Konfrontationen, aber deine Eltern sollen ruhig wissen, dass die aufgestellten Regeln für alle gelten. Auch für sie.“

 

Leif verzog den Mund zu einem abschätzigen Ausdruck. Ich war mir sicher, dass er etwas dazu zu sagen gehabt hätte, aber er tat es nicht. Und ich auch nicht. Weil ich nicht wusste, was. Ich wusste nur, dass es richtig war, ihn von diesen Leuten wegzuholen. Jetzt musste ich nur noch hoffen, dass Dr. Leiterer auch alle anderen davon überzeugen konnte. Alle anderen inklusive Leif.

 

Das Mittagessen verlief schweigsam. Das hieß, eigentlich sorgten die anderen für genug Lärm, sodass es nicht weiter auffiel, dass Leif und ich beide nicht viel sagten. Danach trennten sich unsere Wege wieder. Er übernahm das Reinigen des Fußboden in der Küche, ich trollte mich mit Besen und Co ins Treppenhaus. Während ich arbeitete, kam Tobias zu mir.
 

„Hey, Großer. Wenn du hier fertig bist, komm doch mal eben runter ins Büro. Du kriegst noch dein Geld und dein Handy. Damit ihr nachher rechtzeitig loskommt.“

„Okay.“

 

Normalerweise hätte ich vor Freude im Dreieck springen müssen. Ausgang und mein Handy und noch dazu über die Mittagszeit. Etwas, das Normalerweise nicht erlaubt war. Und doch konnte ich mich gerade nur schwer dafür begeistern. Dummerweise entging das auch Tobias nicht. Er musterte mich eingehend.
 

„Alles gut bei dir?“

„Jaja, alles bestens.“

 

Ich hatte schon mal besser gelogen.

 

„Ist es wegen Leif?“
 

Volltreffer.

 

„Ja. Ich mach mir halt Gedanken. Seine Eltern waren vorhin da und die sind so … argh. Ich kann es gar nicht beschreiben. Die tun so, als wäre Leif ne Puppe. Irgendwas, dass sie sich in den Schrank stellen und bei Bedarf herausholen können, um damit vor ihren Freunden anzugeben. Verstehst du, was ich meine?“

 

Tobias sah mich eine Weile lang an, bevor er langsam nickte.
 

„Ja, ich verstehe es. Das ist so ziemlich das Gleiche, was ich auch gedacht habe, als ich sie das erste Mal erlebt habe. Du hast eine gute Beobachtungsgabe.“

 

Ich schnaubte.
 

„Na toll. Davon kann ich mir aber auch nichts kaufen. Und Leif auch nicht.“

 

Mit einem Seufzen stützte ich mich auf den Besenstiel. Da waren immer noch Krümel auf der Treppe, aber irgendwie …
 

„Versprichst du mir, dass du auf ihn aufpasst?“

 

Ich sah Tobias nicht an, während ich das sagte. Er lachte.
 

„Natürlich tu ich das. Ist immerhin mein Job, oder nicht?“

 

Ich lächelte schwach.
 

„Ja, ist es. Aber wer weiß, ob du auch gut darin bist.“

„Hey!“

 

Ich grinste über seinen gespielten Protest. Den Druck auf meiner Brust machte es nicht kleiner.

 

 

Die Mittagsstunde verbrachte ich mit meinem Handy. Ich wusste, dass ich vermutlich lieber Leif hätte zur Seite stehen sollen, aber ich konnte nicht. Zu groß war die Angst, dass ich mich verquatschte. Außerdem hatte ich mitgekriegt, dass er zwischendurch im Bad verschwunden war. Ich wusste nicht ob nur so oder deswegen. Ich war wütend, weil er es gemacht hatte – wenn er es denn gemacht hatte – und gleichzeitig nagte das schlechte Gewissen an mir, weil ich ihn nicht aufgehalten hatte. Ihn abgelenkt. Ich ließ ihn allein mit der Scheiße und das fühlte sich megabeschissen an. Gleichzeitig wusste ich, dass alles, was ich hätte sagen können, eh nur leeres Gequatsche gewesen wäre. Ich konnte nichts für ihn tun. Dementsprechend war ich froh, als ich endlich Schritte und Schlüsselklappern auf dem Gang hörte. Thomas öffnete die Tür zu meinem Zimmer.

