Ganz tief drin von Maginisha ================================================================================ Kapitel 20: Geständnisse ------------------------ Der Rest des Nachmittags verging schneller, als ich erwartet hatte. Wir sprayten, lachten, blödelten herum. Ich sah sogar, wie Leif sich mit Dennis und Jason unterhielt. Es war komisch und gleichzeitig gut. Fast ein bisschen wie Familie. Eine, in der sich die Leute gegenseitig halfen. Wie in einem Bilderbuch. Kurz vor dem Abendessen war jedoch Schluss mit lustig. Cedric räumte seine Sachen zusammen und verabschiedete sich anschließend von uns. Tobias brachte ihn nach draußen. Ich deckte gerade den Tisch in der Küche, als er wieder hereinkam. „Na, ist er weg?“   Tobias lächelte. „Ja, ist er. Aber er kommt morgen wieder. Dann machen wir uns an die Planung des Flurs. Immerhin wollen wir nächste Woche damit fertig sein.“ „Klingt gut.“   Ich verteilte weiter Teller. Irgendwann bemerkte ich, dass Tobias mich dabei beobachtete.Fragend hob ich die Augenbrauen.   „Was ist?“ „Weiß nicht. Du bist heute irgendwie … anders. Ist wirklich alles in Ordnung?“   Ich nickte leicht und wandte den Kopf ab. Auf dem Teller vor mir klebte noch irgendwas, das in der Spülmaschine nicht ganz runtergewaschen worden war. Ich pulte es mit dem Fingernagel ab und wischte die Krümel beiseite. Würde schon keinem auffallen. Im Hintergrund rührte Nico in einer Pfanne herum und Leif war dabei den Kühlschrank auszuräumen. Mein Blick blieb kurz an ihm hängen, bevor er wieder zum Tisch zurück wanderte. Ich musste noch weiter decken. Tobias seufzte. „Na schön. Ich seh schon, du willst lieber vor dich hingrübeln. Aber wenn du doch jemanden zum Reden brauchst, weißt du, dass du immer zu mir kommen kannst. Oder zu den anderen. Wir sind für euch hier, Manuel. Für euch.“ Er schenkte mir noch einen aufmunternden Blick, bevor er nachsehen ging, ob er einem der anderen unter die Arme greifen konnte. Ich blieb zurück und verteilte die restlichen Teller. Einen nach dem anderen. Nur nicht zu viel nachdenken. „Hey!“   Leif war neben mich getreten. Er stellte Käse und Wurst auf den Tisch.   „Wollen wir nach dem Essen vielleicht … zu mir gehen?“   Ich sah ihn nicht an. „Meinst du nicht, dass das auffällt?“   Er schnaubte belustigt. „Wieso? Die anderen hängen doch auch manchmal zusammen ab. Warum also nicht wir?“   Jetzt blickte ich doch auf. Leifs Augen leuchteten. Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. „Okay. Ich komme. Aber wir müssen vorsichtig sein.“ „Klar.“     Mit einem komischen Gefühl im Bauch setzte ich mich zum Essen. Mechanisch schmierte ich mir ein Brot, aber eigentlich hätte ich gut und gerne darauf verzichten können. Auch Leif schien heute keinen richtigen Appetit zu haben. Im Gegensatz zu mir, wurde das bei ihm jedoch kommentiert. „Leif, du hast kaum was gegessen.“   Er sah entschuldigend zu Tobias rüber. „Ich hab heute einfach keinen Hunger.“   Tobias atmete angestrengt. „Willst du noch was anderes haben? Du kannst ein Spiegelei bekommen, wenn du kein Rührei magst.“   Leif lächelte.   „Nein, wirklich, ich … ich mag heute nicht so viel essen. Morgen wieder, ja? Oder ich nehm mir noch Schokolade mit, wenn ich darf. Ich würde nach dem Essen gerne auf mein Zimmer gehen.“   Ich sah genau, dass Tobias das nicht recht war. Bevor er jedoch dazu kam zu antworten, mischte ich mich ein. „Oh, kann ich mitkommen? Du wolltest mir doch noch bei meinem Motiv helfen. Erinnerst du dich?