Libertalia von -Kiara ================================================================================ Kapitel 14: Zweifel und Zuversicht ---------------------------------- Heitere Musik und lautes, fröhliches Stimmengewirr schallten dumpf durch die Mauern der Rip-Off Bar. Die Kneipe schien gut besucht, obwohl das Schild an der Tür verkündete, dass die Gastronomie heute geschlossen war. Geschlossen war vielleicht nicht das passende Wort. Vielmehr handelte es sich bei der illustren Runde um eine Geschlossene Gesellschaft. Die Rückkehr des Libertalia-Sonderkommandos wurde mit einem ordentlichen Festmahl gebürtig gefeiert. Nicht nur hatten die Piraten Beute gemacht und konnten ihr Repertoire um eine neue spannende Geschichte erweitern; Der Gründervater, welchen sie mitsamt seiner sonderbaren Karavelle mitgebracht hatten, war ebenfalls wieder einigermaßen wohlauf. Die inzwischen von ihrem Schiffsarzt deutlich professioneller behandelte Wunde an seiner Seite hielt ihn keineswegs davon ab ordentlich mitzufeiern. „Mit lautem Rattern rollte das Kettenrad und ließen den Kartographen und mich hinab in die gurgelnde, glühende, grüne Säuregrube, wo sich unser Fleisch von den noch lebenden Knochen pellte und – “ „Moment mal!“, unterbrach einer der Piraten die imposante Erzählung. „Du stehst hier und willst uns erzählen, du seist in einer Säuregrube verendet?“ „Nun, äh. Vielleicht war das zu viel der dramatischen Übertreibung“, druckste Guybrush und kratzte sich verlegen am Bart. „Jedenfalls hingen wir über der Säuregrube, Zentimeter von unserem Tod entfernt, unser Leben abhängig von einem langsam durchbrennenden Seil und dem schwachen Auftrieb eines Ballons!“ Mit einem amüsierten Lächeln lehnte Kiara an der Theke und lauschte der Geschichte, von der sie jede neue Nuance interessiert in sich aufsog. Zwischenzeitlich erhaschte sie sich dabei, seine Worte stumm mitzusprechen, wenn er vertraute Formulierungen rezitierte. „So sehr habe ich Threepy noch nie aufleben sehen“, gluckste die Barbesitzerin Shakky. Rayleigh gesellte sich zufrieden zu den beiden Damen an den Tresen, dicht gefolgt vom Kapitän und dem Vize der Rothaarbande. „Sein Publikum fordert ihn auch gehörig. Eine gute Dynamik kann aus einem Erzähler noch einiges herauskitzeln.“ Shakky schnippte die Asche ihrer Zigarette in eine kleine Schale und legte den Stummel ab, um mit den freien Händen ihrem Mann eine neue Flasche Alkohol anzubrechen. „Nun, Kiara, ich möchte dich zu deiner erfolgreichen Suche beglückwünschen“, lächelte der Dunkle König die junge Piratin süffisant an und prostete ihr mit seinem frisch aufgefüllten Glas Brandwein zu. Die Angesprochene blickte aufmerksam zum alten Mann neben sich. Sie nickte langsam. „Du hast es gewusst, huh?“ Rayleigh lachte. „Nun, es war nicht sonderlich schwierig eins und eins zusammenzuzählen, wenn der Gute keine Gelegenheit auslässt, um zu bemerken, dass er mit der schönsten Gouverneurin der ganzen Karibik verheiratet sei.“ „Es war auch nicht schwer zu verstehen, dass es sich bei diesem Guybrush Threepwood um ihren Vater handelt“, bemerkte Beckman beiläufig und tat es Shakky gleich, in den kleinen Keramikbecher zu aschen. „Ach?“, entgegnete Shanks entrüstet. Ihm schien das bis zuletzt nicht ganz klar gewesen zu sein. Der Vize zuckte gelassen mit den Schultern. „Ein bisschen zwischen den Zeilen lesen…“ „Beckman ist halt klug, hört aufmerksam zu und hat eine sehr gute Beobachtungsgabe. Er hat auch das Kartenrätsel weit vor mir gelöst. Nicht wahr?“ Kiara schmunzelte den Vize wissend an. Dieser blies Rauch aus seinem zum Lächeln gekräuselten Mundwinkel, blieb aber ansonsten verschwiegen. „Und wie seid ihr aus dem Folterkeller entkommen?