Libertalia von -Kiara ================================================================================ Kapitel 6: Hochrangiger Besuch ------------------------------ Die Tage gingen ins Land, während die Rothaarpiratenbande noch einige Zeit länger auf der verschneiten Winterinsel Avalugg verbrachte. Nicht allzu weit ihres ankernden Schiffes hatten sie ein Lager aufgeschlagen. Für den Fall, dass ein Sturm aufzog, befand sich in der Nähe eine lauschige Höhle, aus welcher sie einen einsamen Bären vertrieben. So genossen sie die kalte Jahreszeit in Mäntel gehüllt, um ein wärmendes Lagerfeuer herum und saßen an improvisierten Tischen auf Holzstämmen und -stumpfen. Was sie dort den ganzen lieben langen Tag trieben, wusste Kiara nicht genau. Sie ahnte, dass es etwas damit zu tun hatte andere Piraten zu treffen, da das Betreten eines fremden oder gar feindlichen Schiffes nie eine Diskussion auf neutralem Boden gewährleistete. Als Neuling in der Crew wurde ihr die Aufgabe zuteil den Ausguck zu übernehmen. Das hieß, sie hockte außerhalb vom Lager in der Kälte und hielt Ausschau nach potentiellen Störenfrieden. Dass sie darüber nicht allzu erfreut war, sah man ihr an. Auch wenn sie inzwischen zumindest wetterfeste Kleidung trug, der dicke Mantel und die gefütterten Stiefel förderten ihr Wohlbefinden ungemein, so fröstelte sie dennoch ständig. Auch nach Wochen konnte sich Kiara nicht an die kalten Temperaturen gewöhnen und langsam sehnte sie sich die karibische tropenwarme Luftfeuchtigkeit herbei. Da es nicht sonderlich piratig oder tough wirkte, wenn sie auf ihrem Posten kleine Schneemänner baute, malte sie aus Langeweile mit einem Stock kleine Kritzeleien in die weiße Pracht. Wenn ihr etwas misslang, wurde die Leinwand einfach wieder begradigt und sie konnte von neu anfangen. Von ihrem Standort aus hatte Kiara einen guten Blick über die Gegend. Hinter sich sah sie den entfernten Rauch des Lagerfeuers aufsteigen, vor ihr erstreckten sich der Wald und dahinter die Küste. „Hey, Snakes. Falls wir doch irgendwann mal diese Insel wieder verlassen, bringst du mir dann bei, wie man Gitarre spielt?“, fragte Kiara ihren Kollegen, welcher ein paar Meter hinter ihr auf einem waagerecht gewachsenen Baumstamm saß. Dabei handelte es sich nicht um seinen echten Namen. Allerdings trug er ein sehr markantes Tattoo einer roten Schlange auf seinem Oberarm, daher fand Kiara diesen Spitznamen durchaus passend. Snakes gluckste. „Falls?“ Er beugte sich vor und stützte die Arme auf den Knien ab. „Klar, kann ich machen. Sind deine Hände bei diesem Wetter etwa zu kalt?“ Wenn sie so lange hier draußen saßen, hatte sie kaum noch Gefühl in ihren Fingerkuppen und Zehen. Und wenn doch, dann war es Schmerz. Missbilligend zog sie den Handschuh aus und zeigte ihm die halb tauben, roten Finger. „Schlägst dich tapfer“, meinte er und grinste sie aufmunternd an. „Weißt du, was ein Akkord ist?“ Sie bejahte. „Ich hab‘ Klavier gelernt.“ „Ah, perfekt. Das heißt, Noten lesen kannst du auch.“ „Nicht sonderlich gut, ich spiele eher nach Gehör. Aber ja“, gestand Kiara schüchtern. „Dann bringe ich dir als erstes ein paar Akkorde bei“, beschloss Snakes mit fachmännischem Nicken. „Damit kann man schon einige lustige Lieder singen.“ Das war das Wichtigste. Es kam nicht darauf an, mit musikalischem Talent zu beeindrucken. Die Hauptsache war, man konnte alleine oder in der Gruppe gut gelaunt dazu vor sich hin grölen. Gedankenverloren malte Kiara ein paar Notenschlüssel und grobe Melodien in den Schnee. Als sie das nächste Mal aufblickte, erkannte sie einen kleinen schwarzen Punkt am Horizont. Skeptisch zog sie das Fernrohr aus ihrer Manteltasche und inspizierte die Gestalt durch die Linse. Was war das denn? Ein Sarg mit Segel? Und darin saß ein einzelner Mann. „Ich glaube, wir kriegen Besuch“, informierte sie Snakes. „Hm? Zeig mal her.