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About Clowns and Heroes

von

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Awakening


 

1
 

Mit einem wohligen Seufzen ergreift Edward seine Teetasse und wärmt sich wie ein Erfrierender an ihrer glatten Porzellanoberfläche, als wäre jetzt tiefster Winter und kein drückender Sommerspätnachmittag. Es ist kaum eine halbe Stunde her, seit er aufgestanden ist und nun sitzt er hier an dem Tresen, der seine bescheidene Küche vom Wohnzimmer trennt, und denkt nach, was heute Nacht alles ansteht. Neben ihm, auf der dunkelgrauen Resopalplatte, liegt sein Notizbuch aufgeschlagen und wartet sehnsüchtig darauf, dass in ihm ein paar Punkte abgehakt werden können.
 

Allerdings hat er noch nicht den Nerv dafür, sich völlig darauf zu konzentrieren, was so gar nicht typisch für ihn scheint. Ist aber auch kein Wunder, er hat sonst ja auch keinen wahnsinnigen Clown bei sich untergebracht. Seit er den Joker gefunden hat, sind nun schon drei Nächte und drei Tage vergangen und noch immer ist der Junge nicht wieder zu sich gekommen. Seine Wunden scheinen jedoch erstaunlich gut zu heilen. Zudem scheint er nicht mehr vollkommen weggetreten zu sein. Als Ed nach dem ersten Tag aufgewacht war und sich an die Arbeit machen wollte, fiel ihm auf, dass sich der Clown irgendwann auf die Seite gedreht hatte und dabei wie ein Vierjähriger seinen Plüsch-Batman in den Armen hielt. Ein echtes Bild für Götter, und Nigma zweifelt nicht daran, dass er der Erste ist, der den durchgedrehten Bengel jemals so gesehen hat.
 

Der Brünette hielt das alles für ein gutes Zeichen, auch wenn der Grünhaarige nicht darauf reagiert hat, als ihn der Rätselmeister ansprach oder seine Verbände wechselte. Bei seinen regelmäßigen Kontrollbesuchen hatte Joker aber jedes Mal eine andere Position eingenommen, ganz so, als würde er doch nur tief schlafen. Somit heißt es also weiterhin warten. Edward kann es allerdings nur recht sein. Er hat genug zu tun und eigentlich auch so gar keine Zeit, um sich mit dem Jungen zu beschäftigen. Und sollte er wirklich irgendwann aufwachen, wird eh alles erst einmal stillstehen müssen, bis Nigma ihn wieder vor die Tür gesetzt hat. Wie sollte er sich auch auf irgendetwas konzentrieren können, mit dem Gedanken, von diesem wahnsinnigen Bengel dabei beobachtet und ausgelacht zu werden?
 

Nur allein von der Vorstellung, dass ihn diese unheimlich roten Augen mustern und sich diese schrille Stimme in seine Ohren bohren könnte, schüttelt es den Rätselmeister am ganzen Körper, weshalb er seine Teetasse fester umklammert, um sich von ihrer lieblichen Wärme etwas Ruhe zu erhoffen. Für den Moment funktioniert es, doch der Moment ist weit kürzer, als Ed es jemals gedacht hätte...
 


 

2
 

Etwa zur selben Zeit, wo sich Nigma an seiner Tasse wärmt, wird der heilsame Schlaf des Grünhaarigen unruhiger. Mit leichtem Grummeln, als würde er sich vehement dagegen verweigern aufwachen zu müssen, wälzt er sich von einer Seite zur anderen und versucht, sich tiefer in seinen Traum hinein zu graben. Als es ihm endlich gelingt, rollt sein Kopf schwer zur Seite. Das bedeutet allerdings, dass sein schutzloses Gesicht nun mitten in dem einzigen Streifen Sonnenlicht liegt, der sich keck am Rand des schwarzen Vorhangs vorbeischleicht, der das Zimmer abdunkelt. Joker gibt ein überaus missgünstiges Brummen von sich, kneift die Augen fester zusammen und dreht sich dann sehr schwerfällig auf die andere Seite zurück. Sein müder, mitgenommener Verstand braucht eine ganze Weile, ehe ihm aufgeht, was hier falsch ist: Die Scheiben seines Lamborghinis sind vollkommen schwarz getönt, erst recht, damit keine Sonne seinen Schlaf stören kann! Wo also kommt dann das verdammte Licht so plötzlich her?
 

„Fuck...“, nuschelt er kaum verständlich in sein Kissen hinein. Anschließend versucht er seine Augen davon zu überzeugen, sich zu öffnen, weil hier definitiv etwas nicht stimmen kann. Doch warum ist auch das so schwer? Warum fühlt sich alles so schwer an? So schwach und schmerzlich? Was ist passiert, dass er sich jetzt so ausgekotzt fühlt? Ist das ein Kater? Nein, eher unwahrscheinlich. Joker trinkt für gewöhnlich nichts. Schmeckt eh alles wie Medizin, also warum sich so etwas freiwillig antun? Ist er dann womöglich krank? Auch eher unwahrscheinlich. Er wird eigentlich nie krank. Dann bleibt eigentlich nur noch eine Möglichkeit: Er hat ordentlich Prügel bezogen! Doch von wem?
 

Oh, bitte! Diese Frage ist nun wirklich mehr als überflüssig! Es gibt nur einen, der ihn so fertiggemacht haben könnte. „Batsy...“, nuschelt er wieder mit brüchiger Stimme. Ja, richtig! Es war Batman, und jetzt kommt auch langsam die Erinnerung daran zurück. Doch das erklärt noch lange nicht dieses penetrante Licht, das ihn geweckt hat. Im letzten Moment war es ihm gelungen, dem Dunklen Ritter zu entkommen, nachdem er ihn so aufgewühlt hatte. Doch was war dann? Joker wollte zu seinem Auto zurück, weil er sich dort am sichersten fühlt. Doch dieses Licht beweist ihm, dass er dort wohl nie angekommen ist. Dieser Teil seiner Erinnerung liegt in tiefen Schatten und jedes Nachbohren verursacht nur stechende Kopfschmerzen.
 

Das ist allerdings längst nicht der einzige Schmerz, wie er leidlich zugeben muss. Stattdessen scheint es kaum eine Stelle an seinem Körper zu geben, die nicht brennt, pocht, juckt, zittert, knirscht, knackt, sticht oder um Gnade winselt. „Du hast es mir so richtig schön besorgt, was, Batsy...?“, bringt er mit einem schmerzlichen Lächeln hervor und doch scheint die Erinnerung daran süß wie Honig zu sein. All diese Gefühle, die sich regelrecht zu überschlagen scheinen, wenn er nur an den Maskierten denkt...
 

Okay, vergessen wir für einen Moment mal die unverschämt scharfe Fledermaus, auch wenn’s verdammt schwerfällt. So einen Prachtkerl kann man nun wirklich nicht einfach mal so ignorieren, auch nicht für kurze Zeit! Doch es muss jetzt einfach mal sein. Es muss! Viel wichtiger ist doch jetzt aber, wo er sich hier eigentlich befindet. Also nachsehen und auf mögliche Gefahren gefasst machen!
 

Seine Augen sind zwar immer noch eine herrlich anzusehende Veilchenwiese, aber die Schwellungen sind inzwischen verschwunden, dennoch gleicht es einem Kraftakt, sie dazu zu überreden, sich zu öffnen. Es dauert eine gefühlte Minute, bevor sich seine Lider endlich einen Spalt anheben lassen. Erkennen kann er allerdings nichts. Seine Sicht ist noch ganz verschwommen, und abgesehen von diesem miesen Lichtstrahl, der es gewagt hat, ihn zu wecken, scheint es hier auch eher dunkel zu sein. Umso besser. Schwerfällig lässt er die Lider wieder sinken und blinzelt dann ein paar Mal stöhnend.
 

Endlich sind seine Augen ganz offen und er erkennt über sich eine weißgetünchte Decke mit einer altmodischen Schirmlampe in der Mitte. Er scheint an einem Ende eines kleinen Zimmers zu liegen. Unmittelbar hinter seinem Kopf ist das einzige Fenster des Raums. Ein schwarzer Vorhang verdeckt es, nur ein vorwitziger Sonnerstrahl linst an der linken Seite ins Zimmer hinein und erhellt damit genug, dass man alles erkennen kann, ohne sich sonderlich anstrengen oder Finde-die-scharfkantigen-Gegenstände-mit-dem-Schienbein spielen zu müssen, auch wenn der Rest im Halbdunkeln liegt.
 

Links neben sich sieht er nun einen einfachen Kleiderschank aus weiß gestrichenem Holz, der fast die ganze Länge des kleinen Raums einnimmt. Keine der Türen trägt einen Spiegel oder auch nur ein sichtbares Dekor, dafür aber ein paar Haken, an denen ein Hut, eine Krawatte und ein Jackett verteilt hängen. Ein weiterer dunkler Vorhang verdeckt den kleinen Bereich, der nicht vom Schrank eingenommen wird. Joker genau gegenüber ist eine schlichte Holztür zu sehen. Auf der rechten Seite befindet sich direkt neben seinem Kopf ein schmaler Heizkörper. Unweit davon eine schmucklose, weiße Kommode. An sie schließt sich ein einfaches Bett an, dass penibel ordentlich gemacht ist. Ein kleiner Nachttisch, ebenso weiß und schmucklos wie der Rest der Einrichtung, rundet das Bild ab und macht den Raum auch komplett – mehr Platz ist einfach nicht. Jeder Zentimeter wurde bestmöglich ausgenutzt. Sucht der Grünhaarige allerdings nach Bildern oder sonstiger Art von Dekoration oder persönlichem Touch, wird er hier sichtlich enttäuscht. Das Persönlichste sind nur die paar Kleidungsstücke, die an den Schranktüren verteilt hängen.
 

Sein eigener Schlafplatz – wenn er das denn so bezeichnen kann – befindet sich direkt am Fenster und ragt der Länge nach in den Raum hinein. Vielleicht kann er ja erkennen, wo er sich befindet, wenn er aus dem Fenster blickt? Schwerfällig rollt er sich auf die Seite und will sich dann auf die Knie aufrichten. Doch er stoppt mitten in der Bewegung und starrt einfach nur völlig unverständlich unter sich. Das ist doch sein Kissen! Und da ist sein Plüsch-Batman! Und seine Decke! Wer auch immer ihn hierhergebracht hat, hat es offensichtlich auch geschafft, dass absolut tödliche Sicherheitssystem seines Autos zu knacken, um an sein Bettzeug zu kommen! Das ist doch nicht möglich!
 

