Ganz tief drin von Maginisha ================================================================================ Kapitel 21: Stolpersteine ------------------------- Ich erwachte mit einem Lächeln. Na ja, eigentlich mit einem Knurren, aber während Henning weiter den Gang entlangschlappte, um die anderen zu wecken, und ich dalag und mich fragte, warum eigentlich schon wieder Morgen war, bewegten sich meine Mundwinkel von ganz alleine nach oben. Leif. Ich konnte es immer noch nicht fassen. Ich, er, der ganze Tag gestern. Das war einfach der Wahnsinn, dass wir jetzt tatsächlich … Ich konnte es nicht mal denken. Fast so, als wären meine Worte irgendwie aufgebraucht. Mit dieser Erkenntnis kamen die Erinnerungen. Erinnerungen an die Dinge, die ich gesagt hatte. Dinge, die er gesagt hatte. Wir hatten beide so viel preisgegeben. Aber du wolltest das. Du wolltest es unbedingt. Was, wenn ich mehr abgebissen hatte, als ich schlucken konnte? Bei dem Gedanken musste ich grinsen. Das war etwas, das ich definitiv nicht bereute. Der Sex mit Leif war … toll. Atemberaubend. Sensationell. Allein die Erinnerung daran ließ mich mich auf den Rücken drehen wie ein rolliger Kater. Ich schloss die Augen und sah es vor mir. Wie er meinen Schwanz im Mund hatte, während sein Blick mich förmlich verschlang. Fühlte, wie meine Lippen über die weiche Haut seines Bauches glitten, die harten Konturen der Knochen seines Beckens nachfuhren, nur um dann hinabzutauchen und ihn ganz in mir aufzunehmen. Er stand drauf, wenn ich das tat. Ich hatte es gemerkt und war ein paar Mal ziemlich an meine Grenzen gegangen. Aber die Art, wie sich seine Hände auf meinem Laken nach Halt gesucht hatten, sein atemloses Keuchen und das Gefühl, ihm etwas Besonderes zu geben, hatten es mehr als wett gemacht. Aber es ist mehr als Sex. Keine Ahnung, wann das angefangen hatte, aber er bedeutete mir was. Ich kriegte dämliches Herzklopfen, wenn ich an ihn dachte, fing an zu grinsen und wäre vermutlich vor Laternen gelaufen, wenn denn welche in der Nähe gewesen wären. Ich wusste, was das hieß. Allein die Tatsache, dass ich gerade aus dem Bett sprang und mich in Windeseile anzog, um keinen Augenblick mit ihm zu verpassen, war garantiert nicht gesund für mich. Trotzdem fühlt es sich geil an. Ich grinste, während ich nach unten lief. „Das ging aber fix“, begrüßte Henning mich in der Küche. Ich schenkte ihm ein Grinsen. „Bin eben von der schnelle Truppe.“ „Na dann will ich dich mal nicht aufhalten“, antwortete er schmunzelnd und reichte mir die Müslischalen aus dem oberen Schrankfach. „Stellst du die noch hin?“ „Klar.“ Ich wollte den Stapel gerade auf den Tisch stellen, als Leif reinkam. Als er mich sah, fingen seine Augen an zu leuchten. „Guten Morgen“, sagte er trotzdem nur und tat so, als wäre nichts. „Morgen“, gab ich zurück. Er ging an mir vorbei. Seine Finger streiften meinen Hintern. Mit Sicherheit kein Zufall. „Hast du gut geschlafen?“ „Ja, sehr.“ „Ich auch.“ Unsere Blicke trafen sich und ich wusste, dass er sich ebenso wie ich danach sehnte, ihn zu küssen. Ich sah mich nach Henning um. Der war mit der Kaffeemaschine beschäftigt. Ich wollte mich gerade vorbeugen, als Leif zurückwich. Fast unmerklich schüttelte er den Kopf. Ich atmete versuchte den Stich zu ignorieren, den mir das versetzte. Er hatte ja recht. „Gibst du mir eine davon?