DEATH IN PARADISE - 01 von ulimann644 (Doppelfehler) ================================================================================ Kapitel 7: Spiel, Satz und Sieg ------------------------------- Florence parkte um 07:30 Uhr den Defender-110 neben der Hütte des Inspectors. Schon früher hatte sie ihre jeweiligen Vorgesetzten um diese Zeit hier aufgesucht, um sie anschließend zur Polizeistation zu fahren, da die Hütte doch ziemlich abseits von Honoré lag. Der Inspector hatte ja versichert, er würde zu sich nach Hause gehen und keine wilde Geschichte mit Sarah Dechiles beginnen. Also ging sie ganz selbstverständlich davon aus, ihn hier vorzufinden. Vermutlich saß er gerade beim Frühstück. Guter Dinge betrat Florence Cassell die Veranda und schritt zur Frontseite herum. Beide Türen waren geschlossen, was die Polizistin merkwürdig fand. Hatte der Inspector vielleicht doch Besuch bei sich. Vorsichtig spähte sie durch eine der Türscheiben ins Innere der Hütte. Zumindest das Bett schien unberührt zu sein. Florence entschloss sich dazu eine der unverschlossenen Türen zu öffnen und rief ins Innere: „Inspector Faulkner?“ Alles blieb ruhig. Bei einem Blick zur Schrankwand, wo sie eine Bewegung entdeckt hatte, entdeckte sie Harry, die kleine Eidechse, die inzwischen zum Inventar der Hütte zu gehören schien. Zur Überraschung der Frau kam eine zweite Eidechse zum Vorschein, die schnell zu Harry herunterkrabbelte. „Kaum bin ich mal ein Jahr weg, suchst du dir eine andere Freundin?“, sprach Florence mit der kleinen, etwas intensiver grünen Eidechse. „Du enttäuschst mich.“ Die beiden Eidechsen sahen die Frau gleichermaßen neugierig an, bevor sie behände wieder auf den Schrank hinaufkletterten. Überzeugt davon, dass niemand sonst hier war, schloss die Frau die Tür wieder und schritt zur anderen Seite der Veranda. Auch dort war niemand zu sehen. Als Florence ihre Schlüsse aus dem Fehlen des Inspectors zog, begannen ihre Augen gefährlich zu funkeln und sie murmelte: „Von wegen, jeder geht zu sich nach Hause. Mittel, Motiv und Möglichkeit. Das ist die Faustregel, der wir folgen, nicht wahr?“ Wütend stapfte sie zum Rover und fuhr zurück zur Polizeistation. Als sie von der Straße aus auf den kleinen Vorplatz des Reviers einbog, entdeckte sie ihren Vorgesetzten an einem Taxi stehen. Er gefiel sich darin, ihrer Freundin Céline einen Kuss zu geben, bevor diese sich lächelnd in das Taxi setzte, ihm zuwinkte und hupend an dem Rover vorbeifuhr. Als Derrick Faulkner den Land-Rover entdeckte, blieb er stehen, um auf seine Kollegin zu warten, die den Wagen parkte und ihn rasch verließ. „Guten Morgen, Florence“, begrüßte Faulkner sie gutgelaunt. Die Angesprochene bemerkte sofort, dass der Inspector gelassener und zufriedener wirkte, als noch am gestrigen Abend. Es dauerte nur einen Moment, bis die Polizistin erahnte, warum das so war. Nach einem knappen Gegengruß kam Florence gleich auf den Punkt und fragte: „Also, Sie und Céline?“ „Sie will keine feste Beziehung, falls Sie das meinen“, antwortete Faulkner offen. „Ach“, machte die Polizistin. „Kommen Sie damit zurecht?“ Neben Florence die Treppe hinaufgehend gab der Inspector zu: „Momentan ist mir dieses Arrangement ganz recht. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob ich schon wieder bereit wäre, für eine feste Beziehung.“ Florence nickte in Gedanken. „Na, dann…“ „Wo waren Sie denn am frühen Morgen mit dem Rover, Florence?“ Die Frau warf ihm einen undefinierbaren Blick zu. „Ich war bei Ihnen draußen, um Sie abzuholen, Sir. Sie können sich bestimmt meine Überraschung vorstellen, als ich Sie dort nicht angetroffen habe.“ „Und gleichfalls Ihre Gedankengänge“, behauptete der Inspector. „Sie dachten doch bestimmt, dass ich, entgegen meiner Versicherung, die ich Ihnen gab, doch etwas mit dem Sergeant angefangen habe.“ „Der Gedanke kam mir“, gab Florence zu. Sie betraten den Büroraum, wo Officer Karr bereits an seinem Schreibtisch saß. Abrupt das Thema wechselnd, berichtete Faulkner davon, was er und Sarah Dechiles gestern Abend gesehen hatten. Gerade als Faulkner mit seinen Ausführungen endete, betrat Sergeant Dechiles den Raum. Verschmitzt grinsend grüßte sie in die Runde. Vom Sergeant zum Inspector sehend meinte Florence Cassell ironisch: „Das nächste Mal gehe ich mit.“ Faulkner, der zum Whiteboard schritt und das neue Detail dort anschrieb, sah sich zu seinen Untergebenen um und sagte: „Das Bild setzt sich vor meinem inneren Auge zusammen aber ich habe das unbestimmte Gefühl, dass da noch etwas fehlt.“ „Sir, heute Morgen hat schon wieder diese Natalie Lorrimer hier angerufen“, mischte sich Wellesley Karr ein. „Ist dieser verdammte Rollstuhl so etwas, wie ein geheimer Schatz?“ Derrick Faulkner wirbelte zu dem jungen Officer herum. „Sagen Sie das nochmal.“ Etwas irritiert wiederholte Karr seinen Satz und Faulkner verschwand schnell in der Asservatenkammer des Reviers. Gleich darauf tauchte er mit dem ramponierten Rollstuhl wieder auf, holte sich ein Paar Untersuchungshandschuhe und begann damit, die Seitentaschen zu untersuchen. Einen Moment später zog er seine rechte Hand aus der rechten Seitentasche des Gerätes und hielt ein, in einer Schutzfolie eingeschobenes Dokument hoch. Die erste Seite kurz überfliegend erklärte er: „Das ist ein Testament.“ Der Inspector entnahm das Dokument der Folie, blätterte es vorsichtig durch und fügte dann hinzu: „Es ist noch nicht notariell beglaubigt, also nicht rechtskräftig. Officer Karr: Untersuchen Sie das Dokument und die Folie nach Fingerabdrücken.“ Der Officer nahm beides entgegen, nachdem er sich ebenfalls Gummihandschuhe übergestreift hatte. Derweil wandte sich Faulkner an Sarah Dechiles: „Ich brauche dringend den Bericht darüber, was die Autopsie erbracht hat, Sergeant. Rufen Sie bitte an und machen Sie dem Labor etwas Druck.“ Als der Inspector zu Florence sah, fragte sie: „Sie wissen, wer es war, Sir?“ „Ich ahne es, Florence. Wenn ich den Autopsiebericht habe und Officer Karr die Fingerabdrücke auf dem Dokument findet, die ich dort vermute, dann weiß ich es.“ „Okay, sobald es so weit ist, werden wir alle Verdächtigen zusammenrufen und Sie konfrontieren sie damit, wer von ihnen der Mörder ist.“ Irritiert sah Faulkner zu Florence. „Wieso das denn? Wir verhaften den Täter. Aus.