Ein heftiges Zittern erfasst seinen nackten Körper und lässt ihn so sehr erschaudern, dass seine Zähne zu klappern beginnen, als wäre ihm schrecklich kalt. Moment mal! Er ist nackt? Splitternackt, um genau zu sein! „Scheiße...!“ Was, in aller Welt, ist passiert, nachdem er ohnmächtig geworden sein muss? Eine schier unbekannte Art von Angst krampft ihm das Herz eine Sekunde lang so sehr zusammen, dass er keine Luft mehr bekommt. Mit aller Macht muss er sich zum Weiteratmen zwingen. Dann beruhigt er sich wieder etwas. Wer immer ihn hergebracht hat, wollte ihm scheinbar nichts Böses, sonst wäre sein Körper ganz sicher nicht mit all diesen Verbänden und Pflastern übersäht. Dennoch kommt er nicht umhin, sich irgendwie geschändet zu fühlen. Er braucht Antworten, und zwar schnell!
 

Mit leicht zitternden Fingern streicht er sich einige verklebte Strähnen aus der Stirn, während er mit der anderen Hand schon nach dem Vorhang greifen will. Erneut hält er jedoch abrupt inne und erstarrt abermals. Sein Gesicht ist ebenfalls nackt! Wer auch immer ihn hergebracht hat, hat es doch tatsächlich gewagt, ihn abzuschminken! Sein wahres Ich zu sehen! Somit ist er also nicht nur nackt oder gar splitternackt, sondern nacktnackt! „Oh, nein, nein, neinneinneinneinnein...“, wimmert Joker nun den Tränen nahe. Ohne seine Schminke fühlt er sich so hilflos und verletzbar wie eine Maus in der Falle, während eine hungrige Katze davor hockt. Und das Gefühl, geschändet worden zu sein, ist plötzlich so übermächtig, dass er am liebsten auf der Stelle sterben möchte.
 

Eine einzige, heiße Perle rinnt seine erhitzte Wange hinab, dann krampft sich seine Hand so dermaßen um den schwarzen Vorhang, dass er ihn fast samt Stange von der Wand reißt. Ruckartig zerrt er den Stoff zur Seite und blickt ins grelle Licht der frühabendlichen Sommersonne. Zuerst erkennt er nichts, doch dann gewöhnen sich seine Augen an das stechende Weiß und er bemerkt, dass es gar kein Fenster, sondern eher eine Art Tür ist, durch die er nach draußen blicken kann. Sie ist nicht ebenerdig, weshalb er zuerst an ein Fenster dachte. Nun merkt er jedoch, dass er eine Art Balkon oder Dachterrasse vor sich hat. Er tippt auf zweiteres.
 

Ein grobes Metallgitter umrundet den gesamten Bereich, der mehrere Quadratmeter umfasst und damit weit größer als dieses Zimmer hier ist. Der Untergrund besteht aus schlichter, schwarzer Dachpappe, wirkt damit irgendwie unfertig. Unweit der Tür steht jedoch ein weißer Plastikgartentisch mit zwei ebensolchen Stühlen auf einigen Holzbrettern. Aus der Mitte des Tisches ragt ein großer, dunkelgrüner Sonnenschirm heraus, der jetzt aber zusammengeklappt ist. Sonst gibt es nichts, keine Pflanzen oder Dekoartikel, rein gar nichts. Wer immer hier wohnt – oder das Ganze womöglich als Versteck benutzt –, mag es scheinbar schlicht und zweckmäßig. Also ganz sicher schon mal keine Frau, von Kindern ganz zu schweigen. Auch gut, denn diese zwei Drittel der Bevölkerung gehen ihm für gewöhnlich tierisch gegen den Strich. Frauen sind blanke Konkurrenz für den kleinen Clown – nehmen sie einem doch immer alle guten Kerle weg – und zu meist an anstrengender Nervigkeit nur noch von Kindern zu überbieten.
 

„Ich muss hier dringend raus...“, teilt Joker dem Zimmer halblaut mit und versucht dann irgendwie auf die Füße zu kommen. Im ersten Moment eine schier unlösbare Aufgabe, doch dann gewinnt er wieder Kontrolle über sich und steht auf. Langsam und auf wackligen Füßen tapst er zur Tür hinüber. Vorsichtig schließt sich seine Hand um die altmodische Klinge und betet dafür, dass nicht abgeschlossen ist. Sicher würde sich hier etwas finden, womit er das Schloss knacken könnte, aber das würde unter Umständen den Besitzer dieses reizenden Raums auf den Plan rufen, und Joker weiß beim besten Willen nicht, ob er es in seinem jetzigen Zustand mit ihm aufnehmen könnte.
 

Tief atmet er ein und aus und drückt die Klinge dann so langsam wie nur irgend möglich herunter. Das macht schon einmal keinen Laut, hoffen wir also mal, dass die Tür selbst jetzt nicht quietscht wie eine abgestochene Katze. Fest beißt er sich auf die Unterlippe und vergrößert dabei den Spalt Zentimeter für Zentimeter. Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, bis er groß genug ist, dass der junge Clown hindurchschlüpfen kann. Dann jedoch steht er in einem winzigen Flur.
 

Rechts sieht er eine weiße Tür, die vermutlich ins Freie oder einen Hausflur führt. Rechts vor sich ist eine weitere Holztür, die halboffen steht und in ein Badzimmer zu führen scheint. Ein schmales Fenster befindet sich über einer Wanne der Tür gegenüber. Daneben sieht er ein Waschbecken und einen Teil der Toilette. Die andere Seite des Raums wird von der Tür verborgen.
 

Links vor sich geht es in einen weiteren Raum. Die Tür steht offen und Joker kann ein halbes Dutzend Bücherregale an der Wand aufgereiht sehen. Das Zimmer liegt in angenehmem Halbdunkeln, was bei den noch herrschenden Temperaturen sicher eine gute Idee ist. Die Fenster sind ebenfalls mit schwarzen Vorhängen verdunkelt, doch irgendwo auf der anderen Seite der Wand, die Joker den vollständigen Blick in den Raum nimmt, brennt eine Lampe. Das Zimmer hat einen merkwürdigen Schnitt, wie es scheint. Die Wand mit den Bücherregalen wirkt dabei fast wie ein weiterer kleiner Flur.
 

Dort, wo das Licht brennt, befindet sich also sicher jemand – vielleicht auch mehrere Leute. Plötzlich vernimmt er eine Stimme, die halblaut vor sich hinmurmelt. Der Grünhaarige versteht kein Wort, doch irgendwie kommt sie ihm dennoch seltsam bekannt vor. Doch woher? Wer ist es? Langsam setzt er einen Schritt vor den anderen, nutzt es aus, dass er nicht richtig in den Raum hineinsehen kann, so kann der andere ihn sicher auch nicht kommen sehen, und tritt näher heran. Bereit, den anderen, wenn nötig, mit bloßen Händen um die Ecke zu bringen...
 


 

3
 

Gedankenversunken nippt Edward an seinem Tee und geht Seite für Seite das Notizbuch durch. Mit einer gewissen Erleichterung stellt er dabei fest, dass heute Nacht nicht so viel ansteht, wie er befürchtet hatte, und er somit endlich etwas von den Sachen aufarbeiten kann, die bisher leider liegengeblieben sind. Das ist gut, denn für morgen sieht der Plan schon ganz anders aus. Dann stehen wieder Baustellenbesichtigungen an, und das zieht sich immer ziemlich hin. Doch so etwas muss eben gemacht werden, wenn man einen Zeitplan einhalten und alles so perfekt und schnell wie möglich machen will, obwohl er sich da für gewöhnlich stets auf seine tüchtigen Arbeiter verlassen kann.
 

Langsam schließt er die Augen und nimmt einen weiteren Schluck Tee. Allerdings kommt er nicht dazu, die Tasse wieder abzustellen, um eine neue Seite aufzuschlagen. Praktisch im selben Moment, in dem das Porzellan seine Lippen verlässt, packt ihn jemand ruckartig am Kragen. Ed kann noch nicht einmal nach Luft schnappen, da wird er auch schon überaus grob von seinem Barhocker gezerrt und so heftig gegen die Kante der Resopalplatte gedrückt, dass sein Rückgrat ein schmerzliches Knacken von sich gibt. Mit lautem Poltern fällt das Sitzmöbel dabei um, gleichzeitig zerschellt die Tasse auf dem Holzboden und verspritzt ihren restlichen Inhalt in alle Himmelsrichtungen.
 

‚Und tschüss...‘, verkündet der Riddler in seinem Kopf, während Nigmas Blick es geradeso schafft, den durchgeknallten Clown als seinen Angreifer zu identifizieren. Und schon verschwindet seine schlechtere Hälfte auch schon und überlässt ihn somit seinem Schicksal, selbst mit dem Grünhaarigen fertigzuwerden.
 

„DU! Was fällt dir eigentlich ein, mich so zu behandeln, du abgefuckter Sohn eines räudigen Nacktmulls? Was soll der Scheiß? Findest du es etwa lustig, mir die Klamotten vom Leib zu reißen und mein Gesicht so zu verunstalten? Antworte mir gefälligst, ehe ich mit dem Inhalt deines seltendämlichen Schädels die Wände neu streiche!“ Zornig ballt der Junge vor ihm die Faust und holt damit schlagbereit aus. Gott, der Bengel ist fast zwanzig Zentimeter kleiner und sicher an die dreißig Pfund leichter als Ed und dennoch kommt es dem Rätselmeister so vor, als würde Batman höchstpersönlich Hand an ihn legen. Diese Kraft ist einfach nur erschreckend, erst recht in seinem derzeitigen Zustand!
 

Sein grünes Haar ist wild verwuschelt und erinnert an einen windgepeitschten Laubbaum auf dem Höhepunkt des Sommers. Seine unnatürlich roten Augen blicken noch wilder, gleich einem lodernden Feuer in der Unterwelt. Wenn das Lachen aus ihnen verschwindet, hat Joker die durchtriebenen Augen eines kaltblütigen Mörders, und der Brünette zweifelt keine Sekunde daran, dass jetzt sein letztes Stündlein geschlagen hat...
 

Ed spürt, wie etwas in seinem Kopf, das sich wie ein zerschlissenes Seil anfühlt, langsam nachgibt. Er vermutet, dass das seine verbliebene geistige Gesundheit sein könnte, und an dieser Erkenntnis zerbricht sein bisschen Mut schließlich. Er kann es nicht mehr ertragen, was auch auf dem Spiel stehen mag, er zittert hilflos. Doch es ist längst zu spät zum Weglaufen...
 

Typen wie Joker wissen selbst nicht einmal, was sie von einer Minute zur anderen machen werden, und genau das macht sie ja so gefährlich. Denn sie sind verrückt, wild und auch noch stolz darauf. „Es – es tut mir leid! – Da – da war so viel Blut! – Oh, bitte, es tut mir leid! – Ich wollte dir doch nur helfen! – Bitte nicht schlagen...“, stammelt Edward hilflos, während er vom Joker weiterhin erschreckend kraftvoll gegen den Tresen gedrückt wird. Es ist die Stimme eines Mannes am Rand nackter Panik und hat kaum mehr Ähnlichkeit mit seiner eigenen. Maßregelnd funkelt ihn der Clown noch einen Moment lang an, dann lässt er von ihm ab. „Fass mich noch einmal an und du bist tot, Freundchen!“, faucht der Kleinere schon beinahe und stapft dann einfach aus dem Zimmer. Ed sinkt währenddessen zitternd auf die Knie und legt sich theatralisch eine Hand auf das heftig klopfende Herz. Am liebsten würde er sich jetzt auf dem Boden zusammenrollen und wie ein kleines Kind anfangen zu weinen. Er spürt schon das heiße Brennen hinter seinen schreckgeweiteten Augen. Doch das kann er nicht machen, dann würde Joker sicher erst recht einen Grund haben ihm wehzutun.
 