“, sagte er stattdessen. Ich blickte ihn verständnislos an. Er grinste und wies auf die Schüsseln in meiner Hand. „Müsli, Schwachkopf.“ Ich verzog das Gesicht. „Selber Schwachkopf!“ „Pappnase.“ „Arschgesicht.“ „Hey!“ Henning hatte unsere Kabbelei mitbekommen und warf uns einen bösen Blick zu. „Kein Niveaulimbo vor acht Uhr, klar?“ Wir grinsten beide. „Zu Befehl, Boss.“ Ich reichte Leif nun endlich eine der Schüsseln. Für einen Moment berührten sich dabei unsere Finger. Ich hielt ebenso inne wie er. Wir lächelten wie zwei Volltrottel. Als jedoch der Nächste in die Küche kam, brachten wir schnell Abstand zwischen uns. Sollte ja keiner was merken. „Morgen“, brummelte Dennis und setzte sich ohne ein weiteres Wort an den Tisch. Er zog sich sein Käppi ins Gesicht und schloss die Augen. Typischer Fall von Frühstückskoma. Ich ließ ihn sitzen und deckte weiter. Erst, als der Rest der Truppe ebenfalls in die Küche polterte, kam wieder Leben in ihn. Suchend sah er sich auf dem Tisch um. „Wo issen die Milch?“ „Fehlt“, verkündete Nico und bölkte in meine Richtung. „Ey, Bimbo, hol mal Milch.“ Ich zeigte ihm einen gepflegten Mittelfinger, machte mich aber trotzdem auf den Weg zum Kühlschrank. Als ich zurückkam, war bereits die nächste Katastrophe am Anrollen. „Maan, das Müsli ist schon wieder alle“, muffelte Dennis. „Sven, du Vielfraß.“ Sven hob den Kopf. „Willst du Stress, oder was? Ich hab deinen Körnerfraß nicht. Frag Nico.“ Nico hob abwehrend die Hände. „Ich hab vor zwei Tagen das letzte Mal welches gegessen.“ „Ich hab mir welches genommen.“ Leif war hinter seiner Schüssel ganz klein geworden. Alle Augen am Tisch richteten sich auf ihn. Er rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Sven war der Erste, der sich wieder fing. „Hä, wieso hast du Müsli? Du isst sonst nie Müsli.“ Ich warf einen Blick in Leifs Schüssel. Tatsächlich lag da ein Haufen braune Flocken. Ich stellte die Milch daneben. „Kümmer dich um deinen eigenen Scheiß!“, raunzte ich Sven an. Der guckte mich an wie ein Auto. „Bist du jetzt sein Bodyguard, oder was?“ „Und wenn?“ Der drohende Unterton in meiner Stimme war nicht zu überhören. „Leute!“ Nico lehnte sich betont zwischen uns und griff nach dem Brotkorb. „Macht mal halblang, jetzt. Ich will in Ruhe frühstücken.“ „Das würde ich allerdings auch vorziehen.“ Henning war am Tisch erschienen und brachte die Kaffeekanne mit. Sofort reckten sich ihm mehrere Becher entgegen. Er lächelte. „Seht ihr? Geht doch.“ Er schenkte die braune Kraftbrühe aus, während ich mich auf den nächsten Stuhl fallen ließ. Erst als ich saß, merkte ich, dass ich mich direkt neben Leif gesetzt hatte. Der war jedoch damit beschäftigt, sein Müsli in sich hineinzulöffeln. Miniportion für Miniportion wanderte in seinen Mund. Er kaute ungefähr 48 mal, bevor er es endlich herunterschluckte und den nächsten Löffel nahm. Man konnte fast wahnsinnig werden beim Zusehen. Dann guck halt nicht hin. Mit gesenktem Blick konzentrierte ich mich darauf, was auf meinem eigenen Teller