“ „So wurde das auf Saint-Marie in den letzten neun Jahren nicht gehandhabt, Sir. Ihre Vorgänger haben stets alle Verdächtigen zusammenkommen lassen, um ihnen dann die Lösung des Falles zu präsentieren. Oft war auch der Commissioner mit dabei. Der will bestimmt erfahren, wie Sie den Fall gelöst haben. Das wäre, besonders nach der Episode mit Dayana, ganz bestimmt auch gut für Ihr Ansehen bei ihm, Sir.“ Etwas verwirrt nickte Faulkner schließlich. „Wenn Sie es sagen, Florence. Dann machen wir es so. Zumindest dieses eine Mal.“ Erst als er Florence wieder ansah, fiel ihm auf, dass sie heute ein elegantes Kostüm trug, statt der üblichen Hotpants nebst Trägershirt. Gleich darauf erinnerte er sich daran warum und er reichte ihr lächelnd die Hand: „Übrigens, alles Gute zum Geburtstag.“ Die Frau nahm dankend die Glückwünsche entgegen und auch Sarah Dechiles und Wellesley Karr schlossen sich an. Vor dem Whiteboard ging Derrick Faulkner noch einmal alle Fakten durch, bis Sarah Dechiles einwarf: „Inspector, der Bericht ist da.“ Der Einfachheit halber schritt Faulkner zu Dechiles und sah über deren Schulter hinweg auf den Bildschirm des Computers. Ungeduldig las Faulkner den Bericht und lächelte schließlich wissend. „Dachte ich es mir doch.“ Faulkner richtete sich wieder auf und sah zu Wellesley Karr. „Wie weit sind Sie, Officer. Konnten Sie Fingerabdrücke entdecken?“ Der Officer sah auf und nickte. „Es sind Abdrücke von zwei verschiedenen Personen auf der Folie, Sir.“ „Lassen Sie mich raten, Officer. Von dem Toten und von seiner Verlobten.“ Erstaunt sah Karr seinen Vorgesetzten an und nickte. „Woher wussten Sie das?“ Derrick Faulkner lächelte in Gedanken, bevor er meinte: „Alles andere hätte absolut keinen Sinn ergeben und auch nicht zum Spielstand gepasst.“ Wellesley Karr machte ein wenig geistreiches Gesicht. „Spielstand, Sir?“ „Ich erkläre es, wenn wir die Verdächtigen versammelt haben“, wich der Inspector einer sofortigen Antwort aus. „Wenn wir vor Ort sind, dann müssen Sie übrigens noch etwas für mich finden und als Beweismittel sichern.“ Faulkner wandte er sich an Florence. „Rufen Sie die Verdächtigen in der Villa zusammen. Ich werde den Fall vor Ort aufklären. Ach, und bestellen Sie bitte den Commissioner ebenfalls dorthin. Vielleicht ist er ja Tennis-Fan.“ Florence unterdrückte ein Lachen und gab zurück: „Wir sind beide ziemlich overdressed dafür, Sir. Besser, ich lasse die Kostümjacke hier, bevor sie noch zerknittert.“ * * * Sieben Menschen hatten sich unter den großen Sonnensegeln, am Swimmingpool der gemieteten Villa versammelt. Auf der einen Seite James und Ann-Doreen Watt mit der Verlobten des verstorbenen Henderson Wayne. Auf der anderen Seite die gesamte Polizei von Saint-Marie, außer Wellesley Karr, der auf Geheiß des Inspectors im Innern der Villa ein Beweisstück suchen und sichern sollte. Für Derrick Faulkner war diese Art der Aufklärung eines Mordfalles etwas ungewohnt und so machte er zunächst einen etwas nervösen Eindruck. Bevor Faulkner etwas sagen konnte, erkundigte sich Natalie Lorrimer bei ihm: „Was soll dieser Unfug? Warum haben Sie hier die gesamte Polizei der Insel aufgeboten?“ „Dazu komme ich gleich“, beschied Faulkner ihr, jetzt ganz ruhig. „Ich habe bisher nie so verfahren, doch ich bin offen für Neues.