Stattdessen merkt er, dass sich der Grünhaarige scheinbar ins Bad verzieht. Verrückte sind erstklassige Türenknaller und Ed hat sich den wohl größten davon direkt ins Haus geholt, wie es scheint. Die Tür knallt nämlich sogar gleich zweimal, ehe endlich trügerische Stille einkehrt, ganz so, als hätte sie beim ersten Mal nicht richtig geschlossen, was der Brünette doch sehr bezweifelt. Aber egal, völlig egal. Joker ist auf jeden Fall an der richtigen Stelle, denn Edward hatte die Kisten mit seinen Klamotten und der Schminke im Bad gelagert. Er hatte gerade zwar keine Chance, es ihm zu sagen, doch er ist sich sicher, dass der Junge sie schon finden wird.
 

Es dauert eine Weile, doch dann schafft er es, wieder auf die Füße zu kommen, den Hocker aufzustellen und sich noch leicht zitternd gegen die Resopalplatte zu lehnen. Wie automatisch gleitet seine eine Hand dabei unter den Rand des Tresens und tastet nach einem kleinen Knopf in der Ecke – einem Notfallknopf, von denen es in der ganzen Wohnung an etlichen Stellen welche gibt. Wenn er ihn drückt, werden seine Männern in wenigen Sekunden hier oben sein und ihm helfen – oder es zumindest versuchen werden, denn Nigma bezweifelt, dass sie es selbst bewaffnet wirklich mit Joker aufnehmen könnten, sogar in dessen geschwächtem Zustand. Doch er stockt. Schließlich lässt er die Hand wieder sinken. Im selben Moment ertönt das Wasserrauschen der Dusche, gefolgt von einem überaus hochtönigen Quieken und gedämpften Flüchen.
 

Unwillkürlich zuckt der Mundwinkel des Brünetten nach oben. „Tja, Kleiner. Wärst du eine halbe Stunde früher aufgestanden, hättest du jetzt warmes Wasser zum Duschen...“, kommt es ihm leicht schadenfroh über die Lippen, ehe er sich daran macht, die Splitter der kaputten Tasse einzusammeln. Gleichzeitig wird ihm aber bewusst, dass er selbst vor kaum mehr als einer halben Stunde unter der Dusche stand. Wäre Joker also gerade dann wachgeworden, hätte das sicher sehr böse enden können. Vehement schüttelt er daher den Kopf und verdrängt den Gedanken wieder.
 

‚Lass den Scheiß, Mann, und drück endlich den verdammten Knopf!‘, harscht ihn der Riddler dabei an. Missgünstig verzieht Ed das Gesicht. ‚Ach? Traust du dich etwa auch schon wieder raus?‘, fragt er seine schlechtere Hälfte zornig. Seine Worte bleiben jedoch unkommentiert. ‚Was ist los mit dir? Der Irre kann jeden Moment zurückkommen und dir eine ordentliche Abreibung verpassen! Willst du das etwa?‘ ‚Nein, natürlich nicht...‘ ‚Dann beweg dich und ruf die Trottel, die du als deine Leute bezeichnest, damit sie dem Bengel mal ordentlich den Hintern versohlen oder noch besser, ihm gleich eine Kugel in seinen verqueren Schädel jagen!‘ ‚Das werde ich nicht tun.‘, erwidert der Rätselmeister ruhig, während er die Scherben in den Mülleimer fallenlässt und nach einem Lappen zum Aufwischen greift. ‚Hackts bei dir? Oder ist das wieder so eine komische Anwandlung, die du neuerdings hast? Hat es dich womöglich sogar geil gemacht, von so einem nackten Zwerg beinahe die Fresse poliert zu bekommen?‘
 

Angewidert verzieht Ed abermals das Gesicht. ‚Erzähl nicht immer so einen Mist und verkneif dir doch endlich mal dein homophobes Gehabe, das ist ja wirklich schrecklich! Er hatte doch nur Angst und war orientierungslos. Dafür kann ich ihn unmöglich bestrafen. Er ist immerhin gerade erst wachgeworden und das auch noch an einem fremden Ort. Ich kann verstehen, dass er da aufgebracht ist. Außerdem ist doch gar nichts passiert.‘ ‚Red dir so einen Scheiß nur weiterhin ein, Freundchen, aber du wirst schon sehen, was abgeht, wenn du seinetwegen mit einem Messer im Rücken aufwachst! Dann brauchst du gar nicht bei mir angekrochen kommen und um Hilfe betteln!‘ ‚Sag mal, hörst du dir eigentlich jemals selbst zu? Wenn ich ein Messer im Rücken hätte, ist die Chance hoch, dass ich gar nicht mehr aufwache. Und dich werde ich ganz sicher nicht um Hilfe bitten, weil du dann nämlich ebenfalls im Sterben liegst und mir außerdem so oder so nicht helfen könntest, weil du nur in meinem Kopf hockst und große Reden schwingst!‘ ‚Tse! Mit dir kann man einfach kein vernünftiges Gespräch mehr führen, seit dir dieser Bengel vor die Füße gekommen ist!‘ ‚Das Kompliment kann ich nur dankend zurückgeben! Außerdem wollte ich ja auch nicht mit dir reden. Also sei endlich still und lass mich das auf meine Art machen!‘
 

‚Was für eine Art soll das sein? Die Wie-pinkel-ich-mir-am-schnellsten-in-die-Hosen-wenn-ein-Mörderclown-vor-mir-steht-Art etwa? Das wird den Bengel sicher beeindrucken!‘ ‚Weißt du, eine große Klappe bringt einen nur weiter, wenn man auch etwas dahinter hat!‘ ‚Oh, werden wir jetzt etwa schnippisch, ja? Schön, dann sieh doch zu, wie du klarkommst! Ich will diese Schwuchtel eh nicht in meiner Nähe haben! Also setz ihn gefälligst vor die Tür, wenn er seinen blassen Arsch irgendwann unter der Dusche hervorbekommt!‘, und damit beendet der Riddler seine sinnlose Ansprache glücklicherweise endlich und lässt Nigma erst einmal wieder mit seinen Gedanken allein. Seufzend macht sich dieser derweilen daran, den verschütteten Tee aufzuwischen.
 


 

4
 

Noch während er damit beschäftigt ist, hört er, wie das Wasser abgestellt wird. Dafür rumpelt und poltert es nun gedämpft im Bad. Vermutlich sucht Joker seine Sachen zusammen. Das soll Ed nur recht sein, so hat er noch ein paar Augenblicke, um sich wieder zu sammeln. Sich vielleicht sogar zu überlegen, wie er den Grünhaarigen möglichst freundlich und beiläufig zum Gehen überreden kann. Er hält es in jedem Fall nicht länger mit ihm aus. Diese nagende Angst, dass der Bengel irgendetwas tun könnte, das ihm schadet, macht ihn ganz verrückt. Zudem das ständige Nörgeln des Riddlers diesbezüglich. Da platzt ihm bald der Kopf.
 

Mit einem schweren Seufzen setzt er sich schließlich zurück auf seinen Hocker und blickt in sein Notizbuch, um herauszufinden, wo er so harsch unterbrochen wurde. Oder besser gesagt: Er starrt es an und findet keinen Faden mehr wieder. Das ist so untypisch für ihn. Was ist nur los? Bringt ihn dieser Clown wirklich so durcheinander? Gut möglich. Immerhin muss Ed so lange um sein Leben fürchten, wie dieser Bengel sich in seinen vier Wänden herumtreibt. Daher vermutlich gar kein Wunder, wenn er sich nicht mehr konzentrieren kann. Mit schmerzlich verzogenem Gesicht beginnt er damit, sich die pochenden Schläfen zu massieren, in der Hoffnung, die aufziehende Migräne noch einmal zu vertreiben. Oh, wie gern würde er jetzt ein Aspirin nehmen und sich noch einmal etwas hinlegen. Doch die verdammten Tabletten sind natürlich im Badezimmer! Das ist heute so gar nicht sein Tag, wie es scheint, und dabei hat er doch gerade erst angefangen – auch wenn es schon sechs Uhr nachmittags ist; aber immerhin sind Gothams Schurken für gewöhnlich nachtaktiv und Ed macht da auch hier keine Ausnahme. Geknickt schließt er die Augen, reibt sich weiter die pochenden Schläfen und verdrängt die ganze Welt um sich herum.
 

Dabei merkt er gar nicht, wie die Zeit vergeht und Joker das Bad wieder verlässt. Erst als der Junge plötzlich neben ihm steht und Ed dieses unnachahmliche Gefühl verspürt, beobachtet zu werden, schreckt er heftig zusammen und betrachtet den jungen Clown verängstigt. Dieser erwidert seinen Blick nur vollkommen unschuldig. Allerdings scheint er fündig geworden zu sein, da er nun wieder komplett bekleidet und geschminkt vor ihm steht.
 

Seine grellgrünen Haare sind geschickt zu einer aufwendigen Frisur gestylt. Die Lider seiner erschreckend blutroten Seelen sind in einem satten Gelb gehalten und harmonieren damit mit dem ungesund wirkenden Gelb seines Augengrundes. Ein schwarzer Eyeliner und ebenso schwarze Wimperntusche runden das Ganze ab, indem sie durch die optische Vergrößerung der eh schon großen Augen seinem Aussehen noch mehr naive Kindlichkeit verleihen. Sein Gesicht, die Ohren und sein Hals sind komplett weiß geschminkt. Auf seinen Wangen liegt allerdings je ein kräftiger Rougefleck. Den Gipsstreifen auf seiner Nase hat er entfernt. Seine Lippen sind sattrot geschminkt. Er trägt auch wieder Ohrstecker, wobei der linke grün und der rechte lila ist. Ed fragt sich kurz, ob das Absicht ist, oder ob der Bengel einfach nur keine passenden mehr hat, nachdem er im Kampf einen hat einbüßen müssen.
 

Das T-Shirt des Clowns ist Mitternachtsblau, geziert mit einem wilden Muster aus bunten Dreiecken, Linien und Punkten. Zudem ist das Hemd so dermaßen enganliegend, dass es Nigma nicht schwerfällt festzustellen, dass der Junge sich auch all seiner Verbände entledigt hat. Etliche Pflaster verteilen sich aber noch auf seinen Armen und dem schmalen Streifen Haut, den das Hemd von seinem Bauch sehen lässt. Seine zierlichen, aber erstaunlich kräftigen Hände stecken in violetten, fingerlosen Handschuhen und seine Nägel sind so grell neongrün lackiert, dass sie regelrecht giftig wirken. Im Gegensatz zu seinem äußerst engen Oberteil ist seine gelbe Hose richtiggehend ausladend geschnitten. Der Gummibund schmiegt sich fest um seine wohlgeformten Hüften und der Stoff sitzt am Hintern schon nahezu verboten stramm, um ihn perfekt in Szene zu setzen, wie es dem Brünetten scheint. An den Beinen ist die Hose jedoch so weit, dass sie einen richtigen Puffeffekt hat und somit schon fast an die Ballonhosen erinnert, die in den 80ern in Mode waren. Das wird noch durch die vielen schmalen, bunten Streifen unterstrichen, die den Stoff zieren.
 