“ Locker warf sie ihm das Fernrohr zu, damit der andere Pirat ebenfalls die Lage sondieren konnte. Er hob die Röhre zu seinem Auge und suchte das Meer ab. Plötzlich spannte sich seine Mimik an und er biss die Zähne zusammen. „Das ist Falkenauge.“ Binnen kürzester Zeit war das kleine Boot bis zur Küste geschippert und der Mann zielstrebig in ihre Richtung gelaufen. Er beäugte die Piraten argwöhnisch mit stechendem Blick. Snakes hatte sein Schwert gezogen und war in Verteidigungshaltung gegangen. Sie selbst sah dem Ruhestörer locker entgegen. Dies war vermutlich dem Grund zu verschulden, dass sie absolut keine Ahnung hatte, wer ihr gerade gegenüberstand. Zwar spürte sie eine kalte, mächtige Aura von ihm ausgehen, jedoch entschied sie sich nicht deswegen klein bei zu geben. „Was willst du hier, Falkenauge?“, presste ihr Kollege hervor. „Na, was wohl. Ich will zu eurem Boss. Wenn einer von euch beiden also so freundlich wäre, mich zu ihm zu führen.“ Kiara trat einen Schritt vor. „Kann ich machen.“ Die Stimmung im Lager war ausgelassen. Die Crew blödelte herum, trank heißen Rum und kostete ihren entspannten Landgang vollends aus. An einem besonders großen Baumstumpf, welcher als improvisierter Tisch diente, saßen der Kapitän und seine Offiziere und erzählten sich die neusten schmutzigen Witze. „Also, da ist ein Pärchen beim Sex. Sie fängt an zu stöhnen und ruft ‚Sag mir dreckige Sachen‘. Darauf der Mann-“ Der Vize räusperte sich laut, ehe Yasopp die Pointe erzählen konnte, da ihm auffiel, wie der Rest der Crew nach und nach plötzlich verstummte. Die heitere Stimmung war mit einem Mal verflogen und ein kalter Wind zog über die Lichtung. Der Rothaarige blickte zum anderen Schwertkämpfer auf. „Hallo, Falkenauge. Bist du hier für ein Kräftemessen?“ Sein Gegenüber schnaufte verächtlich. „Das hängt davon ab, ob die Gerüchte wahr sind.“ „Welche Gerüchte denn?“ Die junge Piratin stand mit respektvollem Abstand abseits des Geschehens und hatte das Gefühl die Atmosphäre mit einem Messer zerschneiden zu können, so angespannt wie sie war. Lediglich die Offiziere wirkten gelassen und sahen keinen Anlass sich zu rühren oder gar einzugreifen. „Du sollst im East Blue einiges zurückgelassen haben.“ Shanks‘ Hand wanderte zu seinem Schwert, welches zu seiner rechten Seite am Baumstamm lehnte. „Ich versichere dir, das mindert keineswegs meine Fertigkeiten.“ „Nein, danke. Ich habe kein Interesse daran gegen einen einarmigen Krüppel zu kämpfen.“ Empört zog Kiara die Augenbrauen hoch und biss sich auf die Unterlippe. Das hatte er jetzt nicht wirklich gesagt, oder?! Ihre Augen huschten fieberhaft zwischen den beiden Parteien hin und her. Eine unangenehme Stille legte sich über das Lager. Jedem anwesenden Piraten war bewusst, dass die Situation jeden Augenblick kippen könnte. Und dann fing der Kapitän an herzhaft zu lachen. „Wenn du schon den weiten Weg gekommen bist, dann musst du auch was mit uns trinken! Komm, setz dich her, du alte Kanaille.“ Kiara atmete erleichtert auf. Es war, als würde die Kälte, welche vorher so klamm an allen gehangen hatte, dem wärmenden Gemüt der nächsten Feierlichkeit weichen. „Kennst du schon unser neustes Crewmitglied?“, der Rothaarige winkte die Piratin zu sich. „Das ist Kiara! Wir haben sie aus dem Meer gefischt.