“, tönte die Frage des gespannt lauschenden Publikums. „Ja! Kiara konnte die Frage nie beantworten! Also! Wie konntet ihr euch aus den Ketten über der Säuregrube befreien?“, stimmte ein anderer mit ein. „Tja, ähm, das war so-!“ „Untote Zombiepiraten, Voodoopuppen und Schreistühle. Bei euch im South Blue gibt es ja allerhand kuriose Dinge“, sinnierte Rayleigh während er die Erzählungen des blonden Piraten so reflektierte. „Oder ist das alles nur Effekthascherei eures kleinen Piratenfreizeitparks?“, fügte Shanks hinzu und beugte sich schelmisch grinsend zu seiner Sitznachbarin. „Hör auf das zu sagen, ich zweifle selbst schon langsam daran!“ Kiara verschränkte missmutig die Arme um das Verlangen niederzuknüppeln ihrem Kapitän aus Ärger in die Wange zu kneifen. Dieser hingegen lachte vor Belustigung nur laut auf. „Wobei ich auch aus anderen Meeren gehört habe, dass dort Tode unter den Lebenden wandeln sollen“, bemerkte Rayleigh. Seine Hand strich nachdenklich über den buschigen Kinnbart und richtete sich dabei einige herausstehende Haare. Kiara lief bei dem Gedanken ein kalter Schauer über den Rücken. „Oder denk an den Nebel durch den wir gefahren sind, um nach Sabaody zu kommen. Dieser gruselige Gesang da stammte doch definitiv von einem Geist!“ „Ich bin immer noch dafür, wir hätten zurücksingen sollen“, entgegnete Shanks unbekümmert. „Aber was ist dann passiert?! Was hat es mit diesem Jahrmarkt auf sich?“, klang es hysterisch aus dem Piratenpublikum. „Um ehrlich zu sein, habe ich keinen Schimmer. Ich erinnere mich an nichts mehr, außer dass ich in einem Autoscooter auf dem Meer trieb und damit irgendwie nach Plunder Island geschippert bin.“ „Verdammt!“ Entrüstet schlugen einige mit der Faust auf die Tischplatte. Am Höhepunkt der Geschichte wurden sie einfach so hängen gelassen. Kiaras Hand schnellte ebenfalls mit einem dumpfen Aufprall auf den hölzernen Tresen. „Verdammt!“ Sie wartete bereits viel zu lange auf die Auflösung dieser Erzählung, denn auch sein Logbuch hinterließ nur ein offenes Ende. „Amnesie hin oder her, zu meinem absoluten Glück war Plunder Island die damalige Residenz meines Plünderhäschens, Gouverneurin Elaine Marley!“ Das Publikum jubelte wohlwollend auf, so wie sie es immer taten, wenn die Gouverneurin in einer Erzählung auftauchte. Rayleigh warf der Piratin wortlos einen genugtuenden Blick zu, deutlich auf seine vorherige Bemerkung anspielend. Diese zuckte mit den Schultern und nickte zustimmend. Sie hatte seine Aussage nie auch nur annähernd bezweifelt. „Hey, Guybrush! Ist es nicht langsam an der Zeit, dass du sie wiedersiehst?“ „Ganz genau! Deshalb habe ich den Entschluss gefasst, so bald wie möglich nach Mêlée Island zu segeln!“ „Ick gloob’s ja nich‘! Mit dem Frankenstein Schiff? Wie willste datt denn machen?“ „Oh, das ist kinderleicht!“ Kiara prustete unwillkürlich. „Wenn es so kinderleicht ist, wo warst du dann dreizehn Jahre lang?“ Die Stimmung stürzte schneller in den Keller, als es ihr lieb war. Mit einem Mal war es still in der Bar und die Blicke wanderten gespannt zwischen Vater und Tochter umher. Eilig hob Kiara die Hände und fügte hinzu: „Nicht, dass du dich rechtfertigen sollst, oder so. Ich… es würde mich nur interessieren.“ Sie hatte nicht gedacht, dass ihre spöttische Bemerkung so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Aber mit einem Blick durch die Runde, erinnerte sich Kiara, dass es mehrere unter ihnen gab, die ihre Frauen und Kinder für das Piratenleben zurückgelassen hatten und sich deshalb vielleicht unterschwellig angesprochen fühlten. Guybrush blies merklich die Luft aus, die energetische Ausstrahlung klang allmählich ab und seine Schultern und stolz geschwellte Brust sanken niedergeschlagen in sich zusammen. Die Performance war zu Ende. „Ich hatte schon viel eher vorgehabt zurückzukehren. Aber es kam immer etwas dazwischen. Aufgaben und Probleme die mir auferlegt wurden – und plötzlich verging die Zeit so unsagbar schnell.