Weiße Hosenträger gehören ebenfalls zum Stil des Clowns. Sie hängen im Moment jedoch ungenutzt seitlich an den Hüften herab. Das Gesamtbild wird durch lilafarbene Chucks mit weißer Kappe abgeschlossen. Der Bengel hat allerdings darauf verzichtet, die ebenfalls giftgrünen Schnürsenkel zuzubinden. Doch sie sind nicht sonderlich lang, weshalb sie ihm vielleicht nicht einmal im Weg sind und er sie schon aus Prinzip nicht bindet. Edward hat aber nur eine Sekunde, um das Äußere des Grünhaarigen zu betrachten, dann beginnt dieser auch schon zu sprechen.
 

„Irgendwas stimmt mit deiner Dusche nicht. Da gib’s nur kaltes Wasser, egal was auch immer ich gemacht hab.“, beklagt er sich etwas, doch es wirkt nicht, als wenn er Ed dafür wirklich rügen wollen würde. Dafür fällt dem Rätselmeister auf, dass sein Gegenüber ganz leicht lispelt. Dieser kaum merkliche Sprachfehler war ihm schon in der Iceberg Lounge unbewusst aufgefallen, doch jetzt hat er die Zeit, ihn richtig wahrzunehmen. Als Joker ihn vorhin angebrüllt hat, war davon jedoch nichts zu hören. Der Brünette denkt, dass das Lispeln sicher dadurch ausgelöst wird, dass dem bedauernswerten Clown durch den Kampf ein paar Zähne fehlen. Diese Annahme widerlegt sich im Verlauf ihres Gesprächs allerdings, denn wenn Joker grinst, kann Ed sehr gut sehen, dass ihm gar keine Zähne mehr fehlen! Dass erinnert ihn unweigerlich an Killer Croc, dem unentwegt die Zähne nachwachsen, und scheinbar ist es beim animalischen Gebiss des Grünhaarigen ganz ähnlich. Weshalb das Lispeln wohl eher daher rührt, dass er beim Sprechen unbewusst die Zunge von den scharfen Spitzen fernhält, um sich nicht selbst zu verletzen.
 

„Ähm, ja, dass – dass ist um diese Zeit normal.“, erwidert der Rätselmeister ihm nun schüchtern. Jokers Stirn legt sich fragend in Falten. „Ach ja? Ist da ein Zeitschalter hinter oder was soll das?“ „Nein – ähm – das Warmwasser- und Stromnetz sind hier noch nicht sonderlich stabil, weshalb es nur bestimmte Zeitfenster über den Tag verteilt gibt, in denen alles zuverlässig funktioniert...“
 

„Soso. Und wo ist hier eigentlich?“ Ed schluckt hart und traut sich kaum, es auszusprechen, ist doch niemand sonderlich angetan von diesem runtergekommenen Ort. „Wir – wir sind hier in – den Narrows...“, er bedenkt sein Gegenüber mit einem flehenden Blick und spricht das letzte Wort so leise aus, dass es kaum mehr als ein Flüstern ist. „Die Narrows? Was hat einen gestriegelten Typen wie dich denn an so einen verkommenen Ort gebracht?“, kommt es sichtlich belustigt von dem Clown. Leicht überrascht von dieser Reaktion, blinzelt Ed sichtlich verwirrt und versucht im stark geschminkten Gesicht des Jungen vor sich etwas zu lesen, was diese scheinbare Belustigung nicht wiedergibt. Doch sie scheint echt zu sein, soweit Ed das beurteilen kann.
 

„Nun ja, ich habe gelernt, dass nicht das, was ich tue, falsch ist, sondern das, was infolge meines Handelns aus mir werden könnte.“ Jetzt ist der fragende Ausdruck im Gesicht des Grünhaarigen zu perfektem, kindlichem Unverständnis geworden. „Und das soll heißen...?“ „Ich – ähm – naja, ich habe über die Jahre beobachtet, was aus den anderen Schurken folglich ihres Handelns und ihrer Entscheidungen so geworden ist. Wie sich ein jeder von uns entwickelt hat. Das alles immer nur schlimmer wird. Wir, Batman, einfach alles. Es keine sonnige Zukunft für auch nur irgendeinen von uns geben wird, wenn wir uns nicht grundlegend ändern. Und ich wollte nicht irgendwann aufwachen und feststellen, dass auch ich so bin – im schlimmsten Fall ein gehasster und gehetzter Mörder und auch womöglich auch noch stolz darauf. Mit dem Riddler in mir würde es sicher irgendwann soweit kommen und das will ich um jeden Preis verhindern. Von daher habe ich mich hier niedergelassen und versuche jetzt, alles wiederaufzubauen. Den Menschen hier zu helfen, um mich von all den Verbrechen zu lösen, die ich früher begangen habe. Ich weiß, ich war nie der wirklich böse Junge, den man fürchten musste, dennoch fühle ich mich schlecht bei dem, was ich so getan habe. Auch wenn ich es nicht wirklich war, sondern der Riddler...“
 

Einen Moment steht Joker einfach nur neben ihm und scheint über seine Worte nachzudenken. „Hm. Klingt irgendwie sogar logisch. Auch wenn sich Batsy sicher wünschen würde, dass einer der andren so einen Sinneswandel hätte und nicht der Harmloseste von allen. Aber immer noch besser du als gar keiner, oder? Ist zumindest ein Anfang. – Aber sag mal, du bist doch der Riddler, oder versteh ich da irgendwas falsch?“ Ed kann sich ein nachsichtiges Schmunzeln kaum verkneifen. Wer hätte gedacht, dass man sich so vernünftig mit dem Joker unterhalten kann, wo er eben noch auf hundertachtzig war? Zum anderen weiß Nigma nicht, wie oft er diese Frage schon beantwortet oder die Leute aufgeklärt hat. Es hat Ewigkeiten gedauert, bis die Bewohner der Narrows begriffen haben, dass er nicht der Riddler ist und sie ihn daher auch nicht so ansprechen sollten. Es ist ihm zwar auch etwas unangenehm, wie sie ihn nun stattdessen ansprechen, aber das kann er ihnen nun wirklich nicht ausreden, egal was auch immer er versucht. Aber immer noch besser als mit dem Namen seiner schlechteren Hälfte angesprochen zu werden.
 

„Ja und nein. Alle kennen mich als den Riddler, aber eigentlich bin ich nur Edward Nigma. Der Riddler ist Teil meiner Persönlichkeit und wohnt sozusagen in meinem Kopf. Manchmal übernimmt er die Kontrolle und fast alle Verbrechen, die auf mein Konto gehen, wurden eigentlich von ihm begangen. Er ist so etwas wie meine schlechte Seite und indem ich Gutes tue, versuche ich ihn loszuwerden, nicht zuletzt, weil er ein herzloses und machtgieriges Aas ist.“ „Du meinst, so wie bei Two Face?“, fragt der Grünhaarige mit einem Grinsen, scheint ihn der zwiegespaltene Ex-Staatsanwalt mit seiner Art doch ziemlich zu belustigen. „Ja. – Nein. – Nicht ganz. – Two Face und Harvey sind praktisch gleichberechtigt, weshalb man sich auch mit beiden zur selben Zeit unterhalten kann. Bei mir ist das anders. Der Riddler ist eine Stimme in meinem Kopf, den niemand außer mir hören kann. Ich kann mit ihm reden und wenn ich es zulassen, kann er die Kontrolle über meinen Körper übernehmen und ihn steuern, selbst agieren, während ich alles aus dem Hintergrund beobachten kann. Er kann aber jeder Zeit alles sehen und hören, was auch ich sehen und hören kann, und dann gibt er zumeist ungefragt seinen Senf dazu und versucht mich zu anderen Dingen zu überreden, die ich nicht tun will. – Er ist genau wie die anderen Schurken in Gotham. Ein skrupelloser Mistkerl, der nur auf seinen Vorteil aus ist und dafür über Leichen gehen würde...“, betrübt lässt der Brünette die Schultern hängen und ist heilfroh, dass seine schlechtere Hälfte ausnahmsweise einmal nichts dazu zu sagen hat.
 

„Klingt so, als wäre dir klar, dass du einen Sockenschuss hast, im Gegensatz zu Mister Black-and-White, der das nicht weiß. Aber das ist gut. Wenn dir klar ist, was nicht richtig ist, kannst du vielleicht wirklich etwas dagegen tun.“ Verwundert betrachtet Edward ihn. So eine tiefgründige Antwort hat er echt nicht erwartet, so viel Verständnis erst recht nicht. Gleichzeitig stimmt es ihn traurig, dass Joker ihm solche Sachen sagt, wo er selbst doch ganz offensichtlich nicht begreift, dass er ebenfalls total durchgeknallt ist. Abermals kommt in dem Brünetten der unergründliche Wunsch auf, ihm helfen zu wollen. Dieser Gedanke wird aber augenblicklich vom Riddler niedergerungen, der ihn aufs Schärfste daraufhinweißt, dass der Bengel ganz sicher nur so tut, um den richtigen Moment dafür abzuwarten, um ihn um die Ecke bringen zu können. Sich praktisch sein Vertrauen versucht zu erschleichen, indem er ihn mit seinem Verständnis in Sicherheit wiegt. Vehement verdrängt der Rätselmeister diese verhasste Stimme.
 

„Ich versuche mein Bestes, auch wenn es manchmal ziemlich schwer ist. Besonders, wenn der Riddler die ganze Zeit an mir herumnörgelt wie eine herrische Ehefrau...“ „Oh, ich kann mir vorstellen, dass dir das ziemlich auf die Eier geht. Vielleicht solltest du ihn mal rauslassen, damit ich ihm die Meinung geigen kann? Wäre sicher lustig!“ Das Grinsen den kleinen Clowns hat etwas überaus Beunruhigendes an sich und Ed kann den Riddler in seinem Kopf regelrecht danach lechzen spüren, dem Wunsch des Bengels nachkommen zu dürfen, nur um ihm dann eine Kugel in die Stirn zu jagen. „Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist. Das würde sicher nur in einem unnötigen Blutvergießen enden. – Aber ihr würdet euch sicher ziemlich gut verstehen, mit eurer unschönen Ausdrucksweise...“, gibt Ed unbedarft zurück.
 