“ Derrick Faulkner sah zum Commissioner, der ihm auffordernd zunickte. „Also schön“, begann der Inspector mit seinen Ausführungen. „Fangen wir damit an, dass ich von Beginn an nie an einen Unfall geglaubt habe. Henderson Wayne wurde ermordet, und zwar von einem von Ihnen.“ Ann-Doreen Watt sprang von ihrem Stuhl auf: „Aber das ist doch Irrsinn, Inspector!“ „Bitte setzen Sie sich wieder hin“, bat Florence Cassell, deren Worte, trotz des sanften Tonfalls, eindringlich wirkten. Derrick Faulkner nickte seiner Kollegin dankbar zu, wandte sich wieder an die drei Hinterbliebenen der kürzlich verstorbenen Tennislegende und führte aus: „Was mich sofort stutzig machte, als wir uns erstmals den Ort des sogenannten Unglücks ansahen war, dass die Bremse des Rollstuhls angezogen war. Ich habe gestern versucht, ohne Fremdeinwirkung, die Treppen des Polizeireviers damit hinabzustürzen. Glauben Sie mir, das war nicht möglich.“ Derrick Faulkner verzog für einen Moment das Gesicht und deutete auf den Verband an seinem Oberarm. „Andererseits war es meiner Kollegin Florence sehr wohl möglich, mich über den Rand der Treppe zu stoßen. Keine schöne Erinnerung.“ Faulkner begab sich zu dem Tisch, auf dem Sarah Dechiles die Beweismittel abgelegt hatte. Er nahm den Beutel, in dem sich Waynes Handheld-Konsole befand und hielt ihn hoch. Dabei wandte er sich wieder an die versammelten Menschen. „Das hier ist die Spielekonsole des Verstorbenen. Als wir sie sicherten, fiel mir der angezeigte Spielstand des darauf enthaltenen Tennisspiels sofort auf. Dreißig zu Null. Was mir ebenfalls auffiel war, dass Henderson Wayne den Zweispieler-Modus aktiviert hatte. Was recht seltsam ist, denn ohne einen zweiten Mitspieler mit einer identischen Konsole ergibt das keinen Sinn.“ „Aber die Konsole könnte sich doch beim Sturz so verstellt haben“, wandte James Watt, der zwischen seiner Frau und Natalie Lorrimer saß, grimmig ein. „In diesem Fall hätten wir Kratzer auf der Konsole gefunden“, widerlegte der Inspector diese Vermutung. „Nein, unser Opfer muss sie in seinen Händen festgehalten haben. Vor dem Sturz wird er aber wohl kaum den Zweispieler-Modus aktiviert haben, also liegt die Vermutung nahe, dass es erst nach dem Sturz geschah. Aber warum?“ „Ja, genau!“, hieb Natalie Lorrimer in dieselbe Kerbe. Sie befand sich dem Pool am nächsten. „Warum sollte mein Verlobter so etwas getan haben?“ „Das ist eine gute Frage“, gab der Inspector zu. „Ich habe sie mir auch gestellt. Meine Antwort darauf war: Ich, in Henderson Waynes Fall, würde wollen, dass man meinen Mörder zur Rechenschaft zieht. Das wollte Henderson Wayne, der seinen Mörder vermutlich gesehen hat, zweifellos auch.“ Wieder war es die Schwester des Verstorbenen, die sich ereiferte: „Aber das ist doch ziemlich weit hergeholt, Inspector!“ Faulkner nickte und sah die Frau direkt an. „Allein für sich vielleicht, Misses Watt. Doch zusammen mit allen anderen Indizien ergibt diese Vermutung Sinn. Nun, ich fragte mich natürlich, wofür beide Werte stehen könnten. Da ist zunächst die Dreißig. Bei jedem von Ihnen gibt es zu dieser Zahl eine Verbindung.