passierte. Ich verteilte Butter und mehr Salami, als eigentlich auf das Brot passte und biss hinein. In dem Moment berührte mich etwas unter dem Tisch. Ich blickte auf. Leif war immer noch mit seinem Müsli beschäftigt, aber ich wusste, dass es sein Fuß war, der da sanft an meinen stieß. Ich warf einen kurzen Blick in die Runde, bevor ich mich ein bisschen in seine Richtung schob. Dummerweise war ein Tischbein zwischen uns, sodass sich unser Kontakt auf ein Minimum reduzierte, aber es war besser als gar nichts. Ich spürte die Wärme seines Knies an meinem. Schweigend „genossen“ wir unser Frühstück, bis Leif irgendwann den Löffel sinken ließ. Seine Schüssel war nicht einmal zur Hälfte geleert. „Leif?“ Henning sah fragend in Leifs Richtung. Der lächelte entschuldigend. „Ich hab mich ein bisschen übernommen. Kann ich aufstehen?“ Henning sagte nichts dazu, aber ich sah genau, dass er damit nicht zufrieden war. Auch Dennis schien sich einen Kommentar verkneifen zu müssen. Finster funkelte er Leif an. „Du weißt, dass ich das melden muss?“, fragte Henning dessen ungeachtet. Leif nickte stumm. Henning musterte ihn noch einen Augenblick lang kritisch, bevor er in Richtung Tür nickte. „Na schön, dann ab mit dir.“ Leif schob den Stuhl zurück und warf mir noch einen entschuldigenden Blick zu, bevor er sich aus dem Staub machte. Der Rest von uns frühstückte noch zu Ende, aber die Stimmung war definitiv im Eimer. Alles wegen einer dämlichen Schale Müsli. Kurz darauf war auch der Rest fertig und verkrümelte sich nach und nach. Ich blieb mit Henning und dem abgegrasten Tisch allein zurück. Er seufzte und begann abzuräumen. Ich schnappte mir Leifs halbvolle Schüssel und schüttete die Reste in den Ausguss. Es war noch eine ziemliche Menge, die da im Waschbecken landete. Die Milch lief nicht ab. „Was ist los?“ Henning war hinter mir erschienen. Er warf einen Blick über meine Schulter. „Oh, das ist zu viel. Holst du es bitte wieder raus und tust es in den Mülleimer? Nicht, dass uns noch der Abfluss verstopft.“ Ich brummte eine halbe Zustimmung und kratze den Kram wieder aus dem Becken. Es fühlte sich schleimig und brockig an. Angewidert wusch ich mir danach die Finger und spülte die Reste mit viel Wasser weg. Als ich damit fertig war, hatte Henning schon den halben Tisch abgeräumt. „Schaffst du den Rest alleine?“, meinte er und deutete mit dem Kopf Richtung Tür. „Ich muss mal nach Leif sehen gehen.“ „Kann ich das nicht machen?“, fragte ich schnell. Henning lächelte leicht. „Danke für das Angebot, aber das ist meine Aufgabe.“ „Aber ich kann das. Bestimmt.“ Bittend sah ich Henning an. Er presste die Lippen aufeinander. Hinter seiner breiten Stirn schien es zu arbeiten. „Na schön“, sagte er schließlich. „Ich werde Tobias aber trotzdem nachher davon erzählen. Wir müssen auf Leif aufpassen. Wir, Manuel, nicht du.“ „Weiß ich doch“, sagte ich schnell. „Aber Leif und ich, wir sind … Freunde. Vielleicht erzählt er mir, was los war.“ Henning seufzte. „Na gut, dann versuch dein Glück. Aber mach nichts Dummes, klar? Das ist nicht deine Aufgabe.