 

„So, Mittagspause beendet. Raus mit dir. Jason ist schon ganz zappelig vom Warten.“

 

Ich nickte ihm zu und steckte mein Handy weg. Dass er es gesehen hatte, war vielleicht nicht so prickelnd, aber andererseits war es mir gerade so richtig vollkommen egal, wenn Tobias deswegen Ärger bekam. Mir war gerade alles egal. Alles nur Leif nicht. Und doch stockte ich, als ich in den Flur trat, während Thomas gerade Leifs Tür aufschloss.
 

„So, Mittagspause beendet. Du kannst dann gleich runterkommen. Deine Eltern sollten jeden Moment kommen und Dr. Leiterer möchte vorher nochmal kurz mit dir reden.“

 

Ich hörte Leif antworten, dann drehte sich Thomas um und kam wieder zurück. Er maß mich mit einem erstaunten Blick.
 

„Wolltest du nicht ins Kino.“

„Ja gleich. Ich will nur noch kurz …“

 

Thomas nickte verstehend. Ich drückte mich an ihm vorbei und ging zu Leifs Tür. Vorsichtig klopfte ich an, bevor ich sie ein Stück weit aufschob.
 

„Hey“, sagte ich leise. „Ich … ich wollte dir nur noch viel Glück wünschen.“

 

Leif, der am Schreibtisch saß, hob den Kopf. Er war blass und ich war mir ziemlich sicher, dass er sein Mittagessen nicht bei sich behalten hatte. Verdammt!

 

„Danke“, gab er zurück, machte jedoch keine Anstalten, sich zu erheben. Hinter mir hörte ich Jason durch die Gegend krakeelen, dass ich hinne machen sollte, damit wir den Bus nicht verpassten. Ich verzog das Gesicht zu einer entschuldigenden Grimasse.
 

„Du hörst ja, mein Taxi wartet.“

 

Leif rang sich ein Lächeln ab.
 

„Geh nur. Ich erzähl dir nachher, wie es gelaufen ist.“

 

Ich wollte noch etwas erwidern, aber Jason rief schon wieder nach mir und allem Anschein nach kam er auch noch her, um mich abzuholen. Ich blickte mich gehetzt um trat dann in den Raum und drückte Leif einen Kuss auf den Mund.
 

„Es wird alles gut werden“, versprach ich ihm. Danach sah ich zu, dass ich rauskam. Den Kloß in meinem Hals bekam ich jedoch nicht heruntergeschluckt.

 

 

„Da bist du ja endlich.“
 

Jason war schon wieder im umherspringender-Welpe-Modus und megaaufgeregt, wie er mir selbst mitteilte. So viel zum Thema cool. Das hatte ich definitiv besser drauf. Trotz der ganzen Scheiße, die mir gerade im Kopf rumschwirrte. So stand ich ohne ein Wort zu sagen an der Bushaltestelle neben ihm und wartete. Endlich tauchte in der Ferne ein passender Umriss auf.
 

„Er kommt“, plapperte Jason unsinnigerweise vor sich hin. Ich nickte nur, denn ich hatte etwas anderes entdeckt. Etwas, das noch vor dem Bus fuhr. Es war ein großer, grauer Pkw und je näher er kam, desto sicherer war ich mir, dass es der Wagen von Leifs Eltern war. Er hatte es anscheinend nicht eilig und bummelte ziemlich durch die Allee. So sehr, dass es sogar Jason auffiel.
 

„Maaan, die sollen mal hinne machen. Wir kommen noch zu spät.“

 

Endlich waren Bus und Wagen heran und ich sah, dass ich mich nicht geirrt hatte. Der Fahrer des Mercedes setzte den Blinker und bog in die Einfahrt nach Thielensee ein. Gleich darauf wurde er von dem ankommenden Bus verdeckt. Der hielt direkt vor uns und die Türen öffneten sich mit einem vernehmbaren Zischen.
 

„Komm schon, Einsteigen!“, rief Jason mir zu, aber ich bewegte mich nicht. Stattdessen starrte ich wie hypnotisiert auf die Stelle, wo das Auto verschwunden war. Plötzlich hatte ich ein ganz mieses Gefühl bei der Sache.
 

„Manuel! Nun komm endlich!“

 

Jason hing bereits halb im Bus. Vermutlich um ihn am Losfahren zu hindern. Ich sah ihn an, aber ich konnte mich nicht bewegen. Ich konnte hier nicht weg.