„Wa soll denn das jetzt wieder heißen? Passt dir was nicht daran, wie ich rede?“, fragt der Jüngere scharf. Leicht zuckt Ed zusammen und hebt beschwichtigend die Hände. Eiligst macht er sich selbst wieder bewusst, dass Riddler in seinem Kopf so viel Müll erzählen kann, wie er will, und es doch zu nicht viel führt, der durchgeknallte Clown aber direkt vor ihm steht und ihm ziemlich schlimme Dinge antun kann, wenn er die Beherrschung verliert. Hart schluckt er wieder. „So war das gar nicht gemeint! Bitte nicht aufregen! Ich meinte nur, dass ihr beide eine ziemlich temperamentvolle Art habt, euch auszudrücken...“ Jokers Augenbraue zuckt in die Höhe, während er sein Gegenüber etwas streng mustert. „Du meinst, weil ich fluche wie ein verficktes Ghettokind?“ Der Brünette ist sich nicht sicher, ob er darauf wirklich antworten sollt, aber der Blick des Kleineren zwingt ihn praktisch dazu. „So – könnte man es wohl ausdrücken...“, erwidert er äußerst kleinlaut. Der Grünhaarige zuckt allerdings ziemlich lässig mit den Schultern. „Tja, dagegen kann ich nichts machen, weil ich nun mal ein verdammtes Ghettokind bin. Also komm damit klar, mein Hübscher!“
 

Daraufhin wendet sich Joker von ihm ab, um sich scheinbar etwas in der Wohnküche umzusehen, und somit ist die Diskussion wohl beendet. Edward kommt allerdings nicht umhin, sich zu fragen, wie der Jüngere das genau gemeint hat. Gut, er scheint schon eine Weile in seinem Auto zu wohnen, doch deshalb eignet man sich doch keine so unflätige Ausdrucksweise an, selbst wenn man ganz allein ist und einen niemand zurechtweißt. Unweigerlich fragt sich der Rätselmeister daher, was Joker wohl schon so alles durchgemacht hat, um so zu werden, wie er jetzt ist. Erst recht bei all den Verletzungen, die er unmöglich von Batman haben kann. Allein schon diese grausigen Narben in seinem Gesicht. Jeder der Schurken Gothams hat seine eigene, zumeist traurige Vergangenheit, die ihn auf die schiefe Bahn gebracht hat. Ed ist da keine Ausnahme. Doch was ist dem Clown widerfahren, und gibt es eine Möglichkeit ihm zu helfen, so wie sich der Brünette hier selbst zu helfen versucht, oder ist es für den Grünhaarigen vielleicht schon zu spät, den Rückwärtsgang einzulegen? Fragen über Fragen, die sich Edward regelrecht genötigt fühlt, beantwortet haben zu wollen. Aber er ist sich bewusst, dass er mit diesem Gedanken einen sehr gefährlichen Weg beschreiten könnte...
 


 

5
 

Nigma hat seine Gedanken noch gar nicht ganz beendet, da sieht er, wie der Kleine anfängt, ungefragt in sämtliche Küchenschränke zu gucken. ‚Der Bengel ist echt dreist, sag ich dir. Bestimmt hat er das auch im Schlafzimmer gemacht und deine Unterwäsche durchwühlt! Diese elende, perverse Schwuchtel! Schmeiß ihn endlich raus, verdammt!‘, harscht der Riddler nun wieder zähneknirschend in seinem Kopf. ‚Ach, sei doch still! Jedes falsche Wort könnte mein Ende sein, also sei still!‘, zischt Edward angefressen zurück, auch wenn er sich nicht vorstellen will, wie Joker vielleicht tatsächlich seine Schränke durchsucht hat. Zwar hat der Brünette nichts zu verstecken – zumindest nicht im Schlafzimmer –, dennoch läuft es ihm bei der Vorstellung kalt den Rücken hinab. Andererseits wäre es vielleicht ein Ausgleich dafür, dass Ed ihn so unfreiwillig nackt gesehen hat...
 

„Ähm, was wird denn das, wenn ich fragen darf?“, wendet er sich nun doch an den kleinen Clown. „Wenn ich aufgebracht bin, gibt es nur ein Mittel, um mich wieder völlig zu beruhigen: Essen. Also wo versteckst du das ganze Zeug?“, gibt er zurück und dreht sich nur so lange zu dem Älteren herum, um seinen Fingerzeig zu sehen. Neben den ganzen Bücherregalen, die Joker vom Flur aus zuerst aufgefallen waren, gibt es noch einen schmalen Schrank mit Türen. Nun öffnet der Grünhaarige sie geschwind und schaut hoffnungsvoll hinein. Allerdings wirkt er auf Ed ziemlich enttäuscht.
 

„Willst du mich verscheißern? Da sind doch bloß Konserven und 5-Minuten-Nudeln. Wer soll denn davon sattwerden?“, schmollend blickt ihn der Junge an. Der Rätselmeister würde ihm gern sagen, dass er davon ganz gut sattwerden kann, doch er entscheidet sich für die andere Wahrheit. „Weißt du, es ist ziemlich schwierig, hier an frische Sachen heranzukommen. Und auch das, was du in dem Schrank siehst, ist in dieser Menge nicht so einfach zu beschaffen. Nicht einmal für mich, obwohl ich die Hand über alles hier habe. Man lebt hier immer am untersten Minimum, wenn man nicht die Möglichkeit hat, in die Innenstadt zu gelangen, von Geld ganz zu schweigen. Diese Möglichkeiten habe ich, aber ich sehe es nicht ein, mich unnötig zu bereichern, während die Leute um mich herum womöglich hungern müssen. Deswegen habe ich nur so viel, dass es im Ernstfall ein paar Tage reicht.“ Das bringt den Jungen nur noch mehr zum Schmollen.
 

„Scheiße Mann, wie lange war ich überhaupt weggetreten? Ich hab so Hunger...“ Der Anblick des Grünhaarigen lässt Ed auf seltsame Weise das Herz schwer werden. „Seit ich dich gefunden habe, sind etwa 88 Stunden vergangen. Keine Ahnung, wie lange du da schon bewusstlos in der Gasse gelegen hast. – Aber ich glaube, im Tiefkühlfach müsste noch Hackfleisch sein, wenn du magst.“ Bei der Erwähnung der Zeitspanne hat der Clown ihn nur völlig ungläubig angestarrt. Als er nun aber hört, dass es hier tatsächlich Fleisch gibt, leuchten seine unnatürlich roten Augen wie die eines ausgehungerten Hundes auf.
 

„Das klingt doch schon viel besser!“, flötet er sichtlich aufgeregt, geht in die Hocke und reißt dann die Tür des kleinen Kühlschranks neben der Spüle auf. In diesem befindet sich praktisch nichts als ein paar Flaschen Wasser, was Joker klarmacht, dass sein Gegenüber wahrscheinlich die Wahrheit gesagt hat, als er meinte, hier sei schwer an Frisches heranzukommen und er bereichere sich nicht unnötig, auch wenn er es könnte. Daher wirkt er nicht all zu zuversichtlich, als er nun die kleine Klappe im oberen Teil des Kühlschranks öffnet, hinter der sich das Tiefkühlfach befindet. Auch hier herrscht gähnende Leere, abgesehen von einem in Frischhaltefolie verpackten Klumpen. Zielstrebig zieht er ihn heraus und wischt mit der flachen Hand etwas Reif von der eisigen Oberfläche. Darunter kommt tatsächlich Hackfleisch zum Vorschein, und mit einem halben Kilo erst einmal nicht so wenig. Prima!
 

‚Kannst du mir endlich mal verraten, was das hier werden soll, Herr Gott noch mal? Du sollst den verschissenen Bengel vor die Tür setzen und nicht mit deinen eisernen Reserven durchfüttern!‘, faucht der Riddler erneut in seinem Kopf. ‚Hatte ich nicht gesagt, du sollst still sein und mich das auf meine Weise machen lassen? Wenn ich ihm jetzt sage, dass er zu verschwinden hat, bringt der mich kaltblütig für ein bisschen Hackfleisch um die Ecke! Willst du das etwa? Immerhin würdest du mit mir über den Jordan gehen, also denk doch erst einmal nach, bevor du meckerst! Sieh dir den armen Kerl doch nur mal an! Allein schon, wie dünn er ist. Man kann ja jede Rippe abzählen.‘ ‚Na und? Ist doch nicht dein Problem! Soll er doch in das Loch zurückkriechen, aus dem er gekommen ist!‘ ‚Oh, warum musst du nur immer so herzlos sein?‘ ‚Ganz einfach: Andere Leute interessieren mich nicht! Außerdem hat dir das bisher mehr als nur einmal den Arsch gerettet, du elender Schwächling!‘
 

Ehe er noch etwas erwidern kann, beobachtet Edward nun etwas irritiert, wie Joker zum Schrank zurückkehrt und gefühlt die Hälfte der, eben noch so verschmähten, Konserven mit Gemüse herausräumt. Schwer mit seiner Beute beladen, tappst er in die Küche zurück und wuchtet alles auf die Arbeitsplatte neben dem Herd. Dann beginnt er erneut alle Schränke und Schubladen zu öffnen, bis er einen großen Topf, einen Dosenöffner und einen Bratenwender findet. „Was machst du?“, fragt Ed überfordert, da das irgendwie nach einem größeren Projekt aussieht.
 

„Chili, oder magst du so was nicht?“ Nun ist Nigmas Verwirrung perfekt. „Was hat das denn damit zu tun, ob ich Chili mag oder nicht?“, stellt Ed daher die Gegenfrage. „Weil du mitessen sollst, deswegen frage ich.“ „Mitessen...?“ „Ja, hast du ein Problem damit? Du siehst nicht aus, als hättest du schon etwas gegessen. Oder traust du mir einfach nur nicht?“ Jetzt dreht sich Joker nahezu mahnend mit dem Bratenwender in der Hand zu ihm herum und betrachtet ihn eingehend. „Nein ich – oh – ich habe tatsächlich noch nichts gegessen, aber...“, setzt er hilflos an. Soll er dem Bengel wirklich auf die Nase binden, dass er schiss hat, von ihm vergiftet zu werden? Dass er ihm keinen Meter über den Weg traut? Nein, dass wäre eine ganz schlechte Idee. Außerdem hatte Ed alle Sachen des Clowns durchsucht, weil er fürchtete, irgendwo Gift oder dergleichen finden zu können. Doch es war nichts da. Von daher dürfte es unwahrscheinlich sein, dass Joker ihm etwas ins Essen mischt.
 