“   Leif sah mich kurz erstaunt an, bevor er schaltete. „Ja, sicher. Mach ich gerne.“ Er wandte sich an Tobias. „Geht das klar?“   Tobias warf einen Blick in meine Richtung, bevor er zögernd nickte. „Ja, sicher. Wenn ihr zusammen seid, geht das in Ordnung.“   Er sah noch einmal zu Leif. Für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, dass da etwas zwischen ihnen vorging, das ich nicht verstand. Bevor ich mich jedoch lange genug darüber wundern konnte, war der Moment vorbei und Tobias lächelte wieder sein normales Lächeln.   „Na schön, dann räumen wir mal ab, damit ihr an die Arbeit gehen könnt.“   Ich grinste und auch Leif ließ sich nichts weiter anmerken. An dem Blick jedoch, den er mir hinter Tobias Rücken zuwarf, sah ich genau, dass er das Gleiche dachte wie ich.     Die Tür hatte sich kaum hinter uns geschlossen, als wir uns schon in den Armen lagen. Ich hatte das Gefühl, ihn ewig nicht berührt zu haben. Seine Küsse waren tief und verheißungsvoll. „Meinst du wirklich, dass das eine gute Idee ist?“, fragte ich, während seine Lippen meine Haut liebkosten. „Nein, das denke ich absolut nicht“, entgegnete er lachend, bevor er mich sanft in den Hals biss und dann losließ und einen Schritt zurücktrat.   Mit einem bedauernden Grinsen ließ ich mich auf sein Bett fallen, während er Stellung am Schreibtisch bezog. Ich wusste, was das hieß. Wir würden wohl endlich reden.     Eine Weile lang schwiegen wir uns an. Ich ließ meinen Blick durch das Zimmer schweifen und blieb wieder an den Bildern an der Wand hängen. Der Typ neben Leif, der den Arm um ihn gelegt hatte und mit ihm zusammen in die Kamera grinste. Leif sah auf dem Bild anders aus. Weniger schmal. Glücklicher. „Das ist René“, sagte Leif hinter mir. Er hatte wohl bemerkt, was ich mir ansah. Ein kurzer Seitenblick zu ihm zeigte mir, dass er eine Hand in seinen Ärmel gekrallt hatte und auf seiner Unterlippe herumkaute. Die Tafel Schokolade, die er tatsächlich mitgebracht hatte, lag unbeachtet hinter ihm auf dem Schreibtisch. Ich schaute wieder zurück zu dem Bild.   René also. Er sah gut aus. Groß, dunkelhaarig, sportlich. Ein nettes Lächeln. Hätte mir auch gefallen können. „Hattet ihr mal was miteinander?“   Ich spürte förmlich, wie Leif hinter zusammenzuckte. Hatte ich etwa ins Schwarze getroffen? Neugierig drehte ich mich halb zu ihm um.   Leifs Blick war zu Boden gerichtet. Der Griff um seinen Ärmel war stärker geworden. Wäre er nicht da gewesen, hätten sich seine Nägel in seinen Unterarm gebohrt. „Nicht wirklich“, murmelte er. „Es war mehr so eine … einseitige Sache.“   Einseitig?   „Von deiner Seite aus oder von seiner?“ „Von meiner.“   Als Leif merkte, dass ich ihn immer noch abwartend ansah, seufzte er. „Er ist hetero. Zumindest so gut wie. Am Anfang dachte ich zwar mal, dass ich eine Chance hätte, aber als dann ein Mädchen aufgetaucht ist, war Schluss damit. Er brauchte mich dann nicht mehr.“   Leifs Stimme war zum Schluss immer leiser geworden. Er hatte sich in sein Sweatshirt verkrochen und die Beine angezogen. Als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte, lächelte er verlegen. „Sorry, das … das war jetzt doof. Ich wollte dir das eigentlich gar nicht erzählen.“   Ich winkte ab. „Schon okay. Ich mein, ich hab dir ja auch von … meinem Ex erzählt.