 

„Du musst ohne mich fahren.“

 

Ich hörte die Worte, die ich ausgesprochen hatte, aber im Grunde genommen konnte ich es ebenso wenig glauben wie Jason, der mich anglotzte, als hätte ich mich gerade in ein Mondkalb mit zwei Köpfen verwandelt.
 

„Willst du mich verarschen?“, polterte er auch gleich los. „Wir sind verabredet, Mann.“

 

„Ja, ich weiß“, gab ich zurück. Es klang hinreichend verzweifelt. „Aber ich kann nicht mitkommen. Bitte, Jason. Fahr ohne mich, ja? Ich sag auch keinem, dass du alleine los bist. Versprochen.“

 

Er sah mich immer noch an, als wäre ich vollkommen verrückt. Hinter ihm brummelte der Fahrer herum.
 

„Also entweder steigt dein Freund jetzt ein oder ihr steigt beide aus. Entscheide dich.“

 

Jasons Hand ballte sich zur Faust.
 

„Du bist echt ein Arsch, weißt du das?“

 

Ich starrte ihn nur stumm an. Jason streckte mir den Mittelfinger hin, bevor er sich umdrehte und im Bus verschwand. Die Tür schloss sich hinter ihm. Kurz darauf rollte das Gefährt von dannen und ließ mich in einer stinkenden Abgaswolke zurück. Ganz allein stand ich jetzt mitten auf der Straße. Über die graue Mauer hinweg konnte ich die Gebäude sehen, die zu unserer Anstalt gehörten. Das Haupthaus mit den Büros und den Schulräumen, rechts und links davon die beiden Wohntrakts. Unserer war der rechte. In dem waren wohl mittlerweile Leifs Eltern verschwunden. Ich sah es förmlich vor mir, wie sie von Herrn Steiner in den Besprechungsraum gebracht wurden, wo sich alle um den großen Tisch versammelten, um über Leifs Schicksal zu entscheiden.

 

Ich muss da rein.

 

Die Absicht war vollkommen klar, aber wie sollte ich das schaffen? Ich konnte wohl kaum einfach wieder zur Tür spazieren und darum bitten, bei der Sitzung dabei sein zu können. Aber irgendwie musste ich erfahren, was da drinnen vor sich ging. Ich musste einfach.

 

Der Garten!
 

Wenn ich es schaffte, über die Mauer zu kommen, könnte ich mich vielleicht von hinten anschleichen. Bei dem Wetter war bestimmt ein Fenster geöffnet. Aber wie sollte ich mehr als zwei Meter soliden Stein überwinden. Einen Bulldozer würde mir wohl kaum jemand ausleihen.

 

Außerdem wäre das zu auffällig. Ich muss einen anderen Weg finden. Aber wie? Und wo?

 

Meine Hand glitt zu meiner hinteren Hosentasche. Ob man Anleitungen dafür im Internet fand?
 

Eine Suchanfrage später war ich schlauer. Ein Video von einem Typen, der eine Mauer einfach so hochlief. Mit Anlauf, hepp und hoch. Ob ich das auch konnte?

 

Versuch macht kluch, dachte ich bei mir und steckte das Handy wieder weg. Mit Chancen würden ich und das Ding gleich unbeschadet auf der anderen Seite landen. Wenn nicht, bekam mindestens einer von uns Kratzer.

 

Hoffen wir mal, dass das nicht ich bin.

 

 

Kurz darauf wusste ich, dass das, was der Typ in dem Video abzog, nicht meine Welt war.

 

„Parcours am Arsch“, knurrte ich und pustete auf meine zerschrammten Handflächen. Aber irgendwie musste ich doch da reinkommen.

 

„Also schön, letzter Versuch.“

 

Danach würde ich mich geschlagen geben und einfach abwarten, bis Jason wieder aus dem Kino kam.

 

Nicht abbremsen, nicht zu tief ansetzen, nicht gegen die Mauer springen und auf jeden Fall nach oben abdrücken. Alles klar, dann los.

 

Noch einmal nahm ich Anlauf.

 

Leif ist auf der anderen Seite. Du schaffst das.

 

Mit einem letzten Ausatmen rannte ich los. Fuß auf Kniehöhe, nach oben abstoßen und … uff. Mein Brustkorb kollidierte hart mit der Mauer, aber ich hatte den oberen Rand erreicht. Mit eiserner Kraft hielt ich mich fest. Ich versuchte, mit den Füßen Halt zu finden, aber ich rutschte immer wieder ab. Schon merkte ich, wie mich mein Gewicht wieder nach unten zog.