„Aber?“, hakt der Kleinere nach. „Aber – ich vertrage nichts Scharfes...“, gesteht Edward schließlich und das ist nicht einmal gelogen. „Finde ich hier deswegen nur Salz, Pfeffer und Paprikapulver?“ „Ja, und weil ich nicht kochen kann...“, entkommt es dem Brünetten, wobei er nahezu schuldbewusst den Blick senkt, als müsste er sich irgendwie vor dem Grünhaarigen rechtfertigen. Der Clown gibt ein helles Kichern von sich. „Du bist echt witzig, weißt du das?“ „Das war mein Ernst und ich bin auch nicht gerade für meinen Humor bekannt.“ „Vielleicht doch, du weißt es nur nicht.“ Zweifelnd betrachtet Ed sein Gegenüber. „Der wenige Humor, den ich habe, geht früh ins Bett.“, erwidert Nigma schulterzuckend. „Ach ja? Meiner bleibt die ganze Nacht auf und hält mich wach.“, grinst der Clown und der Rätselmeister glaubt ihm das auf der Stelle. Die nächste halbe Stunde ist Joker damit beschäftigt, sein Chili zu kochen, wobei er genau von dem Rätselmeister beobachtet wird. Miteinander reden tun sie in dieser Zeit nicht mehr, was Nigma ganz recht ist, so kann er das bisher Geschehene erst einmal Revue passieren lassen, und vor allen Dingen darauf achten, dass der Bengel nicht doch heimlich versucht etwas ins Essen zu mischen...
 


 

6
 

Gerade als sich Nigma dazu entscheidet, dem kleinen Clown doch eine Frage zu stellen – eine, die ihm schon die ganze Zeit unter den Nägeln brennt –, dreht sich der Junge zu ihm herum und hält ihm einen tropfenden Löffel direkt vors Gesicht. „Huch...“, gibt der Ältere überrascht von sich und zuckt etwas zurück. „Los, nun koste schon!“, fordert ihn der Grünhaarige nachdrücklich auf und drückt ihm den Löffel dabei schon fast gegen die Lippen.
 

‚NEIN!‘, kreischt der Riddler dann plötzlich so laut in seinem Kopf auf, das Ed unweigerlich gepeinigt das Gesicht verzieht. Joker hört diese verhasste Stimme natürlich nicht und wehrtet den Gesichtsausdruck des anderen daher als angeekelt. Verständlich, dass er deswegen nicht gerade erfreut ist. Schmollend bläst er die Backen wie ein kleines Kind auf und hält Edward weiterhin trotzig den Löffel unter die Nase. „Was soll das? Ist das die Art, mit der du dich benimmst, wenn einer was für dich kocht? – Dabei will ich damit doch nur Danke für deine Hilfe sagen...“, beim letzten Satz lässt der Bengel richtiggehend traurig die Schultern hängen und sein Blick senkt sich, als wäre er gerade ausgeschimpft worden. Der Brünette schämt sich zutiefst, dass zu sehen.
 

„Du – du verstehst das völlig falsch! Ich finde es toll, dass du für mich kochst. Ist ziemlich lange her, dass das mal jemand für mich gemacht hat, und ich weiß es sehr zu schätzen, wirklich! Es ist nur – es ist der Riddler! Er traut dir keinen Meter über den Weg. Er hat sich gerade so laut zu Wort gemeldet, dass mir fast der Kopf geplatzt ist, ehrlich!“, nahezu panisch versucht sich der Rätselmeister zu rechtfertigen. Einen erschreckend langen Moment mustert ihn der Clown einfach nur stumm, wodurch sich Ed nur noch unbehaglicher fühlt. „Schön, dann koste jetzt! Ich bezweifle zwar, dass es zu scharf ist, wo ich doch gar keine richtigen Gewürze zur Verfügung habe, aber sicher ist sicher.“
 

‚Tu’s nicht! Er bringt dich um!‘, platzt der Riddler abermals dazwischen, zum Glück jedoch nicht mehr so laut, dafür aber hörbar besorgt, was so gar nicht zu ihm passen will. ‚Oh, sei doch endlich einmal still! Wir haben ihn beide die ganze Zeit beobachtet, er hat nichts ins Essen gemischt, verflucht! Außerdem riecht es so gut...‘, erwidert Edward, wobei sein Magen hörbar zu knurren beginnt. Das Geräusch lässt Joker wie ein kleines Kind kichern, was auch den Brünetten unweigerlich zum Schmunzeln bringt, während ihm verlegene Röte in die Wangen steigt. Ohne auf die weiteren Forderungen seiner schlechteren Hälfte zu achten, will er nun nach dem Löffel greifen, muss aber feststellen, dass der Clown ihn so unpraktisch umklammert, dass ihm das nicht gelingen wird. Außerdem fällt ihm nicht zum ersten Mal auf, das Joker scheinbar Linkshänder ist. Mit einem tonlosen Seufzen beugt er sich daher ein Stück weit nach vorn und lässt sich praktisch füttern.
 

Die warme, sämige Soße gleitet seinen Hals hinab und plumpst in seinen Magen, der sie ungewohnt gierig umschlingt und augenblicklich wieder zu knurren beginnt. Er will definitiv mehr davon. Etwas überrascht weiten sich Nigmas grüne Augen. „Das – ist wirklich köstlich!“, bringt er schließlich entzückt hervor. Das Gesicht des kleinen Jungen vor sich wirkt einen Moment so, als würde er gleich in Tränen ausbrechen wollen, dann verzieht sich der Ausdruck wieder und er grinst stolz über das ganze Antlitz. „Siehste!“, flötet er fröhlich und wendet sich wieder dem Herd zu. Kräftig rührt er in dem fast zum Überlaufen gefüllten Topf herum, ehe er ihn schwungvoll neben Edward auf der Resopalplatte abstellt. Kurz darauf landen zwei Teller und zwei Löffel daneben. Mit einer großen Kelle trägt Joker anschließend das Chili auf, wobei ihn der Brünette hastig bremsen muss. So viel kann ja einer gar nicht essen!
 

Davon lässt sich der Grünhaarige aber nicht ärgern, sondern füllt seinen eigenen Teller und krabbelt dann auf den Hocker neben ihm. Kaum eine Sekunde später schiebt sich Joker auch schon das Essen in den Mund, als stünde er wirklich kurz davor zu verhungern. Dabei scheint es ihn praktisch gar nicht zu stören, dass es heiß ist. Der Ältere kann ihn nur mit offenem Mund leicht verdattert anstarren. War es nicht Oscar Wilde, der sagte: Die Männer sind Bestien. Darum ist es höchst wichtig, die Kerle gut zu füttern. Irgendwie passt das hervorragend zu dem kleinen Clown, dessen Teller schon fast leer ist, bevor Ed auch nur einen Löffel genommen hat.
 

„Du, Joker? Magst du mir vielleicht sagen, wer dich eigentlich so zugerichtet hat?“, fragt er stattdessen, was den Angesprochenen abrupt in seinem Essverhalten abbremst. Mit vollem Mund kauend und das halbe Gesicht beschmiert wie ein kleines Kind, sieht der Grünhaarige ihn verwundert an. Ganz langsam schluckt er die Portion herunter und scheint nach den richtigen Worten für seine Antwort zu suchen, während er verträumt in dem Rest Chili auf seinem Teller herumrührt. Schließlich schmunzelt er leicht wehmütig. „Es war Batsy...“ „Batman? Du meine Güte! Du musst ihn ja ganz schön gereizt haben, dass er dich so zerpflückt hat...“, kommt es fast schon entsetzt vom Rätselmeister. Der Clown zuckt nur nichtssagend mit den Schultern.
 

„Was hast du gemacht? Jemanden umgebracht, während er danebenstand?“ Joker wirft ihm einen überaus scharfen Blick zu, bei dem Ed sichtbar zusammenzuckt. „Hatte ich dir nicht schon mal gesagt, dass das damals ein Versehen war? Ich bringe niemanden absichtlich um, wenn es nicht wirklich nötig sein sollte. Außerdem müsste ich ja vollkommen verrückt sein, so etwas direkt vor Batsys Augen zu machen, und ich bin nicht verrückt! – Ich hab ihn nur geküsst und ihm gesagt, was ich fühle. Und dann ist es komplett ausgerastet...“ Für einen Moment fehlen Ed tatsächlich die Worte. „Du hast – ihn wirklich geküsst? So richtig und nicht wie uns in der Iceberg Lounge? – Liebst du ihn etwa?“ Er traut sich gar nicht, es überhaupt auszusprechen, doch warum eigentlich? Schließlich ist es mehr als offensichtlich, dass der Joker schwul ist, also wird er sich davon nicht auf die Füße getreten fühlen, wenn jemand so etwas gerade heraus sagt.
 

Entgegen all seiner Meinung lacht der Bengel jedoch. „Du bist echt witzig! Nein, ich liebe ihn nicht. Ich hasse ihn von ganzem Herzen! Doch ihm scheint es nicht so zu gehen. Er hat mich nur beschimpft und dann verdroschen. Ich hab ihn noch nie aus ausrasten sehen...“ Irgendwie kommt es Nigma so vor, als wäre sich Joker seiner Gefühle selbst nicht ganz im Klaren. Denn so wie er das Ganze betont hat, sein Blick dabei, alles spricht dafür, dass der bis über beide Ohren in den Dunkle Ritter verknallt ist und zwar so richtig. Er scheint nur eine komische Art zu haben, dass auszudrücken. Begreift er vielleicht gar nicht, was der Unterschied zwischen Liebe und Hass ist? Oder ist das so etwas wie eine Hassliebe? Solche Gedanken überfordern den Brünetten doch ziemlich und wie es scheint, ist Batman auch nicht gerade angetan von der Vorstellung, von einem durchgeknallten Clown geküsst und angehimmelt zu werden. Sicher verständlich, immerhin hat der Mitternachtsdetektiv ja gesehen, was in der Iceberg Lounge passiert ist, nachdem der Joker sie alle geküsst hatte.
 