“ Ich nickte und machte mich auf den Weg. Während ich Stufe für Stufe nahm, umkreisten sich meine Gedanken wie knurrende Hunde. Der Morgen hatte doch so gut angefangen. Und dann gestern. Warum benahm sich Leif da so komisch? Hatte er es sich anders überlegt? Aber das konnte doch eigentlich nicht sein. Wenn es so gewesen wäre, hätte er sich doch anders benommen. Es konnte doch nicht alles an diesem dämlichen Müsli liegen. Oder konnte es? Als ich oben ankam, stand Leifs Zimmertür offen. Er selbst war nicht da. Da niemand auf dem Flur zu sehen war, ging ich zum Bad zurück und lauschte. Irgendwer putzte sich da drinnen gerade die Zähne. Mit einem tiefen Einatmen hob ich die Hand und klopfte. Die Geräusche an der Innenseite verstummten. „Ja?“ Es war Leif. „Ich bin’s. Machst du auf?“ „Moment.“ Ich hörte, wie er die Verriegelung löste. Im nächsten Moment öffnete sich die Tür. „Ja?“ Seine Haare hinge ihm ein wenig feucht ins Gesicht und sein Gesicht war gerötet. Er wich meinem Blick aus. „Kann ich reinkommen?“ Er zögerte einen Augenblick lang, bevor er zur Seite trat und mich reinließ. Schnell schlüpfte ich durch die Tür und schloss hinter mir ab. Als ich mich umdrehte, war er bereits zum Waschbecken zurück gekehrt. „Ich wollte mich noch rasieren.“ Ich versuchte ein Grinsen. „Soll ich helfen.“ Er lachte kurz, bevor er wieder ernst wurde. Wahrscheinlich ahnte er, weswegen ich hier war. Plötzlich hatte ich keine Lust mehr, ihn nach dem Frühstück zu fragen. Ich trat hinter ihn und lehnte mich an ihn. Wärme ging von seinem Körper aus. Ich spürte sie durch den Stoff seines T-Shirts. Langsam schob ich meine Arme um ihn. Ich spürte, wie er kurz steif wurde und sich dann an mich lehnte. So standen wir einen Augenblick lang da, bevor er sich in meinem Arm drehte und mich ebenfalls umarmte. Seine Lippen legten sich an meinem Hals. „Tut mir leid“, murmelte er. „Ich wollte es nicht versauen.“ Ich drückte ihn fester an mich. „Hast du nicht.“ „Doch hab ich.“ Er machte sich von mir los und drehte sich wieder zum Waschbecken. Sein Blick war nach unten gerichtet. „Ich verspreche dir, dass das nicht mehr vorkommt.“ Ich runzelte die Stirn. Ich wusste nicht genau, was er meinte. Als ich ihn danach fragte, hob er den Kopf. Erst jetzt sah ich, dass seine Augen leicht gerötet und glasig waren. „Ich hab Scheiße gebaut. Mit dem Essen. Ich dachte einfach, ich krieg das hin, aber als mich dann alle angestarrt haben und Dennis so sauer war, dass ich sein Müsli gegessen hab …“ „Der Penner soll sich nicht so anstellen. Das Zeug ist schließlich für alle da.“ „Ja, aber du hast Sven doch gehört. Ich esse sonst nie Müsli.“ Leifs Stimme war ein Stückchen nach oben gerutscht. Als er es merkte, atmete er tief durch. „Sorry. Ich bin hier grad voll die Dramaqueen. Dabei war es nicht so wild, okay? Ich krieg das in den Griff. Wirklich.“ Ein Teil von mir wollte Leif glauben. Er wollte glauben, dass es alles ganz harmlos war, ein Ausrutscher. De andere Teil jedoch fragte sich, wie es dazu kommen konnte. Immerhin waren wir doch zusammen gewesen. Genügte das nicht? „Erklärst du es mir?