 

Nein! Fuck! Ich will da rauf!

 

Ich zog. Ich zerrte. Ich schaffte es irgendwie, meinen Fuß auf die Mauer zu bringen. Mit seiner Unterstützung hievte ich auch den Rest von mir nach oben und saß schließlich schwer atmend und mit höllischen Schmerzen in beiden Armen oben auf dem Rand. Neben mir gähnte der Abgrund.
 

Scheiße! Das mach ich auch nie wieder.

 

Im Inneren der Mauer war niemand zu sehen. Ich wusste, dass die anderen heute Nachmittag mit Thomas in der Werkstatt waren. Später wollten sie noch raus zum Basketball, aber noch lag der Park in vollkommener Stille dar. Nur drückende Wärme und Vogelgesang beherrschten die Szene. Alles grün in grün. Durch die Blätter der Bäume konnte ich die Rückseite unseres Wohntrakts erkennen. Irgendwo dort im Erdgeschoss musste Leif jetzt sitzen.

 

Ich ließ mich auf der anderen Seite wieder von der Mauer fallen und landete sicher auf beiden Füßen. Immerhin etwas, das ich konnte. Meine Handflächen brannten immer noch wie Sau, aber ich ignorierte es. So schnell ich konnte rannte ich in Richtung Haus. Dabei nutzte ich die Bäume als Deckung, um nicht von jemandem entdeckt zu werden. Endlich erreichte ich den letzten Busch, der mich noch gegen unerwünschte Blicke abschirmte. Im Kopf ging ich den Bauplan des Gebäudes durch. Wenn mich nicht alles täuschte, musste der letzte Raum der Sportraum sein. Die Fenster dort waren alle geschlossen und eigentlich sollte dort auch niemand sein. Daneben war der Besprechungsraum.

 

„Ich lasse es mal lieber nicht drauf ankommen. Lieber safe than sorry.“

 

Mit ein paar schnellen Schritten war ich an der Hauswand und drückte mich dagegen. Ich lauschte, ob mich irgendjemand bemerkt hatte, aber es war nicht zu hören. Also ließ ich mich auf die Knie nieder und krabbelte unter den Fenstern entlang in Richtung Zielort. Kurz darauf erreichte ich ein geöffnetes Fenster. Von drinnen waren aufgebrachte Stimmen zu hören.

 

 

„Wollen Sie etwa damit sagen, dass das unsere Schuld ist?“, keifte eine Frauenstimme, die ich unschwer als Leifs Mutter identifizieren konnte. Der Mann, der ihr gleich darauf beipflichtete, war offenbar sein Vater.
 

„Ich finde diese Unterstellung wirklich ungeheuerlich. Was erlauben Sie sich?“

 

„Ich habe nicht gesagt, dass sie daran schuld sind“, antwortete jemand, den ich sofort als Dr. Leiterer erkannte. Er hatte so eine ruhige, ausgeglichene Stimme. Das war mir vorher nie aufgefallen. Wobei im Gegensatz zu Leifs Vater vermutlich jeder ausgeglichen wirkte.

 

„Ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass Ihre Weigerung anzuerkennen, dass ihr Sohn krank ist, sich erschwerend auf das Problem auswirkt.“

 

„Leif ist nicht krank“, stellte seine Mutter schnippisch fest. „Er ist lediglich dem Einfluss seiner merkwürdigen Freunde erlegen.“

 

Ich konnte förmlich hören, wie Dr. Leiterer seufzte.
 

„Ihr Sohn leidet an einer massiven Essstörung. Er befindet sich deswegen bei mir in Therapie. Ich wollte mit Ihnen darüber sprechen, aber bisher haben Sie ja alle Versuche diesbezüglich abgelehnt.“

 

„Wie bitte?“ Empörung ließ die Stimme von Leifs Mutter noch ein Stück nach oben wandern. „Wir haben nie irgendwelche Hilfe abgelehnt. Das ist ja lächerlich.“

 

„Sie haben die betreuten Besuche abgelehnt“, mischte sich jetzt Tobias ein. Offenbar saß er auch mit in der Runde.