‚Meine Fresse, stell sich nur mal einer vor, wie es sein muss, diesen Emo-Eisklotz zu knutschen, von diesem zähnefletschenden Clown mal ganz zu schweigen! Der Bengel muss echt noch lebensmüder sein, als er ohnehin schon aussieht.‘ ‚Fang jetzt bitte nicht schon wieder mit so etwas an! Joker kann einem wirklich nur leidtun. Er ist so verwirrt...‘ ‚Ist doch nicht wahr! Lass endlich diesen sentimentalen Scheiß! Sonst steckst du dich noch mit irgendwas bei ihm an.‘ ‚Mit Sicherheit nicht! Außerdem sind wir gar nicht so verschieden. Er sehnt sich nach der Aufmerksamkeit Batmans, und im Grunde genommen tun wir anderen Schurken nichts anderes. Wir lechzen wie kleine Kinder nach der Anerkennung unseres strengen Vaters und sind der Meinung, sie nur zu bekommen, wenn wir etwas Schlechtes tun...‘ ‚Jetzt geht das wieder los! Ja, dein Vater war ein Arschloch, wir wissen es. Aber er bumst jetzt eine andere, ist vielleicht schon krepiert, wen kümmert es schon? Also konzentrier dich gefälligst und werde diesen Clown los!‘
 

‚Nein, verdammt noch mal! Wir sind hier noch nicht fertig, wie du vielleicht siehst!‘ ‚Nein, sehe ich nicht. Wo soll das denn deiner Meinung nach enden? Immerhin hat er schon geduscht und schlägt sich jetzt den Wanst voll. Was kommt als nächstes? Geht ihr zwei händchenhaltend ins Schlafzimmer und lasst es ordentlich krachen?‘ Zähneknirschend verzieht Edward das Gesicht. ‚Kannst du nicht einmal mit so was aufhören? Ich Bin Nicht SCHWUL, Herr Gott noch mal!‘ ‚Red dir das nur weiterhin ein, doch ich zähle schon die Sekunden, bis es so weit ist...‘ ‚Du weißt genau, dass ich nur auf Frauen stehe, also lass das endlich! Und selbst wenn, wäre ich nicht plötzlich schwul, sondern bi.‘ ‚So was wie bi gibt es nicht, du Idiot! Es gibt nur die eine oder die andere Seite. Nein, eigentlich gibt es nur Eine Seite, denn die andere ist völlig falsch!‘
 

‚Himmel, wie kann man nur so verkorkst sein? Es ist nicht falsch, wenn man als Mann auf Männer steht, genauso wenig wie es nicht falsch ist, als Frau auf Frauen zu stehen oder auf beides oder...‘, setzt Ed hoffnungslos an. Er weiß sehr gut, dass solche Diskussionen mit dem Riddler und dessen alteingesessenem Weltbild zu nichts führen, doch irgendwie sieht sich der Brünette in der Gegenwahrt des kleinen Clowns fast schon dazu genötigt, dessen angeschlagene Ehre zu verteidigen, auch wenn dieser nichts davon mitbekommt und Ed nicht einmal genau weiß, warum er sich das überhaupt antut. ‚Erzähl doch keinen Scheiß! Lesben gibt es nicht. Das sind bloß Weiber, die nicht wissen wie es geht und die noch nicht den richtigen Schwanz für ihre verkorkste Fo...‘ ‚HÖR AUF!‘
 

Riddler lacht nur gehässig. ‚Jetzt versteh ich. Dir passt der kleine Bengel nicht, stimmt’s? Du bist eifersüchtig! Willst Batman ganz für dich allein. Du braust einen starken Kerl, der es dir so richtig schön besorgt, was? Der dir seinen harten Schwanz in deinen blassen Arsch rammt, bis du nur noch Sterne siehst und dann...‘ „NEIN!“, entkommt es Edward fast schon schreiend. Hecktisch springt er dabei vom Hocker auf, dass dieser fast wieder umfällt, und schlägt die flachen Hände auf die Resopalplatte, dass das Geschirr leise klappert. Überaus irritiert sieht Joker ihn an und erst da wird dem Rätselmeister bewusst, dass er laut gesprochen hat, was ihm noch nie in einem Gespräch mit dem Riddler passiert ist. Ertappt zuckt er zusammen und schlägt sich kindlich die Hände vor den Mund.
 

„Was?“, fragt Joker in einer seltsamen Mischung aus Verwirrung, Sorge und mahnender Strenge. Hecktisch beginnt Nigma zu atmen, was die Strenge gänzlich aus dem Blick des Clowns verschwinden lässt. Sorgenvoll streckt er eine Hand aus, um Ed beruhigend am Arm zu fassen, doch der Brünette zuckt heftig vor ihm zurück. „Was hast du?“, will er stattdessen abermals wissen. Ganz langsam setzt dich der Ältere wieder auf den Hocker und ringt nach Worten.
 

„Es – es ist der Riddler. – Er kann deine – Anwesenheit nicht ertragen. – Und ganz besonders kann er nicht ertragen, dass du – dass du schwul bist. Er ist so abgrundtief homophob! Seine Weltanschauung ist total veraltet, verklemmt und zurückgeblieben. Und ständig unterstellt er mir alles Mögliche, obwohl er genau weiß, dass dem nicht so ist. Er ist der festen Überzeugung, dass du mich mit deinem Schwulsein anstecken könntest, wie mit einer Krankheit, und das schon, indem du einfach nur hier neben mir sitzt. Ich halte das nicht mehr aus, mir platzt gleich der Kopf...“, seine Stimme zittert und das Wimmern darin zeugt schon von den Tränen der Verzweiflung, die immer heftiger hinter seinen Augen brennen.
 

„Der Typ ist also homophob, ja? Und er kann mich nicht leiden, ja? Na, dann haben wir immerhin etwas gemeinsam. Ich kann ihn nämlich auch nicht leiden. Aber ich kenne Kerle wie ihn zur Genüge und weiß daher, wie ich mit ihm umgehen muss, damit er dich mal für eine Weile in Frieden lässt.“ „Wirklich? Wie soll das gehen? Er ist doch in meinem Kopf und du kannst nicht mit ihm reden. Selbst wenn, würde er dir nicht zuhören.“ „Ich muss nicht mit ihm reden, damit er versteht. Doch – vertraust du mir?“ „Ich – was hast du vor? Wird es wehtun?“ „Nein, es tut nicht weh, aber du muss dich ein bisschen fallenlassen und mir vertrauen, weil ich dich nicht dazu zwingen will. Das würde den Riddler nur noch mehr gegen mich aufbringen.“
 

„Okay, dann tu, was du für richtig hälst...“ ‚WAG ES JA NICHT!‘, brüllt seine schlechtere Hälfte in seinem pochenden Schädel. „Mach schnell...“, wimmert Edward, während die erste Träne seine erhitzte Wange hinabgleitet. Hilflos schließt er die Augen und versucht sich auf etwas vorzubereiten, von dem er nicht weiß, was es ist. Eine Sekunde später spürt er die warmen, überraschend weichen Lippen des Clowns auf den seinen und reißt erschrocken wieder die Augen auf. Er versucht zurückzuweichen, doch Joker hält seine Oberarme umfasst und hindert ihn so am Wegkommen.
 

‚Oh, diese dreckige Schwuchtel! Er soll aufhören! Nun tu doch endlich was!‘ War das da etwa gerade Verzweiflung, die er in der Stimme des Riddlers hören konnte? Und klang es nicht auch, als käme es aus weiter Ferne? ‚Das halte ich nicht aus...‘ Ein angewidertes Würgen ertönt in seinem Kopf und dann scheint irgendwo tief drinnen eine Tür zuzuschlagen. Stille. Unsagbare Stille!
 

Langsam trennt sich der kleine Clown wieder von ihm. „Und? Hilft es?“, will er wissen, während Ed noch vollkommen perplex ist. „Ja – ja, es funktioniert tatsächlich!“, bricht es aus ihm heraus, während noch eine einzelne Träne seine Wange benetzt. Ein sanftes Lächeln huscht über das stark geschminkte Gesicht des Grünhaarigen und er beugt sich zu einem weiteren Kuss vor. Diesmal dreht Nigma aber entschieden den Kopf zur Seite und hält ihn auf Abstand. „Bitte nicht! Ich steh nicht auf Jungs...“ „Schon klar, aber gerade das ist ja der Trick dabei.“ „Verstehe. Aber der Riddler ist weg, also...“ „Okay, prima! Dann können wir ja jetzt endlich in Ruhe essen!“, flötet der Jüngere ausgelassen, füllt seinen Teller erneut bis fast zum Rand und klatscht auch auf Eds Teller eine weitere Kelle, obwohl dieser noch gar nicht dazu kam, überhaupt einen Bissen zu nehmen. Doch der Rätselmeister verkneift sich jeglichen Kommentar dahingehend, es hätte eh keinen Sinn.
 

Stattdessen fällt ihm etwas viel Wichtigeres ein. „Werde ich jetzt gleich wieder ohnmächtig, so wie in der Iceberg Lounge?“ Verdutzt und leicht sorgenvoll sieht ihn der Joker daraufhin an. „Was? Wieso? Welche Farbe hat mein Lippenstift?“ „Ähm, rot. Ist das schlimm?“ Seufzend stößt der Kleinere die Luft aus. „Nein, mein Hübscher. Rot ist einfach nur rot und völlig ungefährlich. Da passiert gar nichts.“ „Dann ist ja gut. – Danke für die Hilfe...“ Schüchtern lächelt der Brünette ihm zu. Der Clown erwidert es mit einem breiten Grinsen. „Kein Ding! Und ich denke mal, damit sind wir dann mehr als quitt!“
 


 

7
 

Während sich der Grünhaarige gierig über seinen zweiten Teller hermacht, sitzt Ed nur neben ihm und genießt die Stille in seinem Kopf, die noch nie so nachdrücklich war. Es ist ein echtes Wunder! Auch wenn er auf diesen Kuss gut hätte verzichten können. Andererseits war es nicht einmal ansatzweise so schlimm, wie er es sich vorgestellt hat, und das war es auch schon in der Iceberg Lounge nicht gewesen. Ganz unbewusst stielt sich sein Daumen an seine Lippen und reibt gedankenverloren darüber. Es ist fast so, als könnte er dort noch immer den fordernden Druck spüren, den Joker ausgeübt hat. Ohne es zu merken, färben sich seine Wangen sattrot und er ist heilfroh, dass der Riddler weg ist, um das nicht mitzubekommen.
 

Er merkt nicht, wie sich Joker ihm abermals zuwendet und die Hand ausstreckt. Diesmal aber nicht, um ihn festzuhalten, sondern um ihm die Brille von der Nase zu ziehen. Überrascht zuckt Edward zusammen und blinzelt ihn hilflos an. Neugierig dreht der Bengel das violett verglaste Gestell in seinen Händen herum und setzt die Brille dann sogar auf. „Ah...!“, entkommt es ihm dabei überfordert und er zieht sie schnell wieder ab. „Du meine Güte! Ich dachte, die wäre nur Fake!“, jammert er schon fast und reibt sich kindlich mit der Faust über die Augen.
 

Joker hat eine alberne Ader, die mindestens eine Meile breit ist, aber dumm ist es deswegen überhaupt nicht. Im Gegenteil, Ed hält ihn – trotz seiner kindlichen Ungezügeltheit und seiner zweifelhaften Ideen – sogar für den klügsten Menschen, der ihm in seinem bisherigen Leben begegnet ist. Womöglich sogar klüger als Batman, der bisher diese Position unangefochten getragen hat. Der Grünhaarige hat nur eine ganz spezielle Art, seine Klugheit an den Tag zu legen, und das ist es, was praktisch jeden in seiner Nähe haltlos in den Wahnsinn abrutschen lässt. Edward kann nur froh sein, dass er diesen unschönen Weg schon in geringerem Maße selbst betreten hat, bevor er den Clown kennengelernt hat, sonst würde er es wohl keine zwei Minuten in seiner Nähe aushalten.
 

So dominiert nur das letzte bisschen Angst vor diesem Verrückten in ihm. „Kann – kann ich sie bitte wiederhaben?“, fragt er daher vorsichtig, woraufhin Joker ihn leicht skeptisch ansieht. Seine unnatürlich roten Augen funkeln. Es ist die Art Funkeln, das entweder Humor oder Boshaftigkeit zum Ausdruck bringen soll. „Ich – ich brauche sie wirklich zum Sehen, verstehst du. – Bitte mach sie nicht kaputt...“ Ein freches Grinsen breitet sich auf dem Gesicht des Clowns aus und Eddie kann praktisch schon bildlich vor sich sehen, wie der Jüngere sie lauthals lachend in zwei Teile bricht.
 