“ Derrick Faulkner wandte sich an James Watt und erklärte ihm: „Da wäre zunächst ihre Firma: THIRTY DEGREES MARKETING. Dazu dann die Null. Nach einhelliger Aussage der Anwesenden am Tag des Mordes, hatte Ihr Schwager Sie als Null bezeichnet.“ Ungläubig sah James Watt den Inspector an und gab beschwörend zurück: „Aber ich habe meinen Schwager nicht umgebracht!“ „Wirklich nicht?“, konterte Faulkner ernst. „Auch nicht, weil er Ihnen und Natalie im Wege war? Wir wissen, dass Sie ein Verhältnis mit Natalie Lorrimer haben. Außerdem sind die Gewinne Ihrer Firma eingebrochen.“ Erschrocken und zugleich schuldbewusst sah James Watt von Faulkner zu seiner Frau. Er wollte etwas sagen, doch Ann-Doreen gab ihm eine schallende Ohrfeige, bevor er den Mund aufmachen konnte. Dabei rückte sie demonstrativ mit dem Stuhl von ihrem Ehemann ab und fuhr ihn wütend an: „Du verdammter Mistkerl!“ „Bitte beruhigen Sie sich“, verlangte Sarah Dechiles mit scharfer Stimme und begab sich zwischen die Stühle der beiden Eheleute. „Kommen wir zu Ihnen, Misses Watt“, fuhr Faulkner fort. „Sie sind dreißig Jahre alt und wie Ihr Bruder wurden Sie in Greenwich geboren. Wie Sie sicherlich wissen, verläuft durch diesen Ort der Nullmeridian. Dreißig – Null.“ „Was?“, schrie Ann-Doreen Watt den Inspector an. „Wollen Sie damit etwa behaupten, ich habe meinen eigenen Bruder getötet?“ „Nein!“ Derrick Faulkner ließ dieses eine Wort für einen Moment wirken, bevor er sich Natalie Lorrimer zuwandte und mit anklagendem Blick feststellte: „Denn Sie waren es, Miss Lorrimer, die Henderson Wayne ermordete. Sie wollten Henderson Wayne beerben um danach mit James Watt zusammen sein zu können. Was hatten Sie noch vor, Miss Lorrimer? Wollten sie irgendwann auch die Schwester Ihres Verlobten umbringen?“ Natalie Lorrimer lachte schrill. „Aber das sind doch Hirngespinste!“ „Durchaus nicht, Miss Lorrimer. Sie sind ebenfalls dreißig Jahre alt, so wie auch die Schwester des Ermordeten. Ich gebe zu, dass mich, auf Sie bezogen, die Null zunächst irritiert hat, denn zu dieser Ziffer gab es zunächst keinerlei Verbindung. Zumindest scheinbar. Doch irgendwann sprachen meine Kolleginnen nacheinander ihren vollen Namen aus und erst im Anschluss daran verstand ich, was Henderson Wayne der Nachwelt hatte mitteilen wollen. Ich zolle dabei nachträglich seiner Fähigkeit, unkonventionell denken zu können, allerhöchsten Respekt. Denn die Ziffer Null steht hier nicht für einen Wert – sie stellt ein Monogramm dar. Ihr vollständiger Name lautet Natalie Uma Larissa Lorrimer. Daraus ergibt sich N-U-L-L oder auch Null.“ Die Verdächtigte sprang von ihrem Stuhl auf. Der Blick der blonden Frau wirkte unstet, als sie ausrief: „Das nennen Sie einen Beweis?“ Faulkner lächelte humorlos. „Das allein ist nur die halbe Miete. Doch da waren Ihre Anrufe auf der Polizeistation, in den letzten Tagen. Sie wollten den Rollstuhl Ihres Verlobten wiederhaben. Angeblich als Andenken. Das fand ich etwas schräg, denn im Allgemeinen hängt man sich ein Foto von den Personen, an die man sich erinnern will, an die Wand. Es musste also einen anderen Grund dafür geben, dass Sie meinen Officer damit genervt haben. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich recht spät darauf kam. Als ich endlich die Seitentaschen des Rollstuhls untersuchte, fand ich ein Testament. Es enthält eine wesentliche Änderung zum bisherigen Testament des Ermordeten, aber das wissen Sie.