“ Etwas unbeholfen landete sie auf dem Baumstumpf, als er sie am Mantel zu sich herunter zog. Falkenauge wirkte als würde er sich nur widerwillig setzen, nahm aber ohne ein weiteres Wort zu Shanks‘ linker Seite Platz. Vielleicht lag es einfach an seinem stoischen Gesicht. Jedenfalls nahm er den vollen Krug Grog, welcher ihm gereicht wurde, gerne entgegen. „Wieso hast du ausgerechnet im East Blue deinen Arm und deinen Hut verloren?“, fragte Falkenauge ungerührt und hob das Getränk an seinen Mund. „Du wirst es nicht glauben, Mihawk, aber ich habe dort einen bemerkenswerten Jungen kennengelernt. Einen kleinen Teufelskerl, der Wort für Wort dieselben Dinge gesagt hat, wie Käpt’n Roger.“ Begeistert erzählte Shanks wie der Bengel die Crew Tag für Tag erheitert hatte, während sie an dem Dorf ankerten und er ständig darum bat mitgenommen zu werden, weil er auch Pirat werden wollte. Vor ihrer allerletzten Abfahrt hatte Shanks ihm seinen Hut vermacht. Als Versprechen, dass der Junge ein großer Pirat werden würde und wenn er das erreicht hatte, sollte er ihm den Hut zurückgeben. Ein Strohhut, sein wertvollster Besitz. Es war ein Geschenk seines alten Kapitäns gewesen und er trug ihn, seitdem er ein Kind gewesen war. Am gespanntesten lauschte wohl Kiara, der die Geschichte mit dem Hut völlig neu war. Ihr erzählte der Kapitän selten aus seiner Vergangenheit. Vielleicht stellte sie auch die falschen Fragen. Oder er hatte keine Lust für seine Erzählungen großartig auszuholen. Offenbar kannten sich Shanks und Falkenauge bereits längere Zeit, da war das Vorwissen also längst vorhanden. „Na dann viel Glück, dass deine Aufopferung nicht umsonst war“, entgegnete Falkenauge trocken. Man stelle sich vor, der Junge würde sich den Traum vom Piratenleben aus dem Kopf schlagen. Shanks würde seinen Hut niemals wiedersehen. „Aber was ist mit dir, Mihawk“, setzte der Rothaarige an. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass du die offene Stelle als einer der Sieben Samurai der Meere angenommen hast.“ Gelassen hob Falkenauge die Schulter. „Ich dachte mir, damit gewährleiste ich ausreichend Ruhe von der Marine.“ „Quasi ein Kaperbrief?“, fragte Kiara nach, die von diesem Titel noch nie etwas gehört hatte. „Du musst ja tief unten im Meer gelebt haben“, höhnte der Schwertkämpfer und verzog dabei keine Miene. „Ich bin doch keine Meerjungfrau?!“ Shanks winkte ab. „Selbst wenn, der Schwanz einer Meerjungfrau teilt sich erst mit Dreißig.“ „Was?“ Kiara starrte ihn verdattert an. „Was?!“ Wollte er ihr gerade weiß machen, dass Meermenschen wirklich existierten? „Der Piratenfreizeitpark, wo sie aufgewachsen ist, kriegt nicht viel von der Außenwelt mit“, informierte der Rothaarige. „Die Tri-Islands sind kein Freizeitpark!“, pikierte sich die Piratin. „Jedenfalls, hast du recht. Mein guter Freund Falkenauge ist jetzt ein Hündchen der Weltregierung.“ „Dafür habe ich erstmal ausgesorgt. Es ist leichter ein Samurai der Meere zu werden, als ein Kaiser.“ Kiara traute sich nicht erneut nachzufragen. „Pass auf“, lenkte Shanks ein, der sich schon dachte, dass sie keine Ahnung hatte, wovon sie gerade sprachen. „Es gibt die drei großen Mächte, die das Gleichgewicht der Welt bewahren. Die Marine, die Sieben Samurai der Meere und die Vier Kaiser. Die Marine muss ich nicht großartig erklären, das ist das Militär der Weltregierung. Die Sieben Samurai sind Piraten, mit Kaperbrief, so gesehen, die sind ebenfalls der Weltregierung unterstellt.“ Argwöhnisch runzelte Kiara die Augenbrauen. „Komisches Gleichgewicht.“ „Naja, dafür sind die Vier Kaiser besonders mächtig. Vier Piraten, die zu den stärksten der Welt gehören. Sie haben die Neue Welt in Territorien eingeteilt und niemand würde es wagen dort einzufallen. Keine anderen Piraten und auch nicht die Marine. Sich mit einem von ihnen anzulegen bedeutet einen gewaltigen Krieg loszubrechen.