„Warum sollte ich so was machen?“, fragt er keck und drückt Ed die Brille dann wieder auf die Nase. „Und jetzt komm mal wieder runter und iss, bevor es kalt wird!“, flötet der Clown ausgelassen und stopft sich das Chili in den Mund, als gäbe es kein Morgen. „Danke...“, nuschelt der Brünette unsicher und rückt mit noch leicht zitternden Fingern die Brille zurecht.
 

Fast schon widerwillig starrt er nun den Teller, den Joker vor seine Nase gestellt hat, an. Er war schon immer ein eher verhaltener Esser, im Gegensatz zu dem Bengel neben ihm, der den Appetit einer ganzen Mannschaft zu haben scheint. Er hat den Jungen beim Kochen nicht eine Minute aus den Augen gelassen und ist sich daher sicher, dass der durchgeknallte Clown nichts ins Essen gemischt hat, dennoch fühlt er sich immer noch nicht sonderlich wohl bei der Sache, obwohl sein Magen erneut erwartungsvoll zu knurren beginnt, was nach der ganzen Aufregung eben ein echtes Wunder ist. Der Grünhaarige betrachtet ihn allerdings so erwartungsvoll – so unschuldig –, dass Edward es kaum ertragen kann. Er will den Joker jedoch nicht wieder unnötig aufregen, weshalb er vorsichtig zu essen beginnt. Dabei wirkt er jedoch wie ein Mann, der eine äußerst unangenehme Aufgabe möglichst schnell hinter sich bringen will. Doch schon nach dem zweiten Löffel wird ihm bewusst, wie unglaublich gut es doch eigentlich schmeckt, und dass er Joker grundlos völlig Unrecht getan hat. Nun beginnt auch sein Magen regelrecht nach dem Essen zu lechzen und er isst mit mehr Elan weiter, was den kleinen Kerl neben sich sichtlich zu freuen scheint.
 


 

8
 

Nicht lange später ist alles aufgegessen und Edward kann beim besten Willen nicht begreifen, wo dieser zierliche Bursche nur all das Zeug hin gefuttert hat. Der Topf war bis zum Überlaufen voll gewesen, sodass mindestens fünf erwachsene Männer davon hätten sattwerden können. Der Brünette hat es gerade mal geschafft, den halbvollen Teller leerzuessen, den Joker ihm gegeben hat, und er hat dankend jeden Nachschlag abgelehnt, den ihm der Jüngere angeboten hat. So hat Joker den ganzen Rest – oder eher den Großteil – selbst verputzt, ohne auch nur ins Stocken zu geraten oder eine wirkliche Pause zu machen. Ed würde sich gern einreden, dass das daher kommt, dass der Bengel seid mindestens drei Tagen nichts mehr gegessen hat, doch nach der Schwere seiner Verletzungen – von denen jetzt fast nichts mehr geblieben zu sein scheint –, wäre es eher verständlich gewesen, wenn er gar keinen Appetit gehabt hätten oder sich nur vorsichtig herangetastet hätte.
 

Sichtlich zufrieden schiebt der kleine Clown nun seinen restlos leeren Teller von sich weg und reibt sich über seinen gutgefüllten Bauch. „Das war herrlich!“, seufzt er angetan. „Was gib’s zum Nachtisch?“, fragt er dann, und der Rätselmeister meint schon, sich verhört zu haben – es kann einfach kein Platz mehr in diesem kleinen Persönchen sein, das ist ganz unmöglich! Seine Stimme klingt in keiner Weise bedrohlich, aber Edward antwortet ihm dennoch auf die nervöse, über seine eigenen Worte stolpernde Weise eines Mannes, der fürchtet, dass er gefeuert, wenn nicht sogar geköpft wird, weil er der Überbringer einer schlechten Nachricht ist.
 

„Ich – ich fürchte Nichts. – Ich – ich esse nichts Süßes. – Oh, es tut mir so leid! – Bitte, tu mir nicht weh...“ Nahezu verständnislos mustert ihn der Jüngere, dachte er doch sicher, Nigmas Ich-mach-mir-gleich-in-die-Hosen-Phase hinter sich zu haben, erst recht nach dem Kuss. „Warum sollte ich dir deswegen etwas antun wollen? Warum sollte ich dir überhaupt irgendetwas antun wollen? Erst recht, nachdem du mich wieder zusammengeflickt hast. Beruhig dich doch endlich mal, Mann! Es wäre nur nett gewesen. Ich bin ein echter Zuckerjunkie. Aber keine Sorge, ich werde nicht durchdrehen, wenn ich meinen Stoff mal nicht bekomme, also mach dich nicht ständig nass, mein Hübscher!“ Er wirkt dabei so normal, wie ein Bengel in seinem Alter nur sein kann, wird bei der Erwähnung seines Lasters sogar etwas rot um die Nase. Das kann man wegen der dicken Schicht aus Schminke zwar nicht sehen, doch wie heißt es so schön: Augen sagen mehr als tausend Worte.
 

„Tut mir leid. Ich bin vor nicht einmal zwei Stunden aufgestanden und es ist schon so viel passiert, dass es mir vorkommt, als wäre ich seit drei Tagen wach. Ich kann mit solchem Druck nicht gut umgehen. – Versteh das bitte nicht falsch. Ich denke schon, dass ich dir inzwischen zu einem gewissen Grad trauen kann, erst recht, weil du den Riddler vertrieben hast. Aber du bist mir dennoch sehr fremd und ich kann dich nicht richtig einschätzen. Und wenn ich etwas nicht durchschauen kann, macht mich das sehr nervös...“, schüchtern erwidert er den Blick des Jüngeren.
 

„Schon gut, kann ich verstehen. Ich bin eher sehr locker und direkt. Deswegen finde ich es komisch, wenn ständig einer vor mir kuscht, obwohl ich ihm nichts getan hab. – Ja, ich hab einen beschissenen Ruf, aber können wir das nicht mal vergessen? Wir stehen doch auf derselben Seite, oder etwa nicht?“ „Ich denke schon, ja.“ „Gut, wenn das jetzt geklärt ist. – Aber sag mal, magst du echt keine Süßigkeiten?“, mit großen Augen mustert ihn der Clown sichtlich durcheinander. „Nein, ich mag nichts Süßes. Obst ist mir im Allgemeinen schon süß genug. Außerdem sind Süßigkeiten hier völlige Mangelware. Nur zu hohen Feiertagen lasse ich für die Kinder hier extra etwas herschaffen...“ „Wirklich schade. Aber da kann man wohl nichts machen...“, seufzt Joker sichtlich geknickt, sodass Ed abermals das Herz schwerwird, ohne dass er wirklich begreift warum.
 


 

9
 

Wo das Essen nun also vorbei ist und endlich etwas Ruhe einkehrt, wirft Edward einen unbewussten Blick in die Küche. Beim dort herrschenden Chaos zuckt er fast sichtbar zusammen. Er hatte Joker die ganze Zeit beim Kochen beobachtet, um sicherzustellen, dass der Bengel ihm nichts ins Essen mischt, dass ihm gar nicht aufgefallen ist, was für ein Schlachtfeld der durchgeknallte Clown dabei hinterlassen hat. Der Anblick des Ganzen passt perfekt zur Art des Grünhaarigen, bei Ed löst es eher kaltes Grauen aus. Er ist ein sehr ordnungsliebender Mensch und das gilt auch für eine Küche, die er für gewöhnlich nicht für mehr benutzt, als um sich Tee zu kochen.
 

Die Vorstellung, Joker darauf anzusprechen, lässt einen eiskalten Schauer seinen Rücken hinabgleiten. Andererseits sieht er nicht ein, warum er selbst hier putzen soll. Auch wenn er es tun würde, wenn sich der Bengel querstellen sollte. Allerdings hat er auch noch genug andere Sachen zu tun, und ohnehin schon mehr Zeit hier verbracht, als vorgesehen war. Zumal ihm noch ein anderer Gedanke kommt, was er nun als erstes tun sollte, bevor er richtig an die Arbeit geht.
 

„Joker? Würde es dir etwas ausmachen, die Küche wieder in Ordnung zu bringen?“, fragt er vorsichtig. Etwas ratlos betrachtet ihn der Kleinere. „Du meinst, abwaschen?“ „Ja, das auch. Der Herd ist ebenfalls ganz vollgekleckert, der Boden auch, die Arbeitsplatte. Überall stehen leere Dosen herum und so weiter.“ Joker sieht nicht gerade so aus, als würde er sich gern mit diesem Gedanken anfreunden, eher wie ein Kind, das nachdrücklich an seine Hausarbeitspflichten erinnert wird, ehe es spielen gehen darf. „Wenn du meinst...“, seufzt er theatralisch und räumt das Geschirr in die Spüle. Edward ist sichtlich überrascht, dass der Junge nicht dagegen protestiert, sodass er schnell weiterspricht.
 

„Vielen Dank! Lass dir ruhig Zeit. Ich muss kurz wegfahren und ein paar Erledigungen machen. Wenn du fertig bist, kannst du ja deine Sachen zusammensammeln. Dein Auto steht unten in der Garage. Ich sage meine Jungs Bescheid, damit sie keinen Schreck bekommen, wenn du auf einmal vor ihnen stehst, sie wohnen nämlich da unten in der Garage. Wenn du magst, kannst du bleiben, bis ich wieder da bin.“
 

Mit diesen Worten verlässt er seine kleine Wohnung und lässt den Clown allein zurück. Noch im Treppenhaus fragt er sich allerdings, was ihn geritten hat, dass er diesen Wahnsinnigen in seinem persönlichen Heiligtum zurücklässt. Dort, wo an etlichen Stellen Schusswaffen für den Notfall versteckt sind, von einem geheimen Tresor, gefüllt mit etlichen Millionen an Bargeld, in Boden unter dem Teppich im Wohnzimmer ganz zu schweigen. Einen Moment steht er daher wie angewurzelt auf den Stufen und ringt mit sich, ob er noch einmal nach oben gehen und Joker doch lieber nach unten in die Garage schicken soll, damit seine Männer ein Auge auf ihn haben. Doch wie sähe das denn aus, wo er dem Bengel doch gerade einen Vortrag darüber gehalten hat, wie er die Küche vorzufinden gedenkt, wenn er wiederkommt. Nein, dass wäre nicht richtig. Also wirft er seine Bedenken über Bord.
 

Joker hat ihn in der kurzen Zeit mehrmals gefragt, ob er ihm vertrauen würde, und genau das sollte Edward auch wirklich tun. Schließlich hat es der Clown geschafft – wenn auch auf sehr spezielle Weise – den Riddler zu vertreiben und dafür ist er ihm unendlich dankbar. Da sollte er nun wirklich etwas mehr Vertrauen zu ihm haben. Fragt sich nur, ob er seine Entscheidung bereuen muss, wenn er wiederkommt, oder nicht...?



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