 

„Weil es nicht notwendig ist“, erklärte Leifs Vater. „Wir sind sehr gut in der Lage, allein mit unserem Sohn fertig zu werden.“

 

„Und warum haben Sie ihn dann hierher gebracht?“
 

Dieser Frage folgte kurzes Schweigen. Ich hätte zu gerne gesehen, was für ein Gesicht Leifs Eltern jetzt machten, aber ich konnte nicht riskieren, dass mich jemand erwischte. Also drückte ich mich weiter gegen die warmen Steine und hörte zu.
 

„Wir wussten nichts von dieser … Störung“, sagte Leifs Mutter jetzt. „Warum hast du uns denn nie etwas davon erzählt?“

 

Bei dem zuckersüßen Ton, den sie an den Tag legte, kam mir fast mein Mittagessen wieder hoch. Trotzdem hielt ich den Atem an, um nichts von Leifs Antwort zu verpassen.

 

„Ihr hättet mir doch sowieso nicht zugehört.“

 

„Das heißt, Sie wussten nichts von seiner Therapie?“, hakte Dr. Leiterer jetzt nach. Ich konnte den Unglauben hören, der in seiner Stimme mitschwang. „Aber Herr Steiner hat doch Ihr Einverständnis für die Maßnahme eingeholt.“
 

„Mag sein“, brummte Leifs Vater. „Ich habe ja gesagt, dass ich Ihnen da vollkommen freie Hand lasse, um den Jungen wieder zur Vernunft zu bringen.“

 

Tobias lachte auf.
 

„Freie Hand? Am besten wohl mit Elektroschocks und eiskalten Duschen, oder wie?“

 

„Herr Ritter, mäßigen Sie sich!“, wies Herr Steiner Tobias an. Der murmelte noch etwas, das ich aber nicht verstehen konnte. Ich spitzte die Ohren, um nichts zu verpassen.
 

„Wie dem auch sei“, fuhr Herr Steiner fort. „Wie es aussieht, können wir hier in Thielensee keine ausreichende Betreuung für dieses Problem leisten. Ich möchte daher vorschlagen, Leif in eine Klinik zu verlegen, die sich auf derlei Fälle …“

 

„Nein!“ Den Geräuschen nach zu urteilen war Leif aufgesprungen. „Ich geh in keine Klinik. Eher bringe ich mich um.“

 

„Aber Leif“, säuselte seine Mutter.
 

„Setz dich wieder hin“, blaffte sein Vater. „Da sehen Sie mal, wie er sich benimmt. So etwas Unmögliches. Und dann dieses asoziale Gesindel, mit dem er sich herumgetrieben hat. Wir haben ihn sogar erwischt, wie er welche von diesen Subjekten mit in unser Haus gebracht hat.“

 

„Er war mein Freund“, rief Leif aus.

 

„Ach ja?“, spuckte sein Vater ihm entgegen. „Dann sag mir doch mal, wie er hieß, dieser sogenannte Freund. Du kannst dich ja nicht einmal an seinen Namen erinnern. Und dazu dieses widerliche Gebaren. In unserem Haus! Das ist abartig.“
 

„Was genau?“, mischte sich jetzt Dr. Leiterer ein.
 

„Was?“

 

Anscheinend hatte die Frage Leifs Vater aus dem Konzept gebracht. Dr. Leiterer lächelte. Ich konnte es an seiner Stimme hören.
 

„Ich möchte von Ihnen wissen, was genau denn so abartig war, dass Sie danach tagelang nicht mit Ihrem Sohn gesprochen haben.“

 

„Bitte, lassen Sie es gut sein. Wir müssen hier nicht darüber sprechen.“

 

Leifs Bitte war leise gewesen, aber offenbar hatten alle im Raum sie verstanden. Ich hörte Leifs Mutter gekünstelt lachen.
 

„Ich denke auch, dass diese Privatangelegenheit nichts in dieser Runde verloren hat.“

 

Herr Steiner räusperte sich und ergriff wieder das Wort.
 

„Nun, Herr Dr. Leiterer, Sie haben ja um dieses Treffen gebeten. Vielleicht kommen wir einmal zum Kern dessen, worum es heute geht.“
 

„Gern“ erwiderte der Doc und ich hielt unbewusst die Luft an. Jetzt, jetzt würde er endlich sagen, dass Leif nicht mehr zu seinen Eltern gehen durfte.
 