“, fragte ich leise, nachdem keiner von uns Anstalten machte, sich vom Fleck zu rühren. Leif schüttelte leicht den Kopf. „Ganz ehrlich, den Scheiß willst du gar nicht verstehen. Weil es genau das ist: Scheiß. Eigentlich weiß ich das ja auch, aber …“ Er brach ab. War heute Tag der halb gesagten Sätze? Ich hätte mit dem Kopf gegen die Wand schlagen wollen. „Dann red mit mir darüber. Oder mit Dr. Leiterer oder Tobias oder sonst wem. Lass dir helfen.“ Erst, nachdem ich das ausgeblubbert hatte, wurde mir die Ironie bewusst. Dass ausgerechnet ich das sagte, war nun wirklich der Hohn in Tüten. Komischerweise schien es Leif tatsächlich zu erreichen. „Ja“, sagte er leise. „Das sollte ich tun.“ Er hob den Kopf. „Ich hab einfach Angst, dass du … dass du denkst, dass ich voll der Freak bin, wenn ich es dir erkläre. Weil ich ja weiß, dass ich das bin, aber …“ „Quatsch!“ Ich trat zu ihm, drehte ihn um und zog ihn an mich. Zögernd erwiderte er die Umarmung. „Ich bin genauso ein Freak“, meinte ich und strich sanft über seinen Rücken. „Und ich will einfach … ich will es verstehen. Ich bin nicht dumm, weißt du? Ich krieg das hin.“ Leif schnaufte. „Ich weiß. Aber eigentlich will ich gar nicht, dass du was davon mitbekommst.“ Ich lachte leicht. „Tja, dafür ist es vielleicht ein bisschen spät, oder?“ Ich hob den Kopf und sah ihm direkt in die Augen. „Du musst mir nichts erzählen, was du nicht willst. Aber ich verstehe halt nicht, warum du das bisschen Müsli nicht einfach essen konntest. Was ist denn dabei?“ Für einen Moment befürchtete ich, dass Leif sich wieder wegdrehen würde. Ich wusste, dass ich ihm gerade ziemlich auf die Zehen getreten war. Aber ich wollte mich auch nicht einfach so abspeisen lassen. Als er sah, dass ich nicht nachgeben würde, seufzte er leise. „Es ist ja auch dumm“, sagte er und wandte nun doch den Blick ab. „Es ist schließlich nur ein bisschen Müsli. Das sollte man hinkriegen zu essen, oder? Wenn man normal und gesund wäre, sollte man das hinkriegen.“ Er atmete tief ein und schloss die Augen. „Und damit kennst du dann schon eines meiner Teufelchen.“ Ich legte die Stirn in Falten. „Teufelchen?“ Ein leises Lächeln schlich sich auf Leifs Lippen. „Wie im Fernsehen. Du weißt schon. Wenn Engelchen und Teufelchen auf der Schulter erscheinen. Der eine will was Gutes tun, der andere was Böses. Und dann streiten sie sich.“ Er atmete noch einmal tief durch. „Tja, bei mir sind es zwei Teufelchen und beide sind der Meinung, dass ich zu nichts zu gebrauchen bin.“ Aber das stimmt doch nicht, wollte ich sagen, als draußen Hennings Stimme über den Flur schallte. Wir mussten zur Schule. Scheiße! „Hör zu, Leif, wir reden da nochmal drüber, ja? Heute Mittag?“ Leif sah nicht überzeugt aus. Trotzdem nickte er tapfer. „Klar. Ich … ich überleg mir, wie ich dir das möglichst so beibringe, dass du nicht gleich schreiend davonläufst.“ Ich verschob meine Mundwinkel zu einem Lächeln. „Das werde ich nicht. Ich mag dich nämlich und ich kann wirklich verdammt stur sein.“ Leif sagte daraufhin gar nichts. Er lehnte sich nur vor und küsste mich. Eine Wolke von Pfefferminz hüllte mich ein. „Mhm, und davon will ich auch mehr“, murmelte ich und öffnete meine Lippen, um Leifs Zunge in Empfang zu nehmen. Er lächelte. „Okay. Dann haben wir eine Verabredung?“ „Ja, haben wir.“ „Gut.