“ „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden, Mister“, stritt Natalie Lorrimer panisch um sich sehend die Behauptung des Inspectors ab. Derrick Faulkner schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. „In diesem Fall wüsste ich zu gerne, warum wir, neben den Fingerabdrücken ihres Verlobten auch Ihre auf dem Dokument und auf der Schutzfolie fanden, in welcher das Dokument steckte. Schlussendlich ist da noch der Obduktionsbericht, den uns der Leiter des forensischen Labors auf Guadeloupe heute Früh schickte. Man fand einige bordeauxrote Stofffäden unter den Fingernägeln des Toten. Ganz offensichtlich griff er nach hinten, als sie ihn die Treppe hinabstürzten. Wissen Sie, das war auch mein erster Reflex, als mich meine Kollegin, bei dem vorhin erwähnten Versuch, aus dem Rollstuhl gekippt hat. Ich erinnere mich daran, dass Sie am Tag des Unglücks ein gleichfarbiges Kostüm trugen.“ In diesem Moment erschien Officer Wellesley Karr bei ihnen. Mit einem Kostüm in bordeauxrot. Zufrieden wirkend hielt er den Beweismittelbeutel hoch, in dem es sich nun befand, und sagte zu Derrick Faulkner: „Sie hatten Recht, Chief. Es war ziemlich gut versteckt, aber nicht gut genug für einen Officer der Polizei von Honoré.“ Faulkner horchte den Worten des Officers nach. Etwas hatte sich verändert. Erst nach einigen Sekunden wusste Faulkner, was es gewesen war. Wellesley Karr hatte ihn zum ersten Mal nicht mit dem neutralen Sir, sondern mit Chief angesprochen. Er wechselte einen schnellen Blick mit dem Commissioner, der eine zufriedene Miene aufgesetzt hatte. Wieder zu Karr sehend, meinte er: „Danke, Officer Karr.“ Von seinem Kollegen zu Natalie Lorrimer sehend sagte er: „Letzten Endes hat es Ihnen nichts gebracht, zu verhindern, dass das neu aufgesetzte Testament rechtskräftig wird. Denn man kann eine Person nicht beerben, die man selbst ermordet hat. Eine forensische Untersuchung des Kostüms wird uns bestätigen, dass die gefundenen Fäden, unter den Fingernägeln des Mordopfers, von Ihrem Kostüm stammt. Zudem werden wir sicherlich auch noch DNA-Spuren des Ermordeten daran finden. Sergeant Dechiles – festnehmen.“ Natalie Lorrimer, die immer noch stand, versetzte dem überraschten Inspector einen heftigen Stoß und nutzte seine momentane Verblüffung, um an ihm vorbeizurennen. Florence Cassell reagierte blitzschnell und rannte seitlich auf die Flüchtende zu. Mit Wucht gegen Natalie Lorrimer prallend packte die Polizistin zu und strauchelte mit ihr über den Rand des Swimmingpools hinaus. Wie in Zeitlupe nahm Derrick Faulkner wahr, wie die beiden Frauen in das Schwimmbecken stürzten. Er rannte zum Rand des Pools und gab seinen beiden Untergeben einen Wink. „Nehmen Sie beide Natalie Lorrimer fest und bringen Sie die Verdächtige zum Land-Rover. Aber passen Sie auf, das die Dame nicht noch einmal entwischen kann.“ Während Florence Cassell im Pool die wild strampelnde Tatverdächtige festhielt und zum Rand zerrte, kam der Commissioner zu Faulkner und sagte rau: „Ich bin heute sehr zufrieden mit Ihnen, Inspector. Mit der Aufklärung dieses Mordes haben Sie sich, in meinen Augen, sozusagen rehabilitiert. Aber nur um das klarzustellen. Das nächste Mal erscheinen Sie zur Aufklärung eines Mordfalls nicht so, als wollten Sie tanzen gehen.