„Ich habe mir Gedanken über Leifs Situation gemacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass eine Unterbringung in Thielensee aus verschiedenen Gründen nicht dem entspricht, was er benötigt.“

 

„WAS?“

 

Erschrocken hielt ich mir den Mund zu. Von drinnen war Leifs Stimme zu hören. Offenbar hatte er genauso reagiert wie ich.

 

„Aber ich will hier nicht weg.“
 

Dr. Leiterer lächelte offenbar.
 

„Bitte beruhige dich wieder, Leif. Ich werde dir erklären, worum es sich handelt.“

 

Es folgte ein kurzes Stühlerücken, dann sprach der Doc weiter.

 

„Ich denke, dass eine stationäre Behandlung in deinem Fall nicht notwendig ist. Wir haben darüber gesprochen und ich verstehe die Bedenken, die du dagegen hast. Auch liegt in deinem Fall keine akute körperliche Gefährdung vor. Zudem weiß ich, dass du ein großes Maß an Motivation mitbringst. Das alles sind ideale Voraussetzungen für die Fortführung der ambulanten Therapie.“

 

Als ich das hörte, konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Ich sah förmlich vor mir, wie Leif den Blick senkte, als er das zu hören bekam. Meine Brust schwoll an, während der Doc weiter sprach.
 

„Ich sehe jedoch auch, dass deine Möglichkeiten der Selbstbestimmung durch die Unterbringung hier begrenzt sind. Für dich ist es an der Zeit, dein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Deinen Alltag eigenständig zu organisieren und dich der Entwicklung deines eigenen Rhythmus und eines positiven Selbstgefühls zu widmen. Den Rahmen dafür kann dir Thielensee nicht in dem Umfang bieten, wie du es benötigst.“
 

Für einen Moment war nur Stille zu hören. Dann sagte Leif leise: „Das heißt, Sie schmeißen mich raus?“
 

Wieder lächelte Dr. Leiterer.
 

„Nein, natürlich nicht. Du wirst ganz ehrenhaft entlassen.“

 

Mein Herz krampfte sich zusammen, als ich das hörte. Noch mehr, als Leifs Mutter sagte:
 

„Dann kommt er wieder nach Hause?“

 

Nein. Nein, das durften sie nicht. Das durften sie nicht!

 

„Mein Vorschlag lautet, Leif in einem Wohnprojekt unterzubringen, das sich auf die Wiedereingliederung von Jugendlichen in die Gesellschaft spezialisiert hat. Er würde dort weiterhin Betreuung und auch therapeutische Unterstützung bekommen, aber ein größeres Maß an Eigenverantwortung übernehmen.“

 

In diesem Moment hörte ich Leifs Vater auflachen.
 

„Eigenverantwortung? Sobald man ihm den Rücken zuwendet, wird er wieder anfangen Drogen zu nehmen und sich herumzutreiben. Er wird …“

 

„Mit Verlaub, Herr Johannsen“, unterbrach Dr. Leiterer ihn, „aber diese Meinung teile ich nicht. In meinen Augen ist Leif sehr wohl in der Lage, für sich selbst zu sorgen.“

 

„Ach ja?“, schnappte Leifs Vater. „Und mit welchem Geld?“

 

„Die finanzielle Regelung würde in dem Fall das Jugendamt übernehmen. Anhand der Situation könnte es jedoch sein, dass Sie zur Übernahme zumindest eines Teils der Kosten verpflichtet wären.“
 

„Aha“, machte Leifs Vater. „Dann sollen wir ihm jetzt also eine Wohnung finanzieren, damit er weiter auf der faulen Haut liegen kann. Das kommt überhaupt nicht in Frage.“

 

„Natürlich wird dafür Sorge getragen werden, dass Leif seine Schule beendet und eine angemessene Ausbildung erhält.“

 

„So so“, knurrte Leifs Vater. „Und wer genau wird dafür Sorge tragen?“
 

Dieses Mal konnte ich Dr. Leiterers Lächeln bis zu mir nach draußen scheinen sehen.
 

„Das wird derjenige übernehmen, der dafür die Verantwortung trägt. In diesem Fall wäre das Leif selbst.“

 

In dem Moment fingen mehrere Personen gleichzeitig an zu reden. Leifs Eltern waren mit dem Vorschlag offenbar nicht einverstanden, während Dr. Leiterer versuchte, sich Gehör zu verschaffen, und Herr Steiner bemüht war, die Wogen zu glätten. Ich jedoch klinkte mich geistig aus dem Gespräch aus. Ich hatte genug gehört, um zu wissen, was das hieß. Leif würde von hier weggehen. Womöglich in eine andere Stadt. Das bedeutete, dass wir uns nicht mehr sehen konnten.