“ Er löste sich aus meinen Armen und sah mich an. In seinen Augen stand wieder das Leuchten von heute Morgen. „Aber rasieren schaffe ich wohl jetzt nicht mehr.“ Ich grinste. „Ich hab dir angeboten, dass ich dir helfe.“ „Du willst mich ja nur nackt sehen.“ Mein Grinsen wurde breiter. „Ja, will ich. Unbedingt.“ Er lachte kurz, bevor er wieder ernst wurde. Von unten herauf sah er mich an. „Findest du mich eigentlich … na ja …“ Er sprach nicht weiter. Ich grinste ein bisschen. „Ich hab das Gefühl, dass alles, was ich sage, irgendwie das Falsche wäre.“ Er senkte den Kopf. „Ja, da hast du wahrscheinlich recht.“ Ich trat noch ein Stück näher, schob die Hand unter sein Kinn und hob es an, sodass er mich ansehen musste. „Aber ich glaube, du hast inzwischen gemerkt, dass du mich ziemlich anmachst, oder?“ Ich sah, wie er sich über die Lippen leckte. Mein Herz klopfte schneller und für einen Moment vergaß ich, wo wir waren. Die Idee, Leif einfach die Klamotten runterzureißen und ihn an Ort und Stelle zu vernaschen, manifestierte sich mehr und mehr. Ich wollte ihn. Ich wollte ihn so sehr. In diesem Moment wummerte es an der Badezimmertür. „Also entweder ihr kommt jetzt raus oder ich komme rein und das wird dann definitiv ungemütlich.“ Stöhnend ließ ich meinen Kopf gegen Leifs Brust sinken. Das war doch jetzt echt nicht wahr. Leif lachte und schob mich leicht von sich. „Na los, komm, beeilen wir uns, bevor er echt noch die Tür eintritt.“ „Meinst du, das würde er machen?“ „Ich würde es lieber nicht riskieren.“ Ich sah kurz zur Tür, hinter der Henning wie ein aufgebrachtes Walross Posten bezogen hatte. Danach glitt mein Blick zurück zu Leif. „Aber irgendwann demnächst bist du fällig, das ist dir klar, oder?“ Für einen Augenblick sah es so aus, als wollte Leif widersprechen, doch dann schlug er die Augen nieder. „Wenn du drauf bestehst.“ „Aber so was von.“ Ich klaute mir noch einen schnellen Kuss, bevor ich die Tür aufschloss und Henning die Tür öffnete. Er musterte mich kritisch. „Und?“, fragte er nach. Ich setzte ein zuversichtliches Lächeln auf. „Alles wieder unter Kontrolle. Leif hat versprochen, dass er heute Mittag die doppelte Portion isst.“ Hatte er zwar nicht, aber das musste Henning ja nicht unbedingt wissen. Leif schaltete zum Glück schnell. „Ja, tue ich. Ganz großes Ehrenwort.“ Er sah tatsächlich aus, als würde er es ernst meinen. Henning brummte zufrieden. „Na schön. Dann glaube ich euch das mal. Und jetzt ab mit euch nach unten. Die anderen warten schon.“ Der Rest des Vormittags verlief selten öde. Ich versuchte mich auf den Stoff zu konzentrieren, aber meine Gedanken wanderten immer wieder ab zu Leif und seinem blöden Essproblem. Selbst Herr Zimmermann bekam mit, dass ich heute nicht recht bei der Sache war. „Ist Grammatik denn wirklich so furchtbar?“, fragte er, als ich, statt unregelmäßige Verben aufzuschreiben, einfach den Kopf auf den Tisch gelegt hatte. „Ja, heute schon“, brummte ich und blieb liegen. „Na los, Manuel. Reiß dich mal ein bisschen zusammen. Eine Stunde noch, dann ist Wochenende.“ Wochenende. Tatsächlich. Das hatte ich vollkommen vergessen. Zwei volle Tage keine Schule. Blöd bloß, dass wie immer Arbeiten auf dem Programm stand. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich die Zeit von Freitag bis Sonntag im Bett verbracht. Mit Leif. Und Pizza. Aber das fiel wohl aus wegen ist nicht. „Okay, okay“, brummelte ich und machte mich daran, die blöden Verben zu deklinieren. Was immer das auch hieß. Es klang irgendwie ungesund. Als es endlich klingelte, machte ich, dass ich rauskam. Leif wartete bereits auf dem Flur auf mich. Er lächelte, als er mich sah. „Endlich Wochenende!“ Ich grinste. „Du klingst wie Herr Zimmermann.“ „Oh nee, bloß nicht.“ Wir blödelten herum, bis wir nach draußen kamen, wo Tobias uns bereits erwartete. Als wir seine Miene sahen, verging uns das Lachen. „Hallo Leif“, begrüßte er uns. Ich wollte mich gerade beschweren, als er sich an mich wandte. „Manuel? Gehst du schon mal vor? Ich hab noch was mit Leif zu besprechen?“ Ich blieb stehen. „Warum? Ist das ein Geheimnis?“ Tobias lächelte schmal. „Sozusagen. Ist was Privates. Na los, ab mit dir.“ Ich zögerte. Das gefiel mir nicht. Trotzdem zockelte ich langsam in Richtung Wohnheim. Dabei sah ich immer wieder zu den beiden zurück. Tobias redete auf Leif ein, der wiederum den Kopf gesenkt hatte. Ich konnte förmlich hören, wie seine Stimme immer leiser wurde. Wie sie anfing zu zittern und irgendwann ganz verstummte. Was immer Tobias zu sagen hatte, war mit Sicherheit unangenehm. Aber was? „Manuel, nicht trödeln. Du hast Tischdienst, schon vergessen?“ Thomas stand an der Tür und hielt sie mir auf. Ich sah noch einmal zum Parkplatz. „Was ist mit Leif und Tobias?“ „Um die brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Tobias hat doch einen Schlüssel.“ Widerwillig folgte ich Thomas nach drinnen. Irgendetwas stimmte da nicht. Ich fühlte es. Während ich Teller auf dem Tisch verteilte, lauschte ich immer wieder, ob sich die Tür öffnete, aber es war nicht zu hören außer dem Gesabbel und Gelächter der anderen. Wütend fuhr ich zu Sven und Nico herum. „Könnt ihr nicht mal die Schnauze halten?“ Die beiden sahen sich an. „Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“ „Schlecht geschissen, oder was?“ Ich knurrte. „Nee, aber ne zu große Portion eurer Blödheit eingeatmet.“ Ich bekam nicht mehr als ein müdes Lächeln für den schwachen Spruch. Danach waren sie noch lauter. Sogar Jason machte jetzt mit. Ich biss die Zähne zusammen und verkniff mir jede weitere Bemerkung. Stattdessen knallte ich Löffel und Gabeln auf den Tisch. Spaghetti Bolognese sollte es geben. Guten Appetit. Als Thomas und Nico die Töpfe brachten, waren Leif und Tobias immer noch nicht da. Immer wieder sah ich zur Tür, aber niemand tauchte auf. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. „Soll ich mal gucken, wo die bleiben?“, fragte ich und wollte schon loslaufen, als Thomas mich zurückpfiff. „Die kommen schon, wenn sie soweit sind. Lass sie mal in Ruhe.“ Unschlüssig stand ich zwischen Tisch und Tür. Ich wollte Tobias und Leif aber nicht in Ruhe lassen. Ich wollte wissen, was da los war. Funkten seine Eltern etwa wieder dazwischen und wollten ihn abholen? Oder hatte Henning doch gepetzt, was bei Frühstück passiert war. Der Arsch! „Manuel, hinsetzen!