“ Kiara versuchte möglichst gelassen abzuwinken, doch ein leichtes Zittern in der Stimme konnte sie nicht verbergen. „Ist okay. Ich kann auch verstehen, dass dir dein Ego und dein Vermächtnis einfach wichtiger sind.“ Sie hegte keinen Zweifel an ihrer Aussage. Auch ihr Gegenüber teilte scheinbar ihre Auffassung, denn er wirkte keinen Deut verwundert, als er interessiert nachfragte: „Wie kommst du darauf?“ „Weil es das doch schon immer war.“ Sie musterte den Piraten vor sich, von dem sie so viel wusste und der ihr doch so fremd war. „Dir war es unheimlich wichtig, dass jeder erfährt, wie du LeChuck besiegt hast. Und dann wolltest du deine Berühmtheit aufrechterhalten und die nächste Schippe drauflegen, indem du Big Whoop findest und zur Legende für alle kommenden Generationen wirst.“ Sie wusste, dass der soziale Druck und die daraus resultierende Angeberei und das fragwürdige Machogehabe dafür gesorgt hatten, dass ihre Mutter zeitweise getrennte Wege von ihm gegangen war. Und sie wusste ebenfalls, dass er sich bei ihrem Wiedersehen kein Stück gebessert und durch absolutes Unverständnis und reine Taktlosigkeit seine zweite Chance rasant aus dem Fenster katapultiert hatte – ähnlich wie Elaine das von ihm angefragte Kartenstück. „Hey, der Wortlaut kommt mir bekannt vor.“ Kiara lächelte trüb. „Es sind ja auch exakt deine Worte.“ Worte, welche sie Jahr für Jahr akribisch gelesen hatte und dessen Bedeutung sich mit der Zeit für sie veränderten. Er war einst ihr Held gewesen, jemand, auf den sie stolz war. Doch irgendwann verstand sie, was hinter seinen Taten und Formulierungen steckte. „Wie gesagt, es ist okay. Mir ist das gleich. Aber tu mir den Gefallen, sollte dir Mum noch eine Chance geben, verscherz es dir bitte nicht direkt wieder mit ihr.“ Nun hatte sie es doch geschafft ihren Vater zu verwundern. Er legte fragend den Kopf schief und sah sie zweifelnd an. „Warum sollte ich denn noch eine Chance brauchen?“ „Och, ich weiß nicht. Du beschreibst in deinen Memoiren seitenweise, wie sehr sie die Liebe deines Lebens ist, du hast jede mögliche Hürde genommen um mit ihr zusammen zu sein und wieder mit ihr zusammen zu kommen – und dann verschwindest du einfach? Auf so gesehen beinahe Nimmerwiedersehen?“ „Wenn das Meer und die Freiheit rufen, kann man nicht wiederstehen, Kleine!“, warf Yasopp ein. „Auch wenn man eine Familie hat, die man liebt.“ Kiara nickte matt. „Ich weiß.“ „Eine echte Piratenbraut versteht das! Sie wartet und sie vergibt einem alles“, pflichtete nun auch Lou bei. Argwöhnisch runzelte Kiara die Stirn. „Der Spruch kommt auch noch aus einer Zeit, wo es hieß, dass Frauen an Bord Unglück bringen.“ „Honigkeks“, setzte Guybrush schließlich an und wollte die Entfernung zwischen ihnen überbrücken. Doch sie schauderte leicht und verzog das Gesicht. „Bitte nenn mich nicht so.“ Er blieb abrupt einige Schritte vor ihr stehen. „Entschuldige.“ Er wusste nicht sonderlich gut, wie man sich in diesen Situationen am besten verhielt. Überhaupt, hatte er nicht daran gedacht, dass dieses Thema jemals ein Problem darstellen würde. Ganz zu schweigen, dass ihm die Übung in solchen Vater-Tochter Gesprächen fehlte. Unwohl rieb er sich den Nacken. „Weißt du, Elaine und ich haben damals darüber geredet. Wir haben viel durchgemacht und sie kennt mich wirklich gut genug, sodass sie mit meiner Entscheidung einverstanden war.