 

Vielleicht sollte ich zu meinen Eltern zurückgehen. Dann können wir uns wenigstens am Wochenende besuchen.
 

Der Gedanke fühlte sich falsch an. Ich wusste, dass das nicht die Lösung sein konnte, und doch … was sollte ich sonst tun?

 

Ich will ihn nicht verlieren.

 

Irgendwo neben mir wurde eine Tür geöffnet. Ich hörte die Stimmen von Sven, Nico und den anderen, die nach draußen kamen. Das hieß, dass ich hier verschwinden musste.
 

Auf allen Vieren kroch ich in Richtung Hausecke und versteckte mich dahinter. Hier im Schatten war es kühler und ich merkte, wie es in meinem Kopf pulsierte. Ich hatte zu lange in der prallen Sonne gesessen. Um mich herum drehte sich alles. Mir war schwindelig und schlecht.
 

„Scheiße, auch das noch.“
 

Wahrscheinlich wäre es schlauer gewesen, einfach zu Thomas zu gehen und die ganze Scheiße zuzugeben, die ich verbockt hatte. Denken wurde mit jeder Minute schwerer und ich wollte mich nur noch in mein Bett legen und schlafen.

 

Nein, ich krieg das hin. Nur ein bisschen ausruhen, dann geht es wieder.

 

Mit dem Gedanken schloss ich die Augen und versuchte das dumpfe Kreisen in meinem Kopf zu ignorieren. Wenn es verschwunden war, würde ich mich aufrappeln und draußen auf Jason warten. Und dann würde ich mir überlegen, wie ich das mit Leif in den Griff bekam. Irgendwie.

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  chaos-kao
2021-12-17T21:21:11+00:00 17.12.2021 22:21
Okay, das lief jetzt so ganz anders als erwartet. Damit habe ich so ganz und gar nicht gerechnet ... oh mann, ich bin gespannt wie es weitergeht - und wie es der Zufall so will, bin ich die ganze Woche nicht zum Lesen gekommen und kann es gleich im Anschluss erfahren, da gleich noch ein Kapitel auf mich wartet - yay :3
Antwort von:  Maginisha
18.12.2021 10:35
Heyho1

Ja, so hatte Manuel sich das wohl nicht vorgestellt. Aber was blieb denn anderes übrig. In Thielensee bleiben , ging nicht. In eine Klinik wollte Leif nicht und zu seinen Eltern zurück ist aus verschiedenen Gründen keine Option. Bleibt also nur der Sprung ins kalte Wasser., wenn auch erst mal mit Schwimmflügeln. ;)

Ich husche mal weiter.
Von:  Ryosae
2021-12-11T10:59:30+00:00 11.12.2021 11:59
Hey Mag,
wie geil ist das denn? Jetzt haben wir dank Manuels überstürztes handeln das Gespräch mitbekommen!
Dr. Leiterer ist wirklich ein Badass, der Leifs Eltern in die Schranken weisen kann. Was haben die aber auch für Probleme? Echt schlimm... lieben die ihren Sohn eigentlich?

Die Idee vom Doc ist wirklich gut. Win-Win soazusagen. Obwohl für die Jungs eher nicht. Vielleicht können sie zusammen dorthin gehen?

Ob Manuel jetzt eingeschlafen ist und entdeckt wird?
Freu mich auf nächstes Kapitel :)

LG
Ryo
Antwort von:  Maginisha
11.12.2021 22:20
Hallo Ryosae!

Jaa, Manuel musste mal wieder kompliziert machen und den ungeraden Unweg gehen, um ans Ziel zu kommen. Und was für ein Ziel. Damit hatte er wohl nicht gerechnet.

Ob Leifs Eltern ihn lieben? Tja. Vielleicht die Vorstellung davon. Das das nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt und sie Leif damit massivem Druck aussetzen, sehen sie nicht. Schließlich wollen sie doch, dass er glücklich ist und das geht schließlich nur so, wie sie sich das vorstellen.

Ich finden den Vorschlag auch gut. Ist halt die Frage, was die beiden Spezis davon halten. Wir werden es erleben. ^_~

(Und natürlich auch, ob Manuel erwischt wird .^__^)

Zauberhafte Grüße
Mag


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