“ Da staunte sie nicht schlecht. „Und wer sind diese vier Piraten?“ „Vor vielen Jahren waren sie alle einmal Teil derselben Crew. Das wären Captain John, Big Mom, Kaido und Whitebeard. Jeder von ihnen ist schier unantastbar. Eine Allianz zwischen zwei von ihnen, könnte die Welt bereits in Chaos stürzen.” „Moment. Soll das heißen, dass einer bereits so stark ist, wie die beiden anderen Mächte zusammen?!“ Kiara war fassungslos. Wie viel Macht konnte eine Person alleine haben?! „Hätten sie mal lieber einem von denen den Kaperbrief gegeben.“ Falkenauge schnaubte. „Als würden die sich mit der Weltregierung zusammentun wollen.“ „Beckman kann dir das Ganze mal genauer erklären“, meinte der Rothaarige. „Warum hast du eigentlich noch nichts zu trinken? Jungs, wollt ihr die Kleine auf dem Trocknen sitzen lassen, oder was? Wie soll man denn so anständig feiern?!“ Der Alkohol floss, die Gespräche wurden wieder lustiger und die Stimmung mit jedem Krug ausgelassener. Die Rothaarpiratenbande verstand es eine Party in Gang zu bringen. Über dem Lagerfeuer schmorrte der Fang des Tages und auch sonst wurde einiges an Essen aufgetischt. „Du bis‘ also der beste Schwertkämpfer der Welt, aber has‘ du schonmal was von Beleidigungsfechten gehört?“, lallte Kiara nach dem zweiten Krug Grog, welcher ihr viel zu schnell zu Kopf gestiegen war. „Das macht außer dir niemand!“, grölte ein Crewmitglied, das nah genug dran saß, um ihr Gespräch mitzuhören. „Setz mal einen Fuß auf Mêlée Island, dann reden wir weiter!“, blaffte sie zurück. „Beleidigungsfechten, was soll das sein?“, fragte Falkenauge und wirkte als würde der Gedanke allein die Kunst des Schwertkämpfens in den Dreck ziehen. „Es geht darum, dass dein Verstand schärfer is‘ als dein Schwert!“ „Haki?“, offerierte Falkenauge. „Beleidigungen! Beleidigungen und Konter. Die deinen Gegner auf’s Mark erschüttern, sodass es ihn aus dem Konzept bringt und er anfängt Fehler zu machen! Und zack! Kann man ihn entwaffnen!“ Der Schwertkämpfer schüttelte müde den Kopf. „Scheint mir eher so, dass deine Fertigkeiten im Schwertkampf nicht sonderlich ausgeprägt sind und du deshalb zu solchen billigen Tricks greifen musst.“ „Es sin‘ keine billigen Tricks, nur weil du sie nich‘ kennst“, entgegnete Kiara angestachelt. „Ich würde dir eine Lektion in Sachen Schwertkunst erteilen, aber an sowas verschwende ich nicht meine wertvolle Zeit.“ „Du kamst extra hierher um dann doch nich‘ zu kämpfen, also scheinst du doch eindeutig zu viel Zeit zu haben.“ Kiaras Miene erhellte sich und sie lachte auf. „Deine Beleidigungen sin‘ auf jeden Fall schonmal gut!“ Beinahe zuckte in Falkenauges Mundwinkel ein Lächeln. Sie hatte ihn tatsächlich dazu gebracht ihr kleines Spiel mitzuspielen. Gegen sie antreten würde er trotzdem nicht. Sein Können wäre an ihr verschwendet und der Kampf schneller vorbei als sie blinzeln konnte. Aber sie war trotz seiner deutlichen Überlegenheit frech zu ihm und das machte sie irgendwie sympathisch. Die Kleine passte zum Rest dieser verschrobenen Bande. „Das ist also Gang und Gäbe auf Mêlée Island, ja? Ich werde es im Hinterkopf haben, sollte es mich jemals dorthin verschlagen“, räumte Falkenauge versöhnlich ein. Mit diesem Zugeständnis wurde erneut freudig angestoßen und der nächste Krug geleert. Es war töricht von Kiara zu glauben, sie könnte mit Falkenauge und Shanks beim Saufen mithalten. Sie versuchte es trotzdem und ignorierte den Gedanken, wie sehr sie sich selbst am morgigen Tag dafür hassen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)