“ „Kann ich nicht versprechen“, entgegnete Faulkner grinsend, bemerkte den kritischen Blick von Selwyn Patterson und fügte rasch hinzu: „Aber ich werde mir alle Mühe geben.“ „Da bin ich ganz sicher, Inspector. Guten Tag.“ Damit verließ Patterson, der in seinem eigenen Wagen hierhergekommen war, das Gelände und Faulkner sah wieder zum Pool. Sergeant Dechiles und Officer Karr zogen gerade Natalie Lorrimer aus dem Wasser und führten sie danach ab, während das Ehepaar Watt, mit einigem Abstand zueinander, in die Villa ging. Derrick Faulkner hoffte inständig, dass es heute hier nicht noch einen weiteren Mord geben würde, als er zu Florence hinuntersah und ihr seine Hand reichte.“ Triefend vor Nässe stand Florence schließlich vor Faulkner und der Mann starrte seine Kollegin unwillkürlich an. Das Wasser hatte den weißen Stoff der Bluse und den ebenfalls weißen Stoff des Spitzen-BH darunter quasi durchsichtig werden lassen. Deutlich zeichneten sich die Brüste der Polizistin und deren dunkle Spitzen darunter ab. Gleichzeitig damit, dass dieser Umstand auch Florence auffiel, sah Derrick Faulkner der Frau, peinlich berührt, geradewegs in die Augen. Als die Frau ihn anfunkelte und sich schnell herumdrehte, sagte Faulkner mit rauer Stimme: „Ich gebe Ihnen mein Hemd, Florence.“ „Das ist auch das Mindeste, Chief.“ Die Polizistin sah das zufriedene Lächeln ihres Vorgesetzten, weil auch sie ihn nun als Chief bezeichnet hatte, nicht, sondern legte zuerst die Bluse und danach auch den BH ab. Faulkner legte Florence von hinten sein Hemd über die Schultern und sie schlüpfte schnell hinein. Sich halb zu ihrem Vorgesetzten umdrehend verschloss sie das Hemd zunächst mit zwei Knöpfen. Dann jedoch überlegte sie es sich anders, öffnete die Knöpfe wieder und verknotete die Enden über dem Bauchnabel. Derrick Faulkner machte eine Leidensmiene, als die Frau den Doppelknoten schließlich fest zusammenzog. „Was ist, Chief?“ Faulkner deutete anklagend auf den Knoten. „Das ist eines meiner Lieblingshemden. Es wird Wochen dauern, um diese Falten wieder glattzubügeln.“ Florence Cassell lächelte nur, irgendwie schadenfroh, wie der Inspector befand. Nach einem Moment nahm sie ihre nassen Sachen, wrang sie über dem Rand des Pools aus und meinte: „Damit haben Sie also Ihren ersten Mordfall auf Saint-Marie gelöst, Chief.“ Ja, weil die Mörderin einen Doppelfehler beging. Natalie Lorrimer hat vergessen die Bremse des Rollstuhls zu lösen. Wäre Waynes Verlobten dieser Fehler nicht unterlaufen, dann wäre ich vermutlich nie auf die Idee gekommen, dass es sich um Mord handelt. Sie setzten sich gemeinsam in Bewegung. Als der Inspector keinerlei Anstalten machte, auf den zweiten Fehler einzugehen, meinte Florence: „Sie sprachen von einem Doppelfehler, Chief. Was war der zweite Fehler?“ Seiner Kollegin ernst in die Augen sehend antwortete Derrick Faulkner mit grimmigem Tonfall: „Sie hat ihn in meinem Zuständigkeitsbereich getötet.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)