“ „Sie ist definitiv eine Piratenbraut“, nickte Yasopp anerkennend. Den Zwischenruf beflissen ignorierend, seufzte Kiara leise und hob unsicher die Schultern an. „Auf mich wirkte sie nie so, als wäre sie mit deiner Entscheidung zufrieden gewesen.“ Sie wog ihren Kopf. „Aber anders herum wollte sie auch nicht, dass ich Pirat werde, also wäre es wahrscheinlich hypokritisch gewesen, dich gehen zu lassen aber es mir verbieten oder ausreden zu wollen.“ Guybrush sah sie aufmunternd an. „Aber sie hat dir letztendlich ihren Segen gegeben, oder?“ Sie presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Nein, dazu war es nie gekommen. Schließlich war es auch niemals Kiaras Absicht gewesen für beinahe ein ganzes Jahr und so weit weg zu sein… Schuldbewusst sank sie auf ihrem Hocker in sich zusammen. „Oh“, machte Guybrush. „Wie willst du also nach Mêlée Island kommen?“, griff Beckman die Frage von vorhin in abgeänderter Form erneut auf. „Der Calm Belt ist eine Todeszone. Und selbst wenn der Rumpf deines Schiffes zufällig mit Seestein bestückt wäre, ist es eine gefährliche Angelegenheit.“ „Ich dachte da an das Mittel, was mich nach Monkey Island gebracht hat!“, offenbarte der mächtige Pirat seinen ausgeklügelten Plan. „Die Zutaten sollten schließlich kein Problem darstellen. Was brauchte ich denn nochmal? Etwas Grog, einen Oktopus, Knochenmehl…“ Seine Hände wanderten suchend in die schier bodenlosen Taschen seines Mantels. "Eine Zimtstange, vier Atemauffrischer, eine Flagge, etwas Tinte, einmal Wein, ein Hähnchen, etwas Schwarzpulver und Müsli“, unterbrach ihn Kiara und korrigierte seine Aufzählung, ohne mit der Wimper zu zucken. Ein begeistertes Funkeln leuchtete in Guybrushs Augen auf. „Du kannst wirklich jedes Wort auswendig.“ Beschämt winkte Kiara ab. „Ach. Manche Sachen bleiben halt im Kopf, ob man will oder nicht.“ Und vielleicht erwies es sich irgendwann mal als nützlich das obskure, substitutive Rezept einer Voodoosuppe auswendig zu kennen. Als ob. „Ich kann mir einfach generell viel merken.“ „Außer Namen“, kam es unverhohlen grinsend von der Crew. Mit einem tiefen Atemzug blies Kiara ihre Wangen auf und zog entrüstet eine Schmolllippe. „Die Spitznamen sind ein Zeichen meiner Zuwendung, jawohl!“ „So? Und warum hat der Boss dann keinen?“ „Woher willst du wissen, dass er keinen hat?“, schoss sie zurück. Er hatte keinen. Es war ihr genug, ihn bei seinem Namen zu nennen, wenn sie zu zweit waren. Dafür hatte sie sich hingegen die von der Crew üblicherweise genutzte Anrede bewusst antrainieren müssen. „Habe ich einen?“, schmunzelte Shanks leise und lehnte sich interessiert zu ihr. Eine Antwort bekam er jedoch nicht, sondern lediglich ein rotglühendes Gesicht, welches ihm demonstrativ abgewandt wurde. Kiara drehte sich stur zum Tresen und beschäftigte sich mit ihrem längst vergessenen Getränk. Sie hatte für heute genug ungewollt im Rampenlicht gestanden. „Na, jedenfalls kriege ich die Seekuh schon geschaukelt“, schloss Guybrush mehr oder weniger galant mit dem Thema ab. „Und für euch geht es dann weiter in die Neue Welt, nehme ich an?“ „Richtig, wir werden Paradise für eine ganze Weile hinter uns lassen“, nickte der Rothaarige. „Paradise?“ Dieses Mal war es Rayleigh, der eine Erklärung bot. „So nennt man die erste Hälfte der Grand Line.“ Ein unheilvolles Lächeln zog sich über seine Lippen. „Zumindest dann, wenn man die Neue Welt betreten hat und sich nach den ruhigeren Gefilden zurücksehnt.“ Und mit einem Mal war sich Kiara ihrer selbst gar nicht mehr so sicher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)