“ Thomas’ Stimme zeigte deutlich, dass ich mich einer Grenze näherte. Einer Grenze, die ich besser nicht überschritt, wenn ich keinen Ärger haben wollte. Aber jetzt gerade wollte ich Ärger haben und zwar so richtig. „Und wenn nicht?“, fragte ich zurück und reckte das Kinn. Sollte er mich doch holen kommen. Thomas musterte mich streng. „Manuel, bitte setz dich, wir wollen essen.“ Ich wollte nicht gehorchen. Ich wollte nicht wie ein Kind behandelt werden. Dann hör auf, dich wie eins zu benehmen. Ich wusste nicht, wo die Stimme herkam, aber sie hörte sich verdammt nach Dr. Leiterer an. Scheiße! „Okay“, brummte ich und bewegte mich im Schneckentempo zurück zum Tisch. Ich ließ mich auf meinen Platz fallen und sah dabei zu, wie die anderen sich Nudeln und Soße auf die Teller schaufelten. Nur drei Teller waren noch leer. Einer davon war meiner. „Hier.“ Jason reichte mir die Schüssel mit den Nudeln. Ich überlegte gerade, ob ich ihn einfach ignorieren sollte, als plötzlich Schritte im Flur zu hören waren. Leif und Tobias kamen wieder. Ich wäre am liebsten aufgesprungen, aber das wäre zu auffällig gewesen. Also griff ich nach der Schüssel und begann mir aufzutun. Dabei wünschte ich mir, am Hinterkopf Augen zu haben. Ich wollte so gerne wissen, was da abging. „Mahlzeit“, grüßte Tobias, bevor er sich an den Tisch setzte. „Das sieht gut aus. Gibst du mir mal die Spaghetti?“ Er lächelte mich an, aber ich bemerkte es gar nicht. Mein Blick klebte an Leif. Der war weiß wie die Wand und starrte auf seinen leeren Teller. Ich stieß ihn mit dem Ellenbogen an. „Willst du?“, fragte ich. Er hob den Kopf und sah mich an, als hätte ich ihn gefragt, ob ich ihn wohl ohne Narkose die Eier abschneiden dürfte. Als wenn ich das machen würde. Ich mochte seine Eier. „Ja, sicher“, sagte er, als sein Gehirn anscheinend einen Zusammenhang zwischen mir, der Schüssel und der Tatsache, dass er am Esstisch saß, hergestellt hatte. Mechanisch tat er sich auf, bevor er die Schüssel an Tobias weiterreichte. Es folgte Soße. Eine ganze Kelle. Danach musterte er den Teller, als würden die Nudeln gleich ihn verschlingen. Mit einem tiefen Durchatmen griff er zur Gabel und machte sich daran, die erste Portion aufzuwickeln. Als er sie in den Mund steckte und zu kauen begann, traf mich ein tadelnder Blick von Tobias. „Dein Essen wird kalt.“ Er deutete mit dem Kopf auf die Portion Spaghetti, die immer noch unangetastet vor mir stand. Erst jetzt merkte ich, dass mein Magen knurrte. Ohne ein weiteres Wort begann ich ebenfalls zu essen. Dabei bemühte ich mich, nicht zu Leif rüberzusehen, der sich durch seine komplette Portion Nudeln kämpfte. Erst danach lege er das Besteck zur Seite „Kann ich jetzt aufstehen.“ Es klang ziemlich kläglich. Tobias verneinte. „Erst machen wir noch Hausaufgaben. Und dann kannst du mir helfen, die Planen im Flur zu verteilen. Wir wollen doch heute mit dem Aufsprühen der Skizzen anfangen.“ Leif nickte nur und sagte nichts dazu. Ich hingegen verstand die Welt nicht mehr. Warum zum Teufel klebte Tobias ausgerechnet heute an Leif wie Hundescheiße an einem Schuh? Und wie bekam ich heraus, worüber die beiden gesprochen hatten? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)