“   Zumindest wenn man Dr. Leiterers Definition zugrunde legte. Ich sah noch einmal zu dem Foto. „Aber wenn er so ein Arsch war, warum hast du dann immer noch Bilder von ihm an der Wand?“   Leifs Lächeln wurde traurig. „Weil er mir ziemlich geholfen hat, als … als meine Eltern es rausgefunden haben. Sie sind ziemlich durchgedreht und … na ja. Er war für mich da. Hat mich bei sich schlafen lassen und so.“   Er machte eine Pause. Über seinem Gesicht schwebten dunkle Wolken.   „Leider war ich dann der Arsch von uns beiden. Ich … ich hab versucht, die Situation auszunutzen. Nichts, worauf ich stolz sein könnte. Er hat dann den Kontakt abgebrochen, weil … weil ich halt echt Scheiße gebaut hab. Das war dann der Zeitpunkt, wo das mit dem Essen angefangen hat.“   Leif fummelte wieder an seinem Ärmel herum. Unwillkürlich fragte ich mich, ob er damit wohl noch mehr zu verbergen hatte. Hatte ich alte Verletzungen gesehen? Narben? Ich konnte mich nicht erinnern. „Und wie ging es dann weiter?“   Sein Blick richtete sich in die Ferne. „Schlimmer. Zuerst hab ich mich total zurückgezogen. Meine Eltern haben das Thema totgeschwiegen und ich … ich hab mitgemacht. Was sollte ich auch tun? Ich konnte ja nirgends hin. Aber irgendwann hab ich es nicht mehr ausgehalten. Ich wurde … wütend. Hab die Schule geschwänzt, bin nicht nach Hause gekommen, hab mich rumgetrieben. Mir die falschen Freunde gesucht. Mit Absicht. Wahrscheinlich wollte ich einfach, dass meine Eltern mich … bemerken. Mich ansehen, wenn sie mit mir reden, statt über mich, während ich mit ihnen an einem Tisch sitze. Als wäre ich nichts als Luft. Und es hat geklappt. Nachdem mich die Polizei ein paar Mal nach Hause gebracht hat, reichte es ihnen. Was sollten denn auch die Nachbarn denken, die Lehrer, der Stadtrat oder was weiß ich wer noch. Das war meinen Eltern schon immer wichtig.“   Er lächelte schmal.   „Es endete damit, das ich hierher kam. Damit ich zur Vernunft komme. Wieder der brave Sohn werde, den sie gerne hätten. Der, der irgendwann mal heiratet und Kinder kriegt und so was alles. Dass das nicht passieren wird, akzeptieren sie nicht.“   Ich schnaubte. Leifs Eltern hatten ja echt noch einen größeren Sockenschuss als meine. Denen war ich wenigstens nur egal. „Und warum machst du da mit?“, wollte ich wissen. „Sag ihnen doch einfach, dass sie dich mal können.“   Leif lachte bitter auf. „Weil ich das nicht kann. Wenn ich ihnen die Meinung sage, nehmen sie mich hier raus und das will ich nicht. Noch nicht. Also halt ich meine Klappe und versuche unter dem Radar zu bleiben.“ Er sah zu mir rüber, die Unterlippe zwischen den Zähnen. „Das muss dir komisch vorkommen, oder? Ich meine, du musst hier sein und ich will das?“   Jetzt war ich es, der den Blick abwandte. Noch vor ein paar Wochen, Tagen vielleicht, hätte ich gesagt, dass er verrückt war. Und ja, wenn ich es mir hätte aussuchen können, wäre ich sicherlich lieber woanders gewesen, aber …   „Nein, das ist nicht komisch. Mir geht’s ja so ähnlich. Wenn ich jetzt wieder zu meinen Eltern zurück müsste, dann … dann würde ich wahrscheinlich irgendwann in den Knast wandern. Oder tot unter ner Brücke liegen. Je nachdem, was schneller geht.“   Leif sah mich fragend an. Ich verschob meine Mundwinkel zu einem spöttischen Lächeln. „Mein Bruder. Hat versucht mich abzustechen, weil ich ihn an die Bullen verpfiffen habe. Wenn seine Freunde nicht gewesen wären, würde ich wohl jetzt nicht hier sitzen.“   Leif schwieg daraufhin. Ich lachte leicht. „Hey, keine Panik. Der sitzt wieder und ich bin hier gut aufgehoben. Kein Grund, sich Sorgen zu machen.“   Leif schüttelte den Kopf.   „Das ist es nicht. Ich hab mich nur grad gefragt, ob ich wohl noch da wäre, wenn meine Freunde nicht gewesen wären.“   Leif sah mich nicht an. Auch nicht, als ich mich aufsetzte und zu ihm rüberging. Also schob ich ihn einfach mitsamt seinem Stuhl ein Stück nach hinten und setzte mich auf seinen Schoß. Er blickte zu mir auf.   „Du bist aber nicht weg und ich auch nicht“, sagte ich „Wir sind noch hier. Das ist doch schon mal was, oder nicht?“   Leif lächelte leicht. „Ja, ist es.“   Seine Arme schlossen sich um mich und er lehnte sich an mich. „Ich bin froh, dass ich dich getroffen habe.“ „Ich auch.“   Eine Weile lang saßen wir einfach nur so da. Ich fuhr mit den Fingern über seinen Nacken. Die Haare waren inzwischen ein Stück gewachsen. Nicht mehr ganz so borstig, sondern weicher. Ich hätte das ewig machen können. Eingehüllt ihn ihn, in seinen Geruch. Er ganz nahe bei mir. Unter mir. Um mich herum. Ich genoss das Gefühl, ihm so nahe zu sein.   Irgendwann brach Leif jedoch die Stille. „Erzählst du mir jetzt von Bambi?“, fragte er leise.   Ich legte das Kinn auf seinen Kopf und sah aus dem Fenster. Es musste wohl sein.   „Was willst du wissen?“ „Wie lange wart ihr zusammen?“   Ich schnaufte. Genau diese Frage konnte ich nicht mit Sicherheit beantworten.   „Keine Ahnung“, gab ich schließlich zurück. „Es war nicht … so eine Art von Beziehung.“ „Dann habt ihr nur gefickt?“   Meine Finger schlossen sich fester um Leifs Nacken. Er sollte so was nicht sagen.   „Nein“, gab ich bemüht ruhig zurück. „Ich weiß nicht so recht, was es war. Er … er war lieb und alles, aber er hat noch bei seiner Mutter gewohnt, die von all dem nichts mitbekommen durfte. Außerdem wusste ich, dass ich irgendwann wieder weg muss, also hab ich … ich hab …“ „Ihn auf Abstand gehalten?“   Ich atmete tief durch. Das passte wohl so ziemlich wie Faust aufs Auge. „Ja. Nicht bewusst, aber … ja. Das hab ich wohl.“ „Warum?“   Ich vergrub meine Nase in Leifs Haaren. Ich wollte jetzt nicht über Bambi reden. Ich wollte gar nicht mehr reden. Aber diese Frage musste ich wohl noch beantworten. Ich schuldete es ihm. „Weil ich Angst hatte. Angst, etwas zu verlieren, das mir wichtig ist.“   Nachdem ich das gesagt hatte, schwieg ich. Ich legte meine Arm fester um Leif und schloss die Augen. Eine Hand strich sanft über meinen Rücken. „Das verstehe ich“, sagte er leise. „Man macht manchmal dumme Sachen, wenn das so ist. Sehr dumme Sachen.“   Ich gluckste.   „Zum Beispiel?“ „Nacktfotos der Freundin deines Crushes im Internet veröffentlichen? Zusammen mit ihrer Telefonnummer und einem höchst eindeutigen Text?“   Ich hob den Kopf und sah ihn an. Er grinste halb. „Das hast du gemacht?“   Er zuckte mit den Achseln. „Ich sagte ja, ich bin nicht stolz drauf. Hab gedacht, ich hätte das Recht dazu, weil … weil sie ihn mir weggenommen hat. Ich wollte ihn damit zwingen, sich zwischen uns zu entscheiden. Tja, hat er gemacht. Aber nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte.“   Ich schüttelte den Kopf. Leif war echt so ein Idiot „Und jetzt?“ Er presste die Lippen aufeinander. „Sie sind nicht mehr zusammen. Sie hat ihn betrogen. Er hat sich bei mir gemeldet. Hat gemeint, ob wir uns mal wieder treffen sollen. Uns aussprechen.“ „Und? Wirst du es machen?“ „Keine Ahnung. Meinst du, ich sollte?“   Am liebsten hätte ich sofort Nein gesagt. Ich wollte nicht, dass er diesen Typen wiedersah. Ich wollte nicht, dass er mir Leif wegnahm.   Als mir bewusst wurde, was ich da gerade gedacht hatte, musste ich lachen. Das war so absurd. „Was ist so lustig?“, fragte Leif. In seinen Augen flackerte es.   Ich rutschte von seinem Schoß herunter und stand auf. Am liebsten wäre ich weggelaufen und hätte gewartet, dass das, was da gerade in mir brodelte, einfach vorbeiging. Mein Herz raste und mein Hals wurde eng. Es fühlte sich an, als würden die Wände des Zimmers näherkommen. Mich erdrücken. Mich zusammenpressen und mir keinen Ausweg mehr lassen. Dabei wusste ich doch, was ich wollte. Ich wusste es.   Vielleicht solltest du ehrlich zu Leif sein. Das hatte der Doc gesagt. Aber was, wenn ich verlor? Wenn ich gegen diesen Typen verlor, den Leif auch nach all dieser Zeit offenbar nicht vergessen konnte. Von dem er Fotos in seinem Zimmer hängen hatte. Was dann?   Das wirst du nicht rausfinden, wenn du es nicht versuchst. Also los, sei kein Frosch!   Ein Bild tauchte vor meinem inneren Auge auf. Dieses dämliche Bild von diesem dämlichen Frosch, der sich einfach weigerte, sich von dem Storch fressen zu lassen. Vielleicht sollte ich doch mal ein Frosch sein. Nur dieses eine einzige Mal.   Ich atmete tief durch und drehte mich langsam wieder zu Leif herum. Ich wusste, was ich sagen musste, auch wenn es am Ende das Falsche war. Es musste sein. „Also wenn du denkst, dass du … dich mit René treffen willst, dann tu das. Und wenn er das ist, was du willst, dann kann ich das nicht ändern. Dann musst du zu ihm zurückgehen und dich weiter verarschen lassen. Aber was ich ebenfalls nicht ändern kann, ist, dass ich dann leider Nacktfotos von ihm ins Internet setzen werde zusammen mit seiner Telefonnummer und einem eindeutigen Text. Das schwöre ich, so wahr ich hier stehe.“   Leif sah mich an wie ein Auto. Sein Mund stand leicht offen und seine Unterlippe zitterte.   „Soll … soll das heißen, dass du …“   Ich drehte mich weg. Ich konnte ihn nicht mehr ansehen. „Dass ich was an dir finde? Ja, das ist wohl so. Warum weiß ich eigentlich auch nicht, weil du eine fürchterliche Nervensäge bist und problematisch und weil ich keine Ahnung habe, ob nicht du oder ich am nächsten Morgen eigentlich noch hier sind, weil unsere bekloppten Erzeuger beschlossen haben, dass sie uns unser Leben gerne noch ein bisschen mehr zur Hölle machen wollen, aber …“   Ich stoppte um Luft zu holen und mir noch einmal zu überlegen, ob ich das jetzt wirklich sagen wollte. Ob ich das ganz und in Wahrheit aussprechen sollte.   Ach scheiß drauf. Mehr als schiefgehen kann es nicht. Augen zu und durch.   „Ich … ich mag dich Leif. Und ich will mit dir zusammensein. Ich weiß nicht, wie das funktionieren soll und alles aber … Das ist das, was ich will. Und wenn du mir jetzt sagst, dass das dumm ist und nicht das, was du willst, dann ist das so, aber dann war ich wenigstens ehrlich zu dir.“   Mit zitternden Knie und einem Stein im Magen blickte ich zu ihm zurück. Ich musste wissen, wie seine Antwort lautete.   Leif saß einfach nur da und sah mich an. Wie versteinert. Wie eine Statue. Was für ne Scheiße.   „Ich … ich sollte wohl lieber gehen.“   Ich wandte mich um und wollte verschwinden, als Leif plötzlich aufsprang, Mit zwei Schritten war er bei mir und schlang die Arme um mich. „Geh nicht“, murmelte er und drückte mich an sich. „Geh nicht. Nie wieder.“   Hoffnung perlte in mir auf und stieg in die Höhe wie Luftblasen aus der Tiefsee. Sollte das heißen, er … wollte? Mich? „Ist das ein Ja?“, hakte ich nach. Ich musste es hören. Er lachte leise. „Natürlich ist das ein Ja. Was denkst du denn?“   Damit lehnte er sich vor und küsste mich. Zart und tief und alles gleichzeitig. Mir wurde ganz schwindelig. Schwindelig und leicht und alles auf einmal. Ich wollte ihn nie wieder loslassen. Als ich es doch tat, lächelten wir beide. Leif leckte sich über die Lippen.   „Ich … ich muss dir da noch etwas gestehen.“ „Ja?“ Er räusperte sich. „Also, was René angeht, hab ich dir nicht ganz die Wahrheit gesagt.“   Mir wurde kalt. Und schlecht. Was sollte das heißen? Leif lächelte nervös. „Hey, keine Bange. Ich … ich hab nur ein bisschen dramatisiert, okay? Um zu sehen, wie du reagierst.“ Als ich nicht antwortete, fuhr er fort. „René hat mich um eine Aussprache gebeten, aber … nicht jetzt, sondern schon vor einem halben Jahr. Wir haben geredet und … also als ich hier mal abgehauen bin, bin ich zu ihm. Aber er hat mich überzeugt, dass es besser ist, wenn ich zurückgehe. Wenn ich mir helfen lassen von jemandem, der sich damit auskennt. Damit ich gesund werde. Seit dem haben wir ab und an mal Kontakt.“   Ich schluckte. Leif hatte gelogen? Und René schwirrte immer noch bei ihm rum? Hatte ich das wissen wollen? „Und … willst du noch was von ihm?“   Leif zog den Kopf zwischen die Schultern.   „Na ja, nein, nicht mehr so. Also da ist immer noch was zwischen uns. Oder war. Aber … ich meine, er hat wieder eine Freundin. Er hat sich entschieden.“   Leif schnaufte und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. „Ich … ich erzähle dir das eigentlich nur, weil … weil Dr. Leiterer gesagt hat, dass es wichtig ist, dass ich ehrlich zu dir bin. Diese ganze Scheiße ist nun einmal passiert und wenn ich verhindern will, dass sie mir weiter Knüppel zwischen die Beine schmeißt, dann muss ich … daran arbeiten. Und ich will das nicht vor dir geheim halten, verstehst du? Ich will einfach, dass du weißt, dass ich …. dass ich nicht okay bin. Ich hab Angst, dass du sonst … dass du Dinge erwartest, die ich nicht kann. Oder zu viel, zu schnell, wie auch immer.“   Leif sah mich an. Sein Blick wanderte unruhig zwischen meinen Augen hin und her. Ich spürte, wie sich seine Hand in meiner verkrampfte. Ich zwang mich zu lächeln. „Hey“, sagte ich und löste meine Finger aus seinem Griff. Sanft strich ich ihm über die Wange. „Ich kenne da jemanden und weißt du, was der in so einer Situation immer sagt?“   Leif schüttelte den Kopf. Ich grinste, dieses Mal ehrlich. „Der unerhört sexy und tätowiert und sagt dann immer: 'Wir kriegen das schon hin'.“   Ich sah, wie Leifs Mundwinkel anfingen zu zucken. Schließlich lächelte er. „Du bist ein Idiot.“   Ich sah ihm in die Augen. „Ich weiß. Aber ist es nicht gerade das, was du an mir liebst.“ „Ich liebe gar nichts an dir.“ „Nicht mal meinen Schwanz?“   Leif tat, als müsse er überlegen. „Na gut, der ist schon nicht verkehrt.“ „Und mein Mund?“   Leif schob die Unterlippe vor. „Weiß nicht. Da müsstest du mir mal zeigen, was der alles kann.“ „Hab ich das nicht heute Mittag schon?“ „Ja, aber … kriegst du das auch nochmal hin?“   Ich grinste und wollte mich gerade vorbeugen, um Leif davon zu überzeugen, als plötzlich Schritte draußen zu hören waren. In Windeseile stoben wir auseinander und ordneten unsere Klamotten. Im nächsten Moment klopfte es schon. „Herein“, rief Leif und ein Schlüsselrasseln später steckte Henning seinen dicken Kopf herein. „Alles in Ordnung bei euch?“   Wir sahen uns an. War es das? „Ja“, antworteten wir wie aus einem Mund. Es war höchst verdächtig. Offenbar fand das auch Henning, denn er kam nun ganz herein und sah sich um. Da er jedoch nichts entdecken konnte, brummte er beruhigt. „Na schön. Sieht nicht so aus, als wenn ihr hier irgendwas Verbotenes macht oder euch die Köpfe einschlagt. Also bleibt schön dabei, ja? Und keinen Unsinn anstellen.“   Für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, dass da ein Unterton war. Fast so als wüsste Henning doch mehr, als er zugeben wollte. Aber woher? Wir waren doch immer so vorsichtig. „Geht klar, Chef“, sagte Leif und lehnte sich lässig an seinen Schreibtisch. Henning nickte uns noch einmal zu, bevor er sich umdrehte und wieder verschwand. Kaum, dass er weg war, trat ich wieder bei Leif.   „Das war verdammt knapp“, murmelte ich und drückte ihn ein wenig gegen die Tischplatte. Die Ideen, die mir dabei kamen, gefielen mir. „Ja, da hast du recht. Vielleicht sollten wir doch lieber was Produktives tun?“   Ich sah genau, dass Leif das nicht so meinte. Andererseits hatte ich keine Lust, dass uns einer der anderen Idioten beim Rummachen erwischte.   „Und was schlägst du vor?“, fragte ich und legte die Arme um ihn. „Ich meine, wenn Kampfkuscheln ausfällt.“   Er lächelte. „Wie wäre es, wenn wir uns tatsächlich an einen neuen Entwurf für dein Graffiti machen? Oder soll es bei dem Wurm bleiben?“   Ich ließ geräuschvoll die Luft entweichen. So genau wusste ich das selbst nicht. „Hast du denn eine Idee?“   Leifs Augen begannen zu funkeln. „Vielleicht. Soll ich es dir zeigen?“ „Klar.“ Er küsste mich noch einmal, bevor er sich aus meinen Armen löste und sich an den Schreibtisch setzte. Ich nahm mit der Tischplatte vorlieb und sah zu, wie er ein Blatt zur Hand nahm und zu zeichnen begann.   Als erstes kamen Füße, die in Turnschuhen steckten. Es folgte eine weite Hose, ein Shirt mit verschränkten Armen vor der Brust, eine fette Kette und schließlich ein Kopf. Ein Katzenkopf mit einem schwarzen Kopftuch. Die Katze grinste und zeigte dabei einen ihrer spitzen Eckzähne.   Leif setzte den Stift ab und sah mich an. „Und? Gefällt er dir?“   Ich besah mir das Miezekätzchen. Es sah ein bisschen niedlich aus, aber gleichzeitig auch so, als sollte man sich mit ihm besser nicht anlegen. Es war perfekt. „Wieso kannst du so was?“   Leif schlug die Augen nieder. „Ach, ich hab … früher mal ein bisschen gezeichnet. Außerdem hab ich das Motiv mal auf einem Plakat gesehen und als Tobias letztens meinte, dass du ihn an eine Katze erinnerst, da dachte ich …“   Leif sprach nicht weiter. Er sah nur zu mir hoch und ich lehnte mich zu ihm vor und küsste ihn. „Danke“, wisperte ich gegen seine Lippen. „Für alles.“ Er lächelte leicht.   „Doch noch ein bisschen Kampfkuscheln?“ „Ich wäre schwer dafür.“   Mit diesen Worten zog ich ihn hoch und in Richtung Bett. Ich wusste, dass wir nicht allzu weit gehen würden, aber ich wusste, dass wir noch jede Menge Zeit hatten. Und